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BGB § 1572 - Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen - FD-Logo-500

BGB § 1572 - Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen




BGB § 1572 - Unterhalt wegen Krankheit oder Gebrechen

Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, solange und soweit von ihm vom Zeitpunkt
1. der Scheidung,
2. der Beendigung der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes,
3. der Beendigung der Ausbildung, Fortbildung oder Umschulung oder
4. des Wegfalls der Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach § 1573
an wegen Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann.






 



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Erwerbsunfähigkeit des Bedürftigen; Wohngeld.

1. Ein Ehegatte, der trotz Erwerbslosigkeit Unterhalt beansprucht, trägt für seine Bedürftigkeit die Darlegungs- und Beweislast: Er muss in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat, um einen zumutbaren Arbeitsplatz zu finden, und die sich ergebenden Erwerbsmöglichkeiten auszunutzen; eine Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 2 ZPO kommt ihm nicht zugute.
2. Diese Darlegungs- und Beweislast bezieht sich auch auf eine geringfügige Beschäftigung im Mini-Job-Bereich bzw. auf stundenweise Geringverdienertätigkeit.
3. Wohngeld ist Einkommen, soweit es nicht erhöhte Wohnkosten deckt, und ist somit bei der Unterhaltsbemessung grundsätzlich einkommenserhöhend zu berücksichtigen, soweit es nicht tatsächlich bestehende, erhöhte Aufwendungen für den Wohnbedarf ausgleicht.
4. Bei beruflichen Veränderungen, die sich nachteilig auf die Einkünfte auswirken, ist stets zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige eine sich daraus ergebende Leistungsunfähigkeit oder Leistungsminderung selbst schuldhaft herbeigeführt hat. Dies setzt ein leichtfertiges, von dem üblichen sozialen Standard abweichendes Verhalten voraus. Leichtfertig in diesem Sinne handelt, wer seine Arbeitskraft oder sein Vermögen aufs Spiel setzt und einbüsst. Der Unterhaltspflichtige muss sich unter grober Nichtachtung dessen, was jedem einleuchten muss, oder in Verantwortungs- und Rücksichtslosigkeit gegen den Unterhaltsberechtigten über die als möglich erkannten nachteiligen Folgen für seine Bedürftigkeit hinweggesetzt haben.
5. Nur wenn eine Fremdbetreuung nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist, oder aus kindbezogenen Gründen nicht in Anspruch genommen werden kann, darf der Elternteil ausnahmsweise auch nach der Vollendung des 3. Lebensjahres zu Lasten seiner Erwerbstätigkeit weiter betreuen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 26. Februar 2020 - 9 UF 248/19

Anmerkungen

Die Beteiligten haben im September 2011 die Ehe geschlossen, aus der ein im August 2013 geborener gemeinsamer Sohn hervorgegangen ist. Sie trennten sich im November 2015. Die Antragsgegnerin hat als Folgesache im Scheidungsverbund die Zahlung nachehelichem Unterhalts ab Rechtskraft der Ehescheidung begehrt: Sie sei aufgrund eines im Februar 2016 erlittenen Schlaganfalles erwerbsunfähig, und beziehe nur Rente und Wohngeld. Der Antragsteller hingegen habe unter Verstoss gegen seine Erwerbsobliegenheiten seine Arbeitszeit mit der Behauptung herabgesenkt, er müsse und wolle mehr Zeit mit seinem Sohn verbringen. Das AmtsG hat den Antrag auf Zahlung nachehelichen Unterhalts zurückgewiesen. Die Beschwerde der Antragsteller hatte lediglich teilweise Erfolg.

» Beim nachehelichen Unterhalt besteht wegen des Grundsatzes der Eigenverantwortung nach § 1569 BGB grundsätzlich die Obliegenheit, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben (§ 1574 Abs. 1 BGB). Angemessen ist eine Erwerbstätigkeit, die der Ausbildung, den Fähigkeiten, einer früheren Erwerbstätigkeit, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des geschiedenen Ehegatten entspricht, soweit eine solche Tätigkeit nicht nach den ehelichen Lebensverhältnissen, insbesondere unter Berücksichtigung der Ehedauer und der Dauer der Pflege oder Erziehung gemeinschaftlicher Kinder, unbillig wäre (§ 1574 Abs. 2 BGB). «

Zwar sei die Antragsgegnerin aufgrund der angestellten Beweisaufnahme tatsächlich im Grundsatz erwerbsunfähig; zu berücksichtigen sei auch, dass der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zudem die tatsächliche Erwerbsunfähigkeit indiziert (vgl. Senat NZFam 2014, 568). Der Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäss § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI setze allerdings allein voraus, dass der Rentenbezieher wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit ausserstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI); eine vollständige Unfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten, etwa im Geringverdienerbereich, ergebe sich daraus indessen noch nicht. Nach dem Ergebnis des Gutachtens sei die Antragsgegnerin zu der Ableistung von aktuell zwei Stunden täglicher Arbeit in der Lage ist. Die Antragsgegnerin trage auch hinsichtlich ihrer Teilarbeitsfähigkeit die volle Darlegungs- und Beweislast.

» Ein Unterhaltsberechtigter, der trotz Erwerbslosigkeit Unterhalt beansprucht, hat die Darlegungs- und Beweislast für seine Bedürftigkeit: Er muss in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat, um einen zumutbaren Arbeitsplatz zu finden, und die sich ergebenden Erwerbsmöglichkeiten auszunutzen. Eine Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 2 ZPO kommt ihm nicht zugute (BGH FamRZ 2014, 637 = FuR 2014, 289). Eine behauptete vollständige Erwerbsunfähigkeit ist auch für eine stundenweise Geringverdienertätigkeit von vornherein durch eine Unterhaltspartei darzulegen und zu beweisen (BGH FamRZ 2017, 109 = FuR 2017, 85; Senat NZFam 2014, 568), denn die Unterhaltspartei trägt nicht nur die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie keine Vollzeitstelle zu erlangen vermag, sondern auch dafür, dass dies in gleicher Weise für eine geringfügige Beschäftigung im Mini-Job-Bereich usw. gilt (BGH FamRZ 2012, 517 = FuR 2012, 257; 2017, 109 = FuR 2017, 85; Senat NZFam 2014, 568). «

Die Antragsgegnerin habe keinerlei Erwerbsbemühungen hinsichtlich der Ausfüllung der sie treffenden Erwerbsobliegenheiten von mindestens zwei Stunden arbeitstäglich erkennen lassen. Bei der von der Antragsgegnerin bezogenen Rente wegen voller Erwerbsminderung existiere eine feststehende Hinzuverdienstgrenze, bis zu deren Maximalhöhe eine Anrechnung auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung unterbleibt (§ 96a Abs. 2 Nr. 2 SGB VI). Sie betrage maximal 6.300 € im Kalenderjahr (525 € monatlich). Allerdings scheide hier die vollständige Zurechnung der vorgenannten Nebeneinkünfte von 525 €/monatlich aus.

» Zwar sind in der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage mit annähernder Vollbeschäftigung an den Nachweis vergeblichen Bemühens höhere Anforderungen zu stellen als in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit auf dem einschlägigen Arbeitsmarkt; andererseits müssen aber auch stets die vorhandenen Beschäftigungsmöglichkeiten und die individuellen Umstände beachtet werden. Ob ein Arbeitsuchender eine geeignete Nebentätigkeit bzw. eine geringfügige Beschäftigung finden kann, ist auch von objektiven Voraussetzungen abhängig, etwa den jeweiligen Verhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und den persönlichen Eigenschaften des Arbeitsuchenden wie Alter, Ausbildung, Berufserfahrung, Gesundheitszustand, Geschlecht usw (BGH FamRZ 2013, 1378 = FuR 2013, 651). «

Aus den gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragsgegnerin folgten jedoch erheblich eingeschränkte Erwerbsmöglichkeiten; zudem nehme die Antragsgegnerin ein grosszügiges Umgangsrecht wahr, welches sie zeitlich einschränke.

Das Wohngeld sei der Antragsgegnerin grundsätzlich einkommenserhöhend zuzurechnen: Wohngeld sei Einkommen, soweit es nicht erhöhte Wohnkosten deckt (Nr. 2.3 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen OLG [Stand: 2020]). Der Wohngeldempfänger müsse darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass und in welcher Höhe das Wohngeld in dem konkreten Fall erhöhte Wohnkosten ausgleicht. Wohngeld sei demnach voll anzurechnen, wenn die tatsächlich gezahlte Miete niedriger sei als der in dem Unterhaltsanspruch oder in dem jeweiligen Selbstbehalt enthaltene Wohnkostenanteil. Sei dagegen die tatsächlich gezahlte Miete höher als der in dem Unterhaltsanspruch oder in dem jeweiligen Selbstbehalt enthaltene Wohnkostenanteil, bleibe ein Betrag in Höhe der Differenz zwischen der tatsächlich gezahlten Miete und dem Wohnkostenanteil des Selbstbehalts anrechnungsfrei; nur der überschiessende Rest des Wohngeldes sei dann als Einkommen anzurechnen. Eines entsprechenden Sachvortrages der Antragsgegnerin dazu mangele es.

Soweit der Antragsteller seine Arbeitszeit und damit auch seine Nettoerwerbseinkünfte reduziert hat, habe er sich unterhaltsrechtlich in vorwerfbarer Weise schuldhaft verhalten; daher sei ihm weiterhin das zuvor aus vollschichtiger Tätigkeit bezogenen Erwerbseinkommen zuzurechnen.

» Bei beruflichen Veränderungen, die sich nachteilig auf die Einkünfte auswirken, ist stets zu prüfen, ob der Unterhaltspflichtige eine sich daraus ergebende Leistungsunfähigkeit oder Leistungsminderung selbst schuldhaft herbeigeführt hat. Erforderlich ist insoweit ein leichtfertiges, von dem üblichen sozialen Standard abweichendes Verhalten. Leichtfertig in diesem Sinne handelt, wer seine Arbeitskraft oder sein Vermögen, also die Faktoren, die ihn in die Lage versetzen, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, aufs Spiel setzt und einbüsst. Der Unterhaltspflichtige muss sich unter grober Nichtachtung dessen, was jedem einleuchten muss, oder in Verantwortungs- und Rücksichtslosigkeit gegen den Unterhaltsberechtigten über die als möglich erkannten nachteiligen Folgen für seine Bedürftigkeit hinweggesetzt haben (ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. nur BGH FamRZ 2001, 541 = FuR 2001, 184). «

Der Antragsteller könne sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Reduzierung zwecks Betreuung seines (mittlerweile annähernd sieben Jahre alten) Sohnes notwendig und geboten (und somit nicht leichtfertig) war.

» Aus dem Wortlaut des § 1570 Abs. 1 S. 1 BGB ergibt sich, dass für den betreuenden Elternteil vor der Vollendung des 3. Lebensjahrs des (jüngsten) Kindes keine Obliegenheit zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht, weil von ihm wegen der Pflege oder Erziehung des oder der Kinder keine Erwerbstätigkeit erwartet werden kann. Im Umkehrschluss daraus folgt, dass ab dem 3. Lebensjahr des Kindes im Grundsatz eine vollschichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt werden muss. Dies gilt für den Unterhaltsberechtigten wie auch für den -verpflichteten gleichermassen.

In Ausnahmefällen kann eine Betreuung von Kindern auch nach Vollendung des 3. Lebensjahres unterhaltsrechtlich beachtlich sein. Die Zumutbarkeit von Erwerbstätigkeit neben Betreuung von Kindern nach Vollendung des 3. Lebensjahres richtet sich für jede Unterhaltspartei nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. auch Nr. 17.1 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen OLG [Stand: 2020]). Bei dem Unterhaltsanspruch wegen Betreuung von Kindern ab der Altersgrenze von drei Jahren ist vor allem der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung auf andere Weise gesichert ist oder gesichert werden könnte (vgl. BGHZ 193, 78 = FamRZ 2012, 1040 = FuR 2012, 421). Nach dem Vorbringen des Antragstellers im Rahmen der Beschwerdeerwiderung erfolgte die Reduzierung der Arbeitszeit, um Besorgungen und Haushaltstätigkeiten zu verrichten, die der Antragsteller zuvor erst am späten Abend nach Abholung seines Sohnes von der Kindertagesstätte verrichten konnte. Bei solchen den privaten Bereich betreffenden Tätigkeiten liegt aber kein Grund vor, in unterhaltsrechtlich anzuerkennender Weise die grundsätzlich bestehende Verpflichtung zur Ableistung einer vollschichtigen Tätigkeit einzuschränken, denn solche dem privaten Bereich zuzuordnende Tätigkeiten können keinen Einfluss auf die allgemeine Erwerbsobliegenheit haben. Nur wenn eine Fremdbetreuung nicht in ausreichendem Maße vorhanden oder aus kindbezogenen Gründen nicht in Anspruch genommen werden kann, darf der Elternteil ausnahmsweise auch nach der Vollendung des 3. Lebensjahres zu Lasten seiner Erwerbstätigkeit weiter betreuen. «

Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall seien weder dargetan, noch anhand der Aktenlage erkennbar.

Im übrigen sei in unterhaltsrechtlicher Sicht nicht hinzunehmen, dass der Antragsteller seit dem Veranlagungszeitraum 2016 keine weiteren Steuererklärungen mehr abgegeben habe; er habe auch besondere Gründe dafür nicht vorgebracht.

» Der Unterhaltspflichtige ist aber gehalten, alle gesetzlichen Möglichkeiten zur Steuerentlastung auszunutzen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, sind seinem Nettoeinkommen Erstattungsbeiträge, die er hätte realisieren können, zuzusetzen. Daher ist die vormals erhaltene, hier auch auf den fiktiv zugerechneten vollen Erwerbseinkünften beruhende Steuererstattung fortzuschreiben (zur Fortschreibung vgl. auch die Unterhaltsleitlinien Nr. 1.7 Abs. 1 S. 2 des Brandenburgischen OLG [Stand: 2020]). «

Verbindlichkeiten für Gerichtskosten und Rechtsanwaltshonorare könne der Antragsteller der Antragsgegnerin unterhaltsrechtlich nicht entgegenhalten.

» Schulden sind grundsätzlich nur berücksichtigungsfähig, wenn sie vor Trennung und Scheidung entstanden sind, da sie nur dann die Ehe geprägt haben (vgl. auch Nr. 10.4 S. 1 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen OLG [Stand: 2020]). Die durch Trennung und Scheidung selbst veranlassten Verbindlichkeiten zählen in aller Regel nicht zu den berücksichtigungswürdigen Schulden, z.B. Kredite, die zu der Finanzierung des Zugewinnausgleichs aufgenommen werden (BGH FamRZ 2000, 950 = FuR 2000, 469). Aus gleichem Grunde sind Verfahrenskosten für Scheidungs- und Folgeverfahren sowie sonstige Rechtsstreitigkeiten von jedem Beteiligten in der Höhe, in der sie ihm auferlegt wurden, aus den Lebenshaltungskosten selbst zu tragen. Ist ein Beteiligter zu der Tragung solcher Verfahrenskosten nicht in der Lage, kann er Verfahrenskostenhilfe in Anspruch nehmen. Dem Antragsteller wurde aber nach eigenem Vorbringen Verfahrenskostenhilfe insoweit gerade nicht gewährt; deshalb hat er diese Kosten aus dem eigenen Selbstbehalt zu bestreiten. Andernfalls würde die Antragsgegnerin auf dem Umwege des Unterhalts an diesen Kosten, für die der Antragsteller infolge der gerichtlichen Kostenentscheidung bzw. der Mandatierung seines Rechtsanwalts selbst einzustehen hat, mitbeteiligt werden. «


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Begrenzung/Befristung eines nachehelichen Unterhalts wegen Krankheit.

1. Eine Begrenzung und/oder Befristung des Unterhalts wegen Krankheit kommen nur dann in Betracht, wenn die dauerhafte Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen wegen der Schicksalhaftigkeit der Erkrankung des Unterhaltsberechtigten ist im Sinne des § 1578b BGB unbillig. Dabei können ehebedingte Nachteile wiederum einer Begrenzung/Befristung aus Billigkeitsgründen entgegenstehen, wenn das Krankheitsbild im Zusammenhang mit der Rollenverteilung in der Ehe oder sonstigen mit der Ehe verbundenen Umständen steht. Hierbei beeinflusst die Krankheit im Zusammenhang mit der Ehedauer das Maß der fortwirkenden nachehelichen Solidarität, wobei es darauf ankommen kann, ob der kranke Ehepartner die begründete Aussicht auf Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit hat.
2. Das Maß des Unterhalts ist bei auf nicht ehebedingter Krankheit beruhender Erwerbsunfähigkeit nicht zwangsläufig der nach § 1578b BGB angemessene Lebensbedarf; vielmehr stellt der angemessene Lebensbedarf gemäss § 1578b BGB nur die zwingende Untergrenze des Krankheitsunterhalts dar, wenn keine ehebedingten Nachteile vorliegen, und die Schicksalhaftigkeit der Krankheit der Pflicht des Ehepartners, aufgrund nachehelicher Solidarität unbegrenzten Quotenunterhalt zu leisten, entgegensteht.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 13. März 2020 - 13 UF 78/19

Anmerkungen

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Antragstellers zur Zahlung nachehelichen Unterhalts. Die Ehezeit der Antragsgegnerin und des Antragstellers dauerte von August 2007 bis Dezember 2016. Ihre Tochter wurde im März 2009 geboren. Seit Januar 2015 leben die Beteiligten getrennt; das Kind lebt ununterbrochen in dem Haushalt der Antragsgegnerin. Diese arbeitete vorehelich zunächst in ihrem erlernten Beruf der Bürokauffrau, und nahm 2005 ein Fachhochschulstudium der Landschaftsarchitektur in Vollzeit auf, das sie im 8. Semester wegen der Geburt der Tochter für ein Jahr unterbrach. Sodann setzte sie ihr Studium in Teilzeit fort; die Tochter besuchte die KiTa für sechs Stunden wochentäglich. Im März 2013 brach die Antragsgegnerin ihr Studium ab, weil sie krankheitsbedingt mit der Betreuung ihrer Tochter und dem Teilzeitstudium überfordert war. Sie war sodann zeitweise als Bürokraft in Teilzeit erwerbstätig, gab die beiden letzten Beschäftigungen jedoch wegen Krankheit auf; seitdem war sie nicht mehr erwerbstätig.

In der Beweisaufnahme wurden multiple Erkrankungen der Antragstellerin festgestellt; Besserung innerhalb von drei Jahren sei unwahrscheinlich, jedoch sei Erwerbstätigkeit als Bürokraft täglich unter drei Stunden möglich. Die Antragstellerin bezieht Rente wegen voller Erwerbsminderung; sie geht davon aus, nicht allein die im Jahre 2006 diagnostizierte MS-Erkrankung, sondern erst die in der Ehezeit aufgrund der ehelichen Rollenverteilung aufgetretene Depression habe die MS-Erkrankung so verschärft, dass sie nunmehr dauerhaft erwerbsunfähig sei. Ihr Studienabbruch beruhe auf der ehelichen Rollenverteilung und der ihr allein obliegenden Betreuung der Tochter; ohne diese Umstände wäre sie trotz MS in der Lage gewesen, ihr Studium abzuschliessen, und als Landschaftsarchitektin rund 4.000 € brutto monatlich zu erwirtschaften. Dies sei Maßstab für die Bemessung des nachehelichen Unterhalts.

Das AmtsG hat dem Antrag in Höhe von 30 € stattgegeben, und ihn im übrigen zurückgewiesen. Da die Antragsgegnerin bereits vor der Eheschliessung erkrankt sei, und ihre Berufsbiographie ergebe, dass sie auch ohne Eheschliessung kein Erwerbseinkommen hätte erzielen können, sei Maßstab ihr angemessener Lebensbedarf in Höhe des Mindestbedarfs von 880 €; angesichts ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente von 850 € stünden ihr daher 30 € Krankheitsunterhalt zu. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Antragsgegnerin gegen die Herabsetzung des Unterhalts auf den Mindestbedarf: Betreuungsunterhalt in voller Höhe stehe ihr wegen der ärztlich festgestellten Auffälligkeiten ihrer Tochter zu, die der Antragsgegner bestritten hat.

Das OLG hat der Antragsgegnerin nachehelichen Unterhalt wegen Krankheit gemäss §§ 1570 Abs. 1, 1572, 1578, 1578b BGB zugesprochen. Die Antragsgegnerin sei aufgrund der schon während der Ehezeit bestehenden Krankheiten MS und Depression seit dem 01.10.2017 krankheitsbedingt vollständig erwerbsunfähig, ohne Aussicht auf Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit; daher seien die tatbestandlichen Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs wegen Krankheit gemäss § 1572 Nr. 1 BGB gegeben. Da dessen Rechtsfolgen jedenfalls weiter reichten als die des Betreuungsunterhalts gemäss § 1570 BGB, komme es auf die Erfüllung von dessen Voraussetzungen nicht weiter an.

Das Maß des geschuldeten Unterhalts bestimme sich gemäss § 1578 Abs. 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen, so dass der sog. Quotenunterhalt geschuldet sei. Allerdings sei dieser Quotenunterhalt gemäss § 1578b BGB zu begrenzen.

» Unterhalt wegen Krankheit ist zwar in besonderem Maße Ausdruck der nachehelichen Verantwortung der Ehegatten füreinander, denn die Unterhaltsverpflichtung des gesunden Ehegatten hängt weder davon ab, dass die Krankheit erst in der Ehe aufgetreten ist, noch steht dem Unterhaltsanspruch entgegen, dass der Ehegatte unabhängig von der Eheschliessung krank geworden wäre, oder auch ohne die Krankheit keine Erwerbstätigkeit aufgenommen hätte. Begrenzung und/oder Befristung des Unterhalts wegen Krankheit kommen deswegen nur dann in Betracht, wenn die dauerhafte Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen wegen der Schicksalhaftigkeit der Erkrankung des Unterhaltsberechtigten unbillig ist iSd § 1578b BGB, wobei ehebedingte Nachteile wiederum einer Begrenzung/Befristung aus Billigkeitsgründen entgegenstehen können, wenn das Krankheitsbild im Zusammenhang mit der Rollenverteilung in der Ehe oder sonstigen mit der Ehe verbundenen Umständen steht. Dabei beeinflusst die Krankheit im Zusammenhang mit der Ehedauer das Maß der fortwirkenden nachehelichen Solidarität, wobei es darauf ankommen kann, ob der kranke Ehepartner begründete Aussicht auf Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit hat (OLG Hamm FamRZ 2010, 814).

Weiter kann auch dann, wenn nicht ehebedingte Nachteile, sondern ausschliesslich die Krankheit die Ursache für das reduzierte Einkommen des Berechtigten ist, im Wege der Billigkeitsabwägung gemäss § 1578b BGB die Dauer der Betreuung der gemeinsamen Kinder, die eheliche Rollenverteilung und die Dauer der Ehe den Umfang der nachehelichen Solidarität bestimmen (BGH FamRZ 2010, 629 = FuR 2010, 342; OLG Schleswig FamRZ 2011, 302). «

Die Schicksalhaftigkeit der MS-Erkrankung und die letztlich auch darauf beruhende dauerhafte Erwerbslosigkeit der Antragsgegnerin stehe hier insoweit ausser Frage, als die Krankheit schon vor der Eheschliessung ausgebrochen, und beiden Ehegatten bekannt war. Bei der Begrenzung sei wiederum zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin zwar nicht aufgrund der ehelichen Rollenverteilung und der Betreuung der Tochter gegenwärtig und in Zukunft erwerbsunfähig bleiben werde, diese Umstände indes die Ehe geprägt hätten. Die Herabsetzung des vollen Unterhalts auf die Hälfte nach Ablauf von drei Jahren und auf den angemessenen Lebensbedarf nach Ablauf weiterer drei Jahre sei angemessen. Die weitere Herabsetzung des Unterhalts auf den angemessenen Lebensbedarf gemäss § 1578b BGB in der Form, dass der Antragsgegnerin nur die Differenz zwischen Existenzminimum und ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente zuzubilligen sei, sei nach Ablauf von 10 Jahren seit der Rechtskraft der Scheidung angemessen.

Anders als das AmtsG meine sei das Maß des Unterhalts bei auf nicht ehebedingter Krankheit beruhender Erwerbsunfähigkeit nicht zwangsläufig der nach § 1578b BGB angemessene Lebensbedarf; vielmehr stelle der angemessene Lebensbedarf gemäss § 1578b BGB nur die zwingende Untergrenze des Krankheitsunterhalts dar, wenn keine ehebedingten Nachteile vorliegen, und die Schicksalhaftigkeit der Krankheit der Pflicht des Ehepartners, aufgrund nachehelicher Solidarität unbegrenzten Quotenunterhalt zu leisten, entgegenstehe. Angesichts der Ehedauer von 10 Jahren, der Dauer der Unterhaltszahlungen seit 2016 insgesamt, und dem Umstand, dass beiden Beteiligten die Krankheit bei Eheschliessung bekannt war, seien 10 Jahre Übergangszeit eine angemessene Dauer für beide Seiten.

Die Höhe des angemessenen Lebensbedarfs bestimme sich bei Bedürftigkeit, die ausschliesslich auf nicht ehebedingter Krankheit beruht, nach den Erwerbsunfähigkeitseinkünften des Bedürftigen, denn bei dem Krankheitsunterhalt könne nur auf diejenigen Einkünfte abgestellt werden, die der Berechtigte ohne Ehe und Kindererziehung im Falle seiner Krankheit zur Verfügung hätte, wobei das Existenzminimum die Untergrenze des angemessenen Lebensbedarfs bilde. Die Antragsgegnerin wäre auch ohne Ehe und Tochter krankheitsbedingt dauerhaft erwerbsunfähig geworden, so dass ihr angemessener Lebensbedarf durch ihre derzeitige Renteneinkunft in Höhe von 851 € bestimmt wird, und wegen der zwingenden Untergrenze des Existenzminimums auf 30 € festzusetzen sei.

Eine Befristung komme indes nicht in Betracht, da die Antragsgegnerin keine begründete Aussicht auf Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit habe. Dieser Umstand, wenngleich von der Ehe unbeeinflusst, zwinge zu der Festsetzung einer unbefristeten, wenngleich massiv herabgesetzten Unterhaltszahlung durch den durch die nacheheliche Solidarität verpflichteten Antragsteller. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Ehe auch nicht von sog. kurzer Dauer war, und die Krankheit, deretwegen die Antragsgegnerin dauerhaft erwerbsunfähig ist, bei Eheschliessung bereits bestand.


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Nachehelicher Unterhalt; Unterhaltsbedarfsberechnung, Leistungsfähigkeitsprüfung und Unterhaltsberechnung bei Eingehung einer neuen Partnerschaft durch den Ehemann während noch bestehender Ehe und der Geburt eines Kindes sowie Heirat der Kindesmutter nach Ehescheidung.

1. Verlangt die geschiedene Ehefrau Unterhalt wegen Krankheit, dann sind für die Bemessung des Unterhaltsbedarfs die ehelichen Lebensverhältnisse massgebend.
2. Die Unterhaltsberechnung nach der sogenannten Dreiteilungsmethode kann schon bei der Bestimmung des Bedarfs der geschiedenen Ehefrau zur Anwendung kommen, wenn bereits während der Trennungszeit eine neue Beziehung des Ehemannes zu einer Lebensgefährtin (und jetzigen Ehefrau) und einem gemeinsamen Kind entstanden ist, die zu einem Unterhaltsanspruch von Mutter und Kind führte.
3. Zwar prägen sich die Unterhaltsansprüche nach § 1572 und § 1615l BGB hier wechselseitig, da letzterer schon bei Rechtskraft der Scheidung bestand; jedoch war der Bedarf der neuen Partnerin gemäss §§ 1615l, 1610 BGB bis zu der Eheschliessung in Höhe ihres zuvor erzielten Einkommens geringer als nach dem Dreiteilungsgrundsatz. Demgemäss hat es bei dem festen Unterhaltsbedarf gemäss §§ 1615l, 1610 BGB zu verbleiben.
4. Nachdem der geschiedene Ehemann seine neue Partnerin geheiratet hat, beeinflussen sich die Unterhaltsansprüche der alten und der neuen Ehefrau im Rahmen der Leistungsfähigkeit gegenseitig. Der Unterhaltspflichtige kann durch die Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs der zweiten Ehefrau in der Leistungsfähigkeit nicht mehr den vollen eheangemessenen Unterhalt der ersten Ehefrau decken, ohne dass ihm selbst weniger verbleibt, als der geschiedenen Ehefrau. Da bei einem gleichrangigen Ehegatten in der Regel also ein Mangelfall vorliegt, sind die vorhandenen Mittel im Rahmen der Billigkeitsabwägung des § 1581 BGB angemessen zu verteilen.
5. Der geschiedene Ehegatte muss bei gleichbleibendem Einkommen des pflichtigen Ehegatten eine Schmälerung seines Unterhaltsanspruchs hinnehmen: Er hat nach dem Willen des Gesetzgebers keinen Vertrauensschutz dahingehend, dass sich der Kreis der Unterhaltsberechtigten durch Gründung einer Zweitfamilie nicht erhöht.
6. Im Falle der Verletzung der Erwerbsobliegenheit des zweiten Ehegatten ist bei der Dreiteilung ein fiktives Erwerbseinkommen in die Berechnung einzustellen.
7. Der Vorteil des Zusammenlebens für die Ehegatten der neuen Ehe (sogenannter Synergieeffekt) ist mit etwa 10% des Gesamtbedarfs in Ansatz zu bringen; die den zusammenlebenden Ehegatten zur Verfügung stehenden Mittel sind daher um etwa 10% zu kürzen. Der Unterhalt des geschiedenen Ehegatten wird entsprechend erhöht.
8. Der Anspruch nach § 1572 BGB kann seit dem 1. Januar 2008 wie jeder andere Anspruch des nachehelichen Unterhalts gemäss § 1578b BGB grundsätzlich zeitlich begrenzt und herabgesetzt werden. Dem entgegenstehen können insbesondere ehebedingte Nachteile, wie etwa nicht ausreichende Vorsorge für den Fall der krankheitsbedingten Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit. Das ist der Fall, wenn wegen der Aufgabe der Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung und Haushaltstätigkeit während der Ehe die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht erfüllt sind.

OLG Koblenz, Beschluß vom 25. März 2020 – 13 UF 217/19

Anmerkungen

Die Beteiligten streiten um nachehelichen Unterhalt ab November 2014. Sie heirateten im Jahre 1975, und trennten sich Anfang 2012. Die Ehe wurde im Jahre 2014 geschieden. Aus der Ehe sind drei gemeinsame, in den Jahren 1975, 1977 und 1988 geborene Kinder hervorgegangen; der Sohn ist im Jahre 2006 durch einen Unfall verstorben. Die Antragstellerin, die eine Ausbildung abgebrochen hatte, war von 1995 bis 2005 teilweise versicherungspflichtig, teilweise auch nur geringfügig beschäftigt; danach ging sie keiner Beschäftigung mehr nach. Anträge auf Erwerbsunfähigkeitsrente wurden wegen nicht ausreichender Beitragszeiten vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit abschlägig beschieden. Der Antragsgegner ist während der Ehe eine neue Beziehung eingegangen, aus der im Jahre 2011 ein Kind hervorgegangen ist. Im Jahre 2014 hat der Antragsgegner seine neue Partnerin geheiratet.

Die Antragstellerin begehrt nachehelichen Unterhalt wegen Krankheit und als Aufstockungsunterhalt, da sie aufgrund einer psychischen Erkrankung erwerbsunfähig sei. Der Antragsgegner widersetzt sich diesem Begehren, und verlangt hilfsweise die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts auf den angemessenen Bedarf oder dessen Befristung, da die Antragstellerin jedenfalls teilweise erwerbsfähig sei. Das FamG hat nach Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Frage der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin dieser ab November 2014 nachehelichen Unterhalt gemäss § 1572 und § 1573 BGB zugesprochen, und den Antrag im übrigen abgewiesen: Aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens sei von einer Erwerbsunfähigkeit der Antragstellerin auszugehen.

Im Rahmen seiner Beschwerde hat der Antragsgegner zum einen darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin sehr wohl jedenfalls teilweise erwerbsfähig sei; insoweit liege die Annahme einer »Flucht in die Krankheit« nahe. Ausserdem sei das Gutachten bereits drei Jahre alt, so dass erneut zu prüfen sei, ob die Antragstellerin erwerbsfähig sei; auch sei eine Befristung des Unterhaltsanspruchs bis zu dem Renteneintritt der Antragsteller auch aufgrund der langen Dauer der Ehe von 38 Jahren nicht angezeigt.

Die Beschwerde hatte in nur in sehr geringem Umfang Erfolg. Das OLG hat den Anspruch auf nachehelichen Unterhalt nach §§ 1572, 1578 BGB wegen Krankheit bejaht, nachdem ein erneutes Sachverständigengutachten die bereits drei Jahre zuvor getätigte Diagnose bestätigt hatte. Der Vorwurf »Flucht in die Krankheit« könne nicht bestätigt werden.

Für die Bemessung des Unterhalts seien die ehelichen Lebensverhältnisse massgebend. Von dem Einkommen des Antragsgegners seien neben 5% berufsbedingten Aufwendungen die Unterhaltsverpflichtungen für die Tochter des Antragstellers sowie der jetzigen Ehefrau abzuziehen, denn die Geburt des Kindes im Jahre 2011 und die damit im Zusammenhang stehenden Unterhaltsverpflichtungen des Antragstellers gegenüber diesem Kind wie auch nach § 1615l BGB gegenüber der Kindesmutter bis zu deren Heirat im Dezember 2014 hätten die ehelichen Lebensverhältnisse durchaus geprägt, denn Stichtag für die Berücksichtigungsfähigkeit von Unterhaltsleistungen bei der Feststellung des Bedarfs und nicht erst auf der Leistungsebene sei die Rechtskraft der Scheidung. Unterhaltszahlungen für minderjährige Kinder und privilegiert volljährige Kinder seien bei den ehelichen Lebensverhältnissen der Geschiedenen nur dann zu berücksichtigen, wenn sie vor der Rechtskraft der Scheidung entstanden sind. Das Kind sei im Oktober 2011 geboren, damit vor Rechtskraft der Scheidung mit der Folge, dass sowohl der Kindesunterhalt als auch der Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt hätten.

Der sich durch die erneute Eheschliessung des Antragsgegners ergebende Anspruch seiner bisherigen Lebensgefährtin auf Familienunterhalt beeinflusse den Unterhaltsbedarf der Antragstellerin grundsätzlich nicht (BGH FamRZ 2014, 1183 = FuR 2014, 531); allerdings habe zugunsten der nunmehrigen neuen Ehefrau des Antragsgegners bereits vor rechtskräftiger Scheidung der Beteiligten ein Unterhaltsanspruch nach § 1615l BGB bestanden. In dessen jeweiliger Höhe werde somit der Bedarf der Antragstellerin auch weiterhin durch Unterhaltsansprüche der neuen Partnerin des Antragsgegners geprägt, und zwar unabhängig von deren Rechtsgrundlage. Allerdings sei aufgrund der Heirat, also bei Bestehen einer Unterhaltspflicht gegenüber zwei Ehegatten (geschiedener und aktueller) zu berücksichtigen, dass bei Gleichrang des zweiten Ehegatten gegenüber dem ersten Ehegatten (hier nach § 1609 Nr. 2 BGB: geschiedener Ehegatte mit langer Ehezeit, und ein Kind betreuender Elternteil) meistens ein relativer Mangelfall vorliege, da die Unterhaltspflicht gegenüber einem neuen Ehegatten den Bedarf des geschiedenen Ehegatten nicht prägen könne (mit Ausnahme vorliegend des Anspruchs aus § 1615l BGB), weil die neue Ehe keinen Bezug zu der ersten Ehe habe (BVerfG FamRZ 2011, 437; BGH FamRZ 2012, 281 = FuR 2012, 192).

Die gleichrangige Unterhaltspflicht gegenüber dem neuen Ehegatten sei aber in der Leistungsfähigkeit als sonstige Verpflichtung einkommensmindernd zu berücksichtigen, wobei der Bedarf des zweiten Ehegatten unter Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs des Pflichtigen gegenüber seinem ersten Ehegatten zu berechnen sei, so dass die Unterhaltsansprüche des geschiedenen und des neuen Ehegatten sich im Rahmen der Leistungsfähigkeit gegenseitig beeinflussen.

» Der Unterhaltspflichtige kann durch die Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs des zweiten Ehegatten in der Leistungsfähigkeit nicht mehr den vollen eheangemessenen Unterhalt des Berechtigten decken, ohne dass ihm selbst weniger verbleibt als dem geschiedenen Ehegatten (Gerhardt/Gutdeutsch, FamRZ 2011, 772, 773). Der variable eheangemessene Selbstbehalt des Pflichtigen ist nicht mehr gewahrt. Da bei einem gleichrangigen Ehegatten in der Regel also ein Mangelfall vorliegt, sind die vorhandenen Mittel im Rahmen der Billigkeitsabwägung des § 1581 BGB angemessen zu verteilen. Bei der Abwägung ist zu berücksichtigen, dass dem Pflichtigen im Verhältnis zu dem geschiedenen Ehegatten jedenfalls mehr als die Hälfte des Einkommens verbleiben muss, um den Unterhaltsanspruch des neuen Ehegatten erfüllen zu können. Der geschiedene Ehegatte hingegen muss bei gleichbleibendem Einkommen des pflichtigen Ehegatten eine Schmälerung seines Unterhaltsanspruchs hinnehmen. Er hat nach dem Willen des Gesetzgebers keinen Vertrauensschutz dahingehend, dass sich der Kreis der Unterhaltsberechtigten durch Gründung einer Zweitfamilie nicht erhöht. Der Unterhaltsanspruch des ersten Ehegatten ist im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 1581 BGB daher zu kürzen, wenn der Pflichtige auch seiner zweiten gleichrangigen Ehefrau gegenüber unterhaltspflichtig ist. Der BGH hat es dabei ausdrücklich gebilligt, wenn bei gleichrangigen Ehegatten die Kürzung des Unterhaltsanspruchs des ersten Ehegatten durch eine Dreiteilung des vorhandenen Gesamteinkommens vorgenommen wird (BGH FamRZ 2014, 1183 = FuR 2014, 531).

Der Unterhaltsanspruch ist dann auf den durch die Dreiteilung ermittelten Betrag abzüglich des Eigeneinkommens des Berechtigten herabzusetzen, solange der Mindestunterhalt gewahrt bleibt. Hierdurch wird gewährleistet, dass dem ersten Ehegatten nicht mehr zugesprochen wird, als dem Unterhaltspflichtigen unter Berücksichtigung der neuen Unterhaltslast verbleibt (Halbteilungsgrundsatz). Der Grundsatz der Halbteilung führt bei zwei gleichrangigen Berechtigten daher in der Regel zur Dreiteilung (Gerhardt/Gutdeutsch, FamRZ 2011, 772, 773).

Damit wird die Dreiteilungsmethode von der Bedarfs- in die Leistungsstufe verlagert. Bei der Anwendung der Dreiteilungsmethode im Rahmen des § 1581 BGB ist das ermittelte Ergebnis daher immer einer Angemessenheitsprüfung zu unterziehen. Im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1581 BGB ist bei der von dem BGH gebilligten Dreiteilung das gesamte unterhaltsrechtliche Einkommen des Pflichtigen und der Berechtigten einzubeziehen, also auch der Splittingvorteil aus der neuen Ehe (BGH FamRZ 2010, 869 = FuR 2010, 394), sowie der Kinderfreibetrag bei der Ermittlung des Gesamteinkommens, weil die Dreiteilung regelmässig schon zu einer Kürzung der Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten führen wird, und es deshalb nicht mehr erforderlich ist, bestimmte Einkommensbestandteile für die neue Ehe zu reservieren (BGH FamRZ 2014, 1183 = FuR 2014, 531).

Ebenso ist zu berücksichtigen, dass sich die Rollenverteilung in der zweiten Ehe nicht auf den Unterhaltsanspruch der ersten Ehe auswirken darf. Es kommt daher auf seiten des neuen Ehegatten nicht auf dessen Anspruch auf Familienunterhalt an, sondern auf dessen hypothetischen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt im Fall der Scheidung. Im Falle der Verletzung der Erwerbsobliegenheit des zweiten Ehegatten ist bei der Dreiteilung fiktives Erwerbseinkommen in die Berechnung einzustellen. Letztlich müssen auch die Ersparnisse, die durch das Zusammenleben mit dem neuen Ehegatten entstehen (Synergieeffekte), im Rahmen der Billigkeitsabwägung berücksichtigt werden. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Vorteil des Zusammenlebens für die Ehegatten der neuen Ehe (sog. Synergieeffekt) mit etwa 10% des Gesamtbedarfs in Ansatz zu bringen, d.h. die den zusammenlebenden Ehegatten zur Verfügung stehenden Mittel sind um etwa 10% zu kürzen, und der Unterhalt des geschiedenen Ehegatten wird entsprechend erhöht. «

Eine Befristung des Unterhaltsanspruchs nach § 1578b Abs. 2 BGB komme erst mit Eintritt der Antragstellerin in den Ruhestand in Betracht, und eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten auf den angemessenen Lebensbedarf nach § 1578b Abs. 1 BGB sei derzeit ebenfalls nicht in Betracht zu ziehen.

» Der Anspruch nach § 1572 BGB kann seit dem 01.01.2008 wie jeder andere Anspruch des nachehelichen Unterhalts gemäss § 1578b BGB grundsätzlich zeitlich begrenzt und herabgesetzt werden (vgl. BGHZ 179, 43 = FamRZ 2009, 406 = FuR 2009, 203). Dem entgegenstehen können insbesondere ehebedingte Nachteile. Diese können dann eintreten, wenn der Unterhaltsberechtigte aufgrund der Rollenverteilung in der Ehe nicht ausreichend für den Fall der krankheitsbedingten Erwerbsminderung bzw. Erwerbsunfähigkeit vorgesorgt hatte (BGH FamRZ 2013, 1291 = FuR 2013, 588). Das ist der Fall, wenn wegen der Aufgabe der Erwerbstätigkeit wegen Kindererziehung und Haushaltstätigkeit während der Ehe die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht erfüllt sind. «

Die Antragstellerin habe aufgrund der Eheschliessung im Jahre 1975 und der Geburt der drei gemeinsamen Kinder in den Jahren 1975, 1977 und 1988 ihre Ausbildung abgebrochen und die Kindererziehung und die Haushaltstätigkeit allein übernommen, da der Antragsgegner während der Ehe regelmässig auf Montage im Ausland war. Somit habe die Antragstellerin aufgrund der Rollenverteilung während der 38 Jahre andauernden Ehe ehebedingte Nachteile erlitten, denn sie habe keinen Anspruch nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI auf Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Eintritt der Regelaltersgrenze.

Darüber hinaus sei eine von ehebedingten Nachteilen getrennte Billigkeitsbetrachtung anzustellen, weil es sich bei einer Krankheit und der durch sie bedingten Erwerbsunfähigkeit in der Regel um eine schicksalhafte Entwicklung handele, und der Gesetzgeber mit der Schaffung des Unterhaltsanspruchs wegen Krankheit oder Gebrechen in § 1572 BGB ein besonderes Maß an nachehelicher Solidarität festgeschrieben habe (BGH FamRZ 2013, 1291 = FuR 2013, 588; 2014, 1276 = FuR 2014, 523; OLG Koblenz NZFam 2017, 373). In den Fällen des Krankheitsunterhalts, in denen die fortwirkende eheliche Solidarität den wesentlichen Billigkeitsmaßstab bildet, komme bei der Abwägung zwischen wirtschaftlicher Eigenverantwortung des Unterhaltsberechtigten und einer nachwirkenden ehelichen Verantwortung den in § 1578b Abs. 1 S. 2 und 3 BGB genannten Umständen besondere Bedeutung zu (BGH FamRZ 2013, 1291 = FuR 2013, 588). Vor diesem Hintergrund seien neben der Rollenverteilung während der Ehe auch die Tatsache der Aufgabe der Berufsausbildung durch den Unterhaltsberechtigten aufgrund Eheschliessung und Geburt des ersten Kindes, sowie die Dauer der Ehe, die hier immerhin 39 Jahre betrage, und die damit einhergehende wirtschaftliche Verflechtung der geschiedenen Ehegatten zu berücksichtigen. Danach sei weder eine Befristung des Unterhaltsanspruchs vor dem Eintritt der Antragstellerin in den Ruhestand, noch eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs zur jetzigen Zeit angemessen und billig.


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Unterhalt des geschiedenen Ehegatten; Unterhalt wegen Krankheit/Gebrechen; Obliegenheit zu Maßnahmen zur Wiederherstellung der Arbeitskraft; Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen; Erwerbsobliegenheit zur Minderung der Bedürftigkeit; Begrenzung des nachehelichen Unterhalts.

BGB §§ 1569, 1572, 1578, 1578b

1. Beruft sich der Unterhaltsberechtigte bezüglich seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit, dann muß er Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigung angeben, und zusätzlich darlegen, inwieweit sich die gesundheitliche Beeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt. Konkrete Erwerbsbeeinträchtigungen sind im Einzelnen darzulegen, und gegebenenfalls anhand von Arztberichten und/oder Privatgutachten zu erläutern.
2. Den Unterhaltsberechtigten trifft weiter die Obliegenheit, alles zu der Wiederherstellung seiner Arbeitskraft Erforderliche zu tun, um seine Unterhaltsbedürftigkeit zu mindern. Wer leichtfertig oder fahrlässig die Möglichkeit einer ärztlichen Behandlung zu der Behebung der einer Aufnahme der Erwerbstätigkeit entgegenstehenden Umstände nicht nutzt, muß sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als hätte die Behandlung Erfolg gehabt.
3. Das Maß des Unterhalts bestimmt sich gemäß § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen, der Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen im Grundsatz nach den bis zu der Rechtskraft der Ehescheidung eingetretenen Umständen (Stichtagsprinzip), wobei auch nacheheliche Entwicklungen einzubeziehen sind, sofern sie einen Bezug zur Ehe haben.
4. Dem nachehelichen Unterhalt begehrenden geschiedenen Ehegatten ist zuvörderst die Wiederaufnahme einer früher, insbesondere vor der Ehe ausgeübten Tätigkeit anzusinnen. Er entspricht seinen Obliegenheiten nicht, wenn er keiner Tätigkeit oder nur einer Teilzeittätigkeit nachgeht, oder eine unzureichend dotierte Arbeitsstelle annimmt, obwohl er vollschichtig erwerbstätig sein, und eine andere oder besser dotierte Arbeitsstelle bekommen könnte.
5. Inhaltlich angemessen ist eine Tätigkeit, die der Ausbildung und den Fähigkeiten des Berechtigten entspricht, wobei diesen die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, eine dergestalt angemessene Tätigkeit nicht ausüben zu können.
6. Nach § 1578b Abs. 1 und 2 BGB ist der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen und/oder zu befristen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Die Kriterien für die in diesem Zusammenhang erforderliche Billigkeitsabwägung sind § 1578b Abs. 1 S. 2 und 3 BGB zu entnehmen; den Prüfungsmaßstab bilden dabei sowohl für eine Befristung als auch für eine Herabsetzung einerseits die ehebedingten Nachteile, andererseits die nacheheliche Solidarität. Eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände kann dazu führen, daß der geschiedene Ehegatte unter Umständen sofort nach der Scheidung einen geminderten Lebensstandard ohne Aufstockungsanspruch hinnehmen muß.
7. Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen; wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung, wie auch die von dem Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung.
8. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten von Bedeutung, so daß in die Abwägung auch einzubeziehen ist, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist, und in welchem Maße der Unterhaltsverpflichtete - unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten - durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 15. Dezember 2020 - 13 UF 180/19

Tenor
1. Unter Zurückweisung der Beschwerde des Antragstellers im Übrigen wird der am 03.09.2019 verkündete Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Neuruppin (52 F 17/16) wie folgt abgeändert:
Unter Abweisung des Antrages im Übrigen wird der Antragsteller verpflichtet, an die Antragsgegnerin nachfolgend genannten Ehegattenunterhalt jeweils zum Ersten des Monats im Voraus zu zahlen: Vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 531 €, und vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 200 €.
2. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens haben der Antragsteller 67%, und die Antragsgegnerin 33% zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 9.456 € festgesetzt.

Gründe
I. Der Antragsteller wendet sich gegen die Verpflichtung zur Zahlung von Ehegattenunterhalt nach der Scheidung.

Die Antragsbeteiligten heirateten im April 1988, und trennten sich im Januar 2015. Sie sind Eltern eines im Jahre 1991 geborenen Sohnes. Das Scheidungsverbundverfahren ist seit dem 4. Oktober 2016 rechtshängig. Die Ehe wurde unter Durchführung des Versorgungsausgleichs mit dem ausweislich des Verkündungsprotokolls vom 3. September 2019 an diesem Tage verkündeten Beschluß, dessen Erlaßvermerk der Urkundsbeamtin - irrtümlich - den 3. September 2018 ausweist, und der den Antragsbeteiligten jeweils am 5. September 2019 zugestellt wurde, geschieden. Die Beschwerde des Antragstellers richtet sich nur gegen die Folgesache nachehelicher Unterhalt.

Aufgrund außergerichtlicher Vereinbarung zahlte der Antragsteller von Oktober 2016 bis Oktober 2017 monatlich einen Betrag von 1.314 €, und nach seinem von der Antragsgegnerin unbestrittenen Vorbringen in der Beschwerdebegründung von November 2017 bis Dezember 2019 monatlich einen Betrag von 1.050 € Trennungsunterhalt an die Antragsgegnerin. Der Antragsteller verdiente in dem Jahren 2017/2018 monatlich durchschnittlich 2.678,42 € nach Abzug von Steuern, Sozialversicherung und Solidaritätszuschlag für seine vollschichtige Tätigkeit in dem Unternehmen, in dem er auch gegenwärtig beschäftigt ist. Wie bereits vor der Trennung in ähnlicher Höhe zahlt er aufgrund eines im April 2018 abgeschlossenen Kaufvertrages über einen Pkw seit Mai 2018 monatliche Raten in Höhe von 202,05 € bis zum 1. April 2022. Der Antragsteller fährt wochentäglich mit dem kreditfinanzierten Pkw zu der 15 km von seinem Wohnort entfernten Arbeitsstätte.

Die Antragsgegnerin hat im Jahre 1983 den Schulabschluß der 8. Klasse erworben, danach eine Ausbildung zur Helferin in der Papierverarbeitung absolviert, und diese von September 1989 bis Januar 1990 berufsbegleitend zu dem Abschluß der Ausbildung zur Facharbeiterin für buchbinderische Verarbeitung, Spezialisierung Einzelbogenbearbeitung, erweitert. Sie arbeitete in ihrem Ausbildungsbetrieb von 1985 bis zu dessen wendebedingter Schließung im Mai 1991; im Anschluß daran war sie bis Mai 2000 im Einvernehmen mit dem Antragsteller nicht erwerbstätig, sondern versorgte den ehelichen Haushalt und das gemeinsame Kind. Seit Mai 2000 ist sie teilzeitbeschäftigt als Hausmeisterin, was ihr seit dem Jahre 2016 monatlich rund 200 € einbringt. Im Jahre 2016 hat sie sich erfolglos um eine Beschäftigung als Busfahrerin bemüht.

Die Antragsgegnerin unterzog sich im Februar 2017 einer Hämorrhoiden-Operation; seitdem leidet sie unter Durchfall, Stuhlinkontinenz und Schmerzen bei der Defäkation. Mehrfache Arztbesuche im Jahre 2017 und invasive Untersuchungen im Jahre 2018 erbrachten im Oktober 2018 die Feststellung entzündlicher Veränderungen in Speiseröhre und Magen. Am 13. Februar 2019 wurde aufgrund einer Computertomographie die Verdachtsdiagnose einer entzündlichen Darmerkrankung des Dickdarms gestellt (ärztliche Bescheinigung vom 13. Februar 2019). Seit Mai 2017 unterzieht sich die Antragsgegnerin einer Langzeit-Psychotherapie.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, sie sei wegen ihrer andauernden Erkrankung, wegen ihrer langjährigen Hausfrauentätigkeit und wegen ihres Alters nur zu der Erzielung eines Monatseinkommens in Höhe von 500 € nach Abzügen in der Lage. Sie hat beantragt, den Antragsteller zu verpflichten, zu Händen der Antragsgegnerin mit Rechtskraft der Ehescheidung einen nachehelichen Ehegattenunterhalt in Höhe von 1.136 € zu zahlen, zahlbar jeweils bis zum ersten des laufenden Monats. Der Antragsteller hat beantragt, den Antrag abzuweisen, hilfsweise, den Ehegattenunterhalt zeitlich zu begrenzen und auf den angemessenen Bedarf herabzusetzen. Er hat das Vorliegen ehebedingter Nachteile und einer Erwerbsunfähigkeit der Antragsgegnerin bestritten.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Neuruppin hat mit Beschluß vom 6. November 2018 über die krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit der Antragsgegnerin Beweis erhoben durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige L. hat das schriftliche Gutachten vom 12. März 2019 vorgelegt, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Der Sachverständige hat den Verdacht einer entzündlichen Darmerkrankung für nicht ausgeschlossen erachtet, und eine Besserung nach sechs Monaten bei Fortsetzung der am 25. Februar 2019 eingeleiteten probatorischen Behandlung von entzündlichen Veränderungen des Dickdarms durch den Hausarzt mit Medikamenten prognostiziert; weiter hat er aufgrund des von der Antragsgegnerin vorgelegten psychiatrischen Attests der Dipl.-Med. W. vom 7. Februar 2019, das eine seelisch belastende Situation aufgrund der somatischen Beschwerden bescheinigt, eine aus den körperlichen Beschwerden resultierende Anpassungsstörung diagnostiziert, zu deren Besserung er die Fortsetzung der Psychotherapie mit dem Ziel der Erlernung von Strategien zum Umgang mit den körperlichen Beschwerden empfohlen hat. Für den Zeitraum bis zu der erwarteten Besserung hat der Sachverständige eine halbschichtige Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin im Rahmen einer körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeit in der Nähe einer Toilette festgestellt.

Mit dem angefochtenen Beschluß, auf dessen Inhalt der Senat verweist, ist der Antragsteller zur Zahlung nachehelichen Unterhalts in Höhe von 788 € verpflichtet worden. Zur Begründung hat das Amtsgericht auf die sachverständig festgestellte halbschichtige Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin, und auf ein daraus für sie abzuleitendes fiktives Erwerbseinkommen in Höhe von 636 € nach Abzug von Steuern und Sozialbeiträgen verwiesen. Von einer Befristung hat es unter Hinweis auf die Ehedauer abgesehen.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Antragsteller gegen die Verpflichtung zur Zahlung nachehelichen Unterhalts. Er hält die Antragsgegnerin aufgrund Fehlens geeigneter Genesungsbemühungen seit Ausbruch der Krankheit für vollschichtig erwerbsfähig. Er beantragt, den Beschluß des Amtsgerichts vom 3. September 2018 dahingehend abzuändern, daß der Anspruch der Antragsgegnerin auf nachehelichen Unterhalt abgewiesen, hilfsweise für eine Übergangszeit der Höhe nach beschränkt, und danach befristet wird, wobei die Länge der Übergangszeit und der Zeitpunkt der Befristung in das Ermessen des Gerichtes gestellt werden. Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen: Sie sei nach wie vor krank, und nur in dem gegenwärtig praktizierten Umfang zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage. Hinsichtlich des weiteren Beschwerdevorbringens wird auf die in dem zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat entscheidet, wie angekündigt, gemäß §§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne Durchführung einer erneuten mündlichen Verhandlung, von der angesichts des umfangreichen erst- und zweitinstanzlichen Schriftwechsels kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten ist.

II. 1. a) Die gemäß §§ 58 ff, 117 FamFG statthafte und in zulässiger Weise erhobene Beschwerde ist im Umfang des Ausspruchs begründet. Die Antragsgegnerin hat Gründe für einen Anspruch auf unbefristeten nachehelichen Unterhalt seit Rechtskraft der Scheidung - mit Ablauf der Beschwerdefrist am 7. Oktober 2019 - nicht hinreichend vorgetragen.

Unterhalt wegen Krankheit (§ 1572 Nr. 1 BGB) kann die Antragsgegnerin mangels hinreichender Darlegung der ihr seit Fertigstellung des Sachverständigengutachtens vom 12. März 2019 obliegenden, den überzeugenden Empfehlungen des Sachverständigen nachkommenden Behandlungs- und Genesungsbemühungen, deren Erfolgseintritt der Sachverständige mit gut nachvollziehbarer Begründung nach einem Zeitablauf von sechs Monaten, also ab dem 12. September 2019, erwartet hat, nur für eine aus Billigkeitsgründen anzuerkennende Übergangszeit nach Ablauf der Sechsmonatsfrist, nämlich bis zum 31. Dezember 2019, beanspruchen.

In Ansehung des der Antragsgegnerin erstinstanzlich zugesprochenen Anspruchs auf Unterhalt ab Rechtskraft der Scheidung bis zum 31. Dezember 2019 in Höhe von monatlich 788 € ist aufgrund der unstreitigen monatlichen Unterhaltszahlungen des Antragstellers in Höhe von 1.050 € von Oktober 2019 bis einschließlich Dezember 2019 Erfüllung eingetreten, so daß die Beschwerde insoweit begründet ist.

b) Für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2020 kann sich die Antragsgegnerin auf Unterhalt wegen Krankheit (§ 1572 Nr. 1 BGB) nicht erfolgreich berufen. Zwar kann sie ihren Unterhaltsbedarf mit ihrem derzeit erzielten Einkommen von rund 200 € nach Abzug von Steuern und Sozialbeiträgen nicht decken; da sie ihre Leistungsunfähigkeit aber auf das Vorliegen einer Krankheit stützt, ohne hinreichende Genesungsbemühungen darzulegen, muß sie sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als hätten die Genesungsbemühungen zum Erfolg geführt.

Beruft sich der Unterhaltsberechtigte gegenüber seiner Erwerbsobliegenheit auf eine krankheitsbedingte Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit, dann muß er Art und Umfang der behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigung angeben und zusätzlich darlegen, inwieweit sich die gesundheitliche Beeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt (BGH FamRZ 2013, 1558 = FuR 2013, 653 Tz. 13; Dose in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 1 Rdn. 787). Konkrete Erwerbsbeeinträchtigungen sind im Einzelnen darzulegen, und gegebenenfalls anhand von Arztberichten oder Privatgutachten zu erläutern (Senat, Beschluß vom 20. Dezember 2019 - 13 UF 193/19 - juris; FamRZ 2020, 753; Dose, aaO § 1 Rdn. 789). Den Unterhaltsberechtigten trifft weiter die Obliegenheit, alles zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft Erforderliche zu tun, um seine Unterhaltsbedürftigkeit zu mindern. Wer leichtfertig oder fahrlässig die Möglichkeit einer ärztlichen Behandlung zu der Behebung der einer Aufnahme der Erwerbstätigkeit entgegenstehenden Umstände nicht nutzt, muß sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als hätte die Behandlung Erfolg gehabt (Senat aaO; Dose, aaO).

Die Antragsgegnerin hat zwar das Andauern ihrer sachverständig festgestellten körperlichen und psychischen Beschwerden über den Zeitpunkt des von dem erstinstanzlichen Sachverständigen prognostizierten Eintritts eines Behandlungserfolgs hinaus dargelegt, indessen - auch nach ausdrücklicher Aufforderung durch den Senat - nichts zu ihren diesbezüglichen Heilungsbemühungen, sowie den Gründen für das Scheitern des erwarteten Heilungserfolges vorgetragen und belegt.

Die eingereichten Atteste und Befundberichte ihres behandelnden Internisten vom 8. Januar 2020 geben zwar den - andauernden - hohen Grad der körperlichen Beschwerden der Antragsgegnerin wieder, so daß davon auszugehen ist, daß sich entgegen der Prognose des Sachverständigen das Beschwerdebild der Antragsgegnerin nicht verbessert hat. Das vorgelegte Befundschreiben der radiologischen Praxis Dr. P. vom 18. Juni 2020 belegt die Behauptung der Antragsgegnerin, nach wie vor unter denselben körperlichen Beschwerden zu leiden wie zu dem Zeitpunkt der Gutachtenerstellung; zu einer Diagnose der die Beschwerden auslösenden Krankheit und zu daraufhin eingeleiteten Behandlungsbemühungen trägt die Antragsgegnerin indessen nichts vor. Da angesichts der sachverständig prognostizierten Besserung des Gesundheitszustandes nicht davon auszugehen ist, daß die Antragsgegnerin unter Beschwerden leidet, die nach dem gegenwärtigen Stand der ärztlichen Heilkunst weder diagnostizierbar noch behandelbar sind, zwingt das Nichtvorliegen einer Diagnose zu der Annahme mangelnder Heilungsbemühungen. Der Antragsgegnerin obliegt es angesichts dessen, Gründe darzulegen, deretwegen nach wie vor eine Diagnose und eine sich daran anschließende Therapie ausstehen.

Auch teilt die Antragsgegnerin nicht mit, ob sie die sachverständig als erfolgversprechend prognostizierten Heilungsbemühungen, insbesondere die am 25. Februar 2019 aufgenommene Behandlung der entzündlichen Veränderungen des Dickdarms durch den Hausarzt, fortgesetzt hat, und ob und gegebenenfalls welche Veränderungen ihres Gesundheitszustandes hierdurch erzielt werden konnten. Der bloße Vortrag, sie habe sich im Juni 2020 auf eine Laktose- und Fruktoseintoleranz testen lassen, genügt hierfür nicht. Die Vorlage des von ihrem behandelnden Internisten erstellten Medikationsplans vom 8. Januar 2020 läßt, wie auch die Mitteilung der Einnahme von Posterin-Tabletten, -Salbe und -Zäpfchen, nur eine Behandlung starker Schmerzen, sowie einer Gastritis, Sodbrennen (Refluxösophagit), Blutdruck und Herzdurchblutung erkennen, nicht hingegen eine gezielte Heilbehandlung der die Erwerbseinschränkung auslösenden Darmerkrankung.

Weiter legt die Antragsgegnerin nicht dar, inwiefern sie sich bestmöglich um Heilung ihrer psychischen Beschwerden bemüht hat. Ausweislich des vorgelegten Attestes vom 8. Januar 2020 nimmt sie an zwei gruppentherapeutischen und zwei einzeltherapeutischen Sitzungen pro Monat bei der sie bereits zu dem Zeitpunkt der Gutachtenerstellung behandelnden Psychiaterin teil. Zu weiteren Heilungsbemühungen, insbesondere zu den von dem Sachverständigen empfohlenen psychotherapeutischen Maßnahmen mit dem Ziel der Erlernung von Strategien zum Umgang mit den körperlichen Beschwerden, erklärt die Antragsgegnerin nichts.

Sowohl hinsichtlich ihrer körperlichen als auch ihrer psychischen Beschwerden muß sich die Antragsgegnerin deshalb so behandeln lassen, als wenn die sachverständig prognostizierte Besserung sämtlicher Beschwerden tatsächlich eingetreten wäre, mit der Folge, daß sie sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen muß, als wenn sie sich in gehöriger Weise erfolgreich um eine Heilung bemüht hätte, so daß sie ab dem 1. Januar 2020 fiktiv als gesundheitlich uneingeschränkt erwerbsfähig anzusehen ist.

2. a) Die Antragsgegnerin hat einen Anspruch auf nachehelichen Aufstockungsunterhalt aus §§ 1569, 1573 Abs. 2 BGB. Danach kann ein geschiedener Ehegatte von dem anderen den Unterschiedsbetrag zwischen seinen - gegebenenfalls fiktiven - Einkünften aus einer ihm möglichen angemessen Erwerbstätigkeit und dem vollen Unterhalt nach den ehelichen Lebensverhältnissen verlangen, soweit die - gegebenenfalls fiktiven - Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit seinen vollen Bedarf nicht decken können. Diesen Unterhalt kann die Antragsgegnerin im Wege des Anschlußunterhalts gemäß § 1573 Abs. 3 BGB (vgl. Hamberger in BeckOGK, BGB Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann [Stand: 01.11.2020] § 1573 Rdn. 113) nach Wegfall der Voraussetzungen des Krankheitsunterhalts zu dem Einsatzzeitpunkt (hier: ab dem 1. Januar 2020) beanspruchen.

b) aa) Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Der Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmt sich im Grundsatz nach den bis zur Rechtskraft der Ehescheidung eingetretenen Umständen (Stichtagsprinzip), wobei auch nacheheliche Entwicklungen einzubeziehen sind, sofern sie einen Bezug zu der Ehe haben (vgl. OLG Hamm FamRZ 2015, 1397; Senat FamRZ 2020, 1575). Auf Seiten der Antragsgegnerin ist ein nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben mit 1.194 € zu bemessendes fiktives Einkommen abzüglich pauschaler berufsbedingter Aufwendungen von 59,70 € (5% gemäß Nr. 10.2.1 der Leitlinien des OLG Brandenburg [Brb. UL]), mithin ein bereinigtes fiktives Einkommen von 1.134 € aus einer vollschichtigen ungelernten Tätigkeit im Mindestlohnsektor einzusetzen.

Der Antragsgegnerin obliegt es, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben (§§ 1569, 1574 Abs. 1 und 2 BGB), um ihren Bedarf mit eigenen Arbeitseinkünften selbst zu decken. Nach diesen Vorschriften ist dem geschiedenen Ehegatten zuvörderst die Wiederaufnahme einer früher, insbesondere vor der Ehe, ausgeübten Tätigkeit anzusinnen. Der Unterhaltsberechtigte entspricht seinen Obliegenheiten nicht, wenn er keiner oder nur einer Teilzeittätigkeit nachgeht, oder eine unzureichend dotierte Arbeitsstelle annimmt, obwohl er vollschichtig erwerbstätig sein, und eine andere oder besser dotierte Arbeitsstelle bekommen könnte. Inhaltlich angemessen ist eine Tätigkeit, die der Ausbildung und den Fähigkeiten des Berechtigten entspricht, wobei dieser die Darlegungs- und Beweislast dafür trifft, eine dergestalt angemessene Tätigkeit nicht ausüben zu können (Senat FamRZ 2020, 1575). Entsprechendes hat die Antragsgegnerin indes nicht dargelegt. Wegen der rund 30 Jahre zurückliegenden und nur wenige Monate lang andauernden Beschäftigung nach erfolgreichem Abschluß der Ausbildung als Buchbinderin ist der Antragsgegnerin allerdings nur eine ungelernte Tätigkeit im Mindestlohnsektor zuzumuten, für die aber - wie allgemein bekannt - auf dem gegenwärtigen Arbeitsmarkt in dem gesamten Bundesgebiet, insbesondere auch im Land Brandenburg, derzeit genügend Anstellungsmöglichkeiten bestehen. Die Antragsgegnerin hat auch nicht in Frage gestellt, daß reale Beschäftigungschancen bestehen.

Bei einem gesetzlichen Mindestlohn gemäß § 1 MindestlohnG von 9,35 € seit Januar 2020 (Wirtschafts- und sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung, www.wsi.de) ist der Antragsgegnerin bei vollschichtiger Tätigkeit ein Bruttoerwerbseinkommen von 1.620 € monatlich im Jahr 2020 (40 Stunden x 52 Wochen : 12 Monate) zuzurechnen. Nach Abzug von Steuern und Sozialbeiträgen verbleibt in der Steuerklasse I (www.brutto-netto-rechner.info) ein Verdienst von monatlich 1.194 €. Sofern die Antragsgegnerin geltend macht, sich im Jahre 2016 um eine Anstellung als Busfahrerin bemüht zu haben, was jedoch an ihrem unterdurchschnittlichen logischen und räumlichen Denken, das dem Erwerb der erforderlichen Fahrerlaubnis entgegen gestanden habe, gescheitert sei, vermag dies an dieser Beurteilung nichts zu ändern, denn es ist nicht ersichtlich - und von der Antragsgegnerin auch nicht vorgetragen worden -, daß sie unter mentalen Einschränkungen leidet, die sie an einer anderen ungelernten vollschichtigen Tätigkeit, für die keine Fahrerlaubnis erforderlich ist, hindern.

bb) Auf Seiten des Antragstellers ist dessen zugestandenes und fortzuschreibendes Erwerbseinkommen in Höhe von 2.678 € nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben sowie 5% pauschaler berufsbedingter Aufwendungen in Höhe von 134 €, mithin 2.544 €, einzusetzen. Von dem bedarfsbestimmenden Einkommen sind Fahrtkosten von und zur Arbeitsstelle mit einer Kilometerpauschale von 0,30 € (Witt in BeckOGK, aaO [Stand: 01.11.2020] § 1578 Rdn. 239) in Höhe von 171 € (15 km x 2 x 19 Arbeitstage x 0,30 €) abzusetzen, nicht hingegen die nach der Ehezeit eingegangene Kreditverbindlichkeit in Höhe von 202,50 € für den Erwerb des Pkw: Da diese Verbindlichkeit nicht einen während der Ehezeit bestehenden Kredit abgelöst oder im Wege der Umschuldung ersetzt hat, sondern nur einem während der Ehezeit bestehenden Kredit ähnlich ist, fehlt es an dem erforderlichen Bezug der aufgenommenen Verbindlichkeit zu den ehelichen Lebensverhältnissen (vgl. Witt, aaO § 1578 Rdn. 264, 268). Unterhaltsrechtlich relevant ist daher ein Erwerbseinkommen des Antragstellers in Höhe von 2.373 €.

c) Daraus ergibt sich folgende Unterhaltsberechnung: 6/7 Erwerbseinkommen des Antragstellers 2.034 € + 6/7 Erwerbseinkommen der Antragsgegnerin 972 € = Gesamtbedarf 3.006 €, Hälfte hiervon 1.503 €, gedeckt 972 €, somit Bedarf 531 €.

d) Der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin ist bis zum 30. Juni 2021 zeitlich zu begrenzen, und ab dem 1. Januar 2021 auf 200 € herabzusetzen. Nach § 1578b Abs. 1 und 2 BGB ist der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen und/oder zu befristen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Die Kriterien für die in diesem Zusammenhang erforderliche Billigkeitsabwägung sind § 1578b Abs. 1 S. 2 und 3 BGB zu entnehmen; den Prüfungsmaßstab bilden dabei sowohl für eine Befristung als auch für eine Herabsetzung einerseits die ehebedingten Nachteile, andererseits die nacheheliche Solidarität (Senat FamRZ 2020, 1575; Wönne in Wendl/Dose, aaO § 4 Rdn. 1002). Eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände kann dazu führen, daß der geschiedene Ehegatte unter Umständen sofort nach der Scheidung einen geminderten Lebensstandard ohne Aufstockungsanspruch hinnehmen muß (Bömelburg in Wendl/Dose, aaO § 4 Rdn. 309).

Vorliegend beruht der nacheheliche Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin nicht auf einem Ausgleich ehebedingter Nachteile, sondern allein auf der nachehelichen Solidarität. Durch die Ehe eingetretene Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, hat die Antragsgegnerin mit ihrem Hinweis auf den Abbruch der Tätigkeit in ihrem erlernten Beruf wegen der Betreuung des gemeinsamen Sohnes von 1991 bis Ende 2001 nicht hinreichend dargelegt. Angesichts ihrer Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit im Jahre 2002 als Hausmeisterin in Teilzeit hätte sie Umstände vortragen müssen, deretwegen sie damals nicht in ihren erlernten Beruf und nicht wieder vollschichtig tätig geworden ist, sondern bereits Jahre vor Ausbruch der gegenwärtigen Krankheit nur unterhalbschichtig als Hausmeisterin arbeitete.

Auch wenn keine ehebedingten Nachteile feststellbar sind, ist eine Herabsetzung oder Befristung des nachehelichen Unterhalts nur bei Unbilligkeit eines fortdauernden Unterhaltsanspruchs nach den ehelichen Lebensverhältnissen vorzunehmen. Bei der insoweit gebotenen umfassenden Billigkeitsabwägung ist das im Einzelfall gebotene Maß der nachehelichen Solidarität festzulegen. Wesentliche Aspekte hierbei sind neben der Dauer der Ehe insbesondere die in der Ehe gelebte Rollenverteilung, wie auch die vom Unterhaltsberechtigten während der Ehe erbrachte Lebensleistung. Bei der Beurteilung der Unbilligkeit einer fortwährenden Unterhaltszahlung sind ferner die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten von Bedeutung, so daß in die Abwägung auch einzubeziehen ist, wie dringend der Unterhaltsberechtigte neben seinen eigenen Einkünften auf den Unterhalt angewiesen ist, und in welchem Maße der Unterhaltsverpflichtete - unter Berücksichtigung weiterer Unterhaltspflichten - durch diese Unterhaltszahlungen belastet wird. In diesem Zusammenhang kann auch eine lange Dauer von Trennungsunterhaltszahlungen bedeutsam sein (BGH FamRZ 2018, 1506 = FuR 2018, 540; 2020, 97 = FuR 2020, 107; Senat FamRZ 2020, 1575).

Nach diesen Kriterien ist der Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin bis zum 30. Juni 2021 zu befristen, und ab dem 1. Januar 2021 auf 200 € herabzusetzen. Die Gewährung dieser nach Ablauf des Zeitraums, für den sie Unterhalts wegen Krankheit beanspruchen konnte, neuerlichen Übergangsfrist mag es der Antragsgegnerin erleichtern, sich auf ihre wirtschaftliche Selbständigkeit einzustellen. Die Ehegatten leben seit Januar 2015 voneinander getrennt; im Oktober 2016 hat der Antragsteller den Scheidungsantrag rechtshängig gemacht. Bereits seit diesem Zeitpunkt konnte sich die Antragsgegnerin auf das Erfordernis einer wirtschaftlichen Verselbstständigung zu der Erwirtschaftung ihres Lebensunterhalts aus eigener Kraft vorbereiten. Von Oktober 2016 bis zu der Rechtskraft der Scheidung, also vier Jahre lang, hat sie Trennungsunterhalt in einem den ehelichen Lebensverhältnissen angelehnten Umfang erhalten, so daß eine über den 30. Juni 2021 hinaus gehende Verpflichtung des Antragstellers zur Unterhaltsleistung aufgrund der hier allein maßgeblichen nachehelichen Solidarität nicht zu rechtfertigen ist.

Für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis zum 30. Juni 2021 ist dem Antragsteller die Zahlung von Aufstockungsunterhalt allerdings zuzumuten. Angesichts der Höhe der von dem Antragsteller erzielten Einkünfte, die auch nach Abzug des Ehegattenunterhalts deutlich über dem eheangemessenen Selbstbehalt von derzeit 1.280 € (Nr. 21.4 Brb. UL 2020) liegen, während die Antragsgegnerin aus der ihr zuzurechnenden fiktiven Vollerwerbstätigkeit lediglich einen Betrag erwirtschaften kann, der den eheangemessenen Selbstbehalt unterschreitet, belasten den Antragsteller, der im Übrigen nur mit einer Unterhaltspflicht belastet ist, die Unterhaltszahlungen zugunsten der Antragsgegnerin nicht in unverhältnismäßigem Maße. Unter Berücksichtigung der Ehedauer von 28,5 Jahren und der von der Antragsgegnerin während der Ehe übernommenen Verpflichtung, den gemeinsamen Sohn zu betreuen, gebietet der Grundsatz der nachehelichen Solidarität eine Fortsetzung der finanziellen Unterstützung in dem ausgesprochenen Umfang, um der Antragsgegnerin den Übergang in die ihr mögliche wirtschaftliche Selbständigkeit zu erleichtern.

Die Entscheidung über die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens beruht auf § 150 Abs. 1 und 4 S. 1 FamFG unter Berücksichtigung des jeweils hälftigen Unterliegens der Antragsbeteiligten in der Folgesache nachehelicher Unterhalt.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 FamFG, und entspricht dem Maß des Unterliegens der Antragsbeteiligten in diesem Rechtszug.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 55 Abs. 2, 51 Abs. 1 FamGKG.

Anlaß, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht (§ 70 Abs. 2 FamFG).

OLG Brandenburg 2020-12-15 - 13 UF 180/19
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______________________________________________________________________________________________

Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung; Obliegenheit zu der Wiederherstellung der Arbeitskraft; Pflicht zur Stellungnahme zu geplanten oder bereits erfolglos verlaufenen Therapiemaßnahmen; Darlegungs- und Beweislast für behauptete vollständige Erwerbsunfähigkeit ohne Möglichkeit einer stundenweisen Geringverdienertätigkeit.

1. Der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung indiziert die tatsächliche Erwerbsunfähigkeit.
2. Der Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI setzt allein voraus, daß der Rentenbezieher wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein; eine vollständige Unfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten, etwa im Geringverdienerbereich, ergibt sich daraus indessen noch nicht.
3. Den Unterhaltsberechtigten trifft die Obliegenheit, alles zu der Wiederherstellung seiner Arbeitskraft Erforderliche zu tun, um seine Unterhaltsbedürftigkeit zu mindern. Wer leichtfertig oder fahrlässig die Möglichkeit einer ärztlichen Behandlung zu der Behebung der einer Aufnahme der Erwerbstätigkeit entgegenstehenden Umstände nicht nutzt, muß sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als hätte die Behandlung Erfolg gehabt.
4. Der Unterhaltsberechtigte hat zu geplanten oder bereits erfolglos verlaufenen Therapiemaßnahmen Stellung zu nehmen.
5. Ein Unterhaltsberechtigter, der trotz Erwerbslosigkeit Unterhalt beansprucht, trägt die Darlegungs- und Beweislast für seine Bedürftigkeit: Er muß in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat, um einen zumutbaren Arbeitsplatz zu finden, und die sich ergebenden Erwerbsmöglichkeiten auszunutzen; eine Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 2 ZPO kommt ihm nicht zugute.
6. Eine behauptete vollständige Erwerbsunfähigkeit ist auch für eine stundenweise Geringverdienertätigkeit von vornherein durch eine Unterhaltspartei darzulegen und zu beweisen, denn die Unterhaltspartei trägt nicht nur die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß sie keine Vollzeitstelle zu erlangen vermag, sondern auch dafür, daß dies in gleicher Weise für eine geringfügige Beschäftigung im Mini-Job-Bereich usw. gilt.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 6. Mai 2021 - 13 UF 108/20

Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Zossen vom 22.06.2020 (6 F 330/18) unter Antragsabweisung im Übrigen in Ziffer 3. des Beschlußtenors wie folgt abgeändert:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin ab Rechtskraft der Scheidung einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 220 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
2. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Antragsgegnerin zu 46%, und der Antragsteller zu 54%. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerin zu 83%, und der Antragsteller zu 17%.
3. Der Beschwerdewert wird auf 15.842,64 € festgesetzt.

Gründe
I. Die Antragstellerin wendet sich nach der Teilrücknahme der Beschwerde noch gegen die Zurückweisung ihres Antrages auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt in ihrem Scheidungsverbundverfahren.

Die Antragsbeteiligten schlossen im Jahre 1991 die Ehe. Sie lebten seit Januar 2017 in einem in ihrem Miteigentum stehenden Einfamilienhaus getrennt, wobei auch eine der beiden volljährigen gemeinsamen Töchter Teile des Hauses nutzt. Die Antragsgegnerin bezieht seit dem Jahre 2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Antragsteller ist in Vollzeit berufstätig, und bedient allein das auf dem Haus lastende Immobiliendarlehen.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich die Scheidung der Ehe begehrt. Die Antragsgegnerin hat dem erstinstanzlich zugestimmt, und von dem Antragsteller nachehelichen Unterhalt in Höhe von 339 € monatlich verlangt. Die Antragsgegnerin hat geltend gemacht, sie könne wegen verschiedener Erkrankungen keinerlei Erwerbstätigkeit nachgehen. Dem Antragsteller sei in Ansehung einer weit überwiegenden Nutzung des gemeinsamen Hauses einkommenserhöhend ein Wohnwert von 900 €, ihr aber nur in Höhe von 300 € zuzurechnen. Der Antragsteller ist dem Antrag auf Zahlung nachehelichen Unterhalts entgegengetreten.

Mit dem angefochtenen Beschluß, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht - Familiengericht - Zossen die Ehe der Antragsbeteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt, und den Antrag der Antragsgegnerin auf Zahlung nachehelichen Unterhalts zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Wohnvorteil sei auf beide Ehegatten gleichmäßig zu verteilen; bei im Übrigen weitgehend unstreitigem tatsächlichen Einkommen und Zurechnung fiktiven monatlichen Einkommens auf Seiten der Antragsgegnerin in Höhe von 450 € könne diese ihren Unterhaltsbedarf aus eigenen Mitteln decken. Daß sie auch nicht geringfügigst erwerbstätig sein könne, habe die Antragsgegnerin nicht nachgewiesen; hiergegen spreche auch ihr Lebensalltag. Die vorgelegten Atteste seien nicht nachvollziehbar; jedenfalls unternehme die Antragstellerin nicht genug Bemühungen, um ihre Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen.

Nach Rücknahme ihrer zunächst auch gegen den Scheidungsausspruch gerichteten Beschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihr Begehren auf nachehelichen Unterhalt antragserhöhend weiter, nachdem sich die von dem Antragsteller geleistete Kreditrate für das gemeinsame Haus von 1.100 € auf 280,40 € reduziert hat. Sie macht geltend, das Amtsgericht habe die vorgelegten Atteste unzutreffend gewürdigt, und sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß sie bis zu elf Stunden wöchentlich erwerbstätig sein könne. Tatsächlich sei ihr dies in Ansehung ihrer psychischen Erkrankungen nicht möglich, welche ihr auch eine Veränderung ihrer Wohn- und Lebenssituation nicht erlaubten. Sie beantragt sinngemäß, den Beschluß des Amtsgerichts vom 22. Juni 2020 abzuändern, und den Antragsteller zu verpflichten, an sie monatlich im Voraus nachehelichen Unterhalt ab Rechtskraft der Scheidung in Höhe von 402,72 € zu zahlen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet, wie angekündigt, ohne mündliche Verhandlung (§ 68 Abs. 3 S. 2 FamFG), von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war, durch streitigen Beschluß, obwohl sich der Antragsgegner in dem Beschwerdeverfahren nicht geäußert, und insbesondere keinen Antrag gestellt hat (vgl. BGH FamRZ 2014, 1992 = FuR 2015, 232 Tz. 10).

II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat teilweise Erfolg. Der Antragsgegnerin steht nachehelicher Unterhalt wegen Krankheit in dem tenorierten Umfange gemäß §§ 1572, 1573, 1578 BGB zu. Unbestrittenermaßen ist die Antragsgegnerin seit dem 1. Dezember 2011 krankheitsbedingt erwerbsunfähig; über eine uneingeschränkte Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin haben die Beteiligten erstinstanzlich auch nicht gestritten. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, daß der hier erfolgende Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zudem die tatsächliche Erwerbsunfähigkeit indiziert (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2021, 1023 [Ls]). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs wegen Krankheit gemäß § 1572 Nr. 1 BGB sind daher gegeben.

Der Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI setzt allerdings allein voraus, daß der Rentenbezieher wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI); eine vollständige Unfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten, etwa im Geringverdienerbereich, ergibt sich daraus indessen noch nicht (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2021, 1023 [Ls]). Dies folgt hier auch aus dem Rentenbescheid, wonach eine Hinzuverdienstgrenze von 450 € besteht, und den von der Antragsgegnerin zunächst eingereichten Attesten, die ein gänzliches Leistungsunvermögen gerade nicht bescheinigen. Daß die Antragsgegnerin entgegen der Feststellung des Amtsgerichts jedenfalls bis zu 11 Stunden pro Woche mit einem Verdienst von 450 € monatlich nicht erwerbstätig sein kann, hat sich auch in dem zweiten Rechtszug nicht ergeben. Das beantragte Sachverständigengutachten war nicht einzuholen.

Ein Unterhaltsberechtigter, der trotz Erwerbslosigkeit Unterhalt beansprucht, hat die Darlegungs- und Beweislast für seine Bedürftigkeit: Er muß in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat, um einen zumutbaren Arbeitsplatz zu finden, und die sich ergebenden Erwerbsmöglichkeiten auszunutzen; eine Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 2 ZPO kommt ihm nicht zugute (BGH FamRZ 2014, 637 = FuR 2014, 289). Eine behauptete vollständige Erwerbsunfähigkeit ist auch für eine stundenweise Geringverdienertätigkeit von vornherein durch eine Unterhaltspartei darzulegen und zu beweisen (BGH FamRZ 2017, 109 = FuR 2017, 85; OLG Brandenburg NZFam 2014, 568), denn die Unterhaltspartei trägt nicht nur die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß sie keine Vollzeitstelle zu erlangen vermag, sondern auch dafür, daß dies in gleicher Weise für eine geringfügige Beschäftigung im Mini-Job-Bereich usw. gilt (BGH FamRZ 2012, 517 = FuR 2012, 257; 2017, 109 = FuR 2017, 85; OLG Brandenburg NZFam 2014, 568; FamRZ 2021, 1023 [Ls]; Dose in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 1 Rdn. 781 a.E., 786). Dem genügt der Vortrag der Antragsgegnerin nicht; zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die insoweit zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, die lediglich folgender Ergänzungen bedürfen:

Die Antragsgegnerin ist in der Lage, regelmäßig mittags auswärts zu essen, was neben Ankleiden, Bewältigen des Weges zum Restaurant auch heißt, daß sie in der Lage ist, sich im öffentlichen Raum unter Menschen zu bewegen, und mit Menschen im Restaurant oder der sie begleitenden Freundin zu kommunizieren; auch kann sie Termine bei behandelnden Ärzten und bei ihrer Verfahrensbevollmächtigten planen und wahrnehmen, ihre rechtliche Situation einschätzen, und mit anwaltlicher Beratung tätig werden, einen Makler beauftragen, für diesen die notwendigen Unterlagen zusammenzustellen, und eine gemeinsame Besichtigung durchführen, einen Autokauf tätigen, und die damit zusammenhängenden Aufgaben erledigen. Ihre Fähigkeit, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, steht offenkundig nicht in Zweifel.

Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Antragsgegnerin, sie sei zu gar keiner Erwerbstätigkeit in der Lage, bereits nicht plausibel, so daß dem auch in dem Beschwerdeverfahren gestellten Antrag zu der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage der vollständigen Erwerbsunfähigkeit nicht zu folgen war, zumal die Antragsgegnerin nichts dazu vorgetragen hat, das erkennen ließe, daß sie irgend etwas - gegebenenfalls auch nur vergeblich - versucht hätte, eine bestehende Erwerbsunfähigkeit zumindest auch nur teilweise zu beheben: Den Unterhaltsberechtigten trifft nämlich die Obliegenheit, alles zu der Wiederherstellung seiner Arbeitskraft Erforderliche zu tun, um seine Unterhaltsbedürftigkeit zu mindern. Wer leichtfertig oder fahrlässig die Möglichkeit einer ärztlichen Behandlung zu der Behebung der einer Aufnahme der Erwerbstätigkeit entgegenstehenden Umstände nicht nutzt, muß sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als hätte die Behandlung Erfolg gehabt (Senat FamRZ 2021, 1024). Der Unterhaltsberechtigte hat zu geplanten oder bereits erfolglos verlaufenen Therapiemaßnahmen Stellung zu nehmen (Senat, Beschluß vom 29. Dezember 2020 - 13 UF 121/18 - juris; BeckOGK/Lettmaier, BGB [Stand: 01.11.2020] § 1572 Rdn. 97).

Die Antragsgegnerin trägt weder vor, was sie gegen die behaupteten Spannungskopfschmerzen (Migräne), noch gegen ihre depressiven Episoden und Angstzustände unternimmt, die sie nach ihrem Vortrag unfähig machen, vereinbarte Termine einzuhalten, wahrzunehmen, und das Haus zu verlassen. Die Störungen lassen sich allgemein bekannt grundsätzlich medikamentös oder mit psychotherapeutischen Maßnahmen jedenfalls insoweit behandeln, daß eine wenn auch eingeschränkte Teilnahme an dem gesellschaftlichen Leben und dem Erwerbsleben möglich wird. Daß dies gerade bei der Antragsgegnerin nicht der Fall sein soll, trägt sie nicht vor; und hierfür ist auch sonst nichts ersichtlich. Auch hat das Amtsgericht bereits zu Recht darauf hingewiesen, daß die Antragsgegnerin gehalten ist, die wesentliche Ursache ihrer Leiden zu beheben, indem sie ihre Wohnsituation ändert. Das Beschwerdevorbringen, soweit es die schlechte gesundheitliche Verfassung der Antragstellerin einwendet, die sie darin hinderten, rechtfertigt eine abweichende Beurteilung durch den Senat nicht. Auf die bereits zuvor hierzu getätigten Erwägungen wird verwiesen. Der Aufwand, sich eigenen Wohnraum zu beschaffen, übersteigt die Möglichkeiten der Antragsgegnerin nicht. Daß die Antragsgegnerin sich eigenen Wohnraum nicht leisten kann, weil sie mit Blick auf ihr werthaltiges Fahrzeug nicht mit öffentlicher Unterstützung rechnen kann, ist in Ansehung bereits fehlender Antragstellung spekulativ. Selbst wenn, was durch nichts belegt ist, die Antragsgegnerin einen Pkw als absoluten Rückzugsraum benötigt, erschließt sich nicht, warum hierzu nicht auch ein deutlich preiswerteres Fahrzeug geeignet sein soll, so daß die Antraggegnerin über frei werdende Mittel verfügen würde.

Bei allen bekannten und zu berücksichtigenden körperlichen und psychischen Einschränkungen ist das Vorbringen der Antragsgegnerin nicht geeignet, Anhaltspunkte dafür auszuräumen, daß sie sich mit ihrer durchaus schwierigen gesundheitlichen Lage in dem Sinne abgefunden haben könnte, sich aus dem allgemeinen Erwerbsleben zurückzuziehen. Dies ist aber aus unterhaltsrechtlicher Sichtweise inakzeptabel.

Nach allem kann der Antragsgegnerin fiktiv ein Erwerbseinkommen in der von ihr erzielbaren Höhe zugerechnet werden, also im Umfang von jedenfalls bis zu drei Stunden täglich, was es ihr - wie zutreffend von dem Amtsgericht zugrunde gelegt - ermöglichen würde, wenigstens 450 € hinzuzuverdienen. Bedenken bezüglich der amtsgerichtlichen Berechnung des bedarfsprägenden Einkommens der Antragsgegnerin im Übrigen werden von der Beschwerde nicht erhoben, und sind auch sonst nicht ersichtlich, so daß hier ein Betrag von 1.890,55 € anzusetzen ist.

Das Einkommen des Antragstellers, welches sich unbestritten nach der erstinstanzlichen Entscheidung dadurch erhöht hat, daß sich die Kosten für die Finanzierung von 1.100 € auf 280,40 € verringert haben, beläuft sich, der Berechnung der Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung folgend, auf 2.329,56 €.

Der gemeinschaftliche Bedarf errechnet sich auf 4.220,11 €, so daß der Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin 2.110,06 € beträgt, der mit ihrem tatsächlichen und fiktiven Einkommen in Höhe von 1.890,55 € gedeckt, und in Höhe von 219,51 € ungedeckt ist, woraus sich der - auf volle Euro gerundete (Ziff. 25 der Unterhaltsleitlinien des OLG Brandenburg 2021) - titulierte Betrag ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 150 Abs. 1 und 4 FamFG.

Die Entscheidung zum Beschwerdewert fußt auf §§ 55 Abs. 2, 43, 51 Abs. 1 S. 1, 50 Abs. 1, 35, 40 FamGKG.

Anlaß die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht (§ 70 Abs. 2 FamFG).

OLG Brandenburg-2021-05-06 - 13 UF 108/20
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Anmerkungen

Das FamG hat den Antrag der Antragsgegnerin auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt in dem Scheidungsverbundverfahren zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegner hatte keinen Erfolg.

» Der Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäss § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI setzt allerdings allein voraus, dass der Rentenbezieher wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit ausserstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI); eine vollständige Unfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten, etwa im Geringverdienerbereich, ergibt sich daraus indessen noch nicht (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2021, 1023 [Ls]).

Ein Unterhaltsberechtigter, der trotz Erwerbslosigkeit Unterhalt beansprucht, hat die Darlegungs- und Beweislast für seine Bedürftigkeit: Er muss in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat, um einen zumutbaren Arbeitsplatz zu finden, und die sich ergebenden Erwerbsmöglichkeiten auszunutzen; eine Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 2 ZPO kommt ihm nicht zugute (BGH FamRZ 2014, 637 = FuR 2014, 289). Eine behauptete vollständige Erwerbsunfähigkeit ist auch für eine stundenweise Geringverdienertätigkeit von vornherein durch eine Unterhaltspartei darzulegen und zu beweisen (BGH FamRZ 2017, 109 = FuR 2017, 85; OLG Brandenburg NZFam 2014, 568), denn die Unterhaltspartei trägt nicht nur die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie keine Vollzeitstelle zu erlangen vermag, sondern auch dafür, dass dies in gleicher Weise für eine geringfügige Beschäftigung im Mini-Job-Bereich usw. gilt (BGH FamRZ 2012, 517 = FuR 2012, 257; 2017, 109 = FuR 2017, 85; OLG Brandenburg NZFam 2014, 568; FamRZ 2021, 1023 [Ls]). «

Dem genüge der Vortrag der Antragsgegnerin nicht.

» Die Antragsgegnerin ist in der Lage, regelmässig mittags auswärts zu essen, was neben Ankleiden, Bewältigen des Weges zum Restaurant auch heisst, dass sie in der Lage ist, sich im öffentlichen Raum unter Menschen zu bewegen, und mit Menschen im Restaurant oder der sie begleitenden Freundin zu kommunizieren; auch kann sie Termine bei behandelnden Ärzten und bei ihrer Verfahrensbevollmächtigten planen und wahrnehmen, ihre rechtliche Situation einschätzen, und mit anwaltlicher Beratung tätig werden, einen Makler beauftragen, für diesen die notwendigen Unterlagen zusammenzustellen, und eine gemeinsame Besichtigung durchführen, einen Autokauf tätigen, und die damit zusammenhängenden Aufgaben erledigen. Ihre Fähigkeit ein Kraftfahrzeug im Strassenverkehr zu führen, steht offenkundig nicht in Zweifel.

Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Antragsgegnerin, sie sei zu gar keiner Erwerbstätigkeit in der Lage, bereits nicht plausibel, so dass dem auch in dem Beschwerdeverfahren gestellten Antrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage der vollständigen Erwerbsunfähigkeit nicht zu folgen war, zumal die Antragsgegnerin nichts dazu vorgetragen hat, das erkennen liesse, dass sie irgendetwas - gegebenenfalls auch nur vergeblich - versucht hätte, eine bestehende Erwerbsunfähigkeit zumindest auch nur teilweise zu beheben: Den Unterhaltsberechtigten trifft nämlich die Obliegenheit, alles zu der Wiederherstellung seiner Arbeitskraft Erforderliche zu tun, um seine Unterhaltsbedürftigkeit zu mindern. Wer leichtfertig oder fahrlässig die Möglichkeit einer ärztlichen Behandlung zu der Behebung der einer Aufnahme der Erwerbstätigkeit entgegenstehenden Umstände nicht nutzt, muss sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als hätte die Behandlung Erfolg gehabt (Senat FamRZ 2021, 1024). Der Unterhaltsberechtigte hat zu geplanten oder bereits erfolglos verlaufenen Therapiemassnahmen Stellung zu nehmen (Senat, Beschluss vom 29. Dezember 2020 - 13 UF 121/18 - juris; BeckOGK/Lettmaier, BGB [Stand: 01.11.2020] § 1572 Rdn. 97). «

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