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BGB § 1666 - Gerichtliche Massnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls - FD-Logo-500

BGB § 1666 - Gerichtliche Massnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls



BGB § 1666 - Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.
(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.
(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere
1. Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2. Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3. Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4. Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5. die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6. die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.



OLG Koblenz, Beschluss vom 13. Januar 2020 - 9 UF 526/19
OLG Hamburg, Beschluss vom 22. Januar 2020 - 12 UF 178/19
OLG Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2020 - 15 UF 245/19
OLG Oldenburg, Beschluss vom 30. Januar 2020 - 3 UF 164/19
Kammergericht, Beschluss vom 3. Februar 2020 - 19 UF 3/20
OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. März 2020 - 13 UF 37/20
OLG Schleswig, Beschluss vom 7. Mai 2020 - 13 UF 4/20
OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 4 UF 82/20, 4 UF 85/20
OLG Koblenz, Beschluss vom 4. Juni 2020 - 7 UF 201/20
OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Juni 2020 - 4 WF 97/20
OLG Celle, Beschluss vom 27. Juli 2020 - 21 UF 190/19
OLG Brandenburg, Beschluss vom 28. Juli 2020 - 15 WF 166/20
OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. August 2020 - 13 UF 64/19
OLG Köln, Beschluss vom 27. August 2020 - 26 UF 51/20
OLG Hamm Beschluss vom 4. September 2020 - 2 UF 154/20
OLG Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2020 - 13 UF 161/18
OLG Schleswig, Beschluss vom 21. Oktober 2020 - 13 UF 123/20
OLG Saarbrücken, Beschluss vom 9. November 2020 - 6 UF 153/20
OLG Oldenburg, Beschluss vom 16. November 2020 - 13 UF 33/20
OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Dezember 2020 - 7 WF 102/20
OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 4 UF 177/20
OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 4 WF 188/20
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 20 UF 146/20
OLG Köln, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 14 UF 162/20
OLG Hamburg, Beschluß vom 9. Februar 2021 - 12 WF 11/21
OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29. März 2021 - 6 UF 46/21
OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. April 2021 - 9 WF 342/21 und 9 WF 342/21
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. April 2021 - 20 WF 70/21
OLG Frankfurt, Beschluss vom 5. Mai 2021 - 4 UF 90/21
OLG Thüringen, Beschluss vom 14. Mai 2021 - 1 UF 136/21
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Mai 2021 - 20 UF 18/21
OLG München, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 2 WF 528/21
OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. Juni 2021 - 6 UF 79/21
OLG Bamberg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 2 UF 80/21
OLG München, Beschluss vom 21. Juni 2021 - 2 WF 618/21
OLG Brandenburg, Beschluss vom 23. Juni 2021 - 9 UF 105/21


 



Voraussetzungen einer vorläufigen Entziehung von Teilbereichen der elterlichen Sorge; kindesschutzrechtliches Eilverfahren; erforderlicher Anordnungsbedarf im Rahmen einer einstweiligen Anordnung.

1. Die Entziehung der elterlichen Sorge ist vollumfänglich oder in Teilbereichen dann zulässig, wenn bei fortdauernder Sorge der Eltern eine Kindeswohlgefährdung in dem Sinne vorliegt, dass eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohles des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.
2. Im Rahmen der einstweiligen Anordnung als summarisches Verfahren ist der erforderliche Anordnungsbedarf bereits zu bejahen, wenn die summarische Prüfung eine Kindeswohlgefährdung ergibt. Allerdings verlangen der Amtsermittlungsgrundsatz sowie der Umstand, dass bereits der vorläufige Entzug der gesamten Personensorge einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Eltern darstellt, auch im summarischen Verfahren der einstweiligen Anordnung eine möglichst intensive Sachverhaltsaufklärung, gerade wenn die Maßnahme auf eine (wenn auch nur vorläufige) Herausnahme des Kindes aus seiner Familie gerichtet ist.
3. Den Gerichten ist es in kindesschutzrechtlichen Eilverfahren insbesondere regelmässig nicht möglich, noch vor der Eilentscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Dies steht dem vorläufigen Sorgerechtsentzug indes nicht entgegen; entscheidend ist insoweit vielmehr, ob die Gefährdungslage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse bereits derart verdichtet ist, dass ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist.

OLG Koblenz, Beschluss vom 13. Januar 2020 - 9 UF 526/19

Die Beschwerdeführer sind miteinander verheiratet; sie sind die Eltern des im Jahre 2019 geborenen Kindes D., dessen Geschwister A., B. und C. bereits in der Vergangenheit in Obhut genommen worden waren, und die seit dem März 2019 fremd untergebracht sind. Das FamG hat den Kindeseltern im Wege der einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 08.08.2019 das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht der Gesundheitsfürsorge und das Antragsrecht nach dem SGB für D. entzogen, insoweit Ergänzungspflegschaft angeordnet, und die betreffenden Teilbereiche der elterlichen Sorge auf den Ergänzungspfleger übertragen. Auf dieser Grundlage ist auch dieses Kind fremd untergebracht worden. Das FamG hat die vorbezeichnete einstweilige Anordnung mit Beschluss vom 27.08.2019 bestätigt. Hiergegen wenden sich die Kindeseltern mit ihren Beschwerden. Sie begehrten erfolglos die Aufhebung der einstweiligen Anordnung vom 08.08.2019.

» Soweit die Entziehung von Teilbereichen der elterlichen Sorge in Rede steht, ist Maßstab für die zu treffende Entscheidung das Wohl des betroffenen Kindes, also der umfassende Schutz des in der Entwicklung befindlichen jungen Menschen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 7. Januar 2019 - 9 UF 608/18, und vom 29. Mai 2019 - 9 UF 62/19, beide n.v.; OLG Brandenburg NJW-RR 2009, 1087, 1087). Daher ist gemäss §§ 1666, 1666a BGB die Entziehung der elterlichen Sorge vollumfänglich oder (wie hier) in Teilbereichen dann zulässig, wenn bei fortdauernder Sorge der Eltern eine Kindeswohlgefährdung in dem Sinne vorliegt, dass eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohles des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG FamRZ 2012, 1127 = FuR 2012, 649; 2015, 112 = FuR 2015, 281; 2018, 1084 = FuR 2018, 414; BGH FamRZ 2005, 344; Senat aaO, und Beschluss vom 27. Mai 2019 - 9 UF 182/19 - n.v.; OLG Brandenburg NJW-RR 2009, 1087; OLG Hamm FamRZ 2010, 1745; OLG Düsseldorf FamRZ 2009, 1756; OLG Koblenz NJW 2012, 3108, 3109; OLG Saarbrücken ZKJ 2014, 114; OLG Bremen NJOZ 2018, 850, 851; OLG Karlsruhe FamRZ 2018, 1830; OLG Frankfurt FamRZ 2018, 1675); auch sind die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung zu berücksichtigen, und müssen durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert (vgl. BVerfG FuR 2014, 724; FamRZ 2018, 1084 = FuR 2018, 414; 2019, 598 = FuR 2019, 345, jeweils mwN; Senatsbeschlüsse vom 7. Januar 2019 - 9 UF 608/18, und vom 29. Mai 2019 - 9 UF 62/19, beide n.v.).

Zudem ist der Grundsatz der Verhältnismässigkeit strikt zu beachten (vgl. BVerfG BVerfGE 60, 79 = FamRZ 1982, 567; 79, 51 = FamRZ 1989, 31; FamRZ 2018, 1084 = FuR 2018, 414; BGH NJW 2008, 223, 224; 2014, 1004, 1005; OLG Köln NJW-RR 2011, 729; OLG Koblenz NJW 2012, 3108; OLG Saarbrücken ZKJ 2014, 114). Dieser gebietet, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist (vgl. BGH NJW 2014, 1004, 1005; OLG Saarbrücken aaO mwN; OLG Koblenz aaO). Die anzuordnende Maßnahme muss zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung effektiv geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismässig sein (vgl. Senat aaO; BVerfG FamRZ 2019, 598 = FuR 2019, 345; BGH aaO). Die Erforderlichkeit beinhaltet dabei das Gebot, aus den zur Erreichung des Zweckes gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen (vgl. BVerfG FamRZ 2012, 1127 = FuR 2012, 649; BGH aaO).

Der Staat muss daher vorrangig versuchen, durch helfende, unterstützende und auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Massnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfG NJW 1982, 1379, 1381; BGH aaO mwN; OLG Koblenz NJW 2012, 3108, 3109; OLG Saarbrücken ZKJ 2014, 114 mwN).

Im Rahmen der einstweiligen Anordnung als summarisches Verfahren ist der erforderliche Anordnungsbedarf bereits zu bejahen, wenn die summarische Prüfung eine Kindeswohlgefährdung ergibt; allerdings verlangen der Amtsermittlungsgrundsatz sowie der Umstand, dass bereits der vorläufige Entzug der gesamten Personensorge einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Eltern darstellt, auch in summarischen Verfahren der einstweiligen Anordnung eine möglichst intensive Sachverhaltsaufklärung, gerade wenn die Maßnahme (wie hier) auf eine (wenn auch nur vorläufige) Herausnahme des Kindes aus seiner Familie gerichtet ist (vgl. BVerfG NZFam 2017, 795, 797; FamRZ 2015, 2120; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2018 - 13 UF 71/18 - juris). Dennoch gilt es insoweit zu beachten, dass in Eilverfahren die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren regelmässig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurückbleiben (vgl. BVerfG FamRZ 2018, 1084 = FuR 2018, 414).

Den Gerichten ist es in kindesschutzrechtlichen Eilverfahren deshalb insbesondere regelmässig nicht möglich, noch vor der Eilentscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen (vgl. BVerfG NZFam 2018, 599, 600). Dies steht dem vorläufigen Sorgerechtsentzug indes nicht entgegen; entscheidend ist insoweit vielmehr, ob die Gefährdungslage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse bereits derart verdichtet ist, dass ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist (vgl. BVerfG NZFam 2018, 599, 600 mwN; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2018 - 13 UF 71/18 - juris). Dann kann das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung eine vorläufige Sorgerechtsentscheidung grundsätzlich auch dann treffen, wenn es die tatsächlichen Voraussetzungen der Maßnahme noch nicht abschliessend ermittelt hat (vgl. BVerfG FamRZ 2015, 2120). «

Gemessen an diesen strengen verfassungsrechtlichen Maßstäben sei die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, des Rechts der Gesundheitsfürsorge und des Antragsrechts nach dem SGB vorliegend geboten, denn es bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass bei fortdauernder Ausübung der vorstehend genannten Teilbereiche der elterlichen Sorge durch die Kindeseltern gemeinsam oder auch durch nur einen von ihnen das Kindeswohl in dem oben genannten Sinne nachhaltig gefährdet wäre. Mildere Mittel zur Gefahrenabwehr insoweit lägen nicht vor.

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Auswechselung des Jugendamtes als Ergänzungspfleger durch einen berufsmässigen Einzelvormund.

Das Jugendamt als Ergänzungspfleger ist zu entlassen, wenn ein anderer geeigneter Einzelvormund zur Verfügung steht; dabei ist der Nachrang der Bestellung des Jugendamtes nach § 1887 Abs. 1 BGB auch in dem Fall anzuwenden, in dem ein geeigneter Einzelvormund die Vormundschaft berufsmässig führt.

OLG Hamburg, Beschluss vom 22. Januar 2020 - 12 UF 178/19

Mit Beschluss vom 13.06.2019 wurde das Bezirksamt Hamburg-Mitte als Ergänzungspfleger für zwei derzeit in einem Kinderschutzhaus befindliche Kinder einer alkoholkranken Mutter ausgewählt, der vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Erziehungsrecht und das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung für die beiden Kinder entzogen wurde. Mit Beschluss vom 04.10.2019 hat das AmtsG im Wege einstweiliger Anordnung den Amtspfleger entlassen und als neuen Ergänzungspfleger einen berufsmässigen privaten Ergänzungspfleger ausgewählt, da eine Privatperson vorrangig vor der Auswahl des Jugendamtes sei, und der Wechsel des Ergänzungspflegers dem Mündelwohl entspreche, da der private Ergänzungspfleger sich besser um die Unterbringung der Mutter mit den Kindern in einem Suchttherapiezentrum kümmern könne. Gegen diesen Beschluss hat sich der Amtspfleger erfolglos mit seiner Beschwerde gewandt.

Nach § 1887 BGB sei das Jugendamt auch dann zu entlassen, wenn ein geeigneter berufsmässiger Einzelvormund vorhanden ist. Vorzuziehen sei die Meinung, dass wegen des den Begriff »ehrenamtlich« nicht nennenden Wortlauts in § 1887 Abs. 1 BGB auch ein berufsmässiger Einzelvormund einen Pflegerwechsel weg von dem Amtspfleger rechtfertige, während der Gegenansicht nicht zu folgen sei, wonach die fehlende Erwähnung des Wortes »ehrenamtlich« in § 1887 Abs. 1 BGB auf ein Redaktionsversehen zurückzuführen sei. In dem konkreten Fall sei ein geeigneter berufsmässiger Einzelpfleger vorhanden, und diene die Auswechslung des Ergänzungspflegers dem Kindeswohl, da eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Jugendamt, Mutter und neuem Ergänzungspfleger bestehe.

Hinweis
Bei einem Pflegerwechsel nach § 1887 BGB besteht Vorrang auch für einen berufsmässigen Einzelpfleger; primär ist aber bei der Erstbestellung ein ehrenamtlicher Einzelpfleger auszuwählen, während die Auswahl eines Vereins oder eines Berufspflegers statt des Jugendamtes als Reservepfleger nicht in einem Vorrangverhältnis steht. Allerdings ist vorrangig wegen § 1779 BGB zu prüfen, ob der ausgewählte Ergänzungspfleger auch geeignet, oder ob dem Kindeswohl mit der Auswahl etwa des Amtspflegers besser gedient ist.

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Gefährdung des Kindeswohles; gerichtliche Ersetzung der Schweigepflichtentbindungserklärung des sorgeberechtigten Elternteils für ein Gutachten im Sorgerechtsverfahren.

1. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für eine mögliche Kindeswohlgefährdung, die Anlass zu der Ermittlung möglicher Ursachen und gegebenenfalls der zur Abwendung erforderlichen Massnahmen geben, kann die für die Erstellung eines psychologischen Sachverständigengutachtens erforderliche Schweigepflichtentbindung von Auskunftspersonen durch das sorgeberechtigte Elternteil gemäss § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB durch eine gerichtliche Erklärung ersetzt werden.
2. Erklärt der sorgeberechtigte Elternteil in dem Sorgerechtsverfahren seine Bereitschaft, an der Begutachtung mitzuwirken, und Schweigepflichtentbindungserklärungen abzugeben, soweit diese für die Ermittlung von Anknüpfungstatsachen durch den Sachverständigen erforderlich sind, und hat dies für namentlich benannte Auskunftspersonen bereits getan, ist die gerichtliche Ersetzung der Schweigepflichtentbindungserklärungen für einen unbestimmten Kreis möglicherweise infrage kommender weiterer Auskunftspersonen nicht erforderlich, und stellt einen unverhältnismässigen Eingriff in das von Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht dar.
3. Zu der Erlangung von Informationen, die dem fallbearbeitenden Sachbearbeiter des Jugendamtes vorliegen, ist keine Schweigepflichtentbindungserklärung erforderlich, denn dieser ist bereits gemäss § 8a Abs. 2 SGB VIII von Rechts wegen verpflichtet, das Familiengericht über die Umstände der Gefährdung des Kindeswohls zu informieren, und darf ihm gemäss §§ 64, 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VIII auch ohne Schweigepflichtentbindungserklärung die für die gerichtliche Entscheidung notwendigen Informationen übermitteln. Somit kann der Sachverständige durch die Vermittlung des Gerichts Kenntnis von für die Begutachtung erforderlichen Anknüpfungstatsachen erlangen.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2020 - 15 UF 245/19

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Gefährdung des Kindeswohles durch beide Elternteile; vorläufige Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter im Wege der einstweiligen Anordnung.

Wird das Kindeswohl von beiden Elternteilen gefährdet, und zwar einerseits durch den Vater wegen seiner vollständigen Bindungsintoleranz zur Mutter, und andererseits durch die bei der Mutter bestehende psychische Erkrankung, ist das Sorgerecht im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig auf die Mutter zu übertragen, wenn dies das Kindeswohl am wenigsten beeinträchtigt, und das Hauptsacheverfahren wegen der Einholung von Sachverständigengutachten voraussichtlich noch etwa sechs Monate bis zu der Entscheidungsreife benötigt.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 30. Januar 2020 - 3 UF 164/19

Die beteiligten Eltern, die rechtskräftig geschiedenen Eltern der Beteiligten zu 1), streiten um Teile des gemeinsamen Sorgerechts, insbesondere um das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Der Senat sah das Kindeswohl von beiden Elternteilen gefährdet, und zwar einerseits durch den Vater wegen seiner vollständigen Bindungsintoleranz zur Mutter, und andererseits durch die bei der Mutter bestehende psychische Erkrankung. Er hat dennoch das Sorgerecht auf die Mutter übertragen, weil die Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter das Kindeswohl am wenigsten beeinträchtige.

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Auswirkungen des Fehlens einer Beschwerde und einer mündlichen Erörterung auf ein Sorgerechtsverfahren; effektive Möglichkeit der Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

1. Ein als »Widerspruch” bezeichneter Rechtsbehelf eines Elternteils, dem ein Teilbereich der elterlichen Sorge für ein Kind entzogen worden ist, kann als ein Antrag auf Neuentscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung zu verstehen sein.
2. Eine Beschwerde gemäss § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG ist nicht statthaft, wenn eine mündliche Erörterung bislang nicht stattgefunden hat.
3. Eine aufgrund mündlicher Erörterung beruhende Entscheidung setzt zwar nicht voraus, dass alle Beteiligten tatsächlich zugegen sind. Erscheint ein Beteiligter trotz ordnungsgemässer Ladung unentschuldigt nicht, liegt deshalb gleichwohl eine mündliche Erörterung vor. Eine mündliche Erörterung im Rechtssinne setzt jedoch zwingend voraus, dass den Beteiligten eine effektive Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wird. Die Beteiligten müssen eine tatsächliche Möglichkeit zur Teilnahme am oder Vertretung im Termin und zur Verwirklichung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör haben. Daran fehlt es, wenn ein Beteiligter nicht ordnungsgemäss geladen wurde, oder krankheitsbedingt nicht erscheinen kann, und entweder Terminsverlegung beantragt hat oder die krankheitsbedingte Verhinderung dem Gericht bekannt ist.

Kammergericht, Beschluss vom 3. Februar 2020 - 19 UF 3/20

Die Beteiligten sind die Eltern zweier minderjähriger Kinder. Aufgrund einer Jugendamtsanzeige hatte das FamG in der Hauptsache einen Anhörungstermin anberaumt, zu dem die Mutter nicht erschienen ist; zuvor hatten das Jugendamt und der Verfahrensbeistand die Erkrankung und den Krankenhausaufenthalt der Mutter dem Gericht mitgeteilt.

Das FamG hat durch Beschluss vom 13.11.2019 im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind L. L. sowie weitere Teile des Sorgerechts auf dessen Vater allein übertragen. Eine Kindeswohlgefährdung sei abzuwenden, da die Kindesmutter in stationärer Behandlung im Krankenhaus und nicht in der Lage sei, sich um die Kinder zu kümmern. Der Beschluss wurde der Mutter am 16.11.2019 zugestellt. Hiergegen hat sie mit Schreiben vom 02.01.2020, welches am gleichen Tage bei Gericht einging, »Widerspruch« eingelegt, und um eine neue Anhörung mit beiden Kindern und Vätern gebeten.

Das Kammergericht hat die Sache zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung an das AmtsG zurückgegeben, weil keine Beschwerde nach §§ 58 ff FamFG vorliege; der als «Widerspruch» bezeichnete Rechtsbehelf sei vielmehr als Antrag auf Neuentscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung gemäss § 54 Abs. 2 FamFG zu verstehen (vgl. u.a. OLG Celle FamFR 2012, 566; OLG Frankfurt FamRZ 2013, 1831; OLG Koblenz NJOZ 2017, 1469): Eine Beschwerde gemäss § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG sei nämlich nicht statthaft, weil eine mündliche Verhandlung bislang nicht stattgefunden habe. Der angefochtene Beschluss sei nicht aufgrund mündlicher Verhandlung iSv §§ 57 S. 2, 54 Abs. 2 FamFG ergangen. Eine aufgrund mündlicher Erörterung beruhende Entscheidung setze zwar nicht voraus, dass alle Beteiligten tatsächlich zugegen sind; erscheint ein Beteiligter trotz ordnungsgemässer Ladung unentschuldigt nicht, liege deshalb gleichwohl eine mündliche Erörterung vor.

Eine mündliche Verhandlung im Rechtssinne setze jedoch zwingend voraus, dass den Beteiligten eine effektive Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wird. Die Beteiligten müssten eine tatsächliche Möglichkeit zur Teilnahme am oder Vertretung im Termin und zur Verwirklichung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör haben. Daran fehle es, wenn ein Beteiligter nicht ordnungsgemäss geladen wurde, oder krankheitsbedingt nicht erscheinen kann, und entweder Terminsverlegung beantragt hat, oder die krankheitsbedingte Verhinderung dem Gericht bekannt ist (so auch OLG Frankfurt FamRZ 2013, 1831 im Falle eines abgelehnten Terminverlegungsantrages wegen krankheitsbedingter Gründe; ähnlich OLG Koblenz NJOZ 2017, 1469, und OLG Celle FamFR 2012, 566 bei nicht ordnungsgemässer Ladung).

Durch Abhalten des Termins sei der Mutter kein rechtliches Gehör gewährt worden. Aufgrund der tatsächlichen Verhinderung an der Teilnahme aufgrund der psychischen Erkrankung und der stationären Behandlung konnte sie sich nicht zu dem drohenden Eingriff in ihr Recht auf Ausübung der elterlichen Sorge äussern. Da dem Gericht der Verhinderungsgrund der Mutter bekannt war, bedurfte es keines Verlegungsantrages der Mutter. Das Gericht wäre nicht gehindert gewesen, den Sachverhalt mit den anderen Beteiligten aufgrund der Eilbedürftigkeit mündlich zu erörtern; dies ändere jedoch nichts daran, dass wegen der Verhinderung der Mutter mit dieser keine mündliche Verhandlung im Rechtssinne erfolgte, sondern ihr gegenüber im schriftlichen Verfahren entschieden wurde. Eine mündliche Verhandlung nach § 54 Abs. 2 FamFG unter Beteiligung der Mutter sei aufgrund des Antrages der Mutter nunmehr in erster Instanz dringend nachzuholen.

Hinweis
Die Anhörung (mündliche Verhandlung) dient der Verwirklichung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art.103 Abs. 1 GG), und ist in Umsetzung der Mitwirkungspflicht der Beteiligten (§ 27 FamFG) das zentrale Instrument der Sachverhaltsermittlung durch das FamG, insbesondere in Kindschaftssachen. Dies setzt die effektive Möglichkeit der Äusserung durch die Betroffenen vor drohenden Eingriffen in deren Rechte voraus. Diese ist nicht gegeben, wenn Beteiligte nicht rechtzeitig und verfahrensgemäss von dem Termin und von dem Gegenstand der Erörterung vom Gericht in Kenntnis gesetzt werden, wenn ein Beteiligter krankheitsbedingt an der Teilnahme gehindert ist und eine Verlegung beantragt, und das Gericht gleichwohl ohne Auseinandersetzung mit den Gründen des Antrages die Anhörung durchführt. Wenn dem Gericht die Erkrankung und ein Krankenhausaufenthalt eines Beteiligten, etwa durch Mitteilung durch andere Verfahrensbeteiligte bekannt ist, bedarf es keines Verlegungsantrages. Verhandelt das Gericht gleichwohl mit den übrigen Beteiligten in dem Verfahren der einstweiligen Anordnung (§§ 49 ff FamFG), ist der zutreffende Rechtsbehelf des verhinderten Beteiligten der Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung, nicht jedoch die Beschwerde.

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Kindesschutzverfahren; Abwägungsmaßstäbe in Verfahren der einstweiligen Anordnung bei Suiziddrohung der Mutter.

1. Das nach § 49 Abs. 1 FamFG erforderliche dringende Bedürfnis zu sofortigem einstweiligem Einschreiten besteht, wenn eine Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die für die Rechte und Interessen der Beteiligten entstehen, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, die Hauptsache aber im Sinne des Antragstellers oder amtswegig zur Gefahrenabwehr entschieden würde, schwerer wiegen als die Nachteile, die durch die vorläufige Maßnahme eintreten können, die aber aufzuheben und rückabzuwickeln ist, wenn sich der Antrag in der Hauptsache als unbegründet erweisen sollte.
2. Abzuwägen sind vielmehr die drohenden Nachteile und Schäden, wobei insbesondere in Kindesschutzsachen (§§ 1666, 1666a BGB) zur Erforderlichkeit einer einstweiligen Anordnung die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und dessen Ausmaß zu berücksichtigen sind. Dabei hat ein Schaden umso mehr Gewicht, je grösser seine Eintrittswahrscheinlichkeit und seine Auswirkungen sind.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. März 2020 - 13 UF 37/20

Bei Drohungen der Kindesmutter gegenüber dem Jugendamt mit Suizid oder erweitertem Suizid gegenüber dem Vater des älteren Kindes als Antwort auf erstrebte Verhaltensänderung kann es erforderlich sein, der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und weitere Teile der elterlichen Sorge durch einstweilige Anordnung zu entziehen, bevor im Hauptsacheverfahren nach umfassender Prüfung entschieden wird, ob der Sorgeentzug gerechtfertigt ist, um einer Gefährdung des Kindeswohles zu begegnen (BVerfG FamRZ 2014, 907; s. auch OLG Brandenburg JAmt 2019, 466).

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Familienverfahren bei Kindeswohlgefährdung; Anforderungen an den Beweisbeschluss zur Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens; Nachweis über die erforderliche Zusatzqualifikation des Sachverständigen.

1. Im Rahmen der Beweiserhebung betreffend eine Kindeswohlgefährdung gemäss § 1666 BGB sind zumindest folgende Beweisfragen zu stellen:
- Sind (bereits eingetretene) Schäden bezüglich der psychischen, seelischen oder körperlichen Gesundheit des Kindes/der Kinder feststellbar? Wenn ja, worauf sind diese zurückzuführen?
- Ist zu erwarten, dass bei Rückführung des Kindes/der Kinder in den gemeinsamen elterlichen Haushalt oder nach endgültiger Trennung der Kindeseltern in den Haushalt eines Elternteils ein Schaden für das psychische, seelische oder körperliche Wohl des einzelnen Kindes eintreten wird? Wenn ja, mit welcher Prognosesicherheit lässt sich diese Feststellung treffen? Gibt es weitere Faktoren, aus denen sich die Gefahr eines Schadens für das psychische, seelische oder körperliche Wohl des Kindes/der Kinder gibt?
- Kann der eingetretene oder zu befürchtende Schaden durch Hilfsmassnahmen abgewehrt oder begrenzt werden? Wenn ja, welche sind dies?
- Welche psychischen, seelischen und körperlichen Auswirkungen sind als Folge einer fortbestehenden Trennung der Kinder von den Kindeseltern für die Kinder zu erwarten?
- Kann dieser zu befürchtende Schaden durch Hilfsmassnahmen abgewehrt oder begrenzt werden? Wenn ja, welche sind dies?
2. In Verfahren nach § 151 Nr. 1 bis 3 FamFG (Kindschaftssachen) ist das Gutachten durch einen geeigneten Sachverständigen zu erstatten, der mindestens über eine psychologische, psychotherapeutische, kinder- und jugendpsychiatrische, psychiatrische, ärztliche, pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation verfügen soll. Verfügt der Sachverständige über eine pädagogische oder sozialpädagogische Berufsqualifikation, ist der Erwerb ausreichender diagnostischer und analytischer Kenntnisse durch eine anerkannte Zusatzqualifikation nachzuweisen.
3. Ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten wird, bedarf der fachkundigen Beurteilung psychologischer Fragen, insbesondere zu der Erziehungsfähigkeit der Kindeseltern und zu den Bedürfnissen der Kinder. Die einfache Qualifikation als Sozialpädagoge im Sinne einer Mindestqualifikation gemäss § 163 Abs. 1 S. 1 FamFG ist zur Beantwortung der zu stellenden Beweisfragen nicht ausreichend, da das Studium der Sozialpädagogik nicht die erforderlichen psychologischen Kenntnisse vermittelt.
4. Leistungsnachweise eines absolvierten Fernstudiums der Psychologie in Form von Einsendeaufgaben reichen nicht aus, um die erforderliche Zusatzqualifikation zu belegen.

OLG Schleswig, Beschluss vom 7. Mai 2020 - 13 UF 4/20

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Sorgerechtsentzug wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung; Unterbringung des Kindes im Haushalt eines Familienangehörigen.

1. Die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (hier: Islamischer Staat in Syrien) rechtfertigt nach der Rückkehr der Eltern und der im Ausland geborenen Kinder nach Deutschland ohne das Hinzutreten weiterer Umstände keinen mit der Trennung der Kindern von den Eltern verbundenen Entzug der elterlichen Sorge.
2. Werden die Eltern nach ihrer Rückkehr inhaftiert, und wünschen sie für die Dauer ihrer Inhaftierung eine Unterbringung der Kinder bei einem ebenfalls in Deutschland lebenden aufnahmebereiten Grosselternteil, dann setzt ein Entzug der elterlichen Sorge zum Zwecke der Fremdunterbringung der Kinder voraus, dass das Wohl der Kinder in dem Haushalt des Grosselternteils konkret gefährdet wäre.
3. Dass der Grosselternteil selbst unter Betreuung steht, reicht für die Feststellung einer mit der Aufnahme in seinen Haushalt verbundenen Gefährdung des Kindeswohles ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht aus. Allerdings setzt die Aufnahme von vier nach der Inhaftierung der Eltern in Obhut genommenen Kindern im Alter zwischen einem und vier Jahren in den Haushalt des ihnen bislang nicht persönlich bekannten, selbst auf Unterstützung angewiesenen Grosselternteils voraus, dass - gegebenenfalls mit Hilfe des örtlich zuständigen Jugendamtes - vorab geklärt ist, wie die Kinder in der Wohnung untergebracht werden, und welche Kinderausstattung dort noch benötigt wird, wie die Kontaktanbahnung zu dem Grosselternteil erfolgen soll, und welche konkrete Unterstützung - durch Familienangehörige und durch öffentliche Hilfen bzw. Einrichtungen - der Grosselternteil bei der Betreuung und Versorgung der Kinder erhält.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Mai 2020 - 4 UF 82/20, 4 UF 85/20

Die Kindesmutter, deutsche und syrische Staatsangehörige, schloss sich im Jahre 2014 einer radikal-islamistischen Gruppierung an, und reiste nach Syrien; dort wurden ihre vier - aus zwei Ehen stammenden - Kinder geboren. Kurz nach der Geburt ihrer beiden jüngsten Kinder floh sie ohne ihren Ehemann zu der Familie ihrer Mutter in die Türkei; von dort wurde sie im Jahre 2019 nach Deutschland abgeschoben, und in Untersuchungshaft genommen. Die Kinder, die sie bei ihrer in Deutschland lebenden Mutter unterbringen wollte, befinden sich nach der Inobhutnahme in Bereitschaftspflegefamilien. Das Ausgangsgericht entzog der Mutter im Eilverfahren - zunächst ohne mündliche Erörterung - wesentliche Teile der elterlichen Sorge, und bestellte das Jugendamt als Pfleger. Nach erfolgreicher Beschleunigungsrüge und persönlicher Anhörung der Mutter entzog das Gericht der Mutter - in den zunächst für die Töchter und Söhne getrennt geführten Verfahren - die vollständige Sorge.

Der Senat hat die beiden Verfahren verbunden, und die Beschwerden der Mutter zurückgewiesen. Der Entzug der elterlichen Sorge in Eilverfahren setze eine hinreichend wahrscheinliche, konkrete und gegenwärtige Gefährdungslage voraus, in der der Schadenseintritt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, wobei der Prognosemaßstab grosszügiger zu bemessen sei, je gravierender der zu befürchtende Schaden ausfalle. Unter Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes sei zunächst nach Möglichkeiten zu suchen, die Kindeswohlgefährdung durch unterstützende Massnahmen abzuwenden. Dies könne auch eine von den Eltern gewünschte Unterbringung bei Verwandten sein, wenn sie zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung geeignet sei.

In dem konkreten Fall sei es unerheblich, ob die Mutter noch islamistischem Gedankengut anhänge, bzw. ob den Kindern aus dieser Haltung konkrete Gefahren drohten, da die Mutter, folgend aus der Inhaftierung, derzeit ohnehin nicht für die Erziehung zur Verfügung stehe. Die Trennung der Kinder von der Mutter sei zwangsläufige Folge der Inhaftierung. Es sei vielmehr entscheidungserheblich, ob mit der von der Mutter gewünschten Unterbringung der Kinder bei der Grossmutter eine Kindeswohlgefährdung verbunden sei, die auch durch öffentliche Hilfen nicht abgewendet werden könne, und die so erheblich sei, dass sie eine sofortige Fremdunterbringung der Kinder erfordere. Zwar stehe die Grossmutter unter gesetzlicher Betreuung, folgend aus einer Depression im Zuge des Unfalltodes ihres Ehemannes, doch sei sie aus psychiatrischer Sicht zur Aufnahme und Betreuung der Kinder in der Lage. Auch aus ihrem Alter ergäben sich keine grundsätzlichen Zweifel an ihrer Erziehungsfähigkeit. Ebenso bestünden keine Anhaltspunkte für eine islamistische Gesinnung; vielmehr lehne sie eine islamistische Erziehung erkennbar ab. Die Unterbringung der Kinder bei ihr erscheine grundsätzlich sogar besser geeignet zu der späteren Wiederherstellung der Familie, wobei derzeit auch noch nicht absehbar sei, ob die Mutter nach ihrer Haftentlassung noch einer islamistischen Gesinnung anhängen werde.

Gleichwohl sei aber die Unterbringung der Kinder derzeit bei der Grossmutter noch mit einer erheblichen Kindeswohlgefährdung verbunden. Aufgrund ihres geringen Alters und des Erlebens von Krieg und Flucht bestehe für die Kinder ein erhöhter Bedarf an Zuwendung und Aufmerksamkeit. Den Kindern, die sich seit über fünf Monaten ohne Kontakt zur Mutter und Grossmutter in Bereitschaftspflege und von denen sich die beiden jüngsten noch in einem für die Bindungsentwicklung sensiblen Alter befänden, sei die Grossmutter bislang nur aus Videotelefonaten bekannt. Der Wechsel in ihren Haushalt bedürfe daher einer sorgfältigen Vorbereitung. Bislang sei aber unklar, wie der Wechsel vorbereitet werde, ob eine Kinderausstattung vorhanden sei, wann der dort noch lebende Bruder der Mutter ausziehe, welche Betreuungseinrichtungen die Kinder besuchen könnten, und welche konkrete Betreuungsunterstützung durch welche Familienangehörigen geleistet würden. Die Grossmutter müsse vor Aufhebung des vorläufigen Entzugs der elterlichen Sorge mit dem derzeitigen Amtsvormund ein tragfähiges Konzept erarbeiten, aus dem sich die Vorbereitung der Kinder auf den Aufenthaltswechsel, ihre Unterbringung und Betreuung, die Bewältigung der Erziehung sowie die Unterstützung der Kinder bei Verarbeitung des erneuten Wechsels ihrer Hauptbezugsperson, sowie etwaiger kriegs- und fluchtbedingter Traumata ergebe.

In dem Falle der Unterbringung der Kinder bei der Grossmutter bedürfe es keiner Bestellung eines Vormunds, da sie nach § 1688 Abs. 1 BGB die Alltagssorge ausübe, und mit Blick auf die heutigen Kommunikationsmöglichkeiten die Mutter die hiervon nicht erfassten Angelegenheiten aus der Haft regeln könne.

Hinweise
1. Eltern sind nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG grundsätzlich frei in der Erziehung und Pflege ihrer Kinder; § 1666 BGB regelt jedoch einfachgesetzlich näher, unter welchen Voraussetzungen das staatliche Wächteramt zum Schutz der Kinder eingesetzt, und gerichtlich die zu der Abwendung einer Kindeswohlgefährdung erforderlichen Massnahmen getroffen werden müssen; dabei ist auch die Wahrscheinlichkeit einer Kindeswohlgefährdung zu bewerten. Unter Verweis auf die in früheren Entscheidungen verwandten Begriffe der »hinreichenden« und »ziemlichen« Sicherheit eines Gefahreneintritts (BGHZ 213, 107 = BGH FamRZ 2017, 212 = FuR 2017, 148) hat der BGH in seiner neueren Rechtsprechung klargestellt, dass eine Differenzierung des Wahrscheinlichkeitsgrads zum Gefahreneintritt jeweils auf Tatbestandsebene und Rechtsfolgenseite geboten ist. Durch diese Differenzierung wird ein niederschwelligeres Eingreifen bei Gefahren ermöglicht, und es eröffnen sich bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit einer Maßnahme Korrekturmöglichkeiten, durch die ein übermässiges staatliches Eingreifen vermieden werden kann (BGH FamRZ 2019, 598 = FuR 2019, 345).

2. Stehen durch eine gerichtliche Maßnahme Eingriffe in Elterngrundrechte in Rede, dann muss die Verhältnismässigkeit dieser Eingriffe intensiv geprüft werden. Die Maßnahme muss nicht nur zur Gefahrenabwehr geeignet sein; sie muss auch erforderlich sein, d.h. es dürfen keine niederschwelligeren Massnahmen in Betracht kommen. Zudem muss die Maßnahme verhältnismässig im engeren Sinne sein. Davon ist nur auszugehen, wenn der gerichtliche Eingriff unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände zumutbar ist. Allein die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (hier: islamischer Staat) rechtfertigt daher den Entzug der elterlichen Sorge, verbunden mit der Trennung der Kinder von ihren Eltern, nicht.

3. Ein Sorgerechtsentzug zum Zwecke der Fremdunterbringung während der Haft der Eltern - statt einer von ihnen gewünschten Unterbringung der Kinder bei einem in Deutschland lebenden Grosselternteil - setzt eine konkrete Kindeswohlgefährdung in dem Haushalt des Grosselternteils voraus, die nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände daraus abzuleiten ist, dass der Grosselternteil unter Betreuung steht. Vorab zu klären sind aber die künftigen Wohnverhältnisse der Kinder, deren noch benötigte Ausstattung, ihre Kontaktanbahnung zu dem bislang nicht bekannten Grosselternteil, sowie dessen mögliche familiären und öffentlichen Hilfen.

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Kindeswohlgefährdung; kindesschutzrechtliches Eilverfahren; einstweilige Wohnungswegweisung eines Kindesvaters; Kontaktverbote bei Besitz kinder- bzw. jugendpornografischer Videos.

1. Ist ein Vater zweier Kleinkinder im Besitz kinder- bzw. jugendpornografischer Videos, dann kann ein dringendes Bedürfnis bestehen, im Wege einstweiliger Anordnung Regelungen zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung zu treffen, wenn der Besitz der Videos Anlass zu der Annahme gibt, dass bei dem Betreffenden pädophile Neigungen vorliegen, oder zumindest die Gefahr begründet ist, dass er die Videos im Beisein eines Kindes anschaut, und diese dem Kind hierbei zugänglich gemacht werden.
2. Das Beschwerdegericht ist weder verfassungsrechtlich noch nach Art. 6 EMRK gehalten, einen Anhörungstermin durchzuführen, wenn das Amtsgericht bereits alle notwendigen Ermittlungen durchgeführt hat, und weder vorgetragen noch sonst ersichtlich ist, welchen weiteren Erkenntnisgewinn die erneute mündliche Anhörung der Beteiligten hätte haben können.
3. In kindesschutzrechtlichen Eilverfahren ist entscheidend, ob die Gefährdungslage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse bereits derart verdichtet ist, dass ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist.
4. Ein schwerer Eingriff in die Rechte Beteiligter scheitert nicht ohne weiteres daran, dass die bislang mögliche und vorgenommene Sachverhaltsaufklärung hinter derjenigen zurückbleibt, die im Verlaufe eines Hauptsacheverfahrens zu verlangen ist. Ein Ausgleich zwischen den Grundrechten der Eltern und des Kindes (Art. 6 Abs. 2 GG) ist erreicht, wenn die in der Zwischenzeit bis zur Hauptsacheentscheidung anhand weniger, unsicherer, aber dennoch konkreter Anhaltspunkte für möglich gehaltene Beeinträchtigung des Kindeswohles schwerer wiegt, als die von einer einstweiligen Anordnung bewirkten Folgen.

OLG Koblenz, Beschluss vom 4. Juni 2020 - 7 UF 201/20

Der Beschwerdeführer ist Vater von zwei Kleinkindern, die er bisher regelmässig von 8 bis 14 Uhr allein betreut hat. Aktuell wird gegen ihn ein Ermittlungsverfahren nach §§ 184b f StGB geführt, nachdem auf seinem Handy entsprechende Dateien sichergestellt wurden. Das Jugendamt hat darauf das FamG angerufen. Im Rahmen der richterlichen Anhörung hat der Vater angegeben, bei den Videos habe es sich um Spass gehandelt; er werde sich nicht von der Familie trennen. Das FamG hat ihn dennoch durch befristete einstweilige Anordnung der Ehewohnung verwiesen, und Kontakt- und Näherungsverbote ausgesprochen; zugleich wurde ein begleiteter Umgang geregelt. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung sollte im Hauptsacheverfahren erfolgen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Vaters.

Das OLG hat die Beschwerde als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen den begleiteten Umgang richtete, denn diese Anordnung sei nach § 57 S. 1 FamFG nicht anfechtbar. Im Übrigen sei die Beschwerde unbegründet; insoweit habe der Senat nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne mündliche Anhörung der Beteiligten entscheiden können. Eine solche Anhörung sei weder aus verfassungsrechtlichen Gründen, noch nach Art. 6 EMRK durchzuführen, wenn erstinstanzlich alle notwendigen Ermittlungen stattgefunden hätten, und nicht ersichtlich sei, zu welchem Erkenntnisgewinn eine erneute Anhörung führen könne (vgl. BGH FamRZ 2017, 1668 = FuR 2017, 606). Von der Anhörung der Kinder habe nach § 159 Abs. 2 FamFG abgesehen werden können, weil von ihnen aufgrund ihres Alters noch keine sachdienlichen Angaben zu erwarten gewesen seien.

In der Sache sei die angefochtene Entscheidung nach § 49 FamFG iVm § 1666 BGB zu Recht ergangen, denn es bestehe ein dringendes Bedürfnis, tätig zu werden. Um einen Sorgerechtseingriff zu rechtfertigen, müsse das elterliche Fehlverhalten ein Ausmaß erreichen, bei dem das Kind in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre. Das setze voraus, dass ein Schaden bereits eingetreten oder eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit vorherzusehen sei. Im Rahmen eines Eilverfahrens müsse sich die Gefährdungslage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit derart verdichtet haben, dass ein sofortiges Einschreiten ohne weitere Ermittlungen geboten sei.

Diese Voraussetzungen lägen vor. Ein schwerer Eingriff scheitere nicht ohne weiteres daran, dass die bislang mögliche und vorgenommene Sachverhaltsaufklärung hinter derjenigen zurückbleibe, die im Hauptsacheverfahren zu erlangen sei. Aufgrund der »ausweichenden und beschönigenden Angaben des Vaters« könne nicht davon ausgegangen werden, dass er sich mit der passiven Rolle eines Konsumenten derartigen kinderpornographischen Materials begnüge; vielmehr stelle die Nutzung entsprechender Abbildungen einen Hinweis auf pädophile Neigungen dar, und sei deshalb mit einem erhöhten Risiko für ein übergriffiges Verhalten zum Nachteil von Kindern verbunden (Wallner, NZFam 2015, 610, 611). Der Besitz kinderpornographischer Videos auf dem Handy indiziere zudem, dass der Vater die Möglichkeit haben wolle, »seine diesbezüglichen Bedürfnisse überall und jederzeit unkompliziert zu befriedigen«; damit bestehe jedenfalls die Gefahr eines Mitkonsums der Videos durch die Kinder. Die ausgesprochenen Kontakt- und Näherungsverbote seien zum Schutz der Kinder geeignet und erforderlich.

Hinweis
Die Ausführungen des Senats zu der Entbehrlichkeit mündlicher Anhörungen in der Beschwerdeinstanz und zu dem Maßstab eines Sorgerechtseingriffs in einstweiligen Anordnungsverfahren veranlassen den Hinweis, dass in der Beschwerdeschrift aus anwaltlicher Vorsicht der (mögliche) Erkenntnisgewinn durch eine erneute Anhörung darzulegen ist.

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Teilweiser Entzug des Sorgerechts; Anordnung einer Ergänzungspflegschaft; Auswahl des Pflegers; Gegenstandswert für die Gerichtskosten und für die anwaltliche Tätigkeit.

1. Wählt das Familiengericht bei einem Entzug der elterlichen Sorge Vormund oder Pfleger sogleich in demselben Verfahren aus, und werden damit in dem einheitlich geführten gerichtlichen Verfahren eigentlich zwei Gebührentatbestände verwirklicht, dann erhöhen sich die Gerichtsgebühren in analoger Anwendung der Nr. 1310 Abs. 1 Nr. 3 FamGKG KV nicht. Damit bedarf es in Ansehung der Gerichtskosten bei einem Sorgerechtsentzug im ersten Rechtszug auch keiner gesonderten Bewertung der Vormundschaft oder Pflegschaft; massgeblich ist für beide Verfahren (Sorgerecht und Pflegerauswahl) alleine § 45 FamGKG.
2. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit übersteigt aber den von dem Familiengericht nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG mit 3.000 € bezifferten Regelgegenstandswert der Kindschaftssache: Sorgerechts- und Pflegschaftsverfahren sind dann nach § 33 RVG gesondert zu bewerten und zu addieren, denn im RVG findet sich keine Nr. 1310 FamGKG KV analog vergleichbare Anrechnungsvorschrift, nach der bei einem Sorgerechtsentzug und einer damit im Zusammenhang stehenden Vormundschafts- bzw. Pflegschaftsentscheidung die Gebühren des Rechtsanwalts nur einmal anfallen würden.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 23. Juni 2020 - 4 WF 97/20

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Anordnung eines Teilsorgeentzugs; Ermächtigung des Ergänzungspflegers zur Durchsuchung und Erzwingung der Herausgabe der Kinder zur Durchsetzung des Schulbesuchs bei »homeschooling« bzw. »unschooling« der Eltern; auffälliges Verhalten der Kinder im Kontakt mit anderen Personen.

1. Zur Anordnung eines Teilsorgeentzugs und Ermächtigung des Ergänzungspflegers zur Durchsuchung und Erzwingung der Herausgabe der Kinder zur Durchsetzung des Schulbesuchs bei »homeschooling« bzw. »unschooling« der Eltern.
2. Im Falle einer Schulverweigerung wegen homeschooling kann nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung angenommen werden, sondern es sind alle wesentlichen Aspekte des konkreten Einzelfalles zu ermitteln, und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bewerten.
3. Für eine Kindeswohlgefährdung spricht es, wenn die Kinder im Rahmen der persönlichen Anhörung durch das Gericht auffälliges Verhalten im Kontakt mit anderen Personen zeigen, und ausserhalb der Kernfamilie keine Freundschaften pflegen.
4. Die Eltern können nicht mit ihrem Vorbringen gehört werden, niemand habe Kenntnis über ihre tatsächlichen Verhältnisse, wenn sie die Zusammenarbeit mit Jugendamt und Sachverständigen vermeiden, der Verfahrensbeiständin keine Auskunft geben, ein Kind eine Lernstandserhebung verweigert, und die Kinder weder mit der Verfahrensbeiständin noch mit dem Gericht sprechen.

OLG Celle, Beschluss vom 27. Juli 2020 - 21 UF 190/19

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Angemessenheit der Verfahrensdauer in Kindschaftssachen; Beschleunigungsrüge und Beschleunigungsbeschwerde.

1. Kindschaftssachen, die den Aufenthalt oder die Herausgabe eines Kindes betreffen, sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohles sind vorrangig und beschleunigt durchzuführen.
2. Für die Frage, ab wann eine Verfahrensdauer nicht mehr als angemessen anzusehen ist, ist eine Abwägung aller verfahrens- und sachbezogenen Faktoren sowie der subjektiven, personenbezogenen Umstände vorzunehmen. Zu berücksichtigen sind dabei neben der Schwierigkeit des Verfahrens, seiner Bedeutung für die Verfahrensbeteiligten sowie der Verfahrensführung und -förderung durch das Gericht auch das Verhalten der Verfahrensbeteiligten in dem Verfahren.
3. Allgemeine Zeitvorgaben existieren nicht. Ob ein Verfahren unter Beachtung des Beschleunigungsgrundsatzes durchgeführt worden ist, lässt sich immer nur auf den konkreten Einzelfall bezogen feststellen. Im Einzelfall kann die Verfahrensdauer von wenigen Monaten einen Verstoss gegen den Beschleunigungsgrundsatz darstellen, etwa dann, wenn eine gebotene Sachverhaltsaufklärung unterbleibt, oder das Verfahren sonst ohne triftigen Grund nicht gefördert wird.
4. Auch ein Verstoss gegen die Vorschrift des § 155 Abs. 2 S. 2 FamFG, wonach der Erörterungstermin spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens stattfinden soll, kann Gegenstand der Beschleunigungsrüge nach § 155b FamFG wie auch der Beschleunigungsbeschwerde nach § 155c FamFG sein.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 28. Juli 2020 - 15 WF 166/20

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Kindesschutzverfahren; Entziehung der elterlichen Sorge bei lebenslanger Haft wegen Tötung der Kindesmutter.

1. Bei zuverlässiger Entscheidungsgrundlage bedarf es auch in Kindschaftssachen keines Sachverständigengutachtens.
2. Hat der sorgeberechtigte Vater seine minderjährigen Kinder durch die Ermordung ihrer Mutter traumatisiert, so kann auch bei seiner lebenslangen Haft die Entziehung seiner elterlichen Sorge als Kindesschutzmassnahme nach § 1666 BGB erforderlich sein, wenn die blosse Anordnung ihres Ruhens (§ 1674 BGB) und ihr damit einhergehender - lediglich in der Ausübung eingeschränkter - Fortbestand die Traumaverarbeitung beeinträchtigt.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 3. August 2020 - 13 UF 64/19

Das LG München I hatte den Vater im Juli 2017 zu lebenslanger Freiheitsstrafe wegen Mordes verurteilt, nachdem er die Mutter seiner minderjährigen Kinder im April 2016 getötet hatte. Das AmtsG hatte ihm wegen dieser Straftat die elterliche Sorge für seine 2005 und 2015 geborenen Kinder entzogen. Das OLG hat die Beschwerde des Vaters für unbegründet erachtet: Das AmtsG habe die Voraussetzungen des § 1666 BGB zutreffend bejaht; zudem sei ein Sachverständigengutachten entbehrlich gewesen, weil die Kindeswohlgefährdung in Form einer greifbar drohenden Störung einer noch andauernden notwendigen Traumaverarbeitung vorliege. Die therapierten Kinder seien mehrfach traumatisiert durch den Verlust der Mutter, die Tat ihres Vaters und dessen Verantwortlichkeit für den Verlust ihrer Mutter als deren Mörder. Ihr Wunsch nach grösstmöglichem Abstand zum Täter sei einleuchtend, und entspreche allgemein- und gerichtsbekannt einer natürlichen Traumaverarbeitung bei Ermordung nächster Verwandter.

Die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB als das mildere Mittel komme hier nicht in Betracht. Bei der Feststellung des Ruhens beschränke sich die Rechtsfolge auf ein blosses Ausübungshindernis, während der Elternteil die zugrunde liegende elterliche Verantwortung behalte. Hier bestünde die handfeste Gefahr für die Kinder, ihre Traumaverarbeitung durch Missachtung ihres Bedürfnisses und ihres Willens nach grösstmöglichem Abstand zu ihrem Vater als dem Mörder ihrer Mutter zu beeinträchtigen. Dies gelte erst recht für die jüngste Tochter, die den gesamten therapeutischen Verarbeitungsprozess noch weitgehend vor sich habe. Dem Vater sei zuzumuten, die Traumaverarbeitung seiner Kinder solange abzuwarten, bis sich bei ihnen eine Kontaktbereitschaft zu ihm gebildet habe.

Hinweise
1. Die Einflussnahme des Vaters wurde zwar sorgerechtlich strikt zurückgedrängt; allerdings bleibt es den betroffenen Kindern dennoch auf Dauer faktisch selbst überlassen, ob und wann sie wieder den möglichen Kontakt zum Vater aufnehmen wollen. Daran kann der Sorgerechtsentzug langfristig nichts ändern.

2. Wenn eine Therapie die Kinder bei der Verarbeitung des Geschehens und insbesondere wegen des Verlusts der Mutter unterstützt, dann ist nicht sicher ausgeschlossen, dass sich zu der Frage der Kontaktbereitschaft zum Vater bei den Kindern unterschiedliche Sichtweisen entwickeln können. Dem kann bei den Therapien in angemessener Weise Rechnung getragen werden; hierbei sollten rechtliche und psychologische Gesichtspunkte gleichwertig zum Zuge kommen dürfen.

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Sorgerechtsentzug; Vorrang der Ausschöpfung verfügbarer öffentlicher Hilfen.

1. Vor einem Entzug oder Teilentzug der elterlichen Sorge sind vorrangig die zur Verfügung stehenden öffentlichen Hilfen auszuschöpfen.
2. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gebietet, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grad des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist.
3. Hat eine Kindesmutter eine Verhaltenstherapie begonnen, kann gegebenenfalls bis zu einem Therapieerfolg die Einschränkung der Erziehungseignung der kooperations- und therapiebereiten Mutter dadurch abgewendet werden, dass das Jugendamt eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung (Mutter-Kind-Einrichtung) bewilligt, und sie zeitnah bei der Suche nach einer aufnahmebereiten Einrichtung unterstützt, die neben der pädagogischen Begleitung auch die Sicherstellung des Kindeswohles gewährleistet.

OLG Köln, Beschluss vom 27. August 2020 - 26 UF 51/20

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Familiengerichtliche Massnahmen bei Kindeswohlgefährdung; Verhältnismässigkeit der Ersetzung einer verweigerten Elternzustimmung zur psychologischen Begutachtung des Kindes; Anhörung des Kindes unter Mitwirkung des Sachverständigen und unter Ausschluss des sorgeberechtigten Elternteils.

1. Bevor die verweigerte Zustimmung eines sorgeberechtigten Elternteils zur psychologischen Begutachtung eines Kindes gemäss § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung ersetzt wird, ist zu prüfen, ob der Sachverständige auch ohne eingehende Exploration des Kindes eine ausreichende Datengrundlage gewinnen kann, um zu der Frage, ob eine Kindeswohlgefährdung zu bejahen ist, aus psychologischer Sicht Stellung nehmen zu können.
2. Das Familiengericht ist in diesem Zusammenhang insbesondere befugt, auch gegen den Willen des sorgeberechtigten Elternteils das Kind in Anwesenheit und unter Mitwirkung des Sachverständigen gerichtlich anzuhören.
3. Eine solche Vorgehensweise ist unter Verhältnismässigkeitsgesichtspunkten als gegenüber der Ersetzung der Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils gemäss § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB milderes Mittel geboten.

OLG Hamm Beschluss vom 4. September 2020 - 2 UF 154/20

Der alleinsorgeberechtigte Vater verweigert die Zustimmung zur ergänzenden psychologischen Begutachtung seiner Kinder. Im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens nach § 1666 BGB, in dem das Jugendamt den Entzug der elterlichen Sorge angeregt hatte, wurde ein psychologisches Gutachten eingeholt. Mit dessen Inhalt und mit der gutachterlichen Herangehensweise war der Vater nicht einverstanden, und lehnte die Sachverständige erfolglos wegen Befangenheit ab. Aufgrund des Zeitablaufs hat das FamG die Ergänzung des Gutachtens für erforderlich gehalten: Im Rahmen eines ergänzenden Gutachtens solle die Sachverständige klären, ob die gerichtliche Fragestellung - Bestehen einer Kindeswohlgefährdung - nunmehr anders zu beurteilen ist. Wegen der verweigerten Zustimmung des Vaters hat das FamG von Amts wegen ein einstweiliges Anordnungsverfahren eingeleitet und die sorgerechtliche Zustimmung gemäss § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB ersetzt. Gegen diesen Beschluss hat der Vater Beschwerde eingelegt.

Das Beschwerdegericht hat die Ersetzung der Zustimmung als unverhältnismässig angesehen, und die Entscheidung des FamG aufgehoben: Die Sachverständige habe die Kinder bereits im Rahmen des Erstgutachtens exploriert; deshalb sei zu prüfen, ob sie die für eine ergänzende Stellungnahme erforderlichen Daten als milderes Mittel unter Mitwirkung bei der richterlichen Anhörung erheben kann.

Hinweise
1. Die familiengerichtliche Ersetzung einer Einwilligung iSd § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB verlangt mehr als nur die Feststellung, dass der sorgeberechtigte Elternteil die erforderliche Begutachtung des Kindes ablehnt. Die Ersetzung ist nur dann verhältnismässig, wenn keine schonenderen Massnahmen - wie hier die Teilnahme der Sachverständigen an der Kindesanhörung - in Betracht kommen.

2. Das Beschwerdegericht hat auf eine Entscheidung des BGH vom 17.02.2010 (FamRZ 2010, 720) verwiesen, in der die Reichweite der Amtsermittlungspflicht bei Kindeswohlgefährdung abgehandelt worden ist. Der BGH hat sowohl die Exploration eines Elternteils in dem Anhörungstermin, als auch die eines Kindes bei der richterlichen Anhörung in Anwesenheit und unter Mitwirkung von Sachverständigen für zulässig erachtet.

3. Erkenntnisse, die ein Sachverständiger im Zuge einer Exploration ohne die nötige Einwilligung erwirbt, sind nicht verwertbar (OLG Thüringen FamRZ 2018, 1677).

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Erforderlichkeit einer Fremdunterbringung des Kindes bei Bereitschaft zu Familienhilfe.

Auch bei angekündigter Bereitschaft zur Annahme von Familienhilfe kann eine dahingehende Auflage (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB) als mildere Maßnahme gegenüber einer Fremdunterbringung zur Kompensation oder Milderung von Erziehungsdefiziten eines Elternteils ohne dessen Problemeinsicht unzureichend sein.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2020 - 13 UF 161/18

Die Eltern trennen sich im Jahre 2013 nach häuslicher Gewalt; zugleich wurden ihre beiden Kinder wegen körperlicher und psychischer Misshandlung in Obhut genommen. Im Jahre 2015 wurde der Mutter, die nach der Trennung 530 km entfernt verzogen ist, das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht auf Antragstellung zur Hilfe zur Erziehung entzogen. Der Vater, der mit der Fremdunterbringung einverstanden ist, übte fortan die der Mutter entzogenen Sorgerechtsbestandteile allein aus. Im Juli 2017 wurden die Kinder in den väterlichen Haushalt zurückgeführt, und im November 2017 nach einer Gefahrenmeldung erneut in Obhut genommen, nachdem der Sohn in der Schule ein blaues Auge mit Schlägen des Vaters - übereinstimmend mit Angaben seiner Schwester - erklärte. Unter Abweisung widerstreitender Sorgerechtsanträge der Eltern hat das FamG die Sorgerechtsentscheidung aus dem Jahre 2015 zu Lasten der Mutter aufrechterhalten, und dem Vater das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht auf Antragstellung zur Hilfe zur Erziehung entzogen.

Der Senat hat die Beschwerden beider Elternteile nach Einholung eines Ergänzungsgutachtens zurückgewiesen. Eine dauerhaft zuverlässige Erziehungsfähigkeit der Mutter lasse sich nicht feststellen. Sie sei weiterhin wenig befähigt, kontinuierlich persönlichen Kontakt zu den Kindern aufrechtzuerhalten. Vereinbarten Umgang habe sie letztmals im Oktober 2018 wahrgenommen. Ein nachhaltiges Interesse, an der Entwicklung der Kinder teilzuhaben, sei nicht erkennbar: Ihre Lebenssituation sei instabil und von Partnerwechseln, Umzügen und Krankheiten geprägt; zudem bestünden weiterhin deutliche Einschränkungen ihrer Beziehungs- und Bindungsfähigkeit.

In dem Haushalt des Vaters bestehe eine Kindeswohlgefährdung wegen nicht auszuschliessender Gewalt bei der Erziehung. Der Sohn habe in der Schule zur Erklärung eines blauen Auges mitgeteilt, vom Vater geschlagen worden zu sein; bei einer späteren rechtsmedizinischen Untersuchung in der Gewaltschutzambulanz habe er den Vorfall im Kern strukturgleich - auch mit den Angaben seiner Schwester - wiedergegeben. Im Dezember habe die Schwester gegenüber der Familienrichterin bestätigt, dass der Vater den Bruder schlage, die Verletzung nun aber auf einen Sturz auf ihr Bein zurückgeführt. Nach dem ärztlichen Bericht der Gewaltschutzambulanz seien die Angaben des Jungen eingebettet in einen zeitlich stimmigen, in sich widerspruchsfreien und verhaltenspsychologisch plausiblen Ablauf mit Vorgeschichte, Tathergang und nachfolgendem Geschehen. Die Angaben stünden in Übereinstimmung mit den objektiven Befunden der Ambulanz, wonach die Verletzung am Auge am ehesten auf eine Schlageinwirkung in das Gesicht hinweise.

Die Fremdunterbringung sei geeignet und erforderlich, um die fortbestehende Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Die Rückführung der Kinder mit der Auflage zur Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen scheide als milderes Mittel aus. Auch die angekündigte Bereitschaft zu der Annahme von Familienhilfe sei ohne Problemeinsicht unzureichend. Die Mutter sei in ihrer emotionalen Verfügbarkeit für die insoweit besonders bedürftigen Kinder immer wieder und nachhaltig unzuverlässig, so dass die Angabe, umfangreiche Familienhilfe in Anspruch zu nehmen, wenig realitätsangemessen sei. Der Vater sei nach Leugnung der Tat und jeglicher Gewalttätigkeit zuletzt weit hinter seine frühere Problemeinsicht zurückgefallen, soweit er dort noch angegeben habe, sich in psychologische Therapie zu begeben. Die Teilnahme an dem Elternkurs »Starke Eltern - Starke Kinder« sei unzureichend, um eine Kindeswohlgefährdung bei bestehender Gewaltproblematik zuverlässig abzuwenden. Die Fremdunterbringung sei auch verhältnismässig, da die Eltern deren Folgen durch Umgänge abmildern könnten. Es stehe ihnen auch frei, Schritte zu der Stärkung ihrer Erziehungsfähigkeit mit sachkundiger Hilfe zu unternehmen.

Hinweise
Die zur Gefahrenabwendung notwendigen Massnahmen müssen sich an dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit orientieren, im Einzelfall also zu der Abwendung der Gefahr geeignet, erforderlich und auch zumutbar sein. Aus mehreren gleich gut geeigneten Mitteln ist das mildeste Mittel auszuwählen. An der Erforderlichkeit einer Maßnahme fehlt es aber, wenn durch sie die Gefährdung des Kindeswohles nicht beseitigt werden kann. § 1666 Abs. 3 BGB enthält konkrete Beispiele, die den Verhältnismässigkeitsgrundsatz präzisieren. Die dort genannten Massnahmen sind nicht abschliessend, so dass auch andere zur Abwendung der Gefahr geeignete Weisungen in Betracht kommen. Beinhalten diese jedoch einen wesentlichen Eingriff in Grundrechte, so bedürfen sie einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage (BGHZ 213, 107 = FamRZ 2017, 212 = FuR 2017, 148). Insgesamt kommen Auflagen nach § 1666 Abs. 3 BGB nicht in Betracht, wenn die Beseitigung der Kindeswohlgefährdung nur nach dem eventuell erst künftig zu erwartenden Erwerb eines Mindestmaßes an Erziehungs- und Förderungskompetenzen eintreten kann (OLG Koblenz FamRB 2020, 65 - Sorgerechtsentzug statt Auflagen bei Migrantenkindern).

2. § 1666 BGB erfasst nur das rechtliche Band zwischen Eltern und Kind. Die Anordnung zur Aufnahme oder Fortsetzung einer Psychotherapie kann gerichtlich daher nur mit Blick auf das Kind angeordnet werden. Für eine diesbezügliche Anordnung gegenüber einem Elternteil bietet § 1666 Abs. 3 BGB keine Rechtsgrundlage; ebenso wenig kann ein gewalttätiger Elternteil auf der Grundlage von § 1666 Abs. 3 BGB zu einem Antigewalttraining oder einem sozialen Trainingskurs verpflichtet werden. Ergeht eine solche Entscheidung als (unanfechtbare) Zwischenentscheidung in einem laufenden Verfahren, dann kann sie nur zusammen mit dem Rechtsmittel gegen die Endentscheidung gerügt werden.

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Übertragung des Sorgerechts auf einen Elternteil; Entziehung der Auskunftsverpflichtung zur Gesundheitssorge.

1. Für eine Beibehaltung der gemeinsamen elterliche Sorge ist massgeblich, dass zwischen den Kindeseltern eine tragfähige soziale Beziehung besteht.
2. Dass sich auch Jahre nach der Trennung von Kindeseltern ein heftiger Konflikt zwischen ihnen nicht entschärft, und sich die Kommunikation durch unsachliche Äusserungen, Beleidigungen und Vorwürfe auszeichnet, kann für eine alleinige Sorgerechtsübertragung sprechen.
3. Die Entziehung der Gesundheitssorge und Übertragung auf einen Ergänzungspfleger kommt nur in Betracht, wenn bei Verbleib der Gesundheitssorge bei dem Sorgeberechtigten eine Kindeswohlgefährdung droht.
4. Es kann ausreichend sein, allein die Auskunftsverpflichtung eines Sorgeberechtigten gegenüber dem anderen Elternteil betreffend die Gesundheitssorge gemäss § 1666 Abs. 1 BGB zu entziehen, und sie auf einen Ergänzungspfleger zu übertragen.

OLG Schleswig, Beschluss vom 21. Oktober 2020 - 13 UF 123/20

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Abänderung einer einstweiligen Anordnung des Amtsgerichts zum vorläufigen Aufenthalt des Kindes bei den Grosseltern väterlicherseits; schwere Konflikte der Eltern (u a. unbestätigter Verdacht der Methadongabe, Missbrauchsvorwürfe); vorhergehender Psychiatrieaufenthalts des Kindes.

Zu einer einstweiligen Anordnung des Beschwerdegerichts nach § 64 Abs. 3 FamFG, mit dem eine einstweilige Anordnung des Amtsgerichts zu dem vorläufigen Aufenthalt des Kindes bei den Grosseltern väterlicherseits vor dem Hintergrund schwerer Konflikte der Eltern sowie eines vorhergehenden Psychiatrieaufenthalts des Kindes abgeändert wird.

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 9. November 2020 - 6 UF 153/20

Die bislang gemeinsam sorgeberechtigten Eltern stritten über die elterliche Sorge für ihre im Jahre 2014 geborene gemeinsame Tochter. Das Kind, das erhebliche Verhaltensauffälligkeiten zeigte, wurde im Laufe des fachgerichtlichen Verfahrens mehrfach in kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen untersucht. Bei einem längeren Aufenthalt der Mutter mit dem Kind in einem familientherapeutischen Zentrum wurde in drei Urinproben des Kindes EDDP, ein Abbauprodukt von Methadon, nachgewiesen. Die Konzentration des Stoffes lag jeweils unter dem «Cut-off»-Wert. Ferner äusserten die dort behandelnden Ärzte aufgrund des Spielverhaltens des Kindes den Verdacht auf Misshandlungen oder einen Missbrauch des Kindes. Die Eltern verdächtigen sich gegenseitig, das Kind missbraucht oder misshandelt zu haben. In dem Hauptsacheverfahren zur elterlichen Sorge wird derzeit ein Gutachten eingeholt.

Auf Antrag des Vaters übertrug ihm das AmtsG im Wege einstweiliger Anordnung die alleinige elterliche Sorge für die Bereiche Aufenthaltsbestimmung und Gesundheit mit der Massgabe, dass das Kind seinen Aufenthalt bei den Grosseltern väterlicherseits nehmen solle. Ein Verbleib des Kindes bei der Mutter komme derzeit nicht in Betracht, weil davon auszugehen sei, dass dem Kind in ihrer Obhut Methadon verabreicht worden sei. Dementsprechend habe auch die Mutter selbst beantragt, das Kind über das Jugendamt fremd unterzubringen: Aufgrund der nicht ausgeräumten Vorwürfe gegen den Vater könne das Kind auch nicht bei ihm untergebracht werden. Die sorgerechtliche Auflage, das Kind solle seinen Aufenthalt bei den Grosseltern väterlicherseits nehmen, sei jedoch der mildere Eingriff gegenüber dem Sorgerechtsentzug und der Fremdunterbringung des Kindes, die einen Abbruch jeglicher Beziehungen bedeute. Die Grosseltern bemühten sich auch um eine neutrale Position zwischen den Eltern. Auf der Grundlage dieser Entscheidung wechselte das Kind im September 2020 aus dem Aufenthalt in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik in den Haushalt der Grosseltern.

Gegen die familiengerichtliche Entscheidung legte die Mutter Beschwerde ein und begehrte nunmehr, Teile der elterlichen Sorge auf sie zu übertragen, um das Kind selbst betreuen zu können. Das OLG übertrug im Wege einstweiliger Anordnung gemäss § 64 Abs. 3 FamFG in Abänderung der Entscheidung des AmtsG der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge für das Kind bei Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Übrigen: Die vorgebrachten Labornachweise seien nicht zum Nachweis dafür geeignet, dass dem Kind Methadon verabreicht worden sei. Das auffällige Verhalten des Kindes sei auch nicht zwingend mit der Betreuung durch die Mutter in Verbindung zu bringen; es könne auch auf dem von der Mutter behaupteten Missbrauch durch den Beschwerdeführer beruhen. Da eine Kindeswohlgefährdung bei keinem der Elternteile (überwiegend) wahrscheinlich sei, und damit nicht den Ausschlag gebe, sprächen die wesentlichen sorgerechtlichen Kriterien für eine Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter. Die Entscheidung ergehe ohne Anhörung, um eine Verfestigung des Aufenthalts des Kindes bei den Grosseltern zu verhindern. In der Folge wechselte die Tochter von den Grosseltern (väterlicherseits) in den Haushalt der Mutter.

Hinweise
1. Der Vater macht mit seiner Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie seines Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) geltend, und beantragte ferner erfolglos den Erlass einer einstweiligem Anordnung.

BVerfG, Beschluss vom 29.12.2020 - 1 BvR 2652/20 (FamRZ 2021, 596)
1. Liegen Anhaltspunkte für eine nachhaltige Kindeswohlgefährdung vor, und weicht das Gericht von Feststellungen und Wertungen weiterer beteiligter Fachkräfte (Verfahrensbeistand, Jugendamt) sowie der behandelnden Ärzte ab, so bedarf eine davon abweichende Beurteilung des Gerichts einer anderweitigen verlässlichen Grundlage und einer eingehenden Begründung (vgl. BVerfG FamRZ 2017, 524).
2. Trotz Bedenken gegen die Gestaltung des Verfahrens und die Feststellung des Sachverhalts durch den Familiensenat kann die gebotene Folgenabwägung dazu führen, dass eine einstweilige Anordnung nicht zu erlassen ist, insbesondere wenn innerhalb weniger Tage ein neuer Termin vor dem Familiensenat angeordnet ist, und nach bereits mehrfach erfolgten Wechseln des Kindes ein erneuter Wechsel der Betreuungsperson erfolgen würde.
3. Grundsätzlich entscheidet das Beschwerdegericht nach Durchführung der Anhörungen und nach Erörterung mit den Beteiligten gemäss § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG oder ohne erneute Durchführung dieser Verfahrenshandlungen nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG, wenn alle Verfahrenshandlungen von dem Ausgangsgericht ordnungsgemäss durchgeführt wurden, und von einer erneuten Durchführung keine entscheidungserheblichen neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Ein Vorgehen nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG gebietet regelmässig einen entsprechenden Hinweis, dass ein solches Vorgehen beabsichtigt ist, insbesondere, wenn von der Ausgangsentscheidung abgewichen werden soll.
Bereits vor der endgültigen Entscheidung kann das Beschwerdegericht gemäss § 64 Abs. 3 FamFG auf Antrag oder von Amts wegen eine einstweilige Anordnung erlassen ab Vorlage der Beschwerde durch das Ausgangsgericht bis zum Erlass der Beschwerdeentscheidung. Voraussetzung für ein Vorgehen nach § 64 Abs. 3 FamFG ist entsprechend § 49 Abs. 1 FamFG ein dringendes Bedürfnis für ein Tätigwerden, das ein Abwarten der endgültigen Entscheidung nicht zulässt. Ist die Hauptsache selbst bereits ein einstweiliges Anordnungsverfahren, bedarf es in diesem Verfahren eine über das allgemeine Eilbedürfnis hinausgehende besondere Dringlichkeit. Das Eilbedürfnis kann sich aus den bereits aktenkundigen Tatsachen oder aus neuen Tatsachen im Beschwerdeverfahren (vgl. § 65 Abs. 3 FamFG) ergeben.
4. Eine einstweilige Anordnung kommt regelmässig nur dann in Betracht, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat, oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist. In der Entscheidung nach § 64 Abs. 3 FamFG ist eine Folgenabwägung vorzunehmen, ob bei Vollzug der amtsgerichtlichen Entscheidung und einem späteren Erfolg der Beschwerde schwerwiegendere Folgen für das Kind entstehen als bei einer Aussetzung der Vollziehung und einer späteren Beschwerdezurückweisung. Ein mehrfacher Aufenthaltswechsel des Kindes sollte vermieden werden. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist nicht zulässig; § 64 Abs. 3 FamFG eröffnet nur die Möglichkeit einer vorläufigen Regelung. Vor einer Entscheidung nach § 64 Abs. 3 FamFG muss den Beteiligten grundsätzlich rechtliches Gehör gewährt werden; Absehen von (gegebenenfalls nach § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG gebotenen) vorherigen Erörterungen und Anhörungen setzt eine besondere, über das allgemeine Eilbedürfnis hinausgehende Dringlichkeit voraus.
5. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle gerichtlicher Entscheidungen ist nicht (wie bei einem Rechtsmittelverfahren) umfassend; das BVerfG ist keine Superrevisionsinstanz. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das BVerfG grundsätzlich entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das BVerfG auf Verfassungsbeschwerde hin die Entscheidung aufheben.
Wegen der besonderen Grundrechtsintensität eines Eingriffs in das Elternrecht erfasst die verfassungsgerichtliche Kontrolle im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 GG bei Trennung des Kindes von seinen Eltern (insoweit rechtsmittelähnlich) ausnahmsweise auch einzelne Auslegungsfehler sowie deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts. Im Rahmen sorgerechtlicher Streitigkeiten zwischen den Eltern nach § 1671 BGB beschränkt sich die verfassungsgerichtliche Prüfung darauf, ob die Fachgerichte eine auf das Wohl des Kindes ausgerichtete Entscheidung getroffen, und die Grundrechte aller Beteiligten nicht grundlegend verkannt haben.

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Familiengerichtliche Maßnahme bei Kindeswohlgefährdung; Entziehung der elterlichen Sorge für in Familienpflege befindliche Kinder bei reiner Passivität des alleinsorgeberechtigten Elternteils.

Wenn reine Passivität des sorgeberechtigten Elternteils für sich gesehen bei einer dem Jugendamt erteilten umfassenden Vollmacht keine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für das Kindeswohl darstellt, dann ist eine Entziehung der elterlichen Sorge unverhältnismässig und daher nicht zulässig.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 16. November 2020 - 13 UF 33/20

Das AmtsG hatte der alleinsorgeberechtigten Mutter (Antragsgegnerin) die elterliche Sorge für ihre Kinder B. (geboren im Jahre 2002), A. (geboren im Jahre 2005) und C. (geboren im Jahre 2009) entzogen und auf das Jugendamt als Vormund übertragen. Hiergegen wandte sich die Mutter mit ihrer Beschwerde, mit welcher sie die Aufhebung des vorgenannten Beschlusses begehrt. Das zulässige Rechtsmittel erwies sich Bezug auf die Kinder A. und C. als begründet; in Bezug auf B. war aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Volljährigkeit keine Entscheidung veranlasst.

» Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet, und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht nach § 1666 Abs. 1 BGB die Massnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

Dabei ist eine Kindeswohlgefährdung immer dann anzunehmen, wenn eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefahr für die Kindesentwicklung abzusehen ist, die bei ihrer Fortdauer eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohles des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt, wenngleich die zu erwartenden schädigenden Folgen nicht unmittelbar bevorstehen müssen (vgl. OLG Hamm FamRZ 2010, 1745 mwN). Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Defizite auf einem Verschulden oder einem unverschuldeten Versagen der Eltern bei der Erziehung beruhen. Das elterliche Fehlverhalten muss daher ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (vgl. BVerfG FamRZ 1982, 567).

Wenn Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entzogen und damit zugleich die Aufrechterhaltung der Trennung des Kindes von ihnen gesichert wird, darf dies zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit erfolgen (vgl. BVerfG aaO). Dieser gebietet es, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grad des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeiten suchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Massnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. BVerfG aaO). «

Hier habe für die Entziehung der elterlichen Sorge und die Übertragung auf das Jugendamt als Vormund nach §§ 1666, 1666a BGB kein Grund bestanden, denn die Mutter habe zur Abwehr einer Entziehung der elterlichen Sorge dem Jugendamt eine umfassende Sorgerechtsvollmacht erteilt, wodurch dieses weiterhin in der Lage sei, in allen wesentlichen Bereichen an dem Wohle der Kinder orientierte Entscheidungen zu treffen. Sei der sorgeberechtigte Elternteil willens, die Gefahr für sein Kind auch im Wege der Fremdunterbringung abzuwenden, dann sei familiengerichtliches Einschreiten grundsätzlich nicht erforderlich, und damit unverhältnismässig.

Hinweis
Bei einer Entziehung des Sorgerechts muss die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen; eine nur abstrakte Gefährdung genügt nicht. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit einer gerichtlichen Maßnahme nach § 1666 BGB ist zudem auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs in die elterliche Sorge und dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für das Kind zu beachten. Die - auch teilweise - Entziehung der elterlichen Sorge ist daher nur bei einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, nämlich ziemlicher Sicherheit, verhältnismässig (BGH FamRZ 2019, 598 = FuR 2019, 345).

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Verfahrensfähigkeit und Vertretung des Kindes in Kindesschutz- und Vormundschaftsverfahren.

1. Ein 15-Jähriger ist in einem auf den vollständigen Entzug der elterlichen Sorge nach § 1666 BGB gerichteten Verfahren jedenfalls dann verfahrensfähig, wenn er zugleich einen Antrag gemäss § 1887 Abs. 2 S. 1 BGB auf Auswechslung des bestellten Ergänzungspflegers gestellt hat.
2. Die Verfahrensfähigkeit eines Minderjährigen umfasst auch das Recht, sich durch einen selbst bestellten Bevollmächtigten vertreten zu lassen.

OLG Hamburg, Beschluss vom 10. Dezember 2020 - 7 WF 102/20

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Abwendung einer durch Rückführung eines behinderten Kindes in den mütterlichen Haushalt drohenden Kindeswohlgefährdung; Teilentzug der elterlichen Sorge.

Eine einen (Teil-)Entzug der elterlichen Sorge rechtfertigende Kindeswohlgefährdung im Sinne des §§ 1666, 1666a BGB ist jedenfalls für den Fall der von den Eltern alternativlos beabsichtigten Rückführung des schwerbehinderten Kindes aus einer Einrichtung in den mütterlichen Haushalt zu bejahen, wenn ihm dort nicht nur ein Verlust der derzeitigen - besseren - Fördermöglichkeiten in der Einrichtung droht, sondern darüber hinaus eine erhebliche Beeinträchtigung seines körperlichen und seelischen Wohlbefindens.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Dezember 2020 - 4 UF 177/20

Die beschwerdeführenden, getrennt lebenden Kindseltern wandten sich gegen den Beschluss des FamG, mit dem ihnen die Teilbereiche der elterlichen Sorge Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Antragstellung nach den Sozialgesetzbüchern entzogen und auf das Jugendamt übertragen worden sind. Bei dem betroffenen Kind wurden neben einer geistigen Behinderung ein kombinierter Entwicklungsrückstand und atypischer Autismus diagnostiziert. Das Kind lebte bei der aufgrund von Depressionen seelisch sehr belasteten Mutter. Eine dort installierte Sozialpädagogische Familienhilfe [SPFH] scheiterte wegen fehlender Kooperationsbereitschaft.

2018 hatten sich infolge einer Gefährdungsmitteilung Kindseltern und Jugendamt vor Gericht auf die Unterbringung des Kindes in einer nahegelegenen Tageseinrichtung verständigt. Nach weiteren Zwischenfällen wurde der Junge im Frühjahr 2019 unter der Woche in einer seinen Bedürfnissen angemessenen Einrichtung untergebracht; die Wochenenden verbrachte er bei der Kindsmutter. Ein Jahr später forderten die Eltern das Jugendamt zur Rückführung des Kindes auf, was zu einer erneuten Gefährdungsmeldung und der Einleitung eines sorgerechtlichen Eilverfahrens sowie des vorliegenden Hauptsacheverfahrens führte. Verfahrensbeistand und Jugendamt sprachen sich gegen eine Rückkehr in den mütterlichen Haushalt aus: Damit gehe eine Kindeswohlgefährdung einher; die Eltern seien nicht in der Lage, die gesundheitliche und entwicklungsbeeinträchtigte Lebenssituation ihres Sohnes richtig einzuschätzen. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens wurde den Eltern die elterliche Sorge teilweise entzogen. Mit der gleichen Argumentation traten Verfahrensbeistand und Jugendamt auch der Beschwerde der Kindseltern entgegen: Die Unterbringung in der Einrichtung sei gegenüber der Rückkehr in den Haushalt der Kindsmutter nicht zu bevorzugen, da sich diese uneingeschränkt und bedarfsgerecht um den Sohn kümmern könne.

Das OLG hat die Beschwerde zurückgewiesen. Die entsprechenden Teilbereiche der elterlichen Sorge seien zu Recht entzogen worden. Die weitere Ausübung dieser Teilbereiche, gemeinsam oder jeweils einzeln durch die Kindeseltern, würde das Wohl des Kindes gefährden, da die Eltern ihr Kind aktuell und perspektivisch nicht bedarfsgerecht versorgen und erziehen können. Die alternativlos beabsichtigte Rückführung in den mütterlichen Haushalt hätte eine Kindeswohlgefährdung zur Folge, da das Kind nicht nur die besseren Fördermöglichkeiten verlieren, sondern auch eine erhebliche Beeinträchtigung seines körperlichen und seelischen Wohlbefindens erleiden würde. Der Verlust der Bezugspersonen und Mitschüler, des strukturierten Tagesablaufs sowie der gewohnten Örtlichkeiten stelle aufgrund der Autismus-Spektrums-Störung eine dem Kindeswohl abträgliche, enorme Belastung dar.

Gerade die so notwendige Struktur habe in dem mütterlichen Haushalt immer gefehlt, die Kindsmutter sei aufgrund der Depression häufig überlastet, bagatellisiere dies jedoch, und überschätze die eigenen Kräfte. Dieses Problem könne auch nicht durch die Unterstützung durch Dritte behoben werden. Die einzig zur Verfügung stehende ältere Schwester beginne in Kürze eine Ausbildung; der Kindsvater habe aufgrund seiner neu gegründeten Familie und der beruflichen Selbstständigkeit keine relevanten zeitlichen Ressourcen und Hilfe des Jugendamtes werde aufgrund des gescheiterten Vertrauensverhältnisses nicht mehr angenommen. Durch den Teilentzug der elterlichen Sorge könne das Kind gerade vor den ihm bei Rückkehr in den mütterlichen Haushalt drohenden Gefahren geschützt werden.

Hinweis
Die Rückführung eines nicht mehr in dem elterlichen Haushalt lebenden Kindes muss aufgrund von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG immer eine Option bleiben. Eine Trennung von Eltern und Kindern stellt den stärksten Eingriff in das Elternecht auf Pflege und Erziehung dar, unterliegt strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle, und ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen. Sie darf daher nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit erfolgen. Begehren die Eltern eines bereits nicht mehr im Haushalt lebenden Kindes die Rückführung, sind sowohl an die Kindeswohl- als auch an die Verhältnismässigkeitsprüfung spezifische Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG FamRZ 2014, 1266). Danach sind auch die neu gewachsenen Bindungen des Kindes besonders wichtige Faktoren.

Vorliegend war der Junge zwar erst ein Jahr in der Einrichtung, als seine Eltern die Rückkehr verlangten; allerdings war dabei die schwerwiegende geistige Behinderung und insbesondere der Autismus des Kindes zu berücksichtigen. Deswegen haben sich die Bindungen und die Gewöhnung an die Umgebung und die Strukturen bereits deutlich schneller eingestellt, und eine Rückführung wäre bei ihm mit deutlich stärkerem Stress verbunden als bei Kindern ohne derartige Erkrankung. Hinzu kommen die für diese Bedürfnisse ungeeigneten Umstände bei der nicht mehr kooperationsbereiten Kindsmutter.

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Verfahrensfähigkeit und Beschwerdebefugnis eines 16-Jährigen bei Massnahmen nach § 1666 BGB.

1. Die Verfahrensfähigkeit Jugendlicher ab Vollendung des 14. Lebensjahres in ihre Person betreffenden Verfahren erfordert gemäss dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG die Geltendmachung konkret nach bürgerlichem Recht eingeräumter Widerspruchs- und Mitwirkungsrechte.
2. Rechtspositionen, die ihre Grundlage im Verfassungs-, Verwaltungs- oder Verfahrensrecht haben, genügen hierfür nicht. In Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohles nach § 1666 BGB ist die Verfahrensfähigkeit zu verneinen.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 16. Dezember 2020 - 4 WF 188/20

Die im Jahre 2004 geborene Antragstellerin war zunächst vom Jugendamt in einer Jugendwohngruppe untergebracht, und anschliessend in Obhut genommen worden. Seit Beendigung auch dieser Maßnahme hält sie sich bei ihrem volljährigen Freund auf. Nachdem sie anwaltlich vertreten beim FamG die Feststellung beantragt hatte, es bestehe kein Grund zu weiterer Veranlassung, so dass das Jugendamt alle weiteren Massnahmen (Inobhutnahme etc.) zu unterlassen habe, leitete das Gericht ein Verfahren nach § 1666 BGB ein, und wies den Antrag auf Bewilligung von VKH und Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zurück.

Die Beschwerde der nach § 60 FamFG beschwerdebefugten Antragstellerin wurde zurückgewiesen, weil sie zwar gemäss § 7 Abs. 2 Nr. 1 iVm § 8 Nr. 1 Alt. 1 FamFG Muss-Beteiligte und damit beteiligtenfähig, jedoch nicht nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG verfahrensfähig war. Verfahrensfähig sind auch die nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähigen, soweit sie das 14. Lebensjahr vollendet haben, und in einem Verfahren, das ihre Person betrifft, ein ihnen nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend machen. Die Antragstellerin mache in dem Verfahren nach § 1666 BGB kein ihr nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend; eine Betroffenheit in eigenen Rechten genüge dafür nicht. Auch aus der Möglichkeit, die Einleitung eines Verfahrens anzuregen, über dessen Eröffnung das Gericht nach § 24 FamFG von Amts wegen zu entscheiden habe, folge nicht, dass es sich um ein subjektives Recht iSd § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG handele.

Die Verfahrensfähigkeit nach dieser Vorschrift sei zu verneinen, wenn ein Jugendlicher Rechtspositionen geltend mache, die ihre Grundlage im Verfassungs-, Verwaltungs- oder Verfahrensrecht haben. Die Ausübung des staatlichen Wächteramtes in Sorgerechtssachen wegen Kindeswohlgefährdung nach §§ 1666, 1666a BGB betreffe solche Rechtspositionen, und nicht konkrete subjektive Abwehrrechte.

Hinweise
1. Der scheinbare Widerspruch, dass die Antragstellerin einerseits beschwerdebefugt, aber andererseits nicht verfahrensfähig ist, erklärt sich durch die unterschiedliche Formulierung von § 60 FamFG und § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG. Kinder, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, können in allen ihren Personen betreffenden Angelegenheiten das Beschwerderecht ausüben. Die Verfahrensfähigkeit setzt ausserdem voraus, dass das Kind ein ihm nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend macht. Ob dies für Verfahren nach § 1666 BGB zutrifft, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird angenommen, dass die Verfahrensfähigkeit in allen Kindschaftssachen anzunehmen ist (OLG Braunschweig InfAuslR 2016, 367). Teilweise wird die Verfahrensfähigkeit jedenfalls dann bejaht, wenn in Verfahren nach § 1666 BGB die Pflicht der Eltern, gemäss § 1626 Abs. 1 S. 1 BGB für das Kind zu sorgen (OLG Schleswig FamRZ 2019, 1700), oder das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung nach § 1631 Abs. 2 BGB (OLG Hamburg FamRZ 2018, 105) geltend gemacht werden. Nach anderer Ansicht, der auch das OLG Frankfurt vorliegend gefolgt ist, ist die Verfahrensfähigkeit eines Kindes, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, in Verfahren nach § 1666 BGB nicht gegeben (OLG München FamRZ 2019, 1706).

2. Die Rechtsbeschwerde ist beim BGH unter dem Az. XII ZA 1/21 anhängig.

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Vorläufige Entziehung wesentlicher Teile des Sorgerechts.

Die vorläufige Entziehung wesentlicher Teile des Sorgerechts ist gerechtfertigt, wenn erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Gefährdung der seelischen Gesundheit des Kindes bereits eingetreten ist, und beide Eltern - die Mutter infolge einer psychischen Erkrankung, der Vater jedenfalls wegen andauernder Inhaftierung - ihren Versorgungs- und Erziehungsaufgaben nicht nachkommen können.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 20 UF 146/20

Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war die vorläufige Regelung des Sorgerechts für das Kind L. M. Das FamG hatte in dem Hauptsacheverfahren zur Vorbereitung der Entscheidung ein psychiatrisches Gutachten zur Abklärung der Frage eines Betäubungsmittelmissbrauchs durch die Mutter, und ein Gutachten zur Abklärung einer psychischen Erkrankung der Mutter in Auftrag gegeben. L. wurde am 09.10.2020 in Obhut genommen. Das FamG hat den Eltern ohne mündliche Verhandlung das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten, das Umgangsbestimmungsrecht sowie das Recht zur Beantragung öffentlicher Leistungen für ihren Sohn L. entzogen und im Umfang der Entziehung Ergänzungspflegschaft angeordnet. Der teilweise Sorgerechtsentzug wurde nach mündlicher Verhandlung mit Beschluss vom 16.11.2020 aufrechterhalten.

Bei L. sei zumindest von einer Kindeswohlgefährdung auszugehen. Die Mutter neige zu erheblichen Impulsdurchbrüchen, auch körperlicher Art. Zwischen L. und der Mutter sei es im Juni 2020 zu einer häuslichen Auseinandersetzung gekommen, bei der die Mutter L. mit einem Küchenmesser bedroht und möglicherweise auch verletzt habe. L. habe daraufhin um seine Inobhutnahme gebeten und mitgeteilt, es käme seit rund 1½ Jahren zu körperlichen und verbalen Übergriffen der Mutter. In der Folgezeit habe L. für drei Wochen nicht im Haushalt der Mutter gelebt. Die Instabilität der Mutter werde insbesondere durch die fachärztliche Expertise des Sachverständigen dokumentiert. Auch dem Vater sei das Sorgerecht teilweise zu entziehen; er sei seit Februar 2019 in der Familie nicht mehr präsent, und es bestehe nahezu kein Kontakt zu den Kindern. Seine Haftentlassung stehe zwar an; aufgrund des dysfunktionalen Familiensystems müsse im Falle einer Ausübung des Sorgerechts durch den Vater jedoch von einer Kindeswohlgefährdung ausgegangen werden.

Die Beschwerde der Mutter hatte keinen Erfolg: Zu Recht habe das FamG ihr gemäss §§ 1666, 1666a BGB, § 49 FamFG im Wege der einstweiligen Anordnung Teile des Sorgerechts für ihren Sohn L. entzogen.

» Ein Eingriff in die Personensorge setzt nach §§ 1666, 1666a BGB das Vorliegen einer erwiesenen Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Kindeswohls voraus und den Umstand, dass die Eltern nicht bereit oder nicht in der Lage sind, diese Gefahr von ihrem Kind abzuwenden. Da Eltern gemäss Art. 6 GG die primäre Entscheidungszuständigkeit in Belangen ihrer Kinder zusteht, ist der Staat nicht bei jedem Versagen oder jeder Nachlässigkeit der Eltern berechtigt, den Eltern die Pflege und Erziehung ihrer Kinder zu entziehen. Es gehört nicht zur Ausübung des staatlichen Wächteramtes, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung ihrer Kinder zu sorgen. Vielmehr zählen die Eltern und deren sozioökonomischen Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes. Ein Eingriff in das Sorgerecht der Eltern erfordert daher eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefährdung des Kindeswohls. Die Gefahr muss in einer solchen Masse vorhanden sein, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Die konkrete Gefährdung als Voraussetzung eines Eingriffs ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände festzustellen. Dabei muss die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Gefährdung auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt (vgl. BGH FamRZ 2019, 598 = FuR 2019, 345).

Einstweilige Anordnungen können gemäss § 49 FamFG ergehen, wenn sie nach den für das Rechtsverhältnis massgebenden Vorschriften gerechtfertigt sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges gerichtliches Einschreiten besteht. In Kindschaftssachen besteht ein dringendes Bedürfnis zu sofortigem, einstweiligen Einschreiten, wenn eine Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die den Beteiligten entstehen, wenn die einstweilige Anordnung unterbleibt, obwohl die Gefahrenlage besteht, schwerer wiegen als die Nachteile, die durch eine vorläufige Maßnahme eintreten können, die trotz fehlender Gefahrenlage ergeht. Bei der erforderlichen Abwägung ist insbesondere die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und dessen Ausmaß zu berücksichtigen. Im Eilverfahren bleiben die möglichen Aufklärungsmöglichkeiten in der Regel hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurück. Trotzdem ist ein Sorgerechtsentzug im Eilverfahren nicht ausgeschlossen. Allerdings muss die Tatsachengrundlage des Eingriffs umso gesicherter sein, je schwerer die auferlegte Belastung wiegt, und je unabänderlicher sie ist (vgl. BVerfG FamRZ 2014, 907; 2018, 1087). «

Nach diesem Maßstab habe das AmtsG der Mutter im Ergebnis zu Recht vorläufig Teile des Sorgerechts entzogen: Es bestünden hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer gegenwärtig nur durch einen vorläufigen Sorgerechtsentzug abwendbaren Kindeswohlgefährdung.

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Kindesschutzrechtliches Eilverfahren; dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden bei lebensbedrohlicher Verletzung eines Säuglings.

1. Ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden setzt voraus, dass ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht möglich ist, weil diese zu spät käme, um die zu schützenden Interessen (hier: das Kindeswohl) zu wahren. Nicht ausreichend ist, dass die Entziehung des Sorgerechts dem Kindeswohl 'am besten entsprechen' würde; vielmehr muss das Kindeswohl ohne den Sorgerechtsentzug nachhaltig gefährdet sein.
2. Hat der bereits eingetretene Schaden zu lebensbedrohlichen Verletzungen eines Säuglings geführt, sind an die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Schadenseintritts nur geringere Anforderungen zu stellen.

OLG Köln, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 14 UF 162/20

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Einleitung von Schutzmassnahmen für das Kind in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung; Verfahren zur Vollstreckung einer Umgangsregelung; neu hinzugetretene Umstände zur Wahrung des Kindeswohles; Umfang des eingeschränkten rechtlichen Gehörs im einstweiligen Anordnungsverfahren.

1. In einem Verfahren zur Vollstreckung einer Umgangsregelung sind neu hinzutretende Umstände zur Wahrung des Kindeswohls nur dann beachtlich, wenn sich daraus triftige, das Kindeswohl nachhaltig berührende Gründe ergeben und hierauf ein zulässiger Antrag auf Abänderung des Ausgangstitels gestützt ist. Da die Abänderung auch von Amts wegen erfolgen kann, ist es auch ausreichend, dass eine Einstellung der Vollstreckung von Amts wegen geboten und die Umstände dem Gericht mitgeteilt werden.
2. Ein eingeschränktes rechtliches Gehör im einstweiligen Anordnungsverfahren kann es rechtfertigen, bei der Entscheidung über die Verhängung des Ordnungsmittels das Kindeswohl einzubeziehen.

OLG Hamburg, Beschluß vom 9. Februar 2021 - 12 WF 11/21

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Inobhutnahme eines Kindes durch das Jugendamt; Beschwerdeberechtigung gegen eine familiengerichtliche Entscheidung mit Absehen von Massnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB.

Das Jugendamt, welches das Kind in Obhut genommen hat, ist gegen eine familiengerichtliche Entscheidung, durch die von Massnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB abgesehen worden ist, nicht beschwerdeberechtigt, wenn es nicht zugleich das nach § 162 Abs. 1 S. 1 FamFG anzuhörende Jugendamt ist.

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29. März 2021 - 6 UF 46/21

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Eilverfahren wegen Kindeswohlgefährdung; Rechtswegzuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit für die Überprüfung coronabedingter Massnahmen der öffentlichen Verwaltung in Schulen; fehlende Anordnungskompetenz des Familiengerichts gegenüber der Schulbehörde; Rechtswegverweisung bei von Amts wegen einzuleitenden Verfahren.

1. Für die gerichtliche Überprüfung coronabedingter Massnahmen der öffentlichen Verwaltung (hier: Maskenpflicht, Distanzgebot, Corona-Testpflicht in Schulen) besteht keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit.
2. Gerichtliche Massnahmen bei Gefährdung des Kindeswohles gegenüber «Dritten» nach § 1666 Abs. 4 BGB erfassen nicht Massnahmen gegenüber Trägern staatlicher Gewalt. Daher besteht keine Anordnungskompetenz des Familiengerichts gegenüber der Schulbehörde oder einzelnen Lehrern.
3. Bei von Amts wegen einzuleitenden Verfahren und Anregungen auf ein Einschreiten vom Amts wegen kommt eine Rechtswegverweisung (hier: an die Verwaltungsgerichtsbarkeit) nicht in Betracht.

OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. April 2021 - 9 WF 342/21 und 9 WF 342/21

Die Eltern eines 15 Jahre alten Jugendlichen wandten sich an das AmtsG mit der «Anregung», ein Eilverfahren «von Amts wegen» gemäss § 1666 BGB gegen die Schule wegen Gefährdung des Wohles ihres Sohnes und aller weiteren Schulkinder aufgrund der Anordnung der Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und zur Wahrung räumlicher Distanz zu eröffnen, die Rechtmässigkeit der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmassnahmenverordnung (12. BayIfSMV) zu überprüfen, und das Infektionsschutzgesetz gemäss Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG vorzulegen. Die schulinternen bzw. staatlichen Anordnungen verstiessen gegen die UN-Kinderrechtskonvention, die EMRK (Art. 8), sowie das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10.12.1984. Die Eltern beriefen sich auf angebliche wissenschaftliche Erkenntnisse.

Das AmtsG hat mit einer einstweiligen Anordnung den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt, und das Verfahren an das Verwaltungsgericht verwiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Eltern wurde kostenpflichtig (Verfahrenswert: 2.000 €) mit der Massgabe zurückgewiesen, dass die Verweisung an das Verwaltungsgericht aufgehoben, und das Verfahren eingestellt wurde. Die zugelassene Rechtsbeschwerde liegt unter dem Az. XII ZB 223/21 inzwischen dem BGH vor (s. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. April 2021 - 9 WF 342/21 - anhängig BGH XII ZB 224/21).

Der Rechtsweg zum FamG sei nicht zulässig (§§ 13, 17a Abs. 2 GVG); eröffnet sei allein der Verwaltungsrechtsweg (§ 40 Abs. 1 VwGO) für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, soweit diese nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Bei dieser in eine Anregung auf Erlass kinderschutzrechtlicher Massnahmen nach § 1666 Abs. 1 und 4 BGB verpackten Anregung handele es sich in Wahrheit um eine Art Normenkontrollklage, denn es werde die Aufhebung aller betreffenden Vorschriften und der darauf beruhenden behördlichen Anordnungen begehrt. Die Streitigkeit sei rein öffentlich-rechtlicher Natur; sie betreffe das Verhältnis zwischen Eltern bzw. ihren Kindern als Bürger und dem Staat, hier in Gestalt der Schulverwaltung und der dieser übergeordneten Behörden. Ein Bundesgesetz, das die Streitigkeit der Beschwerdeführer den Familiengerichten zuweist, existiere nicht.

Zwar könne das FamG nach § 1666 Abs. 4 BGB in Angelegenheiten der Personensorge auch Massnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen. Abgesehen davon, dass es vorliegend bereits an jedweder substantiierten, individualisierten Darlegung einer konkreten Kindeswohlgefährdung fehle, meine das Gesetz mit dem «Dritten» natürliche Personen und andere private Rechtsträger, nicht aber Behörden, Regierungen und sonstige Träger staatlicher Gewalt. Es könne die Parallele gezogen werden zu dem Verhältnis zwischen FamG und Jugendamt, in dem mangels Rechtsgrundlage dem FamG keine Anordnungskompetenz zukomme: Die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen des Jugendamtes über die Gewährung öffentlicher Hilfen obliege de lege lata den Verwaltungsgerichten (BVerfG FamRZ 2014, 1005; 2014, 1266; OLG Nürnberg FamRZ 2015, 1211).

Allerdings komme eine Rechtswegverweisung nach § 17a Abs. 2 S. 1 GVG nicht in Betracht, wenn ein Verfahren nicht antragsabhängig ist, sondern es sich um ein nur von Amts wegen einzuleitendes Verfahren handelt (BT-Dr. 16/6308 S. 318, OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 764, 765). Durch eigenständige Entschliessung eingeleitete Amtsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind bei Unzulässigkeit einzustellen, und dürfen nicht einem anderen Gericht «aufgedrängt» werden.

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Rechtswegverweisung nach blosser Anregung auf Einleitung eines familiengerichtlichen Verfahrens.

Durch eine Anregung auf Einleitung eines familiengerichtlichen Verfahrens wird noch kein Verfahrensrechtsverhältnis begründet, das einer Rechtswegverweisung nach § 17a Abs. 2 S. 1 GVG zugänglich wäre; es sind lediglich Vorermittlungen einzuleiten. Ergibt die Prüfung, dass kein Anlass für die Einleitung eines Verfahrens besteht, sind die Ermittlungen einzustellen.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. April 2021 - 20 WF 70/21

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Fehlende Zuständigkeit der Familiengerichte für die Überprüfung infektionsschutzrechtlicher Regelungen an Schulen (hier: Maskenpflicht).

1. Der Erlass von gegen die Schulleitung bzw. die Lehrkräfte gerichteten Anordnungen zur Aufhebung infektionsschutzrechtlicher Massnahmen (Maskenpflicht, Abstandsgebot, Verpflichtung zu Schnelltests) fällt nicht in den Kreis der nach § 1666 BGB eröffneten Massnahmen; dafür ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
2. Für von Amts wegen einzuleitende Verfahren greift nicht § 17a Abs. 2 GVG, so dass auch keine Verweisung an das Verwaltungsgericht erfolgt.
3. Lehnt das Gericht die Einleitung eines Verfahrens nach § 24 FamFG ab, so ist ausnahmsweise die Beschwerde nach §§ 58 ff FamFG eröffnet, wenn die Nichteinleitung des Verfahrens den Anregenden in eigenen subjektiven Rechten betrifft.

OLG Frankfurt, Beschluss vom 5. Mai 2021 - 4 UF 90/21

Mit an das FamG gerichtetem Schreiben regten die Eltern des im Jahre 2011 geborenen Kindes an, von Amts wegen ein Verfahren gemäss § 1666 Abs. 1 und 4 BGB zu eröffnen mit dem Ziel, die Lehrkräfte und die Schulleitung Schule zur Aufhebung der an der Schule geltenden Maskenpflicht und der geltenden Abstandsregelungen anzuweisen. Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das AmtsG die Eröffnung eines Sorgerechtsverfahrens nach § 1666 BGB ab.

Das OLG hat die zulässige Beschwerde als nicht begründet erachtet: Es fehle bereits an der Zuständigkeit des FamG für den Erlass der begehrten Massnahmen. In Verfahren nach § 1666 BGB erlaube § 1666 Abs. 4 BGB den FamGen, in Angelegenheiten der Personensorge auch Anordnungen gegenüber Dritten zu treffen, um dem FamG die Möglichkeit zu eröffnen, gegen Kindeswohl gefährdende Dritte vorgehen zu können, ohne dass ein Umweg über das Zivilrecht gegangen werden muss. Anhaltspunkte für eine solche individuelle Kindeswohlgefährdung, der durch familiengerichtliche Massnahmen zu begegnen wäre, lägen nicht vor. Der vorliegend angestrebte Erlass von gegen die Schulleitung bzw. die Lehrkräfte gerichteten Anordnungen zur Aufhebung infektionsschutzrechtlicher Massnahmen (Maskenpflicht, Abstandsgebot, Verpflichtung zu Schnelltests) falle nicht in den Kreis der nach § 1666 BGB eröffneten Massnahmen; insoweit fehle es bereits an einer Weisungsbefugnis des FamG gegenüber Hoheitsträgern wie dem Jugendamt. FamGe seien nicht befugt, Schulbehörden bzw. einzelne Schulen zu einem Handeln zu verpflichten. Für die Überprüfung dieser Anordnungen und der länderrechtlichen Infektionsschutzregelungen als öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art nach § 40 VwGO sei vielmehr die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte eröffnet, da sie nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.

Eine Verweisung an das VG war nicht veranlasst, da das AmtsG von der Einleitung eines Verfahrens abgesehen hat, und § 17a GVG für von Amts wegen einzuleitende Verfahren nicht greift.

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Keine familiengerichtliche Untersagung von Maskenpflicht an Schulen.

1. Für die gerichtliche Überprüfung coronabedingter Massnahmen der öffentlichen Verwaltung (hier: Maskenpflicht, Distanzgebot, Corona-Testpflicht in Schulen) besteht keine Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit.
2. Trifft ein FamG eine einstweilige Anordnung ohne mündliche Verhandlung, ohne zuvor über eine Rüge des Rechtsweges zu entscheiden, so ist hiergegen die sofortige Beschwerde gemäss § 17a Abs. 4 S. 3 GVG statthaft.
3. Allgemeinverfügungen eines Familiengerichts im Sinne einer Anordnung gegen an dem Verfahren nicht beteiligte Personen kommen schon deswegen nicht in Betracht, weil Allgemeinverfügungen - wie sie das Verwaltungsrecht kennt - dem System des Familienrechts fremd sind.
4. Dritte im Sinne von § 1666 Abs. 4 BGB sind nicht Behörden, Regierungen und sonstige Träger staatlicher Gewalt. Familiengerichte sind daher nicht befugt, andere staatliche Behörden in ihrem Tun oder Unterlassen anzuweisen, denn dies würde einen Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip bedeuten.
5. Die gerichtliche Kontrolle des Handelns der Schulbehörden - auch hinsichtlich von Gesundheitsschutzmassnahmen in den jeweiligen Schulen - obliegt allein den Verwaltungsgerichten.

OLG Thüringen, Beschluss vom 14. Mai 2021 - 1 UF 136/21

Hinweis
Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluß des 1. Familiensenats des Oberlandesgerichts Thüringen vom 14. Mai 2021 auf Kosten der weiteren Beteiligten zu 2) und zu 3) mit Beschluß vom 3. November 2021 (FamRZ 2022, 189 = FuR 2022, 155 = NJW-RR 2022, 217 = FF 2022, 68) zurückgewiesen.

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Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils; Sorgerechtsvollmacht im Verfahren nach § 1666 BGB; Übertragung des Sorgerechts als kinderschutzrechtliche Maßnahme.

1. Auch in Verfahren nach §§ 1666 ff BGB kann die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils eine Übertragung des Sorgerechts - als kinderschutzrechtliche Maßnahme - ganz oder teilweise entbehrlich machen.
2. In der mehrfach ausgedrückten Ablehnung der Fremdunterbringung des Kindes durch einen Elternteil kann nicht ohne weiteres auch der vollständige oder teilweise Widerruf einer dem anderen Elternteil umfassend erteilten Sorgerechtsvollmacht gesehen werden.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Mai 2021 - 20 UF 18/21

Das verfahrensbeteiligte Mädchen, das nach den mitgeteilten Daten wohl 12 oder 13 Jahre alt ist, lebt bei seiner Mutter. Die Eltern haben ein Verfahren um das Sorgerecht geführt. Nachdem der Vater der Mutter eine - ausdrücklich widerrufliche - Sorgerechtsvollmacht erteilt hat, ist es damals bei dem gemeinsamen Sorgerecht geblieben. Die Familienverhältnisse sind insgesamt schwierig. Das Kind leidet an elektivem Mutismus, also an einer emotional bedingten psychischen Störung, bei der die sprachliche Kornmunikation stark beeinträchtigt ist. Sie verweigert den Schulbesuch, wirkt in sich gekehrt, müde, gestresst und belastet, und ihr droht die soziale Isolation. Die Mutter klagt über Depressionen, und macht meist einen passiven und resignierten Eindruck. Sie vermag sich nicht durchzusetzen; die Grosseltern mütterlicherseits erscheinen als dominant. Mit dem Vater spricht das Kind nicht.

Nachdem bereits verschiedene Hilfen versucht worden sind, strebt das Jugendamt an, das Mädchen in einer Wohngruppe unterzubringen, und in einem sonderpädagogischen Bildungszentrum zu beschulen; hierzu soll Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gewährt werden. Die Mutter hat dem zugestimmt; dagegen hat der Vater seine Zustimmung zu der Unterbringung in einer Wohngruppe ausdrücklich verweigert. Das FamG hat auf Anregung des Jugendamtes ein Eilverfahren eingeleitet, und dem Vater das Sorgerecht vorläufig entzogen. Diese Maßnahme hat es nach mündlicher Verhandlung aufrechterhalten; dagegen ist es dem Antrag des Jugendamtes, auch der Mutter Teilbereiche des Sorgerechts zu entziehen, nicht gefolgt. Der Vater wandte sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss, soweit ihm das Sorgerecht entzogen worden ist.

Die Beschwerde hatte Erfolg: Nachdem der Vater dem OLG auf Nachfrage erklärt hatte, dass er neben der Beschulung in dem sonderpädagogischen Bildungszentrum nunmehr auch der Aufnahme des Kindes in eine Wohngruppe zustimme, und dass er an der erteilten Sorgerechtsvollmacht festhalte, hat der Senat den angefochtenen Beschluss aufgehoben: Von vorläufigen Massnahmen zu der Abwendung einer Kindeswohlgefährdung werde abgesehen werde.

Das Wohl des Kindes sei zwar gefährdet; darauf müsse jedoch nur dann mit der Entziehung des Sorgerechts reagiert werden, wenn eine erteilte Sorgerechtsvollmacht nicht ausreiche. Sorgerechtsvollmachten komme in Verfahren nach § 1666 BGB dieselbe Bedeutung zu, die der BGH (BGHZ 225, 184 = FamRZ 2020, 1171 = FuR 2020, 532) solchen Vollmachten für die Entscheidung über das Sorgerecht nach § 1671 BGB zuerkannt habe.

Danach seien derzeit keine Massnahmen geboten. Eine Sorgerechtsvollmacht könne zwar nicht unwiderruflich erteilt werden, da das Elternrecht nicht disponibel sei; die bisher von dem Vater abgegebenen Erklärungen seien jedoch nicht als Widerruf der Vollmacht auszulegen. Zudem habe der Vater auf Nachfrage des OLG den Massnahmen zugestimmt und ausdrücklich erklärt, an der Vollmacht festzuhalten. Die abstrakte Gefahr eines Widerrufs der Vollmacht reiche nicht aus, um jetzt schon Massnahmen zu treffen; auf einen künftigen Widerruf könne zudem mit einer kurzfristig erlassenen einstweiligen Anordnung reagiert werden.

Hinweis
Das OLG hat diejenigen Grundsätze, die der BGH für die Bedeutung einer Vollmacht in dem Sorgerechtsstreit nach § 1671 BGB entwickelt hat, auf das Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung übertragen: In beiden Fällen komme es darauf an, ob die Vollmacht eine verlässliche und ausreichende Handhabe biete, um den Belangen des Kindes gerecht zu werden. Der Prüfungsmaßstab sei nicht viel anders, als wenn die Vollmacht nicht erteilt worden wäre. Massgeblich sei, ob die Zustimmung beider Eltern zu den notwendigen Kindesschutzmassnahmen als dauerhaft und verlässlich zu beurteilen seien. Wenn die Zustimmung beider Eltern nicht als verlässlich und beständig erscheine, namentlich wenn sich in dem Hauptsacheverfahren herausstellen solltet, dass das Kind gerade unter einem widersprüchlichen, streitbelasteten, als schwach und wechselhaft empfundenen Verhalten beider Eltern leidet, könne es erforderlich werden, beiden Eltern das Sorgerecht zu entziehen; dann werde dem weder die von dem Vater erteilte Vollmacht, noch die von der Mutter erklärte Zustimmung entgegenstehen.

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Anregung zur Einleitung eines Kinderschutzverfahrens; Coronaschutzmassnahmen; Kostenentscheidung bei substanzloser Anregung eines Kinderschutzverfahrens wegen behördlicher Corona-Massnahmen aufgrund eines Internetaufrufs.

1. War das Schreiben des Vaters eines betroffenen Kindes an das Amtsgericht als Anregung zur Einleitung eines Kinderschutzverfahrens formuliert, dann entscheidet das Gericht selbst, ob es ein Verfahren einleitet, oder dies unterlässt.
2. Formuliert die Anregung das Rechtsschutzziel dahingehend, dass die Massnahmen des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes etc. durch das Familiengericht beendet werden, und die Rechtmässigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften der Verordnung des Landes Bayern überprüft werden sollen, ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.
3. Übernimmt ein Elternteil aufgrund eines Aufrufs in Internet ein dort veröffentlichtes Muster zu einer substanzlosen Anregung für ein Kindesschutzverfahren wegen der von der Landesregierung angeordneten Corona-Massnahmen, so können dem Urheber dieses Aufrufs nicht die Kosten des Verfahrens auferlegt werden.
4. Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, sind nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG nicht zu erheben.

OLG München, Beschluss vom 1. Juni 2021 - 2 WF 528/21

Der Vater des betroffenen Kindes hatte die Einleitung eines Kindesschutzverfahren durch das FamG angeregt, da das körperliche, seelische und geistige Wohl seines Sohnes aufgrund des Tragens eines Mund- und Nasenschutzes und anderer Massnahmen gefährdet sei; dabei hat er ein aus dem Internet gezogenes Muster verwandt, das der Beschwerdeführer, ein ehemaliger Familienrichter, mit der Aufforderung veröffentlich hatte, unter Verwendung dieses Musters Eingaben bei den jeweiligen Familiengerichten zu machen. Das FamG hat daraufhin ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und ein Hauptsacheverfahren eingeleitet. Es hat für das Kind einen Verfahrensbeistand bestellt und Termin zur Anhörung im einstweiligen Anordnungsverfahren anberaumt, zu dem das Kind, der Verfahrensbeistand, das Jugendamt und die Eltern geladen worden waren. Die hierdurch erstmals mit dem Antrag konfrontierte alleinsorgeberechtigte Mutter wandte sich gegen die Durchführung des Verfahrens und die Anhörung des Kindes. Die Anregung des Vaters sei substanzlos, zumal er ein vorgefertigtes Schreiben aus dem Internet übernommen und an das FamG gesandt habe.

Der Vater hat daraufhin seine Anregung zurückgenommen. Die Verfahrensbeiständin erstattete noch einen ausführlichen Bericht, in dem sie ausführte, dass bei dem Kind keine gesundheitlichen oder psychische Auswirkungen durch das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes bemerkt worden seien. Das FamG hat daraufhin die Kosten des Verfahrens einschliesslich der gerichtlichen Auslagen des Hauptverfahrens und des Eilverfahrens dem Beschwerdeführer als nicht beteiligtem Dritten gemäss § 81 Abs. 4 FamFG auferlegt: Dieser habe das Tätigwerden des Gerichts veranlasst, da er ein bis ins Detail ausgearbeitetes Muster einer entsprechenden Anregung zur Verbreitung zur Verfügung gestellt habe, ohne das es nicht zu den betreffenden Verfahren gekommen wäre. Dieses Vorgehen sei auch grob schuldhaft, da er den Eindruck vermittelt habe, die FamGe seien befugt, derartige Anordnungen zu erlassen. Die Überprüfung der fraglichen Anordnung sei jedoch den Verwaltungsgerichten vorbehalten. Eine dennoch ergangene Entscheidung des FamG wäre offensichtlich rechtswidrig gewesen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde. Das OLG hat den Beschluss des FamG aufgehoben.

Das Schreiben des Beschwerdeführers sei als Anregung zu der Einleitung eines Kinderschutzverfahrens formuliert gewesen. Gemäss § 24 Abs. 1 FamG entscheide ein FamG selbst, ob es auf die Anregung hin ein Verfahren einleite oder nicht. Eine Pflicht zur Einleitung des Verfahrens folge nicht aus der Anregung, sondern allein aus sachlichem Grund. In der Anregung des Vaters sei das Rechtsschutzziel dahingehend formuliert worden, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes durch das FamG beendet, und die Rechtmässigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften der Verordnung des Landes Bayern überprüft werden solle. Wie das FamG zu Recht festgestellt habe, sei der Rechtsweg zu den Familiengerichten insoweit nicht eröffnet: Inhalt der Anregung sei nämlich keine konkrete Gefährdung des Kindeswohles gewesen, sondern die allgemeine Überprüfung der infektionsschutzrechtlichen Massnahmen der Landesregierung. Dies obliege aber alleine den Verwaltungsgerichten.

Daher habe für das FamG auch nach seiner eigenen Rechtsauffassung keine Veranlassung zu der Einleitung eines solchen Verfahrens bestanden, schon gar nicht zur Einleitung zweier Verfahren (Haupt- und Eilverfahren). Die entstandenen Kosten würden daher nicht auf dem Verhalten des Beschwerdeführers beruhen, sondern auf der Entscheidung des FamG. Die Kosten seien auch nicht den Eltern aufzuerlegen: Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG seien Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Der Rechtsgedanke dieser Vorschrift könne im Rahmen der Kostengrundentscheidung entsprechend herangezogen werden. Die Festsetzung des Verfahrenswertes auf 800 € beruhe auf §§ 40, 42 FamGKG, und orientiere sich an dem Interesse des Beschwerdeführers, das in Höhe der entstandenen Kosten bestehe.

Hinweis
Wie viele andere Gerichte hat das FamG auch hier falsch reagiert. Ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung ist von Amts wegen einzuleiten; das Gericht hat also zunächst einmal zu prüfen, ob die Anregung Anlass gibt, ein Verfahren von Amts wegen einzuleiten. Wird dies verneint, was hier hätte geschehen müssen, ist das «Anregungsverfahren» kostenfrei. Erst mit Einleitung eines Verfahrens von Amts wegen wird eine Gerichtsgebühr ausgelöst. Die Vorprüfung, ob auf eine Anregung hin etwas zu veranlassen ist, ist dagegen gerichtsgebührenfrei. Hätte das FamG richtig reagiert, und hätte es von vornherein abgelehnt, ein Verfahren von Amts wegen einzuleiten, dann wären gar keine Kosten angefallen.
Auch die Festsetzung des Verfahrenswertes war unzulässig. In einem isolierten Beschwerdeverfahren gegen eine Kostenentscheidung entsteht eine Festgebühr in Höhe von 66 €, und das auch nur, wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder verworfen wird (Nr. 1912 FamGKG KV). Wird aber bei Gericht keine wertanhängige Gebühr erhoben, dann ist auch kein Verfahrenswert festzusetzen. Hier hätte lediglich auf Antrag nach § 33 RVG ein Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit festgesetzt werden dürfen; dieser hätte sich dann aber auch nicht nach dem FamGKG gerichtet, sondern nach § 23 Abs. 2 RVG. Massgebend wäre hier in der Tat dann das Kosteninteresse des Beschwerdeführers gewesen.

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Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohles; verfahrensfehlerhafte Unterlassung der Bestellung eines Verfahrensbeistandes in Sorgerechtsverfahren.

BGB § 1666; FamFG § 158

1. Zieht das Gericht einen gemäß § 7 FamFG notwendig an dem Verfahren zu Beteiligenden (hier: Verfahrensbeistand) fehlerhaft nicht hinzu, ist diesem gegenüber noch keine Entscheidung in der Sache getroffen worden, insbesondere ist das dann der Fall, wenn die gesetzlich notwendige Bestellung eines Verfahrensbeistands unterblieben ist.
2. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands in Verfahren nach §§ 1666, 1666 BGB ist in der Regel erforderlich, wenn die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht kommt. Als Beteiligte sind diejenigen hinzuzuziehen, die aufgrund des FamFG von Amts wegen zu beteiligen sind. Der Verfahrensbeistand wird durch seine Bestellung zu dem Verfahren hinzugezogen.
3. Verfahren nach § 1666 und § 1666a BGB können erhebliche Auswirkungen auf den Lebensweg eines Kindes haben, insbesondere, wenn der Vorwurf des Fehlverhaltens eines Elternteils im Raume steht. In solchen Konfliktsituationen ist das Kind auf die Unterstützung durch eine dritte unabhängige Person angewiesen; wegen der Schwere des Eingriffs darf daher nur in begrenzten Ausnahmefällen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands abgesehen werden.

OLG Frankfurt, Beschluß vom 8. Juni 2021 - 6 UF 79/21

Tenor
1. Der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Dieburg vom 31.03.2021 (54 F 180/21) wird einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens - an das Amtsgericht - Familiengericht - Dieburg zurückverwiesen.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 € € festgesetzt.
4. Der Kindesmutter wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. bewilligt.

Gründe
I. Die Kindesmutter wendet sich gegen die Entziehung von Teilen des Sorgerechts für ihre 16-jährige Tochter T.

Die betroffene Jugendliche ist aus der Ehe der Kindesmutter mit Herrn A. hervorgegangen. Sie lebte zuletzt seit einem Aufenthalt in der Psychiatrie im Jahre 2017 in dem Haushalt des Kindesvaters; zu der Mutter bestand Kontakt, seit Frühjahr 2020 auch wieder mit Übernachtungen. Nach dem Tode des Kindesvaters kehrte T. zunächst in den Haushalt der Kindesmutter zurück. Der Bruder des Kindesvaters ist zum Nachlaßverwalter bestellt worden. Das Verhältnis der Kindesmutter zu dem Bruder des Kindesvaters und dessen Ehefrau ist konfliktbehaftet: Die Kindesmutter ist der Auffassung, daß diese ihre Tochter gegen sie beeinflussen.

T. wandte sich am 22. März 2021 mit dem Wunsch, in ein betreutes Wohnen zu ziehen, an das Jugendamt; dieses schlug eine Unterstützung in Form einer Einzelfallhilfe gemäß § 35 SGB VIII vor, für die die Kindesmutter keine Notwendigkeit sah. Auf den hierauf von dem Jugendamt gestellten Eilantrag, die Zustimmung der Kindesmutter für die Einzelfallhilfe zu ersetzen, hat das Amtsgericht - Familiengericht - Dieburg Termin auf den 31. März 2021 anberaumt, und die Kindesmutter, das Jugendamt sowie die betroffene Jugendliche angehört; einen Verfahrensbeistand für T. hat es nicht bestellt. T. hat sich vehement gegen einen Verbleib in dem Haushalt der Mutter ausgesprochen, und angegeben, mit Hilfe ihres Onkels eine eigene Wohnung gefunden zu haben. Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf das Protokoll der Sitzung vom 31. März 2021 Bezug genommen.

Mit dem angefochtenen Beschluß, der der Kindesmutter am 7. April 2021 zugestellt worden ist, hat das Amtsgericht der Kindesmutter gemäß §§ 1666, 1666a BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Antragstellung nach dem SGB VIII entzogen und auf das Jugendamt als Pfleger übertragen.

Hiergegen wendet sich die Kindesmutter mit ihrer am 20. April 2021 zunächst ohne anwaltliche Vertretung erhobenen Beschwerde. Sie macht unter anderem geltend, daß ihre Tochter sich bei der Anhörung in einem pathologischen körperlichen und seelischen Zustand befunden, und das Gericht die Anhörung mit stark emotionalen Herausforderungen für eine Minderjährige zugelassen habe. Sie geht von einer Beeinflussung durch Dritte aus, und vermutet, daß die Mitarbeiterin des Jugendamtes die Tante väterlicherseits persönlich kennt. Mit Schriftsatz vom 28. April 2021 führt ihr Verfahrensbevollmächtigter aus, daß T. bereits vor dem Tode des Vaters in den Haushalt der Mutter zurückgekehrt sei, die sich um das Wohl der Tochter gesorgt, und sie täglich zur Schule gebracht sowie wieder abgeholt habe. Die Angaben der Jugendlichen in der Anhörung habe deren betreuender Psychologe kaum fassen können. Das Jugendamt verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II. Die gemäß § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kindesmutter hat insoweit vorläufigen Erfolg, als die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des zugrunde liegenden Verfahrens gemäß § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG an das Familiengericht zurückzuverweisen ist, weil die notwendige Bestellung eines Verfahrensbeistands unterblieben ist. Es liegt noch keine abschließende Entscheidung in der Sache vor, weil das Amtsgericht es entgegen § 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG verfahrensfehlerhaft versäumt hat, einen Verfahrensbeistand zu bestellen, und diesen an dem Verfahren zu beteiligen. Zieht das Gericht einen gemäß § 7 FamFG notwendig an dem Verfahren zu Beteiligenden fehlerhaft nicht hinzu, ist diesem gegenüber noch keine Entscheidung in der Sache getroffen worden (Senatsbeschluß FamRZ 2021, 776 mwN). Das ist insbesondere auch dann der Fall, wenn die gesetzlich notwendige Bestellung eines Verfahrensbeistands unterblieben ist (OLG Brandenburg FamRB 2012, 343; OLG Rostock FamRZ 2014, 2020; OLG Hamm FamRZ 2018, 456).

Gemäß § 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung eines Verfahrensbeistands in Verfahren nach §§ 1666, 1666 BGB in der Regel erforderlich, wenn die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht kommt. Gemäß § 7 Abs. 2 FamFG sind als Beteiligte diejenigen hinzuzuziehen, die aufgrund des FamFG von Amts wegen zu beteiligen sind. Gemäß § 158 Abs. 3 S. 2 FamFG wird der Verfahrensbeistand durch seine Bestellung zum Verfahren hinzugezogen.

Das Amtsgericht hätte in dem vorliegenden Verfahren einen Verfahrensbeistand für T. bestellen müssen. Verfahren nach § 1666 und § 1666a BGB können erhebliche Auswirkungen auf den Lebensweg eines Kindes haben, insbesondere wenn (wie hier) der Vorwurf des Fehlverhaltens eines Elternteils im Raum steht. In solchen Konfliktsituationen ist das Kind auf die Unterstützung durch eine dritte unabhängige Person angewiesen (vgl. Schlünder in BeckOK FamFG, Hahne/Schlögel/Schlünder 38. Edition [Stand: 01.04.2021] § 158 Rdn. 8). Wegen der Schwere des Eingriffs darf nur in begrenzten Ausnahmefällen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands abgesehen werden (Schumann in MünchKomm, FamFG 3. Aufl. [2018] § 158 Rdn. 9), etwa wenn zwischen allen Beteiligten Einigkeit darüber besteht, daß eine andere Maßnahme als die Trennung des Kindes von seiner Familie nicht in Betracht kommt, und das Kind altersbedingt selbst zu der Wahrnehmung seiner Interessen in der Lage ist (BT-Dr. 16/6308 S. 238).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Zwar ist die betroffene Jugendliche bereits 16 Jahre alt, und hat ihren Willen den Verfahrensbeteiligten gegenüber zum Ausdruck bringen können; sie befand sich allerdings nach dem Tode ihres Vaters und dem Wechsel in den Haushalt der Kindesmutter in einer emotional hochbelasteten Situation, und war zudem dem Konflikt zwischen der väterlichen Familie und der Mutter ausgesetzt. Auch war die Mutter mit dem Auszug T.'s nicht einverstanden. Vor diesem Hintergrund war die Bestellung eines Verfahrensbeistands unabdingbar, zumal die Mutter sich auf eine Beeinflussung des Willens ihrer Tochter durch ihre Schwägerin und deren Mann berufen hat. Das Amtsgericht hat es auch versäumt, das Unterlassen der Bestellung des Verfahrensbeistands gemäß § 158 Abs. 3 S. 2 FamFG zu begründen.

Die angefochtene Entscheidung war daher einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufzuheben, und die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen; eines besonderen Antrages bedurfte es hierfür nicht. Im Rahmen der erneut zu treffenden Entscheidung hat das Amtsgericht auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung folgt im Übrigen aus § 20 FamGKG.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 40 Abs. 1, 49, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG in der seit dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung.

Für das weitere Verfahren ist darauf hinzuweisen, daß das Jugendamt gemäß § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII die Jugendliche auf deren Bitte erneut in Obhut nehmen kann, bis die Entscheidung des Familiengerichts nach ordnungsgemäßer Durchführung des Verfahrens mit Bestellung eines Verfahrensbeistands vorliegt.

Anmerkungen

Verfahren nach § 1666 und § 1666a BGB können erhebliche Auswirkungen auf den Lebensweg eines Kindes haben, insbesondere, wenn der Vorwurf des Fehlverhaltens eines Elternteils im Raume steht. In solchen Konfliktsituationen ist das Kind auf die Unterstützung durch eine dritte unabhängige Person angewiesen; wegen der Schwere des Eingriffs darf daher nur in begrenzten Ausnahmefällen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands abgesehen werden.

Die Kindesmutter wandte sich gegen die Entziehung von Teilen des Sorgerechts für ihre 16-jährige Tochter. Das FamG hatte ihr gemäss §§ 1666, 1666a BGB das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Antragstellung nach dem SGB VIII entzogen und auf das Jugendamt als Pfleger übertragen. Die Beschwerde der Mutter hatte insoweit vorläufigen Erfolg, als die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des zugrunde liegenden Verfahrens gemäss § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG an das FamG zurückzuverweisen war, weil die notwendige Bestellung eines Verfahrensbeistands unterblieben ist. Es liege noch keine abschliessende Entscheidung in der Sache vor, weil das AmtsG es entgegen § 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG verfahrensfehlerhaft versäumt habe, einen Verfahrensbeistand zu bestellen, und diesen an dem Verfahren zu beteiligen. Zieht das Gericht einen gemäss § 7 FamFG notwendig an dem Verfahren zu Beteiligenden fehlerhaft nicht hinzu, ist diesem gegenüber noch keine Entscheidung in der Sache getroffen worden (Senat FamRZ 2021, 776 mwN), insbesondere dann, wenn die gesetzlich notwendige Bestellung eines Verfahrensbeistands unterblieben ist (OLG Brandenburg FamRB 2012, 343; OLG Rostock FamRZ 2014, 2020; OLG Hamm FamRZ 2018, 456).

» Gemäss § 158 Abs. 2 Nr. 2 FamFG ist die Bestellung eines Verfahrensbeistands in Verfahren nach §§ 1666, 1666 BGB in der Regel erforderlich, wenn die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge in Betracht kommt. Gemäss § 7 Abs. 2 FamFG sind als Beteiligte diejenigen hinzuzuziehen, die aufgrund des FamFG von Amts wegen zu beteiligen sind. Gemäss § 158 Abs. 3 S. 2 FamFG wird der Verfahrensbeistand durch seine Bestellung zum Verfahren hinzugezogen.

Das Amtsgericht hätte in dem vorliegenden Verfahren einen Verfahrensbeistand für Y. bestellen müssen. Verfahren nach § 1666 und § 1666a BGB können erhebliche Auswirkungen auf den Lebensweg eines Kindes haben insbesondere, weil (wie hier) der Vorwurf des Fehlverhaltens eines Elternteils im Raum steht. In solchen Konfliktsituationen ist das Kind auf die Unterstützung durch eine dritte unabhängige Person angewiesen. Wegen der Schwere des Eingriffs darf nur in begrenzten Ausnahmefällen von der Bestellung eines Verfahrensbeistands abgesehen werden, etwa wenn zwischen allen Beteiligten Einigkeit darüber besteht, dass eine andere Maßnahme als die Trennung des Kindes von seiner Familie nicht in Betracht kommt, und das Kind altersbedingt selbst zur Wahrnehmung seiner Interessen in der Lage ist (BT-Dr. 16/6308 S. 238). «

Ein solcher Ausnahmefall liege hier nicht vor. Die betroffene Jugendliche sei zwar bereits 16 Jahre alt, und habe ihren Willen den Verfahrensbeteiligten gegenüber zum Ausdruck bringen können. Sie habe sich allerdings nach dem Tode ihres Vaters und dem Wechsel in den Haushalt der Kindesmutter in einer emotional hochbelasteten Situation befunden, und sei zudem dem Konflikt zwischen der väterlichen Familie und der Mutter ausgesetzt gewesen; auch sei die Mutter mit dem Auszug des Kindes nicht einverstanden gewesen. Vor diesem Hintergrund sei die Bestellung eines Verfahrensbeistands unabdingbar gewesen, zumal die Mutter sich auf eine Beeinflussung des Willens ihrer Tochter durch ihre Schwägerin und ihren Mann berufen habe.


OLG Frankfurt 2020-06-08 - 6 UF 79/21
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Rechtsschutz gegen Ablehnung von Einleitung eines einstweiligen Anordnungsverfahrens durch Familiengericht gegen Corona-Massnahmen im Schulbetrieb.

1. Im Rahmen der Anregung eines von Amts wegen einzuleitenden Verfahrens nach § 24 FamFG ist eine Beschwerde grundsätzlich nicht statthaft. § 24 FamFG eröffnet die Möglichkeit einer gerichtlichen Vorprüfung, wobei sich deren Ergebnis als rein interner Akt ohne Aussenwirkung darstellt. Diese Aussenwirkung wird erst durch die Einleitung des Verfahrens hergestellt. Dies gilt auch für entsprechende einstweilige Anordnungsverfahren.
2. Eine Beschwerde gemäss § 58 Abs. 1 FamFG ist ausnahmsweise statthaft, wenn das Gericht aufgrund der Anregung eine abschliessende Endentscheidung als eine den Verfahrensgegenstand erledigende ablehnende Sachentscheidung trifft, durch die der jeweilige Beteiligte in eigenen Rechten betroffen wird.
3. Werden Massnahmen gegen Anordnungen staatlicher Schulen zum Schutz des Kindes von dem Familiengericht abgelehnt, ist ein unmittelbarer Eingriff in das Recht der elterlichen Sorge durch deren Entzug oder zumindest teilweise Beeinträchtigung nicht erkennbar. Meint ein Elternteil, ein berechtigtes Interesse an der Entscheidung zu haben, genügt dies nicht, um eine materiell-rechtliche subjektive Berechtigung und damit eine Beschwerdebefugnis zu begründen.
4. Zu der Überprüfung der für den staatlichen Schulbetrieb angeordneten hygiene- und infektionsschutzrechtlichen Massnahmen, Anordnungen und Regelungen ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gemäss § 13 GVG und damit die sachliche Entscheidungsbefugnis des Familiengerichts nicht gegeben.

OLG Bamberg, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 2 UF 80/21

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Anregung zur Einleitung eines Kinderschutzverfahrens; Coronaschutzmassnahmen; Kostenentscheidung bei substanzloser Anregung eines Kinderschutzverfahrens wegen behördlicher Corona-Massnahmen; Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes während und ausserhalb des Unterrichts.

Zu der Überprüfung der für den staatlichen Schulbetrieb angeordneten hygiene- und infektionsschutzrechtlichen Massnahmen, Anordnungen und Regelungen ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gemäss § 13 GVG und damit die sachliche Entscheidungsbefugnis des Familiengerichts nicht gegeben.

OLG München, Beschluss vom 21. Juni 2021 - 2 WF 618/21

Der Grossvater des betroffenen Kindes regte mit Schreiben vom 13.03.2021 die Einleitung eines Verfahrens von Amts wegen an mit dem Ziel, im Hinblick auf § 1666 Abs. 1 und 4 BGB die Entbindung des betroffenen und aller weiteren Kinder von der Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes während und ausserhalb des Unterrichts und zur Wahrung räumlicher Distanz zu veranlassen, und gleichzeitig die Rechtmässigkeit der diesen Anordnungen zugrunde liegenden Vorschriften zu prüfen. Das Gericht kam der Anregung nach, bestellte nach Anhörung der Eltern einen Verfahrensbeistand für das Kind, und hörte das Kind, den Verfahrensbeistand und die Eltern persönlich an. Der Vater schloss sich der Anregung des Grossvaters an.

Das AmtsG hat das Verfahren sodann eingestellt, und die Kosten des Verfahrens dem Vater und dem Grossvater je zur Hälfte auferlegt. Dem FamG obliege keine gerichtliche Kontrolle der Exekutive; auch habe kein Anlass bestanden, von Amts wegen eine nicht näher geschilderte Gefährdung des betroffenen Kindes zu ermitteln, da ein konkreter Anlass für derartige Ermittlungen nicht vorgetragen worden sei. Es seien jedoch insoweit Ermittlungen veranlasst gewesen, als der Inhalt des Schreibens die Besorgnis begründet habe, das Kind werde der Pandemie schutzlos ausgesetzt, und daher sorgerechtliche Massnahmen gegen die Eltern erforderlich sein könnten. Dies habe sich nicht bestätigt, da die Eltern das Kind derzeit nicht am Präsenzunterricht teilnehmen liessen, und das Kind im Wege des Distanzunterrichts beschult werde.

Die Kosten des Verfahrens seien dem Vater aufzuerlegen, da er habe erkennen können, dass die Anregung keine Aussicht auf Erfolg haben werde. Die Kostentragung des Grossvaters sei nach § 81 Abs. 4 FamFG begründet, da das Verfahren durch sein Schreiben veranlasst worden sei, und auch er hätte wissen können, dass dem Wohl des Kindes derzeit keine Gefahr drohe.

Das OLG hat die Beschwerde des Vaters gegen diese Entscheidung als begründet erachtet.

» Das Schreiben des Grossvaters des betroffenen Kindes an das Amtsgericht war als Anregung zur Einleitung eines Kinderschutzverfahrens formuliert. Gemäss § 24 Abs. 1 FamFG entscheidet das Gericht selbst, ob es auf die Anregung hin ein Verfahren einleitet oder dies unterlässt; letzteres ist dem Anregenden gemäss § 24 Abs. 2 FamFG mitzuteilen. Eine Pflicht zur Einleitung eines Verfahrens folgt nicht aus der Anregung, sondern alleine aus sachlichem Recht. Die Anregung vom 13.03.2021 formuliert das Rechtsschutzziel dahingehend, dass die Massnahmen des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes etc. durch das Familiengericht beendet werden, und die Rechtmässigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften der Verordnung des Landes Bayern überprüft werden sollen. Insoweit ist der Rechtsweg zu den Familiengerichten nicht eröffnet: Inhalt der Anregung ist nämlich nicht eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls durch die Sorgeberechtigten oder dritte Personen, sondern die allgemeine Überprüfung der infektionsschutzrechtlichen Massnahmen; dies obliegt alleine den Verwaltungsgerichten (OLG Nürnberg FamRZ 2021, 935 = FuR 2021, 381; OLG Frankfurt FuR 2021, 433; OLG Thüringen FamRZ 2021, 1043).

Der Senat sieht sich in der Lage, die Ermessensentscheidung des Amtsgerichts zu überprüfen und zu korrigieren. Dabei kann dahinstehen, ob die Prüfung auf einen Ermessensfehl- oder Ermessensnichtgebrauch beschränkt ist. … Selbst wenn man der Ansicht folgt, wonach die getroffene Ermessensentscheidung nur daraufhin zu überprüfen ist, ob das erstinstanzliche Gericht von dem ihm eingeräumten Ermessen fehlerfrei Gebrauch gemacht hat, ist der Senat vorliegend berechtigt, eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen. Das Amtsgericht hat fehlerhaft auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 Nr. 2 FamFG abgestellt, und zudem den Regelungsgehalt und das Verfahren des § 81 Abs. 4 FamFG missachtet.

Die Voraussetzungen des § 81 Abs. 2 Nr. 2 FamFG liegen nicht vor, und der Sachverhalt weist auch keine Nähe zu dem Regelungszweck dieser Vorschrift auf. Deren Heranziehung zur Begründung der Kostenentscheidung kann daher einer Überprüfung nicht standhalten. Zwar hatte die Anregung des Grossvaters von Anfang an keine Aussicht auf Erfolg, und hat sich der Vater dieser Anregung in der mündlichen Verhandlung angeschlossen. Dies hätte das Familiengericht aber erkennen und von der Einleitung eines Verfahrens absehen können und müssen. Die Einleitung von Ermittlungen gegen die Eltern war durch das Schreiben vom 13.03.2021 weder gewollt, noch veranlasst.

Soweit das Gericht die Einleitung des Verfahrens und die Durchführung der Ermittlungen damit begründete, dass durch die Anregung vom 13.03.2021 die Besorgnis bestanden habe, das Kind werde der Pandemie schutzlos ausgeliefert, ist zunächst festzustellen, dass es auch hierfür keine konkreten Anhaltspunkte gab. Weder ging aus dem Schreiben hervor, dass das Kind die Schule ohne Maske besuchen würde, noch, dass es nicht am Schulunterricht teilnehmen würde. Auch mit Richtung auf die Eltern bestand daher kein Anlass zur Einleitung eines Verfahrens. Jedenfalls können in Fällen, in denen Ermittlungen im Hinblick auf eine Gefährdung des Kindeswohls durch die Eltern aufgenommen werden, den Eltern keine Kosten hierfür auferlegt werden. Durch § 81 Abs. 2 Nr. 1, 3 und 4 FamFG wird klargestellt, dass die Veranlassung zur Einleitung eines Verfahrens nur dann eine Kostentragungspflicht nach sich ziehen soll, wenn dies durch grobes Verschulden, schuldhaft unwahre Angaben oder schuldhafte Verletzung der Mitwirkungspflicht erfolgte. Demnach ist die Veranlassung zur Einleitung eines Kinderschutzverfahrens infolge von Erziehungsdefiziten oder unangepasstem Erziehungs- und Betreuungsverhalten hiervon offenkundig nicht umfasst, weshalb in der Regel in Kinderschutzverfahren den Eltern auch keine Kosten auferlegt werden. Warum dies hier abweichend entschieden wurde, begründet die angefochtene Entscheidung nicht.

Dem Grossvater, der weder an dem Verfahren beteiligt, noch zu der Kostenentscheidung vorab angehört wurde, können Verfahrenskosten nach § 81 Abs. 4 FamFG nicht auferlegt werden, da alleine sein Schreiben vom 13.03.2021 für das Familiengericht keinen Anlass bot, ein Verfahren zum Schutze des Kindes von Amts wegen einzuleiten. Ihn trifft daher kein grobes Verschulden an der Einleitung des Verfahrens. «

Von der Auferlegung von Kosten war daher abzusehen. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG seien Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Der Rechtsgedanke dieser Vorschrift könne im Rahmen der Kostengrundentscheidung entsprechend herangezogen werden.

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Kinderschutzverfahren; Testpflicht und das verpflichtende Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in der Schule.

Zu der Überprüfung der für den staatlichen Schulbetrieb angeordneten hygiene- und infektionsschutzrechtlichen Massnahmen, Anordnungen und Regelungen ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gemäss § 13 GVG, und damit die sachliche Entscheidungsbefugnis des Familiengerichts nicht gegeben.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 23. Juni 2021 - 9 UF 105/21

Die Antragstellerin hatte mit Blick auf die in brandenburgischen Schulen herrschende Testpflicht und das verpflichtende Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung und zur Wahrung räumlicher Distanz ein Kinderschutzverfahren für ihren am 14.03.2009 geborenen Sohn L. H. angeregt, der die Grundschule S. besucht. Die Mutter stellte mit näheren Darlegungen und unter Bezugnahme auf verschiedenste Veröffentlichungen die Schutzwirkungen der angeordneten Massnahmen in der Sars-Cov2-Pandemie in Frage, die umgekehrt allerdings das seelische und körperliche Wohl des Kindes nachhaltig beeinträchtigten, und deshalb mindestens unverhältnismässig und deshalb (dringend) aufzuheben seien. Das AmtsG hat die Einleitung sorgerechtlicher Kinderschutzmassnahmen abgelehnt, weil der Anwendungsbereich des § 1666 BGB nicht eröffnet sei; die Schule sei nicht Dritter iSv § 1666 Abs. 4 BGB. Die Beschwerde der Mutter gegen diese Entscheidung hatte keinen Erfolg: Das AmtsG habe mit zutreffender Begründung die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens abgelehnt.

» Verpackt in einen Antrag auf Erlass kinderschutzrechtlicher Massnahmen nach § 1666 Abs. 1 und 4 BGB greift die Mutter Anordnungen der Leitung der Schule, die ihr Sohn besucht, und damit die zugrunde liegenden Bestimmungen der Siebten SARS-CoV-2 Eindämmungsverordnung des Landes Brandenburg vom 6. März 2021 (GVBl. II Nr. 24), zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. Juni 2021 (GVBl. II Nr. 57) und zwischenzeitlich seit dem 16. Juni 2021 ersetzt durch die SARS-CoV-2-Umgangsverordnung vom 15. Juni 2021 (GVBl. II Nr. 62) an. Sie sucht die Befreiung ihres Sohnes von der sog. Zwangstestung, der verpflichtenden Distanzwahrung und der Verpflichtung zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen erreichen. Damit kann sie aus grundsätzlichen rechtlichen Gesichtspunkten keinen Erfolg haben. Es kann deshalb auch dahinstehen, dass mit der zitierten jüngsten Umgangsverordnung (dort § 22 Abs. 4 Nr. 1) das verpflichtende Tragen einer medizinischen Maske im Innenbereich der Schule auf Schüler ab der Jahrgangsstufe 7 beschränkt worden ist, der Sohn der Antragstellerin von dieser als besonders nachteilig/gefährlich erachteten Maßnahme also jedenfalls derzeit nicht mehr betroffen sein dürfte.

Es fehlt nämlich bereits an der Zuständigkeit des Familiengerichts für den Erlass der begehrten Massnahmen. Richtig ist allein, dass in die Zuständigkeit der Familiengerichte als Kindschaftssachen iSv § 151 FamFG Verfahren nach § 1666 BGB fallen, die zum Erlass gerichtlicher Massnahmen bei Gefährdung des Kindeswohles in dem konkreten Einzelfall nach Massgabe des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes verpflichten. Dabei erlaubt § 1666 Abs. 4 BGB den Familiengerichten, in Angelegenheiten der Personensorge auch Anordnungen gegenüber Dritten zu treffen, um 'dem Familiengericht die Möglichkeit zu eröffnen, gegen kindeswohlgefährdende Dritte vorgehen zu können, ohne dass ein Umweg über das Zivilrecht gegangen werden muss (BT-Dr. 8/2788, 59)'. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche individuelle Kindeswohlgefährdung, der durch familiengerichtliche Massnahmen zu begegnen wäre, sind in dem Streitfall weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.

Der vorliegend erstrebte Erlass von gegen die Schulleitung bzw. die Lehrkräfte gerichteten Anordnungen zur Aufhebung infektionsschutzrechtlicher Massnahmen (Maskenpflicht, Distanzwahrung, Verpflichtung zu Schnelltests) fällt nicht in den Kreis der nach § 1666 BGB eröffneten Massnahmen. Insoweit fehlt es bereits an einer Weisungsbefugnis des Familiengerichts gegenüber Hoheitsträgern. Ebenso wenig wie Familiengerichte die Jugendämter gegen deren Willen verpflichten können, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe zu bewilligen, sind sie befugt, andere staatliche Behörden, wie etwa Schulämter, einzelne Schulen bzw. deren Funktionsträger (Schulleitung, einzelne Lehrkräfte) in ihrem Tun oder Unterlassen anzuweisen. Die gerichtliche Kontrolle derartigen Behördenhandelns - auch unter dem Aspekt einer möglichen Verletzung des Kindeswohls im Rahmen des schulrechtlichen Sonderstatusverhältnisses - obliegt allein der Verwaltungsgerichtsbarkeit (ganz herrschende Auffassung). «

Eine Verweisung an das Verwaltungsgericht sei nicht veranlasst gewesen, da (schon) das AmtsG zu Recht die Einleitung eines Kinderschutzverfahrens abgelehnt habe, und § 17a GVG für Verfahren, die nur von Amts eingeleitet werden können, nicht in Betracht komme (BT-Dr. 16/6308 S. 318).

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