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BGB § 1603 - Leistungsfähigkeit - FD-Logo-500

BGB § 1603 - Leistungsfähigkeit



BGB § 1603 - Leistungsfähigkeit

(1) Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren.
(2) Befinden sich Eltern in dieser Lage, so sind sie ihren minderjährigen Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Den minderjährigen Kindern stehen volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gleich, solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden. Diese Verpflichtung tritt nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch nicht ein gegenüber einem Kind, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens bestritten werden kann.





 



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Minderjährigenunterhalt; gesteigerte Erwerbsobliegenheit des an einer Umschulung teilnehmenden barunterhaltspflichtigen Elternteils.

1. Der gesteigert unterhaltspflichtige Elternteil muss grundsätzlich auf eigene Aus- und Fortbildungswünsche verzichten, vor allem dann, wenn er bereits über eine Berufsausbildung verfügt, und ihm die Erwerbsmöglichkeiten in dem erlernten Beruf, wenn auch möglicherweise nach einem zumutbaren Ortswechsel, eine ausreichende Lebensgrundlage bieten: Dann muss er in der Regel die angestrebte zusätzliche Ausbildung so lange verschieben, bis das Kind nicht mehr unterhaltsbedürftig ist.
2. Hat der Unterhaltsschuldner mit dem betreuenden Elternteil im Hinblick auf dessen weitaus höheres Einkommen eine Freistellungsvereinbarung getroffen, ist er jedoch auch im Rahmen seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit nicht gehalten, eine bereits (hier: ein Jahr zuvor) begonnene - durch das Arbeitsamt geförderte - Umschulung zu beenden, sobald er erstmals mit einem Unterhaltsverlangen (hier: einem Unterhaltsvorschussbegehren und dem Anspruchsübergang nach § 7 UVG) konfrontiert wird; vielmehr darf er die Umschulung ausnahmsweise - auch nach unterhaltsrechtlichen Maßstäben - beenden (hier: ein Jahr später).
3. Verfügt der betreuende Elternteil etwa über das Dreifache der unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils, nähert sich die Einkommensdifferenz einer Grenze, an der es unter gewöhnlichen Umständen der Billigkeit entsprechen kann, den betreuenden Elternteil auch den Barunterhalt für das Kind in voller Höhe aufbringen zu lassen, so dass auch der betreuende Elternteil als anderer unterhaltspflichtiger Verwandter im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB in Betracht kommt.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 6. Januar 2020 - 15 UF 105/19

Anmerkungen

Das AmtsG hatte den von der Antragstellerin an den Antragsgegner als Träger des Unterhaltsvorschusses zu zahlenden Kindesunterhalt festgesetzt, und sodann den Ausgangsbeschluss dahin abgeändert, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner keinen Kindesunterhalt schulde. Mit seiner Beschwerde hat der Antragsgegner unter anderem geltend gemacht, die Antragstellerin sei im Hinblick auf ihre gesteigerte Erwerbsobliegenheit zu der Zahlung von Kindesunterhalt verpflichtet, und könne sich nicht mit Erfolg auf ein deutlich höheres Einkommen des Vaters des Kindes berufen. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Zwar könne die Antragstellerin die unstreitige Freistellungsvereinbarung mit dem Vater des Kindes dem Antragsgegner im Grundsatz nicht entgegenhalten, auch wenn der Vater eigentlich gar nicht berechtigt gewesen sei, Unterhaltsvorschuss zu beantragen, doch beziehe sich diese fehlende Antragsberechtigung allein auf das Verhältnis zwischen den Eltern: Dem UVG lasse sich kein Ausschluss des Anspruch für den Fall einer solchen Freistellungsvereinbarung zwischen den Eltern entnehmen. Entsprechend hatte der Antragsgegner Unterhaltsvorschuss zu leisten, und konnte von dem Vater Leistungen nicht zurückfordern. Könnte die Antragstellerin im Hinblick auf den Anspruchsübergang nach § 7 UVG von dem Land erfolgreich auf Unterhaltszahlungen in Anspruch genommen werden, müsste sie im Hinblick auf die Freistellungsvereinbarung ihrerseits Ersatz von dem Vater des Kindes verlangen.

Dennoch sei die Freistellungsvereinbarung vorliegend nicht unbeachtlich; vielmehr habe sie Auswirkungen auf die gesteigerte Erwerbsobliegenheit, welche die Antragstellerin grundsätzlich nach § 1603 Abs. 2 BGB trifft.

» Der gesteigert unterhaltspflichtige Elternteil muss grundsätzlich auf eigene Aus- und Fortbildungswünsche verzichten, vor allem dann, wenn der Unterhaltspflichtige bereits über eine Berufsausbildung verfügt, und ihm die Erwerbsmöglichkeiten in dem erlernten Beruf, wenn auch möglicherweise nach einem zumutbaren Ortswechsel, eine ausreichende Lebensgrundlage bieten: Dann muss er in der Regel die angestrebte zusätzliche Ausbildung so lange verschieben, bis die Kinder nicht mehr unterhaltsbedürftig sind. Kinder müssen zwar eine Weiterbildung des Unterhaltspflichtigen hinnehmen, wenn ihr Existenzminimum, das ist der Mindestunterhalt, gesichert ist. Ist der Elternteil jedoch nicht in der Lage, den Mindestunterhalt zu zahlen, muss er insbesondere auch auf eine Umschulung verzichten, und stattdessen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, welche den Mindestunterhalt des Kindes sichert (OLG Brandenburg FuR 2004, 38). «

Diese strengen Grundsätze seien vorliegend jedoch nicht anzuwenden. Wenn der Vater Unterhaltsvorschuss erst ein Jahr nach der Freistellungsvereinbarung beantragt habe, und die Antragstellerin somit erst dann mit der Unterhaltsforderung konfrontiert worden sei, habe sie auch im Rahmen der gesteigerten Erwerbsobliegenheit die bereits ein Jahr zuvor begonnene, von dem Arbeitsamt geförderte Umschulung nicht beenden müssen, sondern diese unterhaltsrechtlich unschädlich noch bis zu dem Abschluss ein Jahr später weiter absolvieren dürfen.

Eine Unterhaltspflicht der Antragstellerin entfalle auch mit Rücksicht auf das deutlich höhere Einkommen des Vaters des Kindes.

» Im Hinblick auf § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB kommt auch der betreuende Elternteil als anderer unterhaltspflichtiger Verwandter in Betracht, wenn dieser in der Lage ist, unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen neben der Betreuung des Kindes auch dessen Barunterhalt ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Selbstbehalts aufzubringen. Um die Regel der Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB) dabei nicht ins Leere laufen zu lassen, setzt die anteilige oder vollständige Haftung des betreuenden Elternteils für den Barunterhalt des minderjährigen Kindes zusätzlich voraus, dass ohne die Beteiligung des betreuenden Elternteils an dem Barunterhalt ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstehen würde (BGH FamRZ 2013, 1558 = FuR 2013, 653).

Nach diesen Maßstäben kann die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils entfallen oder sich ermässigen, wenn er zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung seines eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage wäre. Kann der barunterhaltspflichtige Elternteil demgegenüber auch bei Zahlung des vollen Kindesunterhalts seinen angemessenen Selbstbehalt noch verteidigen, wird eine vollständige oder anteilige Haftung des betreuenden Elternteils für die Aufbringung des Barunterhalts nur in wenigen, besonderen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Wenn der betreuende Elternteil etwa über das Dreifache der unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils verfügt, nähert sich die Einkommensdifferenz einer Grenze, an der es unter gewöhnlichen Umständen der Billigkeit entsprechen kann, den betreuenden Elternteil auch den Barunterhalt für das Kind in voller Höhe aufbringen zu lassen (BGH aaO). «

Das tatsächliche Einkommen des Vaters betrage rund das Dreifache des in diesem Zusammenhang allein massgeblichen tatsächlichen Einkommens der Antragstellerin, die nur rund 838 € zur Verfügung habe.


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Kindesunterhalt; Umgangskosten des Unterhaltsschuldners unter Berücksichtigung gesteigerter Erwerbsobliegenheit.

1. Der Unterhaltsschuldner hat Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts so konkret darzustellen, dass zumindest eine Schätzung gemäss § 287 ZPO möglich ist. Allerdings sind solche Kosten nur dann zu berücksichtigen, wenn der Umgang ausübende Elternteil sie nicht aus einem ihm verbleibenden Kindergeldanteil decken kann; er muss alle Möglichkeiten nutzen, um die Umgangskosten so niedrig wie möglich zu halten
2. Reicht das Einkommen berufstätigen Unterhaltsschuldners zur Erfüllung der Unterhaltspflichten nicht aus, dann trifft ihn eine gesteigerte Obliegenheit, einträgliche Erwerbstätigkeiten auszuüben; insoweit kann ihm regelmässig auch eine Tätigkeit über 40 Wochenarbeitsstunden hinaus bis zu 48 Stunden einschliesslich Nebentätigkeiten zugemutet werden.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 10. Januar 2020 - 13 UF 184/19

Anmerkungen

Der im Jahre 2015 geborene, in dem Haushalt seines Vaters lebende Antragsteller nimmt seine Mutter, die Antragsgegnerin, auf Zahlung von Mindestunterhalt in Anspruch. Die Mutter geht einer teilschichtigen Erwerbstätigkeit als zahnmedizinische Fachangestellte an drei Tagen im Umfang von 18 Wochenstunden nach; sie lebt und arbeitet in Baden-Württemberg. Von dort reist sie am letzten Freitag im Monat an, und nimmt ab 10 Uhr bis zu dem darauffolgenden Mittwoch 17 Uhr Umgang mit dem Kind wahr, beginnend und endend an dem Wohnort des Vaters. Das AmtsG hat die Antragsgegnerin antragsgemäss unter Zurechnung fiktiver Erwerbseinkünfte und ohne Berücksichtigung von Umgangskosten zur Zahlung von laufendem und rückständigem Mindestunterhalt verpflichtet; die Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts seien von der Mutter unzureichend dargelegt worden. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin hatte keinen Erfolg.

Mit Blick auf ihre verschärfte Erwerbsobliegenheit (§ 1603 Abs. 2 BGB) sei der Antragsgegnerin ein fiktives Erwerbseinkommen zuzurechnen. Nach Maßgabe von §§ 3, 9 Abs. 1 ArbZG sei von der Mutter eine Nebentätigkeit bis zu einer Gesamtarbeitszeit von bis zu 48 Wochenstunden zu erwarten. Mit Blick auf den zusammenhängenden 6-tägigen Umgang einmal im Monat - davon zwei Tage am Wochenende - sei der Antragsgegnerin eine regelmässige Arbeitszeit von 80% einer vollen Stelle (= 32 Wochenstunden) abzuverlangen. Aufgrund ihrer besonderen Qualifikation auf dem Gebiet der Zahnreinigung/Oralhygiene sei die Antragsgegnerin in der Lage, mit einer solchen Erwerbstätigkeit ein Bruttogehalt von monatlich rund 2.055 € zu erzielen. Bei Steuerklasse I und nach Abzug einer - auch im Rahmen einer fiktiven Einkommenszurechnung anzusetzenden - Pauschale von 5% für berufsbedingte Aufwendungen errechne sich daraus ein bereinigtes monatliches Nettoeinkommen von rund 1.376 €. Darüber hinaus sei der Mutter an den drei umgangsfreien Wochenenden eine Nebentätigkeit im arbeitsrechtlich zulässigen Umfang von 24 Stunden im Monat zuzurechnen; insoweit seien im Rahmen einer Geringverdienerbeschäftigung unter Geltung des Mindestlohnes bereinigte Nebeneinkünfte von rund 213 € monatlich erzielbar. Nach Abzug des notwendigen Selbstbehalts könne die Antragsgegnerin den Mindestunterhalt für ein Kind der ersten Altersstufe aufbringen.

Umgangskosten seien weder ganz noch teilweise abzugsfähig, denn die Antragsgegnerin habe hierzu nicht hinreichend konkret vorgetragen. Das aber sei unverzichtbar, da sie den Einwand erhoben habe, dass die für die Ausübung ihrer Umgangskontakte vorrangig zu verwendende Kindergeldhälfte zu der Deckung der Kosten ihres Umgangs mit dem Kind nicht ausreichend sei. Zumindest zu der Grössenordnung der tatsächlich zu tragenden Umgangskosten müsse erwiderungsfähig vorgetragen werden, damit zumindest eine Schätzung gemäss § 267 ZPO möglich sei. Dem genüge der zu pauschale Sachvortrag der Mutter nicht.

Hinweis
Das OLG hat an die von dem BGH entwickelten Grundsätze angeknüpft: Grundsätzlich hat der Umgangsberechtigte die üblichen Kosten, die ihm bei der Ausübung seines Umgangsrechts entstehen, wie Fahrt-, Übernachtungs-, Verpflegungskosten und ähnliches selbst zu tragen; er kann sie weder unmittelbar im Wege einer Erstattung, noch mittelbar im Wege einer Einkommensminderung geltend machen. Das gilt grundsätzlich sowohl gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind, als auch gegenüber dem unterhaltsberechtigten Ehegatten, denn die Wahrnehmung des persönlichen Kontakts mit dem Kind ist unmittelbar Ausfluss seiner elterlichen Verantwortung gemäss §§ 1618a, 1626, 1631 BGB und seines höchstpersönlichen Rechts aus § 1684 BGB. Die dabei anfallenden Belastungen sind Kosten, die er im eigenen und im Interesse des Kindes grundsätzlich selbst aufzubringen hat; zur Entlastung dienen dabei staatliche Vergünstigungen wie das Kindergeld, das ihm im Verhältnis zu dem anderen betreuenden Elternteil hälftig zusteht. Der Umgangsberechtigte muss diese Kindergeldhälfte zu der Finanzierung seines Umgangs mit dem Kind einsetzen (so bereits BGH FamRZ 1995, 215).

Natürlich gilt die Grundregel, dass der Umgangsberechtigte alle Möglichkeiten nutzen muss, um die Umgangskosten so niedrig wie möglich zu halten. Lebt das Kind etwa an einem weit entfernten Ort, so ist der umgangsberechtigte Elternteil gegebenenfalls auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu verweisen, oder auf eine Einschränkung der Häufigkeit des Umgangs bei gleichzeitiger Verlängerung der einzelnen Besuche. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang und im Hinblick auf die Angemessenheit der Umgangskosten in erster Linie das Wohl des betroffenen Kindes.

Reicht die dem umgangsberechtigten Elternteil zustehende Kindergeldhälfte zu der Deckung der Umgangskosten nicht aus, so kann einer Gefährdung der Ausübung des im Kindeswohlinteresse bestehenden Umgangsrechts nur entgegengesteuert werden, wenn auf Seiten des Unterhaltspflichtigen die hierzu regelmässig benötigten relevanten Aufwendungen berücksichtigt werden: Nach der Rechtsprechung des BGH können die Umgangskosten dann entweder zu einer maßvollen Erhöhung des Selbstbehalts oder zu einer entsprechenden Minderung des unterhaltsrelevanten Einkommens führen; rechnerisch führt das zum gleichen Ergebnis. Der Unterhaltspflichtige trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die von ihm tatsächlich zu tragenden Umgangskosten und ihre Berücksichtigungsfähigkeit.


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Anspruch eines minderjährigen Kindes auf ungekürzten Mindestunterhalt; einkommensmindernde Abzüge beim Kindesunterhalt.

1. Die Höchstgrenze von 48 Stunden wöchentlich nach dem Arbeitszeitgesetz stellt aufgrund der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern die Obergrenze der zumutbaren Erwerbstätigkeit dar.
2. Beiträge für eine Hausratsversicherung und eine private Haftpflichtversicherung sowie Raten auf rückständige Rundfunkbeiträge können nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden: Diese Aufwendungen gehören zum allgemeinen Lebensbedarf, und sind aus dem Selbstbehalt zu bestreiten.
3. Verbindlichkeiten können die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten mindern. Es sind allerdings nicht alle Schulden zu berücksichtigen, sondern die Interessen der Beteiligten sind gegeneinander abzuwägen.
4. Das Interesse eines minderjährigen Kindes, den Mindestunterhalt ungekürzt zu erhalten, wiegt jedenfalls dann höher als das Interesse des Vaters an einer zeitnahen Tilgung seiner Kostenschulden, wenn es ihm unschwer möglich ist, eine Reduzierung der monatlich von ihm zu zahlenden Raten zu erwirken, und ihm hierfür ein Betrag oberhalb seines Selbstbehalts zur Verfügung steht.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 12. Februar 2020 - 9 WF 243/19

Anmerkungen

Das AmtsG hat den Antrag des Antragsgegners auf Bewilligung von VKH zurückgewiesen: Die Rechtsverteidigung biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 113 Abs. 1 FamFG, § 114 Abs. 1 ZPO); der Antragsgegner sei zu der Zahlung von Mindestunterhalt nicht eingeschränkt leistungsfähig.

Der Antragsgegner habe bereits seine Arbeitskraft nicht voll ausgeschöpft: Ausweislich der vorliegenden Lohnabrechnungen habe er durchschnittlich 158,7 Stunden im Monat gearbeitet. Dies entspreche schon nicht einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit, die regelmässig 40 Stunden in der Woche bzw. monatlich 173 Stunden beinhaltet; erst recht werde die Höchstgrenze nach dem Arbeitszeitgesetz von 48 Stunden wöchentlich nicht erreicht, die bei gesteigerter Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern die Obergrenze der zumutbaren Erwerbstätigkeit bildet (BGH FamRZ 2009, 314 = FuR 2009, 162; BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 = FuR 2011, 458).

Berufsbedingte Aufwendungen von pauschal 5% seien nicht abzuziehen: Der Antragsgegner habe schon nicht dargetan, dass ihm überhaupt berufsbedingte Aufwendungen entstanden sind; dies aber sei Voraussetzung für einen Abzug.

Ebenso wenig seien Beiträge für eine Hausratsversicherung und eine private Haftpflichtversicherung einkommensmindernd zu berücksichtigen: Diese Aufwendungen gehörten zum allgemeinen Lebensbedarf, und seien aus dem Selbstbehalt zu bestreiten. Gleiches gelte für Rundfunkbeiträge als nicht absetzbare allgemeine Lebenshaltungskosten.

Auch die Raten von monatlich 50 € für rückständige Kosten aus einem abgeschlossenen Insolvenzverfahren könnten nicht berücksichtigt werden. Verbindlichkeiten können zwar die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten mindern (§ 1603 Abs. 1 BGB); allerdings seien nicht alle Schulden zu berücksichtigten, sondern die Interessen der Beteiligten müssten gegeneinander abgewogen werden (OLG Brandenburg NZFam 2018, 224). Hier führe diese Abwägung dazu, dass das Interesse der Antragstellerin, den Mindestunterhalt ungekürzt zu erhalten, höher wiege als das Interesse des Antragsgegners an einer zeitnahen Tilgung seiner Kostenschulden. Es dürfte unschwer möglich sein, eine Reduzierung der Rate bei dem Insolvenzgericht zu erwirken; abgesehen davon verblieben dem Antragsgegner nach Abzug des Mindestunterhalts noch ca. 32 € über dem notwendigen Selbstbehalt, die er für die Begleichung der Kostenschuld einsetzen könne.


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Mindestunterhalt für minderjährige Kinder; Leistungsfähigkeit und Erwerbsobliegenheit.

1. Der Unterhaltsschuldner trägt für die die Zahlung des Mindestunterhalts für Kinder betreffende teilweise oder vollständige Leistungsunfähigkeit die volle Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Tatsachen, die die reklamierte (teilweise) Leistungsunfähigkeit begründen sollen; er hat insoweit umfassend und fortlaufend vorzutragen.
2. Reichen die tatsächlichen Einkünfte nicht aus, so trifft den Unterhaltsschuldner unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, die ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen, und eine ihm mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Kommt er dieser Erwerbsobliegenheit nicht nach, muss er sich so behandeln lassen, als ob er ein Einkommen, das er bei gutem Willen erzielen könnte, auch tatsächlich erzielt.
3. Diese Erwerbsobliegenheit ist regelmässig nochmals gesteigert, wenn der Mindestunterhalt eines minderjährigen Kindes in Frage steht: Sie kann dann auch einen möglichen Berufswechsel oder die Ausübung von Nebentätigkeiten neben einer vollschichtigen Tätigkeit umfassen. Die umfassende Darlegungs- und Beweislast bezieht sich dann auch auf die Behauptungen des Fehlens einer realen Beschäftigungschance und der Unzumutbarkeit einer Nebentätigkeit.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 5. März 2020 - 9 UF 249/19


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Umfang der Erwerbsobliegenheit des zum Kindesunterhalt verpflichteten Elternteils; Veränderung der Rollenwahl.

1. Für die Feststellung, dass für einen Unterhaltsschuldner keine reale Beschäftigungschance bestehe, sind - insbesondere in dem Bereich der gesteigerten Unterhaltspflicht - strenge Maßstäbe anzulegen. Für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter kann auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit regelmässig kein Erfahrungssatz dahin gebildet werden, dass sie nicht in der Lage sind, eine vollschichtige Tätigkeit zu finden; dies gilt selbst für ungelernte Kräfte oder für Ausländer mit eingeschränkten deutschen Sprachkenntnissen.
2. Die Übernahme der Betreuung eines weiteren Kindes und die sich daraus ergebende Minderung der Erwerbseinkünfte können unterhaltsrechtlich nur insoweit akzeptiert werden, als wirtschaftliche Gesichtspunkte oder sonstige Gründe von gleichem Gewicht, die einen erkennbaren Vorteil für die neue Familie mit sich bringen, im Einzelfall eine solche Rollenwahl innerhalb der neuen Familie rechtfertigen.
3. Kinder aus einer früheren Verbindung müssen eine Einbusse ihrer Unterhaltsansprüche nur dann hinnehmen, wenn das Interesse des Unterhaltspflichtigen und seiner neuen Familie an der Aufgabenverteilung ihr eigenes Interesse an der Beibehaltung ihrer bisherigen Unterhaltssicherung deutlich überwiegt.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 10. März 2020 - 15 WF 35/20

Anmerkungen

Das AmtsG hatte dem 35-jährigen Antragsgegner, der zuvor als Kraftfahrer gearbeitet hatte, insbesondere unter Berücksichtigung seines Alters, aber auch seiner Erwerbsbiografie angesonnen, selbst bei einer Tätigkeit, deren Ausübung keinen Berufsabschluss voraussetzt, ein monatliches Nettoeinkommen zu erzielen, welches - auch unter Beachtung seines notwendigen Selbstbehalts und des Unterhaltsbedarfs seines weiteren Kindes - genügt, um die geltend gemachten Unterhaltsbeträge zu zahlen.

» Nach § 1603 Abs. 1 BGB ist nur derjenige nicht unterhaltspflichtig, der bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ausserstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Eltern, die sich in dieser Lage befinden, sind gemäss § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmässig zu verwenden (sog. gesteigerte Unterhaltspflicht). Daraus folgt auch die Verpflichtung des barunterhaltspflichtigen Elternteils zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nicht nur die tatsächlichen, sondern auch erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden (BGH FamRZ 2009, 314 = FuR 2009, 162; 2011, 1041 = FuR 2011, 458; 2013, 1378 = FuR 2013, 651; 2014, 637 = FuR 2014, 289). Die Darlegungs- und Beweislast für seine mangelnde Leistungsfähigkeit und damit auch für die Ausschöpfung aller zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten liegt bei dem Unterhaltspflichtigen (vgl. BVerfG FamRZ 2008, 1145; BGH FamRZ 2008, 2104 = FuR 2008, 597; 2012, 517 = FuR 2012, 257). «

Der Antragsgegner habe nicht dargetan, dass er sich seit dem Eintritt seiner Barunterhaltspflicht um die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bemüht habe, deren Vergütung ihn in die Lage versetzt hätte, für den Unterhalt des minderjährigen Antragstellers aufzukommen. Zu Recht habe das AmtsG für die Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit nicht die tatsächlich erzielten Einkünfte, sondern die bei gehörigem Einsatz seiner Arbeitskraft erzielbaren Erwerbseinkünfte zugrunde gelegt.

Soweit sich der Antragsgegner auf mangelhafte Kenntnisse der deutschen Sprache und eine vermeintlich eingeschränkte Erwerbsmöglichkeit als Kraftfahrer berufe, stehe dies der Berücksichtigung fiktiver Einkünfte nicht entgegen.

» Für die Feststellung, dass für einen Unterhaltsschuldner keine reale Beschäftigungschance bestehe, sind - insbesondere in dem Bereich der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB - strenge Maßstäbe anzulegen. Für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter wird auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit regelmässig kein Erfahrungssatz dahin gebildet werden können, dass sie nicht in der Lage sind, eine vollschichtige Tätigkeit zu finden. Dies gilt selbst für ungelernte Kräfte oder für Ausländer mit eingeschränkten deutschen Sprachkenntnissen (BGH FamRZ 2014, 637 = FuR 2014, 289). «

Der diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegner habe nicht dargelegt, sich um eine Tätigkeit bemüht zu haben, die ihn in die Lage versetzt, dem Antragsteller wenigstens den Mindestunterhalt abzüglich des hierauf anzurechnenden Kindergeldanteils zu zahlen. Es genüge nicht, die Vermittlungs- und Qualifikationsangebote des Jobcenters zu nutzen; vielmehr sei eine intensive Eigeninitiative zu erwarten (BGH FamRZ 2014, 637 = FuR 2014, 289; Born, NZFam 2014, 252; Viefhues, FuR 2015, 66). Vor dem Hintergrund seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit sei es unterhaltsrechtlich auch nicht zu billigen, dass der Antragsgegner die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Hinblick auf die ihm von dem Jobcenter angebotenen Qualifizierungsmaßnahme und einen Deutschkurs an der Volkshochschule zurückgestellt habe (BGHZ 189, 284 = FamRZ 2011, 1041 = FuR 2011, 458).

Ebenso wenig könne sich der Antragsgegner darauf berufen, wegen der Mitbetreuung des aus seiner Ehe hervorgegangenen weiteren Kindes an einer Erwerbstätigkeit gehindert zu sein. Da das von ihm und seiner Ehefrau betreute Kind und der Antragsteller gemäss § 1609 S. 1 Nr. 1 BGB unterhaltsrechtlich gleichrangig seien, dürfe sich der Antragsgegner nicht ohne Weiteres auf dessen Betreuung beschränken (BGH FamRZ 2006, 1827 = FuR 2007, 19). Insofern gelte nichts anderes als für die Erwerbsobliegenheit eines barunterhaltspflichtigen Elternteils, der nach der Trennung der Eltern ein Geschwisterkind betreut.

» Die Übernahme der Betreuung eines weiteren Kindes und die sich daraus ergebende Minderung der Erwerbseinkünfte können unterhaltsrechtlich nur insoweit akzeptiert werden, als wirtschaftliche Gesichtspunkte oder sonstige Gründe von gleichem Gewicht, die einen erkennbaren Vorteil für die neue Familie mit sich bringen, im Einzelfall eine solche Rollenwahl innerhalb der neuen Familie rechtfertigen. Allerdings kann die Möglichkeit, eine Erhöhung des wirtschaftlichen Lebensstandards und eine Verbesserung der eigenen Lebensqualität zu erreichen, dann nicht mehr ohne Weiteres als Rechtfertigung dienen, wenn sie gleichzeitig dazu führt, dass sich der Unterhaltspflichtige gegenüber dem Berechtigten auf seine damit einhergehende Leistungsunfähigkeit berufen und damit dessen Lebensstandard verschlechtern kann. Kinder aus einer früheren Verbindung müssen eine Einbusse ihrer Unterhaltsansprüche also nur dann hinnehmen, wenn das Interesse des Unterhaltspflichtigen und seiner neuen Familie an der Aufgabenverteilung ihr eigenes Interesse an der Beibehaltung ihrer bisherigen Unterhaltssicherung deutlich überwiegt (BGH FamRZ 2015, 738 = FuR 2015, 477). Davon kann in solchen Fällen auszugehen sein, in denen die Aufgabenverteilung, die eine eingeschränkte Erwerbstätigkeit des Pflichtigen beinhaltet, zu einer wesentlich günstigeren Einkommenssituation der neuen Familie führt, als sie der Unterhaltspflichtige bei eigener Erwerbstätigkeit selbst erzielen könnte. «

Der insoweit darlegungspflichtige Antragsgegner habe hierzu nichts vorgetragen. Da seine Ehefrau selbst bei seiner Mitbetreuung des aus der Ehe hervorgegangenen Kindes ein monatliches Einkommen von 450 € erziele, sei eine Beschränkung seiner Erwerbstätigkeit zugunsten der Mitbetreuung des weiteren Kindes im Hinblick auf die Einkommenssituation der neuen Familie unterhaltsrechtlich nicht gerechtfertigt.


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Kindesunterhalt; Umfang der Verpflichtung zu einer Erwerbstätigkeit während des Bezuges von Elterngeld.

1. Es besteht keine Verpflichtung zu der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit während des Elterngeldbezuges; dies gilt auch in Bezug auf eine Nebenerwerbstätigkeit.
2. Zwar entfällt grundsätzlich die Pflicht des Unterhaltsschuldners zu der Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht ohne weiteres durch die Wiederverheiratung und durch die Übernahme von Haushaltsführung und Kinderbetreuung, da diese Rollenwahl nur der neuen Familie und nicht dem Unterhaltsberechtigten zugute kommt; indes ist die Wahl, den gesetzlichen Anspruch auf Elternzeit wahrzunehmen und Elterngeld zu beziehen, dann unterhaltsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich der Familienunterhalt der neuen Familie dadurch wesentlich günstiger gestaltet, als bei umgekehrter Rollenverteilung. Dies gilt ebenfalls dann, wenn der Unterhaltsschuldner seine Elternzeit verdoppelt.

OLG Koblenz, Beschluß vom 14. April 2020 - 13 WF 165/20

Anmerkungen

Die Beteiligten streiten um die Abänderung einer Jugendamtsurkunde bezüglich Kindesunterhalts.

Der Antragsteller ist der Vater der im Jahre 2012 geborenen Antragsgegnerin, die in dem Haushalt ihrer allein sorgeberechtigten Mutter lebt; er hatte mit einer Jugendamtsurkunde 100% des Mindestunterhalts für die Antragsgegnerin anerkannt. Nach der Geburt eines weiteren Kindes hatte er zunächst vollschichtig gearbeitet; er befindet sich jedoch nunmehr in Elternzeit, und bezieht Elterngeld plus, während seine neue Ehefrau einer vollschichtigen Tätigkeit nachgeht. Er begehrt Abänderung des Unterhaltstitels; seine Leistungsfähigkeit ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung des Elterngeldes und des Selbstbehalts für Nichterwerbstätige. Das FamG hat dem Abänderungsantrag nur teilweise entsprochen: Dem Antragsteller sei ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von rund 1.437 € zuzurechnen; dabei sei von einem Bruttoeinkommen in Höhe von 1.900 € auszugehen. Dieses sei nach Steuerklasse III zu versteuern, da der Antragsteller wegen seiner gesteigerten Unterhaltspflicht diese hätte wählen müssen. Zudem hätte er sich auch einen Kinderfreibetrag eintragen lassen müssen. Sein Selbstbehalt sei wegen der Synergieeffekte des Zusammenlebens mit seiner Ehefrau um 10% zu reduzieren.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde. Seine Elternzeit sei auch unterhaltsrechtlich anzuerkennen; allenfalls dürfe ihm Einkommen nach der Steuerklasse IV zugerechnet werden. Ein Kinderfreibetrag sei wegen der erforderlichen Zustimmung der Kindesmutter nicht zu berücksichtigen.

Die Beschwerde führte zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung, und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Familiengericht.

» Zwar entfällt grundsätzlich die Pflicht des Unterhaltsschuldners zur Aufnahme einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nicht ohne weiteres durch die Wiederverheiratung und durch die Übernahme von Haushaltsführung und Kinderbetreuung, da diese Rollenwahl nur der neuen Familie und nicht dem Unterhaltsberechtigten zugute kommt (vgl. BGH FamRZ 2006, 1010 = FuR 2006, 367 = EzFamR BGB § 1603 Nr. 50); indes ist die Wahl, den gesetzlichen Anspruch auf Elternzeit wahrzunehmen und Elterngeld zu beziehen, dann unterhaltsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich der Familienunterhalt der neuen Familie dadurch wesentlich günstiger gestaltet als bei umgekehrter Rollenverteilung (vgl. OLG Brandenburg NJW 2014, 1248; OLG Koblenz NZFam 2017, 615). Dies gilt ebenfalls dann, wenn der Unterhaltsschuldner seine Elternzeit verdoppelt, auch wenn dies mit der Halbierung des Elterngeldes und damit möglicherweise eingeschränkter Leistungsfähigkeit einhergeht, denn wenn von dem Unterhaltsschuldner in den ersten zwei Jahren ab der Geburt des Kindes keine Erwerbstätigkeit erwartet werden kann, kann ihm unterhaltsrechtlich auch nicht die Verdoppelung seiner Elternzeit vorgeworfen werden, da er andernfalls zwar über ein höheres Einkommen in der ersten Hälfte der Elternzeit verfügen würde, aber in der Folgezeit ohne Einkommen dastünde. «

Vorliegend sei die Wahl des Antragstellers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen, unterhaltsrechtlich nicht zu beanstanden.


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Kindesunterhalt; Abzugsfähigkeit von Pkw-Finanzierungskosten bei gesundheitlicher Beeinträchtigung; Herabsetzung des Selbstbehalts bei Zusammenleben mit Partnerin.

1. Pkw-Finanzierungskosten sind neben der Kilometerpauschale unterhaltsrechtlich auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn der Unterhaltspflichtige krankheitsbedingt auf die Nutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist.
2. Synergieeffekte sind grundsätzlich auch dann zu berücksichtigen, wenn das Zusammenleben mit dem Partner dem Ausgleich gesundheitlicher Einschränkungen des anderen Partners dient.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 12. Juni 2020 - 9 UF 166/19

Anmerkungen

1. Der Antragsteller hat dem minderjährigen Sohn des Antragsgegners Leistungen nach dem UVG gewährt. Er nimmt den Antragsgegner aus übergegangenem Recht auf Zahlung in Höhe von 2.322 € in Anspruch. Der Antragsgegner hält sich nur begrenzt für leistungsfähig: Er sei krankheitsbedingt auf die Nutzung eines Pkw angewiesen; Finanzierungskosten für den Pkw einschliesslich der Versicherungskosten müssten bei der Bemessung des Unterhalts neben den Fahrtkosten zur Arbeitsstätte berücksichtigt werden. Eine Reduzierung des Selbstbehalts durch das Zusammenleben mit einer Partnerin sei nicht geboten; vielmehr erspare er dadurch Aufwendungen für eine krankheitsbedingt ansonsten notwendige Haushaltshilfe. Das AmtsG hat den Antragsgegner in vollem Umfange zur Zahlung verpflichtet. Dem ist das OLG ganz überwiegend gefolgt.

In der Kilometerpauschale seien sämtliche Pkw-Betriebskosten enthalten, auch die Anschaffungskosten wie auch die Kfz-Versicherungskosten; auch seien die Verbindlichkeit durch den Antragsgegner erst nach seiner Inanspruchnahme durch den Antragsteller begründet worden. Der Einwand, das Zusammenleben mit seiner Partnerin gleiche allein gesundheitlichen Beeinträchtigungen aus, und verbessere die finanzielle Situation nicht, rechtfertige es nicht, dem Antragsgegner den ungekürzten Selbstbehalt zu belassen: Bei entsprechendem Antrag könne er Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten; unterhaltsrechtlich sei er auch verpflichtet, solche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Reduzierung des Selbstbehalts stehe damit aber in keinem Zusammenhang, sondern knüpfe (allein) an das Zusammenleben mit der Partnerin an; die Kostenersparnis entstehe (also) unabhängig von der Notwendigkeit einer Inanspruchnahme von Pflegeleistungen.

2. Die Berücksichtigung von Finanzierungskosten ist immer auch eine Frage des Einzelfalles. Die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte sehen vielfach zwar Regelungen vor, weichen aber im Detail voneinander ab; überwiegend sind die Anschaffungskosten jedoch durch die Pauschale abgedeckt.


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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; verschärfte Leistungspflicht im Rahmen des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder; Zurechnung fiktiven Einkommens aus Tätigkeit im Mindestlohnbereich.

BGB § 1603

1. Die Zurechnung eines fiktiven Einkommens setzt voraus, daß der Unterhaltsschuldner die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat, und eine reale Beschäftigungschance bestand. Dabei darf dem Unterhaltsschuldner nur dasjenige fiktive Einkommen zugerechnet werden, das er realistischerweise erzielen kann; dies hängt von seinen persönlichen Voraussetzungen wie Alter, berufliche Qualifikation, Erwerbsbiografie, Gesundheitszustand und Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen ab.
2. Unzureichende Sprachkenntnisse, mangelnde Berufserfahrung und fortgeschrittenes Alter stehen der Aufnahme einer einfachsten Beschäftigung in dem Mindestlohnbereich nicht entgegen.
3. Der fiktive monatliche Nettolohn für eine Tätigkeit kann bei einem seit mehreren Jahren nicht mehr erwerbstätigen Unterhaltsverpflichteten ohne Berufsausbildung, auf die er bei Aufnahme einer Tätigkeit zurückgreifen kann, auf der Grundlage des jeweiligen Mindeststundenlohns zu errechnen sein.
4. Im Hinblick auf nicht gesicherten Mindestunterhalt ist von einem Unterhaltsschuldner auch zu verlangen, neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit eine ihm mögliche und zumutbare Nebentätigkeit in dem Umfang bis zu acht Wochenstunden nach Maßgabe von §§ 3, 9 Abs. 1 ArbZG auszuüben.
5. Die Aufnahme einer Nebentätigkeit neben einer vollschichtigen Beschäftigung kann unzumutbar sein, wenn dem Unterhaltsschuldner die Betreuung von Kindern obliegt, und die zur Verfügung stehende Hort- oder Kitabetreuung bereits die vollschichtige Tätigkeit des Unterhaltspflichtigen abdecken muß.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 13. Juli 2020 - 13 UF 6/20

Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Zossen vom 26.11.2019 (6 F 468/18) wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsgegner hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 1.436 € festgesetzt.
4. Dem Antragsteller wird für den Beschwerderechtszug mit Wirkung ab dem 14.05.2020 Verfahrenskostenhilfe ohne Anordnung von Ratenzahlungen gewährt, und Rechtsanwalt J. F. als Verfahrensbevollmächtigter beigeordnet.

Gründe
I. Der minderjährige Antragsteller begehrt die Leistung rückständigen und laufenden Kindesunterhalts von seinem Vater, dem Antragsgegner, für Oktober 2017 und November 2017 sowie ab Dezember 2019. Er lebt ohne Einkommen und Vermögen in dem Haushalt seiner nicht mit dem Antragsgegner verheirateten Mutter, die für den Antragsteller von Dezember 2017 bis November 2019 staatliche Unterhaltsvorschußzahlungen bezog. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2017 hat er, der bis zu einer Namensänderung am 24. Juli 2018 den Vornamen »S.« führte, den Antragsgegner zur Auskunfterteilung zwecks Berechnung des geschuldeten Kindesunterhalts aufgefordert. Der Antragsgegner hat bislang keinen Unterhalt gezahlt.

Der Antragsgegner ist Vater von fünf weiteren, darunter vier minderjährigen, Kindern. Er lebt mit der Mutter der zwei jüngsten, in den Jahren 2017 und 2019 geborenen Kinder, mit der er seit März 2017 verheiratet ist, in einem gemeinsamen Haushalt. Seinen in den Jahren 1998 und 2015 geborenen Kindern zahlt er keinen Unterhalt. Seine am 13. Februar 2015 geborene Tochter lebt in C.

Der Antragsgegner ist in C. geboren, hat dort Wirtschaft und Steuern studiert, aber in seinem Beruf nie gearbeitet. Er lebt seit dem Jahre 2007 in Deutschland, und besitzt seit dem Jahre 2012 die deutsche Staatsbürgerschaft. Bis 2011 arbeitete er als Fabrikangestellter. Von 2011 bis Ende 2013 betrieb er als Selbständiger einen Warenhandel, den er wegen großer Verluste aufgegeben hat; seitdem ist er keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen. Seit Mai 2015 bezieht er ununterbrochen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum 494 € bzw. 555 €, sowie 606 €. Im Jahre 2016 erlitt er zwei Rippenbrüche, deretwegen er im Februar 2019 noch Thoraxschmerzen hatte, sowie im Februar 2018 einen Herzinfarkt, weswegen er fünf Tage lang im Krankenhaus lag, und eine dreiwöchige ambulante Rehabilitationsmaßnahme absolvierte. Er hat sich im September 2018 einem schriftlichen und mündlichen Test für die deutsche Sprache unterzogen, den er in dem Niveau »B1« nicht bestanden hat.

Der Antragsteller hat eine krankheitsbedingte Erwerbs- und damit Leistungsunfähigkeit des Antragsgegners in Abrede gestellt, und Unterhaltszahlungen des Antragsgegners zugunsten der nicht in seinem Haushalt lebenden Kinder bestritten. Er hat beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, für ihn zu Händen der Kindesmutter laufenden Kindesunterhalt in Höhe des Mindestunterhalts der entsprechenden Altersstufe nach der Düsseldorfer Tabelle abzüglich des hälftigen Kindergeldes für ein erstes Kind ab April 2019 zu zahlen, sowie zu Händen der Kindesmutter rückständigen Kindesunterhalt in Höhe von 2.043 € bis einschließlich März 2019 zu zahlen.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Zossen hat mit Versäumnisbeschluß vom 2. April 2019 antragsgemäß entschieden. Der Antragsgegner hat hiergegen Einspruch eingelegt und beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat Leistungsunfähigkeit aufgrund von dauerhafter Erwerbsunfähigkeit wegen eines seit dem 26. Mai 2017 bestehenden akuten subendokardialen Myokardinfarkts eingewandt und vorgetragen, seit Oktober 2018 seiner in C. lebenden, im Jahre 2015 geborenen Tochter monatlich 60 € zukommen zu lassen. Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 28. Mai 2019 Beweis über die krankheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit des Antragsgegners erhoben. Der mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragte Dr. E. hat das schriftliche Gutachten vom 15. August 2019 vorgelegt, auf dessen Inhalt der Senat Bezug nimmt.

Mit dem am 26. November 2019 verkündeten Beschluß hat das Amtsgericht den Versäumnisbeschluß vom 2. April 2019 aufrechterhalten, soweit der Antragsgegner zu der Leistung rückständigen Unterhalts für die Monate Oktober und November 2017 in Höhe von je 136 €, und zu der Zahlung laufenden Unterhalts ab Dezember 2019 in Höhe von monatlich 97,00 € verpflichtet worden ist, nachdem der Antragsteller die darüber hinausgehenden Anträge auf Zahlung rückständigen und laufenden Unterhalts angesichts des diesbezüglichen Forderungsübergangs auf die Unterhaltsvorschußkasse zurückgenommen bzw. für erledigt erklärt hat.

Es hat Leistungsunfähigkeit des Antragsgegners wegen krankheitsbedingter Erwerbsunfähigkeit nicht festzustellen vermocht, und sich dazu auf das Ergebnis des Sachverständigengutachtens vom 15. August 2019 gestützt. Es hat dem Antragsgegner wegen voller Erwerbsfähigkeit auf der Grundlage eines Stundenlohns von 8,84 €/h in 2017 und 9,14 €/h in 2019 ein Erwerbseinkommen in Höhe von 1.515 € in 2017 und 1.567 € in 2019, nach Abzug von Sozialabgaben, Steuern und 5% berufsbedingten Aufwendungen 1.067 € in 2017 und 1.110 € in 2019 zugerechnet. Weiter hat es ihm Einnahmen in Höhe von 285 € monatlich aus einer Nebentätigkeit zugerechnet, und so im Jahre 2017 ein unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen in Höhe von 1.352 €, und im Jahre 2019 in Höhe von 1.395 €, und ausgehend von einem Selbstbehalt in Höhe von 1.080 € ein verfügbares Einkommen in Höhe von 272 € monatlich in 2017 und in Höhe von 315 € monatlich in 2019 ermittelt.

Für das Jahr 2017 hat es Unterhaltsverpflichtungen des Antragsgegners nur für den Antragsteller sowie das weitere, im Jahre 2017 geborene, in seinem Haushalt lebende Kind angenommen, und im Wege der Mangelfallberechnung einen Betrag in Höhe von jeweils 136 € monatlich zugunsten des Antragstellers bestimmt. Für die Zeit ab Dezember 2019 hat es weitere Unterhaltsverpflichtungen des Antragsgegners zugunsten seines in C. lebenden, am 13. Februar 2015 geborenen, sowie seinen beiden in den Jahren 2017 und 2019 geborenen, in seinem Haushalt lebenden Kindern angenommen, und daraus im Wege der Mangelfallberechnung einen Betrag zugunsten des Antragstellers in Höhe von 97 € monatlich bestimmt.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsgegner weiterhin die Anerkennung einer krankheitsbedingten Erwerbs- und Leistungsunfähigkeit. Er verweist darauf, wegen seines fortgeschrittenen Alters, seiner gesundheitlichen Einschränkungen, seiner mangelnden Deutschkenntnisse und seiner Ausbildung und Berufserfahrung keine reale Beschäftigungschance auf dem Arbeitsmarkt zu haben, und angesichts der Betreuungsbedürftigkeit seiner minderjährigen Kinder und seiner Absicht, mit dem nach Südwestdeutschland verziehenden Antragsteller Umgang zu pflegen, zu der Ausübung einer Nebentätigkeit auch keine Zeit zu haben. Weiter trägt er vor, seiner in C. lebenden, am 13. Februar 2015 geborenen Tochter seit Juli 2015 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 167 € zukommen zu lassen. Er beantragt, den Beschluß des Amtsgerichts vom 19. November 2019 abzuändern, und den Antrag des Beschwerdegegners abzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er beruft sich auf eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit des Antragsgegners, und stellt die Unzumutbarkeit einer Nebentätigkeit in Abrede.

Hinsichtlich des weiteren Beschwerdevorbringens wird auf die in dem zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen. Der Senat entscheidet, wie angekündigt, ohne Durchführung eines Termins (§§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 S. 2 FamFG), da angesichts des umfangreichen erst- und zweitinstanzlichen Schriftwechsels der Antragsbeteiligten und der ausführlichen Protokolle der erstinstanzlich durchgeführten mündlichen Verhandlungen am 2. April 2019, am 28. Mai 2019 und am 19. November 2019 von einer weiteren mündlichen Verhandlung kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten ist.

II. 1. Die gemäß §§ 58 ff FamFG in zulässiger Weise erhobene Beschwerde ist unbegründet, da das Beschwerdevorbringen keine von der erstinstanzlichen Entscheidung abweichende Beurteilung der dem Grunde und der Höhe nach zutreffend ausgesprochenen Verpflichtung des Antragsgegners zu der Zahlung rückständigen und laufenden Barunterhalts zugunsten des Antragstellers gemäß §§ 1601, 1603 Abs. 2, 1613 Abs. 1 BGB rechtfertigt.

Der Einwand des Antragsgegners, fiktive Einkünfte seien ihm mangels realer Beschäftigungschancen nicht zuzurechnen, geht ins Leere, da der Antragsgegner keinerlei tragfähige Umstände vorträgt, deretwegen es ihm in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen an realen Beschäftigungschancen gefehlt haben soll. Zwar setzt die Zurechnung eines fiktiven Einkommens voraus, daß der Unterhaltspflichtige die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat, und eine reale Beschäftigungschance bestand. Dabei darf dem Pflichtigen nur das fiktive Einkommen zugerechnet werden, das er realistischerweise erzielen kann (BGH FamRZ 2009, 314 = FuR 2009, 162 = EzFamR BGB § 1603 Nr. 62). Dies hängt von seinen persönlichen Voraussetzungen wie Alter, berufliche Qualifikation, Erwerbsbiographie, Gesundheitszustand und Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen ab (BVerfG FamRZ 2012, 1283).

Bei der in dem Falle des Antragsgegners in Rede stehenden Zurechnung fiktiver Einkünfte geht es um ungelernte Tätigkeiten im Mindestlohnsektor; für diese bestanden und bestehen - das ist allgemein bekannt - in dem gesamten Bundesgebiet einschließlich der nordöstlichen Bundesländer in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum hinreichende Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Unzureichende Sprachkenntnisse, mangelnde Berufserfahrung und fortgeschrittenes Alter stehen der Aufnahme einer wie hier in Rede stehenden einfachsten Beschäftigung in dem Mindestlohnbereich nicht entgegen, zumal der insoweit darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegner ernsthafte und über den gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum hin wiederholte, nachhaltige Bemühungen zu der Erlangung einer derartigen Tätigkeit nicht im Ansatz dargelegt hat.

Die gesundheitlichen Einschränkungen des Antragsgegners stehen ausweislich des überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen Dr. E. einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit im Büro, im Bereich Logistik, in der Produktion, im Dienstleistungssektor, in der Gastronomie und in der Land- und Forstwirtschaft jeweils in Form leichter Arbeit im Gehen, Stehen und Sitzen, auch im Freien, nicht entgegen. Der Sachverständige kommt aufgrund seiner Untersuchung des Antragsgegners zu dem überzeugenden Ergebnis, daß die Rippenfraktur aus dem Jahre 2016 vollständig und ohne Fehlstellung verheilt ist, der Herzinfarkt aus dem Jahre 2018 zwar eine Seitenwandinfarktnarbe hinterlassen hat, deretwegen eine regionale Kinetikstörung des Herzens vorliegt, die aber dessen Auswurfleistung kaum einschränkt, da der intakte Teil des Herzmuskels auch unter Belastung gut durchblutet ist. Den Umstand, daß der Antragsgegner im Rahmen der Untersuchung gleichwohl fahrradergometrisch stark eingeschränkt leistungsfähig wirkte, erklärt der Sachverständige überzeugend mit mangelnder Motivation und Veränderungsbereitschaft des Antragsgegners hinsichtlich des Verzichts auf Sozialleistungen und einer von den objektiven Befunden abweichenden Selbsteinschätzung des Antragsgegners, dessen Muskelstatus und Körperspannung auf einen körperlich aktiven Menschen hinweisen. Die von dem Antragsgegner beklagten Schwindelanfälle führt der Sachverständige schließlich nachvollziehbar auf dessen fortgesetzten hohen Tabakkonsum und die Überdosierung der Blutdruckmedikation zurück.

Auch die Einwände des Antragsgegners gegen die Anrechnung eines weiteren fiktiven Einkommens aus Nebentätigkeit in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum verfangen nicht. Im Hinblick auf den nicht gesicherten Mindestunterhalt ist von einem Unterhaltsschuldner auch zu verlangen, neben einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit eine ihm mögliche und zumutbare Nebentätigkeit im Umfang bis zu acht Wochenstunden nach Maßgabe von §§ 3, 9 Abs. 1 ArbZG auszuüben (BVerfG NJW 2012, 2420; BGH FamRZ 2011, 637; Wendtland in BeckOGK BGB [01.05.2020] § 1610 Rdn. 43; Dose in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 1 Rdn. 97). Der erstinstanzlichen Anrechnung weiterer 285 € monatlich - nach Abzug berufsbedingter Aufwendungen - für eine fiktive Nebentätigkeit von zusätzlich acht Wochenstunden kann der Antragsgegner nicht die Betreuungsbedürftigkeit seiner zwei in seinem Haushalt lebenden Kinder entgegensetzen, da er - insoweit darlegungs- und beweisbelastet (vgl. Wendtland, aaO Rdn. 201) - nicht hinreichend darlegt, einen beträchtlichen, einer Nebentätigkeit entgegen stehenden Anteil an der Betreuung der Kinder wahrzunehmen.

Zwar kann die Aufnahme einer Nebentätigkeit neben einer vollschichtigen Beschäftigung unzumutbar sein, wenn dem Unterhaltspflichtigen die Betreuung der Kinder obliegt, und die zur Verfügung stehende Hort- oder Kitabetreuung bereits die vollschichtige Tätigkeit des Unterhaltspflichtigen abdecken muß (OLG Schleswig FamRZ 2015, 937). Einen derartigen Betreuungsanteil hat der Antragsgegner indes nicht vorgetragen, zumal ausweislich der vorgelegten Bescheide des Jobcenters B. in dem verfahrensgegenständlichen Zeitraum die Ehefrau des Antragsgegners gleichermaßen Leistungen zu der Sicherung des Lebensunterhalts bezogen hat, so daß nicht davon auszugehen ist, daß die Kinderbetreuung außerhalb der Schul-, Hort- und Kitazeiten dem Antragsgegner in einem Umfang oblag und obliegt, die eine Nebentätigkeit ausschließt.

Weiter steht auch die beabsichtigte Aufnahme von Umgängen mit dem nach Südwestdeutschland verzogenen Antragsteller der Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit nicht entgegen, da der Antragsgegner das insoweit erforderliche tatsächliche Vorliegen von Umgangskontakten in einem einer Nebentätigkeit entgegenstehenden Umfang weder dargelegt, noch nachgewiesen hat.

2. Die Höhe des dem Antragsgegner zuzurechnenden fiktiven Erwerbseinkommens und die daraus resultierenden Unterhaltsverpflichtungen gegenüber dem Antragsteller sind durch das Beschwerdevorbringen nicht erfolgreich angegriffen worden. Der Antragsgegner schuldet dem Antragsteller jedenfalls die erstinstanzlich ausgesprochenen Unterhaltsbeträge für Oktober und November 2017, sowie fortlaufend ab Dezember 2019.

Fiktive Einkünfte sind von dem Gericht gemäß § 113 FamFG, § 287 ZPO im Wege der Schätzung an dem Maßstab des erzielbaren Nettobetrages nach Abzug von Steuern und Vorsorgeaufwendungen zu ermitteln (Dose, aaO § 1 Rdn. 793). Der fiktive monatliche Nettolohn für eine Tätigkeit kann bei einem seit mehreren Jahren nicht mehr erwerbstätigen Unterhaltsverpflichteten ohne Berufsausbildung, auf die er bei Aufnahme einer Tätigkeit zurückgreifen kann, auf der Grundlage des jeweiligen Mindeststundenlohns zu errechnen sein (Wendtland, aaO § 1610 Rdn. 51), der im Jahre 2017 8,84 €/h (www.bundesregierung.de>breg-de>aktuelles), und im Jahre 2019 9,19 €/h betrug (www.lexoffice.de>lohn>wissen>mindestlohn), und der angesichts der Erwerbsbiographie des Antragsgegners hier zugrunde zu legen ist. Ausgehend von durchschnittlich 173,33 Arbeitsstunden pro Monat bei vollschichtiger Tätigkeit (40 Stunden x 52 Wochen : 12 Monate) errechnet sich ein Erwerbseinkommen in Höhe von 1.532 € in 2017, und von 1.592,90 € in 2019. Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben verbleibt ein Einkommen in Höhe von 1.118,83 € in 2017, und von 1.182,49 € in 2019 (www.brutto-netto-rechner.info). Nach Abzug von 5% berufsbedingten Aufwendungen (vgl. Wendtland, aaO Rdn. 51) ist von einem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen aus vollschichtiger Erwerbstätigkeit (gerundet, Ziff. 25 Leitlinien) in Höhe von 1.062 € in 2017, und von 1.123 € in 2019 auszugehen. Zuzüglich 285 € monatlich aus der fiktiven Nebentätigkeit errechnen sich 1.347 € in 2017, und 1.408 € in 2019.

Die Höhe der dem Antragsteller für die Monate Oktober und November 2017 zustehenden Unterhaltsbeträge bestimmt sich wie folgt: Unter Zugrundelegung des notwendigen Selbstbehalts Erwerbstätiger in Höhe von 1.080 € (Ziff. 21.2 LL), der wegen des Zusammenlebens des Antragsgegners in dem Haushalt mit seiner Ehefrau um 10% auf 972 € zu reduzieren ist (Ziff. 21.5 LL) ist ein verfügbares Einkommen in Höhe von 375 € zugrunde zu legen (1.347 € ./. 972 €). Da der Antragsgegner seinem im Jahre 2017 geborenen, in seinem Haushalt lebenden Kind Naturalunterhalt schuldet, der durch Annahme eines (hypothetischen) Anspruchs des Kindes auf Barunterhalt entsprechend seines Bedarfs zu monetarisieren ist (vgl. Wendtland, aaO Rdn. 160), ist von zwei gleichrangigen Barunterhaltsverpflichtungen des Antragsgegners in Höhe von jeweils 100% des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle 2017, Zahlbetrag jeweils 246 €, insgesamt 492 € auszugehen, zu deren Erfüllung das verfügbare Einkommen nicht ausreicht. Da der Antragsgegner mit den lediglich in c. Sprache zur Akte gereichten Schriftstücken die - von dem Antragsteller bestrittene - Unterhaltsleistung zugunsten des in C. lebenden, am 13. Februar 2015 geborenen Kindes nicht hinreichend dargelegt hat (§ 184 S. 1 GVG), kommt die Berücksichtigung einer weiteren Unterhaltspflicht bei der hier vorzunehmenden Mangelfallberechnung (Ziff. 24 LL) nicht in Betracht.

Danach errechnet sich für den Antragsteller ein Zahlbetrag in Höhe von je 187 € ([375 € verfügbares Einkommen ./. 492 € Summe der geschuldeten Zahlbeträge] x 246 € dem Antragsteller geschuldeter Zahlbetrag) für Oktober 2017 und November 2017, so daß der Antragsgegner jedenfalls den erstinstanzlich ausgesprochenen Unterhaltsbetrag von jeweils 136 € zu zahlen verpflichtet ist. Bei der Ermittlung des von dem Antragsgegner ab Dezember 2019 geschuldeten Unterhalts sind angesichts des im Jahre 2019 geborenen, in seinem Haushalt lebenden Kindes insgesamt drei gleichrangige Unterhaltsverpflichtungen zu berücksichtigen.

Die Höhe des dem Antragsteller im Dezember 2019 zustehenden Unterhalts bestimmt sich unter Zugrundelegung des um 10% reduzierten Selbstbehalts in Höhe von 972 € (Ziff. 21.2, 21.5 LL), woraus sich ein verfügbares Einkommen in Höhe von (1.408 € ./. 972 € =) 436 € errechnet, so daß bei der Unterhaltsverpflichtung in Höhe von 100% des Mindestunterhalts der ersten Altersstufe, jeweils 252 € (abzüglich des hälftigen Kindergeldes) für jedes der drei Kinder, insgesamt 756 €, das verfügbare Einkommen nicht genügt. Im Wege der Mangelfallberechnung ergibt sich für Dezember 2019 ein gekürzter Zahlbetrag in Höhe von gerundet ([436 € ./. 756 €] x 252 € =) 144 € für den Antragsteller.

Für das Jahr 2020 errechnen sich angesichts der Zahlbeträge in Höhe von jeweils 267 € für drei Kinder insgesamt 801 €, ab Mai 2020 für den in die zweite Altersstufe wechselnden Antragsteller 322 €, insgesamt dann für drei Kinder 856 €, die der Antragsgegner schuldet. Wegen des Anstiegs des gesetzlichen Mindestlohns ab Januar 2020 auf 9,35 €/h (www.lexoffice.de>lohn>wissen>mindestlohn), was zu einem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen von (9,35 x 173,33 = 1.620,63 € brutto, 1.205 € netto ./. 5% =) 1.144,75 € führt, plus 285 € aus Nebentätigkeit insgesamt 1.429 €, und des auf 1.160 € gestiegenen (Ziffer 5. DT 2020), um 10% auf 1.044 € reduzierten Selbstbehalts ein verfügbares Einkommen in Höhe von 385 €. Für den Antragsteller errechnet sich bis April 2020 ein Unterhaltsbetrag in Höhe von monatlich gerundet ([385 € ./. 856 €] x 267 € =) 117 €, und ab Mai 2020 in Höhe von gerundet ([385 € ./. 856 €] x 322 =) 142 €, so daß ihm der Antragsgegner den erstinstanzlich ausgesprochenen laufenden Unterhaltsbetrag auf jeden Fall schuldet.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 FamFG; sie entspricht dem vollumfänglichen Unterliegen des Antragsgegners.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf §§ 55 Abs. 2, 51 Abs. 1 und 2 FamGKG, ausgehend von dem Beschwerdeinteresse des Antragsgegners ([272 € + 97 €] x 12 Monate).

IV. Die Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten für den zweiten Rechtszug auf den Antrag des Antragstellers vom 14. Mai 2020 beruht auf § 76 FamFG, §§ 114, 115, 119 Abs. 1 S. 2, 127 Abs. 1 ZPO.

V. Anlaß, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht (§ 70 Abs. 2 FamFG).

OLG Brandenburg 2020-07-13 - 13 UF 6/20
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Leistungsfähigkeit; gesteigerte Erwerbsobliegenheit des Schuldners für Mindest-Kindesunterhalt.

Der freiwillige Wechsel der Arbeitsstelle darf nicht zu einem geringeren Einkommen führen, auch wenn der Wechsel der Gründung einer neuen Familie dient.

OLG Koblenz, Beschluß vom 9. September 2020 - 9 UF 701/19

Anmerkungen

Die Beteiligten streiten über Minderjährigenunterhalt. Der Kindesvater arbeitete in Luxemburg mit einem Monatslohn von durchschnittlich 2.223 € netto; seine Arbeitsstätte lag 16 km von seinem Wohnort entfernt. Jetzt arbeitet er im W.-Kreis mit einem Durchschnittsnettolohn von rund 1.691 €; die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle beträgt 22 km.

Das OLG hat dem Kindesvater fiktiv Einkünfte zugerechnet: Er müsse sich so behandeln lassen, als hätte er seine Arbeitsstelle in Luxemburg nicht aufgegeben. Angesichts der Obliegenheit zur bestmöglichen Ausnutzung der eigenen beruflichen Qualifikation sei ein Arbeitsplatzwechsel in eine neue, geringer entlohnte Stelle nur bei beachtlichen Gründen anzuerkennen. Der freiwillige Wechsel der Arbeitsstelle dürfe nicht dazu führen, dass ein geringeres Einkommen erzielt wird, und nur noch geringerer Unterhalt an das minderjährige Kind gezahlt werden könne. Bei einem Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder, und soweit es um den Mindestunterhalt für diese gehe, sei Leichtfertigkeit bereits dann anzunehmen, wenn der Unterhaltsschuldner seinen Arbeitsplatz allein aufgrund einer neuen Partnerschaft oder Familie wechselt. Der Antragsgegner habe nicht einmal im Ansatz dargetan, dass und warum es nicht möglich gewesen sein sollte, mit seiner neuen Lebensgefährtin zumindest in ähnlicher Entfernung von seiner in Luxemburg gelegenen Arbeitsstätte einen gemeinsamen Hausstand zu begründen.

Darüber hinaus seien dem Antragsgegner fiktive Einkünfte zuzurechnen, die er aus einer samstags im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung (sog. Minijob) für je acht Stunden ausgeübten Nebentätigkeit jedenfalls dann erzielen könnte, wenn er seine bisherige Arbeitsstelle nicht aufgegeben hätte, denn er muss sich aufgrund des ihm unterhaltsrechtlich vorwerfbaren Arbeitsplatzwechsels insgesamt so behandeln lassen, als hätte er seine Arbeitsstelle dort nicht aufgegeben. Er habe auch insoweit eine Verschlechterung seiner Fähigkeit zur Leistung des Mindest-Kindesunterhalts verursacht, weil ihm die Ausübung einer entsprechenden Nebentätigkeit aufgrund der Eigenheiten seiner neuen Beschäftigung nicht mehr möglich ist.

Hinweis
Jede Verschlechterung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit bedarf sehr guter, unterhaltsrechtlich anzuerkennender Gründe, die der Unterhaltspflichtige darlegen und gegebenenfalls beweisen muss. Für den Mindestunterhalt minderjähriger Kinder gelten insoweit besonders strenge Maßstäbe. Allein das Interesse, mit einer neuen Partnerin an einem anderen Ort zusammen zu leben, genügt dazu nicht; ein Wechsel der Arbeitsstelle wegen des Umzugs zu einem anderen Wohnort mit der Folge eines verminderten Einkommens will daher gut überlegt sein.


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Mangelnde Erwerbsbemühungen des Unterhaltsschuldners nach dem Verlust seiner Arbeitsstelle; Fortbestand der Verfahrensstandschaft des betreuenden Elternteils nach Rechtskraft der Scheidung.

1. Hat sich der Unterhaltsschuldner nach dem Verlust seiner Arbeitsstelle nicht ausreichend beworben, ist ihm sein früheres erzieltes Einkommen fiktiv anzurechnen.
2. Bei einer Obliegenheit zur Nebentätigkeit ist nicht von der tatsächlichen Situation auszugehen, sondern von der fiktiven Situation, die bestünde, wenn der Unterhaltsschuldner einen den Anforderungen genügenden Arbeitsplatz gesucht, und einen solchen auch erlangt hätte.
3. Die Verfahrensstandschaft des betreuenden Elternteils in einem laufenden Unterhaltsverfahren endet nicht durch die rechtskräftige Scheidung der Eltern.
4. § 234 FamFG schliesst als Regelung des gerichtlichen Unterhaltsverfahrensrechts die Vertretung durch den sorgeberechtigten Elternteil nur in einem konkret eingeleiteten gerichtlichen Verfahren aus.

OLG Koblenz, Beschluß vom 16. September 2020 - 9 UF 213/20

Anmerkungen

In einem Streit um Kindesunterhalt ist das OLG davon ausgegangen, dass der Unterhaltspflichtige sich nach dem Verlust seiner Arbeitsstelle nicht ausreichend beworben hat, und hat ihm daher sein früheres erzieltes Einkommen fiktiv angerechnet. Im übrigen sei bei der Obliegenheit zur Nebentätigkeit nicht von der tatsächlichen Situation auszugehen, sondern vielmehr von der fiktiven Situation, die bestünde, wenn der Unterhaltsschuldner einen den Anforderungen genügenden Arbeitsplatz gesucht, und einen solchen auch erlangt hätte. Es gebe im übrigen auch in der aktuellen Corona-Pandemie keine Erfahrungssätze dahingehend, dass ein Arbeitnehmer nicht in eine vollschichtige Tätigkeit zu vermitteln wäre.

Den beteiligten Eltern stehe die elterliche Sorge zwar gemeinsam zu; die Kindesmutter sei während des gesamten bisherigen Verfahrens hinsichtlich der Unterhaltsansprüche der Kinder gemäss § 1629 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 1 BGB jedoch antragsbefugt: Die Kinder befänden sich seit der Trennung ihrer Eltern dauerhaft in ihrer Obhut. Dass die Eltern während des laufenden Unterhaltsverfahrens rechtskräftig geschieden worden sind, habe die Verfahrensstandschaft nicht beendet. Wenn die in einem gesonderten Verfahren erfolgte Scheidung in Rechtskraft erwächst, und das Unterhaltsverfahren weitergeführt wird, muss derjenige Elternteil, der das Verfahren kraft seiner Verfahrensstandschaft in eigenem Namen berechtigterweise hat einleiten können, auch berechtigt sein, dieses Verfahren fortzuführen, sofern ihm die elterliche Sorge mangels anderweitiger Übertragung nach wie vor zusteht. Dies folge aus dem - aufgrund der §§ 113 Abs. 1, 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG einschlägigen - Rechtsgedanken des § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO.

Auch eine mit dem Aufgabenkreis der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen eingerichtete Beistandschaft stehe der Verfahrensführungsbefugnis der Kindesmutter nicht entgegen. Der Beistand werde zwar im Rahmen seiner Aufgabe gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen; die Beistandschaft schränke die elterliche Sorge aber - wie § 1716 S. 1 BGB ausdrücklich anordne - nicht ein. § 234 FamFG schliesse als Regelung des gerichtlichen Unterhaltsverfahrensrechts die Vertretung durch den sorgeberechtigten Elternteil nur in einem gerichtlichen Verfahren aus. Um den Elternteil von seinem Sorgerecht so wenig wie nötig zu verdrängen, sei er aber auch nicht schon mit der Bestellung des Beistandes selbst von verfahrensrechtlichen Handlungen ausgeschlossen; Voraussetzung hierfür sei vielmehr, dass ein konkretes Verfahren eingeleitet wurde, und dass der Beistand in das Verfahren eintritt. Bis zu diesem Zeitpunkt kann der alleinvertretungsbefugte Elternteil den verfahrenseinleitenden Antrag selbst stellen und das Verfahren betreiben.


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Leistungsfähigkeit bei Bezug von Sozialleistungen.

1. Zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit gegenüber minderjährigen Kindern eines Unterhaltsschuldners, der aufgrund eines erlittenen Körperschadens Sozialleistungen bezieht, für die die Deckungsvermutung in Bezug auf schadensbedingte Mehraufwendungen gemäss § 1610a BGB eingreift.
2. Die in § 1610a BGB enthaltene gesetzliche Vermutung spricht dafür, dass von dem Sozialhilfeträger lediglich solche Leistungen erbracht werden, die den behinderungsbedingten Mehrbedarf decken.
3. Zu dem Einsatz von Vermögenswerten (hier: hälftiges Eigentum an einer Immobilie) zur Deckung des Unterhaltsbedarfs minderjähriger Kinder während der Dauer der Trennung der Eltern, wenn der Unterhaltspflichtige den vorhandenen Vermögenswert zur Deckung des eigenen Existenzminimums benötigt.

OLG Stuttgart, Beschluß vom 26. November 2020 - 11 UF 145/20


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Kindesunterhalt; Ersatzhaftung des betreuenden Elternteils; Ausnahme von der sog. Gleichwertigkeitsregel.

Auch der betreuende Elternteil ist ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter iSv § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB, wenn ohne seine Beteiligung an der Barunterhaltspflicht ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstünde.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 5. März 2021 - 9 UF 141/18

Anmerkungen

Der Antragsgegner, von Beruf Diplom-Sportlehrer, arbeitete als Erzieher und zeitweise selbständig. Er ist der Vater der in den Jahren 2002 und 2004 geborenen Kinder, die aus seiner geschiedenen Ehe mit der Kindesmutter stammen, und die in dem Haushalt ihrer Mutter leben. Mit zwei Urkunden des Jugendamtes hatte sich der Antragsgegner verpflichtet, ab Juni 2017 für beide Kinder einen monatlichen Unterhalt von jeweils 50 € bis zu deren Volljährigkeit zu zahlen; diesen Unterhalt zahlte er auch zu Händen der Kindesmutter. Seit dem 01.01.2018 ist der Antragsgegner bei dem Kreissportbund beschäftigt, und erzielt ein monatliches Nettoeinkommen von rund 2.200 €. Er bewohnt eine finanzierte Immobilie mit einer Wohnfläche von 107 m2. Er hat mit seiner derzeitigen Lebenspartnerin zwei weitere, in den Jahren 2015 und 2017 geborene Kinder, die in dem mütterlichen Haushalt leben. Die Kindesmutter ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe; sie arbeitet als Leitende Oberärztin und zusätzlich in der Zweigpraxis eines MVZ, und bewohnt mit den Kindern eine eigene Immobilie mit einer Wohnfläche von 200 m2.

Der Antragsteller erbringt für die Kinder seit Juli 2017 Leistungen nach dem UVG und hat zuletzt beantragt, den Antragsgegner - in Abänderung der oben angeführten Jugendamtsurkunden - zu verpflichten, für jedes Kind ab Juli 2017 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres den Mindestunterhalt abzüglich des vollen Kindergeldes, und für die Zeit von Juli 2017 bis April 2018 geleisteter Unterhaltsbeträge zu zahlen. Der Antragsgegner ist dem Abänderungsbegehren unter Verweis auf eine Vereinbarung auch mit der Kindesmutter über monatliche Zahlungen in Höhe von 50 € pro Kind entgegen getreten, und hat ferner geltend gemacht, die Kindesmutter verfüge über weitaus höhere Einkünfte, so dass sie auch für den Barunterhalt der Kinder aufkommen müsse: Im Jahre 2008 habe ihr Bruttoeinkommen schon 230.678 € betragen. Sie erziele - ohne Privatliquidationen - einen Verdienst von mindestens 19.000 € brutto im Monat erziele, was einem monatlichen Nettoeinkommen von mindestens 10.050 € bei Steuerklasse I entspreche; ferner sei auch ein Wohnvorteil von 1.000 € zuzurechnen.

Das AmtsG hat den Antragsgegner in Abänderung der Urkunden des Jugendamtes verpflichtet, an das Land aus übergegangenem Recht für beide Kinder ab dem 01.01.2018 100% des Mindestunterhalts abzüglich des vollen Kindergeldes bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu zahlen. Für die Monate Juli bis Dezember 2017 bestehe kein Anspruch aus übergegangenem Recht. Die Eltern hätten sich auf eine monatliche Unterhaltsleistung von 50 € pro Kind verständigt, die auch gezahlt worden sei. Die Unterhaltsvereinbarung gelte aber nur bis zum 31.12.2017. Ab Januar 2018 sei der Antragsgegner verpflichtet, dem Antragsteller die erbrachten UVG-Leistungen zu erstatten. Mit einem monatlichen Nettoeinkommen von 2.189,03 € könne er die geltend gemachten Unterhaltsbeträge auch leisten, selbst unter Berücksichtigung seiner weiteren Unterhaltsverpflichtungen. Da der notwendige Selbstbehalt gewahrt sei, komme eine Ersatzhaftung der Kindesmutter nach § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB nicht in Betracht.

Das OLG hat den Beschluss des AmtsG abgeändert und die Anträge des Landes auf Abänderung der Jugendamtsurkunden mit der Begründung zurückgewiesen, es lägen die Voraussetzungen des § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB vor.

Hinweise
1. Eltern sind minderjährigen Kindern gegenüber nach § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB gesteigert unterhaltspflichtig; die gesteigerte Haftung der Eltern tritt jedoch nicht ein, wenn weitere leistungsfähige unterhaltspflichtige Verwandte vorhanden sind, die in der Lage sind, unter Wahrung ihres eigenen angemessenen Unterhalts den Kindesunterhalt zu leisten. Ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter iSd § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB kann auch der andere Elternteil sein.

2. In den letzten Jahren ist zunehmend zu beobachten, dass einige minderjährige Kinder bei einem Elternteil leben, der voll berufstätig ist, und weitaus mehr verdient als der andere Elternteil. In seinen Entscheidungen aus früheren Jahren hat sich der BGH mit der Frage befasst, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Höhe sich ein Elternteil am Barunterhalt des antragstellenden Kindes, das bei ihm lebt und von ihm betreut wird, beteiligen muss (BGH FamRZ 2008, 137 = FuR 2008, 92; 2011, 1041 = FuR 2011, 458; 2013, 1558 = FuR 2013, 653). Zwar darf die sog. Gleichwertigkeitsregel (Gleichwertigkeit von Bar- und Betreuungsunterhalt gemäss § 1603 Abs. 3 S. 2 BGB) bei der Festlegung der Haftungsquoten der Elternteile nicht ins Leere laufen; ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern kann jedoch insbesondere dann entstehen, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung seines eigenen angemessenen Unterhalts in der Lage wäre.

3. Oftmals wird in der Praxis das Verhältnis für das Entfallen der Barunterhaltspflicht desjenigen Elternteils, der das wesentlich geringere Einkommen hat, mit etwa 1 zu 3 angenommen: Verfügt der betreuende Elternteil über etwa das Dreifache der unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils, dann nähert sich die Einkommensdifferenz einer Grenze, an der es der Billigkeit entsprechen kann, dass der betreuende Elternteil auch den Barunterhalt für das Kind in voller Höhe aufbringt (s. auch OLG Celle FamRZ 2009, 56; OLG Brandenburg JAmt 2012, 710; OLG Naumburg FamFR 2013, 8). Dies hat zum Teil auch Niederschlag in den Unterhaltsrichtlinien gefunden, vgl. z.B. 12.3 der Unterhaltsgrundsätze des OLG Frankfurt [Stand: 01.01.2021]. Diese Grenze ist aber nicht schematisch anzuwenden, sondern wertend nach den Umständen des Einzelfalles.

4. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § 1603 Abs. 2 S. 3 BGB trägt der Unterhaltspflichtige, der geltend macht, er könne den Unterhaltsbedarf des Unterhaltsberechtigten nicht ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Lebensbedarfs bestreiten (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2017, 803).


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Kindesunterhalt; Berechnung des Einkommens einer barunterhaltspflichtigen Mutter.

1. Dass ein Wohnvorteil durch mietfreies Wohnen im eigenen Heim als Einkommen zu berücksichtigen ist, gilt nur, wenn sein Wert diejenigen Belastungen übersteigt, die unter Berücksichtigung der staatlichen Eigenheimförderung durch die allgemeinen Grundstückskosten und -lasten, durch Annuitäten und durch sonstige nicht nach § 556 BGB umlagefähige Kosten entstehen.
2. Eine barunterhaltspflichtige Mutter, die in ihrer neuen Familie die Kindererziehung übernommen hat, wird im allgemeinen wenigstens eine Nebentätigkeit im Umfang einer geringfügigen Beschäftigung aufnehmen müssen, um weiterhin zu dem Unterhalt eines Kindes aus der früheren Ehe beitragen zu können.
3. Der einmalige sogenannte Corona-Kinderbonus, der im September und Oktober 2020 in zwei Raten an den kindergeldberechtigten Elternteil ausgezahlt wurde, ist nicht auf den Unterhaltsbedarf eines minderjährigen, bei einem Elternteil lebenden Kindes anzurechnen, da er nach der Intention des Gesetzgebers einen Ausgleich für die überobligatorische Belastung des betreuenden Elternteils infolge der pandemiebedingten Schul- und Kindergartenschliessungen darstellt.

OLG Koblenz, Beschluß vom 9. März 2021 - 7 UF 613/20

Anmerkungen

Die Antragstellerin ist die Mutter des aus ihrer früheren Ehe hervorgegangenen minderjährigen Antragsgegners, der in dem Haushalt seines Vaters lebt. Sie begehrt die Abänderung einer Jugendamtsurkunde, in der sie sich zur Zahlung des jeweiligen Mindestunterhalts für den Antragsgegner verpflichtet hatte. Sie ist wiederverheiratet und lebt mit ihrem Ehemann und zwei weiteren Kindern (geboren 04/2018 und 05/2020) in einem im Miteigentum der Eheleute stehenden Einfamilienhaus. Bis einschliesslich 07/2020 bezog sie Mutterschaftsgeld (entsprechend ihrem vorherigen Nettoeinkommen); seit 08/2020 übt sie bei ihrem bisherigen Arbeitgeber eine Teilzeittätigkeit im Umfang von 15 Wochenstunden aus, mit der sie ein monatliches Nettoeinkommen von rund 867 € erzielt. Ergänzend erhält sie ElterngeldPlus in wechselnder Höhe zwischen monatlich rund 542 € und zuletzt rund 470 €.

Unter Hinweis auf ihre derzeitige familiäre Situation, ihre überobligatorisch ausgeübte Teilzeittätigkeit sowie den unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Corona-Kinderbonus, der im Jahre 2020 an den Vater gezahlt wurde, hat die Antragstellerin eine Herabsetzung bzw. den zeitweiligen Wegfall ihrer titulierten Unterhaltsverpflichtung verlangt. Das AmtsG hat dem Abänderungsantrag teilweise stattgegeben, und die Unterhaltsverpflichtung der Antragstellerin herabgesetzt. Gegen diese Entscheidung richten sich die Beschwerde des Antragsgegners, sowie die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin.

Die Beschwerde des Kindes führte zu einem Teilerfolg; die Anschlussbeschwerde der Mutter blieb ohne Erfolg. Die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit der Antragstellerin werde (nur) durch ihre Einkünfte aus dem Mutterschaftsgeld bzw. ElterngeldPlus und aus ihrer Teilzeittätigkeit bestimmt. Die Unterhaltsansprüche der minderjährigen unverheirateten Kinder aus verschiedenen Beziehungen seien gleichrangig, so dass der Unterhaltspflichtige seine Arbeitskraft zum Unterhalt aller Kinder bestmöglich einsetzen müsse. Das gelte auch dann, wenn die Mutter barunterhaltspflichtig sei, und in ihrer neuen Familie die Kindererziehung übernommen habe: Unter solchen Umständen sei von ihr wenigstens eine Nebentätigkeit im Umfang einer geringfügigen Beschäftigung zu verlangen, um weiterhin zu dem Unterhalt eines Kindes aus ihrer früheren Ehe beitragen zu können. Ihr zweiter Ehemann sei im Rahmen der ehelichen Solidarität gehalten, ihr durch Teilübernahme der Pflegeaufgaben die für die Erwerbstätigkeit erforderliche Zeit zu verschaffen.

Vor diesem Hintergrund sei die hier gewählte Kombination aus 2-jähriger Elternzeit in Verbindung mit einer Teilzeittätigkeit im Umfang von 15 Wochenstunden, die einer sog. geringfügigen Beschäftigung entspreche, nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin setze so ihre Arbeitskraft im Interesse aller Kinder bestmöglich ein. Erst mit zwei Jahren habe auch das jüngste Kind Anspruch auf einen Kindergartenplatz, so dass der Antragstellerin erst ab diesem Zeitpunkt eine Ausweitung ihrer Erwerbstätigkeit angesonnen werden könne. Sie werde durch ihre stundenweise Erwerbstätigkeit auch nicht überobligatorisch belastet; mithin seien die daraus erzielten Einkünfte neben dem gemäss § 11 S. 2 und 4 BEEG in voller Höhe unterhaltsrechtlich anzurechnenden Elterngeld zur Sicherstellung des Barunterhaltsbedarfs des Antragsgegners einzusetzen. Mit Blick auf die Haushaltsersparnisse durch das Zusammenleben mit dem Ehemann sei ihr notwendiger Selbstbehalt um 10% auf 960 € monatlich herabzusetzen; folglich sei sie in einem erweiterten Umfang als von dem AmtsG angenommen leistungsfähig.

Dagegen sei der Antragstellerin weder ein Wohnvorteil, noch ein etwaiger Anspruch auf Familienunterhalt einkommenserhöhend zuzurechnen. Ein möglicher Vorteil des mietfreien Wohnens übersteige die geltend gemachte Beteiligung der Antragstellerin an der Hausfinanzierung von 510 € monatlich nicht. Ihr Ehemann sei mit Blick auf seine Nettoeinkünfte von rund 1.951 €, seine erhöhten berufsbedingten Aufwendungen und seine alleinige Barunterhaltsverpflichtung gegenüber den beiden gemeinsamen Kindern ohne Gefährdung seines eheangemessenen Selbstbehalts nicht zur Zahlung von Familienunterhalt an die Antragstellerin in der Lage. Der aufgrund des 2. Corona-Steuerhilfegesetzes im Jahr 2020 zusätzlich zu dem Kindergeld in Höhe von 300 € ausgezahlte Kinderbonus sei unterhaltsrechtlich nicht zu berücksichtigen: Er stelle eine besondere Anerkennung der pandemiebedingten Mehrbelastung für Familien und insbesondere für Alleinerziehende dar. Dies würde ausgehöhlt, wenn die Antragstellerin als nicht betreuender barunterhaltspflichtiger Elternteil über die Unterhaltsanrechnung hälftig an dem Bonus beteiligt würde.

Hinweis
Die Anrechnung des hälftigen sog. Corona-Kinderbonus auf den Barunterhaltsbedarf des minderjährigen Kindes ist umstritten (s. OLG Koblenz [13. FamS] FamRB 2021, 182). Der in zwei Raten - nämlich einmal 200 € (09/2020) und einmal 100 € (10/2020) - an den kindergeldberechtigten Elternteil ausgezahlte Einmalbetrag wurde gesetzestechnisch und auch steuerlich als einmalige zusätzliche Kindergeldzahlung konzipiert; nach allgemeiner Auffassung ist deshalb in Bezug auf die Berücksichtigung dieser Leistung bei getrennt lebenden Eltern § 1612b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB unmittelbar anzuwenden. Demnach mindert der sog. Corona-Kinderbonus hälftig den Barunterhaltsbedarf des Kindes. Entsprechendes gilt für den Corona-Kinderbonus 2021, der im Rahmen des 3. Corona-Steuerhilfegesetzes vom 10.03.2021 für das Jahr 2021 als weitere finanzielle Hilfe für Familien festgelegt wurde, und 150 € pro Kind beträgt.


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Leistungsfähigkeit für Mindestunterhalt eines Kindes.

Auch beim Mindestunterhalt sind die Zins- und Tilgungsleistungen bis zu der Höhe des Wohnwertes in voller Höhe bei der Bereinigung des Nettoeinkommens zu berücksichtigen; erst ein darüber hinausgehender Wohnwert ist als Wohnvorteil zu berücksichtigen.

OLG Oldenburg, Beschluß vom 8. April 2021 - 3 UF 29/21

Anmerkungen

1. In einem Verfahren wegen Verwandtenunterhalts stritten die Beteiligten im Mangelfall über die Berücksichtigungsfähigkeit der Zins- und Tilgungsleistungen des Antragsgegners, die dem Erwerb seiner selbstbewohnten Immobilie dienen. Das Amtsgericht hat dem Antragsgegner einen verbleibenden Wohnvorteil in Höhe von 27,50 € zugerechnet; Zins- und Tilgungsleistungen in Höhe von 322,50 € wurden anerkannt, und dem ermittelten Wohnvorteil von 350 € gegengerechnet. Die Beschwerde des Unterhaltsgläubigers, hier liege ein Vermögensaufbau zugunsten des Unterhaltsschuldners vor, welcher im Mangelfall nicht hinnehmbar sei, hatte keinen Erfolg.

Die Anrechnung der Zins- und Tilgungsleistungen bis zur Höhe des Wohnvorteils entspräche den Leitlinien des hiesigen OLG und nach Auffassung des Senats auch der Rechtsprechung des BGH. Die vom BGH in dem Beschluss vom 18.01.2017 (BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519 = FuR 2017, 258) aufgestellten Grundsätze seien auf alle Unterhaltstatbestände übertragbar (vgl. Schürmann, FamRZ 2018, 1041). Dies gelte nach Auffassung des Senats auch für den Fall, dass der Mindestunterhalt nicht gedeckt sei, denn auch für diese Fallkonstellation gelte der Grundsatz, dass es ohne die Zins- und Tilgungsleistungen keinen Wohnvorteil gäbe. Dies soll jedenfalls gelten, soweit Wohnvorteil und damit korrespondierend Zins- und Tilgungsleistungen sich in einem angemessenen Rahmen bewegten.

Soweit der Antragsteller auf die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 14.06.2019 (NZFam 2019, 1054) verweise, sei darauf hinzuweisen, dass es bei dieser Entscheidung um die Frage der Berücksichtigung der den Wohnvorteil übersteigenden Tilgungsleistungen als zusätzliche Altersvorsorge gegangen sei. Dies habe das OLG Frankfurt bejaht, solange der Mindestunterhalt gewahrt sei. Der Fall sei aber mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar, da hier der Schuldendienst den Wohnwert unterschreite. Zwar könne grundsätzlich Vermögensaufbau zugunsten des Unterhaltsschuldners im Mangelfall nicht hingenommen werden; bei Vermögensbildung im Rahmen des selbst bewohnten Eigenheims sei aber zu berücksichtigen, dass es ohne den Schuldendienst auch keinen Wohnvorteil gäbe.

Soweit weiter auf die Entscheidung des BGH vom 30.01.2013 (FamRZ 2013, 616 = FuR 2013, 274) verwiesen werde, sei anzumerken, dass diese Entscheidung unter anderem die Berücksichtigungsfähigkeit zusätzlicher Altersvorsorge im Mangelfall thematisiere. Vorliegend verblieben aber keine Tilgungsleistungen, die über den Wohnwert hinausgehen. Letztere seien nach allgemeinen Grundsätzen bis zu der Höhe von 4% des Bruttoeinkommens als zusätzliche Altersvorsorge berücksichtigungsfähig, nicht jedoch, wenn der Mindestunterhalt nicht gedeckt sei.

Allgemeine Tilgungsleistungen, die der sonstigen Vermögensbildung dienten, und im Mangelfall nicht berücksichtigungsfähig seien, seien von den vorliegenden Tilgungsleistungen, die dem Erwerb des selbstbewohnten Eigenheims dienten und damit erst die Möglichkeit schaffen, dem Unterhaltspflichtigen einen Wohnvorteil anzurechnen, zu unterscheiden. Soweit auf einen möglichen Widerspruch hingewiesen werde, wonach durch Anerkennung von Tilgungsleistungen Vermögen aufgebaut werde, im Mangelfall aber auch der Vermögensstamm heranzuziehen sei, gelte dies jedenfalls nicht, sofern es um die angemessene, selbstbewohnte Immobilie gehe; diesbezüglich bestehe auch in der Regel keine Verwertungspflicht für diesen Vermögensstamm (vgl. BGHZ 169, 59 = BGH FamRZ 2006, 1511 = FuR 2006, 513; OLG Hamm FamRZ 2019, 531).

2. Der Senat folgt mit dieser Entscheidung der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519 = FuR 2017, 258) zu Wohnvorteil und Schuldendienst, die auf alle Unterhaltstatbestände übertragbar sein soll, hat jedoch die Rechtsbeschwerde zugelassen (Aktenzeichen des BGH: XII ZB 233/21).


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Leistungsfähigkeit zum Kindesunterhalt; Schuldenmoratorium.

1. Bei ansonsten eingeschränkter Leistungsfähigkeit für den Mindestunterhalt minderjähriger Kinder hat der Unterhaltspflichtige den Stamm seines Vermögens bis auf einen Schonbetrag in Höhe von rund 2.000 bis 3.000 € für den Unterhalt zu verwerten.
2. Steht Vermögen nicht sofort in bar zur Verfügung, ist es zumutbar, für einen überschaubaren Zeitraum den Unterhalt fremd zu finanzieren.
3. Schulden sind nur zu berücksichtigen, wenn sich der Unterhaltspflichtige zuvor vergeblich um eine Verringerung der Raten bemüht hat.

OLG Frankfurt, Beschluß vom 19. Mai 2021 - 4 UF 41/21

Anmerkungen

Der auf den Mindestunterhalt für zwei minderjährige Kinder ab 06/2020 in Anspruch genommene Antragsgegner, dessen monatliche Einkünfte nicht ausreichten, um den begehrten Unterhalt vollständig zu zahlen, veräusserte im Juli 2020 eine in seinem Alleineigentum stehende, vor der Trennung als Ehewohnung dienende Immobilie. Kurz zuvor war er - unter kostenpflichtiger Einlagerung seiner Möbel - zu seinen Eltern gezogen. Bis zu dem Erhalt des Kaufpreises zahlte er ein bei seiner Mutter zu der Finanzierung der Immobilie aufgenommenes Darlehen in monatlichen Raten zu 1.000 € ab. Nach Ablösung der Finanzierungsdarlehen verblieben ihm von dem zwischenzeitlich gezahlten Kaufpreis 175.000 €. Der Antragsgegner will sein Einkommen bis zum Erhalt des Kaufpreises sowohl um die Kosten für die Einlagerung der Möbel als auch um die Finanzierungsraten bereinigt wissen; im übrigen habe er den ihm verbliebenen Kaufpreis nicht für den Kindesunterhalt zu verwenden, weil der Betrag dem Erwerb einer neuen Immobilie diene, mit der er auch seine Altersversorgung sicherstellen wolle. Das FamG hat den Antragsgegner antragsgemäss zur Zahlung des Mindestunterhalts verpflichtet. Die Beschwerde des Antragsgegners hatte keinen Erfolg.

Der Antragsgegner sei ausreichend leistungsfähig, um den begehrten Mindestunterhalt zu zahlen. Soweit der Zeitraum ab dem Erhalt des Kaufpreises für die Immobilie betroffen sei, habe er den nach Darlehenstilgung verbleibenden Erlös für den Kindesunterhalt zu verwenden: Vermögensbildung sei zu Lasten unterhaltsberechtigter Kinder nicht zulässig. Dies gelte auch, soweit das Vermögen zur Altersvorsorge dienen solle. Der Unterhaltspflichtige könne lediglich einen Schonbetrag behalten, den der Senat mit 2.000 € bis 3.000 € beziffert hat; hilfsweise sei der (in dem vorliegenden Fall auch deutlich überschrittene) Freibetrag nach der DurchführungsVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII in Höhe von derzeit 5.000 € heranzuziehen.

Auch vor Erhalt des Kaufpreises für die Immobilie sei der Antragsgegner leistungsfähig für den begehrten Mindestunterhalt. Die Kosten der Einlagerung des Mobiliars seien nicht zu berücksichtigen, da sie dem Mindestunterhalt gegenüber nachrangig seien. Die an seine Mutter zu zahlenden Finanzierungsraten minderten gleichfalls nicht das Einkommen, weil der Antragsgegner keine Bemühungen entfaltet habe, die Darlehensbelastung durch Vereinbarung einer niedrigeren Ratenhöhe oder einer Stundung zu verringern. Schliesslich sei ihm angesichts der bereits absehbaren Kaufpreiszahlung die Aufnahme eines Überbrückungskredits zur Finanzierung des Unterhalts ausnahmsweise zumutbar gewesen.

Hinweis
Die Entscheidung zeigt insbesondere die Bedeutung des Vermögenseinsatzes für die Leistungsfähigkeit zum Kindesunterhalt: Häufig wird nur auf das oft dürftige Einkommen abgestellt, bestehendes Vermögen aber nur berücksichtigt, soweit der Pflichtige daraus Nutzungen zieht, die sein Einkommen erhöhen. Reicht das Einkommen eines Unterhaltspflichtigen nicht aus, um den Unterhaltsbedarf zu decken, so hat er auch den Stamm seines Vermögens dafür einzusetzen, wobei es im Kindesunterhalt (anders als im Ehegattenunterhalt nach § 1581 BGB) dafür keine allgemeine Billigkeitsgrenze gibt (BGH FamRZ 1986, 48). Dem Unterhaltspflichtigen ist aber regelmässig ein »Notgroschen« zu belassen (OLG Hamm NJW 2018, 2575). Allerdings muss auch dem gesteigert Unterhaltspflichtigen so viel verbleiben, dass in Verbindung mit zu erwartenden Einkünften sein notwendiger Selbstbehalt prognostisch dauerhaft gesichert ist (BGH FamRZ 1989, 272). Ein nicht Erwerbsfähiger wird oftmals den Stamm seines Vermögens auf Dauer benötigen.

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