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BGB §§ 1564 bis 1568 - Scheidung der Ehe - FD-Logo-500

BGB §§ 1564 bis 1568
Scheidung der Ehe



BGB § 1564 - Scheidung durch richterliche Entscheidung

Eine Ehe kann nur durch richterliche Entscheidung auf Antrag eines oder beider Ehegatten geschieden werden. Die Ehe ist mit der Rechtskraft der Entscheidung aufgelöst. Die Voraussetzungen, unter denen die Scheidung begehrt werden kann, ergeben sich aus den folgenden Vorschriften.

BGB § 1565 - Scheitern der Ehe

(1) Eine Ehe kann geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen.
(2) Leben die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt, so kann die Ehe nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde.

BGB § 1566 - Vermutung für das Scheitern

(1) Es wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide Ehegatten die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt.
(2) Es wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben.

BGB § 1567 - Getrenntleben

(1) Die Ehegatten leben getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Die häusliche Gemeinschaft besteht auch dann nicht mehr, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben.
(2) Ein Zusammenleben über kürzere Zeit, das der Versöhnung der Ehegatten dienen soll, unterbricht oder hemmt die in § 1566 bestimmten Fristen nicht.

BGB § 1568 - Härteklausel

(1) Die Ehe soll nicht geschieden werden, obwohl sie gescheitert ist, wenn und solange die Aufrechterhaltung der Ehe im Interesse der aus der Ehe hervorgegangenen minderjährigen Kinder aus besonderen Gründen ausnahmsweise notwendig ist oder wenn und solange die Scheidung für den Antragsgegner, der sie ablehnt, auf Grund außergewöhnlicher Umstände eine so schwere Härte darstellen würde, dass die Aufrechterhaltung der Ehe auch unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers ausnahmsweise geboten erscheint.




 



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Ehescheidung durch richterliche Entscheidung; Anerkennung eines ausländischen Ehescheidungsurteils; Anerkennungshindernis bei nicht ordnungsgemäßer und nicht rechtzeitiger Mitteilung des verfahrenseinleitenden Dokuments an den Antragsgegner-Ehegatten.

BGB § 1564; FamFG §§ 107, 109

1. Die Anerkennung einer ausländischen Ehescheidungsentscheidung ist ausgeschlossen, wenn einem Beteiligten, der sich zur Hauptsache nicht geäußert hat, und sich hierauf beruft, das verfahrenseinleitende Dokument nicht ordnungsgemäß oder nicht so rechtzeitig mitgeteilt wurde, daß er seine Rechte wahrnehmen konnte (§ 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG).
2. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Antragsgegner-Ehegatte vorträgt, daß er Kenntnis von der Scheidung erst in dem Verfahren auf Anerkennung des ausländischen Scheidungsurteils erlangt hat, und ihm zuvor keine Dokumente übersandt wurden, und der antragstellende Ehegatte eingeräumt hat, daß er den Scheidungsantrag bzw. die Scheidungsdokumente dem anderen nicht übermitteln konnte, weil er seine Anschrift nicht kannte.
3. Der Ehegatte, der die Anerkennung des ausländischen Scheidungsurteils begehrt, kann sich nicht darauf berufen, er habe alles getan, um die Anschrift des anderen Ehegatten zu erfahren (hier: Anfragen in e-mails nach der aktuellen Adresse), und dieser habe sie ihm rechtsmißbräuchlich verschwiegen: Zweck des § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ist es, sicherzustellen, daß die Beteiligten von dem ausländischen Verfahren Kenntnis erhalten haben, damit sie ihre Rechte in dem ausländischen Staat wahrnehmen können, das rechtliche Gehör also gewahrt wurde.
4. Auch der Einwand, der Antragsgegner-Ehegatte habe durch e-mails und Teilung des Hausrats bereits Kenntnis von einer anstehenden Scheidung gehabt, ist unerheblich: Maßgeblich ist der Zugang des Dokuments, auf das hin das nach dem Recht des Entscheidungsstaates zuständige Gericht tätig wurde.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 18. Februar 2020 - 3 AR 5/19

Tenor
Der Antrag des Antragstellers auf Entscheidung nach § 107 Abs. 5 FamFG wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Gründe
I. Die Beteiligten schlossen im August 1996 vor dem Standesamt W. die Ehe. Beide Ehegatten sind deutsche Staatsbürger. Der Antragsteller lebt in Tansania. Im August 2018 reichte er bei dem District Court Iringa (Bezirksgericht Iringa, Tansania) einen Scheidungsantrag ein. Mit Scheidungsurteil des District Court Iringa vom 4. Dezember 2018 wurde die Ehe zwischen den Beteiligten geschieden. Ein Nachweis darüber, daß der Scheidungsantrag der Beteiligten zu 2) übermittelt wurde, und diese hiervon Kenntnis erlangt hat, liegt nicht vor.

Der Antragsteller hat am 29. März 2019 bei dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Brandenburg die Anerkennung der ausländischen Ehescheidung beantragt. Die Beteiligte zu 2) hat sich gegen die Anerkennung ausgesprochen, und mit Schreiben vom 11. Juni 2019 eingewandt, daß sie an dem Scheidungsverfahren in Tansania nicht beteiligt, und ihr weder der Scheidungsantrag noch das Scheidungsurteil mitgeteilt worden sei; sie habe erst durch die Beteiligung an dem hiesigen Verfahren von der Scheidung Kenntnis erlangt. Der Antragsteller hat hierauf erwidert, er habe seine Ehefrau in einem Schreiben seines Rechtsanwalts vom 4. März 2018 an ihre Tochter, sowie in einer an die Ehefrau gerichteten e-Mail vom 4. März 2018 auf seine Scheidungsabsicht hingewiesen, und sie um Mitteilung einer zustellungsfähigen Anschrift gebeten; darauf habe die Beteiligte zu 2) nicht reagiert, und ihm ihre Anschrift nicht mitgeteilt. Er hat die Auffassung vertreten, er habe alles Zumutbare und Erforderliche getan, um die Adresse herauszufinden.

Der Präsident des Oberlandesgerichts Brandenburg hat mit Bescheid vom 6. September 2019, dem Antragsteller bekanntgegeben am 25. September 2019, den Antrag zurückgewiesen: Einer Anerkennung der ausländischen Ehescheidung stehe § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG entgegen.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seinem am 23. Oktober 2019 eingegangenen Schreiben vom 27. September 2019, mit dem er gemäß § 107 Abs. 5 FamFG Entscheidung bei dem Oberlandesgericht beantragt. Er beruft sich weiterhin darauf, daß er seiner Ehefrau mit e-Mail vom 4. März 2018 mitgeteilt habe, daß er in Tansania die Scheidung einreichen werde, und sie aufgefordert habe, ihre neue Adresse mitzuteilen, damit er ihr ordnungsgemäß die Scheidungsdokumente zukommen lassen könne. Dies müsse für eine Anerkennung ausreichen, da er alles Zumutbare unternommen habe, um den neuen Wohnsitz zu finden. Auch angesichts des Umstands, daß der Hausrat im September 2017 geteilt worden sei, könne seine Ehefrau nicht einfach behaupten, sie habe von der anstehenden Scheidung nichts gewußt.

II. Der Antrag auf Entscheidung durch das Oberlandesgericht Brandenburg ist statthaft (§ 107 Abs. 5 FamFG), und auch im Übrigen zulässig. Er hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Anerkennung des Scheidungsurteils des District Court Iringa (Tansania) vom 4. Dezember 2018 ist nach § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ausgeschlossen.

Nach § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ist die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung ausgeschlossen, wenn einem Beteiligten, der sich zur Hauptsache nicht geäußert hat, und sich hierauf beruft, das verfahrenseinleitende Dokument nicht ordnungsgemäß oder nicht so rechtzeitig mitgeteilt wurde, daß er seine Rechte wahrnehmen konnte. Dies ist vorliegend nach dem Vortrag der Beteiligten zu 2) und dem eigenen Vortrag des Antragstellers der Fall. Die Beteiligte zu 2) hat sich darauf berufen, daß sie von der Scheidung erstmals durch das hiesige Verfahren erfahren habe, und ihr zuvor keine Dokumente übersandt worden seien. Der Antragsteller hat in mehreren Stellungnahmen, zuletzt in seinem Antrag auf Entscheidung durch das Oberlandesgericht vom 27. September 2019, eingeräumt, daß der Scheidungsantrag bzw. die Scheidungsdokumente der Beteiligten zu 2) nicht übermittelt werden konnten, weil er ihre Anschrift nicht kannte. Damit steht fest, daß eine Mitteilung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, nämlich des Scheidungsantrages an die Beteiligte zu 2) in dem gerichtlichen Verfahren vor dem District Court Iringa (Tansania) nicht stattgefunden hat. Die Voraussetzungen des § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG liegen vor.

Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, er habe alles getan, um die Anschrift zu erfahren, und die Beteiligte zu 2) habe sie ihm rechtsmißbräuchlich verschwiegen. Darauf kommt es nicht an: Zweck des § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ist es, sicherzustellen, daß die Beteiligten von dem ausländischen Verfahren Kenntnis erhalten haben, damit sie ihre Rechte in dem ausländischen Staat wahrnehmen können, das rechtliche Gehör also gewahrt wurde (Rauscher in MünchKomm, FamFG 3. Aufl. § 109 Rdn. 24). Dieses rechtliche Gehör Recht wurde der Beteiligten zu 2) abgeschnitten, was der Anerkennung des Urteils zwingend entgegensteht.

Ebenfalls unerheblich ist der Einwand des Antragstellers, seine Frau habe durch seine e-Mail vom 4. März 2018 und die Teilung des Hausrats im Jahre 2017 bereits Kenntnis von einer anstehenden Scheidung gehabt. Damit sind die Voraussetzungen des § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ersichtlich nicht erfüllt; eine mündliche Mitteilung durch die antragstellende Partei genügt schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht: Maßgeblich ist nämlich der Zugang des Dokuments, auf das hin das nach dem Recht des Entscheidungsstaates zuständige Gericht tätig wurde (OLG München FamRZ 2012, 1512; Rauscher in MünchKomm, ZPO 3. Aufl. § 109 FamFG Rdn. 27).

Die Kostenentscheidung beruht auf dem in dem Verfahren nach § 107 Abs. 5 FamG anwendbaren § 81 FamFG (vgl. zu der Anwendbarkeit des § 81 FamFG OLG München FamRZ 2012, 1512), und entspricht der Billigkeit.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen hierfür (vgl. § 70 Abs. 2 FamFG) nicht vorliegen.

OLG Brandenburg 2020-02-18 - 3 AR 5/19
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Anmerkungen

Die beteiligten Ehegatten, deutsche Staatsbürger, schlossen im Jahre 1996 vor dem Standesamt W. die Ehe. Der Antragsteller lebt in Tansania. Im August 2018 reichte der Antragsteller bei dem District Court Iringa (Bezirksgericht Iringa, Tansania) einen Scheidungsantrag ein. Mit Scheidungsurteil des District Court Iringa vom 04.12.2018 wurde die Ehe zwischen den Beteiligten geschieden. Ein Nachweis darüber, dass der Scheidungsantrag der Beteiligten zu 2) übermittelt wurde, und diese hiervon Kenntnis erlangt hat, liegt nicht vor.

Der Antragsteller hat am 29.03.2019 bei dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Brandenburg die Anerkennung der ausländischen Ehescheidung beantragt. Die Beteiligte zu 2) hat sich gegen die Anerkennung ausgesprochen und eingewandt, dass sie an dem Scheidungsverfahren in Tansania nicht beteiligt, und ihr weder der Scheidungsantrag noch das Scheidungsurteil mitgeteilt worden sei; sie habe erst durch Beteiligung an dem hiesigen Verfahren von der Scheidung Kenntnis erlangt. Der Antragsteller hat hierauf erwidert, er habe seine Ehefrau in einem Schreiben seines Anwalts an ihre Tochter sowie in einer an die Ehefrau gerichteten e-Mail auf seine Scheidungsabsicht hingewiesen, und sie um Mitteilung einer zustellungsfähigen Anschrift gebeten; darauf habe die Beteiligte nicht reagiert, und ihm ihre Anschrift nicht mitgeteilt. Er hat die Auffassung vertreten, er habe alles Zumutbare und Erforderliche getan, um die Adresse herauszufinden; auch sei der Hausrat bereits im Jahre 2017 verteilt worden.

Der Antrag auf Anerkennung der ausländischen Entscheidung vom 04.12.2018 wurde zurückgewiesen, da sich die Ehefrau nicht zur Hauptsache geäussert und sich darauf berufen hatte, das verfahrenseinleitende Dokument sei ihr nicht ordnungsgemäss oder nicht so rechtzeitig mitgeteilt worden ist, dass sie ihre Rechte wahrnehmen konnte (§ 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG).


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Ehescheidung; Kostenentscheidung bei Rücknahme des Scheidungsantrages vor Rechtshängigkeit.

BGB §§ 1565 ff; FamFG §§ 113, 150; ZPO § 269

1. Bei Rücknahme des Scheidungsantrages vor Rechtshängigkeit entfällt eine Kostenentscheidung nach § 150 Abs. 2 S. 1 FamFG, weil zwischen den Beteiligten kein Verfahrensrechtsverhältnis begründet worden ist.
2. Der Grundsatz des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO ist nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 150 Abs. 1 FamFG in Scheidungssachen nicht anzuwenden.

OLG Celle, Beschluß vom 23. März 2020 - 10 WF 36/20

Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird die Kostenentscheidung in Ziffer 1. des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 06.03.2020 (611 F 5037/19) aufgehoben. Im übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
2. Gerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe
I. Das Amtsgericht - Familiengericht - Hannover hat die Kosten des vorliegenden Scheidungsverfahrens durch Beschluß vom 6. März 2020 gemäß § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 269 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 S. 2 ZPO der Antragstellerin auferlegt, nachdem diese ihren Scheidungsantrag zurückgenommen hat; zudem hat es den Verfahrenswert auf 4.000 € festgesetzt. Dagegen hat die Antragstellerin form- und fristgerecht sowie mit der erforderlichen Mindestbeschwer sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, die ihrerseits erklärte Antragsrücknahme sei nicht wirksam, weil sie von dem Antragsgegner dazu gedrängt worden sei, den Scheidungsantrag zurückzunehmen. Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluß vom 16. März 2020 nicht abgeholfen, und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Rechtsmittel hat teilweise nach Maßgabe des Tenors Erfolg. Zwar trägt die Beschwerdebegründung die Aufhebung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung nicht; insoweit wird auf die uneingeschränkt zutreffenden Ausführungen der amtsgerichtlichen Nichtabhilfeentscheidung Bezug genommen. Gleichwohl hätte die angefochtene Kostenentscheidung nicht ergehen dürfen.

Die Kostenentscheidung richtet sich hier nicht nach § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 269 Abs. 3 S. 2 und Abs. 4 S. 2 ZPO, dessen Voraussetzungen mangels Kostenantrages und Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Antragsgegner ohnehin nicht vorliegen. Maßgeblich ist § 150 Abs. 2 FamFG, der die über § 113 Abs. 1 FamFG anwendbaren Kostennormen der Zivilprozeßordnung verdrängt (vgl. Henjes in MünchKomm, FamFG 3. Aufl. § 150 Rdn. 2; Haußleiter/Eickelmann, FamFG 2. Aufl. § 150 Rdn. 9). Allerdings setzt die Anwendung von § 150 Abs. 2 FamFG Rechtshängigkeit, also die Zustellung des Scheidungsantrages, voraus. Wird der Antrag vorher zurückgenommen, fehlt es an einem begründeten Verfahrensrechtsverhältnis: § 150 FamFG regelt lediglich den Inhalt der Kostenentscheidung, soweit ein solches begründet wurde. Demgemäß entfällt bei Rücknahme des Scheidungsantrages vor der Rechtshängigkeit eine Kostenentscheidung. Dem steht auch nicht § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO entgegen, der als Sonderregelung den Fall der Erledigung vor Rechtshängigkeit in dem Falle einer Rücknahme eines durch den Antragsgegner veranlaßten Antrages betrifft; nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 150 Abs. 1 FamFG ist dieser Grundsatz in Scheidungssachen nicht anzuwenden (vgl. Borth/Grandel in Musielak/Borth, FamFG 6. Aufl. § 150 Rdn. 5; BeckOK FamFG/Weber, 33. Edition FamFG § 150 Rdn. 11, jeweils mwN).

Die Zustellung des Scheidungsantrages an den Antragsgegner ist bislang nicht erfolgt, sondern ausweislich des Rückläufers der Post mangels korrekter Anschrift gescheitert. Die erstinstanzliche Kostenentscheidung war daher ersatzlos aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 20 FamGKG, § 113 Abs. 1 FamFG iVm §§ 269 Abs. 5, 92 ZPO.

Der von dem Amtsgericht festgesetzte Verfahrenswert ist nicht zu beanstanden. Der Geschäftswert für die Festsetzung der Anwaltsgebühren dürfte mit bis zu 1.000 € zu bemessen sein.

OLG Celle 2020-03-23 - 10 WF 36/20
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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Zweifel an dem Scheidungswillen und an der vollständigen Zerrüttung der Ehe aufgrund gegenseitiger (Liebes-)Briefe; fremdbestimmter Antrieb für ein Scheidungsverfahren; Begriff der unzumutbaren Härte; Voraussetzungen für eine Härtefallscheidung bei Gewalt.

BGB § 1565

1. Aus der Grundnorm des § 1565 Abs. 1 S. 1 BGB folgt, daß die Ehe auch dann, wenn die besonderen Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt sind (Vorliegen eines Härtefalles), nur geschieden werden darf, sofern sie gescheitert ist.
2. In Bezug auf die vollständige Zerrüttung der Ehe, also auf Umstände, welche die Prognose erlauben, daß die Eheleute voraussichtlich nicht zu einer Lebensgemeinschaft zurückfinden können, trägt der Antragsteller die Darlegungs- und Beweislast.
3. Es genügt zwar grundsätzlich, wenn nur ein Ehegatte nicht mehr bereit ist, an der Ehe festzuhalten, und dieser dies fortgesetzt erklärt; etwas anderes gilt aber dann, wenn erhebliche Zweifel daran bestehen, daß es sich hierbei um den ernsten und nachhaltigen Willen des Ehegatten handelt. Ein solcher Fall kann vorliegen, wenn der Ehegatte nach wie vor liebevolle und freundschaftliche Briefe an den anderen Ehegatten sendet.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 26. März 2020 - 9 UF 223/19

Tenor
1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Cottbus vom 19.09.2019 (97 F 117/19) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 8.100 € festgesetzt.

Gründe
I. Die Antragstellerin und der Antragsgegner haben im September 1998 die Ehe miteinander geschlossen. Aus der Ehe sind die mittlerweile volljährige Tochter V. W. und die Söhne M. W. (geboren im Juli 2004) und T. W. (geboren im Januar 2006) hervorgegangen.

Mit am 10. Mai 2019 bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Cottbus eingegangenem Schriftsatz hat die Antragstellerin beantragt, die Ehe zu scheiden. Sie hat geltend gemacht, der Antragsgegner habe sie am … Mai 2019 im Beisein des Kindes M. vergewaltigt, und währenddessen auch noch sexuelle Handlungen an dem Jungen vorgenommen; sie habe unmittelbar danach die Polizei verständigt. Im Zuge der Ermittlungen habe sich ergeben, daß M. in der Vergangenheit immer wieder von seinem Vater sexuell mißbraucht worden sei. Sie habe davon keine Kenntnis gehabt. Nach diesen Ereignissen vom … Mai 2019 sei ihr ein Festhalten an der Ehe unzumutbar.

Der Antragsgegner, der sich seit dem 3. Mai 2019 in Untersuchungshaft befindet, ist dem Scheidungsbegehren entgegengetreten. Die Ehe der Beteiligten sei noch nicht endgültig gescheitert; er empfinde noch Gefühle für die Antragstellerin. Die von der Ehefrau betriebene Härtefallscheidung gehe auf Einflüsse Dritter zurück. Die Antragstellerin habe ihm mehrere Briefe geschrieben, aus denen hervorgehe, daß sie den Kontakt aufrechterhalten möchte. Der Antragsgegner hat Briefe der Antragstellerin vom … Juli 2019 und vom … Juli 2019 zu den Akten gereicht, auf dessen Inhalt - soweit lesbar - verwiesen wird.

Mit am 19. September 2019 verkündeten Beschluß hat das Amtsgericht Cottbus den Scheidungsantrag der Antragstellerin abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Geschehnisse im Mai 2019 seien grundsätzlich geeignet, eine Härtefallscheidung nach § 1565 Abs. 2 BGB zu begründen; aufgrund der vorgelegten Briefe sei das Gericht aber nicht davon überzeugt, daß die Antragstellerin die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wieder herstellen wolle: Sie habe die innere Bindung zu ihrem Mann nicht verloren. Da auch der Antragsgegner noch Gefühle für seine Ehefrau habe, sei es durchaus möglich, daß die Ehegatten wieder zusammen kämen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen.

Gegen den ihr am 7. Oktober 2019 zugestellten Beschluß hat die Antragstellerin mit am 14. Oktober 2019 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt, und diese mit am (Montag) 9. Dezember 2019 eingegangenem Schriftsatz begründet. Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens verfolgt sie ihr Begehren weiter. Das Amtsgericht habe die in weiten Teilen geschwärzten Briefe nicht richtig gewürdigt; diese seien nur auf massives Drängen des Antragsgegners unter Zuhilfenahme der Tochter V. (zwölf Briefe an die Tochter bis Anfang Juni 2019) überhaupt zustande gekommen. In einem Anfall von Schwäche und verwirrt von den zahlreichen Liebesbekundungen und der Hartnäckigkeit des Ehemannes habe sie die Briefe geschrieben. Sie schreibe dem Antragsgegner keine Briefe mehr; der Kontakt sei völlig abgebrochen. Auch sei sie umgezogen. Der Antragsgegner habe durch sein Verhalten die Familie nachhaltig zerstört und geschädigt. Ein Festhalten an der Ehe sei für sie unzumutbar.

Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten. Er verteidigt mit näherer Darlegung den angefochtenen Beschluß.

II. Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64 Abs. 1, 117 Abs. 1 FamFG), und damit zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel aber keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat zu Recht den Scheidungsantrag abgewiesen; auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluß wird zunächst verwiesen. Auch der Senat kann aufgrund des Vorbringens in zweiter Instanz und nach erneuter persönlicher Anhörung der Eheleute nicht feststellen, daß die Ehe gescheitert ist.

Gemäß § 1565 Abs. 1 S. 1 BGB kann eine Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht, und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen (§ 1565 Abs. 1 S. 2 BGB). Leben die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt, so kann die Ehe nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde (§ 1565 Abs. 2 BGB). Die unzumutbare Härte muß sich auf das Eheband, also das »Weiter-miteinander-verheiratet-sein«, nicht auf die Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens beziehen (BGH FamRZ 1981, 127 = BGHF 2, 331). An die unzumutbare Härte sind strenge Anforderungen zu stellen; dem Antragsteller darf nicht zuzumuten sein, mit der Scheidung bis zu dem Ablauf des Trennungsjahres zu warten (Brudermüller in Palandt, BGB 79. Aufl. § 1565 Rdn. 9).

Daß nach dem Vortrag der Ehefrau eine unzumutbare Härte iSd § 1565 Abs. 2 BGB vorliegen dürfte, ist für die Entscheidung nicht allein maßgeblich, denn aus der Grundnorm des § 1565 Abs. 1 S. 1 BGB folgt, daß die Ehe auch dann, wenn die besonderen Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt sind, nur geschieden werden darf, sofern sie gescheitert ist (vgl. Hamm in Johannsen/Henrich, Familienrecht 6. Aufl. § 1565 BGB Rdn. 51; v. Bar in Staudinger, BGB [2018] § 1565 Rdn. 108 ff). Die beteiligten Ehegatten leben noch nicht seit einem Jahr getrennt, wobei es nicht einmal darauf ankommt, ob rechtlich bereits ein die Trennung begründender Umstand mit der Inhaftierung des Antragsgegners eingetreten ist, was bezweifelt werden kann. Jedenfalls aber leben die Ehegatten frühestens seit Mai 2019 getrennt, so daß derzeit allenfalls eine Trennungszeit von unter einem Jahr vorliegen kann.

Die - zumindest aus ihrer Sicht - vollständige Zerrüttung der Ehe, also Umstände, die dem Senat die Prognose erlauben würden, daß die Eheleute voraussichtlich nicht zu einer Lebensgemeinschaft zurückfinden können (vgl. v. Bar, aaO Rdn. 49), hat die Antragstellerin, der die Darlegungs- und Beweislast obliegt (Brudermüller, aaO Rdn. 5; v. Bar, aaO Rdn. 190), nicht zu der Überzeugung des Senats darlegen können. Zwar genügt es, wenn nur ein Ehegatte nicht mehr bereit ist, an der Ehe festzuhalten - die Antragstellerin bekundet dies in dem Verfahren durchgängig -; es bestehen aber nachhaltige Zweifel daran, daß es sich um den ernsten und nachhaltigen Willen der Ehefrau handelt, auch wenn die von ihr vorgetragenen Ursachen für die Abwendung von der langjährigen Ehe (langjähriger sexueller Mißbrauch der Kinder V. und M., sowie einmaliger sexueller Mißbrauch der Ehefrau selbst; eskalierter Vorfall im Mai 2019) aufgrund der Schwere und Dauer sehr gewichtige Gründe für eine vollständige Abkehr von dem Eheband darstellen könnten. Das dem Ehemann vorgeworfene Verhalten, für dessen Erweislichkeit es nach den dem Senat (auch in dem Verfahren 9 UF 133/19 zum Sorgerecht) bekannt gewordenen Ermittlungsergebnissen gravierende Anhaltspunkte gibt, stellt - wie nicht verkannt werden soll - ein erhebliches Indiz für die Richtigkeit der Behauptung der Ehefrau dar, an der Ehe keinesfalls mehr festhalten zu können.

Gleichwohl bezweifelt der Senat die Glaubhaftigkeit der Angaben der Ehefrau. Bei ihrer Anhörung vor dem Senat hat die Antragstellerin angegeben, das Ereignis im Mai 2019 sei so schrecklich gewesen, daß danach kein Zusammenleben mit ihrem Mann mehr denkbar gewesen sei. Die Briefe, die die Antragstellerin im Juli 2019 (also fast drei Monate später) an den Antragsgegner geschrieben hat, sprechen nicht für ein Scheitern der Ehe; sie belegen vielmehr, daß die Ehefrau auch nach dem Gewaltvorfall durchaus noch Gefühle für ihren Ehemann empfindet. So redet sie ihn in beiden Briefen mit »Hallo mein dummer alter Bär!« an; dies zeigt eine Vertrautheit und ein Zugewandtsein. Daß sich die Antragstellerin mit dem Antragsgegner noch emotional verbunden fühlt, zeigen auch folgende Ausführungen in dem Brief vom … Juli 2019: »Für Dich wird immer ein Platz in meinem Herzen frei bleiben. Da ist mir auch völlig egal, was unser Umfeld dazu sagt«. Gleiches gilt für die Textpassage »Ich möchte Dich einfach mal wieder umarmen und knuddeln. Anschließend werde ich Dich übers Knie legen und Dir den Hintern versohlen. Ich habe Dich trotz allem lieb.« Die Antragstellerin versichert dem Antragsgegner in diesem Brief - ungeachtet des Geschehenen - ihre Zuneigung und auch die ihrer Kinder und des Enkelkindes. Der Brief endet wie folgt: »Wir haben Dich alle lieb. N., M., T., V. u. F.«. In dem Brief vom … Juli 2019 schlägt die Antragstellerin dem Antragsgegner einen Neuanfang vor, und entwickelt Ideen des Zusammenkommens. Sie führte unter anderem aus: »21 Jahre Ehe sind eine lange Zeit, die man nicht ohne weiteres wegwerfen kann und möchte«. Am Ende des Briefes erlaubt sie dem Ehemann, ihr zum Hochzeitstag zu gratulieren. Zur Begründung führt sie an: »… denn dieser Tag wird für immer in meinem Herzen bleiben.«.

Ein Ehegatte, der sich von dem anderen Ehepartner endgültig abgewandt und mit ihm gebrochen hat, schreibt solche Briefe nicht. Mit der Beschwerde versucht die Antragstellerin, das Abfassen der Briefe kleinzureden. Das Vorbringen überzeugt nicht. Soweit sie rügt, der Antragsgegner habe die Briefe nur in Auszügen vorgelegt, behauptet sie nicht einmal, in den abgedeckten Passagen weniger liebevoll und freundschaftlich geschrieben, oder gar das Geschehene irgendwie negativ erwähnt zu haben. Auch der behauptete psychische Druck, den der Antragsgegner ausgeübt haben soll, erschließt sich nicht. Der Antragsgegner befindet sich seit Mai 2019 in Untersuchungshaft. In Anbetracht dieser Tatsache hat die Antragstellerin die von ihr bemühte Drucksituation nicht darlegen können. Diese soll über Briefe an die Tochter V. entstanden sein.

Es ist richtig, daß der Antragsgegner - nach seiner Inhaftierung - zahlreiche Briefe an die Tochter V. geschrieben hat. Er beschreibt darin auch seine Gefühle für die Ehefrau (zum Beispiel: »Gib Mama von mir einen Kuß auf die Stirn. Ich liebe sie noch immer und es tut mir alles Leid«), das Alleinsein, und seine Ängste vor der Zukunft. Er gelobt auch Besserung, und macht Versprechungen (in der Hoffnung, daß die Ehefrau ihm noch einmal eine Chance gibt). Wenn die »Geschichte« ausgestanden sei, wolle er sich mehr um die Ehefrau und die Kinder kümmern. Die Tochter sollte für die Mutter einen Blumenstrauß besorgen und mit ihr über die Scheidung sprechen, die der Antragsgegner nicht will. In seinen Briefen hat er V. verschiedentlich gebeten, die Mutter zu fragen, ob sie dem Ehemann einmal ein paar Zeilen schreibt. Von einem massiven Drängen kann in diesem Zusammenhang aber keine Rede sein, auch wenn der Wunsch des Antragsgegners nach Kontakt zur Ehefrau deutlich wird.

Warum die Antragstellerin dadurch den Druck verspürt haben soll, entgegen ihren wirklichen Gefühlen derart liebevoll zu schreiben, ist unerklärlich. Die Antragstellerin ist eine erwachsene Frau von 44 Jahren. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß sie psychisch krank ist. Der Hinweis auf eine »psychische Behandlung« ist ohne nähere Erläuterung geblieben. Der Vorfall vom Mai 2019 kann aus der Sicht der Ehefrau, wenn man ihr glaubt, doch nur heißen, daß der Antragsgegner durch seine Tat die Familie zerstört hat. Nach einer solchen Situation kann man als Ehefrau und Mutter des betroffenen Kindes (von dem weiteren langjährigen Mißbrauch der Kinder V. und M. will sie zu dieser Zeit noch nichts gewußt haben - woran allerdings aufgrund der polizeilichen Vernehmung des Kindes M. Zweifel bestehen) doch nur enorme Wut entwickeln, und nicht in »Liebesrausch« verfallen. Die Antragstellerin stellt sich als verwirrtes und hilfloses Wesen dar, das die Sache nicht im Griff hat. Dazu paßt allerdings nicht, daß sie die besagten Briefe mit »Deine Chefin« unterschrieben hat.

Vor dem Senat hat die Antragstellerin gemeint, sie sei stark manipulierbar. Das erscheint möglich, macht aber eine endgültige Abkehr von der Ehe nicht wahrscheinlicher. Die Antragstellerin war offenbar von den Briefen des Ehemannes berührt, der ihr geschmeichelt und sie indirekt umworben hat. In dem Anhörungstermin vom 3. September 2019 hat sie gegenüber der Amtsrichterin eingeräumt, »einfach ihre Gefühle runter geschrieben«, und es hinterher bereut zu haben; dies hat sie vor dem Senat wiederholt. Ersteres ist offensichtlich. Die Antragstellerin hatte jedenfalls beim Abfassen der Briefe noch nicht endgültig mit dem Antragsgegner abgeschlossen; außerdem ist sie hinsichtlich des Scheidungsantrages mindestens auch durch weitere Umstände geleitet worden. In ihrem Brief vom … Juli 2019 begründet sie die Einreichung des Scheidungsantrages mit dem »enormen Druck vom Jugendamt und anderen Behörden«. Sie sei gezwungen, die Scheidung durchzuziehen. Das Schreiben der Briefe tut die Antragstellerin jetzt als Anfall von Schwäche ab: Sie sei verwirrt von den zahlreichen Liebesbekundungen und der Hartnäckigkeit des Ehemannes gewesen.

Auffallend ist, daß die Antragstellerin das Briefeschreiben einstellte, als der Umgang mit dem Ehemann in dem Sorgerechtsverfahren problematisiert wurde (Beschwerdebegründung in dem Sorgerechtsverfahren 9 UF 133/19 vom 16. August 2019). Nachdem die Antragstellerin bei ihrer Anhörung durch den Senat zunächst erklärt hat, es habe definitiv nach den beiden Briefen keinerlei Kontakt mehr gegeben, räumte sie auf Vorhalt des Antragsgegners ein, diesem eine Weihnachtskarte in die Justizvollzugsanstalt geschickt zu haben. Eine Erklärung konnte sie dazu nicht abgeben, bezog sich aber wieder auf »Druck« angesichts von Briefen an V. Nähere Erklärungen konnte sie nicht machen, sagte aber auf Befragen spontan, ihre Tochter mache ihr gar keinen Druck.

Nach dem gefühlvollen Briefwechsel und mindestens einer Weihnachtskarte vermag der Senat angesichts der strafrechtlichen Verfolgung auch der Antragstellerin in Zusammenhang mit Sexualdelikten gegenüber M. und sich daraus ergebenden sorgerechtlichen Fragen betreffend M. und T. von einem Scheitern der Ehe nicht auszugehen. Das Verhalten der Antragstellerin ist mindestens als ambivalent anzusehen, und hat deutliche taktische Elemente in Bezug auf weitere Verfahren.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO iVm § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG; die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs. 1, 43 FamGKG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 1 und 2 FamFG liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf einer Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalles.

OLG Brandenburg 2020-03-26 - 9 UF 223/19
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Anmerkungen

Aus der im Jahre 1998 geschlossenen Ehe sind drei inzwischen volljährige Kinder hervorgegangen. Im Mai 2019 beantragte die Ehefrau die Scheidung der Ehe mit der Begründung, der Ehemann habe sie im Beisein des Kindes M. vergewaltigt, und gleichzeitig auch dieses sexuell missbraucht. Im Zuge polizeilicher Ermittlungen stellte sich heraus, dass M. in der Vergangenheit mehrfach von seinem Vater missbraucht worden war. Dieser befindet sich in U-Haft; er hält die Ehe nicht für gescheitert, und verweist hierzu vor allem auf zwei Briefe seiner Ehefrau aus Juli 2019, wonach sie den Kontakt aufrechterhalten wolle. Über ihre Tochter hatte die Ehefrau bereits mehrere Briefe an den Ehemann geschrieben.

Das FamG hat den Scheidungsantrag der Ehefrau abgewiesen. Die Geschehnisse aus Mai 2019 seien zwar grundsätzlich geeignet, eine Härtefallscheidung nach § 1565 Abs. 2 BGB zu begründen; dem Gericht fehle aber nach Anhörung der Ehefrau die Überzeugung, dass diese die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherstellen wolle, denn sie habe die innere Bindung zu ihrem Mann nicht verloren. Die Beschwerde gegen die Abweisung des Scheidungsantrages hatte keinen Erfolg. Das OLG hat darauf abgestellt, dass vor Ablauf des einjährigen Getrenntlebens die Ehe nur geschieden werden könne, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellt (§ 1565 Abs. 2 BGB). Die unzumutbare Härte müsse sich auf das Eheband, also das »Weiter-miteinander-verheiratet-Sein«, nicht auf die Fortsetzung des ehelichen Zusammenlebens beziehen. Zwar liege grundsätzlich eine unzumutbare Härte iSd § 1565 Abs. 2 BGB vor; diese sei allein für die Ehescheidung aber nicht massgeblich; entscheidend sei das Scheitern der Ehe.

Die vollständige Zerrüttung der Ehe, also Umstände, die die Prognose erlauben würden, dass die Eheleute voraussichtlich nicht zu einer Lebensgemeinschaft zurückfinden können, habe die Antragstellerin nicht darlegen können. Es bestünden nachhaltige Zweifel daran, dass es sich um den ernsten und nachhaltigen Willen der Ehefrau handele, auch wenn die von ihr vorgetragenen Ursachen für die Abwendung von der langjährigen Ehe (langjähriger sexueller Missbrauch der Kinder V. und M., sowie einmaliger sexueller Missbrauch der Ehefrau selbst) aufgrund der Schwere und Dauer sehr gewichtige Gründe für eine vollständige Abkehr vom Eheband darstellen könnten. Das OLG hat dennoch an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Ehefrau gezweifelt: Ihre Anhörung vor Gericht sowie die zwischen den Beteiligten gewechselten Briefe belegten vielmehr, dass sie auch nach dem Gewaltvorfall durchaus noch Gefühle für ihren Ehemann empfinde. So redete sie ihn in zwei Briefen mit »Hallo mein dummer alter Bär!« an. Dies zeige eine Vertrautheit und ein Zugewandtsein. Dass sich die Antragstellerin mit dem Antragsgegner noch emotional verbunden fühle, zeigten auch folgende Ausführungen in einem Brief aus Juli 2019: »Für Dich wird immer ein Platz in meinem Herzen frei bleiben.« Der Brief endet wie folgt: »Wir haben Dich alle lieb. N., M., T, V. u. F.« Darüber hinaus sei die Ehefrau hinsichtlich des Scheidungsantrages mindestens auch durch weitere Umstände geleitet worden. In einem Brief - ebenfalls aus Juli 2019 - begründet sie die Einreichung des Scheidungsantrages mit dem »enormen Druck vom Jugendamt und anderen Behörden. Sie sei gezwungen, die Scheidung durchzuziehen. «


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Ehescheidung; Beurkundung einer in Italien erfolgten Privatscheidung nach italienischem Recht im deutschen Eheregister.

BGB § 1564 ff; FamFG § 107; EGV 2201/2003 Art. 21, Art. 39; PStG §§ 5, 16, 49

Eine in Italien durchgeführte einvernehmliche Ehescheidung vor dem Standesbeamten unterfällt dem Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO. Die Fortführung eines Eheregistereintrages erfordert deshalb keine vorherige Anerkennung der Scheidung durch die Landesjustizverwaltung; ausreichend ist eine Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO.

Kammergericht, Beschluß vom 30. März 2020 - 1 W 236/19

Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 3) wird der Beschluß des Amtsgerichts Schöneberg vom 01.07.2019 (71a III 15/19) abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Das Standesamt Mitte von Berlin wird angewiesen, die Fortführung des Eheregistereintrags E. … nicht von der vorherigen Anerkennung der in Italien erfolgten Scheidung der Ehe der Beteiligten zu 3) und zu 4) durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung abhängig zu machen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe
I. Die Beteiligte zu 3) besitzt die deutsche und die italienische Staatsbürgerschaft. Der Beteiligte zu 4) ist Italiener. Sie leben beide in Italien, und schlossen am 20. September 2013 vor dem Standesamt Mitte von Berlin miteinander die Ehe, was zu der in dem Beschlußeingang bezeichneten Registernummer in dem Eheregister beurkundet wurde.

Am 30. März 2017 erschienen die Beteiligten zu 3) und zu 4) vor dem Standesamt in Parma/Ufficio di Stato Civile in Italien und erklärten zu der Urkunde 1…, keine minderjährigen, pflegebedürftigen volljährigen, schwerbehinderten volljährigen oder wirtschaftlich unselbständigen volljährigen Kinder zu haben, untereinander keinerlei Vereinbarung zur Übertragung von Vermögen zu treffen, und die einvernehmliche Trennung zu wollen. Am 11. Mai 2017 bestätigten sie persönlich vor dem Standesamt Parma diese Erklärung. Die Beteiligten zu 3) und zu 4) erschienen erneut am 15. Februar 2018 vor dem Standesamt in Parma; dort nahmen sie zu der Urkundennummer 2… Bezug auf ihre Erklärungen vom 30. März 2017 und erklärten, bezüglich der Auflösung ihrer Ehe sei kein Verfahren anhängig, und sie wünschten die Auflösung der Ehe. Ihre Erklärungen bestätigten sie gegenüber dem Standesamt Parma am 26. April 2018 (Urkundennummer 3…). Das Standesamt Parma stellte der Beteiligten zu 3) am 2. Juli 2018 eine Bescheinigung gemäß Art. 39 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (im Folgenden: Brüssel IIa-VO) aus; darin wird die Scheidung der Ehe der Beteiligten zu 3) und zu 4) mit Wirkung vom 15. Februar 2018 bestätigt.

Die Beteiligte zu 3) hat die Beteiligte zu 1) gebeten, die Scheidung in dem deutschen Eheregister zu beurkunden. Die Beteiligte zu 1) hat Zweifel, ob die Beurkundung zunächst eine Anerkennung nach § 107 FamFG voraussetzt, und die Sache über die Beteiligte zu 2) dem Amtsgericht Schöneberg vorgelegt. Das Amtsgericht hat die Beteiligte zu 1) mit Beschluß vom 1. Juli 2019 angewiesen, »die am 15.02.2018 erfolgte außergerichtliche Privatscheidung der beiden sonstigen Beteiligten vor dem Standesbeamten der Stadt Parma/Italien erst nach erfolgter Anerkennung durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung gemäß § 107 Abs. 1 S. 1 FamFG dem Eheregistereintrag des Standesamtes Mitte von Berlin beizuschreiben«. Gegen diesen ihr am 7. August 2019 zugestellten Beschluß richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 3) vom 27. August 2019, der das Amtsgericht mit Beschluß vom 29. August 2019 nicht abgeholfen hat.

Am 17. September 2019 hat die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung den Antrag der Beteiligten zu 3) auf Anerkennung der am 15. Februar 2018 in dem Standesamt von Parma/Italien erfolgten Ehescheidung zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beteiligte zu 3) mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 9. Oktober 2019, der bei dem Kammergericht am 10. Oktober 2019 eingegangen ist, Antrag auf gerichtliche Entscheidung stellen lassen. Das Verfahren wird zu der Geschäftsnummer 1 VA 31/19 bei dem Senat geführt.

II. 1. Die Beschwerde ist zulässig; insbesondere ist sie form- und fristgerecht innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses erhoben worden (§§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64, 65 FamFG, § 51 Abs. 1 PStG). Die Beteiligte zu 3) ist auch beschwerdeberechtigt, denn sie wird durch die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts in ihren Rechten beeinträchtigt (§ 59 Abs. 1 FamFG): Ohne die von dem Amtsgericht für erforderlich erachtete Anerkennung ihrer in Italien erfolgten Ehescheidung durch die Landesjustizverwaltung (§ 107 FamFG) kann sie ihr Ziel, die Ehescheidung in dem Eheregister zu verlautbaren, nicht erreichen.

2. Die Beschwerde ist begründet.

a) Lehnt das Standesamt die Vornahme einer Amtshandlung ab, so kann es auf Antrag der Beteiligten oder der Aufsichtsbehörde durch das Gericht dazu angewiesen werden (§ 49 Abs. 1 PStG). Der Ablehnung einer Amtshandlung steht es gleich, wenn das Standesamt in Zweifelsfällen von sich aus die Entscheidung des Gerichts darüber herbeiführt, ob eine Amtshandlung vorzunehmen ist (§ 49 Abs. 2 PStG). Das ist hier der Fall: Die Beteiligte zu 1) hat wegen ihrer Zweifel, ob die Fortführung des Eheregisters (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 PStG) ohne vorherige Anerkennung der in Italien erfolgten Scheidung der Ehe der Beteiligten zu 3) und zu 4) durch die Landesjustizverwaltung gemäß § 107 FamFG erfolgen kann, um gerichtliche Entscheidung ersucht.

b) Registereinträge sind nach den Vorschriften des Personenstandsgesetzes durch Folgebeurkundungen und Hinweise zu ergänzen und zu berichtigen (Fortführung, § 5 Abs. 1 PStG). Zu dem Eheeintrag werden Folgebeurkundungen über die Scheidung der Ehe aufgenommen (§ 16 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 PStG). Regelmäßig erfolgt die Eintragung in diesen Fällen aufgrund einer von dem Familiengericht übermittelten abgekürzten Ausfertigung der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung; sie ist aber auch dann zulässig, wenn ein Beteiligter eine solche Entscheidung vorlegt (Gaaz in Gaaz/Bornhofen, PStG 4. Aufl. § 16 Rdn. 16).

Handelt es sich um eine im Ausland ergangene Entscheidung, kann diese nur anerkannt werden, wenn die Landesjustizverwaltung festgestellt hat, daß die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen (§ 107 Abs. 1 S. 1 FamFG). Diese Feststellung ist für Gerichte und Verwaltungsbehörden bindend (§ 107 Abs. 9 FamFG). Ihr Fehlen stellt ein Verfahrenshindernis dar mit der Folge, daß ein Verwaltungsverfahren auszusetzen, und die Entscheidung der Landesjustizverwaltung abzuwarten ist (Senatsbeschluß FGPrax 2017, 238; Hau in Prütting/Helms, FamFG 4. Aufl. § 107 Rdn. 64).

Anders ist dies, wenn es sich um eine in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (außer Dänemark) ergangene Entscheidung handelt, auf die die Regelungen der Brüssel IIa-VO Anwendung finden. Diese Entscheidungen werden in den Mitgliedstaaten anerkannt, ohne daß es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf (Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO); ein Verfahren nach § 107 FamFG kommt insoweit nicht in Betracht (§ 97 Abs. 1 S. 2 FamFG, Art. 21 Abs. 2 Brüssel IIa-VO; Dimmler in Keidel, FamFG 20. Aufl. § 107 Rdn 6): In einem solchen Fall genügt zu der Fortführung des Eheregisters die Vorlage einer Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO (Gaaz, aaO Rdn. 18).

c) Vorliegend ist die Ehe der Beteiligten zu 3) und zu 4) auf der Grundlage des Art. 12 des Gesetzesdekrets Nr. 132 vom 12. September 2014 (im Folgenden: »DL/Italien«, abgedruckt bei Henrich in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht mit Staatsangehörigkeitsrecht Italien [Stand: 2017]) aufgelöst worden. Danach können Ehegatten unter bestimmten Voraussetzungen (hierzu Cubeddu Wiedemann/Wiedemann in Süß/Ring, Eherecht in Europa 3. Aufl. Italien Rdn. 190 ff; Scalzini, StAZ 2016, 129; Cubeddu Wiedemann/Henrich, FamRZ 2015, 1253) durch persönliche Erklärung gegenüber dem Bürgermeister in dessen Eigenschaft als Zivilstandsbeamtem der Gemeinde durch Vereinbarung die Beendigung ihrer Ehe erreichen (Art. 12 Abs. 1 DL/Italien). Eine solche Vereinbarung tritt an die Stelle einer gerichtlichen Entscheidung (Art. 12 Abs. 3 S. 4 DL/Italien); sie hat konstitutive Wirkung (Cubeddu Wiedemann/Wiedemann, aaO Rdn. 195; Scalzini, aaO S. 131; Cubeddu Wiedemann/Henrich, aaO S. 1257).

aa) Ob eine solche nach italienischem Recht erfolgte Ehescheidung in den Anwendungsbereich des Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO fällt, ist umstritten.

Teilweise wird dies abgelehnt, weil es sich um eine Privatscheidung ohne konstitutiven Hoheitsakt eines Gerichts oder einer Behörde handele (Dimmler, aaO Rdn. 7; Andrae, Internationales Familienrecht 4. Aufl. Teil I § 2 Rdn. 20; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. Abschnitt K Rdn. 18; Cubeddu Wiedemann/Henrich, aaO S. 1258). Andere schließen die Anwendung des Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO nicht aus (Hau, aaO § 98 Rdn. 7; Schlürmann, FamRZ 2019, 1035, 1040; Dutta, FF 2018, 60, 63; Kohler/Pintens, FamRZ 2016, 1509, 1516).

bb) Der Senat erachtet den Anwendungsbereich des Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO bei einer auf Art. 12 DL/Italien beruhenden Ehescheidung für eröffnet. Dem steht das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Dezember 2017 (C-372/16 - NJW 2018, 447) nicht entgegen. Der Europäische Gerichtshof hat dort festgestellt, Privatscheidungen unterfielen nicht dem in der Verordnung (EG) Nr. 1259 /2010 (Rom III) und der Brüssel IIa-VO übereinstimmend verwendeten Begriff der »Ehescheidung«; beide Verordnungen erfaßten nur Ehescheidungen, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden (EuGH aaO S. 449).

Letzteres ist aber auch bei einer Ehescheidung nach Art. 12 DL/Italien der Fall. Zwar handelt es sich auch hier nach allgemeinem Verständnis um eine »Privatscheidung« (hierzu OLG München FamRZ 2018, 817, 818), weil sie auf den konsensualen Erklärungen der Eheleute - gegenüber dem Zivilstandsbeamten - beruht (Art. 12 Abs. 3 S. 5 DL/Italien); sie unterscheidet sich hingegen deutlich von einer Privatscheidung islamischen (syrischen) Rechts, die aber dem Verfahren des Europäischen Gerichtshofes zugrunde lag. Zwar erfolgte dort die Scheidung auch unter Mitwirkung eines (Sharia-)Gerichts (EuGH aaO; OLG München FamRZ 2018, 817); jedoch kann eine muslimische Ehe - durch Verstoßung oder einvernehmlich - auch ohne eine solche Mitwirkung aufgelöst werden (Brandhuber/Zeyringer/Heussler, Standesamt und Ausländer Syrien [Stand: 08/2017] Anm. VI. 5).

In Italien ist die Mitwirkung des Zivilstandsbeamten hingegen zwingend; ohne ihn kann die Ehescheidung von den Eheleuten konstitutiv nicht herbeigeführt werden. Das rechtfertigt die Anwendung der Brüssel IIa-VO (hierzu Gottwald in MünchKomm, FamFG 3. Aufl. Art. 1 Brüssel IIa-VO Rdn. 4). Seine Mitwirkung an der Scheidung geht auch über eine reine Warn-, Klarstellungs-, Beweis- oder Beratungsfunktion (vgl. Andrae, aaO) hinaus. Die Eheleute haben ihre Erklärungen persönlich dem Zivilstandsbeamten gegenüber abzugeben (Art. 12 Abs. 3 S. 1 DL/Italien), und nach Ablauf von mindestens 30 Tagen nochmals persönlich vor ihm zu bestätigen (Art. 12 Abs. 3 S. 6 DL/Italien). Innerhalb dieses Zeitraums obliegen dem Zivilstandsbeamten gewisse Kontrollpflichten, unter anderem bezogen auf die Erklärungen der Ehegatten zu Kindern sowie zu den weiteren Voraussetzungen der Scheidung - etwa die Einhaltung der erforderlichen Trennungszeit - (Cubeddu Wiedemann/Wiedemann, aaO Rdn. 194; Cubeddu Wiedemann/Henrich, aaO S. 1257; Ministero dell´Interno, Circolare Nr. 19/2014 vom 28. November 2014). Schließlich wird auch in Italien der Anwendungsbereich der Brüssel IIa-VO für eröffnet erachtet (Scalzini, aaO S. 131), was vorliegend nicht zuletzt durch die Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO durch den Zivilstandsbeamten der Stadt Parma vom 2. Juli 2018 zum Ausdruck kommt.

Dem kann die Beteiligte zu 2) nicht entgegenhalten, erst mit der Entscheidung nach § 107 FamFG werde wegen ihrer Bindungswirkungen gegenüber Gerichten und Behörden eine rechtssichere Grundlage geschaffen: Die Beteiligte zu 2) verkennt hierbei den Vorrang der Brüssel IIa-VO gegenüber dem nationalen Anerkennungsverfahren (vgl. § 97 Abs. 1 S. 2 FamFG). Zu der Fortführung der Personenstandsbücher bedarf es gerade keines weiteren nationalen (Anerkennungs-)Verfahrens (Art. 21 Abs. 2 Brüssel IIa-VO).

3. Die Sache ist nicht nach Art. 267 AEUV dem Gerichtshof der Europäischen Union vorzulegen. Es geht nicht um die - erneute - Auslegung europäischen Rechts. Zu der Anwendung - auch - der Brüssel IIa-VO hat sich der Europäische Gerichtshof bereits in der Rechtssache C-372/16 (NJW 2018, 447) verhalten. Zu entscheiden ist vorliegend über die Anwendung - nationalen - Rechts (Art. 12 DL/Italien) auf dieses ausgelegte Recht; dies ist Aufgabe des innerstaatlichen Gerichts (Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV 5. Aufl. Art. 267 AEUV Rdn. 6).

4. Anlaß für eine Kostenentscheidung besteht nicht. Für das erfolgreiche Rechtsmittel werden Gerichtskosten nicht erhoben, und die Auferlegung der außergerichtlichen Kosten auf einen der Beteiligten widerspricht billigem Ermessen (§ 81 Abs. 1 S. 1 FamFG).

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 51 Abs. 1 PStG, § 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG). Dem steht die Neufassung der Brüssel IIa-VO (EG) 2019/1111 vom 25. Juni 2019 (ABl. EU vom 2. Juli 2019 - L 178/1) nicht entgegen: Sie gilt erst für nach dem 1. August 2022 eingeleitete gerichtliche Verfahren, förmlich errichtete oder eingetragene öffentliche Urkunden und eingetragene Vereinbarungen (Art. 100 Abs. 1 Brüssel IIa-VO neu). Auf Verfahren wie vorliegend ist weiterhin die Brüssel IIa-VO in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 anzuwenden (Art. 100 Abs. 2 Brüssel IIa-VO neu); darüber hinaus stellt sich die Anwendbarkeit der Brüssel IIa-VO neu auf Ehescheidungen nach Art. 12 DL/Italien nach der von dem Senat vertretenen Auffassung nicht mehr, weil der Entscheidungsbegriff dort jedenfalls nicht enger als in Art. 2 Nr. 4 Brüssel IIa-VO gefaßt ist (vgl. Art. 2 Abs. 1 Brüssel IIa-VO neu).

Kammergericht 2020-03-30 - 1 W 236/19
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Anmerkungen

1. Gegenstand des Verfahrens ist eine Privatscheidung nach italienischem Recht: Die Ehegatten (er Italiener, sie Deutsche und Italienerin), die beide in Italien lebten und kinderlos waren, und keine Vereinbarung zur Übertragung von Vermögen getroffen hatten, erklärten auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets Nr. 132 vom 12.09.2014 durch persönliche Erklärung vor dem Standesamt einer italienischen Gemeinde, dass sie die einvernehmliche Trennung wollen. Eine solche Vereinbarung, die nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, tritt an die Stelle einer gerichtlichen Entscheidung, setzt allerdings die Mitwirkung des Zivilstandesbeamten voraus: Die Erklärungen der Ehegatten müssen vor ihm persönlich abgegeben, und nach Ablauf von mindestens 30 Tagen nochmals vor ihm persönlich bestätigt werden.

Nachdem das italienische Standesamt eine Bescheinigung gemäss Art. 39a Brüssel IIa-VO ausgestellt hatte, in der die Scheidung der Ehe bestätigt wurde, beantragte die Ehefrau bei dem zuständigen deutschen Standesamt, die Scheidung in dem deutschen Eheregister zu beurkunden. Das von dem Standesbeamten angerufene AmtsG wies den Standesbeamten an, die Beurkundung erst nach erfolgter Anerkennung der Scheidung durch die Landesjustizverwaltung nach § 107 FamFG vorzunehmen. Eine solche Anerkennung wäre jedoch nicht erforderlich, wenn es sich bei der Mitwirkung des italienischen Standesbeamten an der Privatscheidung um eine in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (ausser Dänemark) ergangene Entscheidung iSv Art. 21 Brüssel IIa-VO handelte, denn diese werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.

In der Rechtssache Sahyouni hat der EuGH (NJW 2018, 44) entschieden, dass die Rom III-VO und die Brüssel IIa-VO nur solche Ehescheidungen erfassen, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden, hat aber die Frage offen gelassen, wann eine private Ehescheidung unter Kontrolle eines Gerichts oder einer öffentlichen Behörde ergeht. Die Auffassungen in der Literatur sind dazu geteilt.

2. Das Kammergericht hat die Scheidung als verfahrensgebundene Privatscheidung angesehen, so dass sie nach Art. 21 Abs. 1 Brüssel IIa-VO ohne ein besonderes Verfahren anzuerkennen sei: Entscheidend sei, dass die Mitwirkung des Standesbeamten zwingend sei; ohne ihn könne die Ehescheidung von den Eheleuten konstitutiv nicht herbeigeführt werden. Seine Mitwirkung gehe auch über eine reine Warn-, Klarstellungs-, Beweis- oder Beratungsfunktion hinaus. Ihm oblägen auch gewisse Kontrollpflichten, etwa bezogen auf die Erklärungen der Ehegatten zu Kindern, sowie zu den weiteren Voraussetzungen dieser Privatscheidung. Für die Anwendung der Brüssel IIa-VO komme es nur darauf an, dass die Privatscheidung obligatorisch in ein staatliches Verfahren eingebettet sei, nicht dagegen, dass die Entscheidung des Gerichts/der Behörde eine für die Ehescheidung konstitutive Wirkung habe. Diese obligatorische »Einbettung« in ein staatliches Verfahren unterscheide die Privatscheidung des italienischen Rechts von der Privatscheidung islamischer Prägung, die Gegenstand der Entscheidung des EuGH war. Zwar erfolgte in diesem Verfahren die Scheidung auch unter Mitwirkung eines (Sharia-)Gerichts, jedoch könne eine muslimische Ehe - durch Verstossung oder einvernehmlich - auch ohne eine solche Mitwirkung aufgelöst werden.

3. Auf die Rechtsbeschwerde der Standesamtsaufsicht hat der BGH mit Beschluss vom 28.10.2020 (FamRZ 2021, 119 = FuR 2021, 109) dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

a) Handelt es sich bei einer Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12.09.2014 (DL Nr. 132/2014) um eine Entscheidung über die Scheidung einer Ehe im Sinne der Brüssel IIa-Verordnung?

b) Für den Fall der Verneinung von Frage a): Ist eine Eheauflösung auf der Grundlage von Art. 12 des italienischen Gesetzesdekrets (Decreto Legge) Nr. 132 vom 12.09.2014 (DL Nr. 132/2014) entsprechend der Regelung des Art. 46 der Brüssel IIa-Verordnung zu öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen zu behandeln?

4. Ab dem 01.08.2022 wird die neue Brüssel IIb-VO vom 25.06.2019 die Brüssel IIa-VO ablösen. Nach Art. 65 Abs. 1 Brüssel IIb-VO werden öffentliche Urkunden und Vereinbarungen über eine Trennung ohne Auflösung des Ehebandes und eine Ehescheidung, die in dem Ursprungsmitgliedstaat rechtsverbindliche Wirkung haben, in anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf; Voraussetzung ist aber die Vorlage einer Bescheinigung des Ursprungsmitgliedstaates (Art. 66 Abs. 5 Brüssel IIb-VO). Wird die Bescheinigung nicht vorgelegt, so wird die öffentliche Urkunde oder die Vereinbarung in einem anderen Mitgliedstaat nicht anerkannt oder vollstreckt. Damit bleibt die Notwendigkeit der Abgrenzung zwischen einer Entscheidung und einer Vereinbarung iSd Art. 65 Abs. 1 Brüssel IIb-VO (s. dazu Erwägungsgrund 14 der Verordnung) für die Frage, welche Bescheinigung der Ursprungsmitgliedstaat für die Anerkennung der Ehescheidung auszustellen hat, bestehen.

Hinweis

Das Verfahren ist bei dem Bundesgerichtshof anhängig (Aktenzeichen: XII ZB 187/20).


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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Abtrennung der Folgesache Zugewinn vom Scheidungsverfahren aufgrund der Verzögerung durch die Corona-Pandemie.

BGB § 1565; FamFG § 140

1. Die Voraussetzungen der Abtrennung nach § 140 FamFG sind für jede abzutrennende Folgesache gesondert zu prüfen.
2. Zu der Annahme einer außergewöhnlichen Verzögerung (Abtrennung nach § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG) angesichts der Corona-Krise.
3. Zu der unzumutbaren Härte (Abtrennung nach § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG) im Falle einer gefährlichen Körperverletzung in verminderter Schuldfähigkeit.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 9. April 2020 - 9 UF 19/20

Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners vom 14.01.2020 gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Cottbus vom 18.11.2019 (53 F 155/19) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
3. Der Beschwerdewert beträgt 10.400 €.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe
I. Die gemäß §§ 58 ff FamFG statthafte Beschwerde des Antragsgegners, die mit Senatsbeschluß vom 16. März 2020 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen wurde, ist unbegründet, und daher zurückzuweisen. Soweit mit der Beschwerde ausschließlich gerügt wird, die Abtrennung der Folgesache Zugewinnausgleich (abgetrennt wurde zudem die Folgesache Versorgungsausgleich) von dem Scheidungsverbund innerhalb der angefochtenen Entscheidung sei in unzulässiger Weise erfolgt, trägt dies nicht.

1. Es liegen die Voraussetzungen einer Abtrennung nach § 140 FamFG vor. Die Voraussetzungen der Abtrennung sind dabei für jede Folgesache gesondert zu prüfen (OLG Frankfurt FamRZ 1988, 966; Viefhues, FF 2017, 477, 478).

a) Hinsichtlich der Folgesache Versorgungsausgleich ergibt sich die Zulässigkeit der Abtrennung aus § 140 Abs. 2 Nr. 4 FamFG. Nach dieser Norm kann das Gericht die Folgesache Versorgungsausgleich abtrennen und die Ehescheidung vorab aussprechen, wenn seit Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages ein Zeitraum von drei Monaten verstrichen ist, beide Ehegatten die erforderlichen Mitwirkungshandlungen für den Versorgungsausgleich vorgenommen haben, und beide übereinstimmend die Abtrennung beantragen. Sämtliche Voraussetzungen sind gegeben, insbesondere hat der Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht der Abtrennung insoweit auch zugestimmt. Mit seiner Beschwerde greift er dies auch nicht - jedenfalls nicht ausdrücklich - an.

b) Hinsichtlich der Folgesache Zugewinnausgleich ergibt sich die Zulässigkeit der Abtrennung aus § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG. Nach dieser Norm kann das Gericht die Folgesache Versorgungsausgleich abtrennen und die Ehescheidung vorab aussprechen, wenn sich der Scheidungsausspruch so außergewöhnlich verzögern würde, daß ein weiterer Aufschub unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte für den Ehegatten darstellen würde, der die Abtrennung beantragt.

aa) Zwar liegt eine außergewöhnliche Verzögerung in zeitlicher Hinsicht regelmäßig erst dann vor, wenn seine Dauer ab Rechtshängigkeit mehr als zwei Jahre beträgt (vgl. bereits BGH FamRZ 1991, 687 = EzFamR ZPO § 628 Nr. 2 = BGHF 7, 689). Diese Zwei-Jahresfrist ist hier noch nicht erreicht; vielmehr sind derzeit erst rund neun Monate seit der Verfahrenseinleitung vergangen. Zu der tatsächlichen, bereits abgelaufenen Verfahrensdauer ist nach dem Gesetzeswortlaut (»verzögern würde«) jedoch der Zeitraum hinzuzurechnen, der mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist (BGH FamRZ 1986, 898 = EzFamR ZPO § 628 Nr. 1 = BGHF 5, 429); zudem handelt es sich bei der Zwei-Jahresfrist allein um eine Regelfrist, die nicht ausschließt, daß in anderen Fallkonstellationen kürzere Zeiträume ausreichend sind. Außergewöhnlich können Verzögerungen auch dann sein, wenn sie auf einer Überlastung des Familiengerichts beruhen, oder von anderweitigen Umständen abhängen (vgl. Viefhues, FF 2017, 477, 483).

Mittlerweile ist allgemein bekannt, daß die Familiengerichte gerade in erster Instanz angesichts einer unterdurchschnittlichen personellen Ausstattung bei gleichzeitig (durchaus altersbedingt geschuldetem) erhöhtem Krankenstand erheblich überlastet sind, was auch an den nach wie vor hohen und zunehmend streitig geführten Fallzahlen im Familienrecht liegt. Dabei darf auch die aktuelle Krisenlage in Deutschland nicht übersehen werden. Die Corona-Krise hat bereits zu zahlreichen Einschränkungen der gerichtlichen Tätigkeit geführt, was aller Voraussicht nach längere Zeit so bleiben wird. Selbst wenn nach hoffentlich überschaubarem Zeitraum die Gerichte wieder zu einer normalen Arbeitstätigkeit zurückkehren können, muß bedacht werden, daß dann eine Vielzahl von Fällen aufgelaufen sind, die erst nach und nach abgearbeitet werden können. Da dann aber vorrangig Kindschaftssachen aufgenommen werden müssen (vgl. § 155 FamFG), ist eine weitere Verzögerung der nicht von dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot erfaßten Scheidungsverbundsachen und daher auch hier betreffs der Folgesache Zugewinn, für die es erkennbar - weil derzeit noch über die Auskunftsstufe entschieden werden muß - noch weiterer erheblicher Zeit bedarf, zu erwarten.

Damit ist bereits jetzt eine außergewöhnliche Verzögerung zu bejahen.

bb) Darüber hinaus muß gemäß § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG der weitere Aufschub des Scheidungsausspruchs für den die Abtrennung Begehrenden neben der außergewöhnlichen Verzögerung eine unzumutbare Härte darstellen. Bei der Beurteilung einer unzumutbaren Härte kommen auch alle Härtefallgründe des § 1565 Abs. 2 BGB in Betracht. Umstände, die die Voraussetzungen des § 1565 Abs. 2 BGB erfüllen, sind als Einzelaspekt in die Gesamtabwägung einzustellen, und können so eine Abtrennung indizieren (OLG Brandenburg FamRZ 2001, 1458; Viefhues, FF 2017, 477, 484). Auf die gesamten vorgenannten Umstände hat der Senat die Beteiligten bereits im Rahmen seiner Verfügung vom 20. März 2020, mit welcher zugleich auf § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG Bezug genommen wurde, hingewiesen.

Soweit in der vorgenannten Senatsverfügung noch ausgeführt wurde, der Antragsgegner habe weit nach der Trennung der Beteiligten im Juni 2019 unter Eindringen in die Wohnung der Antragstellerin mit einem Messer in deren Richtung eingestochen, um sie zu töten, hat der Antragsgegner dies zwar nunmehr nochmals bestritten, und insoweit mit Schriftsatz vom 26. März 2020 eine Tatbestandsberichtigung gemäß § 320 Abs. 1 ZPO (§ 113 Abs. 1 FamFG) beantragt. Ob diesem Antrag, der die Frist des § 320 Abs. 1 ZPO (§ 113 Abs. 1 FamFG) in zeitlicher Hinsicht erkennbar überschritten, und über den das erstinstanzliche Gericht zu befinden hat, nachkommen wird, ist vorliegend ohne Belang, denn auch nach dem eigenen Vorbringen des Antragsgegners ist mittlerweile seine Verurteilung vor dem Landgericht Cottbus wegen gefährlicher Körperverletzung in verminderter Schuldfähigkeit erfolgt (wobei nach den Ausführungen des Antragsgegners zudem durch das Landgericht festgestellt worden sei, daß der Antragsgegner nicht zielgerichtet auf die Ehefrau eingestochen habe, um sie zu töten); dies folgt aus dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 27. März 2020.

Bereits dies erfüllt für die Antragstellerin den Tatbestand einer unzumutbaren Härte. Es kann zwar nicht generell festgelegt werden, welcher Umstand als unzumutbare Härte empfunden werden darf; dies ist nach der subjektiven Erlebnis- und Empfindungsfähigkeit des jeweiligen Antragstellers zu beurteilen (Weber in MünchKomm, BGB 8. Aufl. § 1565 Rdn. 98).

Die Anforderungen einer unzumutbaren Härte sind bei dem schwerwiegenden Übergriff des Antragsgegners, mag dabei auch eine lediglich verminderte Schuldfähigkeit vorgelegen haben, erkennbar gegeben. Die Antragstellerin hat sich mehrfach in dem Verfahren - welches zudem als Härtefallscheidung eingeleitet wurde - auf ihre eigene Belastung auch angesichts des vorangegangen (gegen den Antragsgegner gerichteten) Gewaltschutzverfahrens berufen. § 1565 Abs. 2 BGB stellt dabei nicht auf ein Verschulden des Antragsgegners ab: Prinzipiell sind alle groben Verhaltensweisen Gründe für die Unzumutbarkeit, also auch körperliche Angriffe im Zustand der vollen Schuldunfähigkeit oder (wie hier) verminderten Schuldfähigkeit (vgl. auch Weber, aaO 2019 Rdn. 77). Insoweit kommt es auf die weitere Frage, inwieweit der Antragsgegner tatsächlich in Tötungsabsicht auf die Antragsgegnerin zugestochen hat, nicht streitentscheidend an.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 150 Abs. 1 FamFG iVm § 97 Abs. 1 ZPO entsprechend.

Die Entscheidung über den Verfahrenswert folgt aus §§ 35, 40, 43, 50 FamGKG.

Gründe für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

OLG Brandenburg 2020-04-09 - 9 UF 19/20
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Anmerkungen

Nach § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG kann das Gericht eine Folgesache abtrennen und die Ehescheidung vorab aussprechen, wenn sich der Scheidungsausspruch so aussergewöhnlich verzögern würde, dass ein weiterer Aufschub unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte für den Ehegatten darstellen würde, der die Abtrennung beantragt.

Zwar liege eine aussergewöhnliche Verzögerung in zeitlicher Hinsicht regelmässig erst dann vor, wenn seine Dauer ab Rechtshängigkeit mehr als zwei Jahre beträgt; diese Zwei-Jahresfrist sei jedoch noch nicht erreicht. Zu der tatsächlichen, bereits abgelaufenen Verfahrensdauer sei nach dem Gesetzeswortlaut (»verzögern würde«) allerdings der Zeitraum hinzuzurechnen, der mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist; zudem handele es sich bei der Zwei-Jahresfrist allein um eine Regelfrist, die nicht ausschliesse, dass in anderen Fallkonstellationen kürzere Zeiträume ausreichend sind. Aussergewöhnlich könnten Verzögerungen auch dann sein, wenn sie auf einer Überlastung des Familiengerichts beruhen, oder von anderweitigen Umständen abhängen.

Die FamGe seien gerade in erster Instanz angesichts einer unterdurchschnittlichen personellen Ausstattung bei gleichzeitig (durchaus altersbedingt geschuldetem) erhöhtem Krankenstand erheblich überlastet, was auch an den nach wie vor hohen und zunehmend streitig geführten Fallzahlen im Familienrecht liege. Dabei dürfe auch die aktuelle Krisenlage in Deutschland nicht übersehen werden: Die Corona-Krise habe bereits zu zahlreichen Einschränkungen der gerichtlichen Tätigkeit geführt, was aller Voraussicht nach auch noch längere Zeit so bleiben werde. Selbst wenn die Gerichte einem nach überschaubarem Zeitraum wieder zu einer normalen Arbeitstätigkeit zurückkehren könnten, müsse bedacht werden, dass dann eine Vielzahl von Fällen aufgelaufen seien, die erst nach und nach abgearbeitet werden könnten. Da dann aber vorrangig Kindschaftssachen aufgenommen werden müssen (vgl. § 155 FamFG), sei eine weitere Verzögerung der nicht von dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot erfassten Scheidungsverbundsachen, und daher auch hier betreffs der Folgesache Zugewinn, für die es erkennbar - weil derzeit noch über die Auskunftsstufe entschieden werden müsse - noch weiterer erheblicher Zeit bedarf, zu erwarten. Damit sei bereits jetzt eine aussergewöhnliche Verzögerung zu bejahen.

Auch die unzumutbare Härte als weitere Voraussetzung für die Abtrennung nach § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG bei einer gefährlichen Körperverletzung in verminderter Schuldfähigkeit sei zu bejahen.


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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Existenz und Wirksamkeit eines Scheidungsbeschlusses; Rechtsmittel gegen einen Scheinbeschluß.

BGB § 1564; FamFG §§ 113, 142; ZPO §§ 160, 165, 311

1. Ein Scheinbeschluß liegt bei fehlender rechtlicher Existenz des zugestellten Beschlusses vor; er kann mit denjenigen Rechtsmitteln angefochten werden, welche gegen eine rechtlich existente Entscheidung gleichen Inhalts statthaft wären, wobei allerdings, ohne Vorliegen der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines »echten« Rechtsmittelverfahrens, nur der Rechtsschein einer Entscheidung durch eine dahingehend klarstellende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu beseitigen ist.
2. Das Beschwerdegericht hat in diesen Fällen mangels einer abschließenden erstinstanzlichen Entscheidung die rechtliche Nichtexistenz eines erstinstanzlichen Beschlusses durch die Aufhebung der den Beteiligten zugegangenen Entscheidung klarzustellen, und die Sache an das Amtsgericht zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückzuverweisen.
3. Ein unterschriebener Scheidungsbeschluß verläßt erst durch Verkündung oder durch richterliche Veranlassung einer schriftlichen Bekanntgabe durch Zustellung an Verkündung Statt das Entwurfsstadium, und wird erst dann existent.
4. Eine Verkündung läßt sich nur durch ein Verkündungsprotokoll feststellen; dies kann weder durch die Ankündigung einer Entscheidung in dem Sitzungsprotokoll ersetzt werden, noch durch einen Verkündungsvermerk der Geschäftsstelle.
5. Die richterliche Veranlassung einer schriftlichen Bekanntgabe eines Beschlusses durch Zustellung an Verkündung Statt setzt einen dahingehenden richterlichen Verlautbarungswillen voraus. Die Wirksamkeit eines so existent gewordenen Beschlusses erfordert darüber hinaus eine dementsprechende Zustellung durch die Geschäftsstelle, und regelmäßig einen Zugang der Entscheidung bei den Beteiligten.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 4. Mai 2020 - 13 UF 214/19

Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird unter klarstellender Aufhebung des den Beteiligten zugestellten Scheinbeschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Nauen vom 10.09.2019 (20 F 35/19) festgestellt, daß ein Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Nauen, der das Verfahren erster Instanz beendet hätte, nicht ergangen ist.
Die Sache wird an das Amtsgericht - Familiengericht - Nauen zwecks Beendigung des dort noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückverwiesen.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gründe
I. Die Beschwerdeführer beanstanden die Durchführung eines Versorgungsausgleichs. Am 10. September 2019 hat vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Nauen die letzte mündliche Verhandlung in einer Ehesache mit Folgesachen stattgefunden. Das hierüber aufgenommene Sitzungsprotokoll enthält Erklärungen der Verfahrensbevollmächtigen, den Versorgungsausgleich auszuschließen, und endet mit der Ankündigung, daß eine Entscheidung am Schluß der Sitzung ergehen wird. In der Gerichtsakte nachgeheftet befindet sich ein richterlich unterschriebener Beschlußtext, der die Ehe scheidet, den Versorgungsausgleich ausschließt, und mit einem Verkündungsvermerk der Geschäftsstelle auf den 10. September 2019 versehen ist.

Weiter nachgeheftet befindet sich die nicht unterschriebene Leseabschrift eines Beschlußtextes, der die Ehe scheidet und den Versorgungsausgleich durchführt, indem er sechs Anrechte ausgleicht, davon die letzten beiden ohne Bezeichnung des ausgleichspflichtigen Ehegatten, und der einen Verkündungsvermerk auf den 10. September 2019 wiedergibt. Beglaubigte Abschriften dieses Textes sind den Beteiligten zugestellt worden, von denen die Deutsche Rentenversicherung Bund insoweit Berichtigung mit dem Ziel der Benennung des Ausgleichsschuldners erbeten, und gegen den die Antragstellerin sowie die VBL Beschwerden erhoben haben, die Antragstellerin mit dem Ziel, den Versorgungsausgleich auszuschließen, und die VBL mit dem Ziel, ein von ihr verwaltetes Anrecht wegen Geringfügigkeit nicht auszugleichen.

Das Amtsgericht hat unter dem 18. Oktober 2019 dem Berichtigungsbegehren der Deutschen Rentenversicherung Bund folgend einen Berichtigungsbeschluß erlassen, in dem es den Ausspruch zu den nach dem Text der Leseabschrift zuletzt geteilten beiden Anrechten um den jeweiligen Ausgleichsschuldner ergänzt hat. Dieser Berichtigungsbeschluß ist mit dem Beschlußtext vom 10. September 2019, wonach ein Versorgungsausgleich ausgeschlossen ist, fest verbunden. Gegen den Berichtigungsbeschluß richten sich weitere Korrekturbegehren der Antragsbeteiligten.

Der Senat entscheidet, wie angekündigt, gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung. Es ist nicht ersichtlich, zu welchem Erkenntnisfortschritt eine mündliche Verhandlung führen könnte, zumal der angefochtene Scheinbeschluß aufzuheben, und die Sache zurückzuverweisen ist (vgl. Roßmann in Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG 6. Aufl. § 68 Rdn. 41 mwN).

II. Die Beschwerde (§§ 58 ff FamFG) ist statthaft, und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zwecks Beendigung des dort noch nicht abgeschlossenen Verfahrens.

Durch die äußerlich gesetzmäßige Zustellung eines Beschlußtextes ist der Rechtsschein einer gerichtlichen Entscheidung (»Scheinbeschluß«) erzeugt worden. Ein Scheinbeschluß kann mit denjenigen Rechtsmitteln angefochten werden, welche gegen eine rechtlich existente Entscheidung gleichen Inhalts statthaft wären, wobei allerdings, ohne Vorliegen der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen eines »echten« Rechtsmittelverfahrens, nur der Rechtsschein einer Entscheidung durch eine dahingehend klarstellende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zu beseitigen ist. Das Beschwerdegericht hat in diesen Fällen mangels einer abschließenden erstinstanzlichen Entscheidung die rechtliche Nichtexistenz eines erstinstanzlichen Beschlusses durch die Aufhebung der den Beteiligten zugegangenen Entscheidung klarzustellen, und die Sache an das Amtsgericht zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückzuverweisen (vgl. BGH FamRZ 2012, 1287 = FuR 2012, 549 Tz. 18 mwN).

So liegt es hier: Es fehlt ein instanzabschließender Beschluß des Amtsgerichts. Entscheidungen in Ehesachen und im Falle der Scheidung über sämtliche im Verbund stehenden Familiensachen müssen in einem Termin »verkündet« werden (vgl. § 142 Abs. 3 FamFG). Handelt es sich (wie hier) um eine urteilsersetzende Endentscheidung, erfolgt die Verkündung gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG iVm § 311 Abs. 2 S. 1 und 2 ZPO durch Vorlesen der Entscheidungsformel oder durch Bezugnahme auf die Entscheidungsformel. Der Nachweis für die erfolgte Verkündung kann gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG iVm §§ 165 S. 1, 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO nur durch das Protokoll geführt werden (vgl. BGH FamRZ 2012, 1287 = FuR 2012, 549 Tz. 15 mwN).

Danach ist der unterschriebene Beschlußentwurf vom 10. September 2019, der die Ehe scheidet und den Versorgungsausgleich ausschließt, mangels Verkündung nicht wirksam. Die fehlende Verkündung ergibt sich aus einem fehlenden Verkündungsprotokoll, das weder durch die Ankündigung einer Entscheidung in dem Sitzungsprotokoll ersetzt werden kann, noch durch einen Verkündungsvermerk der Geschäftsstelle (vgl. BGH FamRZ 2012, 1287 = FuR 2012, 549 Tz. 16 mwN; Senatsbeschlüsse FamRZ 2019, 227; 2020, 624).

Der unterschriebene Beschlußentwurf ist auch nicht durch richterliche Verfügung einer schriftlichen Bekanntgabe durch Zustellung an Verkündung Statt (vgl. hierzu BGH FamRZ 2012, 1287 = FuR 2012, 549 Tz. 17) existent geworden: Dies würde die richterliche Wahl einer anderen - jedenfalls gesetzlich vorgesehenen - Verlautbarungsform voraussetzen, eine dementsprechende Zustellung durch die Geschäftsstelle, und einen Zugang der Entscheidung bei den Beteiligten. Hier ist schon eine dahingehende richterliche Verfügung oder Wahl einer alternativen Verlautbarungsform nicht feststellbar, da der unterschriebene Beschlußentwurf einen Verkündungsvermerk enthielt, und es nach einer Verkündung eines weiteren Verlautbarungswillen eines Richters nicht mehr bedarf. Dementsprechend wurde die Zustellung von der Geschäftsstelle aufgrund einer am 10. September 2019 vermeintlich bereits erfolgten Verkündung, und nicht an deren Stelle veranlaßt. Die den Beteiligten - im Übrigen ohne Verkündungsprotokoll - zugestellte Leseabschrift eines Beschlußtextes vom 10. September 2019, der einen Versorgungsausgleich durchführt, statt ihn auszuschließen, stellt überdies mangels Übereinstimmung mit dem schriftlichen richterlichen Beschlußentwurf und mangels tatsächlicher richterlicher Unterschrift nicht einmal einen Beschlußentwurf dar.

Aufgrund fehlender Verkündung und fehlender Zustellung an Verkündung statt scheidet hier zugleich die bloß fehlerhafte Ausfertigung eines jedenfalls existierenden und im übrigen wirksamen verfahrensbeendenden Beschlusses aus. Der auf den zugestellten Beschlußtext gerichtete Berichtigungsbeschluß des Amtsgerichts geht mangels Existenz eines zu berichtigenden Beschlusses in das Leere. Davon abgesehen führt seine feste Verbindung mit dem unterschriebenen Beschlußentwurf, der einen Versorgungsausgleich gerade ausschließt, zu dessen Perplexität.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß eine gerichtlich protokollierte Vereinbarung vor der Rechtskraft der Entscheidung über den Wertausgleich als besondere formelle Wirksamkeitsvoraussetzung nach § 7 Abs. 2 VersAusglG ein nochmaliges Vorlesen, eine Genehmigung, und einen entsprechenden Protokollvermerk hierüber erfordern dürfte; bei Fehlen könnte ein Fall der Formunwirksamkeit mit den Rechtsfolgen des § 125 BGB vorliegen (vgl. BeckOGK/Reetz, VersAusglG [Stand: 01.02.2020] § 7 Rdn. 58, und Wick, Der Versorgungsausgleich 4. Aufl. G. Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich Rdn. 759, jeweils mwN).

Die Entscheidung über die Gerichtskosten beruht auf § 20 Abs 1 S. 1 FamGKG. Im Übrigen wird das Amtsgericht bei der Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Anlaß, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.

OLG Brandenburg 2020-05-04 - 13 UF 214/19
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Anmerkungen

» Entscheidungen in Ehesachen und im Falle der Scheidung über sämtliche im Verbund stehenden Familiensachen müssen in einem Termin 'verkündet' werden (vgl. § 142 Abs. 3 FamFG). Handelt es sich um eine urteilsersetzende Endentscheidung, erfolgt die Verkündung gemäss § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG iVm § 311 Abs. 2 S. 1 und 2 ZPO durch Vorlesung der Entscheidungsformel oder durch Bezugnahme auf die Entscheidungsformel. Der Nachweis für die erfolgte Verkündung kann gemäss § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG iVm §§ 165 S. 1, 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO nur durch das Protokoll geführt werden (vgl. BGH FamRZ 2012, 1287 = FuR 2012, 549). «

Danach sei der unterschriebene Beschlussentwurf vom 10.09.2019, der die Ehe scheide und den Versorgungsausgleich ausschliesse, mangels Verkündung nicht wirksam. Die fehlende Verkündung ergebe sich aus einem fehlenden Verkündungsprotokoll, das weder durch die Ankündigung einer Entscheidung im Sitzungsprotokoll ersetzt werden könne, noch durch einen Verkündungsvermerk der Geschäftsstelle (BGH FamRZ 2012, 1287 = FuR 2012, 549; Senat FamRZ 2019, 227; 2020, 624).

» Der unterschriebene Beschlussentwurf ist auch nicht durch richterliche Verfügung einer schriftlichen Bekanntgabe durch Zustellung an Verkündung Statt (vgl. hierzu BGH FamRZ 2012, 1287 = FuR 2012, 549) existent geworden. Dies würde die richterliche Wahl einer anderen - jedenfalls gesetzlich vorgesehenen - Verlautbarungsform voraussetzen, eine dementsprechende Zustellung durch die Geschäftsstelle, und einen Zugang der Entscheidung bei den Beteiligten. Hier ist schon eine dahingehende richterliche Verfügung oder Wahl einer alternativen Verlautbarungsform nicht feststellbar, da der unterschriebene Beschlussentwurf einen Verkündungsvermerk enthielt, und es nach einer Verkündung eines weiteren Verlautbarungswillens eines Richters nicht mehr bedarf. Dementsprechend wurde die Zustellung von der Geschäftsstelle auf Grund einer am 10.09.2019 vermeintlich bereits erfolgten Verkündung, und nicht an deren Stelle veranlasst. Die den Beteiligten - im Übrigen ohne Verkündungsprotokoll - zugestellte Leseabschrift eines Beschlusstextes vom 10.09.2019, der einen Versorgungsausgleich durchführt statt ihn auszuschliessen, stellt überdies mangels Übereinstimmung mit dem schriftlichen richterlichen Beschlussentwurf und mangels tatsächlicher richterlicher Unterschrift nicht einmal einen Beschlussentwurf dar. «

Aufgrund fehlender Verkündung und fehlender Zustellung an Verkündung statt scheide hier zugleich die bloss fehlerhafte Ausfertigung eines jedenfalls existierenden und im übrigen wirksamen verfahrensbeendenden Beschlusses aus.


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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Verbot einer isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung.

BGB § 1564; FamFG §§ 113, 150; ZPO § 99

1. Nach § 113 Abs. 1 FamFG, § 99 ZPO gilt in Familienstreit- und Ehesachen das Verbot einer isolierten Kostenanfechtung.
2. Die Kostenregel des § 150 Abs. 1 FamFG gilt auch, wenn der Scheidungsgegner keinen Antrag stellt.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 11. Mai 2020 - 13 WF 79/20

Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen die Kostenentscheidung des Beschlusses des Amtsgerichts - Familiengericht - Zossen vom 28.04.2020 (6 F 457/19) wird verworfen.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe
I. Der Antragsteller wendet sich gegen die Kostenentscheidung des Amtsgerichts - Familiengericht - Zossen in einer Ehesache. Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 28. April 2020 die Ehe der Antragsbeteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich geregelt, und die Kosten des Verfahrens gemäß § 150 Abs. 1 FamFG gegeneinander aufgehoben. Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde erstrebt der Antragsteller eine Kostentragung der Antragsgegnerin, die keinen Antrag gestellt, und sich freiwillig in die Säumnis begeben habe.

II. Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ist als eine an den Senat gerichtete sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Amtsgerichts zu behandeln und zu verwerfen. Es handelt sich um einen die Instanz abschließenden Endbeschluß in einer Ehesache (§ 111 Nr. 1 FamFG); für diesen gilt nach § 113 Abs. 1 FamFG die Zivilprozeßordnung. Nach § 99 Abs. 1 ZPO ist die isolierte Anfechtung einer Kostenentscheidung unzulässig. Das Verbot einer isolierten Kostenanfechtung gilt auch in Familienstreit- und Ehesachen (vgl. BGH FamRZ 2011, 1933 = FuR 2012, 88 Tz. 24; Weber in Keidel, FamFG 20. Aufl. § 150 Rdn. 18 mwN). In der Sache hat das Amtsgericht § 150 Abs. 1 FamFG zutreffend herangezogen und angewandt, worauf der Senat der Vollständigkeit halber hinweist; eine Säumnis der Antragsgegnerin ist in Ehesachen ausgeschlossen (§ 130 Abs. 2 FamFG).

Die Kostenentscheidung für die Beschwerde folgt aus § 113 Abs. 1 FamFG, § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Festsetzung eines Verfahrenswertes ist nicht veranlaßt (Nr. 1910 FamGKG-KV).

Anlaß, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 113 Abs. 1 FamFG, § 574 Abs. 2 und 3 ZPO), besteht nicht.

OLG Brandenburg 2020-05-11 - 13 WF 79/20
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Anmerkungen

Das OLG hat das Rechtsmittel des Beschwerdeführers als eine an den Senat gerichtete sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung des Amtsgerichts behandelt und es verworfen.

» Es handelt sich um einen die Instanz abschliessenden Endbeschluss in einer Ehesache (§ 111 Nr. 1 FamFG). Für diesen gilt nach § 113 Abs. 1 FamFG die ZPO. Nach § 99 Abs. 1 ZPO ist die isolierte Anfechtung einer Kostenentscheidung unzulässig. Das Verbot einer isolierten Kostenanfechtung gilt auch in Familienstreit- und Ehesachen (vgl. BGH FamRZ 2011, 1933 = FuR 2012, 88). In der Sache hat das Amtsgericht § 150 Abs. 1 FamFG zutreffend herangezogen und angewandt, worauf der Senat der Vollständigkeit halber hinweist; eine Säumnis der Antragsgegnerin ist in Ehesachen ausgeschlossen (§ 130 Abs. 2 FamFG). «


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Scheidung der Ehe; Vermutung für das Scheitern der Ehe; Zulässigkeit ohne Anhörung des Antragstellers; Zweifel an dem Scheidungswunsch des Antragstellers auch bei dreijähriger Trennungszeit; Indizwirkung des Scheidungsantrages für Fortbestehen des Scheidungswunsches.

BGB § 1566; FamFG § 128

1. Eine Ehescheidung ohne Anhörung des Antragstellers ist zulässig, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben: Unabhängig von der Zustimmung des anderen Ehegatten ergibt sich eine unwiderlegbare Vermutung für das Scheitern der Ehe aus § 1566 Abs. 2 BGB.
2. Wird der Scheidungswunsch des Antragstellers auch bei dreijähriger Trennungszeit angezweifelt, dann indiziert der bis zu der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltene Scheidungsantrag das Fortbestehen dieses Begehrens, insbesondere dann, wenn andere Umstände wie eine den Scheidungswillen dokumentierende schriftliche Erklärung hinzutreten.

OLG Oldenburg, Beschluß vom 13. Mai 2020 - 13 UF 20/20

Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne mündliche Verhandlung die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Papenburg vom 30.01.2020 (1 F 195/16) zurückzuweisen.
2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme oder zur Rücknahme des Rechtsmittels unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen.

Gründe
Der Senat läßt sich bei seiner Absicht, nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

A. Eine mündliche Verhandlung hat bereits in erster Instanz stattgefunden; weitere Erkenntnisse sind nicht zu erwarten.

B. I. Mit dem der Antragsgegnerin am 20. Juli 2016 zugestellten Schriftsatz hat der Antragsteller die Ehescheidung beantragt. Diese hat in ihrer Erwiderung den von dem Antragsteller angegebenen Trennungszeitpunkt Januar 2015 bestätigt, und sich im übrigen eine Entscheidung über die Zustimmung zu dem Scheidungsantrag oder das Stellen eines eigenen Antrages auf Ehescheidung vorbehalten. In der Folgezeit haben die Eheleute das Verfahren auf Ehescheidung aufgrund des Versuchs, eine außergerichtliche Einigung über den nachehelichen Unterhalt der Antragsgegnerin zu erzielen, nicht betrieben. Nachdem ein ursprünglich auf den 10. Oktober 2019 bestimmter Termin zur mündlichen Verhandlung über den Scheidungsantrag und die Folgesachen wegen einer Krebserkrankung des Antragstellers auf den 29. Januar 2020 verlegt worden war, hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2019 mitteilen lassen, er sei aufgrund seiner Krankheit weder in der Lage, zu dem Termin vor dem Amtsgericht Papenburg zu kommen, noch einen Termin zur Anhörung im Wege der Rechtshilfe vor dem Amtsgericht seines Wohnsitzes Brühl wahrzunehmen. Die Antragsgegnerin hat daraufhin mitgeteilt, sie wolle von einer Ehescheidung Abstand nehmen, da sie vermute, daß dem Antragsteller vor dem Hintergrund seiner schweren Erkrankung nicht mehr an einer Scheidung gelegen sei, müsse sie aber auf einer aktuellen persönlichen Anhörung des Antragstellers bestehen. Der Antragsteller hat hierauf unter Vorlage einer handschriftlich unterschriebenen Erklärung erwidert, er wolle weiterhin geschieden werden, und gehe davon aus, daß seine persönliche Anhörung aufgrund des über dreijährigen Getrenntlebens der Eheleute nicht erforderlich sei.

In dem Termin vom 23. Januar 2020 hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers beantragt, die Ehe zu scheiden. Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin hat beantragt, diesen Antrag zurückzuweisen. Durch am 30. Januar 2020 verkündeten und hiermit vollinhaltlich in Bezug genommenen Beschluß hat das Amtsgericht - Familiengericht - Papenburg die Ehe geschieden, und den Versorgungsausgleich geregelt.

II. Gegen den Ausspruch zur Ehescheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Beschwerde, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Begehren auf Zurückweisung des Scheidungsantrages weiterverfolgt, und hilfsweise die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses, und die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht begehrt.

Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

Daß das Amtsgericht ohne Anhörung des Antragstellers die Scheidung der Ehe ausgesprochen hat, ist nicht zu beanstanden. Zwar soll das Gericht nach § 128 Abs. 1 S. 1 FamFG das persönliche Erscheinen der Ehegatten anordnen und sie anhören. Durch die Anhörung kann der Sachverhalt näher aufgeklärt, die persönliche Sichtweise der Ehegatten in ihren höchstpersönlichen Angelegenheiten geäußert, und dem Gericht ein persönlicher Eindruck von den Ehegatten vermittelt werden (Keidel/Weber, FamFG 20. Aufl. § 128 Rdn. 5). Zwar stellt eine zu Unrecht unterbliebene Anhörung gemäß § 128 FamFG einen schweren Verfahrensmangel iSv § 117 Abs. 2 FamFG iVm § 538 Abs. 2 ZPO dar, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führen kann (vgl. OLG Hamm FamRZ 2013, 64 ff).

In dem vorliegenden Fall ist die Anhörung des Antragsgegners aber zu Recht unterblieben. Unabhängig von der Zustimmung des anderen Ehegatten (hier: der Antragsgegnerin) ergibt sich eine unwiderlegbare Vermutung für das Scheitern der Ehe aus § 1566 Abs. 2 BGB, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben. Diese Voraussetzung ist unstreitig erfüllt, da die Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung zum Scheidungsantrag Januar 2015 als Trennungszeitpunkt bestätigt, und in ihrer Anhörung vom 23. Januar 2020 angegeben hat, seit mindestens drei Jahren von dem Antragsteller getrennt zu leben. Nach allgemeiner Ansicht besteht grundsätzlich keine Notwendigkeit zu einer Anhörung, soweit eine gesetzliche Vermutung greift, etwa wie in dem vorliegenden Fall § 1566 Abs. 2 BGB für das Scheitern der Ehe (vgl. BGH FamRZ 2016, 617 = FuR 2016, 340 Tz. 15; Keidel/Weber, aaO; BeckOK FamFG/Weber, [01.04.2020] § 128 Rdn. 6).

Zwar kann die Anhörung nach § 128 Abs. 1 S. 1 FamFG auch dazu dienen, begründete Zweifel an dem für die Scheidung auch nach Ablauf einer dreijährigen Ehezeit erforderlichen Scheidungswunsch des antragstellenden Ehegatten auszuräumen (vgl. BGH aaO Tz. 14). Die Antragsgegnerin trägt zwar vor, sie zweifle aufgrund der Schwächung des Antragstellers aufgrund seiner schweren Krebserkrankung sowie der damit verbundenen Chemotherapie daran, ob der Antragsteller noch geschieden werden will; tragfähige Anhaltspunkte hierfür nennt sie allerdings nicht. Auch besteht kein Erfahrungssatz dahingehend, daß schwer erkrankte Antragsteller bzw. Antragstellerinnen in Scheidungsverfahren von ihrem ursprünglichen Scheidungsverlangen abrücken; vielmehr indiziert hier der bis zur mündlichen Verhandlung aufrechterhaltene Scheidungsantrag das Fortbestehen des Scheidungswunsches. Im übrigen hat der Antragsteller durch persönlich unterschriebenes Dokument vom 9. Januar 2020 seinen fortdauernden Wunsch dokumentiert, geschieden zu werden.

Folglich haben weder die bloße Vermutung der Antragsgegnerin noch sonstige Umstande eine rechtliche Notwendigkeit begründet, den Antragsteller persönlich zu dem Scheidungsbegehren anzuhören.

OLG Oldenburg 20-05-13 13 UF 20/20
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Anmerkungen

Das FamG hat die Ehe der Beteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich geregelt, und von der persönlichen Anhörung des Antragsstellers abgesehen, da dieser sich aufgrund seiner Krebserkrankung ausserstande gesehen hat, zu einem Gerichtstermin zu kommen. Nach Ansicht des OLG sei die Scheidung der Ehe ohne Anhörung des Antragstellers nicht zu beanstanden. Das Gericht solle nach § 128 Abs. 1 S. 1 FamFG das persönliche Erscheinen der Ehegatten anordnen und sie anhören; durch die Anhörung könne der Sachverhalt näher aufgeklärt, die persönliche Sichtweise der Ehegatten in ihren höchstpersönlichen Angelegenheiten geäussert und dem Gericht ein persönlicher Eindruck von den Ehegatten vermittelt werden. Zwar stelle eine zu Unrecht unterbliebene Anhörung einen schweren Verfahrensmangel dar; vorliegend sei die Anhörung des Antragsgegners aber zu Recht unterblieben.

Unabhängig von der Zustimmung des anderen Ehegatten ergebe sich eine unwiderlegbare Vermutung für das Scheitern der Ehe aus § 1566 Abs. 2 BGB, wenn die Ehegatten seit drei Jahren getrennt leben. Diese Voraussetzung sei unstreitig erfüllt. Es bestehe grundsätzlich keine Notwendigkeit zu einer Anhörung, soweit eine gesetzliche Vermutung greife, etwa wie vorliegend § 1566 Abs. 2 BGB für das Scheitern der Ehe, auch wenn eine Anhörung nach § 128 Abs. 1 S. 1 FamFG auch dazu dienen könne, begründete Zweifel an dem für die Scheidung auch nach Ablauf einer dreijährigen Ehezeit erforderlichen Scheidungswunsch des antragstellenden Ehegatten auszuräumen.

Die Antragsgegnerin trage zwar vor, sie zweifle aufgrund der Schwächung des Antragstellers aufgrund seiner schweren Krebserkrankung sowie der damit verbundenen Chemotherapie daran, ob der Antragsteller noch geschieden werden wolle; tragfähige Anhaltspunkte hierfür habe sie jedoch nicht genannt. Auch bestehe kein Erfahrungssatz dahingehend, dass schwer erkrankte Antragsteller bzw. Antragstellerinnen in Scheidungsverfahren von ihrem ursprünglichen Scheidungsverlangen abrücken; vielmehr indiziere hier der bis zu der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltene Scheidungsantrag das Fortbestehen des Scheidungswunsches. Im übrigen habe der Antragsteller durch ein persönlich unterschriebenes Dokument seinen fortdauernden Wunsch dokumentiert, geschieden zu werden. Folglich hätten weder die blosse Vermutung der Antragsgegnerin, noch sonstige Umstände eine rechtliche Notwendigkeit begründet, den Antragsteller persönlich zu dem Scheidungsbegehren anzuhören.


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Ehescheidung; Pflicht des Standesamtes zur Sachverhaltsaufklärung in Verfahren der Nachbeurkundung einer in Syrien geschlossenen Ehe; Geltung des Verschlechterungsverbots bei von dem nicht beschwerten Standesamt eingelegter Beschwerde.

1. Zu der Nachbeurkundung einer in Syrien geschlossenen Ehe aufgrund einer im Jahre 2018 von einem syrischen Standesamt ausgestellten, mit einer von der deutschen Botschaft in Beirut als echt bestätigten Unterschrift versehenen Eheschliessungsurkunde (hier: Aufhebung der die Nachbeurkundung unter Hinweis auf widersprüchliche Angaben des Antragstellers zum Familienstand ablehnenden Entscheidung des Amtsgerichts durch den Senat wegen unterbliebener bzw. nicht erwogener Durchführung gebotener Ermittlungen, gegebenenfalls auch einer bei Beweisnot von dem Standesamt anzuregenden, selbst abzunehmenden eidesstattlichen Versicherung).
2. Das Verschlechterungsverbot (»reformatio in peius«) gilt nicht für Beschwerdeentscheidungen über eine vom nicht beschwerten Standesamt gemäss § 53 Abs. 2 PStG eingelegte Beschwerde.

OLG Düsseldorf, Beschluß vom 15. Mai 2020 - I-3 Wx 69/20


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Ehescheidung; Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung; Auftreten gegenüber dem Jobcenter als Bedarfsgemeinschaft.

BGB § 1565; ZPO § 114

Ein Auftreten gegenüber dem Jobcenter als Bedarfsgemeinschaft stellt insbesondere bei Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung ein Indiz dafür dar, das für das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft und gegen ein Getrenntleben der Ehegatten spricht. Dieses Indiz kann jedoch durch substantiierten Tatsachenvortrag widerlegt werden.

OLG Hamburg, Beschluß vom 26. Mai 2020 - 12 WF 52/20

Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Hamburg-St. Georg vom 28.01.2020 (981 F 174/19) abgeändert.
2. Der Antragstellerin wird Verfahrenskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt R. bewilligt.

Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein Ehescheidungsverfahren.

Die Beteiligten schlossen am 8. Februar 2018 die Ehe. Im Januar 2019 zog die Antragstellerin aus der gemeinsamen Wohnung in Hamburg aus, und zog zu ihrer Familie nach Herrenberg in Baden-Württemberg; seitdem leben die Beteiligten räumlich getrennt voneinander, und haben keinen persönlichen Kontakt mehr. Nach dem Auszug bezogen die Beteiligten von dem Jobcenter bis mindestens August 2019 als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs. Die Beteiligten unterließen es zunächst, sich bei dem Jobcenter Hamburg abzumelden. In der Folge machte das Jobcenter diesbezüglich Rückforderungsansprüche geltend. Seit November 2019 erhält die Antragstellerin Zahlungen von dem Jobcenter Herrenberg.

Mit Antrag vom 4. November 2019 hat die Antragstellerin bei dem Amtsgericht - Familiengericht - Hamburg-St. Georg einen Antrag auf Ehescheidung, verbunden mit dem Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, gestellt. Den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe hat das Amtsgericht mit Beschluß vom 28. Januar 2020 abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete: Getrenntleben iSd § 1567 Abs. 1 BGB liege nicht vor, da die Beteiligten bis mindestens August 2019 gegenüber dem Jobcenter in einer Bedarfsgemeinschaft lebten. Eine Trennung müsse nach außen erkennbar sein, was bei einer Bedarfsgemeinschaft gerade nicht der Fall sei; vielmehr bedeute eine Bedarfsgemeinschaft das Fortbestehen einer gemeinsamen Haushaltskasse und eines gemeinsamen Wirtschaftsbereichs der Ehegatten.

Gegen den Beschluß des Amtsgerichts hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26. Februar 2020 sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führt sie an, daß das Amtsgericht das Getrenntleben der Beteiligten fehlerhaft abgelehnt habe. Es handele sich bei dem Bestehen der Bedarfsgemeinschaft gegenüber dem Jobcenter lediglich um ein formales Kriterium, das an der tatsächlich vollzogenen räumlichen Trennung als Scheidungsvoraussetzung nichts ändere.

Auf den Hinweis des Senats hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 7. Mai 2020 ergänzend vorgetragen, daß sie dem Antragsgegner bei dem Auszug mitgeteilt habe, daß sie sich trennen und scheiden lassen möchte, und die eheliche Lebensgemeinschaft als gescheitert betrachte. Sie habe bei ihrem Auszug sämtliche persönlichen Gegenstände mitgenommen. Ihr sei nicht klar gewesen, daß sie sich dadurch, daß sie vergessen habe, sich bei dem Jobcenter abzumelden, formal noch in einer Bedarfsgemeinschaft befunden habe; dieses rechtliche Fehlverhalten könne ihr hinsichtlich der Scheidungsvoraussetzungen nicht entgegengehalten werden.

II. Die gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, §§ 114, 127 Abs. 2, 567 ff ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache Erfolg.

Gemäß § 114 Abs. 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht aufbringen kann, auf Antrag Prozeßkostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, und nicht mutwillig erscheint. Die Antragstellerin begehrt die Ehescheidung. Gemäß § 1565 Abs. 1 BGB kann eine Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht, und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen. Gemäß § 1566 Abs. 1 BGB wird unwiderlegbar vermutet, daß die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben, und der Antragsgegner der Ehescheidung zustimmt. Die Ehegatten leben gemäß § 1567 Abs. 1 S. 1 BGB getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft mehr besteht, und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt.

Unter Lebensgemeinschaft der Ehegatten ist primär die wechselseitige innere Bindung der Ehegatten zu verstehen; die häusliche Gemeinschaft umschreibt dagegen die äußere Realisierung dieser Lebensgemeinschaft in einer beiden Ehegatten gemeinsamen Wohnstätte. Die häusliche Gemeinschaft bezeichnet nur einen äußeren, freilich nicht notwendigen Teilaspekt dieser Gemeinschaft. Allein aus dem Nichtbestehen einer häuslichen Gemeinschaft ergibt sich ein Getrenntleben der Ehegatten noch nicht; eine eheliche Lebensgemeinschaft kann vielmehr auch dann bestehen, wenn die Ehegatten einvernehmlich eigenständige Haushalte unterhalten. Einer von den Ehegatten vollzogenen räumlichen Trennung kann zum Beispiel dann nicht die Bedeutung eines geäußerten Trennungswillens zugemessen werden, wenn einer der Ehegatten in ein Pflegeheim umzieht (vgl. BGH FamRZ 2016, 1142 = FuR 2016, 472 Tz. 14).

Gemessen an diesen Maßstäben liegt Getrenntleben der Beteiligten ab Januar 2019 vor: Zu diesem Zeitpunkt ist die Antragstellerin samt ihrer persönlichen Gegenstände aus der gemeinsamen Wohnung in Hamburg ausgezogen, und wieder bei ihren Eltern in Herrenberg, Baden-Württemberg, eingezogen; dadurch wurde die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten aufgelöst. Durch den Auszug aus der ehelichen Wohnung, ohne äußeren Anlaß, manifestiert sich regelmäßig auch der Wille zum Getrenntleben (vgl. BeckOGK BGB/Kappler, [01.02.2020] § 1567 Rdn. 55). Darüber hinaus äußerte die Antragstellerin bei dem Auszug gegenüber dem Antragsgegner ausdrücklich ihren Willen zu der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Es fand nach dem Auszug kein persönlicher Kontakt, und nur noch selten telefonischer Kontakt zwischen den Beteiligten statt.

Durchgreifende gegenteilige Anhaltspunkte, wonach die eheliche Lebensgemeinschaft trotz räumlicher Trennung ausnahmsweise fortbestand, bestehen nicht. Diese ergeben sich auch nicht aus dem Bezug von Leistungen als Bedarfsgemeinschaft nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs. Zwar kann ein Auftreten gegenüber dem Jobcenter als Bedarfsgemeinschaft - insbesondere bei Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung - ein Indiz dafür darstellen, das für das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft und gegen ein Getrenntleben der Ehegatten spricht (vgl. KG FamRZ 2012, 1836; Senatsbeschluß vom 12. März 2017 - 12 WF 35/17 - n.v.; OLG Köln [25. FamS], Beschluß vom 21. März 2018 - 25 WF 43/18 - juris; a.A. OLG Köln [21. FamS] NZFam 2018, 956). Dieses Indiz kann jedoch durch substantiierten Tatsachenvortrag widerlegt werden. Schließlich kann auch der (Weiter-)Bezug von Leistungen als Bedarfsgemeinschaft - wie vorliegend ausreichend vorgetragen - unzutreffend sein. Eine Bindungswirkung an die sozialrechtliche Entscheidung des Jobcenters besteht nicht. Die Antragstellerin hat durch ihren Vortrag zu ihrem endgültigen Auszug mit Trennungsabsicht aus der gemeinsamen Wohnung im Januar 2019 ausreichend zu dem Getrenntleben der Beteiligten vorgetragen.

Eine Kostenentscheidung ist gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, § 127 Abs. 4 ZPO nicht erforderlich.

OLG Hamburg 2020-05-26 - 12 WF 52/20
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Anmerkungen

Die Antragstellerin war Anfang des Jahres aus der Ehewohnung in Hamburg mit ihren persönlichen Sachen ausgezogen und bei ihren Eltern in Süddeutschland eingezogen. Die Leistungen des Jobcenters Hamburg für die Eheleute liefen noch mindestens ein halbes Jahr fort; erst ab Herbst bezog die Antragstellerin Leistungen des Jobcenters an ihrem Wohnort. Als sie gegen Ende des Jahres die Scheidung einreichte, und hierfür VKH beantragte, wies dies das FamG mangels hinreichender Erfolgsaussicht zurück, da ein längerdauerndes Getrenntleben iSd § 1567 Abs. 1 BGB nicht vorliege: Die Beteiligten hätten noch mindestens ein halbes Jahr gegenüber dem Jobcenter in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt. Mit ihrer Beschwerde rügt die Antragstellerin, bei dem Bestehen der Bedarfsgemeinschaft gegenüber dem Jobcenter handele es sich lediglich um ein formales Kriterium, das an der tatsächlich vollzogenen räumlichen Trennung als Scheidungsvoraussetzung nichts ändere.

Das OLG hat der Antragstellerin die beantragte VKH bewilligt, da ein Getrenntleben iSv § 1567 Abs. 1 BGB seit mehr als einem Jahr vorliege. Die Antragstellerin sei mit ihren persönlichen Sachen und mit dem ausdrücklich geäusserten Willen ausgezogen, die eheliche Lebensgemeinschaft zu beenden. Durchgreifende Anhaltspunkte für eine gleichwohl fortbestehende Lebensgemeinschaft bestünden nicht; sie ergäben sich auch nicht aus dem Bezug von Leistungen als Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II. Zwar könne ein Auftreten gegenüber dem Jobcenter als Bedarfsgemeinschaft - insbesondere bei Getrenntleben innerhalb der Ehewohnung - ein Indiz dafür darstellen, das für das Bestehen einer häuslichen Gemeinschaft und gegen ein Getrenntleben der Ehegatten spreche; dieses Indiz könne jedoch durch substantiierten Tatsachenvortrag widerlegt werden, zumal wenn der gemeinsame Fortbezug von Leistungen als Bedarfsgemeinschaft tatsächlich nicht berechtigt gewesen sei.

Das Trennungsjahr als eines der Scheidungsvoraussetzungen setzt nicht nur eine räumliche Trennung der Ehegatten voraus; es darf auch in sonstiger Hinsicht keine Gemeinschaft in wesentlichen Dingen unter den Partnern mehr bestehen, insbesondere soll kein gemeinsames Wirtschaften mehr praktiziert werden. Bei fortgesetztem Bezug von Sozialleistungen als Bedarfsgemeinschaft wird dies in der Regel als Wirtschaften »aus einem Topf« angesehen, das als starkes Indiz für ein Fortbestehen der Lebensgemeinschaft und damit gegen ein Getrenntleben gilt (vgl. KG FamRZ 2012, 1836), wobei allerdings diese Vermutung aufgrund des gemeinsamen Bezugs von Leistungen nach Massgabe der tatsächlichen Umstände der Trennung widerleglich ist (s. auch OLG Köln NZFam 2018, 956). Daher sind letztendlich die tatsächlichen Umstände der Trennung für die Anerkennung als Getrenntleben iSv § 1567 BGB entscheidend, nicht jedoch der eventuelle Rückschluss aus einer sozialhilferechtlichen Konstellation, der nur als ein Indiz gelten kann.


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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Verlautbarungsfehler im Scheidungsverfahren; Abtrennung wegen außergewöhnlicher Verfahrensdauer und unzumutbarer Härte.

BGB §§ 311, 1564; FamFG § 140

1. Die Anforderungen an die Annahme einer unbilligen Härte nach § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG sinken mit zunehmender Verfahrensdauer.
2. Die Verletzung der Verfahrensförderungspflicht bildet als dilatorische Verfahrensführung eine Härtegrund nach § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG.
3. Auch nach Datierung und Unterschrift verläßt ein richterlicher Beschluß das Entwurfsstadium erst dann, wenn er mit richterlichem Verlautbarungswillen in den Geschäftsgang gelangt.
4. Wählt ein Gericht nach dem Verkündungsprotokoll statt der Verlautbarungsform des § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO die Verlautbarungsform des § 311 Abs. 2 S. 2 ZPO, so ist dies unschädlich, da diese der Verlautbarungsform des § § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO gleichsteht. Dementsprechend ist auch, da bei Wahrung von Mindestanforderungen selbst Verstöße gegen zwingende Formvorschriften das Entstehen einer wirksamen richterlichen Entscheidung nicht hemmen, die fehlende Aufnahme eines Erschienenen in das Verkündungsprotokoll unschädlich.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 6. August 2020 - 13 UF 114/18

Tenor
1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Nauen vom 07.06.2018, verkündet am 05.07.2018 (24 F 40/14), wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Wert der Beschwerde: bis 22.000 €

Gründe
I. Die beschwerdeführende Antragstellerin beanstandet einen Scheidungsausspruch nach Abtrennung einer Folgesache Zugewinn.

Der im Jahre 1939 geborene Antragsteller und die im Jahre 1944 geborene Antragsgegnerin haben im Jahre 1975 geheiratet; sie leben seit September 2013 getrennt. Der Scheidungsantrag vom 3. Februar 2014 wurde der Antragsgegnerin am 4. März 2014 zugestellt.

Nach der Ladung zu einem dritten Termin am 11. Dezember 2014 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Nauen machte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 26. November 2014 (Eingang taggleich) einen Stufenantrag auf Zahlung eines noch zu beziffernden Zugewinnausgleichsbetrages geltend. Den beantragten Auskunftsanspruch erkannte der Antragsteller in dem Termin an. Mit Schriftsatz vom 5. März 2015 spezifizierte die Antragsgegnerin ihr Auskunftsbegehren. Zu der Erfüllung einer am 16. Juli 2015 entsprechend tenorierten Auskunftspflicht erteilte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 11. September 2015 Auskunft. In einem Termin vom 19. Oktober 2017 über einen Aussetzungsantrag des Antragstellers ließ die Antragsgegnerin die Richterin mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2017 als befangen ablehnen. Die gegen den das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluß des Amtsgerichts gerichtete sofortige Beschwerde wies der Senat durch Beschluß vom 6. März 2018 zurück. In der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 7. Juni 2018 spezifizierte die Antragsgegnerin ihr Auskunftsbegehren abermals. Der Antragsteller erkannte das abermals spezifizierte Auskunftsbegehren der Antragsgegnerin im Termin an. Das Sitzungsprotokoll endet mit der Anberaumung eines Verkündungstermins auf den 5. Juli 2018.

Nach einem Verkündungsprotokoll vom 5. Juli 2018 wurden anlagenersichtlich ein Teilanerkenntnisbeschluß und zwei Beschlüsse verkündet. In der Gerichtsakte nachgeheftet befindet sich ein richterlich unterschriebener Teilanerkenntnisbeschluß in der Güterrechtssache mit einem Übergabevermerk der Geschäftsstelle auf den 5. Juli 2018, ein richterlich unterschriebener und auf den 6. Juni 2018 datierter Abtrennungsbeschluß, sowie ein richterlich unterschriebener und auf den 7. Juni 2018 datierter Scheidungsbeschluß mit einem Verkündungsvermerk auf den 7. Juni 2018. Alle Beschlüsse wurden den Beteiligten erst nach Zustellverfügung der Richterin vom 5. Juli 2018 zugestellt.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 7. Juni 2018, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht die Ehe der Beteiligten geschieden, einen Versorgungsausgleich in Ansehung eines notariellen Ausschlusses nicht stattfinden lassen, und ausgesprochen, daß die Folgesache Zugewinn abgetrennt sei. In dem gesonderten Abtrennungsbeschluß, auf den der Senat wegen dessen weiterer Einzelheiten verweist, hat das Amtsgericht die Folgesache Güterrecht auf Antrag des Antragstellers nach § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG abgetrennt. Aus der Verfahrensdauer ergebe sich eine außergewöhnliche Verzögerung, und aus einer erhöhten Schlaganfallgefährdung des Antragstellers eine außergewöhnliche Härte, die sein Interesse an einer vorzeitigen Scheidung gegenüber dem Interesse der Antragsgegnerin, die trotz Auskunft des Antragstellers ihren Zahlungsanspruch unbeziffert gelassen habe, überwiegen lassen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde erstrebt die Antragsgegnerin die Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht zur Wiederherstellung des Verbundes. Das Amtsgericht habe eine außergewöhnliche Verzögerung zu Unrecht bejaht, und eine unzumutbare Härte nicht tragfähig festgestellt, zumal ihr keine Verfahrensverzögerung vorzuhalten sei. Zudem sei das Verkündungsprotokoll unrichtig, da es ihre persönliche Anwesenheit nicht enthalte. Überdies scheiterte eine wirksame Verkündung des Scheidungs- und des Abtrennungsbeschlusses an inkongruenten Datumsangaben, so daß es an einem Verkündungsprotokoll fehle. Schließlich verletze ein Beschlußerlaß vor dem angesetzten Verkündungstermin ihren Anspruch auf rechtliches Gehör.

Der Antragsteller verteidigt den angefochtenen Beschluß, tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen, und wirft der Antragsgegnerin eine bewußte Verfahrensverzögerung vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz in dem Beschwerderechtszug. Er entscheidet, wie angekündigt, ohne mündliche Verhandlung (§§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 S. 2 FamFG), von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten ist.

II. Die nach §§ 58 ff, 117 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Scheidung (§§ 1564 ff BGB) und einer wirksamen Vereinbarung über den Ausschluß des Versorgungsausgleichs (§§ 6 ff VersAusglG) sind gegeben und nicht angegriffen. Scheidungs- und Abtrennungsbeschluß sind wirksam, ohne daß sich eine erhebliche Verletzung der Verfahrensleitungspflicht des Amtsgerichts feststellen ließe. Die Abtrennungsvoraussetzungen des § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG liegen vor.

Die unterschiedlichen richterlichen Datierungen sind unerheblich. Auch nach Datierung und Unterschrift verläßt ein richterlicher Beschluß das Entwurfsstadium erst dann, wenn er mit richterlichem Verlautbarungswillen in den Geschäftsgang gelangt (vgl. Senatsbeschluß FamRZ 2020, 1669). Hier hat das Amtsgericht seine unterschiedlich datierten Beschlüsse aktenersichtlich erst als Anlage zu dem Protokoll vom 5. Juli 2018 mit Verlautbarungswillen in den Geschäftsgang gelangen lassen. Die ohnehin nicht konstitutiv wirkenden Geschäftsstellenvermerke nach § 38 Abs. 3 S 3 FamFG haben gegenüber der Beweiswirkung des § 165 S. 1 ZPO kein Gewicht.

Daß das Gericht nach seinem Verkündungsprotokoll die Verlautbarungsform des § 311 Abs. 2 S. 2 ZPO gewählt hat, ist unschädlich, da diese der Verlautbarungsform des § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO gleichsteht (vgl. BGH NJW 1985, 1782; Musielak in MünchKomm, ZPO 6. Aufl. § 311 Rdn. 7 mwN). Dementsprechend ist auch, da bei Wahrung von Mindestanforderungen selbst Verstöße gegen zwingende Formvorschriften das Entstehen einer wirksamen richterlichen Entscheidung nicht hemmen (vgl. BGH FamRZ 2004, 1187 mwN), die fehlende Aufnahme der Antragsgegnerin in das Verkündungsprotokoll unschädlich. Abgesehen davon, daß die Datierung eines Beschlußentwurfs vor der Verkündung noch keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör begründet, ist die diesbezügliche Rüge schon nicht ordnungsgemäß ausgeführt, da die Antragsgegnerin nicht darlegt, an welchem Vorbringen sie durch die Verfahrensweise des Amtsgerichts gehindert gewesen wäre (vgl. Greger in Zöller, ZPO 33. Aufl. § 139 Rdn. 20 mwN).

Es liegt eine außergewöhnliche Verzögerung des Verfahrens (vgl. § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG) vor. Die Verfahrensdauer beurteilt sich nach der Zeit zwischen Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages und der Entscheidung des Senats (vgl. BGH FamRZ 1991, 1043 = EzFamR ZPO § 628 Nr. 3 = BGHF 7, 900), und liegt mit mehr als sechs Jahren über dem Dreifachen dessen, was nach höchstrichterlicher Rechtsprechung als Richtpunkt für eine normale und für eine schon außergewöhnliche Verfahrensdauer eines Verbundverfahrens betrachtet werden kann (vgl. BGH FamRZ 1986, 898 = EzFamR ZPO § 628 Nr. 1 = BGHF 4, 429; Helms in Prütting/Helms, FamFG 5. Aufl. § 140 Rdn. 21 mwN). Ein weiterer Aufschub würde unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte für den Antragsteller darstellen.

Unabhängig davon, daß die Anforderungen an die Annahme einer unbilligen Härte mit zunehmender Verfahrensdauer sinken (vgl. BeckOK FamFG/Weber, 35. Edition [Stand: 01.07.2020] § 140 Rdn. 12 mwN), liegt hier als Härtegrund eine dilatorische Verfahrensführung durch die Antragsgegnerin vor, in Gestalt einer Verletzung ihrer Verfahrensförderungspflicht (vgl. BGH FamRZ 1996, 1333 = EzFamR ZPO § 628 Nr. 4 = BGHF 10, 202; Senat NJW-RR 2020, 653 mwN; Helms, aaO § 140 Rdn. 26 mwN). Die Antragsgegnerin hat die abgetrennte Folgesache nach Erlaß des Teilanerkenntnisbeschlusses vom 5. Juli 2018 gerichtlich nicht vorangetrieben, obwohl diese schon vor Rechtskraft des Scheidungsausspruchs weiter verhandelt und entschieden werden kann (vgl. BGH FamRZ 1979, 690 = BGHF 1, 498).

Im Rahmen einer Gesamtabwägung überwiegt in Ansehung dieses verfahrensrechtlichen Desinteresses der Antragsgegnerin an der Folgesache das Interesse des Antragstellers an einer alsbaldigen Beendigung des Scheidungsverfahrens deutlich, zumal innerhalb der auf Seiten eines scheidungsunwilligen Ehegatten zu berücksichtigenden Interessen güterrechtlichen Ansprüchen regelmäßig die geringste Bedeutung zukommt (vgl. Helms, aaO § 140 Rdn. 27 mwN).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.

Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 55 Abs. 2, 50 Abs. 1 S. 2, 43 Abs. 1 S. 2, 44 Abs. 1, 35, 38, 42 Abs. 3 FamGKG.

Anlaß, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.

OLG Brandenburg 2020-08-06 - 13 UF 114/18


Anmerkungen

Das OLG hat eine aussergewöhnliche Verzögerung des Verfahrens (vgl. § 140 Abs. 2 Nr. 5 FamFG) bejaht.

» Die Verfahrensdauer beurteilt sich nach der Zeit zwischen Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages und der Entscheidung des Senats (vgl. BGH FamRZ 1991, 1043), und liegt mit mehr als sechs Jahren über dem Dreifachen dessen, was nach höchstrichterlicher Rechtsprechung als Richtpunkt für eine normale und für eine schon aussergewöhnliche Verfahrensdauer eines Verbundverfahrens betrachtet werden kann (vgl. BGH FamRZ 1986, 898). Ein weiterer Aufschub würde unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte für den Antragsteller darstellen.

Unabhängig davon, dass die Anforderungen an die Annahme einer unbilligen Härte mit zunehmender Verfahrensdauer sinken, liegt hier als Härtegrund eine dilatorische Verfahrensführung durch die Antragsgegnerin vor, in Gestalt einer Verletzung ihrer Verfahrensförderungspflicht (vgl. BGH FamRZ 1996, 1333; Senat NJW-RR 2020, 653 mwN): Sie hat die abgetrennte Folgesache nach Erlass des Teilanerkenntnisbeschlusses vom 05.07.2018 gerichtlich nicht vorangetrieben, obwohl diese schon vor der Rechtskraft des Scheidungsausspruchs weiter verhandelt und entschieden werden kann (vgl. BGH FamRZ 1979, 690).

Im Rahmen einer Gesamtabwägung überwiegt in Ansehung dieses verfahrensrechtlichen Desinteresses der Antragsgegnerin an der Folgesache das Interesse des Antragstellers an einer alsbaldigen Beendigung des Scheidungsverfahren deutlich, zumal innerhalb der auf Seiten eines scheidungsunwilligen Ehegatten zu berücksichtigenden Interessen güterrechtlichen Ansprüchen regelmässig die geringste Bedeutung zukommt. «


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Scheidung durch richterliche Entscheidung; mutwillige Einleitung eines inländischen Scheidungsverfahrens; kein genereller Vorrang des Anerkennungsverfahrens einer ausländischen Entscheidung zur Ehescheidung.

BGB § 1564; ZPO § 114

Die Einleitung eines inländischen Scheidungsverfahrens kann mutwillig sein, wenn sich das Anerkennungsverfahren eines ausländischen Scheidungsurteils als einfacherer Weg darstellt; ein genereller Vorrang des Anerkennungsverfahrens besteht aber nicht, und kommt jedenfalls dann auch nicht in Frage, wenn dieses erstinstanzlich bereits erfolglos beschritten wurde.

OLG Köln, Beschluß vom 10. September 2020 - II-10 WF 194/20

Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Aachen vom 11.08.2020 (220 F 185/20) aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - Aachen zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen mit der Maßgabe, daß Verfahrenskostenhilfe nicht unter dem Gesichtspunkt einer mutwilligen Rechtsverfolgung versagt wird.

Gründe
I. Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, und hat vorläufigen Erfolg. Die hinreichende Erfolgsaussicht seines Antrages kann nicht mit dem Hinweis auf einen Vorrang des (Nicht-)Anerkennungsverfahrens und eines daher vorliegend mutwilligen Vorgehens verneint werden.

Hierbei verweist das Amtsgericht - Familiengericht - Aachen zu Recht darauf, daß die Einleitung eines inländischen Scheidungsverfahrens mutwillig sein kann, wenn sich das Anerkennungsverfahren eines ausländischen Scheidungsurteils als einfacherer Weg darstellt (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2003, 1019). Das Anerkennungsverfahren kann sich solcherart als einfacherer und kostengünstiger Weg erweisen, wenn es beispielsweise (nur) an der fehlenden Mitwirkung des um Verfahrenskostenhilfe für ein Scheidungsverfahren nachsuchenden Beteiligten fehlt (OLG Stuttgart aaO, wo die Antragstellerin des Scheidungsverfahrens selbst das Anerkenntnisverfahren durch Verweis auf formale Mängel »blockiert« hatte). Im übrigen aber steht das Anerkenntnisverfahren nicht in einem »Vorrangverhältnis« vor dem Scheidungsverfahren, so daß einem Scheidungsantrag nicht durchweg die Erfolgsaussicht unter Hinweis darauf versagt werden kann, das Anerkenntnisverfahren müßte zunächst betrieben werden (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 1021).

Vorliegend bestand für den Antragsteller hierzu zunächst noch weniger Anlaß, weil er das Anerkenntnisverfahren bereits beschritten, und eine abschlägige Entscheidung erwirkt hat. Zwar hat das Amtsgericht ausdrücklich darauf verwiesen, daß die Einlegung von Rechtsmitteln noch möglich und aus Sicht des Amtsgerichts auch erfolgversprechend sei, ohne daß der Antragsteller Rechtsmittel eingelegt hätte. Dieser Umstand allein läßt - auch wenn dem Amtsgericht darin Recht zu geben ist, daß eine an sich auch für den Antragsteller wünschenswerte schnelle Klärung einer Rechtsfrage hätte erzielt werden können - sein Vorgehen nicht als mutwillig erscheinen: Zum einen spricht bereits der Umstand einer ablehnenden Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf nicht mehr dafür, daß ein Rechtsmittel hiergegen zwingend Erfolg hätte (nur dann wäre das Rechtsmittel ein deutlich sichererer und erfolgversprechender Weg); hinzu tritt eine potentielle Kostenbelastung des Antragstellers, würde er im Rechtsmittel unterliegen. Hätte er schließlich das Rechtsmittelverfahren nur auf der Basis von Verfahrenskostenhilfe betreiben können, wäre die Staatskasse ebenso betroffen wie nun über die Verfahrenskostenhilfe für ein Scheidungsverfahren. Ein - dem Antragsteller anzulastender - zwingender Vorrang, das Anerkenntnisverfahren zu betreiben, bestand daher nicht.

Eine Entscheidung in der Sache ist nicht möglich, weil - worauf das Amtsgericht völlig zu Recht verwiesen hat - derzeit noch keine taugliche, ladungsfähige Anschrift der Antragsgegnerin benannt worden ist, so daß nach Aktenlage bereits aus diesem Grunde die hinreichende Erfolgaussicht der Rechtsverfolgung fehlt; das Amtsgericht wird Gelegenheit haben, dem Antragsteller (neuerlich) eine Frist zur Nachbesserung zu setzen, und sodann erneut zu entscheiden.

Eine Kostenentscheidung ist in dem Verfahren über Verfahrenskostenhilfe entbehrlich. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 113 Abs. 1 FamFG, § 127 Abs. 4 ZPO).

OLG Köln 2020-09-10 - II-10 WF 194/20
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Anmerkungen

Die Einleitung eines inländischen Scheidungsverfahrens kann mutwillig sein, wenn sich das Anerkennungsverfahren eines ausländischen Scheidungsurteils als einfacherer Weg darstellt. Das Anerkennungsverfahren kann sich solcherart als einfacherer und kostengünstiger Weg erweisen, wenn es beispielsweise (nur) an der fehlenden Mitwirkung des um VKH für ein Scheidungsverfahren nachsuchenden Beteiligten fehlt (vgl. OLG Stuttgart FamRZ 2003, 1019 - die Antragstellerin des Scheidungsverfahrens hatte selbst das Anerkenntnisverfahren durch Verweis auf formale Mängel »blockiert«). Im übrigen steht das Anerkenntnisverfahren nicht in einem »Vorrangverhältnis« vor dem Scheidungsverfahren, so dass einem Scheidungsantrag nicht durchweg die Erfolgsaussicht unter Hinweis darauf versagt werden kann, das Anerkenntnisverfahren müsste zunächst betrieben werden (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2000, 1021).

Vorliegend habe der Antragsteller das Anerkenntnisverfahren bereits beschritten und eine abschlägige Entscheidung erwirkt. Die Einlegung von Rechtsmitteln sei zwar noch möglich; diese Möglichkeit allein lasse jedoch sein Vorgehen nicht als mutwillig erscheinen.


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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Anerkennung einer Ehescheidung durch Übereinkunft nach japanischem Recht.

BGB § 1564; EGBGB Art. 17; FamFG §§ 107, 109; EUV 1215/2012 Art. 21; EUV 1259/2010 Art. 1, Art. 5 ff, Art. 7, Art. 8

1. Eine Ehescheidung durch Übereinkunft nach japanischem Recht, deren für die Wirksamkeit erforderliche Anmeldung von der Registerbehörde nur formal geprüft wird, ist eine Privatscheidung, die nur anerkannt werden kann, wenn die Voraussetzungen des aus deutscher Sicht maßgeblichen Scheidungsstatuts erfüllt sind; sie unterfällt nicht dem Anwendungsbereich der Rom III-VO.
2. Eine Rechtswahl gemäß Art. 17 Abs. 2 EGBGB in Verbindung mit Art. 5 ff Rom III-VO setzt zumindest den übereinstimmenden Willen der Ehegatten voraus, ein Recht zu wählen, der in der Urkunde hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird; ein nur hypothetischer Wille oder eine bloße Geltungsannahme genügen nicht.

Kammergericht, Beschluß vom 3. November 2020 - 1 VA 1010/20

Tenor
1. Der Antrag des Beteiligten zu 1) auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung (II B 9 3465/E/1983/2019) vom 23.03.2020 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe
I. Der Beteiligte zu 1), deutscher Staatsangehöriger, und die Beteiligte zu 2), japanische Staatsangehörige, schlossen im Juni 2002 vor einem deutschen Standesamt die Ehe. Danach lebten sie bis Oktober 2006 gemeinsam in der Bundesrepublik Deutschland, und von November 2006 bis April 2008 in Großbritannien. Seit August 2008 lebten sie gemeinsam in Australien, wo sie sich am 20. Dezember 2010 trennten. Sodann hatte der Beteiligte zu 1) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Singapur, und die Beteiligte zu 2) in Japan. Im Jahre 2012 gebar die Beteiligte zu 2) in Japan ein Kind. Am 7. Januar 2014 wurde die Ehescheidung der Beteiligten in das japanische Familienregister eingetragen.

Der Beteiligte zu 1) hat unter dem 20. November 2019 beantragt, festzustellen, daß die Voraussetzungen für die Anerkennung der Scheidung vorliegen, und hierzu einen Auszug aus dem japanischen Familienregister mit Apostille vorgelegt. Die Senatsverwaltung hat den Antrag mit dem angefochtenen Bescheid zurückgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten und auf den Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig (§ 107 Abs. 5 und 7 iVm §§ 58 ff FamFG), jedoch nicht begründet. Die Senatsverwaltung hat die beantragte Feststellung zu Recht abgelehnt.

Allerdings ist das Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG eröffnet. Eine Privatscheidung ist als Entscheidung iSv § 107 Abs. 1 FamFG anzusehen, wenn daran eine ausländische Behörde entsprechend den von ihr zu beachtenden Normen in irgendeiner Form, und sei es auch nur registrierend, mitgewirkt hat (BGH FamRZ 2019, 371 = FuR 2019, 233 Tz. 15). Das Verfahren ist nicht durch vorrangige Rechtsakte der Europäischen Union (§ 97 Abs. 1 S. 2 FamFG) ausgeschlossen: Art. 21 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 vom 27. November 2003 (Brüssel IIa-VO) greift schon deshalb nicht, weil die Ehe nicht in einem Mitgliedstaat geschieden wurde.

Die Voraussetzungen für die Anerkennung der Scheidung liegen aber nicht vor. Maßstab für die Anerkennung ist nicht § 109 FamFG: Die Vorschrift kommt nur zur Anwendung, soweit es um die Anerkennung eines konstitutiven Hoheitsaktes geht. Die Anerkennung einer im Ausland erfolgten Privatscheidung ist hingegen nur möglich, wenn die Voraussetzungen des aus deutscher Sicht maßgeblichen Scheidungsstatuts erfüllt sind (BGH FamRZ 1990, 607 = EzFamR EGBGB Art. 17 Nr. 15 = BGHF 7, 111; 2008, 1409 Tz. 36; 2020, 1811 = FuR 2021, 51 Tz. 23). Ob eine verfahrensrechtliche Anerkennung de lege ferenda wünschenswert wäre (vgl. dazu Antomo, StAZ 2019, 33, 34 f mwN), ist nicht erheblich.

Der Eintragung in das Familienregister liegt eine Privatscheidung zugrunde. Gemäß Art. 736 des japanischen Zivilgesetzes Nrn. 89/1896 und 9/1898 (japZGB, wiedergegeben bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht [Stand: 09/2020] Japan S. 59 ff) können die Ehegatten die Ehe - jederzeit (Motozawa, FamRZ 1989, 459, 461) - einvernehmlich scheiden. Die Ehescheidung durch Übereinkunft bedarf zweier Zeugen, und wird mit der schriftlichen (formularmäßigen, vgl. Motozawa, aaO S. 460) oder mündlichen Anmeldung zur Eintragung in das Familienregister wirksam (Art. 764, Art. 739 Abs. 2 japZGB iVm Art. 15, Art. 25, Art. 29, Art. 33, Art. 37, Art. 76 des Familienregistergesetzes Nr. 224/1947 [japFRG], wiedergegeben bei Bergmann/Ferid, aaO S. 81 ff). Zu der Anmeldung gehört auch deren Annahme durch die Behörde, die das Familienregister führt (vgl. OLG Celle FamRZ 1998, 686; Motozawa, aaO).

Gemäß Art. 765 Abs. 1 japZGB kann die Anmeldung nur angenommen werden, wenn sie den Bestimmungen des Art. 739 Abs. 2 sowie des Art. 819 Abs. 1 japZGB oder anderer Gesetze und Verordnungen nicht widerspricht. Der rechtlichen Einordnung als Privatscheidung steht eine solche Prüfung (vgl. BGH FamRZ 2008, 1409 Tz. 34; 2020, 1811 = FuR 2021, 51 Tz. 14 ff; jeweils zu der gerichtlichen Überwachung) und das Wirksamkeitserfordernis der Annahme nicht entgegen. Das Einvernehmen der Beteiligten bleibt auch dann ein privates Rechtsgeschäft, wenn für den Eintritt seiner Wirkungen die Mitwirkung einer staatlichen Stelle erforderlich ist (OLG Frankfurt IPRspr. 2000, 366, 367). Demgemäß wird auch die Konsensscheidung nach dem Recht des Königreichs Thailand als Privatscheidung angesehen (BGH FamRZ 1990, 607 = EzFamR EGBGB Art. 17 Nr. 15 = BGHF 7, 111; Senat FamRZ 2013, 1484, 1485), obwohl es für deren Wirksamkeit der Registereintragung bedarf (Sec. 1457, 1515, 1531 Abs. 1 des thailändischen Zivil- und Handelsgesetzbuchs BE 2467, wiedergegeben bei Bergmann/Ferid, aaO Thailand S. 36 ff).

Gemäß Art. 17 Abs. 2 EGBGB in der seit dem 21. Dezember 2018 geltenden Fassung unterliegt die Ehescheidung vom 7. Januar 2014 deutschem Recht, was wegen § 1564 BGB die Wirksamkeit und Anerkennungsfähigkeit der Privatscheidung ausschließt (BGH 1990, 607 = EzFamR EGBGB Art. 17 Nr. 15 = BGHF 7, 111; 2020, 1811 = FuR 2021, 51 Tz. 49). Der neue Art. 17 Abs. 2 EGBGB erfaßt in zeitlicher Hinsicht Privatscheidungen, die seit dem 29. Januar 2013 durchgeführt wurden (BGH FamRZ 2020, 1811 = FuR 2021, 51 Tz. 29).

Die Privatscheidung vom 7. Januar 2014 fällt nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 vom 20. Dezember 2010 (Rom III-VO). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gilt die Verordnung gemäß Art. 1 Abs. 1 Rom III-VO nur für Ehescheidungen, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden (EuGH NJW 2018, 447 = FuR 2018, 204 Tz. 48). Das Erfordernis der Registeranmeldung genügt nicht, um die Ehescheidung als »unter der Kontrolle einer Behörde ausgesprochen« zu qualifizieren, denn die Anmeldung, bei der die Ehegatten nicht persönlich erscheinen müssen (Motozawa, aaO S. 460 f), wird vor der Annahme lediglich einer formalen Prüfung unterzogen (Bergmann/Ferid, aaO Japan S. 33). Das Anmeldeformular ist dahin zu überprüfen, ob es von den Ehegatten und zwei volljährigen Zeugen unterschrieben ist (Art. 739 Abs. 2 japZGB), und ob es bei minderjährigen Kindern eine Sorgerechtsvereinbarung enthält (Art. 819 Abs. 1 japZGB). Eine Prüfung materieller Scheidungsvoraussetzungen o.ä. findet - anders als bei einer Ehescheidung nach italienischem Recht durch übereinstimmende Erklärungen vor dem Standesbeamten (vgl. dazu Senat FamRZ 2020, 1215) - nicht statt. Dem konstitutiven Element der Anmeldungsannahme (Art. 765 Abs. 2 japZGB) kommt danach keine hinreichende Kontrollfunktion zu.

Gemäß Art. 17 Abs. 2 Nr. 4 EGBGB iVm Art. 8 d) Rom III-VO ist auf die Scheidung vom 7. Januar 2014 das Recht desjenigen Staates anzuwenden, mit dem die Ehegatten in dem Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens (auf andere Weise) gemeinsam am engsten verbunden sind. Die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB iVm Art. 8 lit. a) bis c) Rom III-VO sind nicht erfüllt. Die Beteiligten hatten in dem Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens (2013 oder 2014) und im Jahr zuvor keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, in Japan im Übrigen auch zu keinem anderen Zeitpunkt. Die Senatsverwaltung hat zutreffend und von dem Beteiligten zu 1) unbeanstandet festgestellt, daß die Beteiligten gemeinsam am engsten mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, wo ihre Ehe begann, und sie die längste gemeinsame Zeit verbracht haben. Fehlte es insgesamt an Anknüpfungsmerkmalen, wären zudem ersatzweise ebenfalls die deutschen Sachnormen anzuwenden (vgl. Senat FamRZ 2002, 840, 842).

Die Beteiligten haben für die Ehescheidung nicht gemäß Art. 17 Abs. 2 EGBGB iVm Art. 5 Abs. 1 lit. c Rom III-VO das japanische Recht gewählt: Gemäß Art. 7 Abs. 1 Rom III-VO bedarf die Rechtswahlvereinbarung der Schriftform. Der Eintrag in das Familienregister, der nach japanischem Sachrecht eine Gültigkeitsvermutung für die Scheidung begründet (OLG Frankfurt IPRspr 2000, 366), ersetzt die Schriftform nicht. Der Beteiligte zu 1) hat weder eine schriftliche Scheidungsvereinbarung, noch die schriftliche Anmeldung oder einen Nachweis über die in ihr angeführten Angaben (Art. 48 japFRG) eingereicht; er hat auch nicht geltend gemacht, daß die schriftliche Anmeldung eine ausdrückliche Rechtswahlvereinbarung enthalte. Es kann dahinstehen, ob das Schriftformerfordernis eine konkludente Vereinbarung über das auf die Scheidung anzuwendende Recht ausschließt (so Thorn in Palandt, BGB 79. Aufl. Art. 6 Rom III Rdn. 2; Winkler v. Mohrenfels in MünchKomm, BGB 8. Aufl. Art. 6 Rom III-VO Rdn. 4; a.A. Gruber, IPRax 2012, 381, 387), denn die Mindestanforderungen für eine konkludente Rechtswahl sind nicht erfüllt.

Dafür reicht es nicht aus, daß die Beteiligten unter japanischem Recht gehandelt haben; vielmehr muß der übereinstimmende Wille bestehen, ein Recht zu wählen, der in der Urkunde hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird; ein nur hypothetischer Wille oder eine bloße Geltungsannahme genügen nicht (Gruber, IPRax 2005, 53, 55). Dies wird auch durch Art. 18 Rom III-VO bestätigt, laut dem beide Ehegatten ihre Rechtswahl in voller Sachkenntnis treffen sollen. Es besteht kein Anhalt, daß die Beteiligten das anzuwendende Recht durch eine Vereinbarung bestimmen wollten; dazu bestand aus japanischer Sicht kein Anlaß. Gemäß Art. 27 S. 2 des japanischen Rechtsanwendungsgesetzes Nr. 78/2006 (wiedergegeben bei Bergmann/Ferid, aaO S. 52 ff) unterliegt die Ehescheidung japanischem Recht, wenn einer der Ehegatten Japaner mit gewöhnlichem Aufenthalt in Japan ist.

Die Beteiligten können die Rechtswahlvereinbarung nach dem Abschluß des japanischen Scheidungsvorgangs nicht (mit Rückwirkung oder ex nunc) nachholen (Art. 17 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 FamFG iVm Art. 5 Abs. 2 und 3 Rom III-VO, vgl. auch BT-Dr. 19/4852 S. 38). Nach der Mitteilung des Beteiligten zu 1) vom 30. Oktober 2020 scheint die Beteiligte zu 2) hierzu ohnehin nicht bereit sein.

Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, daß deutsches Scheidungsstatut (ersatzweise) auch dann gelten würde, wenn die Ehescheidung vom 7. Januar 2014 in den Anwendungsbereich der Rom III-VO fiele. Art. 8 lit. d) Rom III-VO käme nicht zur Anwendung, weil die Beteiligten in Japan weder ein Gericht noch eine Behörde (vgl. Art. 2 Nr. 1 Brüssel IIa-VO) angerufen haben, um über die Auflösung der Ehe zu entscheiden. Der Beteiligte zu 1) hat die Möglichkeit, im Inland einen Antrag auf Ehescheidung zu stellen (§ 98 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, Art. 7 Abs. 1 Brüssel IIa-VO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 80, 84 FamFG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen gemäß § 70 Abs. 2 S. 1 FamFG vor.

Kammergericht 2020-11-03 - 1 VA 1010/20
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Anmerkungen

1. Der Beteiligte zu 1), deutscher Staatsangehöriger, und die Beteiligte zu 2), japanische Staatsangehörige, schlossen im Juni 2002 vor einem deutschen Standesamt die Ehe; danach lebten sie bis Oktober 2006 gemeinsam in der Bundesrepublik Deutschland, und von November 2006 bis April 2008 in Grossbritannien. Seit August 2008 lebten sie gemeinsam in Australien, wo sie sich im Dezember 2010 trennten. Sodann hatte der Beteiligte zu 1) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in S. und die Beteiligte zu 2) in J. Im Januar 2014 wurde die Ehescheidung der Beteiligten in das japanische Familienregister eingetragen. Der Beteiligte zu 1) hat beantragt, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung der Scheidung vorliegen, und hierzu einen Auszug aus dem japanischen Familienregister mit Apostille vorgelegt. Die Senatsverwaltung hat den Antrag zurückgewiesen.

2. Das Kammergericht hat deutsches Sachrecht angewendet, das keine Privatscheidung kennt (§ 1564 BGB), und hat deshalb der Privatscheidung nach japanischem Recht die Anerkennung versagt. Die Anerkennungsfähigkeit einer ausländischen Privatscheidung sei anhand der materiellen Voraussetzungen des kollisionsrechtlich berufenen Scheidungsrechts zu beurteilen; §§ 108, 109 FamFG gälten nicht. Das anwendbare Sachrecht sei nach Art. 17 Abs. 2 EGBGB mit Art. 8 Rom III-VO zu ermitteln; dies gelte auch für Privatscheidungen zwischen den Jahren 2013 und 2018 (BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020, 1811 = FuR 2021, 51).

3. Der über Art. 17 Abs. 2 EGBGB zur Anwendung berufene Art. 8 Rom III-VO regele vier Anknüpfungsmerkmale, die in der vorgegebenen Reihenfolge abzuarbeiten seien. Die Voraussetzungen von lit. a und lit. b lägen nicht vor, weil die Beteiligten weder in dem Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens, noch in dem Jahr zuvor einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätten; ebenso wenig greife lit. c, weil es an einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft der Beteiligten fehle.

4. Während nach lit. d die lex fori - Sachrecht an dem Gerichtsstand des Scheidungsverfahrens - anzuwenden wäre, ersetze Art. 17 Abs. 2 Nr. 4 EGBGB diese für Privatscheidungen unpassende Variante durch das Recht desjenigen Staates, mit dem die Ehegatten in dem Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden seien. Nach Ansicht des KG sind die Beteiligten gemeinsam am engsten mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden, wo ihre Ehe begann, und wo sie die längste gemeinsame Zeit verbracht hatten.

5. Die Entscheidung wäre anders ausgefallen, wenn die Beteiligten eine Rechtswahl vorgenommen hätten; hierfür verweist Art. 17 Abs. 2 EGBGB auf Art. 5 Abs. 1 lit. a, b und c Rom III-VO, der den Beteiligten eine weitreichende Rechtswahlfreiheit einräumt. Bei internationalen Familien sollte nachdrücklich auf diese Möglichkeiten hingewiesen werden, um den Beteiligten Rechtssicherheit zu geben. Die Wahl des japanischen Rechts als des Rechts des Staates, dessen Staatsangehörigkeit einer der Ehegatten zu dem Zeitpunkt der Rechtswahl besitzt, wäre vorliegend möglich gewesen. Eine derartige Rechtswahl hätte auch noch bis zu der Anmeldung der Scheidung bei der japanischen Registerbehörde erfolgen können (Art. 17 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB mit Art. 5 Abs. 3, Art. 7 Rom III-VO); mit Rückwirkung kann sie demgegenüber nicht nachgeholt werden.

6. Für eine wirksame Rechtswahl sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen:
- Sie bedarf der Schriftform (Art. 7 Abs. 1 Rom III-VO); insoweit treten vielfach Probleme bei einseitigen Privatscheidungen nach islamischen Recht (Verstossungsscheidung) auf, weil es hier von vornherein nicht auf einen Konsens der Beteiligten ankommt, selbst wenn er tatsächlich bestehen sollte. Gleiches gilt bei der Übergabe des Scheidebriefes durch den Ehemann an die Ehefrau nach jüdischem Recht;
- Die Mindestanforderungen für eine konkludente Rechtswahl müssen erfüllt sein: Es muss der übereinstimmende Wille bestehen, ein bislang nicht einschlägiges Sachrecht zu wählen. Dieser Wille muss in der Urkunde hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden; ein nur hypothetischer Wille oder eine blosse Geltungsannahme genügen nicht.


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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Ablehnung der Anerkennung eines tunesischen Scheidungsurteils.

BGB § 1564; FamFG §§ 68, 107, 109; GG Art. 103

1. Wird ein Antrag auf Anerkennung eines ausländischen Urteils aus verfahrensrechtlichen Gründen abgelehnt, so entfaltet diese Entscheidung keine Bindungswirkung nach § 107 Abs. 9 FamFG für künftige Verfahren oder gerichtliche Entscheidungen.
2. In dem Anerkennungsverfahren nach § 109 Abs. 4 FamFG besteht eine Mitwirkungspflicht des antragstellenden Ehegatten, weshalb dessen Antrag aus verfahrensrechtlichen Gründen abgelehnt werden kann, wenn er die Beteiligung des anderen Ehegatten mangels Angaben zu dem unbekannten aktuellen Aufenthalt im Ausland nicht fördert, und nichts zu seinen Ermittlungsbemühungen vorträgt.
3. Sofern das Anerkennungshindernis des fehlenden rechtlichen Gehörs gemäß § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG mangels Rüge des Antragsgegners ausscheidet, kann gleichwohl der Versagungsgrund des ordre public nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG in Betracht kommen, der allerdings restriktiv anzuwenden ist.

OLG Celle, Beschluß vom 19. November 2020 - 10 VA 1/20

Tenor
1. Der Antrag des Antragstellers, den Bescheid der Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle vom 15.04.2020 zu ändern, mit welchem die Anerkennung der Scheidung gemäß Urteil vom 18.10.2011 des Gerichts in S./Tunesien abgelehnt wurde, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
3. Der Geschäftswert des gerichtlichen Verfahrens beläuft sich auf 5.000 €.
4. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschluß des Senats vom 20.10.2020 wird zugleich auf seine Kosten verworfen.

Gründe
I. Der Antragsteller begehrt die Anerkennung einer in Tunesien ausgesprochenen Scheidung in Deutschland.

Die Beteiligten hatten im Jahre 2009 in Tunesien die Ehe geschlossen. Der Antragsteller ist in Deutschland geboren, und verfügt seit seiner Einbürgerung über die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Antragsgegnerin ist tunesische Staatsangehörige, und soll nach Auskunft der Ausländerbehörde des Landkreises P. am 14. August 2010 nach Deutschland eingereist, und seit dem 7. Dezember 2011 nach unbekannt ausgereist sein. Bereits im August 2011 hat der Antragsteller in Tunesien ein Scheidungsverfahren eingeleitet. Das Gericht S./Tunesien hat mit Urteil vom 18. Oktober 2011 die Scheidung der Ehe ausgesprochen; den Gründen des Scheidungsurteils läßt sich entnehmen, daß die Antragsgegnerin weder zu dem Sühnetermin am 6. September 2011, noch zu dem Verhandlungstermin am 4. Oktober 2011 vor dem Gericht S./Tunesien erschienen ist, oder einen Bevollmächtigten entsandt hat.

Der Antragsteller hat erstmals mit Antrag vom 19. April 2012 die Anerkennung der Scheidung in Deutschland bei der Landesjustizverwaltung an dem Oberlandesgericht Celle begehrt. Das Verfahren wurde mangels Betreibens des Antragstellers im September 2014 nicht weiter gefördert, sondern erst auf die erneute Antragstellung vom 4. September 2017 wieder aufgenommen. Der Antrag enthält keine genauen Angaben zu der aktuellen Anschrift der Antragsgegnerin, die sich in Tunesien aufhalten soll. Die Ermittlungen gegenüber dem Ausländerzentralregister des Bundesverwaltungsamtes sowie bei dem Landkreis P. haben hierzu keine Erkenntnisse erbracht.

Die Justizverwaltung hat mit Verfügung vom 16. September 2019 darauf hingewiesen, daß der Anerkennung des tunesischen Urteils die fehlende Beteiligung der Antragsgegnerin in dem Erstverfahren entgegenstehen könnte, weil es an Angaben zu der Bekanntgabe des Scheidungsantrages und zu der Ladung zu den Terminen fehle. Der Antragsteller hat hierzu mit Schreiben vom 7. Oktober 2019 Stellung genommen, allerdings keine weiteren Nachweise über eine Beteiligung der Antragsgegnerin, der damaligen Ehefrau, in dem tunesischen Scheidungsverfahren beigebracht. Er hat angegeben, daß seiner damaligen Ehefrau die Gerichtstermine bekannt gewesen seien, sie diese aber bewußt nicht wahrgenommen habe.

Die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle hat mit Bescheid vom 15. April 2020 den Antrag auf Anerkennung des tunesischen Scheidungsurteils abgelehnt; auf diesen Bescheid wird ergänzend Bezug genommen. Zur Begründung ist auf das Anerkennungshindernis des ordre public nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG abgestellt worden. Danach scheidet die Anerkennung in Deutschland aus, wenn sich der andere Ehegatte in dem ausländischen Scheidungsverfahren nicht eingelassen hat, und ihm die Antragsschrift, mit welcher das ausländische Verfahren eingeleitet wurde, nicht ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt wurde, so daß er sich nicht verteidigen konnte, obwohl er dies womöglich gewollt hätte (vgl. § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG). In dem Streitfall könne die Regelung des § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG mangels Rüge der nicht beteiligten Antragsgegnerin zwar nicht herangezogen werden; es greife aber die ausnahmsweise in Betracht zu ziehende allgemeine Regelung nach Absatz 1 Nr. 4 FamFG, weil nach den gegebenen Umständen von einer Gehörsverletzung in Tunesien ausgegangen werden müsse.

Gegen diesen am 22. April 2020 zugestellten Bescheid wendet sich der Antragsteller mit am 20. Mai 2020 eingegangenen Antrag seines Verfahrensbevollmächtigten auf Anerkennung der Scheidung. Zur Begründung wird ausgeführt, daß die Ladung zu dem Scheidungsverfahren am 6. September 2011 durch Aushändigung an die zu dem Haushalt der damaligen Ehefrau gehörende Mutter in Tunesien zugestellt worden sei; zum Nachweis hat der Antragsteller die Zustellungsurkunde des Gerichtsvollziehers nebst Übersetzung vorgelegt. Die Antragsgegnerin sei unter der Zustellungsadresse zudem gemeldet gewesen, sonst hätte der Gerichtsvollzieher keine Zustellung unter der Anschrift bewirkt. Der Antragsgegnerin sei also das Scheidungsverfahren bekannt gewesen, und sie habe bereits lange vor dem von der Ausländerbehörde angegebenen Wegzug wieder in Tunesien gelebt.

Mit Verfügung vom 8. Juli 2020 ist dem Antragsteller aufgegeben worden, sich zu der aktuellen Anschrift der Antragsgegnerin zu erklären; ferner ist er auf die fehlenden Erfolgsaussichten des Antrages hingewiesen worden. Mit Schriftsatz vom 7. September 2020 hat der Antragsgegner durch Vorlage eines Registerauszugs aus Tunesien nebst Übersetzung glaubhaft gemacht, daß die Antragsgegnerin zwischenzeitlich wieder verheiratet ist. Daraufhin ist ihm der Hinweis erteilt worden, daß der ordre public-Einwand der Anerkennung aufgrund dieses Vorbringens womöglich nicht mehr entgegenstehe, gleichwohl aber die Beteiligung der Antragsgegnerin in dem deutschen Anerkennungsverfahren geboten sei. Der Antragsteller wurde erneut zur Beibringung von deren aktueller Anschrift, und hilfsweise zur Darlegung seiner Bemühungen um die Aufklärung des Aufenthalts aufgefordert. Nachdem der Antragsteller hierzu keinerlei Erklärungen abgegeben hat, ist ihm zunächst mit Beschluß des Senats vom 20. Oktober 2020 die begehrte Verfahrenskostenhilfe versagt, und Gelegenheit zu der Rücknahme des Antrages bis zum 30. Oktober 2020 gegeben worden.

Hiergegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde erhoben, die er mit Schriftsatz vom 16. November 2020 begründet hat.

II. Das als Antrag auf Entscheidung durch das Oberlandesgericht Celle gemäß § 107 Abs. 5 FamFG auszulegende Begehren des Antragstellers ist zulässig. Es hat in der Sache allerdings keinen Erfolg, und ist damit zurückzuweisen.

1. Es liegt eine auf Antrag des Antragstellers (§ 107 Abs. 4 S. 1 FamFG) ergangene Entscheidung der Landesjustizverwaltung iSv § 107 Abs. 5 S. 1 FamFG vor, mit welcher die Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle die Anerkennung der durch das tunesische Gericht in S. durch Urteil vom 18. Oktober 2011 ausgesprochenen Scheidung der Ehe des Antragstellers mit der Antragsgegnerin abgelehnt hat. Daraufhin hat der Antragsteller den gemäß § 107 Abs. 5 FamFG statthaften Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb der Frist der § 107 Abs. 7 S. 3 und Abs. 8 S. 1 iVm mit § 63 Abs. 1 FamFG bei dem hierfür zuständigen Gericht gestellt, und gemäß § 65 Abs. 1 FamFG begründet.

2. Dieser Antrag gegen die Entscheidung der Landesjustizverwaltung ist unbegründet. Daß die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung der tunesischen Ehescheidung entgegen der Auffassung der Justizverwaltung gegeben sind, ist zwar im Laufe des gerichtlichen Feststellungsverfahrens wahrscheinlich geworden (dazu unter a)); einer abschließenden Beurteilung dieser Frage bedurfte es allerdings nicht, nachdem der Antragsgegnerin mangels weiterer Angaben des Antragstellers zu der Ermittlung ihres aktuellen Aufenthaltsortes kein rechtliches Gehör gewährt werden konnte. Sein Antrag ist somit aus verfahrensrechtlichen Gründen zurückzuweisen (dazu unter b)).

Dabei ist ergänzend klarzustellen, daß die Ablehnung der Anerkennung damit keine Bindungswirkung nach § 107 Abs. 9 FamFG für künftige Verfahren oder gerichtliche Entscheidungen entfaltet, weil hiermit nicht darüber befunden wird, daß der Anerkennung gewisse Anerkennungshindernisse entgegenstehen. Wenn ein Anerkennungsantrag nicht materiell-rechtlich, sondern lediglich aus verfahrensrechtlichen Gründen - vorliegend aufgrund der fehlenden Möglichkeit einer Beteiligung der Antragsgegnerin - zurückgewiesen wird, dann ist die ablehnende Entscheidung nicht bindend (vgl. Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht 2. Aufl. Rdn. 233; Rauscher in MünchKomm, FamFG 3. Aufl. § 107 Rdn. 45, 50; v. Milczewski in Bahrenfuss, FamFG 3. Aufl. § 107 Rdn. 28); vielmehr kann in diesen Fällen ein erneuter Antrag zulässig sein.

a) Zweifelhaft ist, ob das Anerkennungshindernis gemäß § 109 Abs. 1 FamFG einer Anerkennung der in Tunesien ausgesprochenen Scheidung tatsächlich entgegensteht. Soweit die Landesjustizverwaltung in dem angefochtenen Bescheid den Versagungsgrund der Verletzung des deutschen ordre public nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG heranzieht, hat es diesen zutreffend von Amts wegen ohne Rüge der nicht beteiligten Antragsgegnerin - anders als bei der Regelung des § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG - für anwendbar erklärt (vgl. Rauscher, aaO § 109 Rdn. 24). Die von dem Antragsteller vorgelegten Unterlagen und weiteren Ermittlungen sprachen zu dem Prüfungszeitpunkt der Justizverwaltung ferner für einen möglichen Verstoß gegen die grundrechtlich geschützte Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs der Antragsgegnerin in dem Ausgangsverfahren.

Dabei scheidet der restriktiv auszulegende Versagungsgrund des ordre public nach den ersichtlichen Umständen nicht allein deshalb aus, weil nur verfahrensrechtliche Unterschiede zwischen dem deutschen und dem tunesischen Verfahrensrecht bestehen könnten, die Antragsgegnerin aber gleichwohl Äußerungs- und Einflußmöglichkeiten vor dem Erlaß des tunesischen Scheidungsurteils gehabt hat (vgl. BGHZ 189, 187 Tz. 25); vielmehr konnte in dem Verfahren nicht ermittelt werden, daß der Antragsgegnerin das verfahrenseinleitende Schriftstück und die Terminladungen für das Scheidungsverfahren in Tunesien jemals zugestellt worden sind, oder sie anderweitig hiervon rechtzeitig vorher Kenntnis erlangt hat. Der Antragsteller behauptet zwar, daß die Antragsgegnerin von dem am 12. August 2011 an deren Mutter in Tunesien übergebenen verfahrenseinleitenden Schriftstück nebst Vorladung entsprechend der Bescheinigung des Gerichtsvollziehers tatsächlich rechtzeitig Kenntnis erlangt habe. Zusätzlich hätte er allerdings glaubhaft machen müssen, daß die Antragsgegnerin damals in demselben Haushalt gewohnt (vgl. § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), oder ihr anderweitig die Schreiben durch die Mutter als Empfängerin weitergeleitet worden sind. Der behauptete Aufenthalt der Antragsgegnerin in Tunesien zum Zeitpunkt der Übergabe der Schriftstücke im August 2011 bleibt nach der abweichenden Auskunft des Bundesverwaltungsamtes vom 8. August 2019 fraglich, wonach sie erst zum 7. Dezember 2011 als nach unbekannt verzogen gemeldet worden ist. Auch allgemein gehaltene Äußerungen des Vaters der Antragsgegnerin über Kenntnisse der Tochter von dem Verfahren bleiben zu vage.

Auf den Hinweis der Berichterstatterin vom 8. Juli 2020 hin hat der Antragsteller seine pauschalen Angaben hierzu nicht präzisiert; ebenso wenig läßt das Scheidungsurteil vom 18. Oktober 2011 in dem Rubrum erkennen, daß die Ehefrau in dem tunesischen Scheidungsverfahren durch einen Rechtsanwalt oder Zustellungsbevollmächtigten vertreten worden ist, welche ihr die notwendigen Kenntnisse zu dem Verfahren verschafft haben könnten.

Gegen das Eingreifen des ordre public iSv § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG hat der Antragsteller allerdings zwischenzeitlich glaubhaft vorgebracht, daß die Antragsgegnerin die Scheidung selbst als wirksam betrachte: Dies ergibt sich aus dem mit Schriftsatz vom 7. September 2020 übersandten Registerauszug der Geburtsurkunde der Antragsgegnerin, wonach sie am 9. August 2020 in S./Tunesien wieder geheiratet haben soll. Der Auszug spricht für die Richtigkeit der zuvor nur als Mutmaßung erscheinenden Äußerung des Antragstellers über eine neu eingegangene Ehe der Antragsgegnerin; dabei wird die Wiederheirat nachvollziehbar als Anhaltspunkt dafür herangezogen, daß die Antragsgegnerin selbst die Scheidung von dem ersten Ehemann nicht in Frage stellen wolle, sondern von einer wirksamen Entscheidung des tunesischen Gerichts ausgehe. Dieser mutmaßliche Wille der Antragsgegnerin könnte für eine Anerkennung des Scheidungsurteils in Deutschland sprechen, zumal der Versagungsgrund des ordre public restriktiv auszulegen ist. Im Falle einer Wiederheirat des in dem Erstverfahren nicht beteiligten Ehegatten entspricht es letztlich dessen eigenen sowie auch den Interessen des Staates, daß die Scheidung auch außerhalb des Entscheidungsstaates als gültig angesehen wird, um sog. »hinkende Familienverhältnisse« zu vermeiden (vgl. v. Milczewski, aaO § 107 Rdn. 3).

b) Einer abschließenden Beurteilung, ob das Anerkennungshindernis des § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG einschlägig ist, bedarf es allerdings nicht; vielmehr ist der Anerkennungsantrag des Antragstellers aus verfahrensrechtlichen Gründen zurückzuweisen. Die Antragsgegnerin konnte weiterhin nicht in dem Anerkennungsverfahren beteiligt werden, weil keine Anschrift bekannt gegeben oder anderweitig ermittelt werden konnte. Deren Beteiligung ist allerdings geboten, weil sie unmittelbar durch die Anerkennungsentscheidung betroffen ist, und ihr damit nach Art. 103 Abs. 1 GG rechtliches Gehör zu gewähren ist (Spellenberg in Staudinger, BGB [2016] § 107 FamFG Rdn. 184 f); dieses konnte selbst in dem gerichtlichen Verfahren bislang nicht nachgeholt werden. Der Antragsteller hat auch auf die erneute Aufforderung der Berichterstatterin vom 7. Oktober 2020, sich zu dem aktuellen Aufenthaltsort zu erklären, oder seine Ermittlungsbemühungen näher darzulegen, nur ausweichend reagiert. Die erfolgten Angaben zu Kontaktaufnahmen zu dem Vater der Antragsgegnerin, der Kenntnisse über deren Beteiligung in dem tunesischen Scheidungsverfahren haben soll, beantworten nicht die Frage zu deren aktuellem Aufenthaltsort. Auch die nachgereichte Erklärung des tunesischen Rechtsanwalts N. G. vom 9. Oktober 2020 verhält sich nicht zu Fragen nach einem aktuellen Aufenthaltsort der Antragsgegnerin, sondern bezieht sich auf die möglichen Kenntnisse der Antragsgegnerin von dem im Jahre 2011 geführten Scheidungsverfahren.

Aufgrund der fortbestehenden Verbindungen des Antragstellers zu der Familie in Tunesien, wo sich die Antragsgegnerin vermutlich gewöhnlich aufhält, ist anzunehmen, daß der Antragsteller eine Anschrift der Antragsgegnerin bei den gebotenen Bemühungen beschaffen könnte; anderweitiges hat er jedenfalls nicht dargetan, so daß nicht davon auszugehen ist, daß es tatsächlich unmöglich ist, die Antragsgegnerin in dem deutschen Anerkennungsverfahren zu beteiligen (vgl. Spellenberg, aaO Rdn. 188). Da der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten gemäß § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG nicht ausreichend nachgekommen ist (vgl. v. Milczewski, aaO Rdn. 85), obwohl er hierzu mehrfach angehalten worden ist, muß der Antrag als unzulässig zurückgewiesen werden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG (vgl. OLG München FamRZ 2018, 817, 821). Es entspricht nach den Umständen des Einzelfalles der Billigkeit, daß jeder Beteiligte seine eigenen Kosten selbst zu tragen hat, und eine Erstattung nicht angeordnet wird. Die Gebühr für das gerichtliche Verfahren selbst ist aus Nr. 1714 FamGKG-KV zu entnehmen. Sie ist von dem Antragsteller als Veranlasser (vgl. § 22 Abs. 1 GNotKG) des gerichtlichen Verfahrens zu entrichten.

Den Geschäftswert für das gerichtliche Verfahren bemißt der Senat mangels hinreichender Anhaltspunkte nach § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG nach dem dort genannten Auffangwert.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist mangels ersichtlicher Zulassungsgründe iSv §§ 107 Abs. 7 S. 3, 70 Abs. 2 FamFG nicht erfolgt.

IV. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den die Verfahrenskostenhilfe zurückweisende Entscheidung des Senats vom 20. Oktober 2020 ist zugleich zurückzuweisen, weil sie gegen nicht mit der Rechtsbeschwerde angreifbare Entscheidungen des Oberlandesgerichts nicht statthaft ist (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO 33. Aufl. § 127 Rdn. 29 mwN). Ebenso wenig kann das Rechtsmittel als Gegenvorstellung erfolgversprechend sein, wie die in der Hauptsache ausgeführten Gründe zeigen, so daß eine entsprechende Auslegung ausscheidet.

OLG Celle 2020-11-19 - 10 VA 1/20
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Anmerkungen

Dem OLG lag der Antrag eines Ehemannes auf Feststellung der Anerkennungsfähigkeit seiner in Tunesien ergangenen gerichtlichen Ehescheidung vor (§ 107 Abs. 5 und 7 FamFG). Der Antragsteller hatte die Beteiligung des anderen Ehegatten an diesem Verfahren mangels Angaben zu dem unbekannten aktuellen Aufenthalt seiner Ehefrau im Ausland nicht gefördert, aber auch nichts zu seinen Ermittlungsbemühungen vorgetragen. Bedenken ergaben sich zu dem Anspruch auf rechtliches Gehör: Zum einen - im Hinblick auf § 109 Abs. 1 FamFG - bereits im Rahmen des tunesischen Scheidungsverfahrens, zum anderen im Rahmen des deutschen Anerkennungsverfahrens, denn die Ehefrau hatte sich weder an dem einen, noch an dem anderen Verfahren beteiligt. Das OLG hat den Antrag daher zurückgewiesen und den Antragsteller darauf hingewiesen, die getroffene Entscheidung entfalte keine Bindungswirkung, und er könne nach Ausräumen des Verfahrenshindernisses einen neuen Antrag auf Feststellung der Anerkennungsfähigkeit stellen und den Aufenthaltsort der Ehefrau ausfindig machen.

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Ehescheidung; Anhörungstermin in Ehesachen; Ordnungsgeld gegen beteiligte Ehegatten bei Ausbleiben ohne Entschuldigung; Anforderungen an den Nachweis der Verhandlungsunfähigkeit.

1. Ein in einem Scheidungsverfahren verhängtes Ordnungsgeld ist aufzuheben, wenn der beteiligte Ehegatte sein Ausbleiben in dem Anhörungstermin genügend entschuldigt.
2. Eine ärztliche Bescheinigung, die weder eine ärztliche Diagnose noch eine ärztliche Feststellung zu einem krankhaften Befund enthält, sondern sich lediglich auf den Hinweis beschränkt, der Patient habe erklärt, sich subjektiv krank bzw. nicht vernehmungsfähig zu fühlen, stellt grundsätzlich keine genügende Entschuldigung im Sinne von § 128 Abs. 4 FamFG, § 381 Abs. 1 ZPO für das Fernbleiben von einem Termin dar, zu dem das persönliche Erscheinen angeordnet worden ist.

Kammergericht, Beschluß vom 20. November 2020 - 16 WF 1149/20

Anmerkungen

In einem Scheidungsverfahren hatte das FamG einen Termin auf den 29.09.2020 anberaumt, das persönliche Erscheinen des Antragsgegners zum Zwecke der persönlichen Anhörung angeordnet, und diesen ordnungsgemäss geladen. Mit Telefax vom 28.09.2020 hatte der Antragsgegner über seine Verfahrensbevollmächtigte beantragt, den Termin aufzuheben, da er erkrankt sei; dazu legte er einen ausführlichen, fünfseitigen Bericht eines Klinikums von demselben Tag vor, demzufolge er sich mit Brust- und Bauchschmerzen vorgestellt habe, die teilweise seit einem Jahr, teilweise seit mehreren Wochen, wiederkehrend seien. Nach einer Untersuchung seien nicht näher bezeichnete Brustschmerzen, Schmerzen in anderen Teilen des Unterbauchs sowie Koprostase diagnostiziert worden. Der abschliessende Befund lautete: »Die Beschwerden des Patienten bestehen [unleserlich] aufgrund von Koprostase. Hinweise auf ein [unleserlich] oder eine akute entzündliche Erkrankung des Abdomens bestehen nicht. [...]«. An demselben Tage gegen 14.20 Uhr wurde der Antragsgegner nach Hause entlassen.

Das FamG hob den Termin vom 29.09.2020 nicht auf, und setzte aufgrund des Fernbleibens im Anhörungstermin ein Ordnungsgeld in Höhe von 200 € fest, da das vorlegte ärztliche Zeugnis keine Verhandlungsunfähigkeit belege. Mit der hiergegen erhobenen sofortigen Beschwerde vom 23.10.2020 legte der Antragsgegner ein Attest eines niedergelassenen Allgemeinmediziners vom 29.9.2020 vor, ausweislich dessen dieser sich dort an dem Terminstag zwischen 11.00 Uhr und 12.30 Uhr vorgestellt habe. Der Arzt notierte auf dem Zeugnis, der Antragsgegner habe angegeben, starke Thoraxschmerzen zu haben, und sich nicht vernehmungsfähig zu fühlen. Weiter heisst es dort, die Vorstellung in der Klinik habe keinen pathologischen Befund ergeben. Eine weitere kardiale Abklärung wurde empfohlen.

Das KG hat die sofortige Beschwerde kostenpflichtig zurückgewiesen. Die gesetzliche Regelung in § 128 Abs. 4 FamFG, § 381 Abs. 1 S. 1 und 3 ZPO sehe vor, dass das verhängte Ordnungsgeld aufzuheben ist, wenn der beteiligte Ehegatte sei Ausbleiben »genügend entschuldigt«. »Genügend« sei eine Entschuldigung, wenn dem Beteiligten bei Würdigung aller Umstände ein Erscheinen nicht zugemutet werden könne. Hierbei sei das Gericht nicht an die Beweisaufnahmevorschriften gebunden, sondern es genüge eine Glaubhaftmachung. An einer solchen Glaubhaftmachung durch den Antragsgegner fehle es indes vorliegend, denn aufgrund der umfassenden Untersuchung im Klinikum stehe fest, dass der Antragsgegner zum Untersuchungszeitpunkt nicht an einer akuten pathologischen Erkrankung gelitten habe.

Dafür, dass er sich nach der Untersuchung in der Klinik bis zu der Terminstunde eine weitere bzw. erneute Erkrankung zugezogen habe, seien keine Anhaltspunkte ersichtlich; insbesondere ergebe sich dies nicht aus dem vorgelegten ärztlichen Zeugnis vom 29.09.2020. In diesem Attest werde weder eine Arbeitsunfähigkeit, noch eine Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt. Es enthalte keine Diagnose oder Feststellungen zu einem wie auch immer gearteten krankhaften Befund, sondern lediglich den Hinweis, dass der Antragsgegner sich subjektiv krank bzw. nicht vernehmungsfähig fühle. Dem Antragsgegner werde gerade nicht die Fähigkeit abgesprochen, aus gesundheitlichen Gründen an dem Termin teilzunehmen.

Es sei allerdings anerkannt, dass das Gericht vor der Annahme einer »genügenden« Entschuldigung die Vorlage eines ärztlichen Attestes oder des Zeugnisses eines Amtsarztes verlangen könne. Weder das eine noch das andere habe der Antragsgegner vorgelegt. Das Attest vom 29.09.2020 enthalte keine Feststellungen dazu, dass es dem Antragsgegner unmöglich gewesen sei, zum Termin zu erscheinen, oder dass er gar erkrankt gewesen sei. Ein amtsärztliches Zeugnis sei gar nicht vorgelegt worden.

Auch gegen die Höhe des Ordnungsgeldes gebe es nichts zu erinnern: Der Antragsgegner habe diesbezüglich nichts vorgetragen.

Hinweis
Diese Entscheidung präzisiert die Anforderungen an die Glaubhaftmachung einer Entschuldigung für die Terminversäumung eines Ehegatten mit Schwerpunkt »Voraussetzungen für eine nachträgliche Entschuldigung«. Bei vorgetragener krankheitsbedingter Abwesenheit muss ein pathologischer oder ein sonstiger körperlicher Zustand, der ein Erscheinen unmöglich macht, vorliegen; dies hat der ausbleibende Ehegatte durch Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses oder eines ärztlichen Attests glaubhaft zu machen. Für die Glaubhaftmachung sind dabei eine ärztliche Diagnose oder zumindest Feststellungen zu einem krankhaften Befund im Rahmen des Attestes erforderlich; die Bezugnahme auf eine durch den Beteiligten subjektiv empfundene Vernehmungsunfähigkeit genügt demgegenüber nicht.


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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Wirksamkeit der Scheidung einer Vorehe als Voraussetzung der Wirksamkeit einer Eheschließung nach ausländischem Recht.

BGB §§ 1564 ff; EGBGB Art. 13; FamFG § 107

1. Beurteilt sich die Wirksamkeit der Eheschließung nach ausländischem Recht, kommt es auch für die Frage der Wirksamkeit der Scheidung einer Vorehe auf das ausländische Recht an.
2. Art. 13 EGBGB steht insofern allerdings im Spannungsverhältnis zu § 107 FamFG, nachdem die Auslandsscheidung nur dann im Inland Wirkung entfaltet, wenn sie von der Landesjustizverwaltung anerkannt wurde; deutsche Behörden und Gerichte haben eine Auslandsscheidung daher trotz Art. 13 EGBGB als nicht wirksam anzusehen.
3. Die Fehlerfolgen eines solchen Auseinanderfallens der Wirksamkeit einer Auslandsscheidung gehen aber nicht weiter, als wie sie das deutsche Recht für den Fall der Unwirksamkeit der Scheidung der Vorehe vorsieht.
4. Die Folgeehe auf eine im Iran nach iranischem Recht wirksam geschiedene Vorehe ist daher nach deutschem Recht nur aufhebbar und nicht nichtig, wenn die Scheidung der Vorehe wegen § 107 FamFG im Inland als nicht erfolgt gilt, selbst wenn das iranische Recht bei einer (aus Sicht des iranischen Rechts nicht vorliegenden) Unwirksamkeit der Scheidung der Vorehe von einer Nichtehe ausgehen würde.
5. Die aus einer solchen Folgeehe hervorgehenden Kinder gelten als Kinder des neuen Ehemannes, und nicht des Ehemannes der Vorehe.

OLG Hamburg, Beschluß vom 23. November 2020 - 2 W 57/20

Tenor
1. Die Beschwerden der Standesamtsaufsicht und des Standesamtes gegen den Beschluß des Amtsgerichts Hamburg vom 03.06.2020 (60 III 108/16) werden zurückgewiesen.
2. Kosten und Auslagen werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe
I. Das Standesamt begehrt die Berichtigung der Geburtseinträge der Beteiligten zu 3) und zu 4) dahingehend, daß nicht der Beteiligte zu 6), sondern der Beteiligte zu 5) als Vater der Beteiligten eingetragen wird.

Die Beteiligte zu 7) ist Mutter der Beteiligten zu 3) und zu 4); sie hatte am 22. Februar 1996 im Iran den Beteiligten zu 5) geheiratet. Zu dem Zeitpunkt der Heirat waren beide Beteiligte iranische Staatsbürger. Der Beteiligte zu 5) hat seit dem Jahre 1987, und die Beteiligte zu 7) seit dem Jahre 1996 ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland. Aus dieser Ehe ist das am 22. Juli 2000 geborene Kind F. hervorgegangen. Am 4. April 2002 erwarben die Beteiligten zu 5) und zu 7) auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Ehe der Beteiligten zu 5) und zu 7) wurde am 14. März 2006 durch eine behördlich registrierte Privatscheidung im Iran geschieden, und die Scheidung bei dem Scheidungsnotariat in Teheran beurkundet. Eine Anerkennung dieser Scheidung gemäß § 107 FamFG im Inland erfolgte nicht, sondern wurde vielmehr durch Bescheid vom 1. Oktober 2012 der Landesjustizverwaltung abgelehnt. Der hiergegen von dem Beteiligten zu 5) gestellte Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieb erfolglos (Senatsbeschluß vom 17. Dezember 2012 - 2 VA 2/12 - n.v.).

Am 1. Mai 2009 schloß die Beteiligte zu 7) im Iran die Ehe mit dem Beteiligten zu 6), der iranischer Staatsbürger ist, und seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort ebenfalls in Deutschland hat. Der Beteiligte zu 3) wurde am 7. August 2013 geboren, die Beteiligte zu 4) am 10. Juni 2010. Als Vater beider Kinder wurde der Beteiligte zu 6) in dem deutschen Geburtsregister eingetragen. Die Kinder haben ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in Deutschland. Am 17. Juli 2014 wurde die Ehe der Beteiligten zu 7) mit dem Beteiligen zu 5) durch Beschluß des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek vom 17. Juli 2014, rechtskräftig seit dem 30. August 2014, geschieden (884 F 5/13).

Das Standesamt beantragt mit seinem am 20. Mai 2016 bei dem Amtsgericht eingegangenen Antrag, das Geburtsregister hinsichtlich der Beteiligten zu 3) und zu 4) dahingehend zu berichtigen, daß nicht der Beteiligte zu 6), sondern der Beteiligte zu 5) als Vater der Kinder in das Geburtsregister eingetragen wird. Da die im Iran durchgeführte Scheidung der Ehe der Beteiligten zu 7) und zu 5) im Inland nicht anerkannt wurde, sei diese als fortbestehend zu behandeln. Die spätere Eheschließung im Iran sei vor diesem Hintergrund zwar nach dem gemäß Art. 11 EGBGB maßgeblichen iranischen Ortsrecht formell wirksam; gleichwohl liege eine Nichtehe vor, weil es gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB aufgrund der iranischen Staatsbürgerschaft des Beteiligten zu 6) (auch) zu der Anwendung des iranischen Eheschließungsrecht komme. Die Heirat einer bereits verheirateten Frau führe nach iranischem Recht zu der Nichtigkeit der weiteren Ehe.

Zwar sehe das aufgrund der doppelten Staatsangehörigkeit der Beteiligten zu 7) ebenfalls zur Anwendung gelangende deutsche Eheschließungsrecht im Falle der Doppelheirat nur eine Aufhebbarkeit, aber keine Nichtigkeit der Ehe vor. Würden die aufgrund verschiedener Staatsangehörigkeiten im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung kommenden Rechtsordnungen aber zu abweichenden Rechtsfolgen bei einem Verstoß gegen Eheverbote gelangen, gelte der Grundsatz des ärgeren Rechts. Zur Anwendung gelange dann das iranische Recht, welches zu der Nichtigkeit der zweiten Ehe führe. Eine nichtige Ehe könne aber die Vaterschaft des Beteiligten zu 6) nicht begründen; vielmehr gelte der Beteiligte zu 5) als weiterhin mit der Beteiligten zu 7) verheiratet, so daß dieser im Wege der Berichtigung nach § 48 PStG als Vater der Kinder einzutragen sei.

Die Standesamtsaufsicht unterstützt den Antrag des Standesamtes.

Das Standesamt hat eine Stellungnahme des Fachausschusses des Bundesverbandes der Deutschen Standesbeamtinnen und Standesbeamten e.V. zu dem vorliegenden Sachverhalt eingeholt. Der Fachausschuß hat sich mit ausführlicher Begründung der Auffassung des Standesamtes angeschlossen; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme FA-Nr. 4137 (StAZ 2018, 256 ff) verwiesen.

Der Beteiligte zu 5) und die Beteiligte zu 7) sind dem Antrag entgegen getreten. Nach iranischem Recht sei die Ehe der Beteiligten zu 7) mit dem Beteiligten zu 5) wirksam geschieden worden. Die nachfolgende Ehe der Beteiligten zu 5) mit dem Beteiligten zu 6) verstoße damit auch gegen kein Eheverbot; sie sei aus Sicht des iranischen Rechts nicht nichtig, sondern im Gegenteil voll wirksam. Überdies verstoße die begehrte Berichtigung gegen den grundrechtlich und menschenrechtlich verankerten Schutz der Familie nach Art. 6 GG bzw. 8 EMRK. Den Kindern würde ein für sie bislang völlig fremder Mann als Vater aufgedrängt werden.

Das Amtsgericht Hamburg hat die beantragte Berichtigung mit Beschluß vom 3. Juni 2020 abgelehnt. Für die Frage der Wirksamkeit der zweiten Eheschließung sei die Vorfrage der Wirksamkeit der Scheidung der ersten Ehe nach iranischem Recht zu beurteilen. Da diese Eheschließung nach iranischem Recht wirksam sei, liege keine Nichtehe vor. Nach deutschem Recht hingegen gelte die Ehe als aufhebbar, was zu der Begründung der Vaterschaft genüge. Die dadurch eintretende Vaterschaftskonkurrenz zwischen dem Beteiligten zu 5) und dem Beteiligten zu 6) aufgrund der aus Sicht des deutschen Rechts fortbestehenden ersten Ehe sei gemäß § 1593 S. 3 BGB analog zugunsten der Vaterschaft des Beteiligten zu 6) zu lösen.

Gegen diesen dem Standesamt und der Standesamtsaufsicht jeweils am 12. Juni 2020 zugestellten Beschluß haben das Standesamt und die Standesamtsaufsicht mit jeweils am 1. Juli 2020 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsätzen Beschwerde eingelegt. Zur Begründung ihrer Beschwerden verweisen sie auf ihre erstinstanzlichen Ausführungen, und insbesondere den Inhalt der Stellungnahme des Fachausschusses. Die Beteiligte zu 7) und der Beteiligte zu 5) treten den Beschwerden entgegen. Der Beteiligte zu 5) weist ergänzend darauf hin, daß auch eine nichtige Ehe gemäß § 1164 iranZGB eine Vaterschaft zu begründen vermöge. Das Amtsgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen, und die Akte zur Entscheidung dem Senat vorgelegt.

II. Die gemäß §§ 51 Abs. 1 S. 1, 53 Abs. 2 PStG iVm §§ 58 ff FamFG zulässigen Beschwerden des Standesamtes und der Standesamtsaufsicht sind unbegründet. Das Amtsgericht hat zu Recht eine Berichtigung der Geburtseinträge der Beteiligten zu 3) und zu 4) gemäß § 48 PStG abgelehnt, weil das Geburtsregister nicht unrichtig ist.

1. Der Geburtseintrag ist nicht zu berichtigen, weil der Beteiligte zu 6) zutreffend als Vater der Kinder in dem Geburtsregister eingetragen ist.

Gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB richtet sich die Abstammung eines Kindes nach dem Recht desjenigen Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Sie kann im Verhältnis zu jedem Elternteil aber auch nach dem Recht des Staates bestimmt werden, dem dieser Elternteil angehört (Art. 19 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Letztlich bestimmt sich das auf die Abstammung anzuwendende Recht, wenn die Mutter verheiratet ist, auch nach dem für die allgemeinen Ehewirkungen anzuwendendem Recht zu dem Zeitpunkt der Geburt (Art. 19 Abs. 1 S. 3 iVm Art. 14 EGBGB). Art. 19 EGBGB regelt das Verhältnis der danach in Betracht kommenden verschiedenen Anknüpfungen untereinander nicht; sie stehen nach dem Wortlaut der Norm vielmehr gleichrangig zueinander. Maßgebend bei mehreren in Betracht kommenden Rechten ist daher das Kindeswohl. Das Kind hat ein Interesse daran, daß seine Eltern festgestellt werden, und daß dies möglichst rasch und unkompliziert geschieht. Zu wählen ist darum diejenige Anknüpfung, die eine Feststellung der Abstammung ermöglicht, und dies auf möglichst einfache Weise (BGH FamRZ 2016, 1251 = FuR 2016, 521 Tz. 28; 2016, 1847 = FuR 2016, 707 Tz. 9 ff; 2017, 1687 = FuR 2017, 610 Tz. 18; Henrich in Staudinger, [2019] Art. 19 EGBGB Rdn. 23).

2. Die Anknüpfung nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB anhand des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes führt zu der Anwendung des deutschen Sachrechts.

a) Gemäß § 1592 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist daher Vater der Beteiligten zu 3) und zu 4) der Mann, der zu dem Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet war. Dies setzt das Bestehen einer wirksamen Ehe voraus, was auch der Fall ist, wenn die Ehe aufhebbar sein sollte (Coester in Staudinger, BGB [2011] § 1592 Rdn. 28).

b) Ob eine wirksame Ehe besteht, hängt wiederum davon ab, nach welchem Recht sich die Eheschließung richtet. Dabei handelt es sich um eine Vorfrage, denn eine Vorfrage liegt immer dann vor, wenn der Tatbestand einer für die Hauptfrage maßgebenden Sach- oder Kollisionsnorm das Bestehen eines bestimmten Rechtsverhältnisses (hier: die Wirksamkeit der Eheschließung) voraussetzt (vgl. im allgemeinen v. Hein in MünchKomm, BGB Einleitung zum Internationalen Privatrecht Rdn. 159, und im Speziellen Henrich, aaO Art. 19 EGBGB Rdn. 34). Eine Vorfrage kann selbständig oder unselbständig angeknüpft werden. Selbständige Anknüpfung bedeutet Beurteilung nach Maßgabe des für die Vorfrage relevanten Kollisionsrechts und des hieraus sodann folgenden Sachrechts (lex fori); unselbständige Anknüpfung bedeutet Beurteilung aus der Sicht des Rechts, das über die Hauptfrage (Abstammung) entscheidet (lex causae, s. Henrich, aaO Art. 19 EGBGB Rdn. 33).

Die Vorfrage des Bestehens einer Ehe im Rahmen der Feststellung der Abstammung wird selbständig angeknüpft (BGHZ 43, 213; Senat StAZ 2015, 14; a.A. Henrich, aaO Art. 19 EGBGB Rdn. 34, Helms in MünchKomm, BGB Art. 19 EGBGB Rdn. 49 ff). Im Rahmen dieser selbständigen Anknüpfung beurteilt sich die Frage der Wirksamkeit der Eheschließung nach dem hierfür maßgeblichen deutschen Kollisionsrecht, also der lex fori, mithin den Art. 11 EGBGB (aa) und Art. 13 EGBGB (bb).

aa) Die Eheschließung der Beteiligten zu 7) mit dem Beteiligten zu 6) am 1. Mai 2009 im Iran ist nach dem gemäß Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB anwendbaren iranischen Ortsrecht formal wirksam erfolgt. Gemäß § 1062 iranZGB (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Iran [Stand: 01.10.2002]) kommt die Ehe nach iranischem Eheschließungsrecht durch Abschluß eines Eheschließungsvertrages zwischen den zukünftigen Ehegatten zustande. Die in § 1 iranEheschlG (ebenfalls abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich, aaO) zusätzlich angeordnete behördliche Registrierung der Ehe stellt demgegenüber keine Wirksamkeitsanforderung dar (Enayat in Bergmann/Ferid/Henrich, aaO S. 38). Anhaltspunkte, die gegen die Formwirksamkeit der Eheschließung nach diesen Maßstäben sprechen, sind weder von den Beteiligten vorgebracht worden, noch sind sie sonst für den Senat ersichtlich; die vorgelegte Eheschließungsurkunde bestätigt vielmehr die formwirksame Heirat im Iran.

bb) Die materielle Wirksamkeit der Eheschließung, also das Nichtvorliegen von Ehehindernissen, beurteilt sich demgegenüber nach dem gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Sachrecht. Die Norm knüpft kumulativ für jeden Verlobten an das Recht des Staates an, dem er angehört. Diese kumulative Anknüpfung an das Heimatrecht beider Verlobter dient in erster Linie der Verhinderung hinkender Ehen. Verbietet auch nur eine der zur Anwendung kommenden Rechtsordnungen die beabsichtigte Eheschließung, so hat diese zu unterbleiben, damit die Ehe nicht in einem Heimatstaat als wirksam, in dem anderen hingegen als unwirksam angesehen wird. Nur in dem Fall, in dem das Heimatrecht der Ehegatten eine Eheschließung dauerhaft verhindert, das deutsche Recht sie aber ermöglicht, eröffnet Art. 13 Abs. 2 EGBGB den zukünftigen Ehegatten unter bestimmten Umständen dennoch die Heirat.

Da die Beteiligte zu 7) auch deutsche Staatsangehörige ist, kommt es für sie auf das deutsche Sachrecht an (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB) (aaa). Aufgrund der iranischen Staatsangehörigkeit des Beteiligten zu 6) ist für ihn demgegenüber das iranische Eheschließungsrecht maßgeblich (bbb).

aaa) Nach deutschem Sachrecht gilt die Ehe der Beteiligten zu 7) mit dem Beteiligten zu 5) als nicht geschieden, weil die im Iran durchgeführte Scheidung nicht gemäß § 107 FamFG anerkannt wurde. Mit der dennoch erfolgten Heirat des Beteiligten zu 6) verstießen die Beteiligten zu 6) und zu 7) damit gegen das Verbot der Doppelehe nach § 1306 BGB. Dieser Verstoß führt aber nur zur Aufhebbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit der weiteren Ehe (§ 1314 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Auch eine aufhebbare Ehe begründet aber die Vaterschaft des Beteiligten zu 6) nach § 1592 Nr. 1 BGB.

bbb) Anderes gilt im Ausgangspunkt in Bezug auf das iranische Recht. Zwar handelt es sich bei der Verweisung nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB um eine Gesamtverweisung, so daß auch das iranische Kollisionsrecht zur Anwendung gelangt (BeckOGK-BGB/Rentsch, [Stand: 01.06.2020] Art. 13 EGBGB Rdn. 36). Das iranische Recht nimmt die aus Art. 13 Abs. 1 EGBGB folgende Verweisung auch an. Art. 963 iranZGB bestimmt, daß das Recht des Staates anzuwenden ist, dem der Ehemann angehört; dies gilt auch für die Voraussetzungen der Eheschließung (Enayat, aaO S. 24 f). Da der Beteiligte zu 6) iranischer Staatsangehörigrer ist, gelangt auch nach dem iranischen internationalen Privatrecht das iranische Sachrecht zu Anwendung.

Ebenso wie das deutsche Eheschließungsrecht verbietet auch das iranische Eheschließungsrecht die mehrfache Eheschließung, allerdings nur bezogen auf die Ehefrau (Art. 1050 iranZGB). Bei diesem Eheschließungsverbot des iranischen Rechts handelt es sich auch um ein sog. zweiseitiges Ehehindernis. Das Eheschließungsverbot erfaßt mithin generell alle Personen, unabhängig davon, ob es sich um iranische Staatsbürger handelt oder nicht, und unabhängig davon, ob das iranische Eheschließungsrecht überhaupt auf die betreffende Person Anwendung findet. Die Eheschließung trotz bestehender Vorehe ist zudem nicht nur für die betreffende Ehefrau, sondern generell für beide Ehegatten verboten (Enayat, aaO S. 43). Anders als das deutsche Recht ordnet das iranische Recht im Falle des Verstoßes gegen dieses Doppeleheverbot nicht nur die Aufhebbarkeit, sondern die Nichtigkeit der weiteren Ehe an.

Zwar kennt das iranische Recht ebenso wie das deutsche Recht verschiedene Rechtsfolgen fehlerhafter Eheschließungen, denn die fehlerhafte Ehe kann auch nach dem iranischen Recht unwirksam oder nichtig sein. Eine nichtige Ehe existiert nach dem iranischen Recht nicht; eine unwirksame Ehe ist demgegenüber nur schwebend unwirksam, kann also noch geheilt werden, und damit volle Wirksamkeit entfalten (Enayat, aaO S. 38). In Bezug auf das Verbot der Doppelehe ordnet das iranische Recht nicht nur die Unwirksamkeit, sondern die Nichtigkeit der Ehe an, denn Art. 1050 iranZGB bestimmt, daß die Ehe mit einer verheirateten Frau ungültig, und für den Mann eine erneute Heirat dieser Frau dauerhaft verboten ist. Wenn das Gesetz aber von der Notwendigkeit einer erneuten Heirat ausgeht, und diese verbietet, kann diese Regelung nur so verstanden werden, daß die gegen das Verbot der Doppelehe geschlossene Ehe aus Sicht des iranischen Gesetzes als nicht existent und daher nichtig, und nicht bloß als unwirksam anzusehen ist.

Allerdings ist die Vorehe der Beteiligten zu 7) mit dem Beteiligten zu 5), beurteilt allein nach dem iranischen Recht, wirksam am 14. März 2006 im Iran geschieden worden. Anhaltspunkte dafür, daß die im Iran durchgeführte Scheidung der ersten Ehe nach iranischem Scheidungsrecht nicht wirksam wäre, hat kein Beteiligter vorgebracht, und sind auch für den Senat nicht ersichtlich. Aus der Sicht des iranischen Rechts liegt damit keine Doppelehe der Beteiligten zu 7) vor. Daher haben die iranischen Behörden der Beteiligten zu 7) auch ein »Personalausweisheft« ausgestellt, in dem die Ehe mit dem Beteiligten zu 5) als geschieden eingetragen wurde, und diejenige mit dem Beteiligten zu 6) als geschlossen.

Ein solches Abstellen allein auf das iranische Recht im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 EGBGB setzt aber voraus, daß sich die Wirksamkeit der Scheidung der Vorehe allein nach Maßgabe des Heimatrechts der Verlobten richtet, und nicht (auch) nach deutschem Recht, denn nach deutschem Recht gilt die Ehe - wie oben ausgeführt - als nicht geschieden, und damit fortbestehend. Bei der Frage der Wirksamkeit der Scheidung einer Vorehe und des hierauf anzuwendenden Rechts handelt es sich um eine Vorfrage für das Bestehen von Ehehindernissen, von dem kollisionsrechtlichen Ausgangspunkt der Frage der Abstammung aus betrachtet sogar um eine Vorfrage. Auch hierfür kommt es wiederum maßgeblich darauf an, ob die Vorfrage der Wirksamkeit der Scheidung der Vorehe unselbständig oder selbständig anzuknüpfen ist. Bei einer unselbständigen Anknüpfung käme es allein auf die Wirksamkeit der Scheidung nach Maßgabe des jeweiligen Heimatrechts an. Die Vorehe wäre dann wirksam geschieden, weil das iranische Heimatrecht des Beteiligten zu 6) die Wirksamkeit der Scheidung annimmt. Im Falle einer selbständigen Anknüpfung würde sich die Frage der Wirksamkeit der Scheidung der Vorehe aus dem deutschen Kollisionsrecht und dem daraus folgenden Sachrecht ergeben; in diesem Falle wäre von einer Unwirksamkeit der Scheidung auszugehen, weil es an der Anerkennung der iranischen Scheidung in Deutschland fehlt.

Für eine unselbständige Anknüpfung der Vorfrage der wirksamen Scheidung der Vorehe spricht der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 EGBGB, denn wenn sich nach dem Wortlaut der Norm die Voraussetzungen der Eheschließung für jeden Ehegatten nach dem Recht des Staates zu richten haben, dem er angehört, dann gilt dies im Ausgangspunkt auch für die Frage, ob nach dem Recht dieses Staates eine Vorehe wirksam geschieden wurde. Auch aus dem Umkehrschluß zu der Regelung in Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 EGBGB folgt, daß die Vorfrage der Wirksamkeit der Scheidung einer Vorehe im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 EGBGB unselbständig anzuknüpfen ist, denn Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 EGBGB ermöglicht eine erneute Eheschließung gerade in denjenigen Fällen, in denen die Vorehe durch Entscheidung deutscher Gerichte oder eine im Inland anerkannte ausländische Entscheidung (nur) aus deutscher Sicht wirksam geschieden wurde. Damit geht Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 EGBGB aber ersichtlich davon aus, daß es für die Frage der Beurteilung der Wirksamkeit der Scheidung einer Vorehe im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 EGBGB allein auf das jeweilige Heimatrecht ankommt, denn andernfalls könnte nicht die Situation eintreten, in der eine erneute Eheschließung wegen Bestehens einer Vorehe nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB nicht möglich wäre, die von Art. 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 EGBGB wegen der Wirksamkeit der Scheidung (nur) aus Sicht des deutschen Rechts dennoch zugelassen wird.

Wortlaut und Systematik des Art. 13 EGBGB sprechen daher dafür, im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 EGBGB die Vorfrage der Wirksamkeit der Scheidung einer Vorehe unselbständig nach dem jeweils berufenen Heimatrecht anzuknüpfen. Dies allein verhindert auch entsprechend dem Sinn und Zweck des Art. 13 Abs. 1 EGBGB das Entstehen hinkender Ehen, die häufig eintreten würden, wenn man die Vorfrage der Wirksamkeit der Scheidung einer Vorehe selbständig nach deutschem Recht beurteilen würde, denn daß eine Scheidung nach Maßgabe des deutschen (Kollisions-)Rechts wirksam ist, bedeutet nicht, daß dies auch nach Maßgabe des Heimatrechts der betreffenden Ehegatten der Fall ist. Nur in denjenigen Fällen, in denen die Heirat aufgrund des Heimatrechts der Ehegatten wegen eines dort bestehenden Ehehindernisses dauerhaft nicht möglich ist, räumt Art. 13 Abs. 2 EGBGB dem deutschen Recht den Vorrang gegenüber dem nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB anzuwendenden Heimatrecht ein: Nur dann nimmt der deutsche Gesetzgeber zur Verwirklichung der grundrechtlich geschützten Eheschließungsfreiheit ausnahmsweise das Entstehen hinkender Ehen in Kauf (vgl. BVerfGE 31, 58 - »Spanier-Entscheidung«). Die Vorfrage der Wirksamkeit der Ehescheidung einer Vorehe ist daher im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 EGBGB unselbständig anzuknüpfen.

Indes kann es bei einer solchen, allein auf Art. 13 Abs. 1 EGBGB beschränkten Betrachtungsweise nicht verbleiben, denn neben der kollisionsrechtlichen Regelung des Art. 13 Abs. 1 EGBGB bestimmt § 107 FamFG, daß eine im Ausland durchgeführte Scheidung im Inland nur dann Wirkung entfaltet, wenn diese ausländische Scheidung im Inland anerkannt wurde. Die Entscheidung der Landesjustizverwaltung entfaltet dabei Bindungswirkung für alle inländischen Behörden und Gerichte (§ 107 Abs. 9 FamFG). Durch dieses Anerkennungserfordernis gelangt über das Anerkennungsverfahren auch das deutsche Anerkennungsrecht (§ 109 FamFG) bzw. im Falle der Privatscheidung das deutsche Scheidungskollisionsrecht zur Anwendung. Dieses wiederum bestimmt aber in Art. 17 Abs. 1 EGBGB in der bis zum 28. Januar 2013 geltenden Fassung, daß sich das Scheidungsstatut nur bei gemeinsamem Heimatrecht nach diesem Heimatrecht richtet, und andernfalls nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort der Ehegatten.

Nach aktueller Rechtslage bestimmt Art. 8 der Rom III-VO (Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 vom 20. Dezember 2012) noch weitergehend, daß sich das Scheidungsstatut in erster Linie nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort der Ehegatten richtet, und nur im Ausnahmefall nach dem gemeinsamen Heimatrecht. Auf die Frage der Wirksamkeit der Scheidung allein nach dem Heimatrecht der Ehegatten kommt es mithin - anders als im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 EGBGB - nicht unmittelbar an. Das Heimatrecht ist nur dann relevant, wenn sich seine Anwendbarkeit (ausnahmsweise) aus dem deutschen Scheidungskollisionsrecht ergibt. In Bezug auf die hier relevante Frage der Anknüpfung der Vorfrage der wirksamen Scheidung einer Vorehe führt die Regelung des § 107 FamFG damit zu einer selbständigen Anknüpfung.

Weder Art. 13 EGBGB einerseits noch § 107 FamFG andererseits enthalten eindeutige Regelungen dazu, wie dieses Spannungsverhältnis zwischen einerseits aus Art. 13 Abs. 1 EGBGB folgender unselbständiger Anknüpfung der Vorfrage der Wirksamkeit der Scheidung einerseits, und der in der Sache aus § 107 FamFG folgenden selbständigen Anknüpfung derselben Frage aufzulösen ist. Da § 107 Abs. 9 FamFG allerdings allen innerstaatlichen Behörden und Gerichten gegenüber anordnet, die Anerkennung oder Nichtanerkennung der ausländischen Scheidung durch die Landesjustizverwaltung zu beachten, muß dieses Spannungsverhältnis dahingehend aufgelöst werden, daß die Berücksichtigung einer im Ausland durchgeführten Scheidung durch deutsche Gerichte und Behörden ausscheidet, solange diese Scheidung im Inland nicht nach § 107 FamFG anerkannt ist, selbst wenn sie im Ausland aus Sicht des Heimatrechts wirksam erfolgt ist.

Daher ist auch vorliegend nicht von einer wirksamen Scheidung der Vorehe im Iran auszugehen, weil diese Scheidung nicht nach § 107 FamFG anerkannt wurde. Hätte die Beteiligte zu 7) daher den Beteiligten zu 6) vor einem deutschen Standesbeamten heiraten wollen, hätte der Standesbeamte die Heirat verweigern müssen, weil die im Ausland durchgeführte Scheidung der Vorehe im Inland als nicht wirksam erfolgt gilt (so zutr. Hepting/Dutta, Familie und Personenstand 3. Aufl. [2019] Rdn. III-317 f).

Hieraus folgt aber nicht, daß sich die Rechtsfolgen einer gleichwohl geschlossenen weiteren Ehe nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB aus dem jeweiligen Heimatrecht der Ehegatten unter der (aus Sicht des Heimatrechts gedachten) Annahme ergeben würden, daß die Vorehe nicht wirksam geschieden worden wäre, denn im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 EGBGB bleibt es bei der grundsätzlich unselbständigen Anknüpfung der Vorfrage der Wirksamkeit der Scheidung einer Vorehe. Der Regelungszweck der § 107 iVm § 109 FamFG bzw. Art. 17 EGBGB a.F./Art. 8 Rom III-VO erschöpft sich darin, eine im Ausland durchgeführte Scheidung im Inland nur dann als wirksam anzusehen, wenn das Anerkennungsverfahren nach § 107 FamFG durchlaufen wurde. Dies zwingt in der Sache zwar in dem deutschen Rechtskreis letztlich zu dem Vorrang des deutschen Anerkennungs- und Kollisionsrechts. Ist die ausländische Scheidung aber demnach für innerdeutsche Gerichte und Behörden als nicht wirksam anzusehen (§ 107 Abs. 9 FamFG), ist es für die weitergehenden Rechtsfolgen einer gleichwohl erfolgten Eheschließung nicht notwendig, auf das Heimatrecht der Ehegatten unter Annahme einer aus Sicht des Heimatrechts nicht fortbestehenden Vorehe abzustellen; vielmehr erzwingt in diesen Fällen die aus der Wirkung des § 107 Abs. 9 FamFG folgende Nichtanerkennung der ausländischen Scheidung keine weitergehenden Rechtsfolgen, als sie die deutsche Rechtsordnung selbst vorgibt, solange die ausländische Scheidung nach dem Heimatrecht der Ehegatten als wirksam anerkannt wird.

Die deutsche Rechtsordnung sanktioniert die Eheschließung trotz bestehender Vorehe aber nur mit der Aufhebbarkeit, nicht aber mit der Nichtigkeit der Zweitehe. Die insofern von dem Standesamt und der Standesamtaufsicht vertretene gegenteilige Auffassung vermischt Art. 13 Abs. 1 EGBGB einerseits und § 107 Abs. 9 FamFG andererseits unzulässig miteinander. Aus Art. 13 Abs. 1 EGBGB folgt - wie ausgeführt - die unselbständige Anknüpfung der Vorfrage der Wirksamkeit der Scheidung; danach bestehen aus Sicht des iranischen Rechts keine Ehehindernisse. Daß die Scheidung der Vorehe gleichwohl als unwirksam anzusehen ist, folgt allein aus der insoweit vorrangigen Regelung des § 107 Abs. 9 FamFG. Diese Norm zwingt aber jedenfalls nicht zu weitergehenden Rechtsfolgen im Falle einer erneuten Heirat trotz Nichtanerkennung, als sie die deutsche Rechtsordnung selbst vorsieht.

Die Anwendung der Fehlerfolgen des Heimatrechts im Falle der (nur) fehlenden Anerkennung einer ausländischen Scheidung im Inland ist auch nicht zur Verwirklichung der von dem Fachausschuß in seiner Stellungnahme FA-Nr. 4137 (StAZ 2018, 256 ff) angeführten Gründe erforderlich. Weder wird hierdurch das Anerkennungsmonopol der Landesjustizverwaltung berührt, noch entgegen § 107 Abs. 9 FamFG die Wirksamkeit der ausländischen Scheidung im Inland angenommen; vielmehr gelten die Ehegatten in Übereinstimmung mit der Regelung des § 107 Abs. 9 FamFG im Inland als nicht geschieden, und müssen eine Anerkennung der Scheidung nach § 107 FamFG herbeiführen, oder sich - wie vorliegend geschehen - erneut im Inland scheiden lassen, wenn sie eine Wirksamkeit der Scheidung auch im Inland wünschen. Soweit der Fachausschuß weiter darauf abstellt, daß § 107 FamFG den Standesämtern die schwierige Frage der Klärung der Wirksamkeit ausländischer Scheidungen abnehmen wollte, führt auch dies zu keinem anderen Ergebnis.

Der Bundesgerichtshof führt zutreffend aus, daß es nicht ungewöhnlich ist, daß das Gesetz den Standesämtern die mitunter schwierigen Fragen der Beurteilung des ausländischen Rechts zuweist, und den daraus folgenden Schwierigkeiten dadurch Rechnung trägt, daß es den Standesämtern die Befugnis einräumt, in Zweifelsfällen nach § 49 Abs. 2 PStG eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen (BGH FamRZ 2019, 371 = FuR 2019, 233 Tz. 20). Überdies kommt es auf die Beurteilung der Wirksamkeit der ausländischen Scheidung durch das Standesamt nur dann an, wenn die Ehegatten - wie vorliegend - bereits erneut im Ausland geheiratet haben, und es um die Frage der Abstammung von aus der Ehe hervorgegangener Kinder oder um die Eintragung dieser ausländischen Eheschließung in das Personenstandsregister geht. Wollen die Ehegatten demgegenüber erst vor dem deutschen Standesamt erneut heiraten, dann kann der Standesbeamte die neue Eheschließung unter Verweis auf die fehlende Anerkennung der ausländischen Scheidung nach § 107 FamFG verweigern, ohne daß es auf die Wirksamkeit der Scheidung nach dem jeweiligen Heimartrecht ankäme.

Auch aus dem von dem Standesamt angeführten Grundsatz des ärgeren Rechts folgt letztlich nichts anderes. Gelangen die nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrechte beider Ehegatten hinsichtlich der Folgen einer trotz Eheverbots geschlossenen Ehe zu unterschiedlichen Rechtsfolgen, dann ist nach dem Grundsatz des ärgeren Rechts dasjenige Recht anzuwenden, welches die schärferen Rechtsfolgen vorsieht (BGH FamRZ 1991, 300 = EzFamR PStG § 15b Nr. 1 = BGHF 7, 452; Mankowski in Staudinger, BGB [2010] Art. 13 EGBGB Rdn. 443). Gelangt das ausländische Eheschließungsrecht daher - wie in dem vorstehend angeführten Falle des Bundesgerichtshofes vom 4. Oktober 1990 (aaO) das ghanaische Recht - zu der Nichtigkeit der Doppelehe, und das deutsche Recht lediglich zu ihrer Aufhebbarkeit, dann ist die Ehe als nichtig anzusehen.

Darauf kommt es aber vorliegend nicht an, denn nach den im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen beiden Heimatrechten der Ehegatten, dem deutschen und dem iranischem Recht, liegt nach dem deutschen Recht eine aufhebbare, und nach dem iranischen Recht eine wirksame Eheschließung vor, nach keinem der beiden von Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrechte aber eine Nichtehe. Soweit daneben aus § 107 iVm § 109 FamFG bzw. Art. 17 EGBGB a.F./Art. 8 Rom III-VO für die Frage der Wirksamkeit der ausländischen Scheidung der Vorehe auch das deutsche Anerkennungs- und Kollisionsrecht zur Anwendung gelangt, folgt auch hieraus - wie ausgeführt - allein, daß sich die Rechtsfolgen einer Doppelehe, die (nur) aus der Nichtanerkennung der ausländischen Scheidung im Inland folgt, allein aus dem deutschen Fehlerfolgenrecht ergeben, und damit ebenfalls nur zur Aufhebbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit der Ehe führen.

Da vorliegend die Scheidung der Vorehe aus der Sicht des iranischen Rechts wirksam erfolgt ist, diese Scheidung nur im Inland nicht anerkannt wird, ergeben sich auch vorliegend die Fehlerfolgen nicht nach iranischem, sondern nach deutschem Recht. Auch unter Berücksichtigung des iranischen Heimatrechts des Beteiligten zu 7) ist die geschlossene zweite Ehe daher lediglich als aufhebbar, nicht aber als nichtig anzusehen.

c) Aufgrund der Nichtanerkennung der Scheidung der Vorehe der Beteiligten zu 7) mit dem Beteiligten zu 5) gilt diese Ehe im Inland als fortbestehend. Die Beteiligte zu 7) war damit zu dem Zeitpunkt der Geburt sowohl mit dem Beteiligten zu 5), als auch mit dem Beteiligten zu 6) wirksam verheiratet. Auch der Beteiligte zu 5) ist damit gemäß § 1592 Nr. 1 BGB Vater der Kinder. Daran ändert nichts, daß die Ehe der Beteiligte zu 7) mit dem Beteiligten zu 5) im Jahre 2014 durch ein deutsches Gericht geschieden wurde, denn die Scheidung wirkt nur ex nunc, und beseitigt damit nicht die bereits zuvor entstandene Vaterschaft des Beteiligten zu 5) nach § 1592 Nr. 1 BGB. Die demnach zu dem Zeitpunkt der Geburt der Kinder bestehende doppelte Vaterschaft der Beteiligten zu 5) und zu 6) zu den Beteiligten zu 3) und zu 4) jeweils nach § 1592 Nr. 2 BGB ist aufzulösen, indem § 1593 S. 3 BGB analog anzuwenden ist. Vater des Kindes ist damit der Mann der neueren Ehe, hier also der Beteiligte zu 6) (OLG Zweibrücken StAZ 2009, 207; Coester, aaO § 1593 Rdn. 37; Balzer in BeckOGK, [Stand: 01.08.2020] § 1593 Rdn. 53).

Das Gesetz enthält für den Fall der doppelten Vaterschaft aufgrund parallel bestehender Ehen eine offensichtliche Regelungslücke, weil dem deutschen Abstammungsrecht zwar die Zuordnung zweier Männer als Väter eines Kindes fremd ist, das deutsche Eherecht aber dennoch zwei parallel bestehende wirksame Ehen zuläßt, was nach § 1592 Nr. 1 BGB zu der Vaterschaft zweier Männer führen kann. Diese Lücke ist durch eine analoge Anwendung des § 1593 S. 3 BGB jedenfalls dann zu schließen, wenn - wie vorliegend - die eheliche Lebensgemeinschaft in der gesetzlichen Empfängniszeit (§ 1600d Abs. 3 BGB) nur noch zu dem neuen Ehemann besteht. Ausdrücklich offen läßt der Senat die Frage, ob eine analoge Anwendung des § 1593 S. 3 BGB auch in Betracht kommt, wenn die Ehefrau in ehelicher Lebensgemeinschaft mit zwei Ehemännern lebt (vgl. Balzer, [Stand: 01.11.2020] § 1593 Rdn. 53.3). Nach dem gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB anzuwendenden Sachrecht des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Kindes gilt damit der Beteiligte zu 6) als Vater der Kinder.

2. Auch die nach Art. 19 S. 2 Alt. 1 EGBGB alternativ vorzunehmende Anknüpfung der Abstammung an das Heimatrecht des Elternteils führt zu keiner anderweitigen Vaterschaft. Aufgrund der iranischen Staatsangehörigkeit der Beteiligten zu 5) und zu 6) gelangt das iranische Abstammungsrecht zur Anwendung. Auch bei der Anknüpfung nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 EGBGB handelt es sich um eine Gesamtverweisung, so daß auch das iranische Kollisionsrecht zur Anwendung gelangt (Helms, aaO Art. 19 EGBGB Rdn. 33). Das iranische Kollisionsrecht nimmt die Verweisung an, da nach § 964 iranZGB auf die Abstammung das Recht des Staates anzuwenden ist, dem der Vater angehört; dies ist hier sowohl für den Beteiligten zu 5) als auch zu 6) das iranische Recht.

Auch im iranischen Recht gilt der Mann als Vater des Kindes, der mit der Mutter zu dem Zeitpunkt der Geburt verheiratet war (§ 1158 iranZGB). Die Vorfrage der Wirksamkeit der die Vaterschaft begründenden Ehe ist - wie ausgeführt - selbständig anzuknüpfen. Damit gelangen auch im Rahmen der Abstammungsbeurteilung nach iranischem Recht für die Frage des Bestehens einer Ehe Art. 11 und Art. 13 EGBGB zur Anwendung. Ergebnis ist daher auch hier, daß lediglich von einer aufhebbaren, nicht aber nichtigen Ehe auszugehen ist, und die Ehe der Beteiligten zu 7) mit dem Beteiligten zu 5) als fortbestehend anzusehen ist. Da nach § 1158 iranZGB der Ehemann Vater des Kindes ist, wären auch nach iranischem Recht sowohl der Beteiligte zu 5) als auch der Beteiligte zu 6) Vater der Kinder. In dem Falle der Konkurrenz zweier Ehemänner als Väter ordnet § 1160 iranZGB die Vaterschaft zugunsten des zweiten Ehemannes an. Zwar regelt § 1160 iranZGB einen anderen Sachverhalt; der Rechtsgedanke dieser Norm ist aber ebenso wie zu § 1593 S. 3 BGB auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation zu übertragen. Damit gilt auch nach iranischem Recht der Beteiligte zu 6) als Vater der Kinder.

3. Auf die letztlich noch in Betracht kommende Abstammungsbestimmung nach dem zu dem Zeitpunkt der Geburt anzuwendenden Recht des allgemeinen Ehewirkungsstatuts (Art. 19 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 EGBGB) kommt es nicht an; auch das Ehewirkungsstatut kann zu keinem anderen als dem deutschen oder iranischen Abstammungsrecht führen.

4. Das Amtsgericht hat daher den Antrag des Standesamtes zu Recht abgelehnt. Die hiergegen erhobene Beschwerde war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 FamFG. Es entspricht der Billigkeit, keine Kosten zu erheben, und keine Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die für die Entscheidung des Verfahrens maßgeblichen Fragen bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt sind (§ 70 Abs. 2 FamFG).

OLG Hamburg 2020-11-23 - 2 W 57/20
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Hinweis
Das Verfahren ist vor dem BGH anhängig (XII ZB 565/20).

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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Anerkennung einer ausländischen Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen vor einem nicaraguanischen Notar.

BGB § 1564; EGBGB Art. 17; EUV 1259/2010 Art. 5, Art. 7, Art. 8; FamFG §§ 38, 107, 108, 109

Die Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen vor einem nicaraguanischen Notar ist eine Privatscheidung ohne konstitutiven Hoheitsakt; eine Anerkennung im Inland kommt bei Anwendung des deutschen Scheidungsstatuts nicht in Betracht.

Kammergericht, Beschluß vom 1. Dezember 2020 - 1 VA 1001/20

Tenor
1. Der Antrag der Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe
I. Die Beteiligte zu 1) besitzt die deutsche, der Beteiligte zu 2) die nicaraguanische Staatsangehörigkeit. Am 8. April 2017 schlossen sie in San Rafael del Sur/Nicaragua miteinander die Ehe; anschließend lebten sie gemeinsam bis zum 12. März 2018 in Berlin. Am 16. Juli 2018 erklärten die Beteiligten zu der Urkunde Nr. 1… »Acta de Divorcio por la Via del Mutio Consentimiento« des Notars Dr. J. C. G. V. in Managua/Nicaragua, sich in gegenseitigem Einvernehmen scheiden zu lassen. Der Notar vermerkte dies in dem Scheidungsbuch des laufenden Jahres. Am 18. Juli 2018 wurde dies in das bei dem Standesamt San Rafael del Sur geführte Personenstandsregister eingetragen.

Die Beteiligte zu 1) hat unter dem 29. Januar 2019 bei der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung die Anerkennung der Scheidung ihrer Ehe beantragt; dazu hat sie unter anderem Urkunden des Standesamtes San Rafael del Sur vorgelegt, in denen die Auflösung ihrer Ehe »gemäß dem Beschluß des Bezirksrichters für Zivilsachen Dr. J. C. G. V.« bescheinigt wird. Die Senatsverwaltung hat den Antrag mit am 2. März 2020 zugestelltem Bescheid vom 26. Februar 2020 zurückgewiesen, nachdem sie die Beteiligte zu 1) vergeblich aufgefordert hatte, den Beschluß des nicaraguanischen Gerichts vorzulegen. Hiergegen wendet sich die Beteiligte zu 1) mit ihrem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30. März 2020.

Der Senat hat die Botschaften der Republik Nicaragua in Berlin und der Bundesrepublik Deutschland in Managua um Auskunft gebeten, ob und wie die Beteiligte zu 1) eine Ausfertigung des Scheidungsurteils erlangen könne. Während die Botschaft der Republik Nicaragua dies ausschloß, hat die Botschaft Managua ermittelt, die Scheidung sei nicht vor einem Richter erfolgt, weshalb es auch kein Urteil gebe; vielmehr sei die Scheidung der Ehe der Beteiligten vor einem Notar erfolgt. Nunmehr hat die Beteiligte zu 1) die Urkunde Serie »H« Nr. 3… des Notars Dr. J. C. G. V. vorgelegt, wegen deren Einzelheiten auf die Akten verwiesen wird.

II. 1. Der Antrag ist statthaft. Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung hat den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Anerkennung der in Nicaragua erfolgten Scheidung ihrer Ehe mit dem Beteiligten zu 2) zurückgewiesen (§ 107 Abs. 5 FamFG); dabei kommt es nicht darauf an, daß das Verwaltungsverfahren auf die Anerkennung einer richterlichen Entscheidung gerichtet war, eine solche nach den Ermittlungen des Senats aber gar nicht ergangen ist: Der Beteiligten zu 1) kommt es letztlich allein auf die Anerkennung der in Nicaragua vollzogenen Scheidung an, so daß ihr Antrag vor der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung auch das dortige notarielle Verfahren umfaßte.

Vorrangige Rechtsakte der Europäischen Union (vgl. § 97 Abs. 1 S. 2 FamFG) schließen das Verfahren nicht aus; insbesondere findet Art. 21 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 (Brüssel IIa) keine Anwendung, weil sich der Antrag der Beteiligten zu 1) nicht auf eine in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ergangene Entscheidung bezieht.

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Er ist innerhalb der Antragsfrist (§§ 107 Abs. 7 S. 3, 63 Abs. 1 FamFG) bei dem hierfür zuständigen Kammergericht (§ 107 Abs. 5 und 7 S. 1 FamFG, vgl. BGH FamRZ 2011, 788, 789 = FuR 2011, 389) gestellt worden.

3. In der Sache bleibt der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ohne Erfolg.

a) Die Voraussetzungen für die Anerkennung der vor dem nicaraguanischen Notar am 16. Juli 2018 erfolgten Scheidung der Ehe der Beteiligten liegen nicht vor. Daran ändert es nichts, daß es der Beteiligten zu 1) nunmehr gelungen ist, eine beglaubigte Abschrift der notariellen Scheidungsurkunde vom 16. Juli 2018 zu erlangen (§§ 26, 27, 30 Abs. 1 FamFG, §§ 418, 420, 438 ZPO, vgl. Dimmler in Keidel, FamFG 20. Aufl. § 107 Rdn. 29), so daß die - in dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung zutreffende - Begründung, mit der die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung den Antrag der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen hat, nicht mehr trägt. Der Senat hat diese neue Tatsachengrundlage zu beachten (§§ 107 Abs. 7 S. 3, 65 Abs. 2 FamFG).

b) Beruht eine im Ausland erfolgte Ehescheidung auf dem konstitutiven Hoheitsakt einer ausländischen Behörde, richtet sich die Frage ihrer Anerkennung im Inland nach §§ 108, 109 FamFG. Wurde die dortige Scheidung hingegen durch privates Rechtsgeschäft eines oder beider Ehegatten bewirkt, handelt es sich um eine sog. Privatscheidung, auch wenn die Ordnungsmäßigkeit des rechtsgeschäftlichen Scheidungsaktes in einem gerichtsförmigen Verfahren überwacht worden war (BGH FamRZ 2020, 1811, 1812 = FuR 2021, 51). Auch eine solche Scheidung kann grundsätzlich anerkannt werden; hingegen ist die Frage der Anerkennungsfähigkeit dann anhand der materiellen Voraussetzungen des kollisionsrechtlich berufenen Scheidungsrechts zu beurteilen (BGH FamRZ 2020, 1811, 1812, 1813 = FuR 2021, 51; Senatsbeschluß FamRZ 2021, 302).

aa) Der Scheidung der Ehe der Beteiligten liegt kein konstitutiver Hoheitsakt eines nicaraguanischen Gerichts oder einer dortigen Behörde zugrunde; das hat die nicaraguanische Rechtsanwältin der Beteiligten zu 1) selbst vorgetragen, und stimmt mit den Auskünften der Botschaft Managua überein. Die anders lautende Personenstandsurkunde, wonach die Scheidung »gemäß dem Beschluß des Bezirksrichters für Zivilsachen Dr. J. C. G. V. … aufgelöst wurde«, ist insoweit zweifellos unrichtig: Tatsächlich beruhte die Scheidung der Ehe der Beteiligten auf einem notariell beurkundeten Rechtsgeschäft zwischen ihnen.

Die Auflösung einer Ehe erfolgt in Nicaragua durch Nichtigkeitsurteil, gegenseitiges Einvernehmen, den Willen oder den Tod eines der Ehegatten (Art. 137 Código de la Familia vom 26. August 2014 [CF], deutsche Übersetzung abgedruckt in Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht Nicaragua [Stand: 08/2020]). Grundsätzlich entscheidet hierüber ein erstinstanzliches Gericht durch - insoweit - nicht rechtsmittelfähiges Urteil (Art. 139 CF). Besteht zwischen den Ehegatten Einvernehmen über die Auflösung des ehelichen Bandes, und haben sie keine minderjährigen oder behinderten gemeinsamen Kinder sowie kein gemeinsames Vermögen, dann kann die Scheidung auch vor bestimmten Notaren erfolgen (Art. 159 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 und 3 CF). Die Ehegatten haben sich vor dem Notar auszuweisen, und ihre Eheurkunde sowie je eine Negativbescheinigung über gemeinsame Kinder und Vermögen vorzulegen (Art. 161 CF). Der Notar belehrt die Ehegatten über die Rechtsfolgen der Scheidung, und beurkundet dann ihre Erklärungen. Die so errichtete notarielle Urkunde steht einem gerichtlichen Urteil gleich, und wird wie dieses in das Personenstandsregister eingetragen (Art. 162 CF).

Diese mit Wirkung vom 8. April 2015 in Kraft getretene Form der Ehescheidung beruht allein auf den Erklärungen der Ehegatten. Ziel der mit Gesetz vom 26. August 2014 erfolgten Reform des Scheidungsrechts in Nicaragua war eine Entlastung der Gerichte von nichtstreitigen Verfahren: Allein der Wille der Ehegatten zur Ehescheidung sollte zum Maßstab der Auflösung des Ehebandes gemacht werden. Dies entspricht einem Trend zur »Dejuriditionalisation« des Scheidungsrechts in einigen lateinamerikanischen Ländern - neben Nicaragua auch in Kuba, Brasilien und Kolumbien - (vgl. Tania Belén Payan Cruz/Léster Otoniel Juarez Ordoñes, Divorcio Notarial en Nicaragua, www.Monografias.com). Ähnliche Reformen hat es in Italien, Frankreich, Griechenland und Spanien gegeben (vgl. Dutta, FamRZ 2020, 1217 f).

Die Rolle des nicaraguanischen Notars unterscheidet sich dabei nicht von seiner sonstigen Tätigkeit. Auch in Scheidungsverfahren kommt ihm allein eine beratende und beurkundende Funktion zu (Art. 160 CF, D. Leonardo B. Pérez Gallardo, Divorcio por Mutuo Consentimiento ante Notario en el nuevo Código de Familia de Nicaragua, Anuario de la Facultad de Derecho, Universidad de Extremadura/Spanien [2014] Nr. 14 S. 429 ff). Dagegen spricht der Wortlaut der Art. 159 Abs. 4, Art. 160 CF nicht. Allerdings heißt es dort, der Notar könne das Eheband auflösen (Art. 159 Abs. 4 CF), bzw. der Notar informiere über »seine Entscheidung«. Damit ist jedoch keine eigene, konstitutive Entscheidungsmacht des Notars über das »Ob« der Scheidung gemeint; angesprochen wird dort vielmehr die Aufgabe des Notars, dem Willen der Ehegatten einen rechtsförmlichen Rahmen zu geben, und sie über die Folgen zu belehren. Das konstitutive Element der Ehescheidung ist allein der in den beurkundeten Erklärungen zum Ausdruck kommende Wille der Ehegatten; nur sie haben die Macht, das eheliche Band in gegenseitigem Einvernehmen aufzulösen (Art. 159 Abs. 1 S. 1 CF), was »vor« dem Notar, und nicht »durch« diesen erfolgt (Art. 160 CF, D. Leonardo B. Pérez Gallardo, aaO S. 444 ff).

Nicht anders ist die nun von der Beteiligten zu 1) vorgelegte notarielle Urkunde zu verstehen, auch wenn es in der deutschen Übersetzung heißt, der Notar erkläre die Ehe für geschieden. Diese Übersetzung berücksichtigt den spanischen Text schon nicht vollständig, der in diesem Zusammenhang auch auf den »Weg« der Scheidung hinweist, die nämlich im gegenseitigen Einvernehmen erfolgte (»el Suscrito Notario procede a DECLARAR LA DISOLUCIÓN DEL VINCULO MATRIMONIAL POR LA VIA DEL MUTUO CONSENTIMIENTO«), was als Hinweis auf den Willen der Ehegatten zu verstehen ist. Daß es auf diesen Willen - allein - ankommt, wird im Anschluß dadurch zum Ausdruck gebracht, daß die Urkunde den Erschienenen vorgelesen sowie von ihnen genehmigt und unterschrieben worden ist.

bb) Die Anerkennung der danach als Privatscheidung einzuordnenden Eheauflösung im Inland kommt danach nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen des aus deutscher Sicht maßgeblichen Scheidungsstatuts erfüllt sind (BGH FamRZ 2020, 1811, 1812, 1813 = FuR 2021, 51; Senatsbeschluß FamRZ 2021, 302). Das ist nicht der Fall, weil die Ehescheidung hier deutschem Recht unterliegt. Nach § 1564 S. 1 BGB kann eine Ehe aber nur durch richterliche Entscheidung - in Form eines Beschlusses (§ 38 Abs. 1 S. 1 FamFG) - geschieden werden. § 1564 S. 1 BGB hat nicht nur verfahrensrechtlichen, sondern auch materiell-rechtlichen Gehalt: In ihm kommt die Grundentscheidung des deutschen materiellen Scheidungs- und Scheidungsfolgenrechts zum Ausdruck, wonach über die Scheidung einer Ehe immer ein Gericht zu befinden hat (BGHZ 110, 267 = FamRZ 1990, 607 = EzFamR EGBGB Art. 17 Nr. 15 = BGHF 7, 111).

(1) Die Entscheidung über das auf die Scheidung anzuwendende Recht fällt nicht in den unmittelbaren Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1259/2010 (Rom III). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union unterfallen Privatscheidungen nicht dem in der Rom III-VO und der Brüssel IIa-VO übereinstimmend verwendeten Begriff der »Ehescheidung« (EuGH NJW 2018, 447): Beide Verordnungen erfaßten nur Ehescheidungen, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden (EuGH NJW 2018, 447, 449). Der Senat hat dies im Falle der einvernehmlichen Ehescheidung vor einem italienischen Standesbeamten angenommen (Senatsbeschluß FamRZ 2020, 1215, 1216; a.A. BGH FamRZ 2021, 214 = FuR 2021, 109), bei einer Ehescheidung durch Übereinkunft nach japanischem Recht jedoch abgelehnt (Senatsbeschluß FamRZ 2021, 302).

Danach liegt keine »Ehescheidung« im europarechtlichen Sinn vor, wenn sich die staatliche Mitwirkung auf Tätigkeiten beschränkt, die über typische reine Warn-, Klarstellung-, Beweis- oder Beratungsfunktionen nicht hinausgehen. Das aber ist bei einer Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen vor dem nicaraguanischen Notar der Fall: Nicht er spricht die Scheidung aus, sondern die Ehegatten sind es, die ihre Ehe auflösen. Aufgabe des Notars ist es, dem Willen der Ehegatten formgerecht Ausdruck zu verleihen, und sie dabei zu beraten (D. Leonardo B. Pérez Gallardo, aaO).

(2) Das für die Scheidung der Ehe der Beteiligten maßgebliche - deutsche - Recht ergibt sich aus Art. 17 Abs. 2 EGBGB iVm Art. 8 lit. b Rom III-VO. Danach unterliegt die Privatscheidung der Beteiligten dem Recht des Staates, in dem sie zuletzt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, sofern dieser nicht vor mehr als einem Jahr vor der Einleitung des Scheidungsverfahrens (Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB) endete, und einer der Ehegatten zu dem Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens dort noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Maßgeblich ist der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten (Thorn in Palandt, BGB 79. Aufl. Art. 8 Rom III (IPR) Rdn. 3). Dieser befand sich in Berlin, wo die Beteiligte zu 1) nach wie vor lebt.

Einen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens (Art. 8 lit. a Rom III-VO) hatten die Beteiligten weder in Deutschland, noch in Nicaragua, was die Beteiligte zu 1) in ihrem Antrag gegenüber der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung so angegeben, und der Beteiligte zu 2) gegenüber dem Senat bestätigt hat. Danach haben sich die Beteiligten am 12. März 2018 getrennt, also kein Jahr vor der Einleitung des Scheidungsverfahrens.

Eine auf das nicaraguanische Recht bezogene Wahl gemäß Art. 17 Abs. 2 EGBGB, Art. 5 Abs. 1 lit. a bis c Rom III-VO haben die Beteiligten nicht getroffen. Eine solche hätte - mindestens - einer qualifizierten Schriftform oder entsprechenden elektronischen Übermittlung bedurft (Art. 7 Abs. 1 Rom III-VO). Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Die von dem nicaraguanischen Notar am 16. Juli 2018 beurkundeten Erklärungen der Beteiligten verhalten sich zu einer solchen Rechtswahl nicht. Die Beteiligten haben sie in diesem Rahmen auch nicht schlüssig getroffen; dafür reichen allein Handlungen unter nicaraguanischem Recht nicht aus (vgl. Senatsbeschluß FamRZ 2021, 302). Dabei ist zu beachten, daß das nicaraguanische Recht dem Beteiligten zu 2) ohnehin schon keine Möglichkeit für eine Rechtswahl eröffnet. Unabhängig von dem jeweiligen Aufenthalt ist die nationale Gesetzgebung Nicaraguas für seine Staatsangehörigen verbindlich: Ihr Personenstand unterliegt nicaraguanischem Recht (Art. 10 CF).

Die Beteiligten können nach dem Abschluß des Scheidungsverfahrens in Nicaragua eine Rechtswahl auch nicht mehr nachholen (Art. 17 Abs. 2 Nr. 2 und 3 EGBGB, Art. 5 Abs. 2 und 3 Rom III-VO, Senat FamRZ 2021, 302; BT-Dr. 19/4852 S. 38).

4. Der Senat läßt die Rechtsbeschwerde zu, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 70 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG).


Kammergericht 2020-12- 01 - 1 VA 1001/20
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Anmerkungen

Das Kammergericht hat eine Scheidung in gegenseitigem Einvernehmen vor einem nicaraguanischen Notar als Privatscheidung ohne konstitutiven Hoheitsakt eines nicaraguanischen Gerichts oder einer dortigen Behörde angesehen, und demzufolge den Antrag auf Anerkennung der Scheidung der Ehe der Beteiligten abgelehnt.

» Beruht eine im Ausland erfolgte Ehescheidung auf dem konstitutiven Hoheitsakt einer ausländischen Behörde, richtet sich die Frage ihrer Anerkennung im Inland nach §§ 108, 109 FamFG. Wurde die dortige Scheidung hingegen durch privates Rechtsgeschäft eines oder beider Ehegatten bewirkt, handelt es sich um eine sogenannte Privatscheidung, auch wenn die Ordnungsmässigkeit des rechtsgeschäftlichen Scheidungsakts in einem gerichtsförmigen Verfahren überwacht worden war. Auch eine solche Scheidung kann zwar grundsätzlich anerkannt werden; hingegen ist die Frage der Anerkennungsfähigkeit dann anhand der materiellen Voraussetzungen des kollisionsrechtlich berufenen Scheidungsrechts zu beurteilen (BGHZ 226, 365 = FamRZ 2020, 1811 = FuR 2021, 51). «


Scheidung durch richterliche Entscheidung; Auferlegung eines Ordnungsgeldes; Verpflichtung zur Übernahme von Mehrkosten.

BGB § 1564; FamFG § 128; ZPO § 380

1. Wegen der großen Bedeutung der Anhörung der Ehegatten in Scheidungsverfahren sind an die Entschuldigung für das Nichterscheinen hohe Anforderungen zu stellen.
2. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes und die Auferlegung der durch das Ausbleiben verursachten Kosten steht bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 128 Abs. 4 FamFG, § 380 Abs. 1 ZPO nicht im Ermessen des Gerichts mit der Folge, daß bei Vorliegen einer einmaligen Fehlleistung, die zu einer Verzögerung der Entscheidung um nur wenige Wochen führte, von der Auferlegung von Ordnungsmitteln abgesehen werden könnte; vielmehr sind deren Festsetzung und die Auferlegung der Mehrkosten - anders als etwa im Falle des § 141 Abs. 3 ZPO - zwingend.
3. Maßgebend für die Höhe des Ordnungsgeldes gemäß § 128 Abs. 4 FamFG ist - der doppelten Zweckbestimmung der Ordnungsmittel gemäß § 890 ZPO als Beugemittel und strafähnliche Sanktion folgend - die Schwere der Pflichtverletzung, die Bedeutung der Säumnis für die Entscheidung der Rechtssache, und die wirtschaftliche Situation des Betroffenen, da die Sanktion unterschiedlich Bemittelte gleich schwer treffen soll.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 24. März 2021 - 13 WF 36/21

Tenor
1. Unter Zurückweisung der Beschwerde der Antragsgegnerin im Übrigen wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Eisenhüttenstadt vom 17.02.2021 (3 F 214/19) wie folgt teilweise abgeändert:
Die Höhe des Ordnungsgeldes wird auf 20 € festgesetzt.
2. Die Gerichtsgebühr wird auf 30 € ermäßigt. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe
I. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen die Auferlegung eines Ordnungsgelds von 100 € und gegen die Verpflichtung zur Übernahme von Mehrkosten.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Eisenhüttenstadt hatte den zunächst anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung und persönlichen Anhörung der Ehegatten in dem Scheidungsverbundverfahren aufgrund eines Terminsverlegungsantrages der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers auf eine spätere Terminsstunde an demselben Tage verlegt, und die zu diesem Zeitpunkt anwaltlich nicht vertretene Antragsgegnerin hierzu ordnungsgemäß geladen. Zu dem Termin am 17. Februar 2020 um 15 Uhr erschien die Antragsgegnerin nicht. Zu dem darauffolgenden Termin am 10. März 2020 ist sie erschienen, so daß die Scheidung an demselben Tage verkündet werden konnte.

Durch den angegriffenen Beschluß hat das Amtsgericht der Antragsgegnerin die durch ihr Ausbleiben verursachten Mehrkosten auferlegt, sowie ein Ordnungsgeld von 100 € festgesetzt. Mit ihrer Beschwerde trägt die Antragsgegnerin vor, die Terminsladung nur zur Hälfte gelesen, und deshalb nur die Terminsaufhebung auf der Vorderseite des Schreibens, nicht aber die Neuterminierung auf dessen Rückseite wahrgenommen zu haben. Das Amtsgericht hat der Beschwerde unter Hinweis auf das Nichtvorliegen von Entschuldigungsgründen mit Beschluß vom 11. März 2021 nicht abgeholfen, und die Sache dem Senat vorgelegt.

II. 1. Die gemäß §§ 128 Abs. 4, 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, §§ 380 Abs. 3, 567 ff ZPO statthafte und in zulässiger Weise erhobene sofortige Beschwerde ist nur insoweit erfolgreich, als sie zu der Herabsetzung des Ordnungsgeldes führt. Das Amtsgericht hat gegen die zu dem Scheidungstermin am 17. Februar 2020 nicht erschienene Antragsgegnerin zu Recht gemäß § 128 Abs. 4 FamFG, § 380 Abs. 1 S. 2 ZPO ein Ordnungsgeld festgesetzt, und ihr die Mehrkosten ihres Ausbleibens auferlegt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes und die Auferlegung der durch das Ausbleiben verursachten Mehrkosten liegen vor.

Die Antragsgegnerin hat ihr Nichterscheinen nicht hinreichend zu entschuldigen vermocht. Das versehentliche Ignorieren der Rückseite eines gerichtlichen Schreibens stellt, wie das Amtsgericht in dem Nichtabhilfebeschluß zutreffend festgestellt hat, ein fahrlässiges Versäumnis dar. Wegen der großen Bedeutung der Anhörung der Ehegatten in Scheidungsverfahren sind an die Entschuldigung für das Nichterscheinen hohe Anforderungen zu stellen (vgl. KG NJ 2021, 76; Lugani in MünchKomm, FamFG 3. Aufl. § 128 Rdn. 27; Borth/Grandel in Musielak/Borth, FamFG 6. Aufl. § 128 Rdn. 5). Die Verhängung eines Ordnungsgeldes und die Auferlegung der durch das Ausbleiben verursachten Kosten steht bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 128 Abs. 4 FamFG, § 380 Abs. 1 ZPO steht auch nicht etwa in dem Ermessen des Gerichts mit der Folge, daß (wie hier) bei Vorliegen einer einmaligen Fehlleistung, die zu einer Verzögerung der Entscheidung um nur wenige Wochen führte, von der Auferlegung von Ordnungsmitteln abgesehen werden könnte. Deren Festsetzung und die Auferlegung der Mehrkosten ist, anders als etwa im Fall des § 141 Abs. 3 ZPO, zwingend (OLG Stuttgart FamRZ 2020, 1754; Lugani, aaO; Borth/Grandel, aaO).

2. Jedoch ist das festgesetzte Ordnungsgeld mit 100 € zu hoch. Die Bemessung der Höhe des zwischen 5 € und 1.000 € festzusetzenden Ordnungsgeldes (§ 128 Abs. 4 FamFG, § 380 Abs. 1 ZPO, Art. 6 Abs. 1 EGStGB) steht in dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts; in dem Beschwerderechtszug erfolgt daher nur die Überprüfung der rechtsfehlerfreien Würdigung der wesentlichen Umstände und des Ermessensgebrauchs gemäß dem Gesetzeszweck unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. OLG Stuttgart aaO). Gründe für die Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes enthalten weder die angefochtene Entscheidung, noch der Nichtabhilfebeschluß; die gebotene Abwägung ist deshalb in dem Beschwerderechtszug nachzuholen. Sie führt zu der Herabsetzung des Ordnungsgeldes auf 20 €.

Maßgebend für die Höhe des Ordnungsgeldes gemäß § 128 Abs. 4 FamFG ist - der doppelten Zweckbestimmung der Ordnungsmittel gemäß § 890 ZPO als Beugemittel und strafähnliche Sanktion (BVerfG NJW-RR 2007, 860) folgend - die Schwere der Pflichtverletzung, die Bedeutung der Säumnis für die Entscheidung der Rechtssache, und die wirtschaftliche Situation des Betroffenen, da die Sanktion unterschiedlich Bemittelte gleich schwer treffen soll (vgl. OLG Stuttgart aaO). Angesichts der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin als Empfängerin von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II, ihres geringen Verschuldens, und des Umstands, daß ihr Ausbleiben den Scheidungsausspruch nur um wenige Wochen verzögert hat, ist nach Abwägung aller für und gegen die Antragsgegnerin sprechenden Umstände die Festsetzung eines Ordnungsgeldes von 20 € angemessen, zumal sie außerdem die durch ihr Ausbleiben verursachten Kosten zu tragen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO analog, wobei von der Möglichkeit der Ermäßigung der Gerichtskosten (Nr. 1912 FamGKG-KV) Gebrauch gemacht wurde.

Anlaß, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht (§ 128 Abs. 4 FamFG, §§ 380 Abs. 3, 574 Abs. 2 und 3 ZPO).

OLG Brandenburg 2021-03-24 - 13 WF 36/21
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Anmerkungen

Die Antragsgegnerin wandte sich gegen die Auferlegung eines Ordnungsgelds von 100 € und die Verpflichtung zur Übernahme von Mehrkosten.

Das AmtsG hatte den zunächst anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung und persönlichen Anhörung der Ehegatten in dem Scheidungsverbundverfahren aufgrund eines Terminsverlegungsantrages der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers auf eine spätere Terminsstunde an dem selben Tag verlegt, und die zu diesem Zeitpunkt anwaltlich nicht vertretene Antragsgegnerin hierzu ordnungsgemäss geladen. Zu dem Termin am 17.02.2020 um 15 Uhr erschien die Antragsgegnerin nicht. Zu dem darauffolgenden Termin am 10.03.2020 ist sie erschienen, so dass die Scheidung an demselben Tage verkündet werden konnte. Durch den angegriffenen Beschluss hat das AmtsG der Antragsgegnerin die durch ihr Ausbleiben verursachten Mehrkosten auferlegt, sowie ein Ordnungsgeld von 100 € festgesetzt. Mit ihrer Beschwerde trägt die Antragsgegnerin vor, die Terminsladung nur zur Hälfte gelesen, und deshalb nur die Terminsaufhebung auf der Vorderseite des Schreibens, nicht aber die Neuterminierung auf dessen Rückseite wahrgenommen zu haben.

Die gemäss §§ 128 Abs. 4, 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, §§ 380 Abs. 3, 567 ff ZPO statthafte und in zulässiger Weise erhobene sofortige Beschwerde war nur insoweit erfolgreich, als sie zur Herabsetzung des Ordnungsgeldes führte. Das AmtsG habe gegen die zu dem Scheidungstermin am 17.02.2020 nicht erschienene Antragsgegnerin zu Recht gemäss § 128 Abs. 4 FamFG, § 380 Abs. 1 S. 2 ZPO ein Ordnungsgeld festgesetzt, und ihr die Mehrkosten ihres Ausbleibens auferlegt.

Die Antragsgegnerin habe ihr Nichterscheinen nicht hinreichend entschuldigt. Das versehentliche Ignorieren der Rückseite eines gerichtlichen Schreibens stelle ein fahrlässiges Versäumnis dar. Wegen der grossen Bedeutung der Anhörung der Ehegatten in Scheidungsverfahren seien an die Entschuldigung für das Nichterscheinen hohe Anforderungen zu stellen (vgl. KG NJ 2021, 76). Die Verhängung eines Ordnungsgeldes und die Auferlegung der durch das Ausbleiben verursachten Kosten stehe bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäss § 128 Abs. 4 FamFG, § 380 Abs. 1 ZPO auch nicht etwa im Ermessen des Gerichts mit der Folge, dass bei Vorliegen einer einmaligen Fehlleistung, die zu einer Verzögerung der Entscheidung um nur wenige Wochen führte, von der Auferlegung von Ordnungsmitteln abgesehen werden könnte; deren Festsetzung und die Auferlegung der Mehrkosten seien, anders als etwa im Fall des § 141 Abs. 3 ZPO, zwingend (OLG Stuttgart FamRZ 2020, 1754).

Allerdings sei das festgesetzte Ordnungsgeld mit 100 € zu hoch. Die Bemessung der Höhe des zwischen 5 € und 1.000 € festzusetzenden Ordnungsgeldes (§ 128 Abs. 4 FamFG, § 380 Abs. 1 ZPO, Art. 6 Abs. 1 EGStGB) stehe im pflichtgemässen Ermessen des Gerichts; im Beschwerderechtszug erfolge daher nur die Überprüfung der rechtsfehlerfreien Würdigung der wesentlichen Umstände und des Ermessensgebrauchs gemäss dem Gesetzeszweck unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit (vgl. OLG Stuttgart aaO). Gründe für die Bemessung der Höhe des Ordnungsgeldes enthalte weder die angefochtene Entscheidung, noch der Nichtabhilfebeschluss; die gebotene Abwägung sei deshalb in dem Beschwerderechtszug nachzuholen. Sie führe zur Herabsetzung des Ordnungsgelds auf 20 €.

» Massgebend für die Höhe des Ordnungsgeldes gemäss § 128 Abs. 4 FamFG ist - der doppelten Zweckbestimmung der Ordnungsmittel gemäss § 890 ZPO als Beugemittel und strafähnliche Sanktion (BVerfG NJW-RR 2007, 860) folgend - die Schwere der Pflichtverletzung, die Bedeutung der Säumnis für die Entscheidung der Rechtssache, und die wirtschaftliche Situation des Betroffenen, da die Sanktion unterschiedlich Bemittelte gleich schwer treffen soll (vgl. OLG Stuttgart aaO). Angesichts der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegnerin als Empfängerin von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, ihres geringen Verschuldens, und des Umstandes, dass ihr Ausbleiben den Scheidungsausspruch nur um wenige Wochen verzögert hat, ist nach Abwägung aller für und gegen die Antragsgegnerin sprechenden Umstände die Festsetzung eines Ordnungsgelds von 20 € angemessen, zumal sie ausserdem die durch ihr Ausbleiben verursachten Kosten zu tragen hat. «


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Ehescheidung; Voraussetzungen; Ablauf des Trennungsjahres; Inhaftierung eines Ehegatten; Erkennbarkeit des Trennungswillens eines Ehegatten für den anderen.

Der Trennungswille eines Ehegatten ist jedenfalls mit dem Zugang des Verfahrenskostenhilfeantrages für ein beabsichtigtes Scheidungsverfahren auch für den anderen Ehegatten erkennbar (hier: Trennung während der Inhaftierung eines Ehegatten).

OLG Zweibrücken, Beschluß vom 21. April 2021 - 2 UF 159/20

Anmerkungen

Die Beteiligten heirateten im Jahre 2002. Der Antragsgegner, der nach bereits mehrfacher Straffälligkeit mittlerweile seit Mai 2019 inhaftiert ist, besass bei Eheschliessung keine abgeschlossene Ausbildung, und hat während der Ehe nie einen festen Beruf ausgeübt, sondern lediglich über kurze Zeiträume (insgesamt 33 Monate) Hilfstätigkeiten ausgeführt. Er ist seit Jahren drogenabhängig, und befand sich häufig über längere Zeiträume in Entzugskliniken und Therapien. Die Antragstellerin war bis zu einer nun vorliegenden Erkrankung durchgehend voll berufstätig. Sie zahlt für den Antragsgegner Geldstrafen ab, und wurde wegen Benutzung ihres Pkw durch den Antragsgegner, der nicht über eine Fahrerlaubnis verfügt, selbst strafrechtlich belangt. Der Scheidungsantrag der Antragstellerin mit dem Antrag, den Versorgungsausgleich auszuschliessen, wurde dem Antragsgegner im Februar 2020 in der JVA zugestellt. Das FamG hat die Ehe geschieden, und den Versorgungsausgleich durchgeführt.

Diese Entscheidung hielt der Beschwerde des Antragsgegners stand, mit der er vorgetragen hatte, nachdem Härtegründe iSd § 1565 Abs. 2 BGB nicht konkret geltend gemacht worden seien, könne die Ehe erst nach Ablauf des Trennungsjahres geschieden werden. Ehegatten lebten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht, und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen wolle, weil er die eheliche Gemeinschaft ablehne (§ 1567 Abs. 1 S. 1 BGB). Eheliche Gemeinschaft bedeute hierbei nicht notwendig das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung; entscheidend sei in Fällen des fehlenden täglichen Zusammenlebens, wann der Trennungswille des Antrag stellenden Ehegatten - also sein Wille, die eheliche Lebensgemeinschaft nicht fortführen zu wollen - für den anderen Ehegatten erkennbar geworden sei. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Scheidung trage die Antragstellerin.

Vorliegend sei das Trennungsjahr jedenfalls im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens abgelaufen:

1. Die eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne einer häuslichen Gemeinschaft bestehe jedenfalls seit der Inhaftierung des Antragsgegners im Mai 2019 nicht mehr,
2. Von dem Trennungswillen der Antragstellerin habe der Antragsgegner spätestens mit Zugang des Scheidungsantrages zur Stellungnahme Kenntnis erlangt; nach Zugang dieses Antrages musste er davon ausgehen, dass die Antragstellerin die eheliche Gemeinschaft nicht weiter aufrechterhalten wolle, und geschieden werden wollte.

Die Antragstellerin habe durchgehend bekundet, dass sie nicht bereit sei, die eheliche Lebensgemeinschaft mit dem Antragsgegner wieder herzustellen, und dass sie nach wie vor geschieden werden wolle. Die gegenteilige Auffassung des Antragsgegners stehe der Scheidung nicht entgegen, weil auch die Abkehr nur eines Ehegatten von der ehelichen Lebensgemeinschaft zur Folge habe, dass eine Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft nicht erwartet werden könne (§ 1565 Abs. 1 S. 2 BGB).


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Scheidung durch richterliche Entscheidung; Vermutung für das Scheitern; Ablauf des Trennungsjahres in der Beschwerdeinstanz; Zurückverweisung nach § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG.

BGB §§ 1564, 1565, 1566; FamFG § 146

1. Hat das Amtsgericht einen Scheidungsantrag wegen Nichtablaufs des Trennungsjahres zurückgewiesen, und läuft das Trennungsjahr dann in der Beschwerdeinstanz ab, dann hat das Beschwerdegericht die Sache an das Familiengericht zurückzuverweisen, wenn noch Folgesachen im Verbund zu regeln sind. Eine eigene Entscheidung des Beschwerdegerichts über den Scheidungsantrag ist in diesen Fällen nicht möglich.
2. Für diese Zurückverweisung gilt § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG als lex specialis zu § 538 Abs. 2 ZPO. Eine Zurückverweisung an einen anderen Richter des Amtsgerichts kommt nicht in Betracht.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 30. April 2021 - 9 UF 8/21

Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 30.12.2020 wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Oranienburg vom 16.12.2020 (36 F 229/20) unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde der Antragstellerin aufgehoben, und die Sache an das Amtsgericht - Familiengericht - Oranienburg, das auch über die Kosten der Beschwerde zu entscheiden hat, zurückverwiesen.
2. Der Beschwerdewert beträgt 36.250 €.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
4. Der Antrag des Antragsgegners vom 16.04.2021 auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe
I. Die Beteiligten haben im Jahre 2016 die Ehe geschlossen. Unstreitig ist der Antragsgegner am 1. April 2020 aus der vormals ehelichen Wohnung ausgezogen. Die Antragstellerin begehrt mit ihrem am 18. September 2020 zugestellten Antrag die Ehescheidung. Sie hat behauptet, bereits Mitte 2018 habe man getrennt voneinander innerhalb der Ehewohnung gelebt und gewirtschaftet. Der Antragsgegner hat behauptet, zu einem Trennungsgespräch sei es erst am 2. Februar 2020 gekommen. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er das Ehebett geräumt; zuvor habe man noch gemeinsame Erledigungen unternommen.

Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am 16. Dezember 2020 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Oranienburg durch Beschluß von demselben Tage den Scheidungsantrag im Hinblick darauf, daß die Antragstellerin den Ablauf des Trennungsjahres nicht nachgewiesen habe, und Gründe für das Vorliegen eines Härtefalles gemäß § 1565 Abs. 2 BGB nicht gegeben seien, zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Insoweit hat sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft; insbesondere bekräftigte sie dabei nach wie vor ihren Willen zur endgültigen Trennung von dem Antragsgegner. Der Senat hat mit Verfügungen vom 4. März 2021 und (nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter) vom 8. März 2021 auf den Ablauf des Trennungsjahres und auf die Vorschrift des § 146 FamFG unter Ankündigung der schriftlichen Entscheidung hingewiesen. Die Antragstellerin beantragt, in Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Ehe der Beteiligten zu scheiden. Der Antragsgegner beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Er verteidigt die angefochtene Entscheidung dahin, daß in dem Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung die Scheidungsvoraussetzungen nicht vorgelegen hätten.

II. Der angefochtene Beschluß ist gemäß § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG aufzuheben, und die Sache ist an das Amtsgericht zurückzuverweisen, damit dort eine Entscheidung auch über die von Amts wegen zu betreibende Folgesache über den Versorgungsausgleich und die weitere Folgesache nachehelicher Unterhalt ergehen kann. Die Vorschrift des § 146 Abs. 1 FamFG betrifft dabei insbesondere den Fall, daß in der Beschwerdeinstanz die Voraussetzungen der Ehescheidung (insbesondere wegen des zwischenzeitlichen Ablaufs des Trennungsjahres) festgestellt werden (vgl. BGH FamRZ 1997, 347 = EzFamR BGB § 1565 Nr. 2 = BGHF 10, 626).

1. Die Voraussetzungen für die Ehescheidung sind jedenfalls jetzt (in der Beschwerdeinstanz) gegeben.

a) Gemäß § 1565 Abs. 1 S. 1 BGB kann eine Ehe geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht, und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wiederherstellen (§ 1565 Abs. 1 S. 2 BGB). Leben die Ehegatten noch nicht ein Jahr getrennt, so kann die Ehe nur geschieden werden, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellen würde (§ 1565 Abs. 2 BGB). Danach sind in dem vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Ehescheidung gegeben. Die Ehe ist gescheitert. Die Lebensgemeinschaft der Ehegatten besteht nicht mehr, und es kann nicht erwartet werden, daß die Ehegatten sie wieder herstellen.

b) Die Antragstellerin hat in dem vorliegenden Verfahren durchgängig erklärt, daß sie die eheliche Lebensgemeinschaft nicht wiederherstellen wolle, und den Wunsch geäußert, daß die Ehe geschieden werde. Damit ist das Scheitern der Ehe schon im Hinblick auf die Ablehnung der Antragstellerin, sie fortzusetzen, anzunehmen. Darauf, daß der Antragsgegner sich gegen die Scheidung (wohl) nicht (mehr) wendet, kommt es dafür nicht an.

c) Das Trennungsjahr ist jedenfalls jetzt in der zweiten Instanz abgelaufen. Wie der Senat bereits per Verfügung ausgeführt hat, ist spätestens (und insoweit auch unstreitig) mit dem Auszug des Antragsgegners zum 1. April 2020 die Trennung der Beteiligten erfolgt.

2. Wird eine Entscheidung aufgehoben, durch die der Scheidungsantrag zurückgewiesen wurde, soll das Rechtsmittelgericht die Sache an das Gericht zurückverweisen, das die Abweisung ausgesprochen hat, wenn dort eine Folgesache zur Entscheidung ansteht (§ 146 Abs. 1 S. 1 FamFG). So liegt es hier. Über den Versorgungsausgleich als Zwangsverbundsache ist gemäß § 137 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und S. 2 FamFG von Amts wegen zu entscheiden; schon deshalb hat die Aufhebung und Zurückverweisung zu erfolgen (ständige Rechtsprechung des OLG Brandenburg, vgl. zuletzt Senatsbeschluß vom 21. Februar 2021 - 9 UF 198/20 - n.v.; ferner Senat FamRZ 2013, 317; OLG Brandenburg [2. FamS] FamRZ 2016, 484; allgemeine Ansicht, vgl. nur OLG Hamm FamRZ 2014, 208; OLG Frankfurt, Beschluß vom 12. Juni 2020 - 8 UF 278/19 - juris). Hinzu tritt die von dem Antragsgegner mit Schriftsatz vom 30. November 2020 eingeleitete Folgesache nachehelicher Unterhalt, die ebenfalls die Rechtswirkungen des § 146 Abs. 1 FamFG auslöst.

An dieser Stelle kann deshalb dahinstehen, ob die Antragstellerin in der Beschwerdeinstanz einen früheren Trennungszeitpunkt hinreichend substantiiert hat, bzw. ob das Amtsgericht in dem Zeitpunkt seiner Beschlußfassung eine richtige Entscheidung getroffen hat, weil § 146 FamFG hiervon unabhängig die grundsätzliche Aufhebung und Zurückverweisung der Scheidungssache bei Vorliegen der Scheidungsvoraussetzungen innerhalb der Beschwerdeinstanz vorsieht. Dies übersieht die Antragstellerin, soweit sie in der Beschwerde eine Sachentscheidung des Senats über die Scheidung begehrt, weshalb ihre darauf gerichtete Beschwerde zurückzuweisen war, denn ungeachtet des Vorliegens der Scheidungsvoraussetzungen kann die Scheidung durch den Senat noch nicht ausgesprochen werden; vielmehr ist das Verfahren im Hinblick auf die noch offenen Folgesachen über den Versorgungsausgleich an das Amtsgericht zwingend zurückzuverweisen. Das gesamte zugehörige Vorbringen der Antragstellerin geht an der Rechtslage vorbei. Zwar kann im Einverständnis der Parteien ausnahmsweise von einer Zurückverweisung abgesehen werden, wenn die Folgesachen auch vor dem Beschwerdegericht zum Abschluß gebracht werden können (vgl. nur OLG Hamm FamRZ 2014, 208); das ist aber hier weder übereinstimmend beantragt, noch möglich: Zum einen fehlen hier noch Auskünfte zu der Durchführung des Versorgungsausgleichs, zum anderen sind auch noch die Grundlagen für die künftige eventuelle Zahlung von Ehegattenunterhalt zu klären.

3. Die Zurückverweisung an einen anderen Richter des Amtsgerichts Oranienburg - wie durch die Antragstellerin möglicherweise in dem Schriftsatz vom 4. März 2021 begehrt - scheidet aus. Eine solche Kompetenz weist die auf in der Beschwerdeinstanz eingetretene neuen Tatsachen fußende Vorschrift des § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG dem Beschwerdegericht nicht zu; solches wird auch (soweit erkennbar) nirgendwo vertreten, auch nicht zu § 538 Abs. 2 ZPO, für welchen § 146 FamFG lex specialis ist.

Letztendlich kommt es darauf nicht an, da auch in der Sache offenkundig keine Gründe für die Beauftragung eines anderen Richters bestehen. Die Verneinung des Ablaufs des Trennungsjahres in erster Instanz war angesichts des Inhalts der persönlichen Anhörung der Beteiligten sowie insbesondere des Umstands stattgefundener gemeinsamer Urlaube noch im Jahre 2019 mindestens gut vertretbar. Die Erörterung der Härtefallscheidung (die eben nicht den Ablauf des Trennungsjahres voraussetzt, § 1565 Abs. 2 BGB) war damit zwingend; das zugehörige Vorbringen der Antragstellerin (die in diesem Kontext - anders ist das Vorbringen in dem Schriftsatz vom 16. April 2021 nicht zu verstehen - dem Richter [und der Gegenseite] Amtsmißbrauch, Rechtsbeugung, Betrug/Prozeßbetrug vorwirft) ist derart abwegig, daß darauf nicht weiter eingegangen werden muß.

III. Von einer mündlichen Verhandlung bzw. persönlichen Anhörung der Beteiligten war - wie mit Senatsverfügung vom 8. März 2021 angekündigt - gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG abzusehen, weil diese bereits in dem ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist, und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. BGH FamRZ 2017, 478 = FuR 2017, 203).

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens erfolgt nach Aufhebung und Zurückverweisung regelmäßig durch das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen wird (vgl. nur Senat FamRZ 2013, 317; ferner OLG Düsseldorf FamRZ 2011, 298; OLG Frankfurt, Beschluß vom 12. Juni 2020 - 8 UF 278/19 - juris; Lorenz in Zöller, ZPO 33. Aufl. § 146 FamFG Rdn. 1), so auch hier.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf §§ 40, 43, 50, 51 FamGKG. Soweit Bedenken durch die Antragstellerin an der Festsetzung des Wertes für die Folgesache nachehelicher Unterhalt vorgebracht wurden, entspricht der bereits von dem Amtsgericht festgelegte Wert korrekterweise der Bezifferung des Leistungsantrages (1.750 €/monatlich) als Jahreswert.

Gründe für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde bestehen nicht.

IV. Der Antrag des Antragsgegners vom 16. April 2021 auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist zurückzuweisen, weil der Antragsgegner seine Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen hat. Angesichts seines Vortrags zu der Folgesache Ehegattenunterhalt steht ihm erkennbar ein Verfahrenskostenvorschußanspruch gegen die Antragstellerin (§ 1360a Abs. 4 S. 1 BGB) zu, der angesichts dessen, daß er offenbar bereits eine einstweilige Anordnung über Trennungsunterhalt erstritten hat, auch in zumutbarer Weise durchsetzbar wäre.

OLG Brandenburg 2021-04-30 - 9 UF 8/21
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Anmerkungen

Mit dem am 18.09.2020 zugestellten Scheidungsantrag begehrt die Antragstellerin die Scheidung von dem Antragsgegner, mit dem sie seit dem Jahre 2016 verheiratet ist. Sie behauptet, man habe sich bereits Mitte Mai 2018 innerhalb der Ehewohnung getrennt, während der Antragsgegner vorträgt, dass man jedenfalls bis zu einem Gespräch am 02.02.2020 noch zusammen im Ehebett geschlafen und gemeinsame Erledigungen unternommen habe. Er sei erst am 01.04.2020 aus der Ehewohnung ausgezogen. Am 30.11.2020 machte der Antragsgegner die Folgesache 'nachehelicher Unterhalt' anhängig. Das FamG hat den Scheidungsantrag abgewiesen: Die Antragstellerin habe den Ablauf des Trennungsjahres nicht nachgewiesen, und die Voraussetzungen für eine Härtefallscheidung lägen nicht vor.

In dem Beschwerdeverfahren begehrte die Antragstellerin eine Entscheidung des OLG über den Scheidungsantrag, und beantragte hilfsweise Zurückverweisung an einen anderen Richter des Ausgangsgerichts. Das OLG hat den Beschluss des AmtsG aufgehoben, und die Sache gemäss § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG an das AmtsG zurückverwiesen. Das Trennungsjahr sei in der Beschwerdeinstanz jedenfalls am 01.04.2021 abgelaufen. Ob das AmtsG den Scheidungsantrag zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zutreffend zurückgewiesen habe, sei nunmehr nicht mehr relevant. Aufgrund der anstehenden Folgesachen komme nur eine Zurückverweisung nach § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG als lex specialis zu § 538 Abs. 2 ZPO in Betracht, weil sämtliche Fragen des Versorgungsausgleichs und des nachehelichen Unterhalts vorliegend noch nicht geklärt seien. Eine eigene Entscheidung des Beschwerdegerichts (nur) über den Scheidungsantrag sei nicht möglich; auch komme eine Zurückverweisung an einen anderen Richter der Vorinstanz nicht in Betracht.

Hinweise
1. Diese Entscheidung verdeutlicht zutreffend die Folgen für das Scheidungsverfahren, wenn der Ablauf des Trennungsjahres (erst) in der Beschwerdeinstanz festgestellt wird. Ein Ziel des FamFG bei dessen Einführung zum 01.09.2009 war, dass in der Rechtsmittelinstanz weniger Entscheidungen aufgehoben und zur erneuten Durchführung der Verfahrenshandlungen an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, dass also das Beschwerdegericht häufiger selbst in der Sache entscheidet (BT-Dr. 16/8308 S. 208). Dies gilt in direkter Anwendung von § 69 Abs. 1 FamFG für originäre Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Für Ehe- und Familienstreitsachen verweist § 117 Abs. 2 S. 1 FamFG auf die - insoweit speziellere - Norm des § 538 Abs. 2 ZPO. Für Ehesachen, in denen vorinstanzlich der Scheidungsantrag abgewiesen wurde, regelt § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG nochmals spezieller, dass das Rechtsmittelgericht zurückverweisen soll, wenn an dem Ausgangsgericht eine Folgesache zur Entscheidung ansteht. Zum Schutze des Scheidungsverbunds nach § 137 FamFG wurde in diesen Sachen das Regel-Ausnahme-Prinzip der Selbstentscheidung des Beschwerdegerichts also in den Regelfall der Aufhebung und Zurückverweisung an das Ausgangsgericht umgekehrt, wenn an dem Ausgangsgericht eine Folgesache zur Entscheidung ansteht.

2. Zutreffend ist für die Beurteilung des Ablaufs des Trennungsjahres nach § 1565 Abs. 1 und 2 BGB die Sach- und Rechtslage bei Schluss der Beschwerdeverhandlung bzw. dem diesem gleichgestellten Ende der Schriftsatzfrist massgeblich ist, denn das OLG überprüft nicht nur die Ausgangsentscheidung, sondern ist selbst Tatsacheninstanz, und § 65 Abs. 3 FamFG lässt neue Tatsachen und Beweismittel zu.

3. Für eine Folgesache, die »zur Entscheidung ansteht«, genügt, dass über die Folgesache von Amts wegen nach § 142 Abs. 1 S. 1 FamFG zusammen mit dem Ausspruch der Scheidung zu entscheiden sein wird. Liegen die Auskünfte zu dem von Amts wegen durchzuführenden Versorgungsausgleich noch nicht vor, dann steht die Folgesache noch iSd § 146 Abs. 1 S. 1 FamFG zur Entscheidung an.

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