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Entscheidungen Bundesgerichtshof 12/2022 - FD-Platzhalter-rund

Entscheidungen Bundesgerichtshof 12/2022


 



Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Zulässigkeit einer Berufung bei Fehlen der Unterschrift im Schriftsatz eines Rechtsanwalts.
ZPO §§ 130, 520

Wird ein bestimmender, grundsätzlich von einem zu der Vertretung berechtigten Rechtsanwalt eigenhändig zu unterzeichnender Schriftsatz (hier: Berufungsbegründung, §§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO) von dem den Schriftsatz verfassenden Rechtsanwalt nicht unterzeichnet und von dem unterzeichnenden Rechtsanwalt nicht verantwortet, fehlt es an einer wirksamen Unterschrift (im Anschluß an BGH, Urteil vom 19. Oktober 1988 - IVb ZR 5/88 - NJW 1989, 394 unter II. 1.; Beschluß vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04 - NJW 2005, 2709 unter III. 2. a), und Beschluß vom 14. März 2017 - VI ZB 34/16 - NJW-RR 2017, 686 Tz. 7 ff).

BGH, Beschluß vom 6. Dezember 2022 - VIII ZA 12/22 - LG Köln [1 S 181/21]
FamRZ 2023, 369 = NJW-RR 2023, 209 = MDR 2023, 183 = ZfSch 2023, 142 = IBR 2023, 164 = NJW 2023, 614 [Ls] = AnwBl 2023, 176 [Ls] = FA 2023, 54 [Ls]

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Unerlaubte Handlungen; Bemessung der Höhe der Hinterbliebenenentschädigung.
BGB § 844; StVG §§ 10, 18; ZPO § 287; VVG § 115

1. Die Bemessung der Höhe der Hinterbliebenenentschädigung ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Er hat die konkrete seelische Beeinträchtigung des betroffenen Hinterbliebenen zu bewerten, und hierbei die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles zu berücksichtigen. Ähnlich wie bei dem Schmerzensgeld sind dabei sowohl der Ausgleichs- als auch der Genugtuungsgedanke in den Blick zu nehmen.
2. Maßgebend für die Höhe der Hinterbliebenenentschädigung sind im Wesentlichen die Intensität und Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers; dabei lassen sich aus der Art des Näheverhältnisses, der Bedeutung des Verstorbenen für den Anspruchsteller und der Qualität der tatsächlich gelebten Beziehung indizielle Rückschlüsse auf die Intensität des seelischen Leids ableiten.
3. Der in dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD genannte Betrag in Höhe von 10.000 € (BT-Dr. 18/11397 S. 11) bietet eine Orientierungshilfe für die Bemessung der Hinterbliebenenentschädigung, von der im Einzelfall sowohl nach unten als auch nach oben abgewichen werden kann. Er stellt keine Obergrenze dar.
4. Die Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld diente dem Zweck, den Hinterbliebenen für immaterielle Beeinträchtigungen unterhalb der Schwelle einer Gesundheitsverletzung einen Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld einzuräumen. Der dem Hinterbliebenen im Einzelfall zuerkannte Betrag muss deshalb im Regelfall hinter demjenigen zurückbleiben, der ihm zustände, wenn das von ihm erlittene seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte.

BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - VI ZR 73/21 - OLG Schleswig [7 U 149/20]
FamRZ 2023, 401 = VersR 2023, 256 = MDR 2023, 295 = RuS 2023, 182 = GesR 2023, 165

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Hinweis
Der Senat hat in dieser Sache am 7. März 2023 erneut verhandelt. Die Parteien haben sich in dem Termin auf ein Hinterbliebenengeld in Höhe von insgesamt 8.000 €, also weitere 5.000 € neben den bereits vorgerichtlich gezahlten 3000 €, nebst Zinsen vergleichsweise geeinigt.
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Unerlaubte Handlungen; deliktische Haftung; Schockschaden als Gesundheitsverletzung.
BGB §§ 253, 823

1. Bei sogenannten »Schockschäden« stellt - wie in dem Falle einer unmittelbaren Beeinträchtigung - eine psychische Störung von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar, auch wenn sie bei dem Geschädigten mittelbar durch die Verletzung eines Rechtsgutes bei einem Dritten verursacht wurde.
2. Ist die psychische Beeinträchtigung pathologisch fassbar, hat sie also Krankheitswert, ist für die Bejahung einer Gesundheitsverletzung nicht erforderlich, dass die Störung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Betroffene bei der Verletzung eines Rechtsgutes eines nahen Angehörigen in der Regel ausgesetzt sind (insoweit Aufgabe Senatsurteil vom 21. Mai 2019 - VI ZR 299/17 - BGHZ 222, 125 Tz. 7 mwN).

BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - VI ZR 168/21 - OLG Celle [5 U 85/20]
FamRZ 2023, 323 = NJW 2023, 983 = VersR 2023, 392 = ZfSch 2023, 136 = MDR 2023, 362 = RuS 2023, 130

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Hinweis
Hat ein Vater, ausgelöst durch die Kenntniserlangung von dem sexuellen Missbrauch seiner Tochter und die Belastungen im Zuge des gegen den Täter geführten Strafverfahrens (mit dessen Beendigung durch Strafverurteilung wegen sexuellen Kindesmissbrauchs in zehn Fällen) eine tiefgreifende depressive Verstimmung in Form einer Anpassungsstörung nach ICD-10 F43.2 erlitten, dann steht ihm dem Grunde nach ein Schmerzensgeldanspruch zu.
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Unerlaubte Handlungen; Unterlassungsanspruch gegen eine Berichterstattung über das Aus einer Liebesbeziehung mit einer prominenten Person.
BGB §§ 823, 1004; GG Art. 1, Art. 2, Art. 5; MRK Art. 8, Art. 10

1. Eine Berichterstattung über eine nicht öffentlich gemachte Liebesbeziehung und ihr Ende sind Teil der Privatsphäre beider daran beteiligter Partner. Sie berührt damit die Privatsphäre beider Partner, soweit diese für potentielle Leser identifizierbar sind. Dabei ist nicht entscheidend, ob alle oder ein erheblicher Teil der Adressaten der Berichterstattung oder gar der »Durchschnittsleser« die betroffene Person identifizieren können; es reicht vielmehr aus, daß über die Berichterstattung Informationen über den Betroffenen an solche Personen geraten, die aufgrund ihrer sonstigen Kenntnisse in der Lage sind, die betroffene Person zu identifizieren (vgl. BVerfG NJW 2004, 3619, 3620).
2. Das für die Rechtmäßigkeit einer in die Privatsphäre einer Person eingreifenden Berichterstattung grundsätzlich erforderliche berechtigte öffentliche Informationsinteresse kann sich in Bezug auf eine von der Berichterstattung mitbetroffene Person auch daraus ergeben, daß ein solches Interesse an der Berichterstattung allein in Bezug auf eine andere Person besteht (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21 - AfP 2022, 429 Tz. 57). Voraussetzung für das Vorliegen eines solchen in Bezug auf eine andere Person bestehenden, in Bezug auf den Mitbetroffenen also »abgeleiteten« Informationsinteresses der Öffentlichkeit ist allerdings, daß die Berichterstattung der anderen Person gegenüber zulässig ist.

BGH, Urteil vom 6. Dezember 2022 - VI ZR 237/21 - Kammergericht [10 U 8/20]
NJW 2023, 769 = VersR 2023, 397 = AfP 2023, 54 = K&R 2023, 275 = GRURPrax 2023, 137 = FamRZ 2023, 401 [Ls] = WRP 2023, 395 [Ls]

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Unterbringungsrecht; Unterbringungssache; Verfahrensfehler bei der Unterbringung des Betroffenen in einem besonders gesicherten Raum.
FamFG §§ 62, 329; StVollzG § 121b; GG Art. 2, Art. 103

1. Die Dauer der gerichtlichen Zustimmung zu der Unterbringung in einem besonders gesicherten Raum während des Maßregelvollzuges bedarf der konkreten, sachverständig gestützten Begründung, welche den gesamten Unterbringungszeitraum abdeckt (im Anschluß an BGH, Beschluß vom 29. September 2021 - XII ZB 300/21 - FamRZ 2022, 57 = FuR 2022, 53).
2. Wurden in einer erledigten Unterbringungssache das der Entscheidung zugrunde liegende ärztliche Zeugnis sowie die Stellungnahme des Chefarztes der Klinik dem Betroffenen nicht bekannt gegeben, ist von einer Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör auszugehen. Schon allein dieser Verfahrensfehler ist so gewichtig, daß er die Feststellung nach § 62 FamFG zu rechtfertigen vermag.

BGH, Beschluß vom 7. Dezember 2022 - XII ZB 86/22 - LG Kleve [4 T 13/22]
NJW-RR 2023, 362 = MDR 2023, 237 = FamRZ 2023, 475 [Ls] = FF 2023, 131 [Ls]

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Betreuungsrecht; Erweiterung einer Betreuung und Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts; Feststellung zum Fehlen eines freien Willens.
BGB § 1896

1. Zu der Feststellung des Fehlens eines freien Willens des Betroffenen bei Erweiterung einer bestehenden Betreuung: Ein Betreuer darf nicht gegen den Willen eines Volljährigen bestellt werden. Wenn der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht. Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen, ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist.
2. Auch der an einer Erkrankung im Sinne des § 1896 Abs. 1 BGB leidende Betroffene kann in der Lage sein, einen freien Willen zu bilden und ihn zu äußern; abzustellen ist jeweils auf das Krankheitsbild des Betroffenen.
3. Die Feststellungen zu dem Ausschluß der freien Willensbestimmung müssen durch ein Sachverständigengutachten belegt sein (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 31. Oktober 2018 - XII ZB 552/17 - FamRZ 2019, 239 = FuR 2019, 99).
4. Daß die Willensbildung der Betroffenen nur noch eingeschränkt besteht, begründet noch keinen Ausschluß der freien Willensbildung oder -betätigung (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 16. März 2016 - XII ZB 455/15 - FamRZ 2016, 970).

BGH, Beschluß vom 7. Dezember 2022 - XII ZB 158/21 - LG Bamberg [42 T 14/21]
FamRZ 2023, 467 = DÄ 2023, A 362 = FF 2023, 130 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; formwirksame Einlegung einer Beschwerde in elektronischer Form.
FamFG §§ 14b, 64

Wird eine Beschwerde nach § 64 Abs. 2 S. 1 FamFG von einem Rechtsanwalt schriftlich eingelegt, ist die Beschwerdeschrift nach § 14b Abs. 1 S. 1 FamFG als elektronisches Dokument zu übermitteln.

BGH, Beschluß vom 7. Dezember 2022 - XII ZB 200/22 - OLG Frankfurt [4 UF 48/22]
FamRZ 2023, 461 = NJW 2023, 849 = NZFam 2023, 277 = FamRB 2023, 107 = MDR 2023, 316 = FGPrax 2023, 44 = FF 2023, 131 [Ls]

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Unterbringungsrecht; Anhörung und Genehmigung der geschlossenen Unterbringung.
FamFG §§ 68, 335; GG Art. 103

1. Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung betrifft allein den Betroffenen in seinen Rechten. Geschwister des Betroffenen können durch die Unterbringung nicht in eigenen Rechten betroffen sein. Eine Beschwerdebefugnis im Interesse des Betroffenen kommt ihnen gemäß § 335 Abs. 1 FamFG nur zu, wenn sie von dem Betroffenen als Person des Vertrauens benannt, und in dem ersten Rechtszug beteiligt worden sind.
2. In dem Beschwerdeverfahren kann von einer erneuten Anhörung des Betroffenen unter den Voraussetzungen von § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG abgesehen werden. Dies gilt nicht, soweit das Gericht des ersten Rechtszuges zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat.
3. Ist die Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Unterbringungssache erkennbar, so ist dieser regelmäßig schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Eine Anhörung, die ohne Möglichkeit der Beteiligung des Verfahrenspflegers erfolgt, ist verfahrensfehlerhaft, und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

BGH, Beschluß vom 7. Dezember 2022 - XII ZB 340/22 - LG Amberg [33 T 524/22]
FamRZ 2023, 475 [Ls]

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Erbrecht; Nachlaßverwaltung; Rücktrittsrecht bei einem Vertrag zugunsten Dritter im Falle von Leistungsstörungen im Deckungsverhältnis; Absehen von einer Genehmigungspflicht bei der Nachlaßverwaltung.
BGB §§ 323, 328, 894, 1812, 1915, 1960, 1975

1. Das in § 1812 BGB für bestimmte Verfügungen vorgesehene Genehmigungserfordernis besteht bei der Nachlaßverwaltung nicht.
2. Das Recht, im Falle von Leistungsstörungen von dem Vertrag zurückzutreten (hier: gemäß § 323 Abs. 1 BGB), steht bei einem Vertrag zugunsten Dritter grundsätzlich dem Versprechensempfänger und nicht dem Dritten zu. Auch eine Zustimmung des Dritten ist zu der Wirksamkeit des Rücktritts nicht erforderlich, selbst wenn das Recht des Dritten unwiderruflich ist.
3. Nicht ausgeschlossen ist allerdings eine Vereinbarung zwischen Versprechensempfänger und Versprechendem, daß das Rücktrittsrecht dem Dritten zustehen soll. Möglich ist es zudem, daß der Versprechensempfänger sein Rücktrittsrecht an den Dritten abtritt, oder diesen zur Ausübung des Rücktrittsrechts ermächtigt.

BGH, Urteil vom 9. Dezember 2022 - V ZR 68/22 - OLG Hamburg [2 U 11/21]
MDR 2023, 281

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Unerlaubte Handlungen; Unterlassungsanspruch des Ehemannes gegen die Berichterstattung über die Umstände des Todes seiner prominenten Ehefrau.
BGB §§ 823, 1004; MRK Art. 8, Art. 10; GG Art. 1, Art. 2, Art. 5

1. Zu der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Ehemannes durch eine Berichterstattung über die Umstände des Todes der Ehefrau.
2. Gegen rechtsverletzende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht kann nur der unmittelbar Verletzte, nicht auch derjenige vorgehen, der von den Fernwirkungen eines Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht eines anderen nur mittelbar belastet wird, solange diese Auswirkungen nicht auch als Verletzung des eigenen Persönlichkeitsrechts zu qualifizieren sind. Es hängt von den Umständen einer Berichterstattung über den Tod einer Person im Einzelfall ab, ob sie das Persönlichkeitsrecht eines nahen Angehörigen unmittelbar oder nur mittelbar beeinträchtigt.
3. Der Aussagegehalt einer Äußerung ist nur in dem Kontext des Artikels zu erfassen, in dem sie steht. Es stellte eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung der Meinungsfreiheit dar, würde zu der Bestimmung des Aussagegehalts einer Äußerung und daran anknüpfend zu der Beurteilung, ob diese Äußerung den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überhaupt berührt, der Inhalt anderer Artikel zu demselben Thema einbezogen, die der Leser zur Kenntnis genommen haben kann, aber nicht muß.
4. Eine von dem Recht auf Achtung der Privatsphäre umfaßte Situation großer emotionaler Belastung kann auch die des Bangens um das Leben eines nahen Angehörigen sein.

BGH, Urteil vom 13. Dezember 2022 - VI ZR 280/21 - Kammergericht [10 U 1068/20]
K&R 2023, 279 = FamRZ 2023, 400 [Ls] = VersR 2023, 468 [Ls] = WRP 2023, 396 [Ls]

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Hinweise
1. Privatheit und die berechtigte Erwartung, nicht zum Objekt von Schaulust und Sensationsgier in Momenten der Trauer um einen nahen Angehörigen - oder im Moment des Bangens um dessen Leben - zu werden, können auch außerhalb örtlicher Abgeschiedenheit bestehen und am Schutz der Privatsphäre teilhaben. Eine Berichterstattung über eine solche emotionale Ausnahmesituation greift nicht erst dann in das Recht auf Achtung der Privatsphäre ein, wenn sie die Gefühlswelt des nahen Angehörigen darstellt.
2. Hinsichtlich der in dem vorliegenden Fall erfolgten Berichterstattung zu den Ereignissen auf dem Meer liegt die zu ihrer Rechtswidrigkeit führende Intensität des Eingriffs darin begründet, daß die letztlich zu dem Tode führende Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Ehefrau des Klägers in einer öffentlichkeitsabgewandten Situation geschildert wird, mit der allein der Kläger konfrontiert war, und in der er Rettungsmaßnahmen ergreifen und um das Leben seiner Ehefrau kämpfen mußte. Die Berichterstattung ermöglicht einen Blick sowohl auf das den Augen der Öffentlichkeit verschlossene Ringen um das Leben als auch auf das mit seinem Erleben und seinen Aktionen unweigerlich verbundene Gefühlsspektrum des Klägers. Der Umstand, daß die beanstandeten Textzeilen den Kläger nicht herabsetzen oder in einem schlechten Licht darstellen und sogar geeignet sind, ihn von einem etwaigen Verdacht zu entlasten, ändert an der Intensität des Eingriffs in die Privatsphäre nichts.
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Verfahrensrecht; rechtskraftfähige Sachentscheidung bei Nichtberücksichtigung einer Eventualaufrechnung mangels Gegenseitigkeit.
BGB § 387; ZPO § 322

Eine der Rechtskraft fähige Entscheidung gemäß § 322 Abs. 2 ZPO liegt auch dann vor, wenn eine hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Forderung unberücksichtigt bleibt, weil es an der Gegenseitigkeit im Sinne von § 387 BGB fehlt.

BGH, Urteil vom 14. Dezember 2022 - IV ZB 1/22 - LG Osnabrück [9 S 118/20]
FamRZ 2023, 454 = NJW-RR 2023, 569 = VersR 2023, 738 = ZIP 2023, 312 = NJ 2023, 167 = MDR 2023, 520 [551] = EWiR 2023, 171 = ZInsO 2023, 676 = NJW 2023, 1521 [Ls] = BB 2023, 514 [Ls] = ErbR 2023, 327 [Ls]

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Betreuungsrecht; Beschwerde in Betreuungssachen; notwendige Feststellungen bei Anordnung einer umfassenden Betreuung.
BGB § 1896

Für die Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten bedarf es der konkreten Darlegung, daß Handlungsbedarf in allen Angelegenheiten besteht (Festhaltung BGH, [link:http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=108435&pos=0&anz=1Beschluss vom 10. Juni 2020 - XII ZB 25/20[/link] - FamRZ 2020, 1588 = FuR 2020, 647).

BGH, Beschluß vom 14. Dezember 2022 - XII ZB 237/22 - LG Frankfurt [2-29 T 25/22]
NJW-RR 2023, 289 = BtPrax 2023, 74 [Ls]

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Versorgungsausgleich; Antrag eines Hinterbliebenen auf Abänderung der Entscheidung zum Versorgungsausgleich im Wege einer »Totalrevision«.
VersAusglG §§ 31, 51, 52; FamFG §§ 7, 219, 225, 226

1. Ist der geschiedene Ehegatte nach Durchführung des Versorgungsausgleichs verstorben, richtet sich das Verfahren auf Abänderung gegen die Erben, die als Antragsgegner hinzuzuziehen sind.
2. Das Abänderungsverfahren nach §§ 31, 51 VersAusglG kann auch durch Hinterbliebene eines ausgleichspflichtigen Ehegatten beantragt werden.

BGH, Beschluß vom 14. Dezember 2022 - XII ZB 318/22 - OLG Zweibrücken [6 UF 33/21]
FamRZ 2023, 358 = NJW-RR 2023, 217 = MDR 2023, 302 = NZFam 2023, 273 = FamRB 2023, 99 = BetrAV 2023, 139 = FF 2023, 130 [Ls]

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Betreuungsrecht; Kosten und Gebühren; Anspruch eines Rechtsanwalts auf gesonderten Aufwendungsersatz für Betreuertätigkeit.
BGB §§ 1835, 1836, 1901, 1908i; VBVG §§ 4, 5; RVG § 1

Der als Betreuer bestellte Rechtsanwalt kann eine Tätigkeit im Rahmen der Betreuung gemäß § 1835 Abs. 3 in Verbindung mit § 1908i Abs. 1 S. 1 BGB nach anwaltlichem Gebührenrecht abrechnen, wenn und soweit sich die zu bewältigende Aufgabe als eine für den Beruf des Rechtsanwalts spezifische Tätigkeit darstellt (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 30. November 2022 - XII ZB 311/22 - FamRZ 2023, 470).

BGH, Beschluß vom 14. Dezember 2022 - XII ZB 342/22 - LG München I [13 T 2519/22]
MDR 2023, 394

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Unterbringungsrecht; Unterbringungssache; Verfahrensmangel aufgrund der Nichtüberlassung des Sachverständigengutachtens vor dem Anhörungstermin.
FamFG §§ 37, 62, 68, 70, 319, 325; StVollzG § 121b; GG Art. 103

1. Wurde in einer durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen nicht bekannt gegeben, liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör vor (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 2. Dezember 2020 - XII ZB 291/20 - FamRZ 2021, 462 = FuR 2021, 149).
2. Das Unterbleiben einer verfahrensordnungsgemäßen persönlichen Anhörung des Betroffenen stellt einen Verfahrensmangel dar, der derart schwer wiegt, daß der genehmigten Unterbringungsmaßnahme insgesamt der Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhaftet (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 2. Dezember 2020 - XII ZB 291/20 - FamRZ 2021, 462 = FuR 2021, 149).

BGH, Beschluß vom 14. Dezember 2022 - XII ZB 417/22 - LG Paderborn [5 T 235/22]
FamRZ 2023, 474 = NJW-RR 2023, 361 = MDR 2023, 314 = FF 2023, 131 [Ls] = FGPrax 2023, 32 [Ls]

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Kosten und Gebühren; Entschädigungsprozeß, Umfang der Überprüfbarkeit richterlicher Feststellungen; Höhe der Entschädigung bei Abweichung vom gesetzlichen Regelsatz.
GVG § 198; ZPO § 308

1. Die Verfahrensführung des Richters wird in dem Entschädigungsprozeß nach § 198 GVG - entsprechend den im Amtshaftungsprozeß entwickelten Grundsätzen - nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist. Für »Musterverfahren« oder »Pilotverfahren« gelten insoweit keine Besonderheiten (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 - BGHZ 199, 190, und BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 - BGHZ 204, 184).
2. In dem Entschädigungsprozeß findet grundsätzlich keine Überprüfung der rechtlichen Überlegungen, die der Richter seiner Entscheidungsfindung zugrunde gelegt hat, auf ihre sachliche Richtigkeit statt, da hier der Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit betroffen ist (Bestätigung und Fortführung von BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 - NJW 2014, 1816, und BGH, Urteil vom 13. April 2017 - III ZR 277/16 - NJW 2017, 2478).
3. Der Entschädigungsanspruch für immaterielle Nachteile nach § 198 Abs. 2 S. 3 und 4 GVG ist zeitbezogen geltend zu machen, wodurch der Streitgegenstand des Verfahrens festgelegt wird. Macht der Entschädigungskläger für bestimmte Zeiträume zu Unrecht einen Entschädigungsanspruch geltend, so ist sein Antrag insoweit abzuweisen und kann gemäß § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht mit anderen Zeiträumen verrechnet werden, für die er nach Auffassung des Gerichts eine geringere Entschädigung fordert, als ihm zusteht.
4. Maßgebend für die Höhe einer von dem gesetzlichen Regelsatz (§ 198 Abs. 2 S. 3 GVG) abweichenden Entschädigung sind gemäß § 198 Abs. 2 S. 4 GVG die Umstände des Einzelfalles. Auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für die aus der überlangen Verfahrensdauer erwachsenen immateriellen Nachteile festzusetzen, die sich aus dem höheren beziehungsweise niedrigeren Entschädigungssatz nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG, der sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln läßt, und der festgestellten Verzögerungsdauer ergibt.

BGH, Urteil vom 15. Dezember 2022 - III ZR 192/21 - OLG Braunschweig [4 EK 23/20]
AnwBl 2023, 241 = MDR 2023, 249 [344] = WM 2023, 236 = WuB 2023, 89 = FamRZ 2023, 462 [Ls] = FA 2023, 57 [Ls]

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Unerlaubte Handlungen; Krankenhaushaftung; Wirksamkeit der sofortigen Einwilligungserklärung des Patienten nach dem Aufklärungsgespräch ohne Abwarten einer Überlegungszeit.
BGB §§ 630d, 630e; ZPO § 304

1. In § 630e BGB sind die von dem Senat entwickelten Grundsätze zur Selbstbestimmungsaufklärung kodifiziert worden. Diese Grundsätze gelten inhaltlich unverändert fort.
2. § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB nimmt die bisherige Rechtsprechung auf, der zufolge der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muß, daß er durch hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise wahrnehmen kann. Die Bestimmung sieht keine vor der Einwilligung einzuhaltende »Sperrfrist« vor, deren Nichteinhaltung zu der Unwirksamkeit der Einwilligung führen würde; sie enthält kein Erfordernis, wonach zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen müßte.
3. Zu welchem konkreten Zeitpunkt ein Patient nach ordnungsgemäßer - insbesondere rechtzeitiger - Aufklärung seine Entscheidung über die Erteilung oder Versagung seiner Einwilligung trifft, ist seine Sache. Sieht er sich bereits nach dem Aufklärungsgespräch zu einer wohlüberlegten Entscheidung in der Lage, ist es sein gutes Recht, die Einwilligung sofort zu erteilen. Wünscht er dagegen noch eine Bedenkzeit, so kann von ihm grundsätzlich erwartet werden, daß er dies gegenüber dem Arzt zum Ausdruck bringt, und von der Erteilung einer - etwa im Anschluß an das Gespräch erbetenen - Einwilligung zunächst absieht. Eine andere Beurteilung ist - sofern medizinisch vertretbar - allerdings dann geboten, wenn für den Arzt erkennbare konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß der Patient noch Zeit für seine Entscheidung benötigt.
4. Die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff ist kein Rechtsgeschäft, sondern eine Gestattung oder Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen. Sie kann sich konkludent aus den Umständen und dem gesamten Verhalten des Patienten ergeben.

BGH, Urteil vom 20. Dezember 2022 - VI ZR 375/21 - OLG Bremen [5 U 63/20]
VersR 2023, 387 = GesR 2023, 157 = RuS 2023, 229 = RDG 2023, 91 = ZM 2023, Nr. 6, 22 = DÄ 2023, A 636 = FamRZ 2023, 488 [Ls]

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Entscheidungen Bundesgerichtshof 12/2022 - FD-Platzhalter-rund
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