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BGB § 1361b - Ehewohnung bei Getrenntleben - FD-Logo-500

BGB § 1361b - Ehewohnung
bei Getrenntleben




BGB § 1361b - Ehewohnung bei Getrenntleben

(1) Leben die Ehegatten voneinander getrennt oder will einer von ihnen getrennt leben, so kann ein Ehegatte verlangen, dass ihm der andere die Ehewohnung oder einen Teil zur alleinigen Benutzung überlässt, soweit dies auch unter Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Eine unbillige Härte kann auch dann gegeben sein, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist. Steht einem Ehegatten allein oder gemeinsam mit einem Dritten das Eigentum, das Erbbaurecht oder der Nießbrauch an dem Grundstück zu, auf dem sich die Ehewohnung befindet, so ist dies besonders zu berücksichtigen; Entsprechendes gilt für das Wohnungseigentum, das Dauerwohnrecht und das dingliche Wohnrecht.
(2) Hat der Ehegatte, gegen den sich der Antrag richtet, den anderen Ehegatten widerrechtlich und vorsätzlich am Körper, an der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung verletzt oder mit einer solchen Verletzung oder der Verletzung des Lebens widerrechtlich gedroht, ist in der Regel die gesamte Wohnung zur alleinigen Benutzung zu überlassen. Der Anspruch auf Wohnungsüberlassung ist nur dann ausgeschlossen, wenn keine weiteren Verletzungen und widerrechtlichen Drohungen zu besorgen sind, es sei denn, dass dem verletzten Ehegatten das weitere Zusammenleben mit dem anderen wegen der Schwere der Tat nicht zuzumuten ist.
(3) Wurde einem Ehegatten die Ehewohnung ganz oder zum Teil überlassen, so hat der andere alles zu unterlassen, was geeignet ist, die Ausübung dieses Nutzungsrechts zu erschweren oder zu vereiteln. Er kann von dem nutzungsberechtigten Ehegatten eine Vergütung für die Nutzung verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht.
(4) Ist nach der Trennung der Ehegatten im Sinne des § 1567 Abs. 1 ein Ehegatte aus der Ehewohnung ausgezogen und hat er binnen sechs Monaten nach seinem Auszug eine ernstliche Rückkehrabsicht dem anderen Ehegatten gegenüber nicht bekundet, so wird unwiderleglich vermutet, dass er dem in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten das alleinige Nutzungsrecht überlassen hat.






 



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Ehewohnung bei Getrenntleben; Räumungsvollstreckung aus einem Vergleich über die Wohnungszuweisung an einen Ehegatten.

BGB § 1361b; FamFG §§ 86, 200; ZPO § 732

1. Vereinbaren die Eheleute im Rahmen einer Ehewohnungssache, dass die Ehewohnung einem Ehegatten zur alleinigen Nutzung überlassen wird, kann hieraus die Räumungsvollstreckung nicht betrieben werden, solange die Vereinbarung nicht auch die Verpflichtung zur Räumung und Herausgabe der Ehewohnung enthält.
2. Allein aus der Wohnungszuweisung an einen Ehegatten in einem Vergleich folgt noch kein vollstreckbarer Räumungstitel; vielmehr bedarf es zusätzlich der Verpflichtung zur Räumung und Herausgabe der Ehewohnung.

OLG Zweibrücken, Beschluß vom 30. Januar 2020 - 2 WF 13/20

Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Ludwigshafen am Rhein vom 03.01.2020 (5a F 415/18) geändert.
2. Die Zwangsvollstreckung aus der durch das Amtsgericht - Familiengericht - Ludwigshafen am Rhein unter dem 29.08.2019 erteilten vollstreckbaren Ausfertigung zu dem in der nichtöffentlichen Sitzung vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Ludwigshafen am Rhein am 25.02.2019 abgeschlossenen Vergleich wird eingestellt.

Gründe
Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin wird als sofortige Beschwerde gegen die Klauselerinnerungsentscheidung ausgelegt - auch wenn (insoweit mißverständlich) mit dem gestellten Antrag die Einstellung der Zwangsvollstreckung »aus dem Vergleich«, nicht jedoch aus der auf Grundlage des Vergleichs erteilten vollstreckbaren Ausfertigung begehrt wird. In dem Schriftsatz vom 3. Dezember 2019 hat die Antragsgegnerin hinreichend zum Ausdruck gebracht, Einwendungen in dem Klauselerteilungsverfahren geltend machen zu wollen; dieses Rechtsschutzziel verfolgt sie auch in zweiter Instanz weiter.

Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde folgt aus § 86 Abs. 3 FamFG iVm §§ 732, 793, 567 ff ZPO. Da das FamFG keine Regelungen über die Erteilung der Vollstreckungsklausel enthält, sind in Bezug auf das Verfahren und auf die Rechtsmittel die vorgenannten Regelungen der Zivilprozeßordnung - und damit insbesondere die §§ 732, 793, 567ff ZPO - anwendbar (vgl. Keidel, FamFG 20. Aufl. § 86 Rdn. 18). Auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der sofortigen Beschwerde (§§ 567 ff ZPO) sind gegeben.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Im Rahmen ihrer Klauselerinnerung gemäß § 86 Abs. 3 FamFG, § 732 Abs. 1 ZPO rügt die Antragsgegnerin zu Recht, daß die Klausel unzulässig erteilt ist, weil sich aus Ziffer 2. des in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2019 abgeschlossenen Vergleichs kein vollstreckungsfähiger Inhalt ergebe; darin sind die Beteiligten lediglich übereingekommen, daß dem Antragsteller die näher bezeichnete Ehewohnung ab dem 1. September 2019 zur Nutzung überlassen wird.

Sowohl in der Rechtsprechung (OLG Stuttgart FamRZ 2002, 559) als auch in der Literatur (Schuschke, NZM 2010, 137, 138; Keidel, aaO § 209 Rdn. 3a; Götz in Johannsen/Henrich, Familienrecht 6. Aufl. § 1568a Rdn. 23; Lorenz in Zöller, ZPO 33. Aufl. § 209 FamFG Rdn. 3) ist anerkannt, daß sich allein aus der Wohnungszuweisung an einen Ehegatten noch kein vollstreckbarer Räumungstitel ergibt; vielmehr bedarf es zusätzlich der Verpflichtung zur Räumung und der Herausgabe der Ehewohnung. Daß die Beteiligten auch einen vollstreckbaren Titel über die Räumung und Herausgabe der Ehewohnung schaffen wollten, läßt sich auch nicht durch Auslegung ermitteln: Eine derartige Verpflichtung wurde in dem verfahrenseinleitenden Schriftsatz vom 20. Dezember 2018 ausdrücklich beantragt, in den Vergleichstext der Beteiligten aber gleichwohl nicht aufgenommen.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Erinnerungsverfahrens zu tragen (§ 81 FamFG). Die Kostentragungspflicht des Antragstellers entspricht billigem Ermessen, da das Erinnerungsverfahren durch die von ihm beantragte Erteilung der vollstreckbaren Ausfertigung veranlaßt wurde.

3. Der Gegenstandswert für das Erinnerungsverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.

4. Der Antragsgegnerin wird Verfahrenskostenhilfe für das Erinnerungsverfahren ohne Ratenzahlungsanordnung bewilligt. Zu der Wahrnehmung ihrer Rechte wird ihr Rechtsanwältin R. als Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet.

OLG Zweibrücken 2020-01-30 - 2 WF 13/20
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Anmerkungen

1. In einem von dem Ehemann eingeleiteten Verfahren gemäss § 1361b BGB schlossen die Eheleute in der mündlichen Verhandlung am 25.02.2019 einen Vergleich, nach dessen Ziffer 2. dem Antragsteller die näher bezeichnete Ehewohnung ab dem 01.09.2019 zur alleinigen Nutzung überlassen wird. Zu diesem Vergleich wurde dem Antragsteller unter dem 29.08.2019 eine vollstreckbare Ausfertigung erteilt. Hiergegen wandte sich die Ehefrau mit einer Klauselerinnerung, die das FamG zurückgewiesen hat. Ihr hiergegen eingelegtes Rechtsmittel hatte Erfolg.

2. Der Senat hat die Zwangsvollstreckung aus der zu dem Vergleich erteilten vollstreckbaren Ausfertigung auf Kosten des Antragstellers eingestellt; er hat hierbei das Rechtsmittel als sofortige Beschwerde gegen die Klauselerinnerungsentscheidung ausgelegt, auch wenn mit dem gestellten Antrag die Einstellung der Zwangsvollstreckung »aus dem Vergleich«, nicht jedoch aus der auf Grundlage des Vergleiches erteilten vollstreckbaren Ausfertigung begehrt worden sei. Schriftsätzlich habe die Antragsgegnerin hinreichend zum Ausdruck gebracht, Einwendungen in dem Klauselerteilungsverfahren geltend machen zu wollen; dieses Rechtsschutzziel verfolge sie auch in zweiter Instanz weiter. Die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde folge aus § 86 III FamFG iVm §§ 732, 793, 567 ff ZPO. Da das FamFG keine Regelungen über die Erteilung der Vollstreckungsklausel enthalte, seien in Bezug auf das Verfahren und die Rechtsmittel die vorgenannten Regelungen der ZPO anwendbar.

3. Im der Klauselerinnerung gemäss § 86 Abs. 3 FamFG, § 732 Abs. 1 ZPO rüge die Antragsgegnerin zu Recht, dass die Klausel unzulässig erteilt sei, weil sich aus Ziffer 2. des Vergleichs kein vollstreckungsfähiger Inhalt ergebe: Darin seien die Beteiligten lediglich übereingekommen, dass dem Antragsteller die näher bezeichnete Ehewohnung ab dem 01.09.2019 zur Nutzung überlassen wird. Allein aus einer Wohnungszuweisung an einen Ehegatten ergebe sich jedoch noch kein vollstreckbarer Räumungstitel; vielmehr bedürfe es zusätzlich der Verpflichtung zur Räumung und Herausgabe der Ehewohnung. Dass die Beteiligten auch einen vollstreckbaren Titel über die Räumung und Herausgabe der Ehewohnung schaffen wollten, lasse sich auch nicht durch Auslegung ermitteln: Eine derartige Verpflichtung sei in dem verfahrenseinleitenden Schriftsatz wohl ausdrücklich beantragt, in den Vergleichstext der Beteiligten aber gleichwohl nicht aufgenommen worden.

4. Der Antragsteller muss nunmehr den Titel des im Hauptsacheverfahrens gemäss § 86 Abs. 3 FamFG mit einer Vollstreckungsklausel versehen lassen, damit er die Räumungsvollstreckung betreiben kann (zu den Formerfordernissen OLG Brandenburg FamRZ 2016, 1960). Der Hauptsachetitel muss klar zum Ausdruck bringen, dass der Schuldner die Wohnung zu verlassen hat; die Pflicht zur »Räumung und Herausgabe« sollte ausdrücklich genannt sein. Dem kann durch Erlass einer entsprechenden Durchführungsanordnung nach §§ 49 Abs. 2 S. 3, 209, 215 FamFG wie auch durch Abschluss eines Vergleichs Rechnung getragen werden, um Zeitverzögerungen oder gar das Scheitern der Vollstreckung zu vermeiden.


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Räumung und Herausgabe einer Ehewohnung; Voraussetzungen für die Aufteilung einer Wohnung; großzügige Wohnverhältnisse.

BGB § 1361b

Eine Aufteilung einer Wohnung in dem Verfahren gemäß § 1361b BGB ist nur möglich, wenn die Wohnverhältnisse so großzügig bemessen sind, daß mit einem Zusammentreffen der zerstrittenen Ehepartner nicht zu rechnen ist, und zwar auch dann, wenn sich die Ehepartner im Interesse der Kinder arrangieren können, und ein Mindestmaß an gegenseitiger Rücksichtnahme walten lassen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 24. Februar 2020 - 13 UF 5/20

Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Senftenberg vom 21.11.2019 (31 F 2/19) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Antragsgegner zur Räumung und Herausgabe der Ehewohnung bis zum 30.04.2020 verpflichtet wird.
2. Die Kosten des Rechtsmittels hat der Antragsgegner zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.
4. Der Antragstellerin wird für den zweiten Rechtszug mit Wirkung ab Antragstellung ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwaltskanzlei T. O. bewilligt.

Gründe
I. Die Beteiligten sind getrennt lebende Ehegatten und Eltern ihrer im Dezember 2006 und im Januar 2016 geborenen Söhne. Bis zu ihrer Trennung im November 2018 lebte die Familie in der verfahrensgegenständlichen Ehewohnung, einem 170 qm großen, den Beteiligten je zur Hälfte gehörenden Haus, aus dem die Antragstellerin im Dezember 2018 mit beiden Kindern auszog; unmittelbar vorausgegangen war eine verbale und körperliche Auseinandersetzung der Ehegatten im Zusammenhang mit der Übergabe einer Chipkarte. Ihren deswegen bei dem Amtsgericht Senftenberg eingereichten Gewaltschutzantrag nahm die Antragstellerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu dem dortigen Aktenzeichen 31 F 1/19 am 18. Januar 2019 zurück.

Seit dem Auszug wohnt die Antragstellerin mit den Kindern bei ihren Eltern in dem Nachbarort, während der Antragsgegner die Ehewohnung alleine bewohnt. Die Spannungen der Kindeseltern haben sich seit dem Auszug für die beiden Kinder spürbar verschlimmert. Das ältere Kind verweigerte den Kontakt zum Vater bis zum November 2019 vollständig; mit dem jüngeren Kind pflegte der Vater durchgängig regelmäßigen Umgang, auf den sich die Kindeseltern mit Hilfe des Jugendamtes im August 2019 zu einigen vermochten. Seit November 2019 pflegen beide Kinder regelmäßig Umgang mit Übernachtung in dem väterlichen Haushalt.

Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2019 hat die Antragstellerin erstinstanzlich die Zuweisung der Ehewohnung mit der Begründung geltend gemacht, in dem Hause ihrer Eltern unzumutbar beengt zu sein; insbesondere hätten die Kinder keine eigenen Zimmer, sondern schliefen mit ihr in einem Raum. Auf den Zuweisungsantrag, der aus nicht in der Sphäre der Antragstellerin liegenden Gründen erst im Juli 2019 an die Gegenseite zugegangen ist, hat der Antragsgegner entgegnet, aus der Ehewohnung nicht ausziehen zu können, da er keine anderen Räumlichkeiten zu der Wahrnehmung des Umgangs mit seinen Kindern habe. Das Haus sei groß genug, um als getrenntes Ehepaar darin zu wohnen.

In dem erstinstanzlichen Anhörungstermin am 13. November 2019 hat die Vertreterin des Jugendamtes mitgeteilt, die Kindeseltern benötigten dringend Elternberatung, um die Umgangssituation für die Kinder weniger belastend gestalten zu können. Das größere Kind verweigere den Umgang mit dem Vater vermutlich aufgrund eines Loyalitätskonflikts; beide Kinder seien in den Elternstreit stark involviert.

Mit Beschluß vom 13. November 2019 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Senftenberg die Ehewohnung unter Gewährung einer Räumungsfrist bis zum 15. Februar 2020 der Antragstellerin alleine zugewiesen, und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Bei Verbleib des Antragsgegners in der Wohnung sei das Wohl der Kinder beeinträchtigt. Den Kindern sei das gewohnte Wohnumfeld zu erhalten, und dem Umgang verweigernden Kind sei nicht zuzumuten, mit dem Vater unter einem Dach zu leben.

Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsgegner die Zuweisung der Ehewohnung an sich, hilfsweise die Aufteilung der Räumlichkeiten auf sich und die Antragstellerin. Da er erst seit dem 23. November 2019 wieder regelmäßig Umgang mit dem größeren Kind pflege, und beide Kinder sich in seinem Haushalt sichtlich wohl fühlten, sei es zur Umgangsaufrechterhaltung und -erweiterung unumgänglich, daß er in der Ehewohnung weiterhin wohne; sein Auszug aus dem Haus könne zu einem Vertrauensverlust der beiden Söhne führen. Zu der Durchführung des Umgangs benötige er andernfalls eine Vier-Raumwohnung, die nicht leicht zu finden, und auch nicht von ihm finanzierbar sei. Im Gegensatz dazu verfüge die Antragstellerin über hinreichend großen Wohnraum in dem Hause ihrer Eltern. Schließlich stehe auch einem gemeinsamen Wohnen in der Ehewohnung nichts entgegen. Ernstliche Spannungen bestünden zwischen ihm und der Antragstellerin nicht, und seit dem Vorfall vom Dezember 2018 habe es keine Auseinandersetzung mehr gegeben. Das Haus sei technisch räumlich gut trennbar.

Der Antragsgegner beantragt, den Beschluß des Amtsgerichts Senftenberg vom 19. November 2019 aufzuheben, und ihm die Ehewohnung samt Grundstück für die Dauer des Getrenntlebens zur alleinigen Nutzung zuzuweisen, hilfsweise, ihm für die Dauer des Getrenntlebens die in der Ehewohnung vorhandenen Räumlichkeiten - Spitzboden bestehend aus einem kleinen Büro und einer Abstellkammer sowie Bad im Erdgeschoß - zur Alleinnutzung, sowie die Räume Keller, Heizraum, im Erdgeschoß Wohnküche, Flur, im ersten Obergeschoß den Flur zur Mitbenutzung zuzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt Zurückweisung der Beschwerde. Der Spannungen zwischen ihr und dem Antragsgegner wegen sei eine gemeinsame Nutzung der Ehewohnung unter Berücksichtigung des Kindeswohles nicht möglich. Den Kindern sei nicht zuzumuten, wegen der Durchführung der Umgänge weiterhin in einem Provisorium zu wohnen.

Das Jugendamt hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

Auf den Antrag des Antragsgegners vom 27. Dezember 2019 hat der Senat mit Beschluß vom 24. Januar 2020 die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses bis zu der Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 64 Abs. 3 FamFG vorläufig ausgesetzt, um ein andernfalls zu befürchtendes mehrmaliges Ein- und Ausziehen der betroffenen Kinder aus der Ehewohnung zu verhindern.

II. Der Senat entscheidet - wie durch Beschluß vom 24. Januar 2020 angekündigt - ohne erneute mündliche Verhandlung, von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war, nachdem sich die Beteiligten mit ihren wechselseitigen Ansichten unverändert in dem zweiten Rechtszug umfänglich schriftsätzlich geäußert haben.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, da gemäß § 1361b Abs. 1 S. 1 und 2 BGB das Wohl der betroffenen minderjährigen Kinder die Zuweisung der Ehewohnung an die die Kinder hauptsächlich betreuende Antragstellerin gebietet. Prüfungsmaßstab für das Vorliegen einer unbilligen Härte gemäß 1361b Abs. 1 BGB ist hier allein das Wohl der Kinder. Da die Beeinträchtigung des Kindeswohles von § 1361b Abs. 1 BGB ausdrücklich erwähnt ist, haben die Belange betroffener Kinder grundsätzlich Vorrang bei der Billigkeitsabwägung (OLG Brandenburg FamRZ 2010, 1983). Die Wohnung ist vorzugsweise demjenigen Elternteil zuzuweisen, der das Kind in erster Linie betreut (OLG Hamburg FamRZ 2019, 1405 = FuR 2019, 550).

Dem Wohle der beiden Kinder ist hier dadurch am besten gedient, daß sie möglichst viel Lebenszeit in der Ehewohnung verbringen. Deren Wirkung auf die durch den Trennungskonflikt belasteten Kinder hat sich überaus anschaulich darin gezeigt, daß der größere der beiden sehr positiv auf die Umgangswiederanbahnung innerhalb der Ehewohnung reagiert hat, und nun wieder regelmäßig Umgang mit dem Vater pflegt, und insgesamt die Umgänge maßgeblich von dem Aufenthalt der Kinder in dem Elternhaus profitieren. Wegen dieser herausragenden Bedeutung der Ehewohnung für das Wohl der Kinder treten der Streit darüber, ob die Antragstellerin in dem Hause ihrer Eltern mehr oder weniger beengt mit den Kindern lebt, und ebenso die finanziellen Erwägungen des Antragsgegners, deretwegen ihm die Anmietung einer Vier-Raumwohnung unzumutbar erscheint, gegenüber denen des Kindeswohles zurück, denn etwaigen ungleichen wirtschaftlichen Verhältnissen kommt unter Berücksichtigung der Kindesbelange keine ausschlaggebende Bedeutung zu (OLG Brandenburg FamFR 2010, 449).

Umgekehrt rechtfertigt die Kindeswohlförderlichkeit der Umgangsdurchführung in der Ehewohnung nicht deren Zuweisung an den Antragsgegner. Nachdem der Antragsgegner die Umgänge zu seinen Söhnen nunmehr über einen längeren Zeitraum hinweg innerhalb der Ehewohnung aufbauen, und dadurch sein Verhältnis zu den Kindern stabilisieren konnte, erscheint es nicht nachvollziehbar, daß zu der Aufrechterhaltung des Umgangs auf Dauer die Ehewohnung erforderlich sein könnte. Darüber hinaus verbringen die Kinder derzeit weniger Lebenszeit bei dem Umgang als in der Obhut der Antragstellerin, so daß sie durch die Wohnungszuweisung an letztere mehr profitieren, als bei einer Zuweisung an den Antragsgegner.

Die hilfsweise beantragte Zuweisung einzelner Räume an den Antragsgegner allein und Zuweisung der Wohnküche, des Kellers und der Verkehrsflächen zur gemeinsamen Nutzung mit der Antragstellerin kommt ebenfalls aus Kindeswohlgründen nicht in Betracht, denn das besondere Einvernehmen der Beteiligten, das für das beantragte beinahe ungetrennte Wohnen erforderlich ist, ist nicht ersichtlich. Die Aufteilung einer Wohnung in dem Verfahren gemäß § 1361b BGB kann nur ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn die Wohnverhältnisse so großzügig bemessen sind, daß mit einem Zusammentreffen der zerstrittenen Ehepartner entweder nicht zu rechnen ist, oder wenn sich die Ehepartner wenigstens im Interesse der Kinder zu arrangieren bereit sind, und ein Mindestmaß an gegenseitiger Rücksichtnahme walten lassen (OLG Brandenburg FamFR 2010, 379; Götz in Johannsen/Henrich, Familienrecht 6. Aufl. § 1361b BGB Rdn. 30). Ausweislich der Mitteilung des Jugendamtes vom 30. August 2019 haben sich die Kindeseltern zwar gegenseitig zum Wohlverhalten im Beisein der Kinder verpflichtetet; irgendwelche weiteren Anhaltspunkte für die Beendigung des Trennungskonflikts der Eltern dergestalt, daß diese ihr Zusammenleben unter einem Dach unter Nutzung derselben Wohnküche und Verkehrsflächen so gestalten können, daß die bereits durch den Konflikt beeinträchtigten Kinder nicht weiteren Schaden nehmen, bestehen nicht, und sind von dem Antragsgegner überdies auch nicht vorgetragen worden, denn für das gemeinsame Benutzen von Wohnküche, Keller und Verkehrsflächen in einem Haus genügt nicht die Abwesenheit körperlicher Auseinandersetzungen, sondern es bedarf eines ganz besonders außergewöhnlichen Einvernehmens der getrennt lebenden Eltern.

Durch die Anordnung der Herausgabe- und Räumungspflicht bis zum 30. April 2020 sind die Bedürfnisse des Antragsgegners, sich erfolgreich neuen Wohnraum zu beschaffen, hinreichend berücksichtigt, zumal dieser bereits seit drei Monaten - seit der erstinstanzlichen Entscheidung - mit seinem Auszug rechnen muß.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Entscheidung über den Gebührenwert des Rechtsmittels auf §§ 55 Abs. 2, 48 Abs. 1 FamGKG.

Die Entscheidung über die Gewährung der Verfahrenskostenhilfe beruht auf §§ 76 Abs. 1, 78 Abs. 2 FamFG, §§ 114 ff ZPO.

Anlaß, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.

OLG Brandenburg 2020-02-24 - 13 UF 5/20
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Anmerkungen

1. Die Beteiligten sind getrennt lebende Ehegatten und Eltern ihrer in den Jahren 2006 und 2016 geborenen Söhne. Bis zu ihrer Trennung im November 2018 lebte die Familie in der verfahrensgegenständlichen Ehewohnung, einem 170 qm grossen, den Beteiligten je zur Hälfte gehörenden Haus, aus dem die Antragstellerin im Dezember 2018 mit beiden Kindern auszog. Unmittelbar vorausgegangen war eine verbale und körperliche Auseinandersetzung der Ehegatten im Zusammenhang mit der Übergabe einer Chipkarte. Ihren deswegen beim Amtsgericht Senftenberg eingereichten Gewaltschutzantrag hatte die Antragstellerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Seit dem Auszug wohnt die Antragstellerin mit den Kindern bei ihren Eltern im Nachbarort, während der Antragsgegner die Ehewohnung allein bewohnt. Die Spannungen der Kindeseltern haben sich seit dem Auszug für die beiden Kinder spürbar verschlimmert. Das ältere Kind verweigerte den Kontakt zum Vater bis zum November 2019 vollständig. Mit dem jüngeren Kind pflegte der Vater durchgängig regelmässigen Umgang, auf den sich die Kindeseltern mithilfe des Jugendamtes zu einigen vermochten. Seit November 2019 pflegen beide Kinder regelmässig Umgang mit Übernachtung in dem väterlichen Haushalt.

2. Die Antragstellerin hat die Zuweisung der Ehewohnung an sich mit der Begründung geltend gemacht, im Hause ihrer Eltern unzumutbar beengt zu sein; insbesondere hätten die Kinder keine eigenen Zimmer, sondern schliefen mit ihr in einem Raum. Der Antragsgegner hat entgegnet, er könne aus der Ehewohnung nicht ausziehen, da er keine anderen Räumlichkeiten zur Wahrnehmung des Umgangs mit seinen Kindern habe; im übrigen sei das Haus gross genug, um als getrenntes Ehepaar darin zu wohnen. In dem erstinstanzlichen Anhörungstermin am 13.11.2019 hat die Vertreterin des Jugendamtes mitgeteilt, die Kindeseltern benötigten dringend Elternberatung, um die Umgangssituation für die Kinder weniger belastend gestalten zu können. Das grössere Kind verweigere den Umgang mit dem Vater vermutlich aufgrund eines Loyalitätskonflikts. Beide Kinder seien in den Elternstreit stark involviert.

3. Das FamG hat die Ehewohnung unter Gewährung einer Räumungsfrist bis zum 15.02.2020 der Antragstellerin alleine zugewiesen, und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Bei Verbleib des Antragsgegners in der Wohnung sei das Wohl der Kinder beeinträchtigt. Den Kindern sei das gewohnte Wohnumfeld zu erhalten, und dem Umgang verweigernden Kind sei nicht zuzumuten, mit dem Vater unter einem Dach zu leben. Mit seiner Beschwerde begehrt der Antragsgegner die Zuweisung der Ehewohnung an sich, hilfsweise die Aufteilung der Räumlichkeiten auf sich und die Antragstellerin.

4. Auf Antrag des Antragsgegners hat der Senat zunächst mit Beschluss vom 24.01.2020 die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses bis zu der Entscheidung in der Hauptsache gemäss § 64 Abs. 3 FamFG vorläufig ausgesetzt, um ein andernfalls zu befürchtendes mehrmaliges Ein- und Ausziehen der betroffenen Kinder aus der Ehewohnung zu verhindern. Im übrigen hatte das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, da gemäss § 1361b Abs. 1 S. 1 und 2 BGB das Wohl der betroffenen minderjährigen Kinder die Zuweisung der Ehewohnung an die die Kinder hauptsächlich betreuende Antragstellerin gebietet.

» Prüfungsmaßstab für das Vorliegen einer unbilligen Härte gemäss 1361b Abs. 1 BGB ist hier allein das Wohl der Kinder. Da die Beeinträchtigung des Kindeswohles von § 1361b Abs. 1 BGB ausdrücklich erwähnt ist, haben die Belange betroffener Kinder grundsätzlich Vorrang bei der Billigkeitsabwägung (OLG Brandenburg FamRZ 2010, 1983). Die Wohnung ist vorzugsweise demjenigen Elternteil zuzuweisen, der das Kind in erster Linie betreut (OLG Hamburg FamRZ 2019, 1405). «

5. Die hilfsweise beantragte Zuweisung einzelner Räume an den Antragsgegner allein und Zuweisung der Wohnküche, des Kellers und der Verkehrsflächen zur gemeinsamen Nutzung mit der Antragstellerin komme ebenfalls aus Kindeswohlgründen nicht in Betracht, denn das besondere Einvernehmen der Beteiligten, das für das beantragte beinahe ungetrennte Wohnen erforderlich ist, sei nicht ersichtlich.

» Die Aufteilung einer Wohnung in dem Verfahren gemäss § 1361b BGB kann nur ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn die Wohnverhältnisse so grosszügig bemessen sind, dass mit einem Zusammentreffen der zerstrittenen Ehepartner entweder nicht zu rechnen ist, oder wenn sich die Ehepartner wenigstens im Interesse der Kinder zu arrangieren bereit sind, und ein Mindestmass an gegenseitiger Rücksichtnahme walten lassen (OLG Brandenburg FamFR 2010, 379). Ausweislich der Mitteilung des Jugendamtes vom 30.08.2019 verpflichteten sich die Kindeseltern zwar gegenseitig zum Wohlverhalten im Beisein der Kinder; irgendwelche weiteren Anhaltspunkte für die Beendigung des Trennungskonflikts der Eltern dergestalt, dass diese ihr Zusammenleben unter einem Dach unter Nutzung derselben Wohnküche und Verkehrsflächen so gestalten können, dass die bereits durch den Konflikt beeinträchtigten Kinder nicht weiteren Schaden nehmen, bestehen nicht, und sind von dem Antragsgegner überdies auch nicht vorgetragen, denn für das gemeinsame Benutzen von Wohnküche, Keller und Verkehrsflächen in einem Haus genügt nicht die Abwesenheit körperlicher Auseinandersetzungen, sondern es bedarf eines ganz besonders aussergewöhnlichen Einvernehmens der getrennt lebenden Eltern. «


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Eigenschaft einer Wohnung als Ehewohnung bei nur geplantem Zusammenleben; Kombination von Anträgen nach § 861 BGB und § 1361b BGB als Haupt- und Hilfsantrag.

BGB §§ 861, 1361b

1. § 1361b BGB sperrt in Bezug auf die Ehewohnung Besitzschutzansprüche nach § 861 BGB.
2. Ist die Ehewohnungseigenschaft streitig, können Anträge nach § 861 BGB und § 1361b BGB als Haupt- und Hilfsantrag kombiniert werden.
3. Bei Abweisung des Hauptantrages ist der Hilfsantrag allerdings abzutrennen, und ist über ihn in einem gesonderten Verfahren zu entscheiden.
4. Haben die Ehegatten eine Wohnung nie in ehelicher Lebensgemeinschaft gemeinsam bewohnt, handelt es sich gleichwohl um eine Ehewohnung, wenn beide Ehegatten dies zumindest geplant hatten, und der Grundvertrag für die Wohnung bereits abgeschlossen wurde.

OLG Hamburg, Beschluß vom 12. Mai 2020 - 2 UF 203/19

Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hamburg vom 07.11.2019 (278 F 141/18) abgeändert.
Der Hauptantrag wird als unzulässig verworfen; im übrigen werden die Hilfsanträge abgetrennt und zur Entscheidung in dem Ehewohnungsverfahren an das Amtsgericht - Familiengericht - Hamburg zurückverwiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen hat der Antragsteller zu tragen.
3. Der Verfahrenswert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Herausgabe, hilfsweise Mitbenutzung einer dem Antragsteller gehörenden Wohnung in Hamburg. Sie sind miteinander verheiratet, leben jedoch seit August 2017 voneinander getrennt. Ein Ehescheidungsverfahren ist vor dem Amtsgericht Hamburg anhängig. Aus der Ehe ist eine gemeinsame noch minderjährige Tochter hervorgegangen, die bei der Antragsgegnerin lebt.

Die Beteiligten lebten ursprünglich gemeinsam in einer Wohnung in Braunschweig. Seit August 2017 wohnt die Antragsgegnerin mit der gemeinsamen Tochter in der verfahrensgegenständlichen Wohnung in Hamburg. Der Antragsteller erwarb diese Wohnung zuvor zu Alleineigentum, und renovierte sie umfangreich bis Mitte 2017. Es war zwischen den Beteiligten zunächst geplant, diese Wohnung in Hamburg nach der Renovierung als gemeinsame Wohnung zu nutzen. Zu einem tatsächlichen dauerhaften Einzug des Antragstellers in die Wohnung ist es allerdings nie gekommen; vielmehr trennten sich die Beteiligten zuvor, wobei die Einzelheiten hierzu zwischen den Beteiligten streitig sind. Jedenfalls besuchte der Antragsteller die gemeinsame Tochter zwischen August 2017 und Dezember 2017 an einzelnen Tagen, und hielt sich dabei in der Wohnung in Hamburg auf. Seit Dezember 2017 verwehrt ihm die Antragsgegnerin den Zutritt zu der verfahrensgegenständlichen Wohnung, indem sie ihm dem Schlüssel zu der Wohnung abnahm.

Die Beteiligten stritten vor dem Amtsgericht Hamburg bereits in einem Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung über die weitere Nutzung der Wohnung. Im Rahmen dieses Verfahrens widerrief der Antragsteller die Duldung der weiteren Nutzung der Wohnung durch die Antragsgegnerin, und forderte von ihr die Herausgabe der Wohnung. Das Amtsgericht hat die Antragsgegnerin in jenem Verfahren mit Beschluß vom 13. April 2018 verpflichtet, dem Antragsteller den Mitbesitz an der verfahrensgegenständlichen Wohnung einzuräumen. Der Beschluß wurde bislang nicht umgesetzt. Vollstreckungsversuche des Antragstellers blieben bislang erfolglos.

Der Antragsteller meint, ihm stehe gegen die Antragsgegnerin ein Anspruch auf Herausgabe der Wohnung nach § 985 BGB zu; ein Recht zum Besitz stehe der Antragsgegnerin nicht zu. Er, der Antragsteller, habe die Nutzung der Wohnung durch die Antragsgegnerin nur bis März 2018 geduldet. Der Antragsgegnerin stehe auch aus Treu und Glauben in Verbindung mit der ehelichen Solidarität kein weitergehendes Besitzrecht an der Wohnung mehr zu, sie habe ausreichend Zeit gehabt, sich eine neue Wohnung zu suchen. Zudem stehe ihm ein Anspruch aus § 861 BGB auf Wiedereinräumung des Besitzes zu, weil die Antragsgegnerin ihm den Schlüssel zu der Wohnung im Dezember 2017 widerrechtlich entwendet, und damit verbotene Eigenmacht angewandt habe. Mindestens sei ihm ein Recht auf Mitbenutzung zuzubilligen.

Bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung handele es sich nicht um eine Ehewohnung. Da die Ehegatten unstreitig nie zusammen in der Wohnung gelebt hätten, sondern sich die Absicht der gemeinsamen Nutzung der Wohnung mit der Trennung zerschlagen habe, sei die Wohnung jedenfalls seit der Trennung keine Ehewohnung mehr. Die Trennung sei zudem vor dem Umzug der Antragsgegnerin in die Wohnung erfolgt.

Selbst wenn es sich bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung um eine Ehewohnung handeln würde, stehe ihm jedenfalls ein Anspruch auf Mitbenutzung der Wohnung nach § 1361b BGB zu. Er sei dringend auf die Mitnutzung der Wohnung angewiesen, weil er einkommenslos und verschuldet sei. Er könne auch nicht in das ebenfalls in seinem Alleineigentum stehende ehemalige Haus seiner Eltern ziehen; dieses Haus werde von seinen Eltern weiterhin bewohnt, und stünde zum Verkauf. Auch die Nutzung des sich auf dem Grundstück befindlichen Saunahauses sei nicht möglich, weil dieses Saunahaus für die Nutzung zu Wohnzwecken behördlich nicht zugelassen sei. Derzeit bewohne er zwar eine Wohnung in Hamburg-Blankenese; hierbei handele es sich aber um die Wohnung einer anderen Familie, die die Wohnung selbst durch eine Fremdvermietung oder einen Verkauf nutzen wolle, so daß er dort nicht dauerhaft bleiben könne. Eine Mitbenutzung der verfahrensgegenständlichen Wohnung sei möglich. Die Wohnung verfüge über ein Gästezimmer. Die Beteiligten würden zudem ein im Wesentlichen friedliches Verhältnis miteinander pflegen, so daß auch Gründe des Kindeswohles der Mitbenutzung nicht entgegenstehen würden.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Wohnung in Hamburg einschließlich des zu der Wohnung gehörenden Garagenstellplatzes geräumt an ihn herauszugeben, und ihm die Schlüssel für die Haustür, die Wohnungstür sowie für das Garagentor auszuhändigen, hilfsweise,

1. die Ehewohnung in Hamburg einschließlich des zu der Wohnung gehörenden Garagenstellplatzes ihm zur Mitbenutzung zuzuweisen, und

2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die Schlüssel für die Haustür, die Wohnungstür sowie für das Garagentor auszuhändigen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Sie meint, daß es sich bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung um eine Ehewohnung handele; § 985 BGB sei daher nicht anwendbar, und der Hauptantrag sei schon deswegen zurückzuweisen. Der Ehewohnungscharakter folge daraus, daß die Beteiligten ursprünglich vorhatten, die Wohnung gemeinsam zu bewohnen. Zutreffend sei allein, daß die Beteiligten dort nie zusammengelebt hätten. Sie habe dem Antragsteller auch den Schlüssel nicht widerrechtlich entwendet, sondern sei hierzu zum Schutze der gemeinsamen Tochter berechtigt gewesen. Dem Antragsteller stehe auch kein Anspruch auf Einräumung des Mitbesitzes gemäß § 1361b BGB zu: Sie, die Antragsgegnerin, sei nämlich dringend auf die Nutzung der Wohnung angewiesen. Sie verfüge über kein Erwerbseinkommen, und erhalte von dem Antragsteller - unstreitig - keinen Betreuungsunterhalt.

Eine gemeinsame Nutzung scheide auch aus Kindeswohlgründen aus. Während der Besuche des Antragstellers in der Wohnung sei es Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gekommen, unter denen die Tochter sehr gelitten habe; auch handele es sich bei dem von dem Antragsteller angeführten Gästezimmer um das Schlafzimmer der Tochter. Der Antragsteller verfüge entgegen seinen Ausführungen über Einkommen und Vermögen, was durch seinen aufwendigen Lebensstil belegt werde. Er könne zudem weiter in der von ihm aktuell bewohnten Wohnung wohnen, und er könne auch das Saunahaus in Braunschweig bewohnen: Es sei nicht glaubhaft, daß das Haus veräußert werden solle. Auch sei die 6-Monatsfrist des § 1361b Abs. 4 BGB abgelaufen, weil der Widerruf der Nutzungserlaubnis erst im März 2018, und damit länger als sechs Monate nach der Trennung erfolgt sei.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Hamburg hat das Verfahren als Familienstreitsache behandelt, und hat mit Beschluß vom 7. November 2019 die Antragsgegnerin verpflichtet, die Wohnung nebst Schlüssel und Garagenstellplatz an den Antragsteller herauszugeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß es sich bei der Wohnung um keine Ehewohnung handele, weil die Wohnung den Beteiligten zu keinem Zeitpunkt tatsächlich als gemeinsame Wohnung gedient habe. Zwar sei dies ursprünglich beabsichtigt gewesen; diese Absicht sei aber bis zu der Trennung nicht umgesetzt worden. Eine Wohnung, die erst nach der Trennung bezogen werde, sei aber keine Ehewohnung: Es bedürfe in Bezug auf diese Wohnung gerade keines Schutzes des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe. Der sich an die Trennung anschließende tageweise Aufenthalt des Antragstellers in der verfahrensgegenständlichen Wohnung begründe nicht ihren Charakter als Ehewohnung. Der Herausgabeanspruch des Antragstellers ergebe sich daher aus § 985 BGB. Der Antragsgegnerin stehe auch kein Recht zum Besitz gemäß § 986 BGB zu. Selbst wenn zwischen den Beteiligten anläßlich der Trennung zunächst ein Leihvertrag begründet worden sei, sei dieser Leihvertrag mit dem Herausgabeverlangen des Antragstellers beendet worden. Auch sonst sei ein Recht zum Besitz nicht zu erkennen.

Gegen diesen der Antragsgegnerin am 12. November 2019 zugestellten Beschluß hat sie mit bei dem Familiengericht am 12. Dezember 2019 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt, und diese nach entsprechender Fristverlängerung am 7. Februar 2020 begründet. Sie meint, es handele sich bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung um eine Ehewohnung iSd § 1361b BGB; § 985 BGB sei daher nicht anwendbar. Sie wiederholt und vertieft insoweit ihren erstinstanzlichen Vortrag. Ergänzend führt sie aus, der Antragsteller habe sich erst an dem Tage des Umzugs, aber nachdem der Umzug bereits vollzogen war, von der Antragstellerin getrennt, indem er ihr mitgeteilt habe, daß er »keinen Bock« darauf habe, mit ihr in der verfahrensgegenständlichen Wohnung zu leben. Jedenfalls habe sie ein Recht zum Besitz, weil sich der Antragsteller mit der Nutzung der Wohnung durch sie einverstanden erklärt habe. Zudem gebiete auch die eheliche Solidarität eine Weiternutzung der Wohnung: Sie hätten die gemeinsame Tochter übereinstimmend an einer nahegelegenen Grundschule angemeldet, damit sie kurze Wege habe; dies dürfe nicht dadurch unterlaufen werden, daß sie zusammen mit der Tochter die Wohnung nunmehr räumen müsse. Sie beantragt, den Beschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 7. November 2019 abzuändern, und die Anträge abzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er meint, das Familiengericht habe zu Recht angenommen, daß die verfahrensgegenständliche Wohnung keine Ehewohnung iSd § 1361b BGB sei. Die Beteiligten hätten sich entgegen dem neuen Vortrag der Antragsgegnerin bereits vor dem Umzug getrennt. Sie hätten nach der Trennung beschlossen, daß die Antragsgegnerin mit der gemeinsamen Tochter allein nach Hamburg in die Wohnung ziehe. Der Antragsgegner sollte zunächst in Braunschweig verbleiben. Durch die Trennung der Beteiligten sei die Widmung der Wohnung als Ehewohnung entfallen. Nach dem Umzug habe sich der Antragsteller nur besuchsweise in der Wohnung aufgehalten; es greife damit § 985 BGB. Es bestehe auch kein Recht zum Besitz für die Antragsgegnerin.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet; sie führt zur Verwerfung des Hauptsacheantrages als unzulässig (1.), sowie zur Abtrennung des Hilfsantrages (2.).

1. Der Hauptsacheantrag auf Herausgabe der Wohnung ist als unzulässig zu verwerfen, weil es sich bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung um eine Ehewohnung handelt.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Antrag auf Herausgabe einer Wohnung auf Basis des § 985 BGB unzulässig, wenn es sich bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung um eine Ehewohnung iSd § 1361b BGB handelt (BGH FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78 Tz. 10).

b) Gleiches muß auch für den Anspruch nach § 861 BGB gelten: Auch er kann in dem Anwendungsbereich des § 1361b BGB nicht mit Erfolg geltend gemacht werden (OLG Köln FamRZ 1987, 77; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 760; OLG Frankfurt NJW-RR 2019, 1220; Brudermüller in Palandt, BGB 79. Aufl. § 1361b Rdn. 18; Schäfer in MünchKomm, BGB 8. Aufl. § 861 Rdn. 15). Zwar wird insbesondere in der Literatur teilweise eine freie Anspruchskonkurrenz zwischen dem Anspruch auf Wohnungszuweisung nach § 1361b BGB und der Wiedereinräumung des Besitzes nach § 861 BGB angenommen (BeckOGK/Erbarth, BGB § 1361b Rdn. 172 ff; Voppel in Staudinger, BGB [2018] § 1361b Rdn. 54; Weber-Monecke in MünchKomm, BGB 8. Aufl. § 1361b Rdn. 2).

Das Beschwerdegericht folgt dieser Auffassung aber nicht: Sie würde der Konzentrationswirkung des § 1361b BGB entgegenstehen, und die Gefahr widersprechender Entscheidungen mit sich bringen. Zwar führt die Gegenauffassung aus, daß die Gefahr widersprechender Entscheidungen durch eine Verbindung der Anträge nach § 861 BGB und § 1361b BGB verhindert werden könne (BeckOGK/Erbarth, aaO § 1361b Rdn. 175); dem vermag sich das Beschwerdegericht aber ebenfalls nicht anzuschließen. Zutreffend ist zwar die Erwägung, daß weder das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, noch die über § 113 FamFG zur Anwendung gelangende Zivilprozeßordnung ein ausdrückliches Verbindungsverbot für Familiensachen (nur) nach dem FamFG einerseits und Familienstreitsachen nach § 113 FamFG andererseits kennt. Die in dem FamFG enthaltenen Verbindungsverbote wie zum Beispiel § 179 FamFG für Abstammungssachen oder § 196 FamFG für Adoptionssachen betreffen jeweils nur spezielle Verfahrensarten.

Aus dem Fehlen eines ausdrücklichen Verbindungsverbotes kann aber nicht der Umkehrschluß gezogen werden, daß alle anderen Verfahren ohne weiteres miteinander verbunden werden könnten. Eine Verbindung nach § 20 bzw. § 113 FamFG iVm § 145 ZPO kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn sich die Verfahrensordnungen beider zu verbindender Verfahren wesentlich voneinander unterscheiden. Dies ist bei einer reinen FamFG-Familiensache und einer Familienstreitsache aber der Fall: So gilt für Familienstreitsachen zum Beispiel der Beibringungsgrundsatz; es herrscht grundsätzlich Anwaltszwang, und die Formalien des Beschwerdeverfahrens sind wesentlich strenger ausgestaltet als im Rahmen einer reinen FamFG-Familiensache. Dort herrscht der Grundsatz der Amtsermittlung; die Beteiligten können sich selbst vertreten, und auch das Beschwerdeverfahren ist weit weniger formal ausgestaltet. Würden Anträge beider Verfahren miteinander verbunden werden, könnten aus diesen verfahrensrechtlichen Unterschiedlichkeiten eine Vielzahl von Problemen folgen, die maßgeblich einer Verbindung entgegenstehen (so auch Sternal in Keidel, FamFG 29. Aufl. § 20 Rdn. 4; BeckOK/Burschel, FamFG § 20 Rdn. 3; Gomille in Haußleiter, FamFG 2. Aufl. § 20 Rdn. 3; Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG 5. Aufl. § 20 Rdn. 8; a.A. Pabst in MünchKomm, FamFG 3. Aufl. § 20 Rdn. 7). Scheidet eine Verbindung aus, bleibt aber die Gefahr widersprechender Entscheidungen bestehen. Alle Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung der Ehewohnung nach der Trennung sind im Rahmen des Ehewohnungsverfahrens über § 1361b BGB (iVm § 209 FamFG) zu behandeln, mit der Folge der Unzulässigkeit eines Antrages auf der Basis sowohl des § 985 BGB als auch des § 861 BGB.

c) Vorliegend handelt es sich bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung um eine Ehewohnung. Der Begriff »Ehewohnung« ist weit auszulegen, und erfaßt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes alle Räume, die die Ehegatten zum Wohnen benutzen oder gemeinsam bewohnt haben, oder die dafür nach den Umständen bestimmt waren (BGH FamRZ 1990, 987, 988 = BGHF 7, 173).

Vorliegend haben die Ehegatten die verfahrensgegenständliche Wohnung zu keinem Zeitpunkt im Rahmen ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft gemeinsam genutzt; dies gilt selbst dann, wenn man den - insoweit gegenüber ihrem erstinstanzlichen Vortrag abweichenden - Vortrag der Antragsgegnerin als wahr unterstellt, und davon ausgeht, daß der Antragsteller sich erst unmittelbar nach dem Umzug von der Antragsgegnerin getrennt hat, denn selbst dann haben die Ehegatten die Wohnung zu keinem Zeitpunkt gemeinsam bewohnt. Der Ehewohnungscharakter ergibt sich vorliegend aber daraus, daß die Wohnung ursprünglich für die gemeinsame Nutzung bestimmt war, wozu es nur trennungsbedingt nicht mehr gekommen ist.

Die von dem Bundesgerichtshof anerkannte Fallgruppe der »dafür nach den Umständen bestimmten« Wohnung erfordert dabei allerdings mehr als eine reine Willensübereinkunft der Ehegatten hinsichtlich der Nutzung der Wohnung: Die Entstehung der Ehewohnungseigenschaft setzt zusätzlich auch ein hier allerdings vorliegendes objektives Element voraus. Die speziellen Regelungen zur Ehewohnung dienen - wie das Familiengericht zu Recht ausgeführt hat - dem Schutze des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe. Davon erfaßt werden aber nur diejenigen Räumlichkeiten, zu denen die Ehegatten neben einem gemeinsamen Nutzungswillen auch in einer nach außen erkennbaren Nutzungsbeziehung stehen.

Weil der Begriff »Ehewohnung« weit auszulegen ist, ist dazu zwar nicht erforderlich, daß die Ehegatten die Wohnung auch tatsächlich in ehelicher Lebensgemeinschaft genutzt haben; zu fordern ist aber, daß zumindest der für die gemeinsame Nutzung notwendige Grundvertrag in Form eines Miet- bzw. sonst schuldrechtlichen Überlassungsvertrages oder Kaufvertrages bereits wirksam zustande gekommen ist (zutr. BeckOGK/Erbarth, aaO § 1361b BGB Rdn. 40). Nicht ausreichend ist es demgegenüber, wenn die Ehegatten sich nur für die gemeinsame Nutzung einer bestimmten Wohnung entschlossen haben, ohne daß sie die Wohnung jemals gemeinsam genutzt haben, oder zumindest den entsprechenden Grundvertrag für die Nutzung abgeschlossen haben. Vorliegend haben die Beteiligten aber mit dem Abschluß des Kaufvertrages durch den Antragsteller die notwendige Nutzungsbeziehung begründet.

Die Ehewohnungseigenschaft der Wohnung in Hamburg hindert nicht, daß (auch) die Wohnung in Braunschweig parallel als Ehewohnung genutzt wurde: Das Gesetz fordert nicht, daß es jeweils nur eine Ehewohnung gibt. Zwar spricht der Wortlaut des Gesetzes nur im Singular von einer Ehewohnung; dies bedeutet aber nicht, daß die Ehegatten nicht über zwei Ehewohnungen verfügen könnten, sondern lediglich, daß nicht mehr als eine von mehreren Ehewohnungen zugewiesen werden darf (BeckOGK/Erbarth, § 1361b BGB Rdn. 45 ff mwN zur Gegenansicht). Es sind auch keine sonstigen Gründe ersichtlich, warum Ehegatten aus Rechtsgründen nicht über mehrere Ehewohnungen verfügen könnten. Daher hat der Bundesgerichtshof folgerichtig auch anerkannt, daß grundsätzlich auch ein Wochenendhaus eine Ehewohnung sein kann (BGH FamRZ 1990, 987 = BGHF 7, 173).

Ihre Eigenschaft als Ehewohnung hat die verfahrensgegenständliche Wohnung auch später nicht wieder verloren. Allerdings ist allgemein anerkannt, daß eine Wohnung ihren Charakter als Ehewohnung wieder verlieren kann: Typischerweise ist dies der Fall, wenn die Ehegatten gemeinsam von einer Wohnung in eine andere ziehen. Demgegenüber führt die Trennung als solche und der damit verbundene Auszug eines Ehegatten aus der Ehewohnung nicht dazu, daß diese ihren Charakter als Ehewohnung verliert; andernfalls wären die Regelungen der §§ 1361b, 1568a BGB sinnentleert, da sie eine Zuweisung der Ehewohnung auch nach der Trennung ermöglichen (BGH FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78 Tz. 13 ff). Die Wohnung verliert im Zuge der Trennung allerdings dann ihren Charakter als Ehewohnung, wenn sie von den Ehegatten als solche entwidmet wird; dies setzt aber voraus, daß sie von keinem Ehegatten mehr bewohnt, und zugleich das Nutzungsverhältnis zu ihr beendet wird, indem zum Beispiel der Mietvertrag gekündigt, oder die Wohnung veräußern wird (zutr. BeckOGK/Erbarth, § 1361b BGB Rdn. 59).

Vorliegend wird die Ehewohnung aber weiterhin von der Antragsgegnerin bewohnt, und der Antragsteller ist auch weiterhin Eigentümer der Wohnung. Der Umstand allein, daß die Ehegatten anläßlich ihrer Trennung die Übereinkunft gefunden haben, daß die Wohnung von der Antragsgegnerin mit der gemeinsamen Tochter alleine weiter genutzt wird, und der Antragsteller nicht mit in die Wohnung einzieht, stellt demgegenüber keine wirksame Entwidmung der Wohnung dar: Es handelt sich hierbei vielmehr um eine schlichte Absprache zur Durchführung der Trennung. Wäre dies anders, würde jede einvernehmliche Regelung über die Nutzung der Ehewohnung durch einen Ehegatten anläßlich der Trennung zugleich zu einer Entwidmung der Ehewohnung führen; dies stünde aber im Widerspruch dazu, daß die Trennung gerade nicht zu einem Verlust der Eigenschaft als Ehewohnung führt (BGH FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78 Tz. 13 ff).

2. Der Antragsteller hat seinen Herausgabeantrag in der Hauptsache auf §§ 985, 861 BGB gestützt, wie er ausdrücklich in der Antragsschrift ausgeführt hat. Zu Recht hat das Familiengericht das Verfahren daher als Familienstreitsache nach § 266 FamFG, und nicht als Ehewohnungssache nach § 200 FamFG behandelt. Daran ändert nichts, daß das Herausgabebegehren nach §§ 985, 861 BGB keinen Erfolg hat, weil es sich vorliegend um eine Ehewohnung handelt, deren Nutzung und Herausgabe sich nach § 1361b BGB richtet, denn bei dem Herausgabeantrag nach §§ 985, 861 BGB und dem Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung und Herausgabe nach § 1361b BGB iVm § 209 FamFG handelt es sich um Anträge, die in zwei unterschiedlichen Verfahren geltend zu machen sind, die auch nicht miteinander verbunden werden können (s. oben Ziff. 1.). Ein Antrag nach § 985 BGB kann daher nicht in einen Antrag nach § 1361b BGB umgedeutet werden (BGH FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78 Tz. 28), weshalb es dem Gericht auch verwehrt ist, in einem einheitlichen Verfahren den unterbreiteten Sachverhalt auf der Grundlage beider Normen rechtlich zu würdigen. Der Grundsatz, daß das Gericht den ihm unterbreiteten Sacherhalt eigenständig und in rechtlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen hat (Feskorn in Zöller, ZPO 33. Aufl. § 308 Rdn. 5), gilt nur im Rahmen der eigenen verfahrensrechtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.

Begehrt ein Ehegatte daher die Herausgabe einer Wohnung von dem anderen Ehegatten, hat er sich zu entscheiden, ob er den Antrag als Familienstreitsache nach § 266 FamFG auf der Grundlage des § 985 BGB (oder § 861 BGB) stellt, oder als Ehewohnungssache nach § 200 Abs. 1 FamFG auf der Grundlage des § 1361b BGB. Eine Kombination beider materiell-rechtlicher Regelungen innerhalb eines prozessualen Antrages ist demgegenüber nicht möglich.

Soll das Gericht daher über die Herausgabe der Wohnung sowohl auf Basis des § 985 BGB als auch auf der Basis des § 1361b BGB entscheiden, setzt dies voraus, daß zwei Anträge gestellt werden. Geschieht dies innerhalb eines Verfahrens, hat das Gericht beide Anträge voneinander zu trennen, weil sie nicht verbindungsfähig sind (s. oben Ziff. 1.). Eine solche Kombination zweier Anträge kann sowohl in Form zweier Hauptanträge, als auch in Kombination als Haupt- und Hilfsantrag erfolgen. Zwar führt die Abtrennung eines Hilfsantrages (zunächst) zu der Unzulässigkeit des Antrages in dem abgetrennten Verfahren, weil Gegenstand dieses Verfahrens nach der Abtrennung ein bedingter Antrag ist; der Antragsteller kann in dem abgetrennten Verfahren durch Erklärung gegenüber dem Gericht die Bedingung aber fallen lassen, und damit die Zulässigkeit des Antrages herbeiführen, so daß auch ein Hilfsantrag abzutrennen ist (BGH FamRZ 2007, 368 = EzFamR ZPO §§ 640ff Nr. 4). Hier ist der Antragsteller im Wege des Haupt- und zweier Hilfsanträge vorgegangen, weil er hilfsweise die Zuweisung der Wohnung zur Mitbenutzung nach § 1361b BGB begehrt.

Die Hilfsanträge sind daher abzutrennen und der Entscheidung in einem Ehewohnungsverfahren zuzuführen. Die abgetrennten Hilfsanträge sind sodann - anders als in dem Verfahren, das der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 6. Dezember 2006 zugrunde lag (FamRZ 2007, 368 = EzFamR ZPO §§ 640ff Nr. 4), an das Familiengericht gemäß § 69 Abs. 2 S. 2 FamFG zurückzuverweisen, weil über diese Anträge bislang noch keine Sachentscheidung ergangen ist, und es nicht angezeigt erscheint, daß das Beschwerdegericht selbst sofort in der Sache auf der Basis des § 1361b BGB entscheidet, und damit beiden Beteiligten eine Instanz nimmt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil er unterlegen ist.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 42 Abs. 3 FamGKG. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist der Auffangwert anzusetzen. § 48 FamGKG greift nicht, weil es sich nicht um eine Ehewohnungssache handelt.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

OLG Hamburg 2020-05-12 - 2 UF 203/19
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Anmerkungen

Die miteinander verheirateten Beteiligten leben seit August 2017 voneinander getrennt. Sie stritten um die Herausgabe, hilfsweise Mitbenutzung einer dem Antragsteller gehörenden Wohnung in Hamburg. Aus der Ehe ist eine noch minderjährige Tochter hervorgegangen, die bei der Antragsgegnerin lebt. Ein Ehescheidungsverfahren ist anhängig.

Die Beteiligten lebten ursprünglich gemeinsam in einer Wohnung in Braunschweig; seit August 2017 wohnt die Antragsgegnerin mit der gemeinsamen Tochter in der verfahrensgegenständlichen Wohnung in Hamburg. Der Antragsteller hatte diese Wohnung zuvor zu Alleineigentum erworben, und sie umfangreich bis Mitte 2017 renovierte. Zwischen den Beteiligten war zunächst geplant, diese Wohnung in Hamburg nach der Renovierung als gemeinsame Wohnung zu nutzen. Zu einem tatsächlichen dauerhaften Einzug des Antragstellers in die Wohnung ist es allerdings nie gekommen; vielmehr trennten sich die Beteiligten zuvor. Seit Dezember 2017 verwehrt ihm die Antragsgegnerin den Zutritt zu der Wohnung, in dem sie ihm den Wohnungsschlüssel abnahm.

Der Antragsteller macht gegen die Antragsgegnerin einen Anspruch auf Herausgabe der Wohnung nach § 985 BGB geltend. Die Antragsgegnerin habe kein Recht zum Besitz; er habe die Nutzung der Wohnung durch die Antragsgegnerin nur bis März 2018 geduldet. Der Antragsgegnerin stehe auch aus Treu und Glauben in Verbindung mit der ehelichen Solidarität kein weitergehendes Besitzrecht an der Wohnung mehr zu; sie habe ausreichend Zeit gehabt, sich eine neue Wohnung zu suchen. Zudem verlange er nach § 861 BGB Wiedereinräumung des Besitzes, weil die Antragsgegnerin ihm den Schlüssel zur Wohnung widerrechtlich entwendet, und damit verbotene Eigenmacht angewandt habe; mindestens sei ihm ein Recht auf Mitbenutzung zuzubilligen. Bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung handele es sich nicht um eine Ehewohnung. Da die Ehegatten unstreitig nie zusammen in der Wohnung gelebt hätten, sondern sich die Absicht der gemeinsamen Nutzung der Wohnung mit der Trennung zerschlagen habe, sei die Wohnung jedenfalls seit der Trennung keine Ehewohnung mehr; die Trennung sei zudem vor dem Umzug der Antragsgegnerin in die Wohnung erfolgt.

Selbst wenn es sich bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung um eine Ehewohnung handeln würde, stehe ihm jedenfalls ein Anspruch auf Mitbenutzung der Wohnung nach § 1361b BGB zu. Er sei dringend auf die Mitnutzung der Wohnung angewiesen, weil er einkommenslos und verschuldet sei. Er könne auch nicht in das ebenfalls in seinem Alleineigentum stehende ehemalige Haus seiner Eltern ziehen: Dieses Haus werde von seinen Eltern weiterhin bewohnt und stünde zum Verkauf. Auch die Nutzung des sich auf dem Grundstück befindlichen Saunahauses sei nicht möglich, weil dieses Saunahaus für die Nutzung zu Wohnzwecken behördlich nicht zugelassen sei. Derzeit bewohne er zwar eine Wohnung in Hamburg-Blankenese; hierbei handele es sich aber um die Wohnung einer anderen Familie, die die Wohnung selbst durch eine Fremdvermietung oder einen Verkauf nutzen wolle, so dass er dort nicht dauerhaft bleiben könne.

Eine Mitbenutzung der verfahrensgegenständlichen Wohnung sei möglich. Die Wohnung verfüge über ein Gästezimmer. Die Beteiligten würden zudem ein im Wesentlichen friedliches Verhältnis miteinander pflegen, so dass auch Gründe des Kindeswohles der Mitbenutzung nicht entgegenstehen würden.

Die Antragsgegnerin hält die verfahrensgegenständliche Wohnung für eine Ehewohnung; § 985 BGB sei daher nicht anwendbar, und der Hauptantrag sei schon deswegen zurückzuweisen. Der Charakter der Wohnung als Ehewohnung folge daraus, dass die Beteiligten ursprünglich vorhatten, die Wohnung gemeinsam zu bewohnen. Zutreffend sei allein, dass die Beteiligten dort nie zusammengelebt hätten. Sie habe dem Antragsteller auch den Schlüssel nicht widerrechtlich entwendet, sondern sei hierzu zum Schutze der gemeinsamen Tochter berechtigt gewesen.

Dem Antragsteller stehe auch kein Anspruch auf Einräumung des Mitbesitzes gemäss § 1361b BGB zu; sie sei nämlich dringend auf die Nutzung der Wohnung angewiesen. Sie verfüge über kein Erwerbseinkommen und erhalte von dem Antragsteller keinen Betreuungsunterhalt. Eine gemeinsame Nutzung scheide auch aus Kindeswohlgründen aus. Während der Besuche des Antragsstellers in der Wohnung sei es Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gekommen, unter denen die Tochter sehr gelitten habe. Auch handele es sich bei dem vom Antragsteller angeführten Gästezimmer um das Schlafzimmer der Tochter. Der Antragsteller verfüge entgegen seinen Ausführungen über Einkommen und Vermögen, was durch seinen aufwendigen Lebensstil belegt werde; er könne zudem weiter in der von ihm aktuell bewohnten Wohnung wohnen. Er könne auch das Saunahaus in Braunschweig bewohnen. Es sei nicht glaubhaft, dass das Haus veräussert werden solle. Auch sei die 6-Monatsfrist des § 1361b Abs. 4 BGB abgelaufen, weil der Widerruf der Nutzungserlaubnis erst im März 2018, und damit länger als 6 Monate nach der Trennung erfolgt sei.

Das FamG hat das Verfahren als Familienstreitsache behandelt und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Wohnung nebst Schlüssel und Garagenstellplatz an den Antragsteller herauszugeben. Bei dieser Wohnung handele sich nicht um eine Ehewohnung, weil die Wohnung den Beteiligten zu keinem Zeitpunkt tatsächlich als gemeinsame Wohnung gedient habe. Zwar sei dies ursprünglich beabsichtigt gewesen; diese Absicht sei aber bis zu der Trennung nicht umgesetzt worden. Eine Wohnung, die erst nach der Trennung bezogen werde, sei aber keine Ehewohnung; es bedürfe in Bezug auf diese Wohnung gerade keines Schutzes des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe. Der sich an die Trennung anschliessende tageweise Aufenthalt des Antragstellers in der verfahrensgegenständlichen Wohnung begründe nicht ihren Charakter als Ehewohnung. Der Herausgabeanspruch des Antragstellers ergebe sich daher aus § 985 BGB. Der Antragsgegnerin stehe auch kein Recht zum Besitz gemäss § 986 BGB zu: Selbst wenn zwischen den Beteiligten anlässlich der Trennung zunächst ein Leihvertrag begründet worden sei, sei dieser Leihvertrag mit dem Herausgabeverlangen des Antragstellers beendet worden. Auch sonst sei ein Recht zum Besitz nicht zu erkennen.

Das OLG hat die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin für begründet erachtet, den Hauptsacheantrag als unzulässig verworfen, und den Hilfsantrag angetrennt.

Da es sich bei der verfahrensgegenständlichen Wohnung um eine Ehewohnung handele, sei ein Antrag auf Herausgabe einer Wohnung auf der Basis des § 985 BGB unzulässig (BGHZ 212, 133 = FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78); gleiches gelte auch für den Anspruch nach § 861 BGB gelten; auch er könne in dem Anwendungsbereich des § 1361b BGB nicht mit Erfolg geltend gemacht werden (OLG Köln FamRZ 1987, 77; OLG Frankfurt NJW-RR 2019, 1220; OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 760).

» Der Begriff der Ehewohnung ist weit auszulegen und erfasst nach der Rechtsprechung des BGH alle Räume, die die Ehegatten zum Wohnen benutzen oder gemeinsam bewohnt haben oder die dafür nach den Umständen bestimmt waren (BGH FamRZ 1990, 987, 988). Vorliegend haben die Ehegatten die verfahrensgegenständliche Wohnung zu keinem Zeitpunkt im Rahmen ihrer ehelichen Lebensgemeinschaft gemeinsam genutzt. Dies gilt selbst dann, wenn man den Vortrag der Antragsgegnerin als wahr unterstellt und davon ausgeht, dass der Antragsteller sich erst unmittelbar nach dem Umzug von der Antragsgegnerin getrennt hat, denn selbst dann haben die Ehegatten die Wohnung zu keinem Zeitpunkt gemeinsam bewohnt.

Der Charakter der Wohnung als Ehewohnung ergibt sich vorliegend aber daraus, dass die Wohnung ursprünglich für die gemeinsame Nutzung bestimmt war, wozu es nur trennungsbedingt nicht mehr gekommen ist. Die von dem BGH anerkannte Fallgruppe der 'dafür nach den Umständen bestimmten' Wohnung erfordert dabei allerdings mehr als eine reine Willensübereinkunft der Ehegatten hinsichtlich der Nutzung der Wohnung. Die Entstehung der Ehewohnungseigenschaft setzt zusätzlich auch ein hier allerdings vorliegendes objektives Element voraus. Die speziellen Regelungen zur Ehewohnung dienen dem Schutz des räumlich-gegenständlichen Bereichs der Ehe. Davon erfasst werden aber nur diejenigen Räumlichkeiten, zu denen die Ehegatten neben einem gemeinsamen Nutzungswillen auch in einer nach Aussen erkennbaren Nutzungsbeziehung stehen.

Weil der Begriff der Ehewohnung weit auszulegen ist, ist dazu zwar nicht erforderlich, dass die Ehegatten die Wohnung auch tatsächlich in ehelicher Lebensgemeinschaft genutzt haben; zu fordern ist aber, dass zumindest der für die gemeinsame Nutzung notwendige Grundvertrag in Form eines Miet- bzw. sonst schuldrechtlichen Überlassungsvertrages oder Kaufvertrag bereits wirksam zustande gekommen ist. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, wenn die Ehegatten sich nur für die gemeinsame Nutzung einer bestimmten Wohnung entschlossen haben, ohne dass sie die Wohnung jemals gemeinsam genutzt oder zumindest den entsprechenden Grundvertrag für die Nutzung abgeschlossen haben. Vorliegend haben die Beteiligten aber mit dem Abschluss des Kaufvertrages durch den Antragsteller die notwendige Nutzungsbeziehung begründet. «

Die Eigenschaft der Wohnung als Ehewohnung in Hamburg hindere auch nicht, dass (auch) die Wohnung in Braunschweig parallel als Ehewohnung genutzt wurde. Das Gesetz fordere nicht, dass es jeweils nur eine Ehewohnung gibt. Zwar spreche der Wortlaut des Gesetzes nur im Singular von einer Ehewohnung; dies bedeute aber nicht, dass die Ehegatten nicht über zwei Ehewohnungen verfügen könnten, sondern lediglich, dass nicht mehr als eine von mehreren Ehewohnungen zugewiesen werden darf. Es seien auch keine sonstigen Gründe ersichtlich, warum Ehegatten aus Rechtsgründen nicht über mehrere Ehewohnungen verfügen könnten. Daher habe der BGH folgerichtig auch anerkannt, dass grundsätzlich auch ein Wochenendhaus eine Ehewohnung sein könne (BGH FamRZ 1990, 987).

» Ihre Eigenschaft als Ehewohnung hat die verfahrensgegenständliche Wohnung auch später nicht wieder verloren. Allerdings ist allgemein anerkannt, dass eine Wohnung ihren Charakter als Ehewohnung wieder verlieren kann. Typischerweise ist dies der Fall, wenn die Ehegatten gemeinsam von einer Wohnung in eine andere ziehen. Demgegenüber führt die Trennung als solche und der damit verbundene Auszug eines Ehegatten aus der Ehewohnung nicht dazu, dass diese ihren Charakter als Ehewohnung verliert; andernfalls wären die Regelungen der §§ 1361b, 1568a BGB sinnentleert, da sie eine Zuweisung der Ehewohnung auch nach der Trennung ermöglichen (BGHZ 212, 133 = FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78). Die Wohnung verliert im Zuge der Trennung allerdings dann ihren Charakter als Ehewohnung, wenn sie von den Ehegatten als solche entwidmet wird; dies setzt aber voraus, dass sie von keinem Ehegatten mehr bewohnt, und zugleich das Nutzungsverhältnis zu ihr beendet wird, indem etwa der Mietvertrag gekündigt, oder die Wohnung veräussern wird. «

Vorliegend werde die Ehewohnung aber weiterhin von der Antragsgegnerin bewohnt, und der Antragsteller sei auch weiterhin Eigentümer der Wohnung. Der Umstand allein, dass die Ehegatten anlässlich ihrer Trennung die Übereinkunft gefunden hätten, dass die Wohnung von der Antragsgegnerin mit der gemeinsamen Tochter alleine weiter genutzt wird, und der Antragsteller nicht mit in die Wohnung einzieht, stelle demgegenüber keine wirksame Entwidmung der Wohnung dar; es handele sich hierbei vielmehr um eine schlichte Absprache zur Durchführung der Trennung. Wäre dies anders, würde jede einvernehmliche Regelung über die Nutzung der Ehewohnung durch einen Ehegatten anlässlich der Trennung zugleich zu einer Entwidmung der Ehewohnung führen; dies stünde aber im Widerspruch dazu, dass die Trennung gerade nicht zu einem Verlust der Eigenschaft als Ehewohnung führt.

Der Antragsteller habe seinen Herausgabeantrag in der Hauptsache auf §§ 985, 861 BGB gestützt. Zu Recht habe das FamG das Verfahren daher als Familienstreitsache nach § 266 FamFG, und nicht als Ehewohnungssache mach § 200 FamFG behandelt. Daran ändere nichts, dass das Herausgabebegehren nach §§ 985, 861 BGB keinen Erfolg habe, weil es sich vorliegend um eine Ehewohnung handele, dessen Nutzung und Herausgabe sich nach § 1361b BGB richtet, denn bei dem Herausgabeantrag nach §§ 985, 861 BGB und dem Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung und Herausgabe nach § 1361b BGB iVm § 209 FamFG handele es sich um Anträge, die in zwei unterschiedlichen Verfahren geltend zu machen sind, die auch nicht miteinander verbunden werden könnten.

» Ein Antrag nach § 985 BGB kann daher nicht in einen Antrag nach § 1361b BGB umgedeutet werden (BGHZ 212, 133 = FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78), weshalb es dem Gericht auch verwehrt ist, in einem einheitlichen Verfahren den unterbreiteten Sachverhalt auf Grundlage beider Normen rechtlich zu würdigen. Der Grundsatz, dass das Gericht den ihm unterbreiteten Sacherhalt eigenständig und in rechtlicher Hinsicht vollständig zu überprüfen hat, gilt nur im Rahmen der eigenen verfahrensrechtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts. Begehrt ein Ehegatte daher die Herausgabe einer Wohnung von dem anderen Ehegatten, hat er sich zu entscheiden, ob er den Antrag als Familienstreitsache nach § 266 FamFG auf Grundlage des § 985 BGB (oder § 861 BGB) stellt, oder als Ehewohnungssache nach § 200 Abs. 1 FamFG auf Grundlage des § 1361b BGB. Eine Kombination beider materiell-rechtlicher Regelungen innerhalb eines prozessualen Antrages ist demgegenüber nicht möglich.

Soll das Gericht daher über die Herausgabe der Wohnung sowohl auf Basis des § 985 BGB als auch auf Basis des § 1361b BGB entscheiden, setzt dies die Stellung zweier Anträge voraus. Geschieht dies innerhalb eines Verfahrens, hat das Gericht beide Anträge voneinander zu trennen, weil sie nicht verbindungsfähig sind. Eine solche Kombination zweier Anträge kann sowohl in Form zweier Hauptanträge als auch in Kombination als Haupt- und Hilfsantrag erfolgen. Zwar führt die Abtrennung eines Hilfsantrages (zunächst) zu der Unzulässigkeit des Antrages in dem abgetrennten Verfahren, weil Gegenstand dieses Verfahrens nach der Abtrennung ein bedingter Antrag ist; der Antragsteller kann in dem abgetrennten Verfahren durch Erklärung gegenüber dem Gericht die Bedingung aber fallen lassen, und damit die Zulässigkeit des Antrages herbeiführen, so dass auch ein Hilfsantrag abzutrennen ist (BGHZ 212, 133 = FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78). «

Hier sei der Antragsteller im Wege des Haupt- und zweier Hilfsanträge vorgegangen, weil er hilfsweise die Zuweisung der Wohnung zur Mitbenutzung nach § 1361b BGB begehrt. Die Hilfsanträge seien daher abzutrennen und der Entscheidung in einem Ehewohnungsverfahren zuzuführen. Die abgetrennten Hilfsanträge seien sodann - anders als in dem Verfahren BGH FamRZ 2007, 368 - an das Familiengericht gemäss § 69 Abs. 2 S. 2 FamFG zurückzuverweisen, weil über diese Anträge bislang noch keine Sachentscheidung ergangen ist, und es nicht angezeigt erscheine, dass das Beschwerdegericht selbst sofort in der Sache auf Basis des § 1361b BGB entscheidet, und damit beiden Beteiligten eine Instanz nimmt.


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Nutzungsentschädigung bei einer Alleinnutzung der gemeinsamen Ehewohnung nach der Trennung; unentgeltliche Nutzung einer »Luxusimmobilie«.

1. Es kann erwartet werden, dass derjenige Ehegatte, der nach der Trennung trotz geringer Einkommensverhältnisse in dem gemeinsamen Einfamilienhaus zur Alleinnutzung wohnen bleibt, sich einen eigenen angemessen bescheidenen Wohnraum sucht, und die Immobilie anderweitig verwertet wird, so dass auf diese Weise beide Beteiligte an dem Nutz-/Vermögenswert partizipieren.
2. Bei einer solchen Sachlage wäre es unbillig, wenn ein Ehegatte über Jahre hinweg eine für seine Verhältnisse anzusehende »Luxusimmobilie« unentgeltlich zu nutzen berechtigt sein sollte; unter Billigkeitsaspekten ist es vielmehr geboten, den anderen Ehegatten für den jahrelangen Verlust der Nutzungsmöglichkeit an dem Haus angemessen zu entschädigen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 15. Juni 2020 - 9 UF 154/18

Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Königs Wusterhausen vom 03.07.2018 (5 F 357/17) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Zahlungspflicht des Antragsgegners bis zum 16.10.2019 befristet ist, und sich auf insgesamt 12.430 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.320 € seit dem 08.07.2017, auf jeweils 290 € seit dem 04.07.2017, 04.08.2017, 04.09.2017, 04.10.2017, 04.11.2017, 04.12.2017, 04.01.2018, 05.02.2018, 05.03.2018, 04.04.2018, 04.05.2018, 04.06.2018, 04.07.2018, 04.08.2018, 04.09.2018, 04.10.2018, 05.11.2018, 04.12.2018, 04.01.2019, 04.02.2019, 04.03.2019, 04.04.2019, 04.05.2019, 04.06.2019, 04.07.2019, 05.08.2019, 04.09.2019 und aus 150 € seit dem 04.10.2019 beläuft.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
3. Der Beschwerdewert wird auf bis 5.000 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe
I. Die Beteiligten - getrennt lebende und inzwischen seit Oktober 2019 rechtskräftig geschiedene Eheleute - streiten um Nutzungsentschädigungsansprüche für die Zeit seit August 2015, und nunmehr ausdrücklich befristet bis zum 16. Oktober 2019. Die Beteiligten sind hälftige Miteigentümer des in S. gelegenen Hausgrundstücks, das bis zu der räumlichen Trennung der Beteiligten durch den Auszug der Antragstellerin im August 2014 als Ehewohnung diente, und seither bzw. jedenfalls in dem gesamten Streitzeitraum durch den Antragsgegner genutzt wurde. Das Grundstück ist 804 qm groß, und nach Um- und Ausbau einer Bestandsimmobilie nach dem Jahre 2006 mit einem unterkellerten Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von bis zu 240 qm (jetzt streitig) bebaut, und verfügt außerdem über einen (beheizbaren) Außenpool und eine (beheizbare) Garage. Die mit 821 € monatlich unstreitig gestellten (Kredit-)Lasten des Hausgrundstücks hat der Antragsgegner, der bis Mitte Dezember 2017 Leistungen nach dem SGB II bezogen hat, mit Unterstützung seiner Eltern getragen.

Die - zunächst in Vollzeit und später mit 30-Wochenstunden erwerbstätige - Antragstellerin hat den Antragsgegner erstmals mit Schreiben vom 28. November 2014 wegen Nutzungsentschädigung in Anspruch genommen, und diese im Juni 2017 für die Zeit seit August 2015 gerichtlich geltend gemacht. Der Antragsgegner hat Zurückweisung der Zahlungsanträge beantragt, und sich unter anderem auf Leistungsunfähigkeit berufen.

Mit Beschluß vom 3. Juli 2018 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Königs Wusterhausen den Antragsgegner zu der Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung von 290 € ab Juli 2017, und zu der Zahlung eines rückständigen Nutzungsentgelts von 5.320 € für die Zeit von August 2015 bis Juni 2017 verpflichtet. Es hat dabei, anknüpfend an die Forderung der Antragstellerin, einen Kaltmietzins für die Immobilie von zunächst 1.100 €, ab 2016 von 1.300 €, und ab 2017 von 1.400 € zugrunde gelegt, und die mit 821 € monatlich bezifferten grundstücksbezogenen Lasten in Abzug gebracht. Wegen der Berechnung des Zahlungsanspruchs im einzelnen und der weiteren Begründung wird auf den Beschluß des Amtsgerichts Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung seines Vorbringens aus erster Instanz weiterhin die vollständige Abweisung des Zahlungsantrages zu erreichen sucht. Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung mit näherer Darlegung. Mit Blick auf die zwischenzeitlich eingetretene Rechtskraft der Scheidung im Oktober 2019 hat die Antragstellerin ihren Zahlungsanspruch mit Schriftsatz vom 3. Februar 2020 auf die Zeit bis zum 16. Oktober 2019, und auf einen Betrag von 12.430 € (nebst Zinsen) beschränkt; im übrigen haben die Beteiligten in dem Verhandlungstermin am 4. Juni 2020 übereinstimmend Erledigung der Hauptsache erklärt.

II. Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 FamFG statthaft und form- und fristgerecht gemäß §§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 und 2 FamFG eingelegt worden, mithin zulässig. In der Sache selbst hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat den Antragsgegner sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu Recht gemäß § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB zu der Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit seit August 2015 verpflichtet; es hat sich mit den Argumenten des Antragsgegners erschöpfend und beanstandungsfrei auseinandergesetzt, und in eine von dem Senat uneingeschränkt geteilte Billigkeitsabwägung einbezogen. Das - im wesentlichen in der Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens bestehende - Beschwerdevorbringen rechtfertigt weder eine Herabsetzung der Zahlungsverpflichtung, noch gar die Zurückweisung des Zahlungsantrages insgesamt; deshalb kann zu der Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Gründe der familiengerichtlichen Entscheidung vom 20. Oktober 2017 verwiesen werden, die in der gebotenen Kürze aufgrund des weitergehenden Beschwerdevorbringens wie folgt zu ergänzen sind:

Soweit der Antragsgegner in der zweiten Instanz unter verschiedenen Aspekten eine Herabsetzung des von dem Amtsgericht angesetzten Kaltmietwertes des Hausgrundstücks zu erreichen sucht, kann er damit keinen Erfolg haben.

Für die - erstmals in dem Beschwerderechtszug vorgetragene - Behauptung, die Wohnfläche betrage nicht 240 qm, sondern belaufe sich auf nur 170 qm, fehlt dafür jeder greifbare Anhaltspunkt. Soweit sich der Antragsgegner hierzu in dem Anhörungstermin vor dem Senat allgemein auf Bauunterlagen bezogen hat, ist festzustellen, daß in den von der Antragstellerin erstinstanzlich eingereichten Bauunterlagen eine Gesamtnutzfläche nach Anbau von 287,84 qm angegeben ist (inkl. Keller und Dachgeschoß). Es mag anzunehmen sein, daß die (mutmaßlich baurechtlich nach DIN 277 ermittelte) Gesamtnutzfläche mit einer den Vorgaben der Wohnflächenverordnung folgenden Ermittlung der Wohnfläche nicht identisch ist; fundierte Anknüpfungstatsachen für die von ihm reklamierte Wohnfläche von nur 170 qm bleibt der Antragsgegner jedenfalls schuldig.

Selbst wenn man nur 200 qm berücksichtigen wollte, gelangt man mit den von dem Amtsgericht angesetzten Kaltmietwerten für das gesamte Objekt von zunächst 1.100 (2015) über 1.300 (2016) bis auf 1.400 € (seit 2017) auf einen qm-Preis von 5,50 € in 2015, 6,50 € in 2016 und 7 € ab 2017, die in und um S. ohne weiteres aufgerufen wurden/werden. Zu berücksichtigen ist dabei, daß nicht der Nutzwert einer einzelnen Wohnung, sondern einer freistehenden Immobilie innerhalb des - seit Jahren sehr nachgefragten - Berliner Raumes, die im Jahre 2006 umfangreich saniert und um einen Anbau ergänzt worden ist, und eine insgesamt gehobene Ausstattung aufweist, maßgebend ist. Das Amtsgericht hat zu Recht ausgeführt, daß gerade in Ansehung der örtlichen Lage der Immobilie und ihrer Ausstattung die hier angesetzten Beträge im Vergleich zu der erzielbaren Nettokaltmiete bei Vermietung am freien Markt eher deutlich zu niedrig angesetzt sind.

Soweit der Antragsgegner zuletzt Zweifel zur Höhe des Mietwertes darauf zu stützen gesucht hat, daß die (ausgleichspflichtige?) Antragstellerin in dem noch anhängigen Zugewinnausgleichsverfahren den Grundstückswert nur mit 250.000 € angesetzt wissen will, überzeugt das nicht. Das mag widersprüchlich sein, ist aber nicht geeignet, die vorstehenden Aspekte auch nur tauglich in Frage zu stellen.

Soweit der Antragsgegner in dem Beschwerderechtszug eine Unbewohnbarkeit wegen statischer Mängel anführt, kann er auch damit keinen Erfolg haben. Richtig ist allein, daß der Antragsgegner (die Beteiligten) bewußt und sehr durchdacht - nämlich mit dem Versuch der Kompensation der Eingriffe durch Verstärkung an anderer Stelle - in dem Dachbereich von der Bauplanung abgerückt ist (sind), und deshalb jetzt die ursprüngliche statische Berechnung nicht mehr ohne weiteres zugrunde gelegt werden kann. Der von dem Antragsteller mit einer abstrakten Einschätzung (ex cathedra, also ohne Bauuntersuchung) beauftragte Dipl.-Ing. M. hat auch lediglich eine dringende Empfehlung zur Überprüfung abgegeben, und eher die Annahme als die Feststellung einer »eingeschränkten Tragfähigkeit« in den Raum gestellt. Das trägt aber nicht den Schluß auf baustatische Bedenken. Der Antragsgegner und seine Familie haben das Hausgrundstück in Kenntnis dieser Eingriffe jahrelang angstfrei genutzt; in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht hat sich an der Bewohnbarkeit des Hausgrundstücks nichts geändert. Wenn der Antragsgegner heute behauptet, er habe sich seit Offenbarung dieser gutachterlichen Einschätzung auf die Nutzung des Nebengebäudes beschränkt, und schlafe im Keller, ist das nicht glaubhaft. Zu sonstigen Mängeln des Objekts, die zweitinstanzlich anklingen, ist substantiierter Vortrag nicht geleistet worden.

Eine Korrektur des erstinstanzlich antragsgemäß zugrunde gelegten Kaltmietwertes ist nach alledem nicht veranlaßt. Die sich unstreitig auf 821 € monatlich belaufenden Grundstückslasten sind zutreffend abgezogen worden, so daß sich in dem Streitzeitraum vom 1. August 2015 bis zum 16. Oktober 2019 ein Nutzungsentgeltanspruch von (jedenfalls) 12.430 € ergibt.

Das Amtsgericht hat insbesondere auch zu Recht festgestellt, daß der Antragsgegner mit dem Einwand unzureichender Leistungsfähigkeit nicht durchdringen kann.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, daß zwischen den Ehegatten etwa bestehende Unterhaltspflichten in die Billigkeitsabwägung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB jedenfalls insoweit einzubeziehen sind, als bereits rechtskräftig über sie entschieden wurde; das folgt aus dem Verbot der Doppelverwertung (vgl. dazu OLG Köln FamRZ 2005, 639; OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 775; OLG Naumburg FamRZ 2009, 2090; OLG Bremen FamRB 2014, 241). So liegt der Fall hier zwar nicht, aber auch in Fällen einer fehlenden Unterhaltsregelung im Rahmen der bei der Prüfung des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung vorzunehmenden Billigkeitsabwägung ist eine einheitliche wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten, welche darauf abstellt, ob der in der Ehewohnung verbliebene Ehegatte im Falle der von ihm abgelehnten Zahlung einer Nutzungsentschädigung gegen den anderen Ehegatten - unabhängig von dessen tatsächlicher Geltendmachung - einen Anspruch auf Trennungsunterhalt hätte. Allerdings kann die Einbeziehung etwa bestehender Unterhaltspflichten nicht so weit gehen, daß die in einem Unterhaltsverfahren zu klärenden und hier schon im Ansatz umstrittenen tatsächlichen und rechtlichen Fragen (einschließlich etwaiger fiktiver Verdienstmöglichkeiten) in dem Ehewohnungsverfahren nach § 1361b BGB entschieden werden; dafür bietet der wechselseitige Vortrag zu den unterhaltsrelevanten Tatsachen in dem Streitzeitraum auch tatsächlich keine ausreichend tragfähige Grundlage.

Es ist durchaus denkbar, daß rein rechnerisch dem bis Ende des Jahres 2017 von Leistungen nach dem SGB II und zuletzt einem Nebenverdienst aus geringfügiger Tätigkeit lebenden Antragsgegner - trotz des zwischenzeitlich mit dem Versicherer des Unfallverursachers abgeschlossenen Vergleichs, der nach den Ausführungen des Antragsgegners in dem Schriftsatz vom 26. Mai 2020 ausdrücklich »auch die Erwerbseinbußen des Beschwerdeführers umfaßt« -, bei Verpflichtung zu der Zahlung des in Rede stehenden Nutzungsentgelts ein Unterhaltsanspruch gegen die Antragstellerin aus § 1361 Abs. 1 BGB zustehen würde. Das rechtfertigt unter den hier obwaltenden Umständen indes keinesfalls die Feststellung, daß dann zumindest für diesen Teilzeitraum aus Billigkeitsgründen keine Nutzungsentschädigung geschuldet wäre.

Angesprochen sind in diesem Zusammenhang eher Fälle, in denen der fortgesetzten Nutzung eine Wohnungszuweisung vorangegangen ist, und der in engen finanziellen Verhältnissen lebende Nutzungsberechtigte gemeinsame minderjährige Kinder betreut und versorgt. Eine vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor: Völlig zu Recht hat bereits das Familiengericht jedenfalls für den hier vorliegenden Fall jahrelanger Nutzung über die Rechtshängigkeit des von dem Antragsgegner selbst eingeleiteten Scheidungsverfahrens hinaus dem Aspekt der wechselseitigen Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Belange des Mitberechtigten und dem Grundsatz der zunehmenden Eigenverantwortung besondere Bedeutung im Rahmen der Billigkeitsabwägung beigemessen.

Der - keineswegs erwerbsunfähige - Antragsgegner hat über Jahre hinweg eine für die alleinige Nutzung eines Empfängers von Hartz IV-Leistungen offensichtlich unangemessen große Immobilie genutzt, die er sich ebenso offenkundig nicht leisten konnte; selbst die (den Kaltmietwert deutlich nicht erreichenden) laufenden Lasten konnte er nur mit massiver finanzieller Unterstützung seiner Eltern aufbringen. In demselben Zeitraum hat die mitberechtigte Antragstellerin aus eigener Erwerbstätigkeit neben den Kosten ihres Lebensunterhalts auch die Aufwendungen für eine eigene Unterkunft tragen müssen. Es hätte sich bei dieser Sachlage aufgedrängt, daß der Antragsgegner sich eigenen angemessen bescheidenen Wohnraum sucht, und daß die Immobilie entweder durch die wirtschaftlich jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht durchgehend stärkere, wahrscheinlich selbst aber auch nicht ausreichend finanzkräftige Antragstellerin (für eine Nutzungsentschädigung in umgekehrter Richtung) genutzt oder anderweitig verwertet wird (Vermietung, Verkauf), und auf diese Weise beide Beteiligte an dem Nutz-/Vermögenswert partizipieren.

Bei der gegebenen Sachlage wäre es vielmehr unbillig, wenn der Antragsgegner in Kenntnis des Zahlungsverlangens der Antragstellerin und eigener Leistungsunfähigkeit über Jahre hinweg eine für seine Verhältnisse zu wertende »Luxusimmobilie« unentgeltlich zu nutzen berechtigt sein sollte; es ist gerade auch unter Billigkeitsaspekten vielmehr geboten, die Antragstellerin für den jahrelangen Verlust ihrer Nutzungsmöglichkeit an dem Hausgrundstück, das sie zuvor im Rahmen der Ehe in gleicher Weise wie der Antragsgegner genutzt hat, und dessen hälftige Miteigentümerin sie ist, angemessen zu entschädigen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 40 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 Alt. 1 und Abs. 3 FamGKG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor.

OLG Brandenburg 2020-06-15 - 9 UF 154/18
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Anmerkungen

Die Beteiligten - getrennt lebende und inzwischen rechtskräftig geschiedene Eheleute - streiten um Nutzungsentschädigungsansprüche für die Zeit seit August 2015 und nunmehr ausdrücklich befristet bis zum 16. Oktober 2019. Sie sind hälftige Miteigentümer eines Hausgrundstücks, das bis zu der räumlichen Trennung der Beteiligten durch Auszug der Antragstellerin als Ehewohnung diente, und das in dem gesamten Streitzeitraum durch den Antragsgegner genutzt wurde. Das Grundstück ist 804 qm gross und mit einem unterkellerten Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von bis zu 240 qm bebaut; es verfügt ausserdem über einen (beheizbaren) Aussenpool und eine (beheizbare) Garage. Die mit 821 € monatlich unstreitig gestellten (Kredit-)Lasten des Hausgrundstücks hat der Antragsgegner, der bis Mitte Dezember 2017 Leistungen nach dem SGB II bezogen hat, mit Unterstützung seiner Eltern getragen. Die Antragstellerin hat den Antragsgegner erstmals mit Schreiben vom 28. November 2014 wegen Nutzungsentschädigung in Anspruch genommen, und diese für die Zeit seit August 2015 gerichtlich geltend gemacht. Der Antragsgegner hat Zurückweisung der Zahlungsanträge beantragt, und sich unter anderem auf Leistungsunfähigkeit berufen.

Das AmtsG hat den Antragsgegner zur Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung sowie eines rückständigen Nutzungsentgelts verpflichtet. Es hat dabei einen Kaltmietzins für die Immobilie von zunächst 1.100 €, ab 2016 von 1.300 €, und ab 2017 von 1.400 € zugrunde gelegt, und die mit 821 € monatlich bezifferten grundstücksbezogenen Lasten in Abzug gebracht. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners hatte keinen Erfolg.

» In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass zwischen den Ehegatten etwa bestehende Unterhaltspflichten in die Billigkeitsabwägung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB jedenfalls insoweit einzubeziehen sind, als bereits rechtskräftig über sie entschieden wurde; das folgt aus dem Verbot der Doppelverwertung (vgl. dazu OLG Köln FamRZ 2005, 639; OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 775; OLG Naumburg FamRZ 2009, 2090; OLG Bremen FamRB 2014, 241). So liegt der Fall hier zwar nicht, aber auch in Fällen einer fehlenden Unterhaltsregelung im Rahmen der bei der Prüfung des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung vorzunehmenden Billigkeitsabwägung eine einheitliche wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten, welche darauf abstellt, ob der in der Ehewohnung verbliebene Ehegatte im Falle der von ihm abgelehnten Zahlung einer Nutzungsentschädigung gegen den anderen Ehegatten - unabhängig von dessen tatsächlicher Geltendmachung - einen Anspruch auf Trennungsunterhalt hätte. Allerdings kann die Einbeziehung etwa bestehender Unterhaltspflichten nicht so weit gehen, dass die in einem Unterhaltsverfahren zu klärenden und hier schon im Ansatz umstrittenen tatsächlichen und rechtlichen Fragen (einschliesslich etwaiger fiktiver Verdienstmöglichkeiten) in dem Ehewohnungsverfahren nach § 1361b BGB entschieden werden; dafür bietet der wechselseitige Vortrag zu den unterhaltsrelevanten Tatsachen im Streitzeitraum auch tatsächlich keine ausreichend tragfähige Grundlage. «

Rein rechnerisch könne dem von Leistungen nach dem SGB II und zuletzt einem Nebenverdienst aus geringfügiger Tätigkeit lebenden Antragsgegner bei Verpflichtung zur Zahlung des in Rede stehenden Nutzungsentgelts ein Unterhaltsanspruch gegen die Antragstellerin aus § 1361 Abs. 1 BGB zustehen; das Das rechtfertige hier indes keinesfalls die Feststellung, dass dann zumindest für diesen Teilzeitraum aus Billigkeitsgründen keine Nutzungsentschädigung geschuldet wäre.

» Angesprochen sind in diesem Zusammenhang eher Fälle, in denen der fortgesetzten Nutzung eine Wohnungszuweisung vorangegangen ist, und der in engen finanziellen Verhältnissen lebende Nutzungsberechtigte gemeinsame minderjährige Kinder betreut und versorgt. Eine vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor. Völlig zu Recht hat bereits das FamG jedenfalls für den hier vorliegenden Fall jahrelanger Nutzung über die Rechtshängigkeit des von dem Antragsgegner selbst eingeleiteten Scheidungsverfahrens hinaus dem Aspekt der wechselseitigen Rücksichtnahme auf die wirtschaftlichen Belange des Mitberechtigten und dem Grundsatz der zunehmenden Eigenverantwortung besondere Bedeutung im Rahmen der Billigkeitsabwägung beigemessen.

Der - keineswegs erwerbsunfähige - Antragsgegner hat über Jahre eine für die alleinige Nutzung eines Empfängers von Hartz IV-Leistungen offensichtlich unangemessen grosse Immobilie genutzt, die er sich ebenso offenkundig nicht leisten konnte; selbst die (den Kaltmietwert deutlich nicht erreichenden) laufenden Lasten konnte er nur mit massiver finanzieller Unterstützung seiner Eltern aufbringen. In demselben Zeitraum hat die mitberechtigte Antragstellerin aus eigener Erwerbstätigkeit neben den Kosten ihres Lebensunterhalts auch die Aufwendungen für eine eigene Unterkunft tragen müssen. Es hätte sich bei dieser Sachlage aufgedrängt, dass der Antragsgegner sich eigenen angemessen bescheidenen Wohnraum sucht, und die Immobilie entweder durch die wirtschaftlich jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht durchgehend stärkere, wahrscheinlich selbst aber auch nicht ausreichend finanzkräftige Antragstellerin (für eine Nutzungsentschädigung in umgekehrter Richtung) genutzt oder diese anderweitig verwertet wird (Vermietung, Verkauf), und auf diese Weise beide Beteiligte an dem Nutz-/Vermögenswert partizipieren. Bei der gegebenen Sachlage wäre es vielmehr unbillig, wenn der Antragsgegner in Kenntnis des Zahlungsverlangens der Antragstellerin und eigener Leistungsunfähigkeit über Jahre eine für seine Verhältnisse «Luxusimmobilie» unentgeltlich zu nutzen berechtigt sein sollte; es ist gerade auch unter Billigkeitsaspekten vielmehr geboten, die Antragstellerin für den jahrelangen Verlust ihrer Nutzungsmöglichkeit an dem Hausgrundstück, das sie zuvor im Rahmen der Ehe in gleicher Weise wie der Antragsgegner genutzt hat und dessen hälftige Miteigentümerin sie ist, angemessen zu entschädigen. «


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Verwaltung und Benutzung durch Beschluß; Zahlung einer laufenden Nutzungsentschädigung nach Rechtskraft der Scheidung für die Alleinnutzung einer im Miteigentum stehenden Ehewohnung; Verfahrenswert.

1. Ist ein Ehegatte nach endgültiger Trennung aus der im Eigentum beider Ehegatten stehenden Immobilie ausgezogen, dann kann ihm ein Zahlungsanspruch gemäß § 745 Abs. 2 BGB gegenüber dem anderen, die Immobilie allein nutzenden Ehegatten zustehen, weil nach dem Scheitern der Ehe eine Fortsetzung der kostenlosen Nutzung des Miteigentums durch den allein nutzenden Ehegatten dem anderen nicht mehr zuzumuten ist.
2. Allerdings ist der Ehegatte gehindert, eine Neuregelung im Sinne von § 745 Abs. 2 BGB zu verlangen, und einen hierauf gestützten Zahlungsanspruch geltend zu machen, solange die Ehe nicht rechtskräftig geschieden ist, da bis zu der Ehescheidung die Vergütungsregelung des § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB als speziellere Regelung den Anspruch aus § 745 Abs. 2 BGB verdrängt.
3. Da eine Nutzungsentschädigung gemäß § 745 Abs. 2 BGB frühestens von dem Zeitpunkt des Neuregelungsverlangens eines Teilhabers an beansprucht werden kann, kommt es für ihre Geltendmachung darauf an, ob und zu welchem Zeitpunkt nach der Rechtskraft der Ehescheidung der aus der vormaligen Ehewohnung gewichene Miteigentümer mit hinreichender Deutlichkeit die Neuregelung der Verwaltung und Benutzung von dem die Immobile allein nutzenden Miteigentümer verlangt.
4. Für dieses Verlangen genügt es, daß dem allein nutzenden Miteigentümer unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles die Forderung des anderen nach einer Neuregelung der Verwaltung und Nutzung hinreichend erkennbar war.
5. Für die Wirksamkeit des Verlangens nach einer Neuregelung kommt es nicht darauf an, daß der bislang allein nutzende Teilhaber darin vor die Alternative »Zahlung oder Auszug« gestellt wird; vielmehr genügt den Anforderungen an ein hinreichend deutliches Neuregelungsverlangen, wenn der die Immobilie allein nutzende Ehegatte, der hierfür entweder aufgrund einer Vereinbarung oder aufgrund einer Entscheidung des Familiengerichts für die Trennungszeit gemäß § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB zu der Zahlung einer Nutzungsvergütung an den anderen Ehegatten verpflichtet war, nach Rechtskraft der Ehescheidung aufgefordert wird, die bisherige Regelung der Benutzung und Verwaltung fortzusetzen, denn in diesem Fall ist die Art und der Umfang der künftig verlangten Verwaltung und Benutzung unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.
6. Ist ein Ehegatte bereits durch gerichtliche Entscheidung verpflichtet worden, dem anderen bis zu der Rechtskraft der Ehescheidung für die Nutzung der im Miteigentum stehenden Ehewohnung monatlich eine Nutzungsvergütung gemäß § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB zu zahlen, dann genügt eine Aufforderung, diesen Betrag nunmehr nach Rechtskraft der Ehescheidung als Nutzungsentschädigung gemäß § 745 Abs. 2 BGB weiter zu zahlen: Damit ist hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, daß an der bisherigen Verwaltungsregelung festgehalten werden soll, und mit der Aufforderung lediglich dem formalen rechtlichen Erfordernis eines Neuordnungsverlangens gemäß § 745 Abs. 2 BGB für die Fortsetzung des Bezuges eines Geldbetrages für die Alleinnutzung der Immobilie durch den Antragsgegner nach der Rechtskraft der Ehescheidung Genüge getan wird.
7. Für die Bemessung der Nutzungsentschädigung kommt es nicht auf Art und Umfang der tatsächlichen Nutzung an, sondern allein auf die durch die tatsächliche Sachherrschaft vermittelte Nutzungsmöglichkeit; schließlich kann die Nutzung einer vermeintlich zu großen Wohnung durch Auszug beendet werden.
8. Eine Ausnahme kann allenfalls für die Trennungszeit oder etwa dann gelten, wenn bestimmte Bereiche der Wohnung aus objektiven Gründen (zum Beispiel wegen Unbewohnbarkeit) nicht genutzt werden können, und diese Gründe nicht bereits bei der Mietwertermittlung berücksichtigt worden sind, oder auch, wenn die Nutzung eines Teils der Wohnung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich, und die Aufgabe der Alleinnutzung nicht zumutbar ist.
9. Wird nach Rechtskraft der Scheidung eine Nutzungsentschädigung für die Ehewohnung verlangt, so richtet sich der Verfahrenswert einerseits nach den bei Einreichung fälligen Beträgen, und andererseits nach dem dreieinhalbfachen Jahreswert der laufenden Leistungen, soweit die Entschädigung nicht für einen kürzeren Zeitraum verlangt wird.


Anmerkungen

Nach Rechtskraft der Scheidung hatte die Antragstellerin von dem Antragsgegner Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die alleinige Nutzung der im Miteigentum der Beteiligten stehenden Immobilie verlangt. Das FamG hat den Antragsgegner nach § 745 Abs. 2 BGB antragsgemäss zur Zahlung verurteilt. Das OLG hat die hiergegen erhobene Beschwerde zurückgewiesen, allerdings den Verfahrenswert abgeändert.

1. Nutzungsvergütung nach § 745 BGB

» Steht ein Recht mehreren gemeinschaftlich zu (§ 741 BGB), kann jeder Teilhaber, sofern nicht die Verwaltung und Benutzung durch Vereinbarung oder durch Mehrheitsbeschluss geregelt ist, gemäss § 745 Abs. 2 BGB eine dem Interesse aller Teilhaber nach billigem Ermessen entsprechende Verwaltung und Benutzung verlangen und notfalls gerichtlich durchsetzen. Dem Fehlen einer Vereinbarung oder eines Mehrheitsbeschlusses über die Verwaltung und Benutzung steht gleich, wenn nach einer Regelung tatsächliche Veränderungen eingetreten sind, die ein Festhalten an der bisherigen Verwaltungsvereinbarung unerträglich erscheinen lassen. Auch in diesem Falle ist jeder Teilhaber berechtigt, eine Änderung der bisherigen Verwaltungsregelung zu fordern. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die während intakter Ehe als Ehewohnung genutzte Immobilie im Miteigentum der Eheleute steht. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann deshalb demjenigen Ehegatten, der nach endgültiger Trennung aus der im Eigentum beider Ehegatten stehenden Immobilie ausgezogen ist, ein Zahlungsanspruch gem. § 745 Abs. 2 BGB gegenüber dem anderen, die Immobilie allein nutzenden Ehegatten, zustehen (vgl. BGHZ 186, 372 = FamRZ 2010, 1630), weil nach Scheitern der Ehe eine Fortsetzung der kostenlosen Nutzung des Miteigentums durch den allein nutzenden Ehegatten dem anderen nicht mehr zuzumuten ist. Allerdings ist der Ehegatte gehindert, eine Neuregelung iSv § 745 Abs. 2 BGB zu verlangen und einen hierauf gestützten Zahlungsanspruch geltend zu machen, solange die Ehe nicht rechtskräftig geschieden ist, da bis zu der Ehescheidung die Vergütungsregelung des § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB als speziellere Regelung den Anspruch aus § 745 Abs. 2 BGB verdrängt (BGHZ 214, 146 = FamRZ 2017, 693 = FuR 2017, 328).

Da eine Nutzungsentschädigung gemäss § 745 Abs. 2 BGB frühestens von dem Zeitpunkt des Neuregelungsverlangens eines Teilhabers beansprucht werden kann (BGH FamRZ 1995, 216), kommt es für ihre Geltendmachung darauf an, ob und zu welchem Zeitpunkt nach Rechtskraft der Ehescheidung der aus der vormaligen Ehewohnung gewichene Miteigentümer mit hinreichender Deutlichkeit die Neuregelung der Verwaltung und Benutzung von dem die Immobile allein nutzenden Miteigentümer verlangt. Hierfür genügt es, dass dem allein nutzenden Miteigentümer unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls die Forderung des anderen nach einer Neuregelung der Verwaltung und Nutzung hinreichend erkennbar war (BGHZ 178, 34 = FamRZ 2008, 2015 = FuR 2008, 595).

Da das Neuregelungsverlangen auf eine den Interessen aller Teilhaber gerecht werdende Verwaltung und Benutzung gerichtet sein muss und der ausgezogene Ehegatte, dem nach dem Scheitern der Ehe regelmässig eine Fortsetzung der gemeinsamen Immobiliennutzung nicht mehr zumutbar ist, es aber auch nicht seinen Interessen entspricht, dass aus dem Vermögenswert, den die Immobilie darstellt, weder Erträge noch Gebrauchsvorteile gezogen werden, kommt es entgegen der von dem Antragsgegner zitierten, der vorgenannten höchstrichterlichen Rechtsprechung entgegenstehenden Rechtsprechung einzelner Oberlandesgerichte für die Wirksamkeit des Neuregelungsverlangens nicht darauf an, dass der bislang allein nutzende Teilhaber darin vor die Alternative «Zahlung oder Auszug» gestellt wird OLG Stuttgart FamRZ 2019, 830). Den Anforderungen an ein hinreichend deutliches Neuregelungsverlangen genügt es, wenn der die Immobilie allein nutzende Ehegatte, der hierfür entweder aufgrund einer Vereinbarung oder aufgrund einer Entscheidung des FamG für die Trennungszeit gemäss § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB zur Zahlung einer Nutzungsvergütung an den anderen Ehegatten verpflichtet war, nach Rechtskraft der Ehescheidung aufgefordert wird, die bisherige Regelung der Benutzung und Verwaltung fortzusetzen, denn in diesem Fall ist die Art und der Umfang der künftig verlangten Verwaltung und Benutzung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. «

Der Inhalt des vorgerichtlichen Schreibens der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin vom 30.04.2019 erschöpfe sich nicht in der Geltendmachung (irgend-)eines Nutzungsentschädigungsbetrages; vielmehr habe die Antragstellerin in dem Schreiben ausdrücklich auf den am 09.04.2018 verkündeten Beschluss des AmtsG Potsdam verwiesen, mit dem der Antragsgegner verpflichtet worden ist, der Antragstellerin bis zur Rechtskraft der Ehescheidung für die Nutzung der im Miteigentum stehenden Ehewohnung monatlich eine Nutzungsvergütung gemäss § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB in Höhe von monatlich 907 € zu zahlen, und den Antragsgegner aufgefordert, diesen Betrag nunmehr, nach Rechtskraft der Ehescheidung, als Nutzungsentschädigung gemäss § 745 Abs. 2 BGB weiter zu zahlen. Damit habe die Antragstellerin hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie an der bisherigen Verwaltungsregelung festhalten und mit ihrer Aufforderung lediglich dem formalen rechtlichen Erfordernis eines Neuordnungsverlangens gemäss § 745 Abs. 2 BGB für die Fortsetzung des Bezuges eines Geldbetrages für die Alleinnutzung der Immobilie durch den Antragsgegner nach Rechtskraft der Ehescheidung genügen will.

Dafür, dass die geltend gemachte Verwaltungsregelung nicht der Billigkeit entspricht, habe der Antragsgegner nichts vorgetragen; hierfür sei auch sonst nichts ersichtlich; insbesondere komme eine teilweise Untervermietung der Immobilie angesichts des Zuschnitts der Räumlichkeiten nicht in Betracht.

Auch die von dem AmtsG für die Höhe der Nutzungsentschädigung gewählte Bemessungsgrundlage des marktüblichen Kaltmietzinses sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Soweit sich der Antragsgegner darauf berufe, den Wohnraum tatsächlich nur teilweise zu nutzen, sei er damit nicht zu hören: Für die Bemessung der Nutzungsentschädigung komme es nicht auf Art und Umfang der tatsächlichen Nutzung an, sondern allein auf die durch die tatsächliche Sachherrschaft vermittelte Nutzungsmöglichkeit. Schliesslich sei der Antragsgegner jederzeit berechtigt, die Nutzung einer vermeintlich zu grossen Wohnung durch seinen Auszug zu beenden. Eine Ausnahme könne allenfalls für die Trennungszeit (BGH FamRZ 2013, 191 = FuR 2013, 161) oder etwa dann gelten, wenn bestimmte Bereiche der Wohnung aus objektiven Gründen (etwa wegen Unbewohnbarkeit) nicht genutzt werden könnten, und diese Gründe nicht bereits bei der Mietwertermittlung Berücksichtigung gefunden haben, oder auch, wenn die Nutzung eines Teils der Wohnung aus gesundheitlichen Gründen unmöglich, und die Aufgabe der Alleinnutzung nicht zumutbar sei (OLG Brandenburg, Beschluss vom 31.05.2019 - 9 UF 68/19 - juris). Ein derartiger Ausnahmefall liege hier nicht vor.

2. Verfahrenswert

Werden Ansprüche auf Nutzungsentschädigung nach § 745 Abs. 2 BGB geltend gemacht, sei der Verfahrenswert nach §§ 35, 42 Abs. 1 FamGKG zu bewerten. Für die Wertermittlung hinsichtlich der künftig fällig werdenden Beträge sei in entsprechender Anwendung der §§ 3, 9 ZPO der dreieinhalbfache Jahreswert des einjährigen Bezuges massgebend (OLG Frankfurt FamRZ 2014, 1732); die entsprechende Anwendung des § 51 Abs. 1 FamGKG führe zu einem unbillig niedrigen Wert, der das vermögensrechtliche Interesse der Beteiligten nicht hinreichend abbilde. Dies entspreche auch nicht dem Sinn und Zweck dieser Norm, die gerade nicht als Regeltatbestand für die Bewertung von Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen in Familiensachen, sondern als Ausnahmeregelung für Unterhaltsansprüche aufzufassen sei, um die anfallenden Gebühren für Unterhaltssachen auf ein sozial verträgliches Maß zu beschränken. Dass im FamGKG eine vergleichbare Regelung für sonstige wiederkehrende Leistungen fehle, rechtfertige es deshalb gerade nicht, die Kostenprivilegierung für Unterhaltssachen auf andere Verfahrensgegenstände zu übertragen.

Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung gemäss § 745 Abs. 2 BGB wurzele zudem nicht in den besonderen familienrechtlichen Rechtsbeziehungen, sondern im Recht der Bruchteilsgemeinschaft; seinem Wesen nach handele es sich dabei um die Zuteilung von Vermögenserträgen, die unabhängig von familienrechtlichen Grundsätzen den jeweiligen Teilhabern zuzuordnen seien. Die Zuteilung solcher Erträge möge, wie auch bei sonstigen Einkünften, Einfluss auf die Bemessung von Unterhalt haben; dies rechtfertige es jedoch nicht, eine Kostenprivilegierung für Verfahren vorzunehmen, die die Geltendmachung solcher Vermögenserträge beträfen: Eine solche Privilegierung hätte vielmehr zur Folge, dass trotz des fehlenden unterhaltsrechtlichen Bezugs der Streit um Nutzungsentschädigungsansprüche zwischen geschiedenen Ehegatten kostenrechtlich anders behandelt würden als der in wirtschaftlicher Hinsicht und nach seinen rechtlichen Grundlagen vergleichbare Streit zwischen Miteigentümern, die zuvor nicht miteinander verheiratet waren. Eine solche Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte erscheine nicht gerechtfertigt.

3. Das FamGKG enthält für alle nicht geregelten Fälle eine Auffangvorschrift in § 42 Abs. 1 FamGKG; danach kann das Gericht aufgrund der Umstände im Einzelfall die Dauer der zukünftigen Nutzungsentschädigung konkret schätzen. Dies ermöglicht eine gerechte Wertfestsetzung, weil sie sich dann an der Erwartung im jeweiligen Einzelfall orientieren kann, wie lange die Nutzungsentschädigung zu zahlen sein wird. Steht fest, dass der Antragsgegner kurzfristig ausziehen wird, kann eine geringere Laufzeit angenommen werden; steht hingegen fest, dass er »lebenslang« in dem gemeinsamen Objekt verbleiben will und soll, kann durchaus auch ein höherer Betrag als der dreieinhalbfache Jahresbetrag angesetzt werden.


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anchor:#06]Ehewohnung bei Getrenntleben; Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung und Widerantrag auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung; Nutzungsvergütung nach Billigkeitsabwägung; Streitwert für Ansprüche auf Nutzungsentschädigung; Verfahrenswert.

BGB § 1361b; FamGKG §§ 39, 48

1. Nutzungsentschädigungsansprüche nach § 1361b Abs. 3 BGB für die Zeit des Getrenntlebens sind nach § 48 Abs. 1 Alt. 1 FamGKG mit einem Regelwert von 3.000 € zu bewerten.
2. Eine Wertaddition nach § 39 Abs. 1 S. 1 FamGKG findet nicht statt, wenn der eine Ehegatte die Überlassung der Ehewohnung nach § 1361b Abs. 1 BGB beantragt, und der andere Ehegatte im Wege des Widerantrages Nutzungsentschädigung begehrt.

OLG Frankfurt, Beschluß vom 26. Juni 2020 - 5 WF 114/20

Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hanau vom 15.04.2020 (61 F 2042/16) abgeändert.
Der Verfahrenswert für den ersten Rechtszug wird auf 3.000 € festgesetzt.
2. Kosten werden nicht erstattet (§ 59 Abs. 3 FamGKG).

Gründe
I. Die Antragstellerin hat in dem ersten Rechtszug die Zuweisung der Ehewohnung für die Trennungszeit beantragt. Im Wege des Widerantrages hat der Antragsgegner beantragt, die Antragstellerin zu verpflichten, ab September 2019 eine monatliche Nutzungsentschädigung in Höhe von 500 €, sowie eine rückständige Nutzungsentschädigung in Höhe von 12.000 € für die Zeit vom 1. September 2017 bis zum 31. August 2019 zu zahlen. Mit Beschluß vom 15. April 2020 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Hanau den Verfahrenswert auf 22.000 € festgesetzt. Der Antrag der Antragstellerin sei nach § 48 Abs. 1 FamGKG mit 4.000 €, und der Widerantrag analog § 51 FamGKG mit 18.000 € zu bewerten.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners. Er ist der Ansicht, daß sich der Verfahrenswert nur nach dem höheren Wert richte, da beide Gegenstände wirtschaftlich identisch seien; allein maßgeblich sei insoweit der Jahreswert des begehrten Nutzungsentgelts, hier in Höhe von 12.000 €. Der Antragsteller ist der Ansicht, daß der Wert zutreffend bestimmt worden sei.

II. Die nach § 59 Abs. 1 FamGKG zulässige Beschwerde gegen die Festsetzung des Verfahrenswertes führt zu der Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Der erstinstanzliche Verfahrenswert war gemäß § 48 Abs. 1 Alt. 1 FamGKG auf 3.000 € festzusetzen. Anders als das Amtsgericht angenommen hat, handelt es sich vorliegend um eine Ehewohnungssache nach § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG iVm § 1361b BGB, da die Ehe der Beteiligten noch nicht geschieden ist; der Regelwert beläuft sich daher auf 3.000 €. Für den Widerantrag gilt nichts anderes.

Soweit Nutzungsentschädigungsansprüche für die Zeit des Getrenntlebens betroffen sind (§ 1361b Abs. 3 S. 2 BGB), besteht entgegen der Ansicht des Amtsgerichts keine Veranlassung für eine analoge Anwendung von § 51 Abs. 1 und 2 FamGKG (ebenso vormals Thiel, AGS 2009, 309, 311). Auch bei der Geltendmachung einer Nutzungsentschädigung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB handelt es sich um eine Ehewohnungssache iSd § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, so daß - wie dies die heute ganz herrschende Meinung zu Recht annimmt (BGH NJW 2014, 462 = FuR 2014, 223; OLG Frankfurt FamFR 2012, 478; FuR 2019, 408; FamRZ 2019, 913; OLG Koblenz AGS 2013, 287; OLG Karlsruhe NZFam 2016, 514; OLG Brandenburg FuR 2018, 664; HK-FamGKG/Türck-Brocker, 3. Aufl. § 48 Rdn. 23; Dürbeck in BeckOK Streitwert/Familienrecht [01.04.2020] »Ehewohnungssachen« Rdn. 4; N. Schneider, NZFam 2016, 543, 544) - hier ebenfalls der Wert aus § 48 Abs. 1 Alt. 1 FamGKG zu entnehmen ist. Auf die Höhe der monatlichen Nutzungsentschädigung oder auf das Bestehen etwaiger Rückstände vor Anhängigkeit kommt es insoweit nicht an.

Die Werte des Antrages auf Zuweisung der Ehewohnung und des Widerantrages auf Nutzungsentschädigung sind entgegen der Ansicht des Amtsgerichts auch nicht zusammenzurechnen. Zwar bestimmt § 39 Abs. 1 S. 1 FamGKG, daß die Werte von Antrag und Widerantrag zusammengerechnet werden; wie die Beschwerde zutreffend ausführt, besteht bei der Anwendung von § 33 Abs. 1 FamGKG aber ein ungeschriebenes Additionsverbot dahingehend, daß bei (wirtschaftlicher) Identität der Gegenstände eine Wertaddition zu unterbleiben hat (HK-FamGKG/N. Schneider, 3. Aufl. § 39 Rdn. 8). Ein solches Additionsverbot ist nach überwiegender Ansicht bei einem Zusammentreffen von Anträgen auf Ehewohnungszuweisung mit Nutzungsentschädigungsansprüchen für die Zeit der Trennung anzunehmen (KG FamRZ 2015, 1191; Dürbeck, aaO Rdn. 6; N. Schneider, NZFam 2015, 551, 552). Insoweit ist dieser Fall nicht anders zu behandeln, als wenn der Antragsgegner selbst einen Widerantrag auf Überlassung der Ehewohnung gestellt hätte (vgl. AmtsG Mayen AGS 2017, 474; N. Schneider, NZFam 2015, 551, 552), so daß in gebührenrechtlicher Hinsicht nur ein Gegenstand vorliegt.

Da Gründe für eine Anhebung des Verfahrenswertes nach § 48 Abs. 3 FamGKG nicht vorliegen, verbleibt es bei dem Regelwert nach § 48 Abs. 1 Alt. 1 FamGKG. Eine Bindung an die Wertvorstellungen der Beteiligten besteht bei einer Wertbeschwerde nach § 59 Abs. 1 FamGKG im übrigen nicht.

OLG Frankfurt 2020-06-26 - 5 WF 114/20
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Anmerkungen

Die Antragstellerin hatte beantragt, ihr die gemeinsame Ehewohnung für die Trennungszeit zuzuweisen, der Antragsgegner dagegen, die Antragstellerin zu verpflichten, ab September 2019 eine monatliche Nutzungsentschädigung in Höhe von 500 € sowie eine rückständige Nutzungsentschädigung in Höhe von 12.000 € zu zahlen. Das FamG hat nach Abschluss des Verfahrens den Verfahrenswert auf 22.000 € festgesetzt; es ist dabei für den Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung gemäss § 48 Abs. 1 FamGKG von einem Wert in Höhe von 4.000 € ausgegangen, und hat den Antrag auf Zahlung der Nutzungsentschädigung in analoger Anwendung des § 51 FamGKG mit 18.000 € bewertet (12.000 € fällige Beträge zuzüglich Jahreswert der laufenden Zahlungen mit 6.000 €). Auf die Beschwerde des Antragsgegners hat das OLG den Verfahrenswert auf 3.000 € abgeändert.

Für das erstinstanzliche Verfahren sei gemäss § 48 Abs. 1 Alt. 1 FamGKG der Verfahrenswert auf 3.000 € festzusetzen. Entgegen der Auffassung des FamG handele es sich um eine Ehewohnungssache nach § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG iVm § 1361b BGB, da die Ehe der Beteiligten noch nicht geschieden sei; der Regelwert belaufe sich daher nur auf 3.000 €. Für den Widerantrag gelte nichts anderes. Soweit Nutzungsentschädigungsansprüche für die Zeit des Getrenntlebens betroffen seien (§ 1361b Abs. 3 2 BGB), bestehe keine Veranlassung für eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 1 und 2 FamGKG. Auch bei der Geltendmachung einer Nutzungsentschädigung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB handele es sich um eine Ehewohnungssache iSd § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, so dass hierfür ebenfalls der in § 48 Abs. 1 Alt. 1 FamGKG niedergelegte Regelwert festzusetzen sei (OLG Bamberg BeckRS 2011, 4743; OLG Koblenz FamRZ 2014, 692 = FuR 2013, 666). Auf die Höhe der monatlichen Nutzungsentschädigung und das Bestehen etwaiger Rückstände vor Anhängigkeit komme es nicht an.

Die Werte des Zuweisungsantrages und des Widerantrages auf Nutzungsentschädigung seien auch nicht zusammenzurechnen. Zwar bestimme § 39 Abs. 1 S. 1 FamFG, dass die Werte von Antrag und Widerantrag zusammenzurechnen seien; es bestehe aber ein ungeschriebenes Additionsverbot dahingehend, dass bei (wirtschaftlicher) Identität der Gegenstände eine Wertaddition zu unterbleiben habe. Ein solches Additionsverbot sei nach überwiegender Ansicht bei einem Zusammentreffen von Anträgen auf Zuweisung der Ehewohnung mit Ansprüchen auf Nutzungsentschädigung für die Zeit der Trennung anzunehmen. Insoweit sei der Fall nicht anders zu behandeln als wechselseitige Anträge auf Zuweisung der Ehewohnung, so dass in gebührenrechtlicher Hinsicht nur ein Gegenstand vorliege. Gründe dafür, den Verfahrenswert hier aus Billigkeitsgründen nach § 48 Abs. 3 FamGKG anzuheben, lägen nicht vor.


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Ehewohnung und Hausrat; Ehewohnung bei Getrenntleben; Nutzungsvergütung nach Billigkeitsabwägung; Anforderungen an das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; Verbot der Entscheidung aufgrund eines Anerkenntnisses, eines Verzichts oder aufgrund einer Säumnis; Notwendigkeit einer umfassenden Billigkeitsabwägung der zu berücksichtigenden Gesamtumstände; gerichtliche Pflicht zur Ermittlung entscheidungserheblicher Tatsachen und Würdigung erhobener Beweise.

BGB § 1361b; FamFG §§ 39, 200

1. In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit darf keine Entscheidung aufgrund eines Anerkenntnisses, aufgrund eines Verzichts oder aufgrund einer Säumnis ergehen.
2. Das Amtsgericht trägt die Verantwortung, im Rahmen der nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB vorzunehmenden Billigkeitsabwägung die zu berücksichtigenden Gesamtumstände aufzuklären und festzustellen. Die Entscheidung bedarf der Begründung, mithin einer Darlegung, warum das Gericht bestimmte Tatsachen für erwiesen hält, und wie diese rechtlich gewürdigt werden. Ist der Sachverhalt streitig, bedarf es zudem einer Würdigung der vorgetragenen Tatsachen, sowie der Würdigung erhobener Beweise.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 7. August 2020 - 9 UF 73/20

Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Anerkenntnisbeschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Bernau bei Berlin vom 22.01.2020 (6 F 182/19) aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgerichts - Familiengericht - Bernau bei Berlin zurückverwiesen.

Gründe
I. Die Beteiligten - getrennt lebende Ehegatten - streiten im dem vorliegenden Verfahren um Nutzungsvergütung für die vormalige Ehewohnung ab Juli 2018. Es handelt sich hierbei um das Wohngrundstück W., welches in dem Alleineigentum der Antragstellerin steht. Die Antragstellerin verließ im August 2017 die Ehewohnung. Der Antragsgegner nutzte das Wohngrundstück zunächst alleine, und zog im März 2020 aus. Mit Anerkenntnisbeschluß vom 22. Januar 2020 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Bernau bei Berlin den Antragsgegner verpflichtet, an die Antragstellerin einen Betrag in Höhe von 3.890,18 € nebst Zinsen, sowie monatlich 555,74 € seit dem 1. Februar 2019 zu zahlen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde. Spätestens seit seinem Auszug bestehe bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf Zahlung der Nutzungsvergütung mehr. Für den vorangehenden Zeitraum sei die Inanspruchnahme unbillig. Im Rahmen der Trennung sei eine Nutzungsentgeltvereinbarung getroffen worden, wonach er gegen Pflege der Immobilie sowie Übernahme aller anfallenden Kosten diese habe alleine weiter nutzen sollen. Während der gesamten Nutzungszeit habe er die Kreditverbindlichkeiten der Antragstellerin, die zu zahlenden Grundsteuern und alle übrigen, verbrauchsabhängigen und verunabhängigen Kosten in Höhe von monatlich insgesamt 1.014,69 € getragen. Die Unbilligkeit ergäbe sich ferner auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten und ihrer Lebensführung, wonach sich ein Anspruch auf Nutzungsvergütung auf Null reduziere. Zudem habe er unter Einsatz seiner eigenen, professionellen Arbeitskraft sowie finanzieller Mittel das Wohnhaus errichtet, und die Voraussetzungen zum Anlegen des Gartens geschaffen, so daß das Zahlungsverlangen auch aus diesem Grunde nicht der Billigkeit entspreche. Ein Nutzungsvergütungsanspruch bestünde auch nicht aufgrund vermeintlicher Mieteinnahmen. Schließlich stünde auch ein gegenüber der Antragstellerin bestehender fiktiver Unterhaltsanspruch der Zahlung einer Nutzungsvergütung entgegen.

Der Antragsgegner beantragt, den Beschluß des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 22. Januar 2020 abzuändern, und den Antrag der Antragstellerin vom 10. April 2019 zurückzuweisen, hilfsweise, den Beschluß des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom 22. Januar 2020 aufzuheben, und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückverweisen.

Die Antragstellerin, die nunmehr für die Zeit ab dem 1. April 2020 keinen Nutzungsentschädigungsanspruch mehr geltend macht, hat keinen Antrag angekündigt. In Erwiderung auf die Beschwerde hat sie angeführt, der Antragsgegner habe wirksam anerkannt; als Prozeßhandlung könne das abgegebene Anerkenntnis nicht mehr angefochten werden. Anläßlich der Trennung habe sie sich mit dem Antragsgegner nur auf ein vorübergehendes Verbleiben des Antragsgegners auf dem Wohngrundstück geeinigt; bereits frühzeitig habe festgestanden, daß sie ihr Wohngrundstück künftig wieder selbst bewohnen wolle. Aus einer moralischen Verpflichtung heraus habe sie für die ersten Monate nach der Trennung keine Nutzungsentschädigung geltend gemacht; sie habe jedoch stets deutlich gemacht, daß es nicht hierbei verbleiben könne. Die eingewendete Wertsteigerung des Grundstückes aufgrund der Eigenleistungen des Antragsgegners habe auf die geltend gemachte Nutzungsvergütung keine Auswirkungen.

Der Senat hat die Beteiligten mit Verfügung vom 23. März 2020 darauf hingewiesen, daß das vor dem Amtsgericht geführte Verfahren an erheblichen Verfahrensfehlern leidet, und unter Aufhebung der Entscheidung eine Zurückverweisung an das Amtsgericht im schriftlichen Verfahren in Betracht kommt.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragsgegners führt zur Aufhebung des angefochtenen Anerkenntnisbeschlusses und des Verfahrens, sowie zur Zurückverweisung in der Sache an das Amtsgericht.

Nach § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG darf das Beschwerdegericht die Sache unter Aufhebung des Beschlusses und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, soweit das Verfahren in dem ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet, zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwendige Beweiserhebung notwendig wäre, und ein Beteiligter die Zurückverweisung beantragt. Diese Voraussetzungen liegen vor.

Ein wesentlicher Mangel des Verfahrens des Amtsgerichts ist in dem Erlaß des angefochtenen Anerkenntnisbeschlusses zu sehen. Die Beteiligten streiten für die Dauer des Getrenntlebens um eine Nutzungsentschädigung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB. Hierbei handelt es sich um eine Ehewohnungssache gemäß § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG und damit um eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit. In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit darf eine Entscheidung aufgrund eines Anerkenntnisses, eines Verzichts oder aufgrund einer Säumnis nicht ergehen (Bork/Jacoby/Schwab, FamFG 3. Aufl. § 38 Rdn. 53). Auch wenn ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung ein uneingeschränktes Anerkenntnis erklärt, ist das Gericht grundsätzlich gemäß § 26 FamFG von Amts wegen verpflichtet, die zu der Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen (Keidel/Giers, FamFG 19. Aufl. § 200 Rdn. 16); eine Anerkenntnisentscheidung entsprechend § 307 ZPO kommt insoweit nicht in Betracht.

Zwar bedarf es nach § 38 Abs. 4 Nr. 1 FamFG keiner Begründung der Entscheidung, soweit sie aufgrund eines Anerkenntnisses oder Verzichts oder als Versäumnisentscheidung ergeht, und entsprechend bezeichnet ist; hierdurch wird indes nicht die allgemeine Möglichkeit eröffnet, Anerkenntnis-, Verzichts- oder Versäumnisbeschlüsse in das Verfahren nach dem FamFG einzuführen: Solche Entscheidungen sind nach wie vor grundsätzlich unzulässig, und können nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung ergehen, etwa in Ehe- und Familienstreitsachen (vgl. § 113 Abs. 1 FamFG). § 38 Abs. 4 Nr. 1 FamFG übernimmt insoweit lediglich die entsprechende Regelung in § 313b Abs. 1 ZPO (vgl. hierzu Prütting/Helms, FamFG 5. Aufl. § 38 Rdn. 26). Eine ausdrückliche gesetzliche Zulassung für die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, mithin für die vorliegende Ehewohnungssache, sieht das FamFG jedoch nicht vor.

Der Erlaß des angefochtenen Anerkenntnisbeschlusses stellt daher einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Unter Beachtung der in § 26 FamFG normierten Amtsermittlungspflicht hat das Amtsgericht von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Das Amtsgericht trägt danach die Verantwortung, im Rahmen der nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB vorzunehmenden Billigkeitsabwägung die zu berücksichtigenden Gesamtumstände aufzuklären und festzustellen. Nach § 38 Abs. 3 S. 1 FamFG bedarf die Entscheidung der Begründung, mithin einer Darlegung, warum das Amtsgericht bestimmte Tatsachen für erwiesen hält, und wie diese rechtlich gewürdigt werden. Ist der Sachverhalt streitig, bedarf es zudem einer Würdigung der vorgetragenen Tatsachen, sowie der Würdigung erhobener Beweise (vgl. hierzu Prütting/Helms, aaO § 38 Rdn. 20).

Die gänzlich fehlende Begründung des angefochtenen Anerkenntnisbeschlusses, die der Wirksamkeit der Entscheidung nicht entgegensteht, und auch den Lauf der Rechtsmittelfrist nicht hindert, stellt einen schwerwiegenden Mangel dar. Aufgrund der Verfahrensfehler würde voraussichtlich eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme durch das Beschwerdegericht zu der Feststellung der vorgetragenen Gesamtumstände im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeitsabwägung notwendig. Da der Antragsgegner hilfsweise einen Antrag auf Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht gestellt hat, liegen auch die weiteren Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 S. 2 und 3 FamFG vor.

Der Senat übt das ihm zustehende Ermessen dahingehend aus, daß das Verfahren an das Amtsgericht zurückzuverweisen ist, um den Beteiligten nicht eine Tatsacheninstanz zu nehmen. Diese Entscheidung entspricht dem Hilfsantrag des Antragsgegners; die Antragstellerin hat gegen diese Verfahrensweise keine Bedenken geäußert.

Das Amtsgericht wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

OLG Brandenburg 2020-08-07 - 9 UF 73/20
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Anmerkungen

Die Beteiligten, getrennt lebende Ehegatten, stritten um Nutzungsvergütung für die vormalige Ehewohnung. Der Antragsgegner hatte in dem Verfahren ein Anerkenntnis erklärt. Mit Anerkenntnisbeschluss hat das AmtsG ihn daraufhin verpflichtet, Nutzungsvergütung zu zahlen; der Beschluss enthält keine Begründung. Der Antragsgegner hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, während die Antragstellerin darauf verwiesen hat, der Antragsgegner habe wirksam anerkannt; als Prozesshandlung könne das abgegebene Anerkenntnis nicht mehr angefochten werden. Der Senat hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache an das AmtsG zurückverwiesen.

Der Erlass des Anerkenntnisbeschlusses stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar. Der Streit um eine Nutzungsentschädigung für die Dauer des Getrenntlebens (§ 1361b Abs. 3 S. 2 BGB) sei eine Ehewohnungssache gemäss § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, und damit eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit. In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit dürfe eine Entscheidung aufgrund eines Anerkenntnisses, eines Verzichts oder aufgrund einer Säumnis nicht ergehen. Auch wenn ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung ein uneingeschränktes Anerkenntnis erkläre, sei das Gericht grundsätzlich gemäss § 26 FamFG von Amts wegen verpflichtet, die zu der Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen; eine Anerkenntnisentscheidung entsprechend § 307 ZPO komme insoweit nicht in Betracht.

Zwar bedürfe es nach § 38 Abs. 4 Nr. 1 FamFG keiner Begründung der Entscheidung, soweit sie aufgrund eines Anerkenntnisses oder Verzichts oder als Versäumnisentscheidung ergeht, und entsprechend bezeichnet ist; hierdurch werde indes nicht die allgemeine Möglichkeit eröffnet, Anerkenntnis-, Verzichts- oder Versäumnisbeschlüsse in das Verfahren nach dem FamFG einzuführen. Solche Entscheidungen seien nach wie vor grundsätzlich unzulässig, und könnten nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung ergehen, etwa in Ehe- und Familienstreitsachen (vgl. § 113 Abs. 1 FamFG). § 38 Abs. 4 Nr. 1 FamFG übernehme insoweit lediglich die entsprechende Regelung in § 313b Abs. 1 ZPO. Eine ausdrückliche gesetzliche Zulassung für die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, mithin für die vorliegende Ehewohnungssache sehe das FamFG jedoch nicht vor.

Unter Beachtung der in § 26 FamFG normierten Amtsermittlungspflicht habe das AmtsG von Amts wegen die zu der Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen; es trage danach die Verantwortung, im Rahmen der nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB vorzunehmenden Billigkeitsabwägung die zu berücksichtigenden Gesamtumstände aufzuklären und festzustellen. Nach § 38 Abs. 3 S. 1 FamFG bedürfe die Entscheidung der Begründung, mithin einer Darlegung, warum das AmtsG bestimmte Tatsachen für erwiesen hält, und wie es diese rechtlich gewürdigt hat. Sei der Sachverhalt streitig, bedürfe es zudem einer Würdigung der vorgetragenen Tatsachen und erhobener Beweise. Die gänzlich fehlende Begründung des angefochtenen Anerkenntnisbeschlusses, die der Wirksamkeit der Entscheidung nicht entgegenstehe, und auch den Lauf der Rechtsmittelfrist nicht hindere, stelle einen schwerwiegenden Mangel dar. Aufgrund der Verfahrensfehler würde voraussichtlich eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme durch das Beschwerdegericht zur Feststellung der vorgetragenen Gesamtumstände im Rahmen der vorzunehmenden Billigkeitsabwägung notwendig.

Da der Antragsgegner hilfsweise einen Antrag auf Zurückverweisung der Sache an das AmtsG gestellt habe, lägen auch die weiteren Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 S. 2 und 3 FamFG vor.


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Antrag auf Teilungsversteigerung und auf Zuweisung der Ehewohnung während der Trennungszeit; Zulässigkeit der Teilungsversteigerung des Familienheims vor der Ehescheidung.

BGB §§ 1353, 1361b, 1568a; ZPO § 771; ZVG §§ 57a, 180

1. Ein Antrag auf Teilungsversteigerung während der Trennungszeit ist nicht generell ausgeschlossen.
2. Dem Schutzzweck des § 1361b BGB wird auch eine im Einzelfall gebotene interessengerechte Abwägung im Rahmen des aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB folgenden Rücksichtnahmegebotes gerecht.
3. Dem in der Wohnung verbliebenen Miteigentümer bleibt es auch während eines laufenden Teilungsversteigerungsverfahrens unbenommen, einen Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung nach § 1361b BGB zu stellen.

OLG Stuttgart, Beschluß vom 29. Oktober 2020 - 15 UF 194/20

Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart-Bad Cannstatt vom 17.08.2020 (5 F 1113/19) wird zurückgewiesen.

Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Beschwerdeverfahren.

Die Beteiligten sind getrennt lebende Eheleute; aus ihrer Ehe ist die im Jahre 2011 geborene Tochter S. hervorgegangen. Der Scheidungsantrag ist am 22. Dezember 2017 zugestellt worden. Die Beteiligten sind Miteigentümer der Immobilie F. in S. Der Antragsteller betreibt die Teilungsversteigerung hinsichtlich der gemeinsamen Immobilie. Mit Beschluß des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 5. Februar 2019 ist die Zwangsversteigerung angeordnet worden. Mit Beschluß des Amtsgerichts - Vollstreckungsgericht - Stuttgart-Bad Cannstatt vom 2. September 2019 ist ein auf § 180 Abs. 3 ZVG gestützter Einstellungsantrag der Antragstellerin vom 25. Februar 2019 wegen Gefährdung des Wohles des Kindes S. zurückgewiesen worden.

Die Antragstellerin begehrt die Unzulässigerklärung der Zwangsversteigerung. Zunächst hatte sie ihren Drittwiderspruchsantrag auf ihre fehlende Zustimmungserklärung nach § 1365 BGB gestützt. Angesichts einer weiteren werthaltigen Immobilie, deren Alleineigentümer der Antragsgegner ist, hat sie ihren Antrag mit einer Verletzung des Rücksichtnahmegebotes begründet. Ein Teilungsversteigerungsantrag vor der Rechtskraft der Scheidung sei unzulässig. Der Antragsgegner ist dem Begehren der Antragstellerin entgegengetreten.

Mit Beschluß vom 17. August 2020 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Stuttgart-Bad Cannstatt den Antrag abgewiesen: Auch vor der Rechtskraft der Scheidung sei die Teilungsversteigerung möglich; eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes liege nicht vor. Mit ihrem Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren begehrt die Antragstellerin nach wie vor die Unzulässigerklärung der angeordneten Teilungsversteigerung, da diese vor der Rechtskraft der Scheidung nicht betrieben werden könne.

II. Der Drittwiderspruchsantrag der Antragstellerin nach § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 771 ZPO (zur Zulässigkeit BGH FamRZ 2017, 1602 Tz. 21 und 24), mit dem sie die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft betreffend des in S. belegenen Grundstücks begehrt, weist keine Erfolgsaussicht auf. Ein Teilungsversteigerungsantrag während der Trennungszeit ist nicht generell ausgeschlossen.

Der Senat ist der Ansicht, daß sich der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 28. September 2016 (FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78) eine generelle Beschränkung des Verfügungsrechts des (Mit-)Eigentümers nicht entnehmen läßt. In dieser Entscheidung hat der Bundesgerichtshof ersichtlich darauf abgestellt, daß die Ehewohnung in der Trennungszeit durch ein dingliches Herausgabeverlangen nach § 985 BGB nicht ihren Charakter als Ehewohnung verliert; vielmehr ist vorrangig auf den Schutzzweck des § 1361b BGB abzustellen, der nicht »unterlaufen« werden dürfe. Soweit das Oberlandesgericht Hamburg (FamRZ 2017, 1829; im Ergebnis zust. BeckOGK/Erbarth, § 1353 BGB Rdn. 376, ders. NZFam 2018, 34; abl. Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht 7. Aufl. § 1568a BGB Rdn. 13; Koch in MünchKomm, BGB 8. Aufl. § 1365 Rdn. 60; Grandel/Breuers in jurisPK-BGB, 9. Aufl. § 1353 Rdn. 52; Engels, Rpfleger 2017, 277; Götsche, FuR 2018, 513; Mast, FamRB 2018, 5; Kogel, FamRB 2019, 411, 413; Wever, FamRZ 2019, 504, 506) in Fortentwicklung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus dem Grundsatz von Treu und Glauben auch eine Sperre für ein Teilungsversteigerungsverfahren folgert, vermag der Senat diesem rigiden Ansatz nicht zu folgen.

Der Bundesgerichtshof stellt in seiner Entscheidung vornehmlich darauf ab, daß sich den Regelungen über den Schutz der Ehewohnung eine Sperrwirkung gegenüber Herausgabeansprüchen aus anderem Rechtsgrund entnehmen läßt. Den Interessen des Eigentümer-Ehegatten wird hinreichend Rechnung getragen, entweder durch eine Vergütungsregelung über § 1361b Abs. 3 BGB, gegebenenfalls durch Anrechnung auf den Trennungsunterhalt, oder aber über die Möglichkeit eines Antrages auf Zuweisung der Ehewohnung an den dinglich berechtigten Ehegatten. Ein generelles Veräußerungsverbot, welches ohnehin nur innerhalb des Verfahrens nach § 1361b BGB in Betracht zu ziehen wäre (zu den jeweils vertretenen Auffassungen vgl. im Einzelnen Wever, FamRZ 2020, 417, 418 Fn. 2), bzw. ein Verbot der Einleitung der Teilungsversteigerung hinsichtlich der Ehewohnung ist deshalb weder bezweckt, noch erforderlich.

Dem Schutzzweck des § 1361b BGB wird auch eine im Einzelfall gebotene interessengerechte Abwägung im Rahmen des aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB folgenden Rücksichtnahmegebotes gerecht (OLG Thüringen FamRZ 2019, 515; Brudermüller, FamRZ 1996, 1516, 1521). Danach ist das Familiengericht, auch wenn es sich bei dem Antrag nach § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, § 771 ZPO um eine Familienstreitsache gemäß § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handelt, nicht gehindert, insbesondere die Interessen der Kinder angemessen und umfassend zu berücksichtigen. Zwar sehen §§ 204 ff FamFG spezielle Vorschriften vor, vornehmlich die Anhörung des Jugendamtes (§ 205 Abs. 1 S. 1 FamFG), welches die Interessen der in dem Haushalt lebenden Kinder zur Geltung zu bringen hat; eine Umgehung dieser Vorschriften muß der andere Miteigentümer-Ehegatte allerdings nicht befürchten: Zum einen bleibt es ihm unbenommen, umfassend und nachvollziehbar vornehmlich zu den Interessen des in dem Haushalt lebenden Kindes vorzutragen, weshalb ein weiterer Verbleib in der ehelichen Wohnung erforderlich ist; zum anderen läßt die Einleitung eines Teilungsversteigerungsverfahrens die Möglichkeit des Stellens eines Antrages nach § 1361b Abs. 1 BGB unberührt, gegebenenfalls auch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. auch Wever, FamRZ 2020, 417, 418).

Liegen hinreichend sachliche Gründe für eine - gegebenenfalls auch fiktive - Beibehaltung der Ehewohnung im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung vor (zu den einzelnen Abwägungskriterien OLG Thüringen FamRZ 2019, 515; Brudermüller FamRZ 1996, 1516, 1521), so wird die Zwangsvollstreckung zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft für unzulässig zu erklären sein. Bei Einleitung eines Verfahrens nach § 1361b BGB und Zuweisung der Ehewohnung an den anderen Ehegatten wäre dieser Umstand im Zwangsversteigerungsverfahren im Rahmen des § 180 ZVG - gegebenenfalls auch nachträglich - zu berücksichtigen. Überdies bleibt es dem Miteigentümer-Ehegatten auch weiterhin unbenommen, mit der Zuweisung der Ehewohnung im Einzelfall auch über § 1361b Abs. 3 S. 1 BGB den (befristeten) Abschluß eines Mietvertrages zu verlangen (a.A. allerdings OLG Stuttgart FamRZ 2010, 1928 mit krit. Anm. Wever, FamRZ 2020, 417, 418), um in den Genuß der den Mieter schützenden Vorschrift des § 57a ZVG zu kommen.

Die Norm des § 1568a BGB, die nach ihrem Wortlaut noch den Bestand einer Ehewohnung voraussetzt, zwingt ebenfalls nicht zu einer anderen Betrachtungsweise: Weder aus der Gesetzesbegründung noch aus dem Regelungszweck dieser Vorschrift läßt sich zwingend entnehmen, daß die Ehewohnung als solche noch in dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung vorhanden sein muß. Auch der Entscheidung des Bundesgerichtshofes läßt sich nicht entnehmen, daß der Vorrang des § 1361b BGB ein Veräußerungsverbot vor der Rechtskraft der Ehescheidung bewirken soll (so aber offensichtlich OLG Hamburg FamRZ 2017, 1829); vielmehr soll lediglich verhindert werden, daß die Verfahrensvorschriften der §§ 204 ff FamFG nicht zur Anwendung gelangen. Würde dem Eigentümer-Ehegatten die Wohnung zugewiesen werden, bleibt es diesem unbenommen, die Wohnung vor Rechtskraft der Scheidung zu veräußern, sofern nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1365 BGB vorliegen sollten.

Im Rahmen der vorzunehmenden Einzelabwägung hat die Antragstellerin keine hinreichenden Gründe vorgetragen, die im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes zu beachten wären, und damit auch eine Zuweisung der Ehewohnung im Falle eines solchen Antrages hätten rechtfertigen können.

Bei einer zu unterstellenden Ehewohnungszuweisung erfordert das Merkmal der unbilligen Härte iSd § 1361b Abs. 1 S. 1 BGB ein Abwägen aller Umstände des Einzelfalles; dabei sind in die Abwägung die Interessen beider Ehegatten einzubeziehen. Zu der Bejahung einer unbilligen Härte muß eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben nicht vorliegen; allerdings können bloße Unannehmlichkeiten oder Unbequemlichkeiten die unbillige Härte nicht begründen (OLG Hamburg FamRZ 2019, 1405). Eine unbillige Härte kann gemäß § 1361b Abs. 1 S. 2 BGB auch dann gegeben sein, wenn das Wohl von in dem Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist. Sofern das Kindeswohl durch eine auf dem Verhalten der Eltern beruhende unerträgliche Wohnsituation beeinträchtigt wird, die häusliche Atmosphäre nachhaltig gestört ist, und dies zu erheblichen Belastungen der Kinder führt, oder diese unter den erheblichen Auseinandersetzungen der Eltern über das normale Maß hinaus leiden, ist die Wohnung demjenigen Elternteil zuzuweisen, der die Kinder vorzugsweise betreut. Erleben Kinder schwere dauerhafte Spannungen zwischen den Erwachsenen, und die Störung der häuslichen Atmosphäre durch Streitigkeiten und rücksichtslosen Umgang miteinander, kann dies zu erheblichen Belastungen eines Kindes führen (OLG Stuttgart FamRZ 2015, 1189).

Derartige Umstände, die die Zuweisung der Ehewohnung an die Antragstellerin rechtfertigen könnten, hat die Antragstellerin allerdings nicht vorgetragen, und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die Antragstellerin ist nicht zwingend auf die Ehewohnung angewiesen. Die trennungsbedingten Unannehmlichkeiten, insbesondere die Suche nach angemessenem Ersatzwohnraum angesichts beengter finanzieller Verhältnisse reichen für die Bejahung einer unbilligen Härte nicht aus. Ebenso wenig hätte eine Zuweisung aus Gründen des Kindeswohles zu erfolgen. Ein drohender Verlust der bisherigen vertrauten Umgebung und des Freundeskreises der neun Jahre alten Tochter nach ungefähr drei Jahren seit der Zustellung des Scheidungsantrages stellt keine unbillige Härte dar. Auch die fehlende räumliche Nähe zu der Großmutter mütterlicherseits könnte keine Zuweisung der Ehewohnung, und damit eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes rechtfertigen.

Schließlich hat das Amtsgericht zu Recht ausgeführt, daß der Antragsgegner ein wirtschaftliches Interesse daran hat, aus seiner Darlehensverpflichtung betreffend die Ehewohnung durch Einleitung des Teilungsversteigerungsverfahrens entlassen zu werden.

OLG Stuttgart 2020-10-29 - 15 UF 194/20
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Anmerkungen

Zwischen den Eheleuten ist seit Ende 2017 ein Scheidungsverfahren rechtshängig. Die Ehefrau wohnt mit einer gemeinsamen Tochter in dem Einfamilienhaus, das den Beteiligten je zur Hälfte gehört. Der Ehemann finanziert das Objekt; er ist ausgezogen, und stellt nunmehr er einen Antrag auf Teilungsversteigerung. Ein Einstellungsantrag der Ehefrau gemäss § 180 Abs. 3 ZVG wurde abgelehnt; daraufhin hat sie einen Drittwiderspruchsantrag eingereicht: Ein Teilungsversteigerungsverfahren vor Rechtskraft der Scheidung verstosse gegen das Gebot der Rücksichtnahme (§ 1353 BGB). AmtsG und OLG haben den Antrag abgelehnt.

Der Senat ist der Auffassung, dass während der Trennungszeit ein Teilungsversteigerungsantrag nicht generell ausgeschlossen sei; dies hatte allerdings das OLG Hamburg (FamRZ 2017, 1829) im Anschluss an die Entscheidung des BGH vom 28.09.2016 (BGHZ 212, 133 = FamRZ 2017, 22 = FuR 2017, 78) vertreten. Er hat festgehalten, die eheliche Wohnung behalte bis zu der Rechtskraft der Scheidung den Charakter als Ehewohnung; deswegen sei ein dingliches Herausgabeverlangen nach § 985 BGB nicht möglich. Daraus hatte das OLG Hamburg geschlossen, dass auch eine Teilungsversteigerung nach Treu und Glauben gemäss § 242 BGB vor einer Scheidung grundsätzlich unzulässig sei; ansonsten werde der Charakter der Ehewohnung unterlaufen. Demgegenüber vertritt das OLG Stuttgart die Auffassung, dass eine einzelfallbezogene Abwägung der beiderseitigen Interessen erfolgen müsse; das aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB herzuleitende Rücksichtnahmegebot orientiere sich daran, ob eine Wohnungszuweisung gemäss § 1361b BGB erfolgen könne. Ein derartiger Antrag sei sogar noch während einer Teilungsversteigerung zulässig. Bei der Frage, ob eine »unbillige Härte« vorliege, müssten alle Umstände des Einzelfalles geprüft werden; hierzu gehöre vor allen Dingen der Gesichtspunkt des Kindeswohles. Sofern die häusliche Atmosphäre nachhaltig gestört werde, und dies zu untragbaren Belastungen des Kindes führe, könne eine Wohnungszuweisung geboten sein. Darüber hinaus seien zu beachten:

- die Möglichkeiten einer angemessenen Beschaffung von Ersatzwohnraum, insbesondere angesichts begrenzter finanzieller Verhältnisse,
- der Verlust der bisherigen vertrauten Umgebung und des Freundeskreises des Kindes,
- die fehlende räumliche Nähe zu engen Verwandten
- die Zeitdauer der Trennung,
- das wirtschaftliche Interesse eines der Beteiligten daran, sich von der Zahlungsverpflichtung aus bestehenden Darlehensverbindlichkeiten zu lösen.

Nach Abwägung aller Gesichtspunkte ist der Senat zu dem Schluss gelangt, dass eine Wohnungszuweisung gemäss § 1361b BGB nicht möglich sei; deswegen sei die Teilungsversteigerung bereits jetzt zulässig.

Die von dem Senat zitierte Entscheidung des OLG Hamburg wird von anderen Gerichten und von der Literatur äusserst kritisch gesehen (z.B. OLG Thüringen FamRZ 2019, 515; Wever, FamRZ 2019, 504; Engels, Rpfleger 2017, 727; Lenz, NJW-Spezial 2018, 452): Nach dieser Auffassung müssen vor einer rechtskräftigen Scheidung vielmehr einzelfallbezogen alle für und gegen eine Teilungsversteigerung sprechenden Argumente bewertet werden, wobei sich die Überlegungen zu der Zuweisung des § 1361b BGB nicht unbedingt mit dem Rücksichtnahmegebot aus § 1353 BGB decken müssen. Wenn es etwa bei kinderloser Ehe von vermögenden Ehegatten zu fortdauernden unzumutbaren Belästigungen oder gar Übergriffen eines der Partner kommt, wird eine Zuweisung der Wohnung an den anderen Partner naheliegen. Ob damit aber gleichzeitig ein Verdikt für die Unzulässigkeit der Teilungsversteigerung ausgesprochen wird, kann erst unter Abwägung aller sonstigen finanziellen und persönlichen Gesichtspunkte entschieden werden. Anerkannt ist im übrigen, dass sich mit zunehmender Dauer der Trennung das Gebot der ehelichen Rücksichtnahme immer weiter abschwächt.

Hinweis
Der in der Wohnung verbleibende Ehegatte sollte selbst bei blossem Getrenntleben im Rahmen des Wohnungszuweisungsverfahrens immer daran denken, den Abschluss eines bis zu der Scheidung befristeten Mietvertrages zu verlangen; das OLG hat auf diese Möglichkeit ausdrücklich hingewiesen (a.A. allerdings OLG Stuttgart FamRZ 2019, 1928 mit krit. Anm. Wever, FamRZ 2020, 418). Ein solcher Mietvertrag würde den Mieter gemäss § 57a ZVG selbst im Falle der Versteigerung schützen.

Gleiches gilt im übrigen für den Antrag auf Wohnungszuweisung nach Rechtskraft der Scheidung: Auch hier besteht gemäss § 1568a Abs. 5 BGB eine gesetzliche Grundlage für die Begründung eines Mietverhältnisses. Umgekehrt: Der Ehegatte, der nicht im Hause wohnt, muss Wert darauf legen, dass der Mietvertrag jedenfalls zeitlich befristet wird, und zwar bis zu der Erteilung des Zuschlags; ansonsten wäre das Eigenheim kaum noch verwertbar. Erfahrungsgemäss scheuen Interessenten, die ja regelmässig Selbstnutzer sind, einen Räumungsprozess gegen den Nutzer mit ungewissem Ausgang. Der nicht in dem Hause lebende Ehegatte sollte bei der Begründung eines Mietverhältnisses durch das Gericht argumentieren, dass ein unbefristeter Mietvertrag in unzulässiger Weise auf seine Rechte als Eigentümer einwirkt, und damit eine Verletzung von Art. 14 GG darstellt (hierzu auch Wever, FamRZ 2020, 417).


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Zuweisung wegen unbilliger Härte; schwere Spannungen zwischen den Erwachsenen; nachhaltige Störung der häuslichen Atmosphäre durch Streitigkeiten und rücksichtslosen Umgang miteinander; vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohles im Rahmen der Gesamtabwägung.

BGB § 1361b

1. Eine unbillige Härte kann insbesondere dann gegeben sein, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist.
2. Erhebliche Belastungen eines Kindes können schon durch schwere Spannungen zwischen den Erwachsenen hervorgerufen werden, wenn die häusliche Atmosphäre durch Streitigkeiten und rücksichtslosen Umgang miteinander nachhaltig gestört ist.
3. Im Rahmen der Gesamtabwägung ist das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen: Für Kinder ist es wichtig, daß sie in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können.
4. Das Jugendamt ist an dem Verfahren zu beteiligen.

OLG Hamm, Beschluß vom 9. November 2020 - II-5 UF 85/20

Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Detmold vom 04.11.2019 (33 F 221/19) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe
I. Die Beteiligten sind seit dem 6. September 2019 getrennt lebende Ehegatten; an diesem Tage zog der Antragsgegner aus der vormaligen Ehewohnung, einem im hälftigen ideellen Miteigentum der Beteiligten stehenden Einfamilienhaus, aus. Mit Beschluß vom 4. November 2019 (33 F 204/19) hat das Familiengericht Detmold die Immobilie der Antragstellerin im Wege einstweiliger Anordnung vorläufig zur alleinigen Nutzung zugewiesen. Seine dagegen gerichtete Beschwerde nahm der Antragsgegner später zurück. Die Antragstellerin trägt die Zins- und Tilgungslasten in Höhe von monatlich 984 € allein. Das Haus hat eine Wohnfläche von 140 m² sowie einen ausgebauten Keller mit einer Geschoßhöhe von 2,37 m. Einer der Kellerräume wurde von den Beteiligten während der Ehe als Büro genutzt. Es besteht - von den Beteiligten nicht näher ausgeführter - Sanierungsbedarf.

Aus der Ehe sind die drei Kinder (E., geboren im Jahre 2004, B., geboren im Jahre 2007, und D., geboren im Jahre 2009) hervorgegangen. Die Kinder leben weiterhin in dem vormaligen Familienheim bei der Antragstellerin. Der Antragsgegner ist selbständiger Immobilienmakler; er lebt seit dem Auszug bei seinen Eltern. Im September 2019 erwarb er ein Einfamilienhaus in A. zu einem Kaufpreis von 47.000 €, das nach seinen Angaben sanierungsbedürftig sein soll; zudem ist er Eigentümer einer Eigentumswohnung in A., die vermietet ist. Ebenso ist die Antragstellerin Eigentümerin einer vermieteten Wohnung in A.

Die Antragstellerin erstattete gegen den Antragsgegner mehrere Strafanzeigen, unter anderem wegen Sexualdelikten zu ihrem Nachteil. Der Antragsgegner befand sich deshalb vom 13. Juli 2020 bis zum 24. September 2020 in Untersuchungshaft. An diesem Tage wurde der Antragsgegner von den Vorwürfen der Sexualdelikte durch das Landgericht Detmold freigesprochen, aber jedenfalls wegen Bedrohung der Antragstellerin zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist, verurteilt (21 KLs-44 Js 834/20-25/20). Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Die Antragstellerin hat beantragt, ihr das gesamte Haus C.-Straße in A. nebst Gartengrundstück für die Dauer des Getrenntlebens zur alleinigen Nutzung zuzuweisen, und dem Antragsgegner zu untersagen, das Grundstück ohne vorherige Zustimmung der Antragstellerin zu betreten, sowie ihn zu verpflichten, das Grundstück auf Aufforderung sofort zu verlassen. Der Antragsgegner hatte die Zurückweisung des Antrages angekündigt und erklärt, daß er eine Nutzungsentschädigung in Höhe von mindestens 300 € monatlich beanspruche. Er hat beantragt, zu entscheiden, was rechtens ist.

Mit Beschluß vom 17. März 2020 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Detmold der Antragstellerin das gesamte Haus C.-Straße in A. nebst Gartengrundstück für die Dauer des Getrenntlebens zur alleinigen Nutzung zugewiesen, und dem Antragsgegner untersagt, das vorgenannte Grundstück ohne vorherige Zustimmung der Antragstellerin zu betreten. Des Weiteren hat es angeordnet, daß der Antragsgegner das Grundstück auf Aufforderung sofort zu verlassen habe. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, daß sich die Kinder dafür ausgesprochen hätten, zukünftig mit der Antragstellerin in dem Haus zu leben. Die Entscheidung, die auf § 1361b BGB beruhe, berücksichtige die Belange der Beteiligten und der gemeinsamen Kinder.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde; er begehrt die Einräumung des »Mitbesitzes« an der vormaligen Ehewohnung. Zur Begründung führt er aus, daß eine schwere Härte iSv § 1361b BGB nicht vorliege. Er habe die Immobilie selbst gebaut, und sei nicht freiwillig ausgezogen. Die Antragstellerin erpresse ihn; die von ihr behaupteten Straftaten habe er nicht begangen. Er wolle mit den Kindern alleine in dem Haus leben. Jedenfalls sei eine Aufteilung der Wohnung möglich; insbesondere benötige er die Kellerräume als Büro. Im Übrigen habe das Amtsgericht den Antrag auf Nutzungsvergütung übergangen, die mit mindestens 7 € pro Quadratmeter anzusetzen sei.

Die Antragstellerin verteidigt die angefochtene Entscheidung und führt ergänzend aus, daß der Antragsgegner als Immobilienmakler nicht auf bestimmte Büroräume angewiesen sei; auch in der Vergangenheit habe er das Büro im Keller nicht genutzt, sondern mit einem Laptop im Wohnzimmer gearbeitet. Seine Begründung, er wolle die Immobilie nutzen, sei vorgeschoben, da er mittlerweile - was unstreitig ist - die Teilungsversteigerung des Grundstücks betreibe (AmtsG Detmold - 21 K 017/20).

II. Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Im Ergebnis zutreffend hat das Amtsgericht die gesamte Ehewohnung der Antragstellerin zur alleinigen Nutzung nach § 1361b Abs. 1 BGB zugewiesen, da dies notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. In die dabei erforderliche Gesamtabwägung sind unter besonderer Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles einzubeziehen, die das Verhältnis der Ehegatten zueinander, ihre gegenwärtigen Lebensbedingungen und ihre Beziehungen zu der Ehewohnung betreffen (Brudermüller in Palandt, BGB 79. Aufl. § 1361b Rdn. 14; Weber-Monecke in MünchKomm, BGB 8. Aufl. § 1361b Rdn. 6). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners bedarf es auch keiner schweren Härte mehr: Durch die Einführung des Begriffs der unbilligen Härte hat der Gesetzgeber die Eingriffsschwelle bewußt herabsetzen wollen (Weber-Monecke, aaO Rdn. 5).

a) Das Wohl der gemeinsamen, in dem Haushalt lebenden Kinder erfordert die - vorläufige - Zuweisung der Ehewohnung an die Antragstellerin. Nach § 1361b Abs. 1 S. 2 BGB kann eine unbillige Härte insbesondere dann gegeben sein, wenn das Wohl von in dem Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist (§ 1361b Abs. 1 S. 2 BGB). Erhebliche Belastungen eines Kindes können schon durch schwere Spannungen zwischen den Erwachsenen hervorgerufen werden, wenn die häusliche Atmosphäre durch Streitigkeiten und rücksichtslosen Umgang miteinander nachhaltig gestört ist (OLG Brandenburg FamRZ 2010, 1983, 1984; OLG Stuttgart FamRZ 2015, 1189, 1190; OLG Hamburg FamRZ 2019, 1405, 1406; Brudermüller, aaO Rdn. 11; Weber-Monecke, aaO Rdn. 9; Voppel in Staudinger, BGB [2018] § 1361b Rdn. 37).

Daß die häusliche Atmosphäre spannungsgeladen und nachhaltig gestört ist, ergibt sich bereits aus der Anhörung der Beteiligten. Dabei bedarf es keiner näheren Aufklärung, welcher Tatsachenvortrag richtig ist; die Konflikte der Beteiligten gehen jedenfalls weit über das übliche Maß einer Trennung hinaus: Mehrfach hat die Antragstellerin den Antragsgegner unter anderem wegen Sexualdelikten angezeigt, so daß der Antragsgegner letztlich über zwei Monate in Untersuchungshaft war. Der Antragsgegner wurde in erster Instanz wegen Bedrohung der Antragstellerin zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, die noch nicht rechtskräftig ist. Die Antragstellerin hat nach dem Auszug des Antragsgegners vor einer gerichtlichen Entscheidung über die Nutzung der Ehewohnung unstreitig die Schlösser austauschen lassen. Der Antragsgegner wiederum hat bereits vor Ablauf des Trennungsjahres die Teilungsversteigerung eingeleitet. Besonders deutlich wurden die erheblichen Konflikte der Ehegatten schließlich im Erörterungstermin vor dem Senat: Auch hier waren die Angaben der Ehegatten, die den anderen mehrfach nicht ausreden ließen, geprägt von wechselseitigen Vorwürfen.

Durch diesen Konflikt ist das Wohl der Kinder nachhaltig gestört; dies ergibt sich zum einen aus der Anhörung der Kinder. Diese zeigten zwar ein gutes und noch im Wesentlichen ungestörtes Verhältnis zu beiden Elternteilen. B. und D. standen dabei der Frage der Obhut eher neutral gegenüber; beiden war aber wichtig, daß sie in ihrer gewohnten Umgebung bleiben können. E. dagegen zeigte sich sehr reflektiert, aber deutlich belastet; so verweigert sie derzeit den Umgang mit dem Antragsgegner, weil dieser sie immer wieder auf die Antragstellerin anspricht, statt sich mit ihr zu beschäftigen. Alle drei Kinder gaben aber auch an, daß sie den Streit der Eltern mitbekommen würden, und sich diese im Falle eines Aufeinandertreffens sofort streiten würden. Sie wünschten sich, daß beide Elternteile wenigstens um ihretwillen einen vernünftigen Umgang miteinander pflegen, was aber in absehbarer Zeit nicht der Fall sein werde.

Die Belastung der Kinder wurde auch deutlich durch den Bericht der Mitarbeiterinnen des Jugendamtes in dem Erörterungstermin: Diese gaben an, daß B. bereits anfange, sich Haare auszureißen. Damit wird die Belastung des seelischen Wohles der Kinder auch nach außen deutlich sichtbar. Aufgrund der Beeinträchtigung des Kindeswohles kommt eine Aufteilung der Ehewohnung nicht in Betracht; es kann deshalb dahinstehen, ob eine räumliche Trennung innerhalb der Familienwohnung überhaupt möglich wäre.

b) Im Rahmen der Gesamtabwägung ist das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen (OLG Stuttgart, und OLG Hamburg, jeweils aaO; Brudermüller, aaO Rdn. 11). Die Interessen des Antragsgegners, die in seiner Eigenleistung bei dem Bau des Familienheims und durch die verbotene Eigenmacht der Antragstellerin begründet werden, stehen dahinter zurück. Ein echtes Interesse, die Ehewohnung selbst zu nutzen, vermag der Senat nicht zu erkennen; die Angaben des Antragsgegners sind insofern widersprüchlich: Einerseits wolle er selbst dort einziehen, andererseits betreibt er die Teilungsversteigerung, und hat in dem Erörterungstermin vor dem Amtsgericht bekundet, daß die Immobilie veräußert werden solle, und die Antragstellerin mit den Kindern in einer anderen, vermieteten Immobilie der Ehegatten wohnen könne.

Die Ehewohnung ist vorrangig demjenigen Elternteil zuzuweisen, der die Kinder hauptsächlich betreut (OLG Celle FamRZ 2006, 1143; OLG Hamburg aaO; Weber-Monecke, aaO Rdn. 9), mithin der Antragstellerin. Für alle drei Kinder ist es wichtig, in der gewohnten Umgebung zu bleiben, und einen Umzug zu vermeiden. Der Antragsgegner ist dagegen nicht auf die vormalige Ehewohnung angewiesen: Er ist Eigentümer mehrerer anderer Wohnimmobilien; ihm wäre ohne Weiteres entweder eine Eigenbedarfskündigung der vermieteten Wohnung, oder aber innerhalb nunmehr eines Jahres die Instandsetzung der im Jahre 2019 erworbenen Immobilie möglich gewesen.

3. Ebenfalls im Ergebnis zutreffend hat das Amtsgericht angeordnet, daß der Antragsgegner das Grundstück nur mit Zustimmung der Antragstellerin betreten darf, und es auf Aufforderung sofort zu verlassen habe. Diese Schutz- und Unterlassungsanordnung beruht als Konkretisierung des Wohlverhaltensgebotes auf § 1361b Abs. 3 S. 1 BGB. Dieses Wohlverhaltensgebot besagt, daß der aus der Wohnung gewiesene Ehegatte alles zu unterlassen hat, was die Ausübung des alleinigen Nutzungsrechts erschweren oder vereiteln könnte (Brudermüller, aaO Rdn. 17; Voppel, aaO Rdn. 56).

Nach § 209 FamFG kann das Familiengericht unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dazu bestimmte Anordnungen treffen. Dazu kann auch die Anordnung gehören, die Wohnung oder das Grundstück nicht mehr zu betreten (OLG Köln FamRZ 2003, 319, 320; OLG Stuttgart FamRZ 2004, 876; Weber-Monecke, aaO Rdn. 16; Voppel, aaO Rdn. 59). Dies ist aus den oben angeführten Belangen des Kindeswohles erforderlich. Der Antragsgegner hat insofern auch in dem Erörterungstermin bereits angekündigt, das Grundstück betreten zu wollen, um zum Beispiel die Kinder zu Umgangskontakten abzuholen.

4. Der Antragsgegner hat keinen Anspruch auf eine Nutzungsvergütung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB. Eine solche Nutzungsvergütung kann der der Wohnung verwiesene Ehegatte verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht; die Beweislast trägt dabei derjenige Ehegatte, der die Nutzungsvergütung geltend macht (OLG Frankfurt FamRZ 2011, 373, 374; OLG Saarbrücken FamRZ 2014, 1636; Voppel, aaO Rdn. 76). Dabei sind nicht nur der objektive Mietwert, sondern auch die Verhältnisse der Ehegatten und ihre bisherige Lebensgestaltung maßgebend; die objektive Marktmiete bildet aber die Obergrenze (OLG Hamm FamRZ 2011, 482, 483; OLG Brandenburg AGS 2014, 31; Weber-Monecke, aaO Rdn. 24). Diese ist durch die Hauslasten und verbrauchsunabhängigen Nebenkosten, die der in der Wohnung verbleibende Ehegatte trägt, zu kürzen (OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1271, 1272).

Es ist bereits nicht erkennbar, daß der objektive Mietwert als mögliche Obergrenze die von der Antragstellerin allein getragenen Finanzierungslasten in Höhe von 984 € übersteigt. Der darlegungspflichtige Antragsgegner hat keine Angaben zu den wertbildenden Faktoren des Hauses gemacht; es fehlen insbesondere Angaben zu Baujahr, Ausstattung, Lage und Renovierungszustand. Der von ihm ohne Begründung angegebene Mietwert von 7 €/m² ist deshalb nicht nachvollziehbar.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Gründe für eine abweichende Kostenregelung sind nicht ersichtlich.

IV. Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 48 Abs. 1, 33 Abs. 1 S. 2 FamGKG. § 48 Abs. 1 FamGKG bestimmt den Wert in Ehewohnungssachen nach § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG auf 3.000 €. Diese Vorschrift gilt nicht nur für den Antrag der Antragstellerin auf Wohnungszuweisung, sondern auch für die Nutzungsentschädigung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB; dies folgt zum einen aus dem Wortlaut, zum anderen könnte sonst der gesetzgeberische Zweck der Arbeitserleichterung nicht erreicht werden (OLG Bamberg FamRZ 2011, 1424; OLG Brandenburg AGS 2014, 31, 32; OLG Celle FamRZ 2015, 1193, 1196; OLG Karlsruhe FamRZ 2017, 57, 59; Schneider/Volpert/Fölsch/Türck-Brocker, Gesamtes Kostenrecht 2. Auflage § 48 FamGKG Rdn. 23; Beck-OK/Neumann, [Stand: 01.09.2020] § 48 FamGKG Rdn. 13). Dieser Wert ist auch für die Nutzungsentschädigung nicht aus Billigkeitsgründen nach § 48 Abs. 3 FamGKG zu ändern; weder die Höhe des Anspruchs noch der Umfang der Sache geben dazu Anlaß.

Nach § 33 Abs. 1 S. 2 FamGKG erfolgt zudem keine Addition der Werte für die Wohnungszuweisung und die Nutzungsentschädigung (Schneider/Volpert/Fölsch/Türck-Brocker, aaO § 48 FamGKG Rdn. 31); maßgeblich ist daher der höchste Einzelwert.

OLG Hamm 2020-11-09 - II-5 UF 85/20
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Anmerkungen

In einem Verfahren wegen Regelung der Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung während der Getrenntlebens hat das OLG in einem Zuweisungsverfahren wegen unbilliger Härte vorrangig auf das Kindeswohl abgestellt, um die unbillige Härte zu begründen: Schwere Spannungen zwischen den Erwachsenen hätten erhebliche Belastungen eines Kindes hervorgerufen. Man habe sich wechselseitig ausgesperrt, und wechselseitig mit Strafanzeigen überhäuft. Zur Begründung gehöre dazu neben dem entsprechenden Sachvortrag dann auch die Anhörung der Beteiligten. Auf den Beweis der jeweiligen Behauptung komme es nach Auffassung des Senats nicht entscheidend an; alleine aus den wechselseitigen Beschuldigungen ergebe sich die unbillige Härte. Das angehörte Jugendamt hat dies unter Berücksichtigung der Belange des Kindeswohles bestätigt (s. auch Kogel, FuR 2021, 285 zu dem tatsächlichen und rechtlichen Spannungsverhältnis in Bezug auf einen erfolgreichen Antrag auf Zuweisung der Ehewohnung).

» Nach § 1361b Abs. 1 S. 2 BGB kann eine unbillige Härte insbesondere dann gegeben sein, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist (§ 1361b Abs. 1 S. 2 BGB). Erhebliche Belastungen eines Kindes können schon durch schwere Spannungen zwischen den Erwachsenen hervorgerufen werden, wenn die häusliche Atmosphäre durch Streitigkeiten und rücksichtslosen Umgang miteinander nachhaltig gestört ist (OLG Brandenburg FamRZ 2010, 1983; OLG Stuttgart FamRZ 2015, 1189; OLG Hamburg FamRZ 2019, 1405). Die Ehewohnung ist vorrangig demjenigen Elternteil zuzuweisen, der die Kinder hauptsächlich betreut (OLG Celle FamRZ 2006, 1143; OLG Hamburg FamRZ 2019, 1405). «

Das sei hier die Antragstellerin. Für alle drei Kinder ist es wichtig, in der gewohnten Umgebung zu bleiben, und einen Umzug zu vermeiden. Der Antragsgegner sei dagegen nicht auf die vormalige Ehewohnung angewiesen. Er sei Eigentümer mehrerer anderer Wohnimmobilien; ihm wäre ohne weiteres entweder eine Eigenbedarfskündigung einer vermieteten Wohnung oder aber innerhalb nunmehr eines Jahres die Instandsetzung einer im Jahre 2019 erworbenen Immobilie möglich gewesen.

Nach § 209 FamFG könne das FamG unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes dazu bestimmte Anordnungen treffen; dazu könne auch die Anordnung gehören, die Wohnung oder das Grundstück nicht mehr zu betreten (OLG Köln FamRZ 2003, 319; OLG Stuttgart FamRZ 2004, 876;). Dies sei vorliegend aus den Belangen des Kindeswohles erforderlich, zumal der Antragsgegner in dem Erörterungstermin bereits angekündigt hat, das Grundstück betreten zu wollen, um etwa die Kinder zu Umgangskontakten abzuholen.

Das OLG hat dem Antragsgegner keinen Anspruch auf eine Nutzungsvergütung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB zugebilligt.

» Eine solche Nutzungsvergütung kann der der Wohnung verwiesene Ehegatte verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht; die Beweislast trägt dabei derjenige Ehegatte, der die Nutzungsvergütung geltend macht (OLG Frankfurt FamRZ 2011, 373; OLG Saarbrücken FamRZ 2014, 1636). Dabei sind nicht nur der objektive Mietwert, sondern auch die Verhältnisse der Ehegatten und ihre bisherige Lebensgestaltung massgebend; die objektive Marktmiete bildet aber die Obergrenze (OLG Hamm FamRZ 2011, 482; OLG Brandenburg AGS 2014, 31). Diese ist durch die Hauslasten und verbrauchsunabhängigen Nebenkosten, die der in der Wohnung verbleibende Ehegatte trägt, zu kürzen (OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1271). «

Es sei bereits nicht erkennbar, dass der objektive Mietwert als mögliche Obergrenze die von der Antragstellerin allein getragenen Finanzierungslasten in Höhe von 984 € übersteige. Der darlegungspflichtige Antragsgegner habe im übrigen keine Angaben zu den wertbildenden Faktoren des Hauses gemacht; insbesondere fehlten Angaben zu Baujahr, Ausstattung, Lage und Renovierungszustand. Der von ihm ohne Begründung angegebene Mietwert von 7 €/m² sei deshalb nicht nachvollziehbar.

» Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 48 Abs. 1 FamGKG, § 33 Abs. 1 S. 2 FamGKG. § 48 Abs. 1 FamGKG bestimmt den Wert in Ehewohnungssachen nach § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG auf 3.000 €. Diese Vorschrift gilt nicht nur für den Antrag der Antragstellerin auf Wohnungszuweisung, sondern auch für die Nutzungsentschädigung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB; dies folgt zum einen aus dem Wortlaut, zum anderen könnte sonst der gesetzgeberische Zweck der Arbeitserleichterung nicht erreicht werden (OLG Bamberg FamRZ 2011, 1424; OLG Brandenburg AGS 2014, 31; OLG Celle FamRZ 2015, 1193; OLG Karlsruhe FamRZ 2017, 57). Dieser Wert ist auch für die Nutzungsentschädigung nicht aus Billigkeitsgründen nach § 48 Abs. 3 FamGKG zu ändern: Weder die Höhe des Anspruchs noch der Umfang der Sache geben dazu Anlass. Nach § 33 Abs. 1 S. 2 FamGKG erfolgt zudem keine Addition der Werte für die Wohnungszuweisung und für die Nutzungsentschädigung; massgeblich ist daher der höchste Einzelwert. «


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Verfahrenswert eines Antrages auf Mitwirkung an der Kündigung des gemeinsam geschlossenen Wohnraummietvertrages.

BGB § 1361b; FamFG §§ 200, 266; GKG § 41; FamGKG §§ 42, 48

1. Bei einem Antrag auf Zustimmung des getrennt lebenden Ehepartners zur Kündigung des gemeinsam geschlossenen Wohnraummietvertrages handelt es sich um eine Familienstreitsache im Sinne von § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG.
2. Der Verfahrenswert richtet sich in einem solchen Verfahren in der Regel nach der Jahresnettomiete.

OLG Bremen, Beschluß vom 16. November 2020 - 4 WF 67/20

Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Verfahrenswertbeschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremen vom 16.05.2020 (66 F 135/20) wird zurückgewiesen.

Gründe
I. Die Beteiligten - getrennt lebende Ehegatten - hatten den Mietvertrag für die vormals gemeinsam bewohnte Ehewohnung gemeinsam abgeschlossen.

In dem vorliegenden Verfahren ist die Antragsgegnerin mit Versäumnisbeschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremen vom 16. April 2020 auf Antrag des Antragstellers verpflichtet worden, gegenüber der Vermieterin ihre Zustimmung zur Kündigung des gemeinsam geschlossenen Wohnraummietvertrages zu erteilen, und/oder an einer solchen Kündigung mitzuwirken. Mit Beschluß vom 16. Mai 2020 hat das Amtsgericht den Verfahrenswert auf 4.380 € festgesetzt. Gegen diese Wertfestsetzung wendet sich die Antragsgegnerin mit einer mit Schriftsatz vom 5. Juni 2020 eingelegten Beschwerde, mit welcher sie beantragt, den Verfahrenswert auf lediglich 1.500 € festzusetzen, weil es sich in dem vorliegenden Fall um eine Ehewohnungssache iSv § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG handele, so daß der Gegenstandswert gemäß § 48 Abs. 1 FamGKG festzusetzen sei. Bei einer Zustimmung zur Kündigung anstelle der Zuweisung, zumal während der Trennungszeit, erscheine der volle Wert von 3.000 € allerdings unbillig, so daß in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 41 FamGKG stattdessen der hälftige Regelwert angemessen sei. Der Antragsteller tritt der Beschwerde entgegen.

II. Die gemäß § 59 FamGKG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Familiengericht hat den Verfahrenswert jedenfalls nicht zu hoch angesetzt.

§ 48 FamGKG ist nicht anwendbar, weil es sich bei einem Antrag auf Mitwirkung an der Kündigung des gemeinsam geschlossenen Wohnungsmietvertrages entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht um eine Ehewohnungssache iSv § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG handelt, sondern um eine Familienstreitsache iSv § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG (OLG Köln FamRZ 2011, 891; OLG Hamm FamRZ 2015, 667; OLG Frankfurt FamRZ 2018, 614; Lorenz in Zöller, ZPO 33. Aufl. § 266 Rdn. 18; Heinemann in Rahm/Künkel, Handbuch Familien- und Familienverfahrensrecht 81. Lieferung [Stand: 09/2020] sonstige Familienstreitsachen §§ 112 Nr. 3, 266 Abs. 1, 269 Abs. 2 FamFG Rdn. 40.5; Heiter in Prütting/Helms, FamFG 5. Aufl. § 266 Rdn. 54b; Neumann in Prütting/Helms, aaO § 200 Rdn. 7; Brudermüller in Palandt, BGB 79. Aufl. § 1568a Rdn. 12 a.E.; Breidenstein in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB 9. Aufl. [Stand: 15.10.2019] § 1568a Rdn. 2).

Der Verfahrenswert ist daher gemäß § 42 Abs. 1 FamGKG nach billigem Ermessen zu bestimmen. Maßgebend ist das Interesse des Antragstellers an der Abgabe der von der Antragsgegnerin verlangten Willenserklärung. Dieses Interesse ist wirtschaftlicher Natur, denn der Antragsteller möchte nicht mehr aus dem Mietvertrag haften. Daher ist der Gegenstandswert unter Beachtung des in § 41 Abs. 1 GKG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens mit einer Jahresnettomiete zu bemessen (vgl. KG NJW-RR 1992, 1490, 1491; OLG Köln FamRZ 2007, 46, 47). Die Jahresnettomiete beträgt in dem vorliegenden Fall ausweislich des mit der Antragsschrift vorgelegten Mietvertrages (530 € × 12 =) 6.360 €, so daß der von dem Amtsgericht auf 4.380 € festgesetzte Gegenstandswert aus Sicht der Antragsgegnerin nicht zu beanstanden ist.

OLG Bremen 2020-11-16 - 4 WF 67/20
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Anmerkungen

1. Die Beteiligten - nunmehr getrennt lebende Ehegatten - hatten den Mietvertrag für die vormals gemeinsam bewohnte Ehewohnung gemeinsam abgeschlossen. Die Antragsgegnerin wurde mit Versäumnisbeschluss des AmtsG verpflichtet, gegenüber der Vermieterin ihre Zustimmung zur Kündigung des Wohnraummietvertrags zu erteilen und/oder an einer solchen Kündigung mitzuwirken. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das AmtsG den Verfahrenswert auf 4.380 € festgesetzt. Gegen diese Wertfestsetzung wendet sich die Antragsgegnerin mit der Beschwerde, mit der sie beantragt, den Verfahrenswert auf lediglich 1.500 € festzusetzen: Es handele sich vorliegend um eine Ehewohnungssache iSv § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, so dass der Gegenstandswert gemäss § 48 Abs. 1 FamGKG festzusetzen sei. Bei einer Zustimmung zur Kündigung anstelle der Zuweisung, zumal während der Trennungszeit, erscheine der volle Wert von 3.000 € allerdings unbillig, so dass in Anwendung des Rechtsgedankens aus § 41 FamGKG stattdessen der hälftige Regelwert angemessen sei.

Das OLG hat der Beschwerde nicht stattgegeben. § 48 FamGKG sei nicht anwendbar, weil es sich bei einem Antrag auf Mitwirkung an der Kündigung des gemeinsam geschlossenen Wohnungsmietvertrages nicht um eine Ehewohnungssache iSv § 200 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, sondern um eine Familienstreitsache iSv § 266 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handele; der Verfahrenswert sei daher gemäss § 42 Abs. 1 FamGKG nach billigem Ermessen zu bestimmen, wobei das Interesse des Antragstellers an der Abgabe der von der Antragsgegnerin verlangten Willenserklärung massgeblich sei. Dieses Interesse sei wirtschaftlicher Natur, denn der Antragsteller wolle nicht mehr aus dem Mietvertrag haften, so dass der Gegenstandswert unter Beachtung des in § 41 Abs. 1 GKG zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens mit einer Jahresnettomiete zu bemessen sei. Da diese vorliegend 6.360 € betrage, sei der auf 4.380 € festgesetzte Gegenstandswert nicht zu beanstanden.

2. Das OLG hat erstmals entschieden, dass der Anspruch auf (interne) Mitwirkung an einer Kündigung der bislang gemeinsamen Ehewohnung nicht als vorrangige Ehewohnungssache, sondern als sonstige Familiensache geltend gemacht werden muss; eine solche Angelegenheit betrifft nicht Fragen der Wohnungszuweisung, sondern der internen Abwicklung eines gemeinsamen Vertragsverhältnisses. Da es sich jedoch um eine Streitigkeit im Innenverhältnis der Ehegatten handelt, hätte es nahegelegen, das Vermögensinteresse des Antragstellers auf seine interne Haftungsquote an der Jahresnettomiete zu begrenzen. Da im Zweifel von einer gleich hohen Haftungsquote beider Ehegatten auszugehen ist, hätte das Gericht den Verfahrenswert von 6.360 € um die Hälfte auf 3.180 € reduzieren müssen.


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Freistellung von Mietforderungen und Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Mitwirkung an der Entlassung aus dem Mietverhältnis.

BGB §§ 426, 1361b

Zu dem Begehren eines Ehegatten auf Freistellung von Mietforderungen durch den anderen Ehegatten sowie auf Verpflichtung des anderen Ehegatten zu der Mitwirkung an seiner Entlassung aus dem Mietverhältnis nach der Kündigung eines gemeinsamen Mietverhältnisses über die Ehewohnung durch den Vermieter.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 3. Dezember 2020 - 13 UF 133/19

Tenor
1. Unter Zurückweisung der Beschwerde des Antragsgegners wird unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Nauen vom 21.05.2019 (20 F 57/19) in Ziffer 1. S. 1 festgestellt, daß der Antrag der Antragstellerin, den Antragsgegner zu verpflichten, ihrer Entlassung aus dem Mietvertrag über die ehemalige Ehewohnung der Beteiligten, A. Straße in Falkensee, zuzustimmen, sowie der Kundenservice GmbH eine Kopie seines Reisepasses vorzulegen, erledigt ist.
2. Auf die Anschlußbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Nauen vom 21.05.2019 in Ziffer 1. Satz 2 abgeändert, und wie folgt neu gefaßt:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Antragstellerin hinsichtlich der bis zum 25.08.2020 für die ehemalige Ehewohnung der Beteiligten, A. Straße in Falkensee, angewachsenen Mietrückstände und Nutzungsentschädigungsansprüche der Vermieterin in Höhe von 8.122,94 €, sowie hinsichtlich der ab September 2020 monatlich fällig werdenden Ansprüche aus dem Nutzungsverhältnis in Höhe von monatlich 1.277 € freizustellen.
3. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
4. Der Wert des erstinstanzlichen und des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 16.000 € festgesetzt.
5. Der Antragstellerin wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für den zweiten Rechtszug bewilligt, und Rechtsanwältin M., Falkensee, beigeordnet.

Gründe
I. Die Beteiligten sind getrennt lebende Eheleute. Seit die Antragstellerin am 1. März 2019 in Trennungsabsicht aus der gemeinsamen Ehewohnung in Falkensee ausgezogen ist, nutzt der Antragsgegner die Wohnung alleine. Nach der Kündigung des Mietverhältnisses über die Wohnung durch den Vermieter erstrebt die Antragstellerin neben Freistellung von Mietforderungen die Feststellung der Erledigung ihres Antrages auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Mitwirkung an ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis. Sie hat beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten,

1. ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis über die ehemalige Ehewohnung in der A. Straße in Falkensee zuzustimmen,

2. der Kundenservice GmbH, D. Straße 3 in B. die zur Entlassung aus dem Mietvertrag notwendigen Einkommensnachweise der letzten drei Monate und eine Kopie des Personalausweises vorzulegen,

3. sie bis zu ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis im Innenverhältnis von Ansprüchen des Vermieters seit dem 1. März 2019 freizustellen.

Der Antragsgegner hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat vorgetragen, nicht von einem endgültigen Scheitern der ehelichen Lebensgemeinschaft auszugehen. Monatlich beziehe er nur Krankengeld in Höhe von 1.943,70 €; hieraus könne er den Mietzins in Höhe von 1.301 € nicht alleine bezahlen. Die Antragstellerin habe ihm durch ihren Auszug eine unangemessen große Wohnfläche aufgedrängt. Er befinde sich in einer schwierigen psychischen Situation, die seine Begleitung durch einen im Auftrage des sozialpsychiatrischen Dienstes tätigen Helfer erforderlich mache. Angemessenen Wohnraum habe er noch nicht finden können, obwohl er bereits etwa 20 Bewerbungen abgesandt habe. Freistellung könne die Antragstellerin nicht verlangen: Selbst wenn der Wohnungsmarkt entspannter wäre, müßte ihm eine angemessene Überlegungsfrist eingeräumt werden.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Nauen hat den Antragsgegner mit dem angefochtenen Beschluß, auf den der Senat zur Ergänzung des erstinstanzlichen Sachstandes Bezug nimmt, verpflichtet, der Entlassung der Antragstellerin aus dem Mietverhältnis über die ehemalige Ehewohnung zuzustimmen, der Vertreterin der Vermieterin die zur Entlassung aus dem Mietverhältnis erforderlichen Einkommensnachweise und eine Kopie des Personalausweises vorzulegen, und die Antragstellerin bis zu ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis im Innenverhältnis von Ansprüchen der Vermieterin freizustellen, und den darüber hinausgehenden Antrag abgewiesen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgt der Antragsgegner sein erstinstanzliches Ziel weiter. Er hält sich nicht für verpflichtet, an der Entlassung der Antragstellerin aus dem Mietverhältnis mitzuwirken oder sie freizustellen; er verfüge auch gar nicht über einen Personalausweis, sondern nur über einen Reisepaß. Die Antragstellerin sei auch gar nicht auf seine Mitwirkung angewiesen, weil er beabsichtige, sobald er eigenen angemessenen Wohnraum gefunden habe, das Mietverhältnis zu kündigen. Vor Vorliegen einer verbindlichen Zusage eines anderen Vermieters sei ihm unter Berücksichtigung des Gebotes der Rücksichtnahme eine Kündigung des Mietverhältnisses nicht zumutbar. Er beziehe mittlerweile nur noch Krankengeld in Höhe von monatlich 1.089 €. Der Antragsgegnerin sei es zuzumuten, sich an dem Mietverhältnis festhalten zu lassen. Die von dem Gericht eingeräumte Frist von drei Monaten sei überdies viel zu kurz; frühestens zum 31. August 2019 könne ihm die Kündigung der Wohnung abverlangt werden.

Mit Schreiben vom 11. März 2020 hat die Vermieterin den Beteiligten das Mietverhältnis über die ehemalige Ehewohnung wegen Mietrückständen in Höhe von 5.167,22 € fristlos gekündigt. Die - nach dem Auszug der Antragstellerin - bis zu dem Zeitpunkt der fristlosen Kündigung entstandenen rückständigen Beträge aus dem Mietverhältnis hat die Vermieterin bei beiden Beteiligten jeweils in voller Höhe geltend gemacht. Der Antragsgegner nutzt die Wohnung auch nach der Kündigung weiter. Am 25. August 2020 waren die Forderungen der Vermieterin gegen die Beteiligten auf eine Höhe von 8.122,94 € angewachsen. Die Vermieterin stellt für die Nutzung der Wohnung nach der Kündigung fortlaufend monatlich 1.330 € bzw. 1.277 € in Rechnung, so daß sich am 25. August 2020 eine Forderung von insgesamt 8.122,94 € zugunsten der Vermieterin ergab. Der Antragsgegner beantragt der Sache nach, den angefochtenen Beschluß abzuändern, und die Anträge der Antragstellerin abzuweisen.

Die Antragstellerin hat zunächst beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, und im Wege der Anschlußbeschwerde, den angefochtenen Beschluß dahin zu ergänzen, daß der Antragsgegner verpflichtet wird, der Kundenservice GmbH eine Kopie seines Reisepasses oder ein vergleichbares Ausweispapier vorzulegen. Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Nach der vermieterseitigen Kündigung des Mietverhältnisses hat sie ihren auf Mitwirkung des Antragsgegners an ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis gerichteten Antrag für erledigt erklärt, und beantragt, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß der Antragsgegner verpflichtet wird, sie im Innenverhältnis in Bezug auf die bis zum 25. August 2020 aufgelaufenen Mietrückstände in Höhe von 8.122,94 €, sowie auf die künftig ab September 2020 monatlich fällig werdenden Nutzungsentschädigungen in Höhe von 1.277 € freizustellen.

Der Antragsgegner beantragt, die Anschlußbeschwerde zurückzuweisen. Er hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen, und beantragt, die Anschlußbeschwerde abzuweisen. Er meint, der auf seine Mitwirkungshandlung gerichtete Antrag sei von Anfang an unbegründet gewesen, und hält auch den konkretisierten Freistellungsanspruch für unbegründet, weil die Vermieterin allein ihn wegen der Rückstände in Anspruch nehme.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Der Senat entscheidet, seiner Ankündigung vom 21. August 2019 folgend, ohne erneute mündliche Erörterung. Die Beteiligten haben ihren Tatsachenvortrag und ihre Rechtsansichten umfassend schriftlich dargelegt; es ist nicht ersichtlich, daß eine mündliche Erörterung zu einem weiteren Erkenntnisfortschritt führen könnte.

II. 1. Die gemäß §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde ist unbegründet, soweit der angefochtene Beschluß den Antragsgegner zur Mitwirkung an der Entlassung aus dem Mietverhältnis verpflichtet.

Das Familiengericht hat den Antragsgegner zu Recht zur Mitwirkung an der Entlassung der Antragstellerin aus dem Mietverhältnis verpflichtet. Nachdem die Antragstellerin ihren Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners zu ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis für erledigt erklärt, und der Antragsgegner sich der Erklärung nicht angeschlossen, sondern Abweisung beantragt hat, ist insoweit Erledigung festzustellen. Durch die vermieterseitige Kündigung des Mietverhältnisses ist ein erledigendes Ereignis eingetreten; bis dahin war der Antrag zulässig und begründet.

Die Entlassung erfolgt durch Umgestaltung des Mietverhältnisses im Einvernehmen der Eheleute mit Zustimmung des Vermieters. Der Anspruch des weichenden Ehegatten gegen den anderen auf entsprechende Zustimmung beruht auf § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB (vgl. OLG Hamburg FamRZ 2011, 481 = FuR 2010, 701; Götz in Johannsen/Henrich, Familienrecht 6. Aufl. § 1568a BGB Rdn. 32), mithin auf dem auch für getrennt lebende Ehegatten geltenden Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Aus dem Wesen der Ehe ergibt sich die - aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB abzuleitende - Verpflichtung, die finanziellen Lasten des anderen Teils nach Möglichkeit zu mindern, soweit dies ohne Verletzung eigener Interessen möglich ist (BGH FamRZ 2005, 182 = FuR 2005, 183). Da § 1353 BGB sich auf die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen bezieht, gilt die Verpflichtung nicht erst für die Zeit ab der rechtskräftigen Scheidung, sondern vor allem während bestehender Ehe (vgl. OLG Hamm FamRZ 2016, 1688).

Mit der von ihr vollzogenen Trennung hat die Antragstellerin dem Antragsgegner die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung überlassen und deutlich gemacht, daß sie auch nicht in die Ehewohnung zurückkehren werde. Damit ist der Grund für den Antragsgegner, das Mietverhältnis unter Mitwirkung der Antragstellerin aufrechtzuerhalten, weggefallen; auf die Trennungsgründe kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

Der fortgezogene Ehegatte hat demgegenüber ein berechtigtes Interesse, in der Zukunft nicht mehr möglichen finanziellen Belastungen aus diesem Mietverhältnis ausgesetzt zu sein (OLG Köln FamRZ 2006, 46); dies gilt insbesondere in Hinblick auf Mietzinsansprüche des Vermieters für die Zeit nach dem Auszug, die im Außenverhältnis gegen den ausgezogenen Ehegatten solange weiterbestehen, bis dieser aus dem Mietverhältnis entlassen ist. Wegen dieses vorrangigen Interesses des ausgezogenen Ehegatten ist diesem auch nicht zuzumuten, mit der Geltendmachung seines Anspruchs auf Mitwirkung des anderen Ehegatten an der Entlassung aus dem Mietverhältnis bis zur Rechtskraft der Scheidung zu warten. Ein Ehegatte, der im Einvernehmen mit dem ausgezogenen Ehegatten die Ehewohnung alleine nutzt, ist vielmehr gegenüber dem anderen schon während der Trennungszeit verpflichtet, an der Entlassung aus dem gemeinsamen Mietverhältnis mitzuwirken (vgl. OLG Hamburg FamRZ 2011, 481). Insbesondere wenn der Vermieter diesbezüglich kooperationsbereit ist, gibt es keinen Grund, dem anderen Ehegatten das Recht einzuräumen, seine Zustimmung bis zu dem Eintritt der Rechtskraft der Scheidung zu verweigern (vgl. OLG Hamm FamRZ 2016, 1688).

So liegt es hier. Die Antragstellerin hat dargelegt, daß die Vermieterin ihre Bereitschaft zur ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis für den Fall signalisiert hat, daß der Antragsgegner entsprechend mitwirkt. Dem Antragsgegner mußte auch keine weitere Überlegungsfrist gewährt werden. Tatsächliche Umstände, die Anhaltspunkte dafür bieten könnten, daß er nach der Aufforderung durch anwaltliches Schreiben der Antragstellerin vom 11. März 2019 hätte annehmen können, daß die Antragstellerin die eheliche Lebensgemeinschaft wieder herstellen würde, hat er nicht dargelegt. Daß er keine Wohnung finden könnte, hat er seit August 2019 nicht mehr behauptet. Dies wäre - selbst in Ansehung eines ansonsten angespannten Wohnungsmarktes - auch nicht glaubhaft: Tatsächlich werden gerichtsbekannt zahlreiche günstigere Wohnungen als die Ehewohnung in Falkensee und beispielsweise S. angeboten (vgl. www.immonet.de).

Die erforderlichen Mitwirkungshandlungen des Antragsgegners, die zu einer Entlassung der Antragsgegnerin aus dem Mietverhältnis hätten führen können, bestanden vorliegend in einer entsprechenden Zustimmungs- oder Einverständniserklärung des Antragsgegners, und der von der Vermieterin geforderten Vorlage von Einkommensbescheinigungen und der Kopie eines Ausweispapiers. Auch hinsichtlich der Verpflichtung des Antragsgegners zur Vorlage von Einkommensbescheinigungen und der Kopie eines Ausweispapiers ist Erledigung festzustellen. Auch insoweit ist durch die Kündigung des Mietverhältnisses die Erledigung der Hauptsache eingetreten. Der Antrag war auch insoweit zulässig und begründet; Er folgt aus § 1353 Abs. 1 BGB. An seinem hiervon abweichenden Hinweis vom 12. August 2020 hält der Senat nach erneuter Beratung nicht mehr fest. Die aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB abzuleitende Pflicht zur Mitwirkung erstreckt sich grundsätzlich auf die Vornahme aller zumutbaren zur Zweckerreichung erforderlichen Handlungen. Gründe, die gegen die Zumutbarkeit der Vorlage der entsprechenden Unterlagen sprechen könnten, sind vorliegend weder dargelegt, noch ersichtlich.

2. In Ansehung der Verpflichtung des Antragsgegners zu der Freistellung der Antragstellerin von Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis ist die Beschwerde unbegründet; die zulässige (§ 117 Abs. 2 FamFG, § 524 ZPO) Anschlußbeschwerde hat in vollem Umfange Erfolg. Der Antragstellerin steht ein Freistellungsanspruch gegen den Antragsgegner hinsichtlich der seit August 2019 entstandenen Mietrückstände und weiterer Ansprüche der Vermieterin wegen der fortwährenden Nutzung der Wohnung zu (§ 426 Abs. 1 BGB).

Der Vermieter nimmt die Antragstellerin auf Zahlung in Anspruch. Nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB hat ein Gesamtschuldner bereits vor Befriedigung des Gläubigers einen Anspruch gegen die anderen Mitschuldner, der sich regelmäßig auf denjenigen Teil der Verbindlichkeit bezieht, den die Mitschuldner im Innenverhältnis zu tragen haben. Sind (wie hier) beide Ehegatten Mieter der Ehewohnung, dann sind sie gesamtschuldnerisch verpflichtet, und können grundsätzlich beide gegeneinander einen Ausgleichs- oder Befreiungsanspruch aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB haben (BGH FamRZ 1987, 1239 = EzFamR BGB § 426 Nr. 2 = BGHF 5, 1199; 1988, 1031 = BGHF 6, 388).

Für die nach der Trennung anfallenden Mieten trägt indes regelmäßig derjenige die Last, der die Wohnung weiterhin nutzt (OLG München FamRZ 1996, 291; Rüßmann in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB 9. Aufl. [Stand: 01.02.2020] § 426 Rdn. 12). Dabei ist von einer abweichenden Bestimmung iSv § 426 Abs. 1 BGB auszugehen, womit die grundsätzlich gleiche Haftung der Parteien für die Mietschulden in Innenverhältnis abgeändert ist. Damit kann der fortgezogene Ehegatte von dem in der Wohnung verbliebenen Befreiung von den im Außenverhältnis weiter entstehenden Mietverbindlichkeiten verlangen. Dem in der Wohnung Verbliebenen stehen gegen den anderen Ehegatten aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit keine Ausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 BGB wegen geleisteter und zukünftiger Mietzahlungen zu, wenn nicht besondere Gründe für eine solche Beteiligung sprechen (vgl. OLG München FamRZ 1996, 291).

Solche Gründe liegen hier nicht vor. Die Antragstellerin hat die eheliche Wohnung mit ihren vier Kindern am 1. März 2019 zum Zwecke der Trennung verlassen, nachdem der Antragsgegner am 22. Februar 2019 gegen sie gewalttätig geworden war. Der Antragsgegner hat die Wohnung ab diesem Zeitpunkt allein bewohnt. Spätestens nach einer Übergangsfrist, die der Senat aufgrund der außergerichtlichen anwaltsschriftsätzlichen Aufforderung der Antragstellerin zu der Entlassung aus dem Mietverhältnis vom 11. März 2019 in dem vorliegenden Verfahren nicht über den März 2019 hinaus bemißt, mußte der Antragsgegner erkennen, daß die Antragstellerin nicht mehr in die eheliche Wohnung zurückkehren würde. Es stand ihm danach frei, die Wohnung aufzugeben, und sich entsprechend seinen Einkommensverhältnissen mit einer kleineren und billigeren Unterkunft zu begnügen. Damit stehen ihm wegen der geleisteten und der rückständigen Zahlungen sowie wegen der zukünftig entstehenden Forderungen für die Mietwohnung, die er seit dem Auszug der Antragstellerin alleine bewohnt, keine Ausgleichsansprüche mehr zu; vielmehr hat diese Anspruch auf Freistellung von den Verbindlichkeiten, für die sie im Außenverhältnis weiterhaftet.

Die Antragstellerin hat ihren Freistellungsanspruch beziffert, und durch Vorlage des Kündigungsschreibens nachgewiesen, von der Vermieterin wegen der Forderungen aus dem Mietverhältnis in Anspruch genommen zu werden. Der Freistellungsanspruch bezieht sich auch auf nach der Kündigung entstandene und weiter entstehende Forderungen der Vermieterin, denn auch nach dem Ende des Mietvertrages haftet die Antragstellerin noch gesamtschuldnerisch mit dem Antragsgegner für die Forderungen der Vermieterin, die sich aus der Weiternutzung der Wohnung durch den Antragsgegner ergeben. Nach Beendigung eines Mietverhältnisses steht einem Vermieter gegen den früheren Mieter - mehrere Mieterhaften auch insoweit als Gesamtschuldner - ein Nutzungsentschädigungsanspruch gemäß § 546a BGB zu, wobei auch der bereits fortgezogene Mieter zur Zahlung von Nutzungsentschädigung verpflichtet bleibt, solange der verbleibende Mieter die Mietsache nicht zurückgibt (BeckOGK/Zehelein, BGB [Stand: 01.10.2020] § 546a Rdn. 18).

III. Die Kostenentscheidung ist auf § 113 Abs. 1 FamFG, §§ 91a Abs. 1 S. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gegründet.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus § 40 Abs. 1 FamFG. Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an der Entlassung aus dem Mietvertrag und der Freistellung ist nach der Ersparnis zu bemessen, die sie bei Entlassung aus dem Mietvertrag im Außenverhältnis bzw. durch die Freistellung erfahren könnte. Maßgeblich ist bei der Freistellung regelmäßig der volle Betrag der in Rede stehenden Verbindlichkeit (BGH NJW-RR 2012, 60); deshalb hat der Senat entsprechend § 41 Abs. 1 S. 1 GKG den Mietzins für ein Jahr angesetzt, der in die Wertstufe bis 16.000 € fällt.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 70 Abs. 2 FamFG).

OLG Brandenburg 2020-12-03 - 13 UF 133/19
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Anmerkungen

Die Beteiligten sind getrennt lebende Eheleute. Seit die Antragstellerin am 01.03.2019 in Trennungsabsicht aus der gemeinsamen Ehewohnung ausgezogen ist, nutzt der Antragsgegner die Wohnung allein. Nach Kündigung des Mietverhältnisses über die Wohnung durch den Vermieter erstrebt die Antragstellerin neben Freistellung von Mietforderungen die Feststellung der Erledigung ihres Antrages auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Mitwirkung an ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis. Das AmtsG hat den Antragsgegner verpflichtet, der Entlassung der Antragstellerin aus dem Mietverhältnis über die ehemalige Ehewohnung zuzustimmen, der Vertreterin der Vermieterin die zur Entlassung aus dem Mietverhältnis erforderlichen Einkommensnachweise und eine Kopie des Personalausweises vorzulegen, und die Antragstellerin bis zu ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis im Innenverhältnis von Ansprüchen der Vermieterin freizustellen. Der Antragsgegner hält sich nicht für verpflichtet, an der Entlassung der Antragstellerin aus dem Mietverhältnis mitzuwirken oder sie freizustellen; er verfüge auch gar nicht über einen Personalausweis, sondern nur über einen Reisepass. Im übrigen sei die gerichtlich eingeräumte Frist von drei Monaten viel zu kurz.

1. Das OLG hat die Beschwerde für unbegründet erachtet, soweit der angefochtene Beschluss den Antragsgegner zur Mitwirkung an der Entlassung aus dem Mietverhältnis verpflichtet.

» Die Entlassung erfolgt durch Umgestaltung des Mietverhältnisses im Einvernehmen der Eheleute mit Zustimmung des Vermieters. Der Anspruch des weichenden Ehegatten gegen den anderen auf entsprechende Zustimmung beruht auf §§ 1353 Abs. 1 S. 2 BGB (vgl. OLG Hamburg FamRZ 2011, 481), mithin auf dem auch für getrennt lebende Ehegatten geltenden Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Aus dem Wesen der Ehe ergibt sich die - aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB abzuleitende - Verpflichtung, die finanziellen Lasten des anderen Teils nach Möglichkeit zu mindern, soweit dies ohne Verletzung eigener Interessen möglich ist (BGH FamRZ 2005, 182 = FuR 2005, 183). Da § 1353 BGB sich auf die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen bezieht, gilt die Verpflichtung nicht erst für die Zeit ab der rechtskräftigen Scheidung, sondern vor allem während bestehender Ehe (vgl. OLG Hamm FamRZ 2016, 1688). «

Mit der von ihr vollzogenen Trennung habe die Antragstellerin dem Antragsgegner die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung überlassen und deutlich gemacht, dass sie auch nicht in die Ehewohnung zurückkehren werde. Damit sei der Grund für den Antragsgegner, das Mietverhältnis unter Mitwirkung der Antragstellerin aufrechtzuerhalten, weggefallen; auf die Trennungsgründe komme es in diesem Zusammenhang nicht an.

» Der fortgezogene Ehegatte hat demgegenüber ein berechtigtes Interesse, in der Zukunft nicht mehr möglichen finanziellen Belastungen aus diesem Mietverhältnis ausgesetzt zu sein (OLG Köln FamRZ 2006, 46); dies gilt insbesondere in Hinblick auf Mietzinsansprüche des Vermieters für die Zeit nach dem Auszug, die im Aussenverhältnis gegen den ausgezogenen Ehegatten solange weiterbestehen, bis dieser aus dem Mietverhältnis entlassen ist. Wegen dieses vorrangigen Interesses des ausgezogenen Ehegatten ist diesem auch nicht zuzumuten, mit der Geltendmachung seines Anspruchs auf Mitwirkung des anderen Ehegatten an der Entlassung aus dem Mietverhältnis bis zur Rechtskraft der Scheidung zu warten. Ein Ehegatte, der im Einvernehmen mit dem ausgezogenen Ehegatten die Ehewohnung allein nutzt, ist vielmehr gegenüber dem anderen schon während der Trennungszeit verpflichtet, an der Entlassung aus dem gemeinsamen Mietverhältnis mitzuwirken (vgl. OLG Hamburg FamRZ 2011, 481). Insbesondere wenn der Vermieter diesbezüglich kooperationsbereit ist, gibt es keinen Grund, dem anderen Ehegatten das Recht einzuräumen, seine Zustimmung bis zum Eintritt der Rechtskraft der Scheidung zu verweigern (vgl. OLG Hamm FamRZ 2016, 1688). «

So liege es hier. Die Antragstellerin habe dargelegt, dass die Vermieterin ihre Bereitschaft zur ihrer Entlassung aus dem Mietverhältnis für den Fall signalisiert habe, dass der Antragsgegner entsprechend mitwirkt. Dem Antragsgegner habe auch keine weitere Überlegungsfrist gewährt werden müssen.

Auch hinsichtlich der Verpflichtung des Antragsgegners zur Vorlage von Einkommensbescheinigungen und der Kopie eines Ausweispapiers war der Antrag zulässig und begründet. Der Anspruch der Antragstellerin folge aus § 1353 Abs. 1 BGB; hieraus abzuleitende Pflicht zur Mitwirkung erstrecke sich grundsätzlich auf die Vornahme aller zumutbaren zur Zweckerreichung erforderlichen Handlungen. Gründe, die gegen die Zumutbarkeit der Vorlage der entsprechenden Unterlagen sprechen könnten, seien weder dargelegt noch ersichtlich.

2. In Ansehung der Verpflichtung des Antragsgegners zu der Freistellung der Antragstellerin von Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis sei die Beschwerde ebenfalls unbegründet.

Der Antragstellerin stehe ein Freistellungsanspruch gegen den Antragsgegner hinsichtlich der seit August 2019 entstandenen Mietrückstände und weiterer Ansprüche der Vermieterin wegen der fortwährenden Nutzung der Wohnung zu (§ 426 Abs. 1 BGB). Der Vermieter nehme die Antragstellerin auf Zahlung in Anspruch. Nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB habe ein Gesamtschuldner bereits vor Befriedigung des Gläubigers einen Anspruch gegen die anderen Mitschuldner, der sich regelmässig auf denjenigen Teil der Verbindlichkeit bezieht, den die Mitschuldner im Innenverhältnis zu tragen haben.

» Sind beide Ehegatten Mieter der Ehewohnung, sind sie gesamtschuldnerisch verpflichtet, und können grundsätzlich beide gegeneinander einen Ausgleichs- oder Befreiungsanspruch aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB haben (BGH FamRZ 1987, 1239; 1988, 1031). Für die nach der Trennung anfallenden Mieten trägt indes regelmässig derjenige die Last, der die Wohnung weiterhin nutzt (OLG München BeckRS 9998, 3784). Dabei ist von einer abweichenden Bestimmung iSv § 426 Abs. 1 BGB auszugehen, womit die grundsätzlich gleiche Haftung der Parteien für die Mietschulden in Innenverhältnis abgeändert ist. Damit kann der fortgezogene Ehegatte von dem in der Wohnung verbliebenen Befreiung von den im Aussenverhältnis weiter entstehenden Mietverbindlichkeiten verlangen. Dem in der Wohnung Verbliebenen stehen gegen den anderen Ehegatten aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit keine Ausgleichsansprüche gemäss § 426 Abs. 1 BGB wegen geleisteter und zukünftiger Mietzahlungen zu, wenn nicht besondere Gründe für eine solche Beteiligung sprechen (vgl. OLG München FamRZ 1996, 291). «

Solche Gründe lägen hier nicht vor. Die Antragstellerin habe die eheliche Wohnung mit ihren vier Kindern am 01.03.2019 zum Zwecke der Trennung verlassen, nachdem der Antragsgegner gegen sie gewalttätig geworden war. Der Antragsgegner habe die Wohnung ab diesem Zeitpunkt allein bewohnt. Spätestens nach einer Übergangsfrist, die aufgrund der aussergerichtlichen Aufforderung der Antragstellerin zur Entlassung aus dem Mietverhältnis vom 11.03.2019 in dem vorliegenden Verfahren nicht über März 2019 hinaus zu bemessen sei, habe der Antragsgegner erkennen müssen, dass die Antragstellerin nicht mehr in die eheliche Wohnung zurückkehren würde. Es habe ihm danach freigestanden, die Wohnung aufzugeben, und sich entsprechend seinen Einkommensverhältnissen mit einer kleineren und billigeren Unterkunft zu begnügen. Die Antragstellerin habe ihren Freistellungsanspruch beziffert und durch Vorlage des Kündigungsschreibens nachgewiesen, dass sie von der Vermieterin wegen der Forderungen aus dem Mietverhältnis in Anspruch genommen wird.

» Der Freistellungsanspruch bezieht sich auch auf nach der Kündigung entstandene und weiter entstehende Forderungen der Vermieterin, denn auch nach dem Ende des Mietvertrages haftet die Antragstellerin noch gesamtschuldnerisch mit dem Antragsgegner für die Forderungen der Vermieterin, die sich aus der Weiternutzung der Wohnung durch den Antragsgegner ergeben. Nach Beendigung eines Mietverhältnisses steht einem Vermieter gegen den früheren Mieter - mehrere Mieter haften auch insoweit als Gesamtschuldner - ein Nutzungsentschädigungsanspruch gemäss § 546a BGB zu, wobei auch der bereits fortgezogene Mieter zur Zahlung von Nutzungsentschädigung verpflichtet bleibt, solange der verbleibende Mieter die Mietsache nicht zurückgibt. «

Die Festsetzung des Verfahrenswertes folge aus § 40 Abs. 1 FamFG. Das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an der Entlassung aus dem Mietvertrag und der Freistellung ist nach der Ersparnis zu bemessen, die sie bei Entlassung aus dem Mietvertrag im Aussenverhältnis bzw. durch die Freistellung erfahren könnte. Massgeblich sei bei der Freistellung regelmässig der volle Betrag der in Rede stehenden Verbindlichkeit (BGH NJW-RR 2012, 60); deshalb habe der Senat entsprechend § 41 Abs. 1 S. 1 GKG den Mietzins für ein Jahr angesetzt.


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Verhältnis zum Gewaltschutzgesetz; Verhandlung und Entscheidung von Anträgen nach § 1361b BGB und § 1 GewSchG; Schlechterstellungsgebot in Ehewohnungssachen.

BGB § 1361b; GewSchG §§ 1, 2

1. Anträge nach § 1361b BGB und § 1 GewSchG können in einem Verfahren verhandelt und entschieden werden.
2. Hat das Ausgangsgericht einen Antrag gemäß § 1361b BGB nach § 2 GewSchG entschieden, wendet das Beschwerdegericht die durch den Sachverhalt gedeckten Normen zum Erreichen des Anspruchsziels an. In Ehewohnungssachen ist dabei das Schlechterstellungsgebot zu beachten.

OLG Nürnberg, Beschluß vom 10. Juni 2021 - 11 UF 227/21

Tenor
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 07.03.2021 gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hersbruck vom 02.03.2021 (2 F 58/21) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Zuweisung der Wohnung gemäß Ziffer 2. längstens für die Dauer des Getrenntlebens erfolgt.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens sind die Nutzung der Ehewohnung sowie Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz.

Die seit dem Jahre 1995 miteinander verheirateten Beteiligten lebten seit August 2019 in der ihnen jeweils hälftig gehörenden Doppelhaushälfte getrennt. Das Getrenntleben der Ehegatten in der gemeinsamen Immobilie gestaltete sich zunehmend spannungsreicher. Am 16. Januar 2021 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung: Während der Antragsteller sich in der Dusche befand, griff ihn die Antragsgegnerin an, und schlug ihm ins Gesicht.

Der Antragsteller hat vorgetragen, daß es auch zu weiteren tätlichen Übergriffen in der Vergangenheit gekommen sei; so habe ihm die Antragsgegnerin am 22. Dezember 2020 ins Gesicht geschlagen, als er gerade beim Essen saß. Mit Schriftsatz vom 22. Januar 2021 hat der Antragsteller den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung auf Zuweisung der gemeinsamen Immobilie für die Dauer des Getrenntlebens zur alleinigen Nutzung, sowie auf Erlaß weiterer Schutzanordnungen beantragt; im Einzelnen wird dazu auf den Schriftsatz vom 22. Januar 2021 sowie auf die nachgereichte eidesstattliche Versicherung des Antragstellers Bezug genommen. Der Schriftsatz ist im Rubrum bezeichnet mit »… wegen Gewaltschutz, Ehewohnung«.

Mit Schriftsatz vom 21. Januar 2021 hat die Antragsgegnerin Abweisung des Antrages beantragt. Sie hat vorgetragen und an Eides statt versichert, daß die Wohnsituation zwischenzeitlich unerträglich sei, da der Antragsteller sie fortwährend provoziere, beleidige und bedrohe; insbesondere habe er damit gedroht, sie die Treppe hinunterzustoßen.

Mit Beschluß vom 1. Februar 2021 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Hersbruck den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, den es ausweislich des Rubrums des Beschlusses als Antrag nach § 1 und § 2 GewSchG behandelt hat, zunächst ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen, da die wechselseitig erhobenen Vorwürfe im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Anordnung nicht ausreichend klärbar seien. Auf Antrag des Antragstellers hat das Amtsgericht am 1. März 2021 mit den Beteiligten mündlich zur Sache verhandelt. Der Antragsteller hat im Rahmen des Termins ausgeführt, schon öfters von der Antragsgegnerin geohrfeigt worden zu sein. Diese spucke ihn auch an, und habe ihn bereits mit Kaffeesatz und Knoblauchöl begossen. Er gehe davon aus, daß die Antragsgegnerin psychische Probleme habe. Die Antragsgegnerin hat erklärt, daß sie von dem Antragsteller psychisch fertig gemacht werde. Es sei richtig, daß sie dem Antragsteller eine Ohrfeige verpaßt habe, sonst nichts. Der Antragsteller übe psychische Gewalt aus.

Mit Beschluß vom 2. März 2021 hat das Amtsgericht den vorangegangenen Beschluß vom 1. Februar 2021 aufgehoben (Ziff. 1. des Beschlusses), und im Wege der einstweiligen Anordnung die gemeinsam genutzte Wohnung der Beteiligten dem Antragsteller gemäß § 2 GewSchG zur alleinigen Benutzung, befristet bis zum 2. September 2021, zugewiesen (Ziff. 2. des Beschlusses). Es hat die Antragsgegnerin verpflichtet, die Wohnung bis spätestens 31. März 2021 zu räumen, und an den Antragsteller herauszugeben; darüber hinaus hat es ein bis zum 2. September 2021 befristetes Kontaktverbot gemäß § 1 GewSchG gegen die Antragsgegnerin erlassen. Im Einzelnen wird dazu auf die Ziffern 3.1 bis 3.6 des Beschlusses Bezug genommen. Unter Ziffer 4. hat das Amtsgericht die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses angeordnet. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, daß der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung begründet sei. Die Antragsgegnerin habe eingeräumt, den Antragsteller geschlagen zu haben; zudem habe der Antragsteller glaubhaft weitere Übergriffe der Antragsgegnerin geschildert. Auch aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Antragsgegnerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung müsse künftig mit weiteren Übergriffen gerechnet werden.

Gegen diesen ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 3. März 2021 zugestellten Beschluß wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer am 7. März 2021 eingegangenen Beschwerde. Sie trägt darin vor, daß der Zwischenfall in dem Bad in der Ehewohnung am 16. Januar 2021 ein einmaliger Vorfall gewesen sei, der sich seitdem nicht wiederholt habe; Wiederholungsgefahr bestehe daher nicht. Es liege zudem keine Eilbedürftigkeit vor, was sich auch daraus ergebe, daß das Amtsgericht ihr fast einen Monat Zeit für die Räumung gegeben habe. Zwar wolle sie so bald wie möglich ausziehen, habe aber noch keine neue Wohnung finden können; aufgrund ihres geringfügigen Einkommens sei dies auch kaum möglich. Ihr drohe die Obdachlosigkeit. Dem Antragsteller sei es aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse eher möglich, eine eigene Wohnung zu finden.

Die Antragsgegnerin beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 2. März 2021 und Zurückweisung der gegnerischen Anträge den Beschluß des Amtsgerichts Hersbruck vom 1. Februar 2021 aufrechtzuerhalten. Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde abzuweisen. Der Schlag am 16. Januar 2021 sei kein einmaliger Vorgang gewesen, da es bereits am 22. Dezember 2020 zu einem entsprechenden Übergriff gekommen sei. Die Antragsgegnerin habe auch bereits mehrfach versucht, nachts mit spitzem Werkzeug in sein verschlossenes Schlafzimmer einzudringen, so daß er nicht ruhig schlafen könne.

Mit Verfügung vom 6. April 2021 hat der Senat darauf hingewiesen, daß er beabsichtige, gemäß § 68 Abs. 3 FamFG ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

II. 1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den nach mündlicher Erörterung erlassenen Beschluß in dem Verfahren der einstweiligen Anordnung durch das Familiengericht Hersbruck ist gemäß § 57 Abs. 1 S. 2 FamFG statthaft, und gemäß §§ 58 ff FamFG zulässig. Der Senat hat von einer mündlichen Erörterung abgesehen, da die Beteiligten rechtliches Gehör hatten, und der Sachverhalt hinreichend geklärt ist (§ 68 Abs. 3 FamFG). In der Sache bleibt die Beschwerde jedoch ohne Erfolg. Der Senat stützt seine Entscheidung hinsichtlich der Zuweisung der Ehewohnung lediglich auf eine andere Rechtsgrundlage.

2. Der Anspruch des Antragstellers auf Zuweisung der Ehewohnung beruht auf § 1361b BGB. Ob zwischen § 1361b BGB und § 2 GewSchG bei vorangegangener Gewalt zwischen Ehegatten ein Vorrang oder aber Gleichrang besteht, ist umstritten.

Die gemeinhin als herrschend bezeichnete Auffassung sieht § 1361b BGB als Spezialvorschrift im Verhältnis zu § 2 GewSchG an (vgl. OLG Naumburg, Beschluß vom 30. Juli 2009 - 3 UF 126/09 - juris; OLG Dresden FamRZ 2019, 533; Götz in Palandt, BGB 80. Aufl. § 2 GewSchG Rdn. 2; Schnitzler, Münchener Anwaltshandbuch Familienrecht 5. Aufl. § 16 Rdn. 75; Weber-Monecke in MünchKomm, BGB 8. Aufl. § 1361b Rdn. 2; Brudermüller, FamRZ 2003, 1705, 1706; Lorenz in Zöller, ZPO 33. Aufl. § 200 FamFG Rdn. 4); Coester in Staudinger/Voppel, BGB [2018] § 1361b Rdn. 88; Dürbeck in Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht 7. Aufl. § 3 GewSchG Rdn. 10). Danach soll eine Anordnung gemäß § 2 GewSchG im Falle häuslicher Gewalt unter Ehegatten nur außerhalb der Anwendungsvoraussetzungen des § 1361b BGB in Betracht kommen. Dies sei dann der Fall, wenn zwar (zumindest vorübergehend) die Fortsetzung der häuslichen Gemeinschaft abgelehnt wird, (noch) nicht jedoch die eheliche Lebensgemeinschaft als solche (Dürbeck, aaO § 3 GewSchG Rdn. 10).

Demgegenüber steht die Ansicht, daß beide Anspruchsgrundlagen - bei Vorliegen der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen - gleichrangig nebeneinander stünden, und der verletzte Ehegatte insoweit ein Wahlrecht hätte (vgl. zu der Gegenauffassung in unterschiedlichen Ausprägungen u.a. OLG Bamberg FamRZ 2011, 1419; Haußleiter, FamFG 2. Aufl. § 210 Rdn. 10 ff; Schumacher, FamRZ 2002, 645; Kroll-Ludwigs in Erman, BGB 16. Aufl. § 1361b Rdn. 16; Cirullies in Bergschneider, Familienvermögensrecht 3. Aufl. Abschnitt Haushaltsgegenstände und Ehewohnung Rdn. 3.76). Unabhängig von den in der Antragsschrift zitierten Normen könne das Familiengericht nach dem Meistbegünstigungsprinzip die durch den Sachverhalt gedeckten Normen anwenden (Faber in jurisPK-BGB [Stand: 15.10.2019] § 1361b Rdn. 7).

In dem vorliegenden Fall ergibt sich allerdings bereits auf der Grundlage des gestellten Antrages, daß der geltend gemachte Anspruch auf § 1361b Abs. 1 und 2 BGB zu stützen ist. Die Ehegatten haben bereits längere Zeit in der Ehewohnung getrennt voneinander gelebt; der Anwendungsbereich des § 1361b BGB für die Zuweisung der Ehewohnung ist damit eröffnet. Eine Anordnung nach § 2 GewSchG ist dagegen in dem vorliegenden Fall nicht geeignet, das Antragsziel zu erreichen; dies ergibt sich bereits daraus, daß nach dem Antrag vom 22. Januar 2021 die Zuweisung der Ehewohnung für die Dauer des Getrenntlebens beantragt wurde. Im Gegensatz zu der zu befristenden Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz ist dieses Antragsziel nur im Rahmen des § 1361b BGB erreichbar.

Der Umstand, daß das Amtsgericht seine Entscheidung allein auf § 2 GewSchG gestützt hat, hindert den Senat nicht an einer Anwendung von § 1361b BGB im Rahmen der hier zu treffenden Beschwerdeentscheidung. Der Senat hat die Sache in vollem Umfange selbst zu prüfen, und tritt dabei weitgehend an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts (Abramenko in Prütting/Helms, FamFG 5. Aufl. § 69 Rdn. 2). Er kann dabei soweit in der Sache selbst entscheiden, als der erstinstanzliche Verfahrensgegenstand, der durch den verfahrenseinleitenden Antrag bestimmt wird, bei ihm angefallen ist.

3. Die Voraussetzungen für eine Wohnungszuweisung gemäß § 1361b Abs. 1 BGB an den Antragsteller liegen hier auch vor. Beide Beteiligte schildern in ihrem Vorbringen letztlich übereinstimmend, daß sich während des fortdauernden Getrenntlebens unter einem Dach in der Zwischenzeit unerträgliche Zustände entwickelt haben. Unstrittig, insbesondere von der Antragsgegnerin ausdrücklich eingeräumt, hat diese den Antragsteller geohrfeigt, als dieser sich in der Dusche befand. Dies stellt eine Gewaltausübung iSv § 1361b Abs. 2 BGB dar. Bei der Bewertung dieser Tat ist auch zu berücksichtigen, daß diese Gewalttätigkeit nicht im Rahmen einer unmittelbaren wechselseitigen Auseinandersetzung erfolgte; vielmehr befand sich der Antragsteller in der Dusche, so daß jedenfalls in diesem Moment kein irgendwie nachvollziehbarer Anlaß bestand, ihn dort aufzusuchen, und handgreiflich zu werden. Der Unwertgehalt des Vorgehens der Antragsgegnerin erhöht sich - wie in dem angegriffenen Beschluß bereits ausgeführt - dadurch, daß der Antragsteller während des Duschens mit einem solchen Angriff nicht rechnen mußte, und sich in einer deutlich schutzloseren Situation befand.

Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, daß keine Wiederholungsgefahr bestehe, ist sie dafür darlegungs- und beweisbelastet; dabei spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß nach der Begehung einer Gewalttat mit weiteren Gewalttaten zu rechnen ist (Breidenstein in jurisPK-BGB, [Stand: 15.10.2019] § 2 GewSchG Rdn. 15). Die Antragsgegnerin trägt auch selbst im Rahmen der Beschwerdebegründung vor, daß die Atmosphäre in der Wohnung angespannt sei, wodurch es immer wieder zu verbalen Auseinandersetzungen komme. Es sind auch keine besonderen Umstände dargelegt oder ersichtlich, die erwarten lassen, daß im Falle neuerlicher Auseinandersetzungen anders als in der Vergangenheit keine weiteren Eskalationen auftreten; vielmehr ist angesichts des engen räumlichen Zusammenlebens der Beteiligten diese Gefahr besonders naheliegend.

Schwerwiegende Belange im Verhältnis zu dem Antragsteller hat die Antragsgegnerin ebenfalls nicht vorgetragen. Zwar ist nicht zu übersehen, daß die getroffene Entscheidung einen erheblichen Einschnitt für die Antragsgegnerin bedeutet, was aber bereits in der Natur der Sache einer Wohnungszuweisung liegt. Das Amtsgericht hat mit seiner Entscheidung am 2. März 2021 der Antragsgegnerin bereits zeitlichen Spielraum bis zum Monatsende eingeräumt, damit diese die notwendigen Vorbereitungen für einen Auszug treffen und ihre Angelegenheiten ordnen konnte.

Auch die beengten wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin treten hinter dem berechtigten Interesse des Antragstellers auf Schutz vor weiteren Gewalthandlungen zurück. Der Antragsgegnerin steht die Möglichkeit offen, insoweit selbst einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung wegen Trennungsunterhalts oder einer Nutzungsentschädigung zu stellen, soweit eine außergerichtliche Einigung dazu nicht erzielbar ist, und hätte dies auch bereits längst tun können.

Das Amtsgericht hat die angeordnete Wohnungszuweisung - aus seiner Sicht bei Anwendung von § 2 GewSchG konsequent - bis zum 2. September 2021 befristet. Insoweit beschwert ist jedoch allein der Antragsteller, der aber keine Beschwerde eingelegt hat; eine Abänderung war insoweit daher nicht veranlaßt. Für Ehewohnungssachen gilt das Verbot der Schlechterstellung (Sternal in Keidel, FamFG 20. Aufl. § 69 Rdn. 25). Nach § 1361b BGB kann die Wohnungszuweisung aber längstens für die Dauer des Getrenntlebens erfolgen.

Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit ist auch in Ehewohnungsverfahren gemäß § 209 Abs. 2 S. 2 FamFG nicht zu beanstanden. Die Wohnungszuweisung nach § 2 GewSchG ist ebenso wenig wie diejenige nach § 1361b BGB strafbewehrt (vgl. § 4 S. 1 Nr. 1 GewSchG).

4. Hinsichtlich der unter Ziffer 3. des angegriffenen Beschlusses getroffenen weiteren Schutzanordnungen nach § 1 GewSchG ist die Beschwerde ebenfalls unbegründet. Die Anträge auf Zuweisung der Ehewohnung nach § 1361b BGB und auf Schutzanordnungen nach § 1 GewSchG können gemäß § 20 FamFG im Rahmen eines Verfahrens geltend gemacht werden, da es sich in beiden Fällen um Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt (OLG Dresden FamRZ 2019, 533; Musielak/Borth, FamFG 6. Aufl. § 200 Rdn. 8).

Die Voraussetzungen einer Anordnung nach § 1 GewSchG liegen vor. Die von der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller ausgeübte Gewalt begründet einen materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch nach §§ 823, 1004 BGB analog (BGH FamRZ 2014, 825 Tz. 13). Die von dem Amtsgericht im Einzelnen getroffenen Anordnungen sind von § 1 GewSchG, § 1004 BGB gedeckt. Hinsichtlich der bestehenden Wiederholungsgefahr ist auf die vorstehenden Ausführungen zu verweisen. Die von dem Amtsgericht getroffene Befristung beruht auf § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG, und ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Im Ergebnis bleibt die Beschwerde damit ohne Erfolg.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 Abs. 4, 84 FamFG.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes hat ihre Rechtsgrundlage in § 41 iVm § 49 FamGKG.

Die Rechtsbeschwerde findet gemäß § 70 Abs. 4 FamFG nicht statt; auch ein anderer ordentlicher Rechtsbehelf ist nicht statthaft.

OLG Nürnberg 2021-06-10 - 11 UF 227/21
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Anmerkungen

Gegenstand des Verfahrens waren die Nutzung der Ehewohnung sowie Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz.

Die seit dem Jahre 1995 miteinander verheirateten Beteiligten lebten seit August 2019 in der ihnen jeweils hälftig gehörenden Doppelhaushälfte getrennt. Dieses Getrenntleben in der gemeinsamen Immobilie gestaltete sich zunehmend spannungsreicher. Im Januar 2021 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung; der Antragsteller hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Zuweisung der gemeinsamen Immobilie für die Dauer des Getrenntlebens zur alleinigen Nutzung sowie auf Erlass weiterer Schutzanordnungen beantragt. Das FamG hat nach mündlicher Verhandlung im Wege der einstweiligen Anordnung die gemeinsam genutzte Wohnung dem Antragsteller gemäss § 2 GewSchG zur alleinigen Benutzung zugewiesen, befristet bis zum 02.09.2021, und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Wohnung bis spätestens 31.03.2021 zu räumen und an den Antragsteller herauszugeben. Es hat darüber hinaus ein bis zum 02.09.2021 befristetes Kontaktverbot gemäss § 1 GewSchG gegen die Antragsgegnerin erlassen, und die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses angeordnet.

Die Antragsgegner mit ihrer Beschwerde vorgetragen, es habe sich bei der tätlichen Auseinandersetzung um einen einmaligen Vorfall gehandelt, der sich seitdem nicht wiederholt habe; Wiederholungsgefahr bestehe daher nicht. Es liege zudem keine Eilbedürftigkeit vor, was sich auch daraus ergebe, dass das AmtsG ihr fast einen Monat Zeit für die Räumung gegeben habe. Sie wolle sie so bald wie möglich ausziehen, habe aber noch keine neue Wohnung finden können; dies sei ihr aufgrund ihres geringfügigen Einkommens auch kaum möglich, so dass ihr Obdachlosigkeit drohe. Dem Antragsteller sei es aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse eher möglich, eine eigene Wohnung zu finden.

Die Beschwerde hatte keinen Erfolg; der Senat hat seine Entscheidung hinsichtlich der Zuweisung der Ehewohnung lediglich auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt: Der Anspruch des Antragstellers auf Zuweisung der Ehewohnung beruhe auf § 1361b BGB.

Es sei umstritten, ob zwischen § 1361b BGB und § 2 GewSchG bei vorangegangener Gewalt zwischen Ehegatten Vorrang oder aber Gleichrang besteht.

» Die gemeinhin als herrschend bezeichnete Auffassung sieht § 1361b BGB als Spezialvorschrift im Verhältnis zu § 2 GewSchG an (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 30.07.2009 - 3 UF 126/09 - juris; OLG Dresden FamRZ 2019, 533; Brudermüller, FamRZ 2003, 1705, 1706). Danach soll eine Anordnung gemäss § 2 GewSchG im Falle häuslicher Gewalt unter Ehegatten nur ausserhalb der Anwendungsvoraussetzungen des § 1361b BGB in Betracht kommen. Dies sei dann der Fall, wenn zwar (zumindest vorübergehend) die Fortsetzung der häuslichen Gemeinschaft abgelehnt wird, (noch) nicht jedoch die eheliche Lebensgemeinschaft als solche. Demgegenüber steht die Ansicht, dass beide Anspruchsgrundlagen – bei Vorliegen der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen - gleichrangig nebeneinander stünden, und der verletzte Ehegatte insoweit ein Wahlrecht hätte (vgl. zur Gegenauffassung in unterschiedlichen Ausprägungen u.a. OLG Bamberg FamRZ 2011, 1419; Schumacher, FamRZ 2002, 645). Unabhängig von den in der Antragsschrift zitierten Normen könne das FamG nach dem Meistbegünstigungsprinzip die durch den Sachverhalt gedeckten Normen anwenden. «

Vorliegend ergebe sich allerdings bereits auf Grundlage des gestellten Antrages, dass der geltend gemachte Anspruch auf § 1361b Abs. 1, 2 BGB zu stützen sei. Die Ehegatten hätten bereits längere Zeit in der Ehewohnung getrennt voneinander gelebt; der Anwendungsbereich des § 1361b BGB für die Zuweisung der Ehewohnung sei damit eröffnet. Eine Anordnung nach § 2 GewSchG sei dagegen vorliegend nicht geeignet, das Antragsziel zu erreichen; dies ergebe sich bereits daraus, dass nach dem Antrag vom 22.01.2021 die Zuweisung der Ehewohnung für die Dauer des Getrenntlebens beantragt wurde. Im Gegensatz zu der zu befristenden Anordnung nach dem GewSchG sei dieses Antragsziel nur im Rahmen des § 1361b BGB erreichbar.

Der Umstand, dass das AmtsG seine Entscheidung allein auf § 2 GewSchG gestützt habe, hindere den Senat nicht an einer Anwendung von § 1361b BGB im Rahmen der hier zu treffenden Beschwerdeentscheidung: Der Senat habe die Sache in vollem Umfange selbst zu prüfen, und trete dabei weitgehend an die Stelle des erstinstanzlichen Gerichts; er könne dabei soweit in der Sache selbst entscheiden, als der erstinstanzliche Verfahrensgegenstand, der durch den verfahrenseinleitenden Antrag bestimmt wird, bei ihm angefallen sei.

Die Voraussetzungen für eine Wohnungszuweisung gemäss § 1361b Abs. 1 BGB an den Antragsteller lägen hier auch vor: Beide Beteiligte schilderten in ihrem Vorbringen letztlich übereinstimmend, dass sich während des fortdauernden Getrenntlebens unter einem Dach in der Zwischenzeit unerträgliche Zustände entwickelt haben. Soweit die Antragsgegnerin vortrage, dass keine Wiederholungsgefahr bestehe, ist sie dafür darlegungs- und beweisbelastet, wobei eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass nach der Begehung einer Gewalttat mit weiteren Gewalttaten zu rechnen ist. Auch die beengten wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin träten hinter dem berechtigten Interesse des Antragstellers auf Schutz vor weiteren Gewalthandlungen zurück.

Das AmtsG habe die angeordnete Wohnungszuweisung - aus seiner Sicht bei Anwendung von § 2 GewSchG konsequent - bis zum 02.09.2021 befristet. Insoweit sei jedoch allein der Antragsteller beschwert, der aber keine Beschwerde eingelegt habe; eine Abänderung sei insoweit daher nicht veranlasst. Für Ehewohnungssachen gelte das Verbot der Schlechterstellung; nach § 1361b BGB könne die Wohnungszuweisung aber längstens für die Dauer des Getrenntlebens erfolgen. Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit sei auch in Ehewohnungsverfahren gemäss § 209 Abs. 2 S. 2 FamFG nicht zu beanstanden. Die Wohnungszuweisung nach § 2 GewSchG sei ebenso wenig wie diejenige nach § 1361b BGB strafbewehrt (vgl. § 4 S. 1 Nr. 1 GewSchG).

Hinsichtlich der weiteren Schutzanordnungen nach § 1 GewSchG sei die Beschwerde ebenfalls unbegründet.

» Die Anträge auf Zuweisung der Ehewohnung nach § 1361b BGB und auf Schutzanordnungen nach § 1 GewSchG können gemäss § 20 FamFG im Rahmen eines Verfahrens geltend gemacht werden, da es sich in beiden Fällen um Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt (OLG Dresden FamRZ 2019, 533). «

Die Voraussetzungen einer Anordnung nach § 1 GewSchG lägen vor; die von der Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller ausgeübte Gewalt begründe einen materiell-rechtlichen Unterlassungsanspruch nach §§ 823, 1004 BGB analog (BGH FamRZ 2004, 825). Die von dem AmtsG im Einzelnen getroffenen Anordnungen seien von § 1 GewSchG, § 1004 BGB gedeckt. Die Befristung beruhe auf § 1 Abs. 1 S. 2 GewSchG; sie sei ebenfalls nicht zu beanstanden.


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Ehewohnung bei Getrenntleben; Höhe der nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB festzusetzenden Nutzungsvergütung.

Die Höhe der nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB festzusetzenden Nutzungsvergütung bemisst sich nach Billigkeitsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der gesamten Lebensverhältnisse der Ehegatten. Neben dem objektiven Mietwert haben folgende Einzelfallaspekte Einfluss auf die Anspruchshöhe:
- Lauf des Trennungsjahres,
- Betreuung und Versorgung eines gemeinsamen minderjährigen Kindes ohne Regelung des Kindesunterhalts,
- Zusammenleben mit einem gemeinsamen volljährigen Kind,
- Beitrag des bleibenden Ehegatten am Hausbau (auf fremdem Grundstück),
- Geschäftliche Verflechtungen der Eheleute (hier: bewusste Geringhaltung des Einkommens, um die Vollstreckung durch Altgläubiger zu vermeiden).

OLG Zweibrücken, Beschluß vom 06.07.2021 - 2 UF 61/21

Anmerkungen

Die Beteiligten - getrennt lebende Eheleute - streiten um Nutzungsentschädigungsansprüche für den Zeitraum ab Januar 2020. Während der Ehezeit bewohnten sie ein freistehendes Einfamilienhaus, das im Jahre 1998 erbaut wurde, eine Wohnfläche von 230 qm aufweist, und über zwei Carports, einen Pool und ein Grillhaus im Garten sowie einen Wintergarten mit Whirlpool verfügt. Mit Schreiben vom 13.05.2019 hat die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner erklärt, dass sie ab sofort von einer »Trennung im Sinne des Gesetzes« ausgehe. Zum 01.12.2019 ist sie Antragstellerin aus dem Hausanwesen ausgezogen; in dem Anwesen ist neben dem Antragsgegner noch die gemeinsame Tochter F. verblieben, die im August 2020 18 Jahre alt geworden ist. Mit Schreiben vom 27.01.2020 hat die Antragstellerin den Antragsgegner zur Zahlung einer monatlichen Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.000 € aufgefordert, die sie der Höhe nach unter Bezugnahme auf den örtlichen Mietspiegel und die gehobene Ausstattung des Anwesens begründet hat.

Das AmtsG hat den Antragsgegner dazu verpflichtet, eine Nutzungsentschädigung für die Monate Januar bis Mai 2020 in Höhe von monatlich 500 €, und ab Juni 2020 in Höhe von monatlich 2.000 € zu zahlen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners.

1. Unschädlich sei, dass der Antragsgegner keinen förmlichen Beschwerdeantrag gestellt habe: Bei dem Streit um eine Nutzungsvergütung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB handele es sich um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, in dem ein Beschwerdeantrages nur der Sollvorschrift des § 65 Abs.1 FamFG unterliege, aber keine Zulässigkeitsvoraussetzung sei. Der Beschwerdebegründung lasse sich mit hinreichender Deutlichkeit das Rechtsschutzziel der Antragsabweisung entnehmen.

2. In der Sache hatte das Rechtsmittel einen Teilerfolg.

Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Nutzungsvergütung sei § 1361b Abs. 3 S 2 BGB. Es stehe ausser Streit, dass die beteiligten Eheleute jedenfalls seit dem Zeitpunkt, ab dem die Nutzungsvergütung geltend gemacht wird (Januar 2020), voneinander getrennt leben; auch war das Hausanwesen die (vormalige) Ehewohnung der Beteiligten. Die Ehewohnung sei dem Antragsgegner seit Januar 2020 auch tatsächlich überlassen worden. Der Grund für die Wohnungsüberlassung sei im Rahmen des § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB ebenso unerheblich wie die Frage, ob das Anwesen im Mit- oder Alleineigentum eines bzw. der Ehegatten steht; auch setze der Anspruch keine Entscheidung zur Zuweisung der Ehewohnung nach § 1361b Abs. 1 und 2 BGB voraus, sondern erfasse auch die Fälle der freiwilligen Wohnungsüberlassung. Es sei deshalb unschädlich, dass die Antragstellerin aus der Ehewohnung aus eigenem Antrieb ausgezogen sei.

Als sog. verhaltener Anspruch setze § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB ein deutliches Zahlungsverlangen (vergleichbar mit § 745 Abs.2 BGB) voraus; ohne ein derartiges Zahlungsverlangen könne die Benutzungsvergütung nicht rückwirkend geltend gemacht werden. Von einem derartigen Zahlungsverlangen könne hier erst ab Februar 2020 ausgegangen werden. Weiterhin müsse die Festsetzung einer Nutzungsvergütung schon auf Tatbestandsebene (und nicht erst im Rahmen der Anspruchshöhe) der Billigkeit entsprechen.

Der Nutzungsvorteil werde auch nicht bereits unterhaltsrechtlich kompensiert:

» Wenn der Wohnvorteil bereits im Rahmen der Unterhaltsbemessung entweder den Bedarf des Unterhaltsberechtigten gemindert oder die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten erhöht hat, entspricht eine Nutzungsvergütung regelmässig nicht der Billigkeit. «

Vorliegend sei die Nutzungsvergütung nicht unterhaltsrechtlich berücksichtigt worden.

Der Umstand, dass der Antragsgegner einen erheblichen Beitrag zum Hausbau (auf fremden Grund) geleistet habe, lasse die Geltendmachung einer Nutzungsentschädigung nicht von vornherein als unbillig erscheinen.

Der Höhe nach bemesse sich der Anspruch nach Billigkeitsgesichtspunkten unter Berücksichtigung der gesamten Lebensverhältnisse der Ehegatten; Obergrenze bilde dabei entweder die ortsübliche Miete, die nach § 30 Abs. 1 FamFG, § 287 Abs. 2 ZPO geschätzt werden könne. Vor Ablauf des ersten Trennungsjahres komme allerdings regelmässig nicht der volle Mietwert, sondern lediglich die für eine angemessene kleinere Wohnung zu entrichtende Miete in Betracht.

Jedenfalls ab Juni 2020 sei Trennungsjahr abgelaufen. Von einem Getrenntleben iSd § 1567 Abs. 1 S. 1 BGB sei auszugehen, wenn zwischen den Eheleuten keine häusliche Gemeinschaft besteht, und ein Ehegatte sie erkennbar nicht (mehr) herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt.

» Die häusliche Gemeinschaft besteht auch dann nicht mehr, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben. Erforderlich ist insoweit, dass die Gemeinsamkeiten im Haushalt sich auf das unvermeidliche Maß beschränken, und dass keine wesentlichen persönlichen Beziehungen mehr bestehen, wobei gelegentliche Handreichungen der Annahme des Getrenntlebens nicht entgegenstehen (OLG Zweibrücken NJW-RR 2000, 1388). «

Nach Ablauf des Trennungsjahres komme es für die Billigkeitsbewertung zur Bemessung der Höhe der Nutzungsvergütung auf folgende Parameter an:

a) Das AmtsG habe den objektiven Mietwert zwar zutreffend angesetzt; neben dem objektiven Mietwert seien jedoch weitere Billigkeitsgesichtspunkte in Ansatz zu bringen.

b) Die gemeinsame Tochter habe während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums in dem Anwesen gelebt, und sei in den Zeiten ihrer Minderjährigkeit (auch) von dem Antragsgegner betreut und versorgt worden, ohne dass die Beteiligten eine Unterhaltsregelung getroffen hätten. Zumindest während der Minderjährigkeit der Tochter sei diese Regelung für den Antragsgegner nachteilig gewesen, denn er sei seiner Unterhaltsverpflichtung gemäss § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB schon durch Pflege und Erziehung nachgekommen. Auch nach dem Eintritt der Tochter in die Volljährigkeit könne bei der Billigkeitsbewertung nicht ausser Betracht bleiben, dass der Antragsgegner den Nutzungswert für das Einfamilienhaus nicht alleine, sondern (im Einvernehmen mit der Antragstellerin) zusammen mit der gemeinsamen Tochter gezogen habe.

c) Weiterhin sei im Rahmen der Billigkeitsprüfung die Höhe des von dem in der Ehewohnung verbliebenen Ehegatten in dem massgeblichen Zeitraum erzielten Einkommens zu berücksichtigen. Die Beteiligten hätten die Einkommenssituation bewusst zulasten des Antragsgegners und zugunsten der Antragstellerin geregelt.

d) Die Antragsgegnerin sei zwar Alleineigentümerin der Liegenschaft; der Antragsgegner sei aber bei dem Bau des Anwesens für einen beträchtlichen Teil der Baukosten aufgekommen, nachdem er im Vorfeld des Hausbaus von seinen Eltern Geld erhalten hatte. Unerheblich sei, ob die ungleiche Vermögensverteilung (finanzielle Beteiligung am Hausbau, aber Alleineigentum der Antragsgegnerin) unter Umständen über andere Rechtsinstitute (etwa beim Zugewinnausgleich) ausgeglichen werden könne, denn im Rahmen des § 1361b BGB gehe es schon nicht um den Ausgleich des Vermögenswertes, sondern nur um einen Ausgleich für den Nutzungswert, der einem anderen Wertungsregime - nämlich der Billigkeitsbetrachtung des § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB - unterfällt.

3. Auch der Streit um die Nutzungsentschädigung nach § 1361b Abs. 3 S. 2 BGB sei Ehewohnungssache in diesem Sinne. Gemäss § 48 Abs. 3 FamGKG sei es gerechtfertigt, von dem Regelfall (3.000 € nach § 48 Abs.1 FamGKG) abzuweichen, und den Wert mit 6.000 € zu bemessen: Infolge der Vielzahl der zu berücksichtigenden Billigkeitsaspekte und der Bedeutung der Angelegenheit für die Beteiligten erscheine der Regelwert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig. Die Festsetzung eines noch höheren Wertes sei nach Lage der Dinge gleichwohl nicht gerechtfertigt.


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