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Rechtsprechung Bundesfinanzhof im Familienrecht und im Erbrecht 2022 - FD-Platzhalter-rund

Rechtsprechung Bundesfinanzhof
im Familienrecht und im Erbrecht 2022


Rechtsprechung Bundesfinanzhof im Familienrecht und im Erbrecht 2022 - FuR2022logo02
 


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Verfahrensrecht; Akteneinsicht in den Kanzleiräumen des Prozeßbevollmächtigten wegen Zugehörigkeit zu einer sog. »Hochrisiko-Gruppe« (hier: Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus)

Erbrecht; Erbschaftsbesteuerung des Privatvermögens; Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip; Beihilfenrecht der Europäischen Union

Familiensteuerrecht; Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung unter Verwendung gespendeter Eizellen

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeld bei fiktiv unbeschränkter Einkommensteuerpflicht eines Elternteils

Erbrecht; Erbschaftsteuer: Höhe eines gesellschaftsvertraglich festgelegten Abfindungsanspruchs

Erbrecht; verzögerter Einzug in ein Familienheim nach dem Erbfall

Verfahrensrecht; Ablehnung eines angeblich »in letzter Minute« gestellten Terminverlegungsantrages

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; kindergeldrechtliche Einordnung von im Rahmen eines Praxisjahres eingegangenen Beschäftigungsverhältnissen als Ausbildungsmaßnahmen oder Arbeitsverhältnisse

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Abgrenzung der einheitlichen Erstausbildung von der berufsbegleitenden Zweitausbildung

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Zuständigkeit von Familienkassen für das Erhebungsverfahren in Kindergeldsachen

Erbrecht; Erbschaftsteuerrecht; Bewertungen; Wertfeststellung einer Stiftung & Co. KG

Erbrecht; Festsetzungsfrist bei Erbeinsetzung; Kenntnis des durch letztwillige Verfügung eingesetzten Erben von dem Erwerb

Familiensteuerrecht; Einkommensteuergesetz, Aufwendungen für Besuche zwischen nahen An-gehörigen zwecks Kinderbetreuung als außergewöhnliche Belastung; Darlegungsanforderungen bei Divergenz

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Berücksichtigung eines minderjährigen Kindes bei mehr als einjährigem Schulbesuch außerhalb des Gebietes der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums [EWR]

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeld vor Abschluß des Asylverfahrens

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Erlaß der Kindergeldrückforderung bei Nichtanzeige des Haushaltswechsels des Kindes

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Anspruch auf Kindergeld in den Wohnsitz-Wohnsitz-Fällen

Familiensteuerrecht; unentgeltliche Übertragung eines Hausgrundstück im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf volljährige Kinder; Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts der Eltern bis zum Tod des Längstlebenden von ihnen; AfA-Bemessungsgrundlage bei Austausch der mit einem Vorbehaltsnießbrauch belasteten Immobilie; Surrogation

Familiensteuerrecht; unentgeltliche Überlassung einer Wohnung an nicht nach § 32 EStG berücksichtigungsfähige Kinder; privates Veräußerungsgeschäft

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Prüfung des deutschen Kindergeldanspruchs bei möglichem Bezug von Familienleistungen im Vereinigten Königreich

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeldanspruch für ein in Polen lebendes Kind aufgrund eines Zweitwohnsitzes des Kindsvaters in Deutschland

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Erlöschen der Kindergeldansprüche infolge von Sozialleistungen; Erstattungsansprüchen des Jobcenters

Familiensteuerrecht; Umfang der abzugsfähigen Aufwendungen als Unterhaltsleistungen für ein studierendes Kind gemäß § 33a Abs. 1 EStG; Anrechnung eigener Einkünfte der unterhaltenen Person

Familiensteuerrecht; Unterhaltsanspruch von Mutter und Vater aus Anlaß der Geburt; Unterhaltsleistungen an die ehemalige Lebensgefährtin und Mutter eines gemeinsamen Kindes; begrenztes Realsplitting

Erbrecht; Zulässigkeit einer Prüfungsanordnung gemäß § 193 Abs. 1 AO gegenüber den Erben eines verstorbenen Unternehmers

Erbrecht; Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO bei Hinterziehung derselben Steuer durch den Erblasser und den Erben

Familiensteuerrecht; Unterhalt des Ehegatten; begrenztes Realsplitting; Überlassung einer Wohnung an den dauerhaft getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten; entgeltliches Rechtsverhältnis; unentgeltliche Nutzungsüberlassung als Naturalunterhalt; Ansatz ortsüblicher Miete trotz unterhaltsrechtlicher Vereinbarung eines betragsmäßig geringeren Wohnvorteils

Umsatzsteuer; steuerfreie Heilbehandlung; isolierte Einlagerung eingefrorener Eizellen

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Koordinierung von Familienleistungen; Koordinierungsregeln des Art. 68 der VO Nr. 883/2004

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; kindergeldrechtliche Ausschlußfrist bei Wanderarbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Erlöschen von Kindergeldansprüchen infolge von erhöhten Leistungen des Jobcenters; Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids des Jobcenters

Erbrecht; Ermittlung des Verwaltungsvermögens; Erklärung zur optionalen Vollverschonung von Betriebsvermögen; einheitliche Schenkung von mehreren wirtschaftlichen Einheiten; Regelverschonung

Verfahrensrecht; Postlaufzeit und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Familiensteuerrecht; Kettenschenkung; Dispositionsbefugnis des zuerst Bedachten

Familiensteuerrecht; Schenkungsrecht; Grundstückswertermittlung bei Existenz eines zeitnahen Kaufpreises

Erbschaftsteuerrecht; Doppelbesteuerungsabkommen USA-ERB 2000

Verfahrensrecht; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei Streit um das Vorliegen eines Härtefalles gemäß § 150 Abs. 8 AO, § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV)

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Verfassungsmäßigkeit des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Klagebefugnis nach Abhilfebescheid der Familienkasse im Klageverfahren; kindergeldrechtliche Ausschlußfrist

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeldanspruch; Wegfall der Arbeitsuchendmeldung iSd § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG

Familiensteuerrecht; Kindergeld; Erlöschen von Kindergeldansprüchen infolge von Leistungen des Jobcenters; Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids des Jobcenters; rechtzeitige Zahlung durch die Familienkasse

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; kein Kindergeldanspruch während Ausbildung zum Facharzt

Familiensteuerrecht; Besteuerung eines von öffentlicher und privater Hand gemeinsam finanzierten Promotionsstipendiums; wiederkehrende Bezüge

Familiensteuerrecht; Vorsteuerabzug und private Verwendung im Rahmen eines Ehegatten-Vorschaltmodells; zwischen Ehegatten abgeschlossener Leasingvertrag; Scheingeschäft

Familiensteuerrecht; Schenkungsrecht; erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht; kein Verstoß gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit

Verfahrensrecht; wirksame förmliche Zustellung setzt auch während der Covid-19-Pandemie den Versuch einer Übergabe des Schriftstücks voraus

Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeldanspruch für ein volljähriges behindertes Kind; Pflegegeld; Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehegatten des behinderten Kindes

Verfahrensrecht; Festsetzung des Verfahrenswertes; Streitwert bei gesonderter Feststellung der Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens bis zum 30.06.2016

Vermietung und Verpachtung; Zurechnung von Einkünften; Quotennießbrauch an einem Gesellschaftsanteil

Familiensteuerrecht; Erbschaftsteuer; Bewertung eines Betriebes der Land- und Forstwirtschaft für Zwecke der Erbschaftsteuer

Erbrecht; Erbschaftsteuerrecht; beschränkte Erbschaftsteuerpflicht bei Erwerb durch Vermächtnis; Vermächtnis an einem inländischen Grundstück

Familiensteuerrecht; Einkommensteuer; Behandlung von Pflegegeldern für die intensivpädagogische Betreuung von Jugendlichen in einer Einrichtung im Sinne § 34 SGB VIII

Familiensteuerrecht; Einkommensteuer; Bildung einer Pensionsrückstellung nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG bei Pensionszusage unter Vorbehalt


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Verfahrensrecht; Akteneinsicht in den Kanzleiräumen des Prozeßbevollmächtigten wegen Zugehörigkeit zu einer sog. »Hochrisiko-Gruppe« (hier: Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus).
FGO § 78

1. Die Kanzleiräume eines Prozeßbevollmächtigten sind keine Diensträume im Sinne des § 78 Abs. 3 FGO.
2. Die Gewährung von Akteneinsicht in den Kanzleiräumen des Prozeßbevollmächtigten ist auch unter Geltung des § 78 Abs. 3 S. 1 FGO in eng begrenzten Ausnahmefällen möglich.
3. Ein solcher Ausnahmefall kann vorliegen, wenn in einer Pandemielage der Berufsträger, der bei der Akteneinsicht mitwirken soll, aufgrund von erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen einer sog. »Hochrisiko-Gruppe« angehört, für die im Falle einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus ein deutlich erhöhtes Risiko von schweren Krankheitsverläufen besteht, die Akteneinsicht durch den Berufsträger in den Diensträumen nur in Anwesenheit von Bediensteten des Gerichts genommen werden dürfte, und keine öffentlichen oder dienstlichen Interessen bestehen, die das Interesse, die Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren in Zusammenhang mit dem SARS-CoV-2-Virus zu schützen, überwiegen.

BFH, Beschluß vom 11. Januar 2022 - XI B 89/21 - Niedersächsisches FG [11 K 151/21]
BFH/NV 2022, 600 = ZInsO 2022, 1173 = HFR 2022, 550 = DStRE 2022, 759 = NWB 2022, 1283 = FamRZ 2022, 1041 [Ls] = BB 2022, 979 [Ls]

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Erbrecht; Erbschaftsbesteuerung des Privatvermögens; Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip; Beihilfenrecht der Europäischen Union.
ErbStG §§ 10, 13a, 13b, 13c, 19, 28a; EStG § 10b; GG Art. 3, Art. 20, Art. 76, Art. 100, Art. 101; AEUV Art. 107, Art. 267; FGO §§ 96, 115, 116

1. Die Erbschaftsbesteuerung des Privatvermögens ist nicht deshalb verfassungswidrig, weil in demselben Zeitraum eine erbschaftsteuerrechtliche Überbegünstigung des Betriebsvermögens zu verzeichnen wäre.
2. Selbst wenn die begünstigte Besteuerung des Betriebsvermögens nach dem Recht der Europäischen Union eine rechtswidrige staatliche Beihilfe darstellen sollte, berührte dies nicht die nationale Besteuerung des erbschaftsteuerlichen Erwerbs von Privatvermögen.
3. Sieht das Finanzgericht von einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ab, dann liegt darin kein Verfahrensmangel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen ist eine materiell-rechtliche, und keine verfahrensrechtliche Frage.
4. Das Finanzgericht ist als erstinstanzliches Gericht nur berechtigt, nicht aber verpflichtet, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes einzuholen.

BFH, Beschluß vom 17. Januar 2022 - II B 49/21 - FG Münster [3 K 3532/19]
BFH/NV 2022, 420 = HFR 2022, 450 = ZEV 2022, 301 = NWB 2022, 1026 = DStZ 2022, 335 = UVR 2022, 172 = BB 2022, 788 [Ls] = StuB 2022, 317 [Ls] = ErbR 2022, 660 [Ls]

Hinweis
In dem Streitfalle war die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung bezüglich der (weiteren) Frage, ob das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.11.2016 (BGBl I 2016, 2464) wegen Verstoßes gegen Art. 76 GG unwirksam sei, ausgeschieden; insofern war die Beschwerdebegründungsfrist bereits abgelaufen; überdies war die Frage nicht entscheidungserheblich.

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Familiensteuerrecht; Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung unter Verwendung gespendeter Eizellen.
EStG § 33; ESchG § 1; GG Art. 3; AEUV Art. 56

1. Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung unter Verwendung von gespendeten Eizellen im Ausland können nicht als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden, weil die Behandlung nicht mit dem deutschen Gesetz zum Schutz von Embryonen [Embyonenschutzgesetz - ESchG] vereinbar ist.
2. Diese Beurteilung verstößt weder gegen verfassungsrechtliche noch gegen europarechtliche Vorgaben.
3. Die unterschiedliche Behandlung der Eizellenspende gegenüber der grundsätzlich zulässigen Samenspende ist durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Mit dem Verbot der Eizellenspende soll eine Aufspaltung der Mutterschaft in eine genetische Mutter (die Eizellenspenderin; hier: die Schwester der austragenden Mutter) und eine austragende Mutter verhindert werden.

BFH, Urteil vom 25. Januar 2022 - VI R 34/19 - FG München [6 K 1423/17]
BFH/NV 2022, 585 = FamRZ 2022, 1066= NJW 2022, 1560 [Ls] = StuB 2022, 395 [Ls] = FF 2022, 335 = DStZ 2022, 403 [Ls]

Hinweis
Parallelentscheidungen: BFH, Urteile vom 25. Januar 2022 - VI R 35/19 und VI R 36/19

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeld bei fiktiv unbeschränkter Einkommensteuerpflicht eines Elternteils.
EStG § 62; EGV 883/2004; EGV 987/2009

Wird ein Elternteil vom Finanzamt nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt, so kann ein nach § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG begründeter Kindergeldanspruch über die gemäß Art. 60 Abs. 1 S. 2 der Verordnung Nr. 987/2009 anzuwendende Familienbetrachtung auch dann dem im anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zusammen mit dem Kind wohnenden Elternteil zustehen, wenn dieser selbst im Inland keine Einkünfte erzielt hat.

BFH, Urteil vom 2. Februar 2022 - III R 7/20] - Sächsisches FG [6 K 1514/17]
BFH/NV 2022, 739 = HFR 2022, 737 = DStZ 2022, 471 = FamRZ 2022, 1111 [Ls]

Hinweis
Das Kindergeldrecht (§§ 62ff EStG) erfaßt beide Elternteile, unabhängig davon, ob diese miteinander verheiratet sind oder voneinander getrennt oder geschieden sind.

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Erbrecht; Erbschaftsteuer: Höhe eines gesellschaftsvertraglich festgelegten Abfindungsanspruchs.
ErbStG §§ 10, 12; FGO § 126

Ergibt sich die Höhe eines Abfindungsanspruchs aus einer Satzungsregelung einer GmbH, dann ist diese korporationsrechtliche Bestimmung nach objektiven Gesichtspunkten einheitlich aus sich heraus auszulegen. Subjektive Vorstellungen der bei dem Erstellen der betreffenden Klausel beteiligten Personen sind unbeachtlich.

BFH, Beschluß vom 14. März 2022 - II B 25/21 - FG Düsseldorf [4 K 741/20]
BFH/NV 2022, 811 = FamRZ 2022, 1659 = ZEV 2022, 427 = ErbR 2022, 802 = GmbHR 2022, 1167 = DStZ 2022, 468 = RFamU 2022, 583 = GWR 2022, 230 = UVR 2022, 266 = BB 2022, 1301 [Ls] = StuB 2022, 476 [Ls]

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Erbrecht; verzögerter Einzug in ein Familienheim nach dem Erbfall.
ErbStG § 13

1. Führt der Erwerber Räumungs- und Renovierungsarbeiten vor dem Bezug eines erworbenen Familienheimes durch, dann muß er diese zeitlich so fördern, wie es seinen persönlichen Möglichkeiten entspricht. Was dem Erwerber diesbezüglich zumutbar ist, haben die Finanzbehörde bzw. das Finanzgericht im Rahmen einer Würdigung des Einzelfalles zu entscheiden (Bestätigung von BFH, Urteil vom 06.05.2021 - II R 46/19 - BFHE 273, 554).
2. Für die Ermittlung des für die Steuerbegünstigung relevanten anteiligen Werts eines nur teilweise begünstigten Grundstücks ist nach Wohnflächen aufzuteilen.

BFH, Urteil vom 16. März 2022 - II R 6/21 - FG Düsseldorf [4 K 2245/19]
BFH/NV 2022, 898 = ZEV 2022, 551 = HFR 2022, 947 = DStRK 2022, 223 = DStZ 2022, 620 = EStB 2022, 343 = FamRZ 2022, 1570 [Ls] = StuB 2022, 676 [Ls]

Hinweise
1. Auch wenn bei Aufnahme der Selbstnutzung des Familienheimes nach Ablauf von sechs Monaten nach dem Erbfall noch eine unverzügliche Bestimmung zu der Selbstnutzung im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG vorliegen kann, so sind Umstände in dem Einflußbereich des begünstigten Erwerbers, die nach dem Ablauf des Sechs-Monatszeitraums zu einer längeren Verzögerung des Einzuges führen (wie zum Beispiel eine Renovierung der Wohnung), nur unter besonderen Voraussetzungen nicht dem Erwerber anzulasten.
2. Ein Indiz für die unverzügliche Bestimmung zur Selbstnutzung ist die zeitnahe Räumung bzw. Entrümpelung der erworbenen Wohnung.

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Verfahrensrecht; Ablehnung eines angeblich »in letzter Minute« gestellten Terminverlegungsantrages.
GG Art. 103; ZPO § 227; FGO §§ 96, 115, 155

1. Ein am Morgen des Vortages der mündlichen Verhandlung wegen einer Erkrankung gestellter Antrag ist nur dann wie ein »in letzter Minute« gestellter Antrag zu behandeln, bei dem der Antragsteller einer Verpflichtung zur Glaubhaftmachung unterliegt, wenn besondere Umstände hinzutreten. Solche Umstände können darin liegen, daß der Antragsteller dem Finanzgericht keine Kontaktdaten zur Verfügung stellt, die es dem Finanzgericht ermöglichen, ihn nach der Antragstellung erreichen, und zur Glaubhaftmachung auffordern zu können.
2. Nicht ausreichend für eine fehlende Erreichbarkeit ist es, wenn der Kläger dem Finanzgericht zwar nur seine Anschrift angibt, und mit diesem nur per Fax kommuniziert, das Finanzgericht aber anhand des Namens, der Anschrift und der Berufsbezeichnung des Klägers im Wege einer Internetrecherche eine Telefonnummer des Klägers ohne weiteres ermitteln kann. Unterläßt das Finanzgericht eine solche Recherche, dann darf es den Verlegungsantrag nicht wie einen »in letzter Minute« gestellten Antrag behandeln.

BFH, Beschluß vom 22. März 2022 - VIII B 49/21 - Niedersächsisches FG [3 K 115/20]
BFH/NV 2022, 608 = FamRZ 2022, 1046 [Ls]

Hinweis
Bei Schweigen des Gerichts (hier: in Bezug auf ein fehlendes ärztliches Attest oder eine fehlende weitere Glaubhaftmachung zu einem gestellten Terminverlegungsantrag) können die Beteiligten darauf vertrauen, daß ihre tatsächlichen Angaben zu dem Verhinderungsgrund nicht bezweifelt werden (hier: leichtes Fieber, so daß der Kläger die Fahrt zu dem Finanzgericht nur ungern antreten wolle). Eine Ablehnung des Antrages auf Terminverlegung wegen Unschlüssigkeit und die Durchführung der mündlichen Verhandlung verletzen dann den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO).

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; kindergeldrechtliche Einordnung von im Rahmen eines Praxisjahres eingegangenen Beschäftigungsverhältnissen als Ausbildungsmaßnahmen oder Arbeitsverhältnisse.
EStG §§ 32, 62, 63

1. Ob eine innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses ausgeübte Tätigkeit als Berufsausbildung anzusehen ist, hängt davon ab, ob die Erlangung beruflicher Qualifikationen oder die Erbringung von Arbeitsleistungen im Vordergrund steht (vgl. BFH, Urteil vom 22.02.2017 - III R 20/15 - BFHE 257, 274).
2. Sofern bei der Prüfung des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG eine einheitliche, aus mehreren Ausbildungsabschnitten bestehende Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abgegrenzt werden muß, ist anhand einer Gesamtbetrachtung der Verhältnisse zu entscheiden, ob die nach Erlangung des (ersten) Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weitere Ausbildungsmaßnahme eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellt. Dabei ist unter anderem die zeitliche Verteilung von Arbeitstätigkeiten und Ausbildungsmaßnahmen in den Blick zu nehmen und zu prüfen, ob die Beschäftigung nach ihrem äußeren Erscheinungsbild »neben der Ausbildung« durchgeführt wird (vgl. BFH, Urteil vom 11.12.2018 - III R 26/18 - BFHE 263, 209). Insoweit ist die Abgrenzung von Hauptsache und Nebensache auf den jeweiligen Ausbildungsabschnitt bezogen, und nicht abschnittsübergreifend vorzunehmen.

BFH, Urteil vom 23. März 2022 - III R 41/20 - FG Münster [4 K 3925/17]
BFH/NV 2022, 1166 = HFR 2022, 1134 = DStRE 2023, 599 = DStZ 2022, 782 = FamRZ 2022, 1686 [Ls] = FA 2022, 276 [Ls] = StuB 2022, 755 [Ls]

Hinweis
Kriterien, die bei der innerhalb eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses ausgeübten Tätigkeit im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Umstände für einen im Vordergrund stehenden Ausbildungscharakter sprechen können, sind etwa das Vorhandensein eines Ausbildungsplanes, die Unterweisung in Tätigkeiten, welche qualifizierte Kenntnisse und/oder Fertigkeiten erfordern, die Erlangung eines die angestrebte Berufstätigkeit ermöglichenden Abschlusses und ein gegenüber einem normalen Arbeitsverhältnis geringeres Entgelt.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Abgrenzung der einheitlichen Erstausbildung von der berufsbegleitenden Zweitausbildung.
EStG §§ 32, 62 ff

1. Für die im Rahmen des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG durchzuführende Abgrenzung einer einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) ist das Berufsziel des Kindes nur im Rahmen des engen sachlichen Zusammenhangs zwischen den einzelnen Ausbildungsabschnitten zu würdigen; für die Frage, ob die Berufstätigkeit oder die Ausbildung im Vordergrund steht, kommt dem Berufsziel keine weitere Bedeutung zu.
2. Der Umstand, dass der erste Ausbildungsabschnitt eine abgeschlossene Qualifikation darstellt, schließt nicht aus, dass dieser Ausbildungsabschnitt mit weiteren Ausbildungsabschnitten zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammengefasst werden kann.
3. Die in dem Senatsurteil vom 11. Dezember 2018 (BFHE 263, 209 Tz 14 ff) genannten Kriterien für die Abgrenzung einer einheitlichen Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) stellen keinen abschließenden Katalog dar.

BFH, Urteil vom 7. April 2022 - III R 22/21 - FG Düsseldorf [9 K 370/21]
BFHE 276, 356 = BStBl II 2022, 678 = BFH/NV 2022, 1004 = NJW 2022, 2494 = DStR 2022, 1604 = HFR 2022, 832 = DStRK 2022, 227 = DStZ 2022, 579 = SozSichplus 2022, Nr 11, 1 = FamRZ 2022, 1527 [Ls] = BB 2022, 1750 [Ls] = StE 2022, 488 [Ls] = StuB 2022, 636 [Ls] = DStRE 2022, 1014 [Ls] = EStB 2022, 334 [Ls] = BFH/PR 2022, 269 [Ls]

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Zuständigkeit von Familienkassen für das Erhebungsverfahren in Kindergeldsachen.
FGO §§ 135, 137; FVG § 5; AO §§ 16, 17, 127, 135

1. Die örtlich zuständigen Familienkassen sind in Kindergeldsachen nach dem Grundsatz der Gesamtzuständigkeit auch für das Erhebungsverfahren zuständig; die Konzentration der Aufgaben des Erhebungsverfahrens (hier: Erlaß einer Kindergeldrückforderung) bei dem Inkasso-Service Recklinghausen und der Familienkasse Nordrhein-Westfalen Nord war rechtswidrig (vgl. Senatsurteil vom 25.02.2021 - BFHE 272, 19).
2. Lehnt die hiernach unzuständige Familienkasse einen Erlaßantrag ab, so hat sie die Kosten des anschließenden finanzgerichtlichen Verfahrens und des Revisionsverfahrens auch insoweit zu tragen, als der Kläger ohne Erfolg die Verpflichtung zu dem Erlaß begehrt hat.

BFH, Urteil vom 7. April 2022 - III R 33/20 - FG Berlin-Brandenburg [5 K 5255/17]
BFH/NV 2022, 824 = DStZ 2022, 541 = FamRZ 2022, 1282 [Ls]

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Erbrecht; Erbschaftsteuerrecht; Bewertungen; Wertfeststellung einer Stiftung & Co. KG.
BGB § 80; BewG §§ 95, 97, 151; ErbStG §§ 12, 15; KStG §§ 1, 8; AO §§ 157, 171, 179, 181, 182, 367; FGO § 100

1. Eine Stiftung & Co. KG ist keine gewerblich geprägte Personengesellschaft.
2. Für eine vermögensverwaltende Stiftung & Co. KG, bei der ausschließlich eine Stiftung persönlich haftende Gesellschafterin ist, ist ein Wert nach § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BewG festzustellen.
3. Das Erbschaftsteuerfinanzamt entscheidet, ob eine Wertfeststellung dem Grunde nach erforderlich ist. Dem zu der Wertfeststellung nach § 151 Abs. 1 S. 1 BewG berufenen Finanzamt obliegt die Entscheidung über die Qualifikation des Feststellungsgegenstands nach den Kategorien des § 151 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bis 4 BewG.

BFH, Urteil vom 27. April 2022 - II R 9/20 - FG Münster [3 K 3593/16]
BFHE 277, 442 = BStBl II 2022, 541 = BFH/NV 2022, 945 = HFR 2022, 999 = DStR 2022, 1424 = MittBayNot 2023, 82 = DB 2022, 2199 = ZEV 2022, 544 = NZG 2022, 1257 = ZAP EN-Nr. 549/2022 = GWR 2022, 262 = EStB 2022, 341 = UVR 2022, 304 = NWB 2022, 2028 = BB 2022, 1686 [Ls] = StE 2022, 459 [Ls] = StuB 2022, 596 [Ls] = DStRE 2022, 952 [Ls] = BFH/PR 2022, 286 [Ls] = ErbR 2022, 958 [Ls] = GmbHR 2022, 1106 [Ls]

Hinweise
1. Die Qualifizierung der Einkünfte einer Stiftung bestimmt sich gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 KStG nach den einschlägigen Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes. Unbeschränkt steuerpflichtige Stiftungen fallen nicht unter den Anwendungsbereich des § 8 Abs. 2 KStG, wonach alle deren Einkünfte als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu behandeln sind.
2. Gegen diese Entscheidung wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt (Aktenzeichen des Bundesverfassungsgerichts: 1 BvR 1560/22).

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Erbrecht; Festsetzungsfrist bei Erbeinsetzung; Kenntnis des durch letztwillige Verfügung eingesetzten Erben von dem Erwerb.
ErbStG § 30; FGO § 90; AO § 170

1. Ein durch letztwillige Verfügung eingesetzter Erbe erlangt Kenntnis von dem Erwerb, wenn er zuverlässig erfahren und somit Gewißheit erlangt hat, daß der Erblasser ihn durch eine wirksame letztwillige Verfügung zum Erben eingesetzt hat. Dies ist in der Regel mit Eröffnung des Testamentes der Fall.
2. Wird durch gerichtliche Entscheidung die Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung festgestellt, hat spätestens mit diesem Zeitpunkt der darin ausgewiesene Erbe sichere Kenntnis von seiner Einsetzung. Ob die Gerichtsentscheidung mit Rechtsmitteln anfechtbar ist oder tatsächlich angefochten wird, ist für die Kenntnis im Sinne des § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO unerheblich.

BFH, Urteil vom 27. April 2022 - II R 17/20 - Sächsisches FG [6 K 358/19]
BFH/NV 2022, 901 = HFR 2022, 740 = ZEV 2022, 486 = ErbR 2022, 1007 = NJW-Spezial 2022, 488 = NLPrax 2022, 66 = UVR 2022, 304 = NWB 2022, 28182 = FamRZ 2022, 1314 [Ls] = StuB 2022, 879 [Ls]

Hinweise
1. (Sichere) Kenntnis verlangt nicht danach, daß der spätere Eintritt von Umständen, die eine abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage tragen, schlechthin unmöglich wäre.
2. Mit der einmal erlangten Kenntnis ist die Wirkung des § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO verbraucht, und ist eine Verlängerung der Anlaufhemmung nicht mehr möglich (vgl. BFH, Urteil vom 06.06.2007 - II R 54/05 unter II.3.b bb). Unerheblich ist, ob und zu welchem Zeitpunkt die (zuständige) Finanzbehörde von dem Erwerb von Todes wegen Kenntnis erlangt hat.
3. Zu der Kenntnis des Erben iSd § 170 Abs. 5 Nr. 1 AO in dem Falle der gesetzlichen Erbfolge.
4. Ein einmal ausgesprochener Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist als Prozeßerklärung nicht frei widerrufbar.

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Familiensteuerrecht; Einkommensteuergesetz, Aufwendungen für Besuche zwischen nahen Angehörigen zwecks Kinderbetreuung als außergewöhnliche Belastung; Darlegungsanforderungen bei Divergenz.
EStG § 33; FGO §§ 115, 116

1. Es ist in der Rechtsprechung sowie im Schrifttum geklärt, daß Aufwendungen für Besuche zwischen nahen Angehörigen zwecks Kinderbetreuung in der Regel nicht als außergewöhnlich im Sinne des § 33 EStG, sondern typisierend als durch allgemeine Freibeträge (Grundfreibetrag, kindbedingte Freibeträge) und andere steuerliche Ermäßigungen abgegolten anzusehen sind, es sei denn, die Fahrten werden ausschließlich zu dem Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit unternommen.
2. Für die schlüssige Rüge einer Divergenz sind gemäß § 116 Abs. 3 S. 3 FGO die angeblichen Divergenzentscheidungen genau - mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle - zu bezeich-nen, sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des Finanzgerichts einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen.

BFH, Beschluß vom 27. April 2022 - IX B 21/21 - FG Münster [9 K 1651/18]
BFH/NV 2022, 810 = DStZ 2022, 473 = DB 2022, 1182 = EStB 2022, 343 = FamRZ 2022, 1152 [Ls]

Hinweis
Die Anhörungsrüge der Kläger gegen diesen Beschluß des Bundesfinanzhofes vom 27.04.2022 wurde mit Beschluß vom 25. Oktober 2022 (IX S 6/22 - n.v.) als unbegründet zurückgewiesen.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Berücksichtigung eines minderjährigen Kindes bei mehr als einjährigem Schulbesuch außerhalb des Gebietes der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums [EWR].
EStG § 63; AO §§ 8, 76, 90

1. Hält sich ein zunächst im Inland wohnhaftes minderjähriges Kind zu Ausbildungszwecken für mehr als ein Jahr außerhalb des Gebietes der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums auf, dann behält es seinen Inlandswohnsitz in der Wohnung eines oder beider Elternteile nur dann bei, wenn ihm in dieser Wohnung zum dauerhaften Wohnen geeignete Räume zur Verfügung stehen, es diese objektiv jederzeit nutzen kann, und sie tatsächlich mit einer gewissen Regelmäßigkeit auch nutzt.
2. Eine Beibehaltung des Inlandswohnsitzes kommt dabei im Regelfall nur dann in Betracht, wenn das Kind diese Wohnung zumindest zum überwiegenden Teil der ausbildungsfreien Zeiten tatsächlich nutzt.

BFH, Urteil vom 28. April 2022 - III R 12/20 - FG Düsseldorf [14 K 1668/17]
BFHE 277, 143 = BStBl II 2022, 681 = BFH/NV 2022, 1138 = HFR 2022, 835 = DStR 2022, 1659 = DStRK 2022, 248 = IStR 2023, 72 = FamRZ 2022, 1528 [Ls] = StE 2022, 521 [Ls] = StuB 2022, 673 [Ls] = DStRE 2022, 1079 [Ls] = EStB 2022, 335 [Ls] = FA 2022, 275 [Ls] = BFH/PR 2022, 313 [Ls]

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeld vor Abschluß des Asylverfahrens.
EStG § 62; EGRL 109/2003 Art. 3; EGRL 50/2009 Art. 3; EURL 98/2011 Art. 3; GG Art. 3; VEA; FlüAbk

1. Die Regelungen des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG 2014 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1d des Vorläufigen Europäischen Abkommens über soziale Sicherheit unter Ausschluß der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953 [VEA] und Art. 2 S. 1 des Zusatzprotokolls begründen während des laufenden Asylverfahrens keinen Kindergeldanspruch einer später als subsidiär schutzberechtigt anerkannten Person.
2. Weder der verfassungsrechtlich verbürgte Gleichbehandlungsgrundsatz noch das Unionsrecht erfordern es, Personen, denen später subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, hinsichtlich der Kindergeldberechtigung während des laufenden Asylverfahrens Flüchtlingen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gleichzustellen.
3. Kindergeld gehört nicht zu den Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie 2011).

BFH, Beschluß vom 11. Mai 2022 - III R 19/20 - FG Baden-Württemberg [3 K 1614/17]
BFH/NV 2022, 1306 = HFR 2023, 54 = DStRE 2023, 210 = FamRZ 2022, 1850 [Ls] = FA 2022, 340 [Ls] = ZAR 2023, 226 [Ls]

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Erlaß der Kindergeldrückforderung bei Nichtanzeige des Haushaltswechsels des Kindes.
EStG § 68; AO §§ 47, 169, 227; FGO §§ 101, 102, 126

Unterläßt es der zunächst kindergeldberechtigte Elternteil, der Familienkasse rechtzeitig mitzuteilen, daß er das Kind nicht mehr in seinem Haushalt aufgenommen hat, dann ist die gegen ihn gerichtete Kindergeldrückforderung nicht zwingend bereits deshalb in vollem Umfange zu erlassen, weil das Kindergeld gemäß einer notariellen Unterhaltsvereinbarung an den dann vorrangig kindergeldberechtigten Elternteil weitergeleitet worden ist, wenn dessen Anspruch möglicherweise wegen fehlender Antragstellung bereits festsetzungsverjährt ist.

BFH, Urteil vom 19. Mai 2022 - III R 16/20 - FG Düsseldorf [15 K 2506/18]
BFH/NV 2022, 1160 = NZFam 2022, 954 = FamRZ 2022, 1687 [Ls] = FA 2022, 276 [Ls]

Hinweise
1. Lehnt die Familienkasse den Antrag des Kindesvaters auf Erlaß einer auf dem Wechsel der Haushaltszugehörigkeit des Kindes beruhenden Kindergeldrückforderung ab, ohne sich mit dem Umstand auseinanderzusetzen, daß das Kindergeld an die Kindesmutter weitergeleitet wurde, dann ist die Ermessensentscheidung der Familienkasse fehlerhaft.
2. Hat die Familienkasse unterlassene Ermessenserwägungen nicht wirksam nachgeholt, und liegen die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf Null nicht vor, dann ist in dem Revisionsverfahren das Urteil, mit dem das Finanzgericht zu Unrecht der Klage auf Erstattung des von dem Kindesvater zurückgezahlten Kindergeldes stattgegeben hat, hinsichtlich der Erlaßentscheidung nur insoweit aufrechtzuerhalten, als der Ablehnungsbescheid aufgehoben wurde.
3. Die Sache war nicht an das Finanzgericht zurückzuverweisen; vielmehr hat die Familienkasse erneut über den Erlaßantrag des Kindesvaters zu entscheiden.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Anspruch auf Kindergeld in den Wohnsitz-Wohnsitz-Fällen.
EStG §§ 32, 62, 63; EGV 883/2004; AO § 8

Die Koordinierungsregel des Art. 68 Abs. 2 S. 3 der EU-Verordnung Nr. 883/2004 ist nur anwendbar, wenn konkurrierende Ansprüche im Sinne dieser Vorschrift vorliegen.

BFH, Urteil vom 19. Mai 2022 - III R 32/20 - Sächsisches FG [6 K 1720/17]
BFH/NV 2022, 1180 = DStZ 2022, 741 = FA 2022, 276 [Ls]

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Familiensteuerrecht; unentgeltliche Übertragung eines Hausgrundstück im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf volljährige Kinder; Vorbehalt eines Nießbrauchsrechts der Eltern bis zum Tod des Längstlebenden von ihnen; AfA-Bemessungsgrundlage bei Austausch der mit einem Vorbehaltsnießbrauch belasteten Immobilie; Surrogation.
EStG §§ 7, 9, 21; FGO §§ 68, 121

1. Wird eine mit einem Vorbehaltsnießbrauch belastete Immobilie mit Zustimmung des Nießbrauchers gegen eine andere Immobilie in der Weise ausgetauscht, daß dem Nießbraucher an der neuen Immobilie auf der Grundlage eines zuvor vereinbarten, rahmenbildenden Vertrages wiederum ein Nießbrauch eingeräumt wird, und trägt der Nießbraucher wirtschaftlich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Ersatzimmobilie, so setzt sich der Vorbehaltsnießbrauch an der erworbenen Immobilie fort (verlängerter Vorbehaltsnießbrauch).
2. Kann der Eigentümer die Ersatzimmobilie nur aus dem Veräußerungserlös anschaffen oder herstellen, gilt nichts anderes, sofern sich der Nießbrauch im Zeitraum zwischen der Veräußerung der Altimmobilie und der Anschaffung der Ersatzimmobilie ununterbrochen auf den Veräußerungserlös erstreckt.
3. Ein obligatorisches Nießbrauchsrecht ist einem dinglichen Nießbrauch steuerrechtlich insoweit gleichzustellen.

BFH, Urteil vom 24. Mai 2022 - IX R 1/21 - FG Baden-Württemberg [13 K 452/18]
BFHE 277, 226 = BFH/NV 2023, 67 = HFR 2023, 18 = MittBayNot 2023, 192 = DStR 2022, 2355 = DB 2022, 2958 = BB 2022, 2928 = ZEV 2022, 742 = DStRK 2023, 16 = NZV 2023, 90 = RNotZ 2023, 113 = NWB 2022, 3272 = DStZ 2023, 8 = StE 2022, 740 [Ls] = DStRE 2022, 1462 [Ls] = StuB 2022, 943 [Ls] = EStB 2023, 9 [Ls] = BFH/PR 2023, 36 [Ls]

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Familiensteuerrecht; unentgeltliche Überlassung einer Wohnung an nicht nach § 32 EStG berücksichtigungsfähige Kinder; privates Veräußerungsgeschäft.
EStG §§ 10e, 23, 32, 63; EigZulG § 4

Eine Wohnung, die der Steuerpflichtige unentgeltlich an (leibliche) Kinder überläßt, die in dem maßgeblichen Zeitraum des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 3 Alt. 2 EStG nicht (mehr) nach § 32 EStG berücksichtigungsfähig sind, wird nicht »zu eigenen Wohnzwecken« genutzt.

BFH, Urteil vom 24. Mai 2022 - IX R 28/21 - Niedersächsisches FG [9 K 16/20] [EFG 2022, 670]
BFH/NV 2023, 20 = NZFam 2023, 382 = DStR 2022, 2430 = DStRK 2023, 6 = HFR 2023, 146 = DStZ 2023, 9 = EStB 2023, 61 = FamRZ 2022, 1927 [Ls] = BB 2022, 2646 [Ls] = StuB 2022, 945 [Ls] = DStRE 2022, 1529 [Ls]

Hinweise
1. Der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG ist auch dann nicht erfüllt, wenn die Wohnung im Zeitraum zwischen Erwerb und Veräußerung von drei leiblichen Kindern der Steuerpflichtigen bewohnt wird, von denen ein Kind nach § 32 EStG berücksichtigungsfähig ist. Die Mitbenutzung durch die zwei Kinder, die nicht (mehr) nach § 32 EStG berücksichtigungsfähig sind, ist schädlich.
2. Für eine zeitanteilige Steuerbefreiung (»pro rata temporis«) für die Jahre, in denen eine Berechtigung zu dem Bezug kindbezogener Leistungen hinsichtlich aller drei Kinder vorgelegen hat, besteht keine Rechtsgrundlage.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Prüfung des deutschen Kindergeldanspruchs bei möglichem Bezug von Familienleistungen im Vereinigten Königreich.
EStG §§ 1, 62 ff; EGV 883/2004; EGV 987/2009

1. In dem Anwendungsbereich des Art. 68 der EU-Verordnung Nr. 883/2004 ist grundsätzlich vorrangig in einem Koordinierungsverfahren zu klären, ob und in welchem Umfange ein Anspruch auf Familienleistungen in einem anderen Mitgliedstaat bestand (Bestätigung der Senatsrechtsprechung).
2. Der rechtlichen Bewertung der zuständigen ausländischen Stelle hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem Anspruch auf die Familienleistung (»Child Benefit«) und einer möglicherweise gegenläufigen Regelung (»High Income Child Benefit Charge«) ist zu folgen.

BFH, Urteil vom 1. Juni 2022 - III R 31/20 - Hessisches FG [3 K 550/16]
BFHE 277, 288 = BStBl II 2023, 348 = BFH/NV 2022, 1380 = HFR 2023, 52 = DStRE 2022, 1424 = DStRK 2022, 329 = FamRZ 2022, 1849 [Ls] = StE 2022, 678 [Ls] = StuB 2022, 834 [Ls] = BFH/PR 2023, 15 [Ls] = EStB 2022, 461 [Ls] = FA 2022, 340 [Ls]

Hinweise
1. Hat das Finanzgericht die rechtlichen Grundlagen für eine Aufzehrung des »Child Benefit« durch eine gegenläufige Abgabe (»High Income Child Benefit Charge«) nicht hinreichend festgestellt, dann ist keine Ausnahme vom Koordinierungsverfahren gegeben.
2. Zu der Prüfung der »High Income Child Benefit Charge«.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeldanspruch für ein in Polen lebendes Kind aufgrund eines Zweitwohnsitzes des Kindsvaters in Deutschland.
EStG §§ 1, 62 ff; EGV 883/2004; EGV 987/2009; AO § 8

1. Hat ein Elternteil seinen Haupt- und Familienwohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, aber einen weiteren Wohnsitz in Deutschland, dann kommt es für den deutschen Kindergeldanspruch nicht auf eine inländische Erwerbstätigkeit an.
2. Die Koordinierungsregel des Art. 68 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 ist nur dann anwendbar und kann den Kindergeldanspruch somit nur dann ausschließen, wenn tatsächlich konkurrierende Ansprüche auf Familienleistungen in dem anderen Mitgliedstaat bestehen.
3. Die Frage, ob im EU-Ausland ein Anspruch auf Familienleistungen besteht, ist grundsätzlich durch ein Auskunftsersuchen bei dem ausländischen Träger zu klären, es sei denn, das Nichtbestehen oder Bestehen eines ausländischen Anspruchs ist zweifelsfrei und unbestritten.

BFH, Urteil vom 1. Juni 2022 - III R 45/20 - FG Münster [10 K 2158/19]
BFH/NV 2022, 1181 = DStZ 2022, 740 = FamRZ 2022, 1686 [Ls] = FA 2022, 276 [Ls]

Hinweise
1. Der Umstand, daß dieser Elternteil von dem Finanzamt nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wurde, steht der Annahme eines inländischen Wohnsitzes nicht entgegen. Die Behandlung durch das Finanzamt nach § 1 Abs. 3 EStG ist für die Familienkasse nicht bindend, wenn das Finanzamt fälschlich davon ausgegangen ist, daß der Elternteil im Inland keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nach § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG hat.
2. Art. 11 Abs. 1 S. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 schließt einen Kindergeldanspruch nicht aus, wenn von vornherein nur nach dem Recht eines Mitgliedstaates ein Kindergeldanspruch besteht.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Erlöschen der Kindergeldansprüche infolge von Sozialleistungen; Erstattungsansprüchen des Jobcenters.
EStG §§ 31, 62 ff, 74; SGB II § 19; SGB X §§ 45, 102 ff, 104, 107, 111; AO §§ 37, 47, 218

1. Mußte das Jobcenter wegen unterlassener oder verzögerter Kindergeldzahlungen an den Kindergeldberechtigten höhere Leistungen erbringen, dann kann es gemäß § 74 Abs. 2 EStG in Verbindung mit § 104 SGB X einen Erstattungsanspruch gegen die Familienkasse haben, und können die Kindergeldansprüche des Berechtigten gemäß § 74 Abs. 2 EStG in Verbindung mit § 107 SGB X als erfüllt gelten, und gemäß § 47 AO erloschen sein.
2. Dies gilt nicht, wenn die Familienkasse das Kindergeld für den jeweiligen Monat in dem jewei-ligen Monat ausgezahlt hat, oder wenn die Familienkasse bereits selbst geleistet hat, bevor sie von der Leistung des Jobcenters Kenntnis erlangt hat.
3. Die Familienkasse hat von der Leistung des Jobcenters Kenntnis erlangt, sobald die Informa-tion, ab wann das Jobcenter Leistungen erbringt, und es deshalb »Erstattung« gemäß §§ 102 ff SGB X begehrt, in ihren Geschäftsgang gelangt ist; die Kenntnis des Sachbearbeiters ist nicht erforderlich.
4. Die Unkenntnis des Jobcenters von der Festsetzung und Zahlung des Kindergeldes ist unerheblich; § 107 SGB X in Verbindung mit § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X stellt allein auf die rechtzeitige Erfüllung der Leistungsverpflichtung durch die Familienkasse ab.

BFH, Urteil vom 2. Juni 2022 - III R 9/21 - FG Baden-Württemberg [2 K 1817/17]
BFHE 277, 294 = BStBl II 2022, 840 = BFH/NV 2022, 1399 = NJW 2022, 3309 = DStRK 2022, 328 = DStRE 2022, 1489 = ZFSH/SGB 2023, 25 = HFR 2023, 56 = DStZ 2022, 896 = FamRZ 2022, 1850 [Ls] = StE 2022, 679 [Ls] = EStB 2022, 460 [Ls] = FA 2022, 340 [Ls] = rv 2023, 30 [Ls] = BFH/PR 2023, 109 [Ls]

Hinweise
1. Teilweise Parallelentscheidung: BFH BFH/NV 2022, 1310.
2. Eine rechtzeitige Erfüllung iSd § 74 Abs. 2 EStG iVm § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X durch die Familienkasse liegt vor, wenn sie das Kindergeld in dem jeweiligen Monat für den jeweiligen Monat zahlt. Nicht erforderlich ist es, daß die Familienkasse die nur durch eine Verwaltungsanweisung geregelten, nach Kindergeldendziffern gestaffelten kassenmäßigen Auszahlungstermine einhält (vgl. BSGE 81, 30).
3. Soweit der erkennende Senat entschieden hat, es reiche für eine Kenntniserlangung aus, daß die Umstände, die für die Entscheidung über den Erstattungsanspruch maßgeblich seien, und der Zeitraum, für den die Sozialleistung erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt wurden, so daß es dem erstattungsverpflichteten Leistungsträger ohne weitere Nachforschungen möglich sei, zu entscheiden, welche Teile der von ihm zu erbringenden Leistung zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs einzubehalten, und welche an den Kindergeldberechtigten auszuzahlen seien (vgl. BFHE 273, 41 Tz. 18), heißt dies nicht, daß diese Anforderungen stets zwingend erfüllt sein müssen.

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Familiensteuerrecht; Umfang der abzugsfähigen Aufwendungen als Unterhaltsleistungen für ein studierendes Kind gemäß § 33a Abs. 1 EStG; Anrechnung eigener Einkünfte der unterhaltenen Person.
EStG §§ 2, 33a; BAföG § 11

1. Anrechenbare Einkünfte im Sinne des § 33a Abs. 1 S. 5 EStG sind die nach einkommensteuerrechtlichen Vorschriften zu ermittelnden Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 2 EStG.
2. Negative Einkünfte der unterhaltenen Person mindern die gemäß § 33a Abs. 1 S. 5 EStG anrechenbaren Ausbildungshilfen (hier: BAföG-Zuschüsse) nicht.

BFH, Urteil vom 8. Juni 2022 - VI R 45/20 - FG Rheinland-Pfalz [6 K 1753/19] [EFG 2021, 768]
BFHE 277, 309 = BStBl II 2023, 23 = BFH/NV 2022, 1348 = NJW 2022, 3174 = NZFam 2023, 190 = ZAP EN-Nr. 730/2022 = DStR 2022, 2097 = DStRK 2022, 284 = FR 2022, 1084 = HFR 2022, 1124 = FamRZ 2022, 1773 [Ls] = StE 2022, 642 [Ls] = StuB 2022, 795 [Ls] = BFH/PR 2023, 14 [Ls] = EStB 2022, 459 [Ls]

Hinweis
Nach dem von dem Finanzgericht § 118 Abs. 2 FGO bindend festgestellten Sachverhalt bestanden in dem Streitfall (auch) keine Anhaltspunkte dafür, die erhaltenen BAföG-Zuschüsse ausnahmsweise nicht nach § 33a Abs. 1 S. 5 EStG anzurechnen (vgl. hierzu BFHE 198, 493; 214, 124).

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Familiensteuerrecht; Unterhaltsanspruch von Mutter und Vater aus Anlaß der Geburt; Unterhaltsleistungen an die ehemalige Lebensgefährtin und Mutter eines gemeinsamen Kindes; begrenztes Realsplitting.
BGB § 1615l; EStG § 10; GG Art. 3, Art. 6; FGO § 115

Auch nach der Reform des Unterhaltsrechts zum 1. Januar 2008 und nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2013 (BVerfGE 133, 377) zu dem Splittingtarif bei eingetragenen Lebenspartnerschaften ist eine Ausweitung des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG auf Unterhaltsleistungen an ehemalige Lebensgefährten und Eltern eines gemeinsamen Kindes verfassungsrechtlich nicht geboten.

BFH, Beschluß vom 9. Juni 2022 - X B 15/21 - FG München [12 K 3231/17]
BFH/NV 2022, 1174 = DStRK 2022, 254 = HFR 2022, 1116 = FamRZ 2022, 1660 [Ls] = StuB 2022, 755 [Ls]

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Erbrecht; Zulässigkeit einer Prüfungsanordnung gemäß § 193 Abs. 1 AO gegenüber den Erben eines verstorbenen Unternehmers.
AO §§ 5, 45, 193, 200; FGO §§ 69, 128

1. Nach dem Zweck des § 193 Abs. 1 AO muß es die Möglichkeit geben, die steuerlichen Verhältnisse früherer Unternehmer auch dann zu prüfen, wenn sie ihren Betrieb veräußert oder aufgegeben haben; gleiches gilt bei dem Tode des Unternehmers.
2. Die Rechtmäßigkeit einer Außenprüfung bei den Gesamtrechtsnachfolgern ist nicht davon abhängig, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe Steuernachforderungen aus einer früheren Außenprüfung streitig sind.
3. Die Zulässigkeit einer Außenprüfung bei den Erben hängt nicht von dem Gegenstand sowie der (voraussichtlichen) Intensität und Komplexität der Prüfung ab.

BFH, Beschluß vom 15. Juni 2022 - X B 87/21 (AdV) - Hessisches FG [8 V 229/21]
BFH/NV 2022, 1162 = HFR 2022, 995 = BB 2022, 2470 = DStZ 2022, 744 = FamRZ 2022, 1820 [Ls] = ZEV 2022, 755 [Ls] = BB 2022, 2069 [Ls] = StuB 2022, 839 [Ls]

Hinweise
1. Den Erben obliegt die Erfüllung der auf sie durch Gesamtrechtsnachfolge übergegangenen Mitwirkungspflichten iSd § 200 AO, so daß der Anordnung einer Außenprüfung nicht von vornherein entgegensteht, daß die Erben nicht über das Wissen und die Kenntnisse des Erblassers verfügten, und über das bloße Ordnen, Sortieren und die Vorlage von Unterlagen hinaus nicht zu der Mitwirkung bei der Aufklärung der steuerlichen Verhältnisse des Erblassers herangezogen werden könnten.
2. Mit der an die Erben gerichteten Prüfungsanordnung wird lediglich eine allgemeine Duldungspflicht ausgesprochen.
3. Von den Gesamtrechtsnachfolgern kann seitens des Finanzamtes kein einzelnes Mitwirkungsverlangen gefordert und gegebenenfalls mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, das außerhalb ihres Wissens- oder Einflußbereichs liegt. Allein ein zeitlicher oder finanzieller Mehraufwand der Erben (hier: im Vergleich zu dem verstorbenen Betriebsinhaber) macht eine ermessensgerecht eingeforderte Mitwirkungsmaßnahme aber nicht unverhältnismäßig.
4. In dem Streitfall war nicht erkennbar, daß das Finanzamt von seinem Ermessen gemäß § 193 Abs. 1 AO in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätte.
5. In dem Streitfall konnte die Frage unbeantwortet bleiben, inwieweit der Beschluß des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 16.11.1971 (EFG 1972, 218) zu der Aussetzung einer Betriebsprüfungsanordnung wegen unbilliger Härte durch den Beschluß des Bundesfinanzhofes vom 09.11.2010 (BFH/NV 2011, 297) überholt ist. Der Rechtsbehelf in der Hauptsache dürfte offensichtlich erfolglos sein, im Sinne der Ausnahme des genannten Beschlusses des Finanzgerichts.
7. Die Anhörungsrüge gegen diesen Beschluß des Bundesfinanzhofes wurde als unbegründet zurückgewiesen, und die Gegenvorstellung gegen diesen Beschluß des Bundesfinanzhofes als unzulässig verworfen. Der Antrag auf Aussetzung des Beschlusses des Bundesfinanzhofes wurde als unbegründet zurückgewiesen (BFH, Beschluß vom 22.02.2023 - X S 12/22 - nicht dokumentiert).

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Erbrecht; Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 7 AO bei Hinterziehung derselben Steuer durch den Erblasser und den Erben.
AO §§ 45, 153, 169, 171, 173, 370, 376

1. Die von einem Erben durch eine unterlassene Berichtigung gemäß § 153 Abs. 1 AO begangene Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) führt nicht zu einer weiteren Verlängerung der Festsetzungsfrist, wenn diese sich schon aufgrund einer Steuerhinterziehung des Erblassers nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO auf zehn Jahre verlängert hatte.
2. Gemäß § 171 Abs. 7 AO läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, wenn der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger in eine zehnjährige Festsetzungsfrist eintritt, und hinsichtlich derselben Steuer eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen begeht. Die Ablaufhemmung dauert in diesem Fall an, solange der Erbe wegen seiner eigenen Hinterziehung strafrechtlich verfolgt werden kann.

BFH, Urteil vom 21. Juni 2022 - VIII R 26/19 - FG München [6 K 3189/17]
BFHE 277, 18 = BStBl II 2023, 210 = BFH/NV 2023, 50 = NJW 2022, 3534 = DStR 2022, 2314 = HFR 2023, 201 = DB 2022, 2780 = DStRK 2023, 14 = ZEV 2023, 44 = GmbHR 2023, 142 = FamRZ 2022, 1972 [Ls] = BB 2022, 2646 [Ls] = StE 2022, 729 [Ls] = DStRE 2022, 1465 [Ls] = StuB 2022, 951 [Ls]

Hinweise
1. Nach dem Wortlaut des § 171 Abs. 7 AO setzt die Hemmung der Festsetzungsverjährung nicht voraus, daß die noch nicht verjährte Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit die Tat ist, die zu der Verlängerung der Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO geführt hat. Bei dieser Auslegung der Norm handelt es sich weder um eine Analogie, noch um eine teleologische Extension; vielmehr ist diese Auslegung durch den Zweck des § 171 Abs. 7 AO geboten, der darin liegt, Steuern, deren Hinterziehung oder Verkürzung noch strafrechtlich verfolgt werden kann, auch noch festsetzen zu können.
2. Die Anhörungsrüge gegen das vorstehende Urteil des Bundesfinanzhofes wurde als unbegründet zurückgewiesen (BFH, Beschluß vom 7. Februar 2023 - VIII S 16/22 - n.v.).

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Familiensteuerrecht; Unterhalt des Ehegatten; begrenztes Realsplitting; Überlassung einer Wohnung an den dauerhaft getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten; entgeltliches Rechtsverhältnis; unentgeltliche Nutzungsüberlassung als Naturalunterhalt; Ansatz ortsüblicher Miete trotz unterhaltsrechtlicher Vereinbarung eines betragsmäßig geringeren Wohnvorteils.
BGB § 1361; EStG § 10; BewG § 15; AO § 175; FGO § 118

1. Die auf einem entgeltlichen Rechtsverhältnis beruhende Überlassung einer Wohnung an den dauerhaft getrennt lebenden oder geschiedenen Ehegatten unterfällt nicht dem Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG.
2. Dagegen handelt es sich bei einer unentgeltlichen Nutzungsüberlassung um Naturalunterhalt, der in sinngemäßer Anwendung von § 15 Abs. 2 BewG in Höhe der ortsüblichen Miete als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1a Nr. 1 EStG berücksichtigt werden kann (im Anschluß an BFHE 192, 75).
3. Die ortsübliche Miete ist auch dann anzusetzen, wenn die Parteien unterhaltsrechtlich einen betragsmäßig geringeren Wohnvorteil vereinbart haben.

BFH, Urteil vom 29. Juni 2022 - X R 33/20 - Niedersächsisches FG [1 K 99/19] [DStRE 2021, 716]
BFHE 277, 371 = BStBl II 2023, 237 = BFH/NV 2023, 176 = FamRZ 2023, 271 = NJW 2023, 108 = NZFam 2023, 479 = NJW-Spezial 2023, 100 = MittBayNot 2023, 415 = NZM 2023, 573 = DStR 2022, 2600 = HFR 2023, 127 = FR 2023, 226 = DStZ 2023, 67 = BB 2022, 2902 [Ls] = StE 2022, 788 [Ls] = StuB 2023, 52 [Ls] = DStRE 2023, 57 [Ls] = BFH/PR 2023, 70 [Ls] = EStB 2023, 56 [Ls]

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Umsatzsteuer; steuerfreie Heilbehandlung; isolierte Einlagerung eingefrorener Eizellen.
UStG § 4, EGRL 112/2006; FGO § 126a

Die isolierte Einlagerung eingefrorener Eizellen ist jedenfalls dann gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei, wenn sie im Rahmen eines therapeutischen Kontinuums mit einer Kryokonservierung erfolgt, bei dem Einlagerung und Kryokonservierung zwar durch zwei unterschiedliche Unternehmer durchgeführt werden, für die aber dieselben Ärzte tätig sind.

BFH, Beschluß vom 7. Juli 2022 - V R 10/20 - FG Münster [5 K 158/17]
BFHE 276, 445 = BFH/NV 2022, 1413 = HFR 2023, 169 = BB 2022, 2406 = UR 2022, 797 = DStRK 2022, 319 = MwStR 2022, 940 = KRS 2023, 30 = NWB 2022, 2883 = UVR 2023, 67 = BB 2022, 2323 [Ls] = StE 2022, 644 [Ls] = StuB 2022, 799 [Ls] = FamRZ 2022, 1820 [Ls] = FF 2022, 512 [Ls] = BFH/PR 2023, 19 [Ls]

Hinweise
1. Soweit die Finanzverwaltung die Steuerfreiheit für die Lagerung eingefrorener Eizellen oder Spermien als dem einzigen Leistungsgegenstand davon abhängig macht, ob es sich um eine »weitere Lagerung« (Abschnitt 4.14.2 Abs. 4 S. 2 UStAE) oder um eine »bloße Lagerung« (Abschnitt 4.14.2 Abs. 4 S. 4 UStAE) handelt, und für den Fall der bloßen Lagerung eine zu der Steuerpflicht führende Regelvermutung aufstellt, folgt der Senat dem jedenfalls nach den Verhältnissen des Streitfalles nicht.
2. Medizinische Analysen eines Facharztes für klinische Chemie und Laboratoriumsdiagnostik können nicht nur nach § 4 Nr. 14 Buchst. b UStG, sondern auch nach § 4 Nr. 14 Buchst. a S. 1 UStG steuerfrei sein (BFH, Urteil vom 18. Dezember 2019 - XI R 23/19). An der früheren, dem entgegenstehenden Rechtsprechung (BFH, Urteile vom 24. August 2017 - V R 25/16 und vom 15.03.2007 - BFHE 217, 48) hat der Senat nicht mehr festgehalten.
3. Ein Wechsel in der Richterbank bei der Beschlußfassung gegenüber der Beratung steht der Anwendung des § 126a FGO nicht entgegen.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Koordinierung von Familienleistungen; Koordinierungsregeln des Art. 68 der VO Nr. 883/2004.
EStG §§ 62 ff; EGV 883/2004

Die Koordinierungsregeln des Art. 68 der VO Nr. 883/2004 der Europäischen Union sind nur anwendbar und können somit den Kindergeldanspruch in Deutschland nur ausschließen, wenn tatsächlich konkurrierende Ansprüche auf Familienleistungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bestehen.

BFH, Urteil vom 14. Juli 2022 - III R 14/20 - FG Düsseldorf [15 K 690/18]
BFH/NV 2022, 1309 = FamRZ 2022, 1849 [Ls] = StuB 2022, 946 [Ls] = FA 2022, 339 [Ls]

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; kindergeldrechtliche Ausschlußfrist bei Wanderarbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
EStG § 70; EGV 883/2004; EGV 987/2009

1. Stellt ein Wanderarbeitnehmer, der die Anspruchsvoraussetzungen für einen Kindergeldanspruch im Inland erfüllt, seinen Antrag auf Kindergeld bei der inländischen Familienkasse erst nach Ablauf der in § 70 Abs. 1 S. 2 EStG vorgesehenen sechsmonatigen Ausschlußfrist, dann kann sein Auszahlungsanspruch erst abgelehnt werden, wenn festgestellt wird, daß weder der Wanderarbeitnehmer selbst, noch eine andere berechtigte Person für das betreffende Kind im Heimatland des Kindes einen die Frist wahrenden Antrag auf Kindergeld oder eine vergleichbare ausländische Familienleistung gestellt haben.
2. Bezieht der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person laufend Familienleistungen für das betreffende Kind, dann genügt es für einen nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG zu berücksichtigenden Antrag auch, daß der Wanderarbeitnehmer oder eine andere berechtigte Person gegenüber dem zuständigen Träger des Heimatlandes innerhalb der Sechs-Monatsfrist den durch die in Deutschland ausgeübte Tätigkeit entstandenen grenzüberschreitenden Sachverhalt anzeigt, und hierdurch die Durchführung des Koordinierungsverfahrens ermöglicht.
3. Die Feststellungen zu dem Vorliegen eines Antrages oder einer Mitteilung bei dem ausländischen Träger sind durch an diesen gerichtetes Auskunftsersuchen zu treffen. Der Anspruchsteller trägt die Feststellungslast (objektive Beweislast) hinsichtlich der Nichterweislichkeit eines entsprechenden Antrages oder einer entsprechenden Mitteilung.

BFH, Urteil vom 14. Juli 2022 - III R 28/21 - FG Nürnberg [3 K 1589/20]
BFHE 278, 78 = BStBl II 2023, 32 = BFH/NV 2022, 1403 = HFR 2022, 1139 = DStRK 2022, 299 = DStRE 2022, 1368 = FamRZ 2022, 1850 [Ls] = StE 2022, 661 [Ls] = StuB 2022, 834 [Ls] = EStB 2022, 462 [Ls] = FA 2022, 339 [Ls] = BFH/PR 2023, 45 [Ls] = ZAR 2023, 226 [Ls]

Hinweise
1. Für die Frage der Rechtzeitigkeit eines Antrages auf Kindergeld kommt es bei grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht darauf an, ob der ausländische Träger Kenntnis von einem Zusammentreffen von Familienleistungsansprüchen hatte, und daher zu der Weiterleitung des Antrages verpflichtet gewesen wäre. Sofern ein Antrag rechtzeitig gestellt wird, ist er nach dem Prinzip der europaweiten Antragsgleichstellung auch zu berücksichtigen.
2. Die Frage, ob der Kläger durch die Anwendung der Ausschlußfrist des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG in verfassungs- und europarechtswidriger Weise diskriminiert wird, ist in dem vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Erlöschen von Kindergeldansprüchen infolge von erhöhten Leistungen des Jobcenters; Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids des Jobcenters.
EStG §§ 31, 62 ff, 74; SGB II § 19; SGB X § 102 ff, 104, 107; FGO §§ 60, 118, 136, 139; AO §§ 37, 47

1. Das Jobcenter hat keinen Erstattungsanspruch gemäß § 74 Abs. 2 EStG in Verbindung mit § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X, wenn die Familienkasse das Kindergeld in dem jeweiligen Monat für den jeweiligen Monat fristgerecht ausgezahlt hat, und zwar auch dann, wenn das Jobcenter wegen Nichtanrechnung des Kindergelds erhöhte Leistungen erbracht hat.
2. Die Kindergeldansprüche des Berechtigten gelten dann nicht gemäß § 74 Abs. 2 EStG iVm § 107 SGB X als erfüllt und gemäß § 47 AO als erloschen, da § 107 SGB X an das Bestehen eines Erstattungsanspruchs gemäß §§ 102 ff SGB X anknüpft.
3. Ob das Jobcenter von der Festsetzung und Zahlung des Kindergeldes wußte oder sie hätte verhindern können, ist von Rechts wegen unerheblich; § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X, an den § 107 SGB X anknüpft, stellt allein auf die rechtzeitige Erfüllung der Leistungsverpflichtung ab.

BFH, Urteil vom 14. Juli 2022 - III R 40/20 - FG Baden-Württemberg [13 K 2747/17] [EFG 2021, 614]
BFH/NV 2022, 1310 = EStB 2022, 416 = DStZ 2022, 897 = FA 2022, 340 [Ls]

Hinweise
1. Teilweise inhaltsgleich mit BFHE 277, 294 - kein Erlöschen des Kindergeldanspruchs trotz erhöhter Leistung des Jobcenters bei rechtzeitiger Zahlung durch die Familienkasse.
2. Rechtzeitige Erfüllung iSd § 74 Abs. 2 EStG iVm § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X durch die Familienkasse liegt vor, wenn sie das Kindergeld in dem jeweiligen Monat für den jeweiligen Monat zahlt; nicht erforderlich ist es, daß die Familienkasse die nur durch eine Verwaltungsanweisung geregelten, nach Kindergeldendziffern gestaffelten kassenmäßigen Auszahlungstermine einhält (vgl. BSGE 81, 30).

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Erbrecht; Ermittlung des Verwaltungsvermögens; Erklärung zur optionalen Vollverschonung von Betriebsvermögen; einheitliche Schenkung von mehreren wirtschaftlichen Einheiten; Regelverschonung.
BGB §§ 133, 157; ErbStG §§ 13a, 13b; GG Art. 3

1. Der bis zum 30. Juni 2016 für die Gewährung der Vollverschonung von Betriebsvermögen maßgebende Anteil des Verwaltungsvermögens ist auch bei mehreren gleichzeitig übertragenen wirtschaftlichen Einheiten für jede Einheit gesondert zu ermitteln.
2. Bei einer einheitlichen Schenkung von mehreren wirtschaftlichen Einheiten kann die Erklärung zur optionalen Vollverschonung für jede wirtschaftliche Einheit gesondert abgegeben werden.
3. Wurde die Erklärung zur optionalen Vollverschonung für eine wirtschaftliche Einheit abgegeben, die die Anforderungen an die Vollverschonung nicht erfüllt, ist für diese wirtschaftliche Einheit auch nicht die Regelverschonung zu gewähren.

BFH, Urteil vom 26. Juli 2022 - II R 25/20 - FG Münster [3 K 2317/19]
BFHE 277, 456 = BFH/NV 2022, 1371 = HFR 2022, 1168 = ErbR 2023, 33 = ZEV 2022, 746 = DB 2022, 2586 = DStR 2022, 2150 = NZG 2022, 1749 = GmbHR 2023, 93 = EStB 2022, 415 = DStRK 2023, 12 = NWB 2022, 3021 = UVR 2023, 8 = BB 2022, 2454 [Ls] = StE 2022, 663 [Ls] = StuB 2022, 876 [Ls] = BFH/PR 2023, 57 [Ls]

Hinweis
Die Versagung des »Rückfalls« zur Regelverschonung bei Nichterfüllung der Voraussetzungen für die (unwiderruflich erklärte) optionale Vollverschonung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

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Verfahrensrecht; Postlaufzeit und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
FGO §§ 56, 97; PUDLV § 2

Der Absender darf grundsätzlich darauf vertrauen, daß eine Briefsendung den Empfänger spätestens am zweiten Werktag nach dem Einwurf in einen Briefkasten erreicht, wenn der Briefkasten nach dem Einwurf noch an demselben Tage geleert wird.

BFH, Zwischenurteil vom 27. Juli 2022 - II R 30/21 - FG Köln [5 K 2704/18]
BFH/NV 2023, 138 = ZKF 2023, 24 = DStRK 2023, 42 = FamRZ 2023, 216 [Ls] = FA 2023, 27 [Ls] = StuB 2023, 440 [Ls]

Hinweise
1. Darf der Absender auf die Einhaltung der Postlaufzeit vertrauen, dann muß er sich nach der Absendung nicht zusätzlich - zum Beispiel durch telefonische Nachfrage bei dem Empfänger - nach dem pünktlichen Eingang des Poststücks erkundigen (im Hinblick auf ein Verschulden bezüglich § 56 Abs. 1 FGO).
2. Der Absender darf auf die Postlaufzeit (hier: die regelmäßige Postlaufzeit nach Vorgabe der PUDLV) jedoch nicht mehr vertrauen, wenn er konkrete Anhaltspunkte dafür besitzt, daß sie nicht eingehalten werde. Das kann der Fall sein, wenn festzustellen ist, daß die Deutsche Post AG den allgemeinen Vorgaben der Post-Universaldienstleistungsverordnung [PUDLV] strukturell nicht mehr genügt, oder wenn in dem konkreten Einzelfall Besonderheiten dem üblichen Lauf entgegenstehen (Streik, höhere Gewalt).

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Familiensteuerrecht; Kettenschenkung; Dispositionsbefugnis des zuerst Bedachten.
ErbStG § 7; AO § 39; FGO § 115

1. Wird ein Gegenstand in der Weise verschenkt, daß der erste Empfänger ihn unmittelbar darauf an einen Dritten weiterreicht, ist in dem Verhältnis Zuwendender/erster Empfänger zu prüfen, ob bereits zivilrechtlich eine Schenkung unmittelbar an den Dritten vorliegt.
2. Andernfalls ist in dem Verhältnis erster Empfänger/zweiter Empfänger bzw. Dritter zu prüfen, ob dem ersten Empfänger eine Dispositionsbefugnis über den Gegenstand verbleibt. Fehlt es daran, liegt steuerrechtlich eine Schenkung unmittelbar an den Dritten vor.
3. Werden die beiden Verträge in einer Urkunde zusammengefaßt oder in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Urkunden abgeschlossen, dann muß sich die Dispositionsbefugnis eindeutig aus dem Vertrag oder den Umständen ergeben.

BFH, Beschluß vom 28. Juli 2022 - II B 37/21 - FG Rheinland-Pfalz [4 K 1417/19]
BFH/NV 2022, 1054= HFR 2022, 1070 = DStRK 2022, 265 = ZEV 2022, 614 = DStZ 2022, 655 = GWR 2022, 372 = UVR 2022, 363 = NotBZ 2023, 26 = FamRZ 2022, 1660 [Ls] = NJW 2022, 2784 [Ls] = BB 2022, 1941 [Ls] = StuB 2022, 757 [Ls] = RNotZ 2023, 70 [Ls]

Hinweis
Ob sich aus einem Vertrag oder aus den Umständen eine Dispositionsbefugnis ergibt, ist eine Frage des Einzelfalles, und ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

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Familiensteuerrecht; Schenkungsrecht; Grundstückswertermittlung bei Existenz eines zeitnahen Kaufpreises.
BewG §§ 9, 177, 182, 183, 198

1. Bei der Bewertung eines Grundstücks für Zwecke der Schenkungsteuer sind bei Anwendung des Vergleichswertverfahrens vorrangig die von den Gutachterausschüssen mitgeteilten Vergleichspreise heranzuziehen.
2. Liegen keine von dem Gutachterausschuß ermittelten Vergleichspreise vor, dann kann sich der Vergleichspreis nach § 183 Abs. 1 S. 1 BewG auch aus einem zeitnah zu dem Bewertungsstichtag vereinbarten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück ergeben.

BFH, Urteil vom 24. August 2022 - II R 14/20 - FG Düsseldorf [11 K 3447/19]
BFHE 277, 451 = BStBl II 2023, 693 = BFH/NV 2023, 170 = HFR 2023, 103 = NJW 2023, 175 = DStR 2022, 2619 = ZEV 2023, 42 = DStZ 2023, 111 = DStRK 2023, 40 = NZM 2023, 131 = NWB 2023, 78 = EStB 2023, 16 = NotBZ 2023, 179 = ZAP EN-Nr. 58/2023 = BB 2022, 2966 [Ls] = StE 2023, 11 [Ls] = DStRE 2023, 58 [Ls] = StuB 2023, 101 [Ls] = BFH/PR 2023, 81 [Ls]

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Erbschaftsteuerrecht; Doppelbesteuerungsabkommen USA-ERB 2000.
ErbStG § 2; DBA USA-ERB 2000

Auf den nicht haushaltsangehörigen Erwerber ist Art. 4 Abs. 3 DBA USA-ERB 2000 auch dann nicht anwendbar, wenn Deutschland sein Besteuerungsrecht nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. b DBA USA-ERB 2000 auf den Wohnsitz des Erwerbers stützt.

BFH, Beschluß vom 20. September 2022 - II B 2/22 - FG Berlin-Brandenburg [14 K 14038/20]
BFH/NV 2022, 1287 = NJW-Spezial 2022, 712 = ErbR 2023, 32 = FamRZ 2022, 1819 [Ls] = StuB 2023, 103 [Ls]

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Verfahrensrecht; Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei Streit um das Vorliegen eines Härtefalles gemäß § 150 Abs. 8 AO, § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV).
EStG § 25; AO § 150; UStG § 18; FGO §§ 73, 96, 115, 116

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung im Zusammenhang mit den Voraussetzungen der Befreiungstatbestände in § 150 Abs. 8 AO, § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV setzt voraus, daß der Beschwerdeführer sich mit den in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes formulierten Anforderungen an eine wirtschaftliche und persönliche Unzumutbarkeit im Sinne des § 150 Abs. 8 AO und an eine unbillige Härte im Sinne der § 25 Abs. 4 EStG, § 18 Abs. 3 UStG und § 60 Abs. 4 EStDV befaßt.

BFH, Beschluß vom 20. September 2022 - VIII B 103/21 - FG Berlin-Brandenburg [9 K 9144/18]
BFH/NV 2022, 1282

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Verfassungsmäßigkeit des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG.
EStG §§ 31, 66, 70; GG Art. 1, Art. 6, Art. 20

Die Beschränkung der Auszahlung festgesetzten Kindergeldes durch § 70 Abs. 1 S. 2 EStG ist verfassungsrechtlich unbedenklich.

BFH, Beschluß vom 22. September 2022 - III R 21/21 - FG Münster [4 K 3164/20]
BFHE 278, 201 = BStBl II 2023, 249 = BFH/NV 2023, 86 = HFR 2023, 344 = DStRE 2023, 19 = DStRK 2023, 21 = ZAP EN-Nr. 20/2023 = StE 2022, 741 [Ls] = StuB 2022, 946 [Ls] = FA 2022, 368 [Ls] = EStB 2023, 11 [Ls] = BFH/PR 2023, 108 [Ls]

Hinweise
1. Verfassungsrechtliche Zweifel, die sich auf die Freibeträge für Kinder nach § 32 Abs. 6 EStG und die Berücksichtigung nicht ausgezahlten Kindergeldes bei der Günstigerprüfung nach § 31 EStG beziehen, sind vorliegend unerheblich, da hierüber im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung der Kindergeldberechtigten zu streiten wäre (vgl. BFH, Urteil vom 9. September 2020 - III R 37/19.
2. Durch das Zusammenspiel von § 70 Abs. 1 S. 2 EStG und § 31 EStG bei der Einkommensteuerveranlagung ergibt sich kein Verstoß gegen das Gebot der Steuerfreistellung des Existenzminimums des Kindes.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Klagebefugnis nach Abhilfebescheid der Familienkasse im Klageverfahren; kindergeldrechtliche Ausschlußfrist.
EStG § 70; AO § 124; FGO §§ 40, 44, 67, 68

1. Setzt die Familienkasse in einem gegen einen Kindergeldaufhebungsbescheid gerichteten Klageverfahren Kindergeld für den von dem Aufhebungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erfaßten Regelungszeitraum fest, dann wird dieser Änderungsbescheid gemäß § 68 S. 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens, und läßt die Klagebefugnis entfallen.
2. Eine Klagebefugnis läßt sich auch nicht daraus ableiten, daß für den nicht vom Aufhebungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung erfaßten Anspruchszeitraum gegebenenfalls ein weiterer Kindergeldantrag erforderlich ist, der von der Ausschlußfrist des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG erfaßt werden könnte.
3. Erläßt die Familienkasse in einem Rechtsstreit über die Aufhebung einer Kindergeldfestsetzung einen den gesamten Streitzeitraum umfassenden Abhilfebescheid, dann ist es zu der Wahrung der in § 70 Abs. 1 S. 2 EStG geregelten Sechs-Monatsfrist als ausreichend anzusehen, daß der Kindergeldberechtigte in dem Verwaltungs- oder in dem sich anschließenden Klageverfahren rechtzeitig zum Ausdruck gebracht hat, daß er Kindergeld auch für einen konkreten Zeitraum außerhalb des von dem Abhilfebescheid erfaßten Regelungsbereichs begehrt (obiter dictum).

BFH, Urteil vom 22. September 2022 - III R 23/21 - FG Münster [9 K 1201/18]
BFHE 277, 82 = BStBl II 2023, 338 = BFH/NV 2023, 98 = HFR 2022, 1148 = DStRE 2022, 1486 = DStRK 2023, 13 = FamRZ 2022, 1927 [Ls] = NJW 2022, 3536 [Ls] = BB 2022, 2581 [Ls] = StE 2022, 694 [Ls] = StuB 2022, 880 [Ls] = FA 2022, 368 [Ls] = BFH/PR 2023, 44 [Ls]

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeldanspruch; Wegfall der Arbeitsuchendmeldung iSd § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG.
EStG §§ 32, 38

1. Hat die Agentur für Arbeit das arbeitsuchende Kind aus der Vermittlung abgemeldet, fehlt es aber an einer wirksamen Bekanntgabe der Einstellungsverfügung oder an einer einvernehmlichen Beendigung der Arbeitsuchendmeldung, dann hängt der Fortbestand der Arbeitsuchendmeldung im Sinne des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 EStG davon ab, ob das arbeitsuchende Kind eine Pflichtverletzung begangen hat, welche die Agentur für Arbeit nach § 38 Abs. 3 S. 2 SGB III (in der Fassung vom 20. Dezember 2011) zu der Einstellung der Vermittlung berechtigt hat.
2. Weder die Löschung der Registrierung, noch die einvernehmliche Beendigung eines Berufsberatungstermins führen zu dem Wegfall der Arbeitsuchendmeldung.

BFH, Urteil vom 22. September 2022 - III R 37/21 - FG Mecklenburg-Vorpommern [2 K 106/19]
BFHE 278, 205 = BFH/NV 2023, 192 = HFR 2023, 50 = DStRK 2023, 20 = DStRE 2023, 78 = info also 2023, 81 = FamRZ 2023, 197 [Ls] = StE 2022, 774 [Ls] = StuB 2023, 98 [Ls] = EStB 2023, 13 [Ls] = FA 2023, 32 [Ls] = BFH/PR 2023, 107 [Ls]

Hinweis
Liegt eine die Arbeitsagentur zu der Einstellung berechtigende Pflichtverletzung nicht vor, dann entfällt die Wirkung einer Meldung als Arbeitsuchender insoweit nur, wenn das Kind von sich aus die Beendigung der Arbeitsuchendmeldung verlangt.

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Familiensteuerrecht; Kindergeld; Erlöschen von Kindergeldansprüchen infolge von Leistungen des Jobcenters; Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids des Jobcenters; rechtzeitige Zahlung durch die Familienkasse.
EStG §§ § 31, 62, 66, 74; SGB II §§ 11, 19; SGB X §§ 45 ff, 102 ff, 104, 107, 111; AO §§ 37, 47, 218

1. Kindergeldansprüche gelten gemäß § 74 Abs. 2 EStG in Verbindung mit § 107 SGB X als erfüllt und damit gemäß § 47 AO als erloschen, soweit das Jobcenter wegen unterlassener oder verzögerter Kindergeldzahlungen einen Erstattungsanspruch gegen die Familienkasse hat.
2. Die Frage, ob die Familienkasse geleistet hat, bevor sie von der Leistung des Jobcenters Kenntnis hatte, stellt sich nur in Nachzahlungsfällen, nicht aber, wenn die Familienkasse rechtzeitig leistet.

BFH, Urteil vom 22. September 2022 - III R 38/20 - Hessisches FG [5 K 140/16]
BFH/NV 2023, 35 = FamRZ 2023, 127 [Ls] = FA 2023, 32 [Ls]

Hinweise
1. Aufgrund der in § 11 Abs. 1 S. 5 SGB II angeordneten Berücksichtigung des Kindergeldes als Kindeseinkommen ist die durch das Jobcenter geleistete Grundsicherung im Form von ALG II grundsätzlich nachrangig.
2. Eine rechtzeitige Erfüllung iSd § 74 Abs. 2 EStG iVm § 104 Abs. 1 S. 2 SGB X durch die Familienkasse liegt vor, wenn sie das Kindergeld in dem jeweiligen Monat für den jeweiligen Monat auszahlt; die Einhaltung der durch Verwaltungsanweisung geregelten, nach Kindergeldendziffern gestaffelte kassenmäßige Auszahlung ist nicht erforderlich (vgl. auch BSGE 81, 30 Tz. 16 mwN).
3. Die Aussagen zu der ausreichenden Kenntniserlangung in dem Falle des § 74 Abs. 2 EStG iVm § 104 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB X (s. BFHE 273, 41 Tz. 18) bedeuten nicht, daß diese Anforderungen stets zwingend erfüllt sein müssen.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; kein Kindergeldanspruch während Ausbildung zum Facharzt.
EStG §§ 32, 63

Beginnt das Kind nach erfolgreich abgeschlossenem Medizinstudium ein Dienstverhältnis an einer Klinik, das als Vorbereitungszeit zu der Erlangung der Facharztqualifikation dient, ist ein Kindergeldanspruch während dieses Dienstverhältnisses mangels Vorliegens einer Berufsausbildung im Sinne des § 63 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ausgeschlossen, wenn bei einer Gesamtbetrachtung des Dienstverhältnisses der Erwerbscharakter, und nicht der Ausbildungscharakter im Vordergrund steht.

BFH, Urteil vom 22. September 2022 - III R 40/21 - Niedersächsisches FG [9 K 114/21]
BFHE 278, 210 = BStBl II 2023, 251 = BFH/NV 2023, 96 = HFR 2022, 1137 = DStRK 2023, 9 = DStRE 2023, 18 = RPG 2023, 24 = FamRZ 2022, 1927 [Ls] = BB 2022, 2646 [Ls] = StE 2022, 728 [Ls] = StuB 2022, 945 [Ls] = FA 2022, 368 [Ls] = EStB 2023, 12 [Ls] = BFH/PR 2023, 43 [Ls]

Hinweise
1. Das Berufsziel des Kindes (hier: Facharzt) spielt hinsichtlich der Abwägung zwischen den Ausbildungs- und den Erwerbsanteilen des Dienstverhältnisses keine Rolle.
2. Die Assistenzarzttätigkeit ist insoweit abzugrenzen von dem Referendariat im Bereich der Juristen- oder Lehramtsausbildung sowie den Finanzanwärtern, daß bei Letzteren noch kein Eintritt in einen durch den Abschluß ermöglichten Beruf stattgefunden hat und die Vergütung sich an dem Ausbildungscharakter und nicht an einer Erwerbstätigkeit orientiert.

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Familiensteuerrecht; Besteuerung eines von öffentlicher und privater Hand gemeinsam finanzierten Promotionsstipendiums; wiederkehrende Bezüge.
EStG §§ 2, 3, 12, 22; KStG §§ 5, 10

1. Leistungen aus einem Stipendium, die keiner gegenüber den sonstigen Einkünften im Sinne von § 22 EStG vorrangigen Einkunftsart zuzuordnen sind, sind als wiederkehrende Bezüge gemäß § 22 Nr. 1 S. 1 Hs. 1 bzw. S. 3b EStG steuerbar, wenn der Stipendiat für die Gewährung der Leistungen eine wie auch immer geartete wirtschaftliche Gegenleistung zu erbringen hat (im Anschluß an das Senatsurteil BFHE 269, 556).
2. Die Anwendung von § 22 Nr. 1 S. 2 Hs. 1 EStG setzt nicht die Feststellung voraus, daß der Stipendiengeber in dem konkreten Einzelfall keine steuerliche Entlastung hinsichtlich der Zahlungen an den Stipendiaten erfahren hat.
3. Ein von öffentlicher und privater Hand gemeinsam finanziertes Stipendium ist jedenfalls insoweit nicht gemäß § 3 Nr. 44 EStG steuerbefreit, als es unmittelbar von einem privatwirtschaftlichen Unternehmen, das nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG erfüllt, gezahlt wird.

BFH, Urteil vom 28. September 2022 - X R 21/20 - FG Nürnberg [4 K 234/18] [EFG 2021, 25]
BFHE 278, 243 = BFH/NV 2023, 417 = HFR 2023, 574 = DStRK 2023, 75 = NWB 2023, 591 = DStZ 2023, 239 = BB 2023, 932 = DStRE 2023, 398 = FR 2023, 474 = BB 2023, 405 [Ls] = StE 2023, 121 [Ls] = StuB 2023, 273 [Ls] = BFH/PR 2023, 137 [Ls] = EStB 2023, 137 [Ls]

Hinweise
1. Der erkennende Senat hält an den Grundsätzen in seiner Entscheidung vom 08.07.2020 (BFHE 269, 556) fest, wonach
- der Zufluß von Stipendien nicht von vornherein von dem Einkünftetatbestand des § 22 Nr. 1 EStG ausgenommen ist,
- ein Stipendiat aber jedenfalls dann keine steuerbaren Einkünfte nach § 22 Nr. 1 S. 1 bzw. S. 3 Buchst. b EStG erzielt, wenn er hierfür keine wie auch immer geartete wirtschaftliche Gegenleistung zu erbringen hat, wobei allein das durch das Stipendium geförderte Vorhaben keine solche Gegenleistung darstellt, da es nicht deshalb durchgeführt wird, um Einnahmen in Form von Stipendienzahlungen zu erzielen.
2. Für die Frage, ob Zahlungen einer GmbH an die Stipendiatin dem Einkünftetatbestand des § 22 Nr. 1 EStG unterfallen, ist eine einheitliche Betrachtung des aus öffentlichen und privaten Mitteln erbrachten Finanzierungsanteils geboten, wenn beide Anteile unabdingbar miteinander verwoben sind, und der Bezug des einen Förderungsanteils ohne den jeweils anderen nicht möglich gewesen wäre.
3. Die Existenz der Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 44 EStG zwingt nicht dazu, den Zufluß von Stipendien stets zumindest als nach § 22 Nr. 1 EStG steuerbar zu qualifizieren.
4. Das Finanzgericht wird im zweiten Rechtsgang für ein von dem Freistaat Sachsen bewilligtes Stipendium aus Mitteln des Landes sowie des Europäischen Sozialfonds (ESF) zu würdigen haben, ob den Zahlungen eine wirtschaftliche Gegenleistung der Stipendiatin gegenüberstand; insbesondere wird das Finanzgericht zu würdigen haben, ob die Pflicht der Stipendiatin, die aus dem geförderten Vorhaben gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse innerhalb einer bestimmten Bindungsfrist ausschließlich in dem Geber-Bundesland Sachsen beruflich zu verwerten, eine konkretisierbare wirtschaftliche Gegenleistung der Stipendiatin, oder nur eine abstrakte beschäftigungspolitische Zielsetzung des Stipendiengebers ist.

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Familiensteuerrecht; Vorsteuerabzug und private Verwendung im Rahmen eines Ehegatten-Vorschaltmodells; zwischen Ehegatten abgeschlossener Leasingvertrag; Scheingeschäft.
UStG §§ 2, 3, 13, 15; BGB § 117; EStG § 12; EGRL 112/2006 Art. 9, Art. 168, Art. 176; AO §§ 41, 42

1. Der Erwerb eines Pkw zur langfristigen Überlassung an den freiberuflich tätigen Ehegatten kann eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit begründen.
2. Der Vorsteuerabzug des Vermieters eines Pkw ist nicht systemwidrig und daher auch nicht mißbräuchlich. Dies gilt bei einer Vermietung unter Ehegatten jedenfalls für die Vermietung von Pkw, die nicht dem unmittelbaren Familienbedarf dienen.
3. Einer Besteuerung der privaten Verwendung des vermieteten Pkw durch den Vermieter-Ehegatten steht eine vertraglich geregelte Vollvermietung an den anderen Ehegatten nicht entgegen.

BFH, Urteil vom 29. September 2022 - V R 29/20 - FG Baden-Württemberg [9 K 2621/18]
BFHE 278, 363 = BFH/NV 2023, 348 = DStR 2023, 33 = BB 2023, 163 = DB 2023, 367 = DStRK 2023, 68 = UR 2023, 243 = HFR 2023, 268 = MwStR 2023, 268 = NWB 2023, 165 = DStZ 2023, 151 = AuA 2023, 50 = UVR 2023, 100 = StBp 2023, 169 = FamRZ 2023, 328 [Ls] = BB 2023, 85 [Ls] = StE 2023, 41 [Ls] = DStRE 2023, 120 [Ls] = StuB 2023, 150 [Ls] = BFH/PR 2023, 112 [Ls]

Hinweise
1. Wird der zwischen den Ehegatten geschlossene Kfz-Leasingvertrag hinsichtlich seiner Hauptpflichten und damit im Wesentlichen so wie vereinbart tatsächlich durchgeführt, dann liegt kein Scheingeschäft iSd § 41 Abs. 2 S. 1 AO vor.
2. Der Erwerb eines Pkw zu der langfristigen Überlassung an den freiberuflich tätigen Ehegatten kann selbst dann eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit begründen, wenn der zwischen den Ehegatten abgeschlossene Leasingvertrag hinsichtlich einer Nebenklausel (hier: betreffend die Kostentragung für Wartungsarbeiten an dem Pkw) nicht vollständig durchgeführt wird.
3. Eine zivilrechtliche Vertragsübernahme mit der Folge eines umsatzsteuerrechtlich anzuerkennenden Wechsels in der Person des Leistungsempfängers ist jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt der Leistungserbringung und damit der Steuerentstehung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1a S. 1 UStG anzuerkennen (vgl. BFHE 268, 351 Tz. 39).
4. Der erkennende Senat konnte offen lassen, ob die Einschränkung des Vorsteuerabzugs durch § 15 Abs. 1a UStG iVm § 12 Nr. 1 EStG gegen Art. 176 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG verstößt (vgl. FG München EFG 2006, 1018).

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Familiensteuerrecht; Schenkungsrecht; erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht; kein Verstoß gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit.
ErbStG §§ 2, 21; GG Art. 2, Art. 3; AEUV Art. 63, Art. 267; EGFreizügAbk CHE

1. Die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht verletzt nicht den allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG.
2. Die Regelung bewirkt auch keinen Verstoß gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit.

BFH, Urteil vom 12. Oktober 2022 - II R 5/20 - FG München [4 K 1286/18]
BFHE 277, 466 = BStBl II 2023, 659 = BFH/NV 2023, 320 = HFR 2023, 356 = DStR 2023, 86 = ZEV 2023, 112 = IStR 2023, 143 = DB 2023, 625 = DStRK 2023, 84 = ErbR 2023, 300 = EStB 2023, 59 = UVR 2023, 73 = DStZ 2023, 203 = FamRZ 2023, 328 [Ls] = BB 2023, 149 [Ls] = StE 2023, 60 [Ls] = StuB 2023, 188 [Ls] = DStRE 2023, 182 [Ls] = BFH/PR 2023, 118 [Ls]

Hinweise
1. Die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht verletzt nicht Art. 2 Abs. 1 GG unter dem Aspekt der Ausreisefreiheit.
2. Da die Vereinbarkeit der erweiterten unbeschränkten Schenkungsteuerpflicht mit dem Unionsrecht bereits durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes geklärt ist, bedarf es keiner Einholung einer Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV.
3. Die erweiterte unbeschränkte Schenkungsteuerpflicht verstößt nicht gegen die Bestimmungen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 30. April 2002.
4. Verfassungsbeschwerde eingelegt (Aktenzeichen des Bundesverfassungsgerichts: 1 BvR 325/23).

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Verfahrensrecht; wirksame förmliche Zustellung setzt auch während der Covid-19-Pandemie den Versuch einer Übergabe des Schriftstücks voraus.
BGB § 130; ZPO § 178, 180, 182, 189, 418; FGO §§ 53, 97

1. Eine wirksame Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten (§ 180 ZPO) setzt voraus, daß zuvor ein erfolgloser Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen des Adressaten (§ 178 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO) unternommen wurde.
2. Allein aus den allgemeinen während der Covid-19-Pandemie geltenden Kontaktbeschränkungen kann nicht abgeleitet werden, daß in dieser Zeit eine Ersatzzustellung durch Einlegen in einen Briefkasten ohne vorherigen Versuch der Ersatzzustellung in der Wohnung oder den Geschäftsräumen als wirksam anzusehen wäre.

BFH, Zwischenurteil vom 19. Oktober 2022 - X R 14/21 - FG München [13 K 1825/19]
BFHE 277, 88 = BStBl II 2023, 588 = BFH/NV 2023, 324 = HFR 2023, 281 = NJW 2023, 470 = BB 2023, 413 = DStRK 2023, 54 = DStRE 2023, 227 = GmbHR 2023, 424 = WPg 2023, 208 = ZAP EN-Nr. 80/2023 = FamRZ 2023, 367 [Ls] = StE 2023, 43 [Ls] = BFH/PR 2023, 126 [Ls] = FA 2023, 55 [Ls] = StuB 2023, 479 [Ls]

Hinweise
1. Beurkundet ein (Post-)Zusteller förmlich, er habe vor einer Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten zunächst den Versuch unternommen, ein Schriftstück (hier: ein finanzgerichtliches Urteil) persönlich zu übergeben, obwohl diese von ihm abgegebene Erklärung nicht der Wahrheit entspricht, dann ist die (Ersatz-)Zustellung unwirksam. Die Heilung dieses Mangels erfolgt nach § 189 ZPO.
2. Die allgemeine Regel des § 130 BGB über den Zugang von Erklärungen wird für Fälle der förmlichen Zustellung durch die hierfür geltenden differenzierten gesetzlichen Vorschriften der §§ 166 ff ZPO verdrängt, so daß eine Sendung nicht bereits mit dem Einlegen in den Briefkasten in den Machtbereich des Empfängers (hier: den Prozeßbevollmächtigten des Klägers) gelangt.

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Familiensteuerrecht; Kindergeldrecht; Kindergeldanspruch für ein volljähriges behindertes Kind; Pflegegeld; Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehegatten des behinderten Kindes.
BGB §§ 1360, 1360a, 1569 ff, 1609, 1612b; EStG §§ 32, 63; DA-KG 2022

1. Das für ein behindertes Kind gezahlte Pflegegeld ist bei den dem Kind zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln als Bezug zu berücksichtigen.
2. Bei der Prüfung, ob dem behinderten Kind gegenüber seinem Ehegatten ein Unterhaltsanspruch zusteht, mindern die vom Ehegatten auf sein Einkommen geleisteten Steuern (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer) und Sozialversicherungsbeiträge das diesem zur Unterhaltsleistung zur Verfügung stehende Einkommen.
3. Der von dem Ehegatten des behinderten Kindes an ein (gemeinsames oder nicht gemeinsames) minderjähriges Kind geleistete Unterhalt mindert die diesem für den Ehegattenunterhalt zur Verfügung stehenden Mittel.

BFH, Urteil vom 20. Oktober 2022 - III R 13/21 - FG Nürnberg [4 K 392/19]
BFHE 278, 444 = BStBl II 2023, 655 = BFH/PR 2023, 663 = HFR 2023, 453 = FamRZ 2023, 687 = NJW 2023, 941 = NJW-Spezial 2023, 420 = NZFam 2023, 720 = DStRK 2023, 120 = DStRE 2023, 530 = StE 2023, 168 [Ls] = StuB 2023, 315 [Ls] = EStB 2023, 142 [Ls] = FA 2023, 96 [Ls] = BFH/PR 2023, 193 [Ls]

Hinweise
1. Dies gilt auch für andere Sozialleistungen, die gezahlt werden, um einen besonderen Bedarf abzudecken.
2. Andererseits sind bei der Prüfung der behinderungsbedingten Unfähigkeit zum Selbstunterhalt Einkünfte und Bezüge des behinderten Kindes - für das Kindergeld begehrt wird - nicht wegen Unterhaltsverpflichtungen des Kindes gegenüber seinem eigenen Kind, also dem Enkel der Eltern des behinderten Kindes, zu kürzen.
3. Der Senat neigt dazu, in Anlehnung an die Zivilrechtslage (§ 1612b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB) und weil das Kindergeld auch der Deckung des Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarfs dient, von dem für den Barunterhalt erforderlichen Betrag lediglich das halbe Kindergeld abzuziehen (hier: in dem Streitfall konnte dahingestellt bleiben, ob nicht sogar eine Kürzung um das volle Kindergeld vorzunehmen ist, da bereits bei hälftiger Berücksichtigung - soweit relevant - kein Anspruch auf Kindergeld seitens der Eltern des behinderten Kindes gegeben war).

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Verfahrensrecht; Festsetzung des Verfahrenswertes; Streitwert bei gesonderter Feststellung der Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens bis zum 30.06.2016.
GKG §§ 52, 66; ErbStG §§ 13a, 13b, 16, 19

Der Streitwert bei gesonderter Feststellung der Summe der gemeinen Werte der Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens bis zum 30. Juni 2016 ist mit einem Prozentsatz auf Regelverschonungsbeträge (nämlich 85% des zugrundeliegenden Betriebsvermögenswertes) zu bestimmen.

BFH, Beschluß vom 11. November 2022 - II E 3/22
BFH/NV 2023, 147 = DStRE 2023, 566 = UVR 2023, 107 = ZEV 2023, 124 [Ls]

Hinweis
Die Grundsätze aus dem Beschluß des Bundesfinanzhofes vom 11.11.2006 (BFHE 211, 422) zu dem Streitwert bei Streitigkeiten über Grundstückswerte sind (unter Anpassung der Wertgrenzen und Prozentsätze an die zum jeweils streitigen Stichtag geltenden erbschaftsteuerlichen Tarife und Freibeträge) für den aus dem Wert des Betriebsvermögens abzuleitenden Streitwert entsprechend anzuwenden.

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Vermietung und Verpachtung; Zurechnung von Einkünften; Quotennießbrauch an einem Gesellschaftsanteil.
BGB §§ 1068 ff, 1071; EStG §§ 2, 21; AO § 41; ErbStG § 13a; FGO §§ 11, 126

1. Durch die Bestellung des Nießbrauchs an einem Gesellschaftsanteil an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft erzielt der Nießbraucher - anstelle des Gesellschafters - die auf den Anteil entfallenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wenn und soweit er aufgrund der ihm vertraglich zur Ausübung überlassenen Stimm- und Verwaltungsrechte grundsätzlich in der Lage ist, auch an Grundlagengeschäften der Gesellschaft mitzuwirken.
2. Entsprechendes gilt bei dem Quotennießbrauch an einem Gesellschaftsanteil: Der Quotennießbraucher erzielt nur dann die auf den Anteil entfallenden Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, wenn die vertraglichen Regelungen über die Bestellung des Quotennießbrauchs sicherstellen, daß der Gesellschafter die Entscheidungen - und zwar auch solche, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen -, nicht alleine und/oder gegen den Willen des Quotennießbrauchers treffen kann.

BFH, Urteil vom 15. November 2022 - IX R 4/20 - FG Düsseldorf [10 K 3108/17]
BFHE 278, 519 = BStBl II 2023, 389 = BFH/NV 2023, 425 = HFR 2023, 335 = DStR 2023, 258 = ZIP 2023, 519 = ZEV 2023, 246 = DStRK 2023, 87 = RFamU 2023, 190 = NZM 2023, 338 = DB 2023, 1194 = FR 2023, 469 = GmbHR 2023, 633 = NZG 2023, 904 = DStZ 2023, 235 = NWB 2023, 446 = BB 2023, 342 [Ls] = StE 2023, 104 [Ls] = DStRE 2023, 239 [Ls] = StuB 2023, 226 [Ls] = BFH/PR 2023, 146 [Ls] = EStB 2023, 136 [Ls]

Hinweise
1. Mit dieser Entscheidung weicht der erkennende Senat nicht im Sinne von § 11 Abs. 2 FGO von dem Urteil des Bundesfinanzhofes vom 16.05.2013 (BFHE 241, 49) ab; einer Anfrage bei dem II. Senat des Bundesfinanzhofes bedurfte es nicht.
2. Für die Frage, wer bei dem Quotennießbrauch an einem Gesellschaftsanteil einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft die Einkünfte erzielt, können die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu dem Nießbrauch an einem Mitunternehmeranteil, die zu § 13 Abs. 4 Nr. 1 ErbStG a.F. entwickelte Rechtsprechung des II. Senats des Bundesfinanzhofes und die darin konkretisierten Kriterien der Mitunternehmerschaft, die Senatsrechtsprechung zu der Einkünfteerzielung aus einer Unterbeteiligung und die Grundsätze der Treuhandschaft nicht herangezogen werden.
3. Es bedurfte vorliegend keiner Entscheidung, ob eine Klausel, die den Quotennießbraucher zwar nicht bei den Grundlagengeschäften (als das Organisationsrecht des Unternehmens), wohl aber in dem »Kernbereich der gesellschafterlichen Mitwirkungspflichten« oder in »Angelegenheiten, die unentziehbare Rechte einer Minderheit« betreffen (vgl. BGH, Urteil vom 24.11.2008 - II ZR 116/08) von der Mitwirkung ausgeschlossen hätte, den Voraussetzungen einer Zurechnung von Einkünften bei dem Quotennießbraucher genügt hätte.
4. Vorgehende Entscheidungen: BFH, Beschluß vom 5. November 2017, IX B 29/17, und FG Düsseldorf, Urteil vom 25. Januar 2017 - 10 K 2944/15-

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Familiensteuerrecht; Erbschaftsteuer; Bewertung eines Betriebes der Land- und Forstwirtschaft für Zwecke der Erbschaftsteuer.
BewG §§ 20, 157, 158, 160, 162, 165, 166, 198; GG Art. 3; AO § 163

1. Der bewertungsrechtliche Begriff »Betrieb der Land- und Forstwirtschaft« ist tätigkeitsbezogen. Zivilrechtliches Eigentum an Grund und Boden oder am Besatz ist unerheblich.
2. Ist für die Bewertung des Wirtschaftsteils eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes der Liquidationswert maßgebend, dann kann ausnahmsweise der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts geführt werden, wenn der festgestellte Wert das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verletzt. Dies setzt aber regelmäßig voraus, daß der von dem Finanzamt festgestellte Wert den nachgewiesenen niedrigeren gemeinen Wert um 40% oder mehr übersteigt.

BFH, Urteil vom 16. November 2022 - II R 39/20 - FG Mecklenburg-Vorpommern [3 K 369/17]
BFHE 279, 201 = BFH/NV 2023, 409 = HFR 2023, 420 = DStR 2023, 398 = ZEV 2023, 252 = RdL 2023, 109 = DStRK 2023, 137 = Abkürzung Fundstelle EStB 2023, 145 = FamRZ 2023, 736 [Ls] = BB 2023, 471 [Ls] = StE 2023, 137 [Ls] = DStRE 2023, 317 [Ls] = StuB 2023, 279 [Ls] = BFH/PR 2023, 163 [Ls]

Hinweise
1. Allerdings kann nach den Grundsätzen der Betriebsverpachtung im Ganzen auch bei einem Verpächter ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb als ruhender Betrieb fortbestehen.
2. Im Rahmen der Bewertung des Wirtschaftsteils eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes mit dem Fortführungswert ist gemäß § 165 Abs. 3 Hs. 2 BewG auch dann der Liquidationswert nach § 166 BewG als absolute Untergrenze anzusetzen, wenn der Steuerpflichtige einen niedrigeren gemeinen Wert nachweist.
3. Auch wenn bei der Bewertung von wirtschaftlichen Einheiten des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens die Regelung des § 163 AO bezüglich abweichender Wertfestsetzungen aus Billigkeitsgründen nicht ausgeschlossen ist (in § 157 Abs. 2 BewG fehlt ein Verweis auf § 20 S. 2 BewG), ist an der verfassungskonformen Auslegung festzuhalten (in dem Streitfall überstieg der festgestellte Wert den angegebenen Veräußerungspreis aber lediglich um 21,7%).

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Erbrecht; Erbschaftsteuerrecht; beschränkte Erbschaftsteuerpflicht bei Erwerb durch Vermächtnis; Vermächtnis an einem inländischen Grundstück.
BGB §§ 1939, 2147; BewG § 121; ErbStG §§ 1, 2, 3

Das Vermächtnis an einem inländischen Grundstück unterliegt nicht der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht.

BFH, Urteil vom 23. November 2022 - II R 37/19 - FG München [4 K 174/16]
BFHE 279, 209 = HFR 2023, 345 = FamRZ 2023, 733 = NJW 2023, 1534 = NZFam 2023, 768 = DStR 2023, 443 = DB 2023, 562 = FR 2023, 330 = IStR 2023, 252 = GmbHR 2023, 358 = ZErb 2023, 141 = BFH/PR 2023, 641 = ZEV 2023, 327 = DStRK 2023, 125 = WPg 2023, 316 = EStB 2023, 144 = UVR 2023, 135 = BB 2023, 532 [Ls] = StE 2023, 158 [Ls] = StuB 2023, 278 [Ls] = DStRE 2023, 377 [Ls] = BFH/PR 2023, 202 [Ls]

Hinweise
1. Gegenstand des Vermögensanfalles ist nicht das anteilige inländische Grundstück, sondern vielmehr der Sachleistungsanspruch auf Verschaffung von Eigentum an diesem Grundstück.
2. Bei dem vorgenannten Anspruch handelt es sich weder um inländisches Grundvermögen im Sinne des § 121 Nr. 2 BewG, noch ist der Anspruch einer der anderen in § 121 BewG abschließend aufgezählten Kategorien zuzuordnen.
3. Eine erweiternde Auslegung des § 121 BewG auf Vermächtnisse, die auf die Übertragung inländischen Grundvermögens gerichtet sind, kommt nicht in Betracht. Wollte der Gesetzgeber auch einen Anspruch auf Übertragung von Eigentum an Grundbesitz im Inland als inländisches Grundvermögen ansehen, müßte dies in dem Wortlaut des § 121 BewG eindeutig zum Ausdruck gebracht werden.
4. Der in dem Leitsatz zum Ausdruck kommenden Auslegung von § 2 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 ErbStG in Verbindung mit § 121 Nr. 2 BewG steht das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 06.05.2021 (II R 34/18) nicht entgegen. Die Rechtsprechung, wonach der Anspruch auf Herausgabe eines Gegenstandes nach dem Steuerwert des im Wege des Vermächtnisses zugewandten Gegenstandes zu bewerten ist, betrifft nur die Bewertung des Anspruchs für Zwecke der Erbschaftsteuer.
5. Soweit dem Urteil des Bundesfinanzhofes vom 10.05.2017 (II R 53/14) in Tz. 1, 14 und 35 inzident zu entnehmen sein könnte, daß der Erwerb von inländischem Grundvermögen aufgrund eines Vermächtnisses bei nicht im Inland wohnhaften Steuerpflichtigen der beschränkten Erbschaftsteuer nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 ErbStG in Verbindung mit § 121 Nr. 2 BewG unterliegt, hält der erkennende Senat daran jedenfalls nicht mehr fest.
6. Ob das Vermächtnis in dem Streitfall nach ausländischem Erbstatut bzw. nach ausländischem Recht dingliche Wirkung entfaltet, konnte vorliegend dahingestellt bleiben.

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Familiensteuerrecht; Einkommensteuer; Behandlung von Pflegegeldern für die intensivpädagogische Betreuung von Jugendlichen in einer Einrichtung im Sinne § 34 SGB VIII.
EStG §§ 3, 8, 18; SGB VIII §§ 33, 34, 35, 78a, 78b, 78c

Pflegegelder, die für die intensivpädagogische Betreuung mehrerer Jugendlicher in einer Einrichtung im Sinne des § 34 SGB VIII gezahlt werden, sind keine steuerfreien Beihilfen zu der unmittelbaren Förderung der Erziehung.

BFH, Urteil vom 30. November 2022 - VIII R 13/19 - FG Baden-Württemberg [11 K 3207/17]
BFHE 278, 563 = BFH/NV 2023, 441 = NZFam 2023, 527 = DStRE 2023, 395 = StBp 2023, 173 = FamRZ 2023, 564 [Ls] = BB 2023, 406 [Ls] = StE 2023, 121 [Ls] = BFH/PR 2023, 135 [Ls] = StuB 2023, 355 [Ls] = EStB 2023, 178 [Ls]

Hinweise
1. Die von der Rechtsprechung und von der Finanzverwaltung im Zusammenhang mit einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII angewandte Vermutungsregel, daß eine erwerbsmäßige Betreuung nicht vorliegt, wenn nicht mehr als sechs Kinder gleichzeitig in den Haushalt der Pflegeperson aufgenommen und betreut werden, greift in den Fällen der intensivpädagogischen Betreuung mehrerer Jugendlicher, die unbefristet in den Haushalt der Betreuungsperson aufgenommen werden, nicht.
2. Von einer Betreuung der Kinder und Jugendlichen im Sinne einer Einrichtung des § 34 SGB VIII kann nach den Umständen des Einzelfalles in sog. Mischfällen auch bei familienähnlicher Betreuung in dem Haushalt der Betreuungsperson auszugehen sein.

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Familiensteuerrecht; Einkommensteuer; Bildung einer Pensionsrückstellung nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG bei Pensionszusage unter Vorbehalt.
BGB § 315; EStG § 6a; BetrAVG §§ 1, 1a; FGO §§ 40, 48

Enthält eine Pensionszusage einen Vorbehalt, demzufolge die Pensionsanwartschaft oder Pensionsleistung gemindert oder entzogen werden kann, dann ist die Bildung einer Pensionsrückstellung steuerrechtlich nur zulässig, wenn der Vorbehalt positiv, also ausdrücklich, einen nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten, eng begrenzten Tatbestand normiert, der nur ausnahmsweise eine Minderung oder einen Entzug der Pensionsanwartschaft oder Pensionsleistung gestattet.

BFH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - IV R 21/19 - FG Düsseldorf [15 K 736/16]
BFHE 279, 111 = BStBl II 2023, 474 = HFR 2023, 427 = DStR 2023, 559 = DB 2023, 741 = ZIP 2023, 803 = BFH/PR 2023, 587 = BetrAV 2023, 225 = FR 2023, 406 = GmbHR 2023, 811 = AuA 2023, Nr. 8, 48 = WPg 2023, 477 = ArbR 2023, 182 = NWB 2023, 812 = DStZ 2023, 320 = NZA 2023, 554 = FamRZ 2023, 683 [Ls] = StE 2023, 182 [Ls] = StuB 2023, 313 [Ls] = DStRE 2023, 442 [Ls] = BFH/PR 2023, 213 [Ls]

Hinweise
1. Wenn der Gesetzgeber unterstellt (hier: bei der Regelung des § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG), daß ein Vorbehalt, der nach seinem Wortlaut die Minderung oder den Entzug der Pensionsanwartschaft oder der Pensionsleistung in das Belieben des Arbeitgebers stellt, steuerschädlich ist, liegt dem eine zulässige Typisierung zugrunde, um das Steuerverfahren von arbeitsrechtlich schwierigen bzw. ungeklärten Fragen freizuhalten.
2. Allein der Hinweis in der Versorgungsordnung für eine Pensionszusage, daß bei einer (insofern einseitig möglichen) Ersetzung der dort angegebenen Transformationstabelle oder des genannten Zinssatzes durch den Arbeitgeber das in § 1 Abs. 2 Nr. 3 BetrAVG normierte Gebot der Wertgleichheit zu beachten sei, steht einer finanzgerichtlichen Würdigung nicht entgegen, der Arbeitgeber habe sich die Änderung der Pensionszusage nach freiem Ermessen vorbehalten.
3. In dem Streitfall konnte offenbleiben, inwieweit die schädliche Formulierung der Pensionszusage aus Sicht der maßgeblichen Bilanzstichtage jeweils nur künftige Entgeltumwandlungen betraf und damit nur die Bildung einer weitergehenden Pensionsrückstellung mit Unsicherheit belastet war (hier: das Finanzamt hatte eine teilweise Bildung von Pensionsrückstellungen in den Streitjahren zugelassen).
4. War die Alleinkomplementärin bei einer GmbH & Co. KG nicht an deren Gesamthandsgewinn und -verlust beteiligt, so ist nach einer formwechselnden Umwandlung der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft als Vollbeendigung der Personengesellschaft ohne Abwicklung die Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Komplementärin auch dann nicht klagebefugt im Sinne des § 40 Abs. 2 FGO, wenn die ehemalige Komplementärin anlässlich des Formwechsels auf ihre Rechtsnachfolgerin verschmolzen worden war. Insofern ist die Rechtsnachfolgerin der Komplementärin auch nicht bei einem Rechtsstreit über den Gesamthandsgewinn der ehemaligen GmbH & Co. KG nach § 60 Abs. 3 FGO notwendig beizuladen.
5. Teilweise Parallelentscheidung: BFH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - IV R 22/19 - BFH/PR 2023, 571.

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