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Entscheidungen Bundesgerichtshof 01/2022 - FD-Platzhalter-rund

Entscheidungen Bundesgerichtshof 01/2022


 



Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Verschulden des Prozeßbevollmächtigten bei Einlegung eines unstatthaften Rechtsbehelfs; Pflicht zu der rechtzeitigen Erteilung eines Hinweises an die Partei; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BGB § 280; ZPO §§ 85, 233, 234, 321a, 522, 575; GG Art. 103

1. Wird die Frist zu der Einlegung eines Rechtsmittels deshalb versäumt, weil der Prozeßbevollmächtigte der Partei zuvor einen unstatthaften Rechtsbehelf (hier: Anhörungsrüge) eingelegt hat, dann liegt hierin regelmäßig ein der Partei zuzurechnendes), einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehendes, Verschulden da von einem Rechtsanwalt erwartet wird, daß er das Rechtsmittelsystem der jeweiligen Verfahrensart kennt (Anschluß an Senatsurteil NJW 1992, 2413 unter I. 2. c); NZM 2016, 767 Tz. 5 f; NJW 2017, 1112 Tz. 12).
2. Das Gericht, bei dem der unstatthafte Rechtsbehelf eingeht, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, der Partei einen Hinweis so rechtzeitig zu erteilen, daß diese in die Lage versetzt wird, das eigentlich statthafte Rechtsmittel noch fristgerecht einzulegen (Anschluß an BVerfG NJW 2001, 1343; BGH NJW-RR 2004, 1364 unter II. 2. a); Beschluß vom 6. Mai 2009 - KZR 7/08 - juris Tz. 17, und Senat NJW 2016, 2042 Tz. 31).

BGH, Beschluß vom 11. Januar 2022 - VIII ZB 37/21 - LG Duisburg [13 S 139/20]
NJW-RR 2022, 346 = MDR 2022, 390 = IBR 2022, 211 = MDR 2022, 745 = ZAP EN-Nr. 163/2022 = MietPrax-AK § 233 ZPO Nr. 18 = NZM 2022, 727 = FamRZ 2022, 545 [Ls] = StE 2022, 105 [Ls] = ErbR 2022, 431 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 140 [Ls] = VRR 2022, Nr. 3, 2 [Ls]

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Verfahrensrecht; Klagerücknahme; Berücksichtigung materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche im Rahmen der Kostenentscheidung.
ZPO § 269

1. Die Vorschrift des § 269 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 Alt. 2 ZPO läßt die Berücksichtigung materiell-rechtlicher Kostenerstattungsansprüche - soweit diese nicht auf einer Einigung zwischen den Parteien über die Tragung der prozessualen Kostenlast (Vergleich oder Kostenverzicht) beruhen - nicht zu (Bestätigung Senatsurteil NJW 2011, 2368 Tz. 12; BGH NJW-RR 2005, 1662 unter II. 2. b), 2010, 1476 Tz. 10, jeweils mwN).
2. Ein weiter reichendes Verständnis dieser Vorschrift ist auch unter Beachtung der gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bestehenden Schranken für die nachfolgende Geltendmachung eines - der zuvor ergangenen prozessualen Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO entgegen gerichteten - materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs des (ehemaligen) Klägers gegen den (ehemaligen) Beklagten nicht geboten, denn eine prozessuale Kostenentscheidung läßt grundsätzlich noch Raum für die Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche auf Kostenerstattung, etwa aus Vertrag, wegen Verzugs oder aus unerlaubter Handlung (Bestätigung Senatsurteil NJW 2011, 2368 Tz. 10 mwN).

BGH, Beschluß vom 11. Januar 2022 - VIII ZB 44/21 - LG Mönchengladbach [4 T 57/21]
NJW 2022, 1393 = JurBüro 2022, 204 = MDR 2022, 525 [875] = WuM 2022, 237 [875] = ZfSch 2022, 340 = AGS 2022, 263 = MietPrax-AK § 269 ZPO Nr. 5 = FamRZ 2022, 721 [Ls] = ErbR 2022, 538 [Ls] = FA 2022, 121 [Ls] = ZAP EN-Nr. 500/2022 [Ls]

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Personenstandsrecht; Nachbeurkundung einer Auslandsgeburt; Anerkennung einer ausländischen Entscheidung zu der rechtlichen Elternstellung der Wunscheltern bei einer im Ausland durchgeführten Leihmutterschaft; Mußbeteiligte des gerichtlichen Personenstandsverfahrens; Eintragung lediglich biologischer oder genetischer Eltern in dem Geburtenregister.
FamFG §§ 7, 108, 109; PStG §§ 21, 36, 51

1. Zu der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung zur rechtlichen Elternstellung der Wunscheltern bei einer im Ausland (hier: Kalifornien) durchgeführten Leihmutterschaft im Rahmen der Nachbeurkundung einer Auslandsgeburt.
2. Als sogenannte Mußbeteiligte sind zu dem gerichtlichen Personenstandsverfahren nach § 51 Abs. 1 S. 1 PStG in Verbindung mit § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG die Personen hinzuzuziehen, die in dem Geburtenregister eingetragen werden sollen. Das können auch andere als die in der Geburtsanzeige oder im Beurkundungsantrag genannten Eltern sein, wenn deren Eintragung beabsichtigt ist. Sonstige Dritte, deren Eintragung nicht beabsichtigt ist (hier: die ausländische Leihmutter und deren Ehemann), sind nur dann zu dem Verfahren hinzuzuziehen, wenn sie eine rechtliche Elternstellung für sich in Anspruch nehmen (Anschluß an BGHZ 203, 350 = FamRZ 2015, 240 = FuR 2015, 227, und BGH FamRZ 2018, 1846 = FuR 2018, 667).
3. Die Eintragung lediglich biologischer oder genetischer Eltern in dem Geburtenregister ist nicht zulässig.
4. Weist eine ausländische Entscheidung (hier: des Superior Court of California, County of San Diego) in dem Falle der Leihmutterschaft die rechtliche Elternstellung den Wunsch- oder Bestelleltern zu, ergibt sich aus diesem Umstand für sich genommen jedenfalls dann noch kein Verstoß gegen den deutschen ordre public, wenn ein Wunschelternteil - im Unterschied zu der Leihmutter - mit dem Kind genetisch verwandt ist.

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 142/20 - Kammergericht [FamRZ 2020, 1495]
FamRZ 2022, 629 = NJW 2022, 2273 = NZFam 2022, 422 = FamRB 2022, 188 = StAZ 2022, 147 = MDR 2022, 502 = NJW-Spezial 2022, 261 = FF 2022, 174 [Ls] = ErbR 2022, 537 [Ls] = ZAP EN-Nr. 212/2022 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Pflicht des Beschwerdegerichts zur erneuten Anhörung des Betroffenen mangels ausreichender Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens.
FamFG §§ 68, 278, 288; GG Art. 103

1. Zu der Pflicht des Beschwerdegerichts, in einem Betreuungsverfahren die Anhörung des Betroffenen zu wiederholen, wenn diesem das Sachverständigengutachten vom Betreuungsgericht nicht ausreichend bekanntgegeben worden ist.
2. Das Beschwerdegericht darf von einer erneuten Anhörung des Betroffenen nicht gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG absehen, wenn das Betreuungsgericht das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin an den Betroffenen bekanntgegeben, und auch den Verfahrenspfleger nicht aufgefordert hat, das an ihn übersandte Gutachten mit dem Betroffenen zu besprechen.

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 370/21 - LG Hamburg [301 T 194/21]
MDR 2022, 720 = ErbR 2022, 656 [Ls]

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Hinweis
Das Beschwerdegericht darf von einer erneuten Anhörung des Betroffenen nicht gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG absehen, wenn das Betreuungsgericht das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin an den Betroffenen bekanntgegeben, und auch den Ver-fahrenspfleger nicht aufgefordert hat, das an ihn übersandte Gutachten mit dem Betroffenen zu besprechen.
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Familienvermögensrecht; Zugewinngemeinschaft; Zugewinnausgleich; Stufenantrags zum Zugewinnausgleich; Bemessung der Beschwer bei Abwehr der Verpflichtung zur Auskunfterteilung und Belegvorlage.
BGB § 1379; FamFG § 61

1. Belege, die ein Auskunftspflichtiger vorlegen soll, müssen in dem Titel bezeichnet, und daher jedenfalls in den Entscheidungsgründen konkretisiert werden (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 770 = FuR 2021, 378).
2. Hat die Auskunftsverpflichtung, gegen die sich der Rechtsmittelführer zur Wehr setzt, keinen vollstreckbaren Inhalt, erhöht sich die Beschwer um die mit der Abwehr einer insoweit ungerechtfertigten Zwangsvollstreckung verbundenen Kosten (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 770 = FuR 2021, 378).

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 418/21 - OLG Zweibrücken [6 UF 28/21]
FamRZ 2022, 649 = FuR 2022, 274 = NJW-RR 2022, 433 = FamRB 2022, 170 = MDR 2022, 454 = NZFam 2022, 314 = FF 2022, 173 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Sicherstellung der Teilnahme des Verfahrenspflegers an der Anhörung des Betroffenen.
FamFG §§ 276, 278, 294

Hält das Betreuungsgericht in einem Verfahren auf Aufhebung einer Betreuung die Bestellung eines Verfahrenspflegers für erforderlich, muß es grundsätzlich durch die rechtzeitige Bestellung des Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung von dem Anhörungstermin sicherstellen, daß dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2020, 1305 = FuR 2020, 593).

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 442/21 - LG Osnabrück [3 T 425/21]
FamRZ 2022, 982 = MDR 2022, 588 = BtPrax 2022, 111 [Ls] = Rpfleger 2022, 565 [Ls]

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Personenstandsrecht; Nachbeurkundung einer Auslandsgeburt; Anerkennung der Vaterschaft nach einer anderen als der zu der Feststellung der gesetzlichen Vaterschaft führenden Rechtsordnung; Beseitigung einer nicht der leiblichen Abstammung entsprechenden Vater-Kind-Zuordnung; Beurkundung eines von dem Antrag abweichenden Eintrags.
BGB § 1592; EGBGB Art. 4, Art. 19, Art. 20; PStG §§ 21, 36, 49

1. Führt eine der nach Art. 19 Abs. 1 EGBGB anwendbaren Rechtsordnungen zu der gesetzlichen Vaterschaft eines Mannes, so wird dadurch die Anwendung einer anderen Rechtsordnung auf eine erst später erklärte Anerkennung der Vaterschaft eines anderen Mannes regelmäßig ausgeschlossen (Anschluß an Senatsbeschluß BGHZ 215, 271 = FamRZ 2017, 1687 = FuR 2017, 610). Das gilt auch dann, wenn das die gesetzliche Vaterschaft ergebende Aufenthaltsstatut gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 EGBGB aufgrund eines erstmals nach der Geburt begründeten gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes anwendbar ist (Fortführung von Senatsbeschluß BGHZ 221, 300 = FamRZ 2019, 892 = FuR 2019, 416).
2. Verweist eine nach Art. 19 Abs. 1 EGBGB berufene Rechtsordnung auf ein anderes ausländisches Recht weiter, oder auf das deutsche Recht zurück, so bleibt diese Verweisung unbeachtlich, wenn sie zu dem Wegfall einer sich aus dem von Art. 19 Abs. 1 EGBGB zunächst berufenen Recht ergebenden Vaterschaft führt (Anschluß an Senatsbeschluß BGHZ 215, 271 = FamRZ 2017, 1687 = FuR 2017, 610).
3. Daß dadurch sogenannte hinkende Rechtsverhältnisse entstehen können, ist als Konsequenz der von dem Gesetz bewußt vorgesehenen Mehrfachanknüpfung hinzunehmen. Eine nicht der leiblichen Abstammung entsprechende Vater-Kind-Zuordnung kann nur im Wege der Anfechtung nach dem gemäß Art. 20 EGBGB anwendbaren Statut beseitigt werden (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2017, 1848 = FuR 2018, 37).
4. Steht die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes fest, ist die Auslandsgeburt nach § 36 PStG auch dann zu beurkunden, wenn der Eintrag gemäß § 21 PStG von dem Antrag auf Nachbeurkundung abweicht. Anderes gilt in dem gerichtlichen Verfahren für den Anweisungsantrag nach § 49 PStG, der für das Gericht bindend ist.

BGH, Beschluß vom 12. Januar 2022 - XII ZB 562/20 - Kammergericht [FamRZ 2021, 438]
FamRZ 2022, 624 = FuR 2022, 383 = NJW-RR 2022, 508 = NZFam 2022, 253 = FamRB 2022, 187 = StAZ 2022, 143 = JAmt 2022, 451 = IPRax 2023, 300 = MDR 2022, 706 = BWNotZ 2022, 141 = FF 2022, 175 [Ls] = ErbR 2022, 537 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; wiederholte Beschwerde; Zurückweisung der sofortigen Beschwerde aus sachlichen Gründen; Zulässigkeit ihrer Wiederholung.
ZPO §§ 567, 574, 793, 802g

Weist das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde aus sachlichen Gründen zurück, dann ist ihre Wiederholung auch während der noch laufenden Beschwerdefrist unzulässig.

BGH, Beschluß vom 13. Januar 2022 - I ZB 30/21 - LG Kiel [13 T 3/21]
NJW-RR 2022, 570 = MDR 2022, 659 = WM 2022, 520 = FamRZ 2022, 802 [Ls] = ErbR 2022, 539 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 188 [Ls] = WRP 2022, 651 [Ls]

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Familienvermögensrecht; Erbrecht; Anspruch auf Auszahlung eines Sparguthabens; Vorlage der Kraftloserklärung des Sparbuchs durch den Anspruchsteller als Indiz für eine infolge der Auszahlung des Sparguthabens erfolgte Entwertung oder Vernichtung des Sparbuchs.
BGB §§ 488, 700, 808; ZPO § 286; FamFG § 483

Legt der Anspruchsteller das Sparbuch nicht im Original, sondern nur einen Ausschließungsbeschluß vor, mit dem das Sparbuch für kraftlos erklärt worden ist, ist dies ein starkes Indiz für eine infolge der Auszahlung des Sparguthabens erfolgte Entwertung oder Vernichtung des Sparbuchs, unabhängig davon, ob das Kreditinstitut sich an dem Aufgebotsverfahren beteiligt hat oder nicht (Ergänzung zu Senat BGHZ 151, 47, 50 = NJW 2002, 2707).

BGH, Urteil vom 18. Januar 2022 - XI ZR 380/20 - OLG Dresden [MDR 2020, 1191]
BGHZ 232, 215 = NJW 2022, 1170 = NJW-Spezial 2022, 168 = ZIP 2022, 422 = MDR 2022, 447 = ZEV 2022, 294 = ErbR 2022, 590 = WM 2022, 376 = WuB 2022, 145 = BKR 2022, 449 = GWR 2023, 104 = FamRZ 2022, 996 [Ls] = BB 2022, 450 [Ls] = ZBB 2022, 138 [Ls] = EWiR 2022, 225 [Ls] = VuR 2022, 238 [Ls] = NLPrax 2022, 87 [Ls]

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OLG Dresden, Urteil vom 30.07.2020 - 8 U 1827/19 - MDR 2020, 1191
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Umgangsrecht; Umgang des Kindes mit den Eltern; Abänderung eines in einem Umgangsrechtsverfahren vereinbarten Wechselmodells.
BGB §§ 1684, 1696; FamFG §§ 76, 156; ZPO §§ 114 ff

Die Abänderung eines in einem Umgangsrechtsverfahren vereinbarten Wechselmodells kann nur in einem solchen Verfahren, und nicht in einem Sorgerechtsverfahren erreicht werden (Fortführung Senatsbeschlüsse BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 = FuR 2017, 253, und FamRZ 2020, 255 = FuR 2020, 166).

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZA 12/21 - OLG Dresden [21 UF 32/21 - FamRZ 2021, 691 = FuR 2021, 325]
FamRZ 2022, 601 = NJW 2022, 1533 = NZFam 2022, 406 = FF 2022, 207 = FamRB 2022, 180 = MDR 2022, 437 = ZKJ 2022, 184 = JR 2023, 81 = FF 2022, 175 [Ls] = ErbR 2022, 538 [Ls] = ZAP EN-Nr. 240/2022 [Ls]

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OLG Dresden, Beschluß vom 19.02.2021 - 21 UF 32/21 - FamRZ 2021, 691 = FuR 2021, 325
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Abstammungsrecht; Eltern-Kind-Verhältnis: Anspruch des adoptierten Kindes gegen seine leibliche Mutter auf Auskunft über die Person seines leiblichen Vaters; Vollstreckbarkeit eines Titels auf Auskunfterteilung.
BGB §§ 242, 275, 362, 1618a, 1755; FamFG § 111, 112, 120, 266; GG Art. 1, Art. 2

1. Anspruchsgrundlage für das Auskunftsverlangen eines Kindes gegen seine leibliche, nicht rechtliche Mutter über die Person seines leiblichen Vaters ist - trotz des von § 1755 Abs. 1 S. 1 BGB angeordneten Erlöschens des rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses aufgrund Adoption - § 1618a BGB.
2. Bei einem auf § 1618a BGB gestützten Auskunftsbegehren über die Person des leiblichen Vaters handelt es sich um eine sonstige Familiensache, und damit um eine Familienstreitsache.
3. Durch die Mitteilung der leiblichen Mutter, der mögliche Erzeuger oder dessen Name sei ihr nicht bekannt, wird der Auskunftsanspruch nicht erfüllt. Eine fehlende Kenntnis kann von der Mutter aber als eine den Anspruch ausschließende Unmöglichkeit geltend gemacht werden. Dazu gehört auch der Vortrag und erforderlichenfalls der Beweis, daß sie die ihr unter den Umständen des Einzelfalles zumutbaren Erkundigungen eingeholt hat (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2014, 1440 = FuR 2014, 588).
4. Ein auf Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters gerichteter Titel ist vollstreckbar; die Vollstreckung ist nicht durch § 120 Abs. 3 FamFG analog ausgeschlossen.

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZB 183/21 - OLG Stuttgart [17 UF 52/20]
BGHZ 232, 236 = FamRZ 2022, 633 = FuR 2022, 385 = NJW 2022, 1088 = NZFam 2022, 298 = FamRB 2022, 185 = MDR 2022, 371 = JAmt 2022, 209 = NJW-Spezial 2022, 292 = GesR 2022, 221 = JuS 2022, 546 = JA 2022, 692 = FF 2022, 128 [174] [Ls] = ErbR 2022, 537 [Ls]

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Hinweise
1. Das aus dem von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgten allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung gebietet es, § 1618a BGB als Anspruchsgrundlage für die Auskunft des Kindes gegen seine Mutter über die Identität des leiblichen Vaters auszulegen.
2. Dem steht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen, wonach sich ein Anspruch des Scheinvaters gegen die Kindesmutter auf Auskunft über die Identität des leiblichen Kindesvaters zu der Durchsetzung seines Regreßanspruchs nicht im Wege der Rechtsfortbildung aus § 242 BGB ableiten lasse (Abgrenzung zu BVerfG NJW 2015, 1506).
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Verfahrenskostenhilfe; Berücksichtigung des Unterhaltsfreibetrags für ein Kind bei dessen Betreuung im paritätischen Wechselmodell.
FamFG § 76; ZPO § 115

In dem Falle der Betreuung eines Kindes im paritätischen Wechselmodell sind von dem Einkommen eines um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Elternteils ein hälftiger Unterhaltsfreibetrag im Sinne von § 76 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 b) ZPO und der tatsächlich für das Kind gezahlte Barunterhalt abzusetzen.

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZB 276/21 - OLG Oldenburg [FamRZ 2021, 1393 = FuR 2021, 555]
FamRZ 2022, 639 = FuR 2022, 273 = NJW 2022, 1453 = FF 2022, 318 = NZFam 2022, 354 = MDR 2022, 385 = Rpfleger 2022, 469 = ZKJ 2022, 186 = JAmt 2022, 333 [Ls]

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Betreuungsrecht; Kosten und Gebühren; Vergütung des Berufsbetreuers; gewöhnlicher Aufenthalt des Betroffenen in einer stationären Einrichtungen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform.
VBVG § 5; SGB IX § 8

Ist im Rahmen des mit dem Betroffenen abgeschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrages nur der Bereich des Wohnens geregelt, und kann sich der Betroffene im Rahmen seines Wunsch- und Wahlrechts nach § 8 SGB IX selbst die für ihn darüber hinaus erforderlichen Eingliederungshilfeleistungen gegebenenfalls bei unterschiedlichen Trägern auswählen, dann fehlt es an einer einer stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform (Anschluß an Senatsbeschluß vom 16. Juni 2021 MDR 2021, 1157).

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZB 324/21 - LG Hannover [2 T 13/21]
FamRZ 2022, 654 = FuR 2022, 437 = JurBüro 2022, 266 = Rpfleger 2022, 249 = MDR 2022, 501 = RuP 2022, 169 = Grundeigentum 2022, 302 = DW 2022, 94 = BtPrax 2022, 73 [Ls]

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Verfahrensrecht; Ablehnung von Richtern und Sachverständigen; Richterablehnung in einer Betreuungssache; Verbindung eines auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung gestützten Ablehnungsgesuchs mit der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde.
FamFG § 6; ZPO § 44

Wird in einer Betreuungssache ein Ablehnungsgesuch, das allein auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung gestützt ist, mit der Einlegung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde verbunden, ist dieses unverzüglich im Sinne von § 6 Abs. 1 FamFG in Verbindung mit § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO angebracht.

BGH, Beschluß vom 19. Januar 2022 - XII ZB 357/21 - LG Darmstadt [5 T 696/20]
FamRZ 2022, 644 = FuR 2022, 272 = NJW-RR 2022, 429 = MDR 2022, 719 = ErbR 2022, 395 = BtPrax 2022, 107 = FGPrax 2022, 124 = FF 2022, 175 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde: Versehentliche Änderung der Entscheidung über die Revisionszulassung in den zur Zustellung an die Prozeßbeteiligten dienenden Urteilsabschriften; Fristbeginn bei Berichtigung der Entscheidung des Berufungsgerichts in eine Nichtzulassung; Zustellung der berichtigten Abschrift an den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten; Erkundigungspflicht des bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts nach Revisionseinlegung bei Zweifeln an einer Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht.
BGB § 280; ZPO §§ 85, 87, 172, 233, 543

1. Hat das Berufungsgericht die Zulassung der Revision in der Urschrift seiner Entscheidung ausdrücklich abgelehnt, kann diese Entscheidung durch Fehler bei der anschließenden Erstellung der zu der Zustellung an die Prozeßbeteiligten dienenden Ausfertigungen oder Abschriften durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (hier: Abschrift eines Urteils, in dem die Revision ausdrücklich zugelassen worden ist) nicht inhaltlich abgeändert werden; maßgeblich ist allein die richterliche Entscheidung (Anschluß an BGH NJW-RR 2016, 1463 zur Rechtsbeschwerde).
2. Wird die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Zulassung der Revision nachträglich in eine Nichtzulassung berichtigt, dann läuft die Frist zu der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde erst ab der Zustellung des Berichtigungsbeschlusses (Anschluß an BGH NJW-RR 2004, 712 unter II. 1.) beziehungsweise der entsprechend berichtigten Abschrift des Berufungsurteils.
3. Die Zustellung einer berichtigten Abschrift des Berufungsurteils hat auch dann gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO an den für den Berufungsrechtszug bestellten Prozeßbevollmächtigten der Partei zu erfolgen, wenn für die Partei bereits ein bei dem Bundesgerichtshof zugelassener Rechtsanwalt Revision eingelegt hat.
4. Wird der bei dem Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwalt der Partei nach Einlegung der Revision von dem Revisionsgericht darüber in Kenntnis gesetzt, daß die diesem vorliegenden Urteilsabschriften unterschiedliche Aussprüche zu der Zulassung der Revision enthalten, nach Aktenlage somit Zweifel an einer Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht bestehen, und deshalb die Verfahrensakten zu der weiteren Veranlassung an das Berufungsgericht zurückgegeben werden, entspricht es nicht der nach den Umständen gebotenen anwaltlichen Sorgfalt, über einen Zeitraum von mehreren Monaten weitere Mitteilungen abzuwarten; vielmehr hat sich der Rechtsanwalt in einem solchen Fall bei dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, zu dem die Partei aufgrund der bekannten Mandatsniederlegung keinen Kontakt hat, bei dem Berufungsgericht oder bei dem Revisionsgericht über etwaige für die weitere Prozeßführung bedeutsame Maßnahmen des Berufungsgerichts, wie die Zustellung einer berichtigten Urteilsabschrift oder eines Berichtigungsbeschlusses, zu erkundigen.

BGH, Beschluß vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 233/20 - OLG Naumburg [1 U 12/19]
NJW-RR 2022, 709 = MDR 2022, 848 = FamRZ 2022, 710 [Ls] = ErbR 2022, 539 [Ls] = FA 2022, 119 [Ls] = MittdtschPatAnw 2022, 188 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Versäumung der Anschlußberufungsfrist; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
ZPO §§ 233 ff, 524; GG Art. 2, Art. 3, Art. 20, Art. 103

1. In die versäumte Frist zu der Einlegung der Anschlußberufung gemäß § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in analoger Anwendung der §§ 233 ff. ZPO nicht in Betracht, da sich nicht feststellen läßt, daß die fehlende Erwähnung der Frist zu der Einlegung der Anschlußberufung in der Vorschrift des § 233 S. 1 ZPO auf einer planwidrigen Regelungslücke beruht.
2. Weder der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleiteten Anspruch der Partei auf wirkungsvollen Rechtsschutz, noch das von Art. 103 Abs. 1 GG garantierte Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs erfordern bei Versäumung der Frist zu der Einlegung der Anschlußberufung eine generelle Ausdehnung des von dem Gesetzgeber nur beschränkt eröffneten Anwendungsbereichs der Vorschriften der Zivilprozeßordnung zu der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Gebot der prozessualen Waffengleichheit für beide Parteien.

BGH, Beschluß vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 359/20 - OLG München [29 U 5407/19]
BGHZ 232, 284 = FamRZ 2022, 969 = NJW 2022, 1620 = MDR 2022, 717 = ErbR 2022, 492 = IBR 2022, 330 = WM 2023, 484 = JZ 2022, 732 [Ls] = FA 2022, 121 [Ls]

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Personenstandsrecht; Eintragung in das Geburtenregister; einzutragender Vorname des gebärenden Elternteils bei Geburt durch einen Frau-zu-Mann-Transsexuellen im Fall der bloßen Vornamensänderung.
TSG § 5; PStG § 21; GG Art. 1, Art. 2

Zu den in dem Geburtenregister einzutragenden Vornamen des gebärenden Elternteils bei Geburt durch einen Frau-zu-Mann-Transsexuellen in dem Falle der bloßen Vornamensänderung des gebärenden Elternteils, und zu der Elternbezeichnung in der Geburtsurkunde in diesem Fall (Anschluß an Senatsbeschluß BGHZ 215, 318 = FamRZ 2017, 1855 = FuR 2017, 670).

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 127/19 - Kammergericht [FamRZ 2019, 1177]
FamRZ 2022, 701 = FuR 2022, 283 = NJW 2022, 1531 = StAZ 2022, 103 = NZFam 2022, 471 = MDR 2022, 643 = FF 2022, 174 [Ls] = ErbR 2022, 538 [Ls]

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Hinweise
1. Auf einen Frau-zu-Mann-Transsexuellen, der keinen rechtlichen Geschlechtswechsel vollzogen hat, sondern lediglich seinen Vornamen hat ändern lassen, ist in dem Geburtseintrag seines Kindes und in den aus dem Geburtenregister erstellten Geburtsurkunden - sofern dort Angaben zu den Eltern aufzunehmen sind - § 5 Abs. 3 TSG unmittelbar anwendbar, so daß der gebärende Elternteil dort als »Mutter« und mit seinem früher geführten weiblichen Vornamen einzutragen ist.
2. Der transsexuelle Elternteil wird durch den Inhalt der von dem Gesetz angeordneten Registereintragung nicht in seinen Grundrechten verletzt, insbesondere nicht in seinem Recht auf in-formationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, denn insoweit überwiegen die schützenswerten Interessen an der Vollständigkeit und Richtigkeit der mit besonderer Beweisfunktion versehenen Eintragungen in die Personenstandsregister das Interesse, sich nicht der Gefahr einer Aufdeckung der Transsexualität auszusetzen.
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Versorgungsausgleich; Berechnung des Ehezeitanteils in der gesetzlichen Rentenversicherung im Falle eines Besitzschutzes nach § 88 Abs. 1 S. 2 SGB VI.
VersAusglG §§ 39, 41; SGB VI § 88

Im Falle eines Besitzschutzes nach § 88 Abs. 1 S. 2 SGB VI ist der Ehezeitanteil aus der tatsächlich gezahlten höheren Rente zu errechnen (Fortführung der Senatsbeschlüsse FamRZ 1982, 33 = BGHF 2, 826; 1984, 673 = EzFamR BGB § 1587a Nr. 10 = BGHF 4, 288, und FamRZ 1997, 160).

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 175/21 - OLG Schleswig [FamRZ 2022, 177]
FamRZ 2022, 686 = FuR 2022, 321 = NJW 2022, 2118 = NZFam 2022, 558 = FamRB 2022, 176 = MDR 2022, 767 = BetrAV 2022, 214 = FF 2022, 173 [Ls] = RNotZ 2022, 419 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Einwurfs einer Rechtsmittelbegründungsschrift in einen Postkasten; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BGB § 280; FamFG §§ 113, 117; ZPO §§ 85, 233, 236, 294

1. Zu der im Rahmen eines Wiedereinsetzungsgesuchs mittels anwaltlicher Versicherung erfolgten Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Einwurfs einer Rechtsmittelbegründungsschrift durch den Verfahrensbevollmächtigten in einen Postkasten (Anschluß an Senatsbeschlüsse FamRZ 2020, 618 = FuR 2020, 242; 2021, 619 = FuR 2021, 213).
2. Grundsätzlich ist von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung auszugehen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten.
3. Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung in einem Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, dann muß es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten; zudem ist dann die Prüfung veranlaßt, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt.
4. Ist das der Fall, dann bedeutet die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Zeugen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung.

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 227/21 - OLG Thüringen [4 UF 454/20]
FamRZ 2022, 647 = FuR 2022, 275 = FF 2022, 161 = MDR 2022, 517 = IBR 2022, 219 = ErbR 2022, 430 [Ls] = FA 2022, 88 [Ls]

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Hinweis
Grundsätzlich ist von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung auszugehen. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte es ausschließen, den geschilderten Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als zutreffend zu erachten. Schenkt das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung in dem Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, muß es den die Wiedereinsetzung Begehrenden darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Zudem ist dann die Prüfung veranlaßt, ob nicht bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Verfahrensbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liegt. Ist das der Fall, bedeutet die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Zeugen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung.
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Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Vollstreckung eines ausländischen Unterhaltstitels; Voraussetzungen des Anerkennungshindernisses der nicht ordnungsgemäßen Benachrichtigung von dem Verfahren bei nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates formal ordnungsgemäßer fiktiver Zustellung.
HUÜ Art. 22, Art. 23; AUG §§ 1, 40

1. Zu den Voraussetzungen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e) Nr. i des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 [HUÜ 2007] in dem Falle einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates erfolgten fiktiven Zustellung der Benachrichtigung von dem Unterhaltsverfahren (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1647 = FuR 2021, 671).
2. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e Nr. i HUÜ ist nicht auf die nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates formal ordnungsgemäße Zustellung der Benachrichtigung von dem Verfahren, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Antragsgegner Kenntnis von dem laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat, und deswegen seine Rechte geltend machen konnte.
3. Auch wenn eine fiktive Zustellung vielfach auf eine Fiktion der Kenntnisnahme hinausläuft, stellt sie kein generelles Anerkennungshindernis dar, denn auch in dem grenzüberschreitenden Rechtsverkehr soll nicht derjenige Antragsgegner begünstigt werden, der sich der Rechtsprechung in dem Ursprungsstaat durch Aufenthalt an einem unbekannten Ort entzieht. Daher ist in einem späteren Verfahren der Vollstreckbarerklärung im Wege einer Abwägung der schützenswerten Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners zu beurteilen, ob sich der Antragsgegner auf die seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränkende Ineffizienz der fiktiven Zustellung berufen kann.
4. Im Rahmen dieser Abwägung ist auf Seiten des Antragsgegners zu berücksichtigen, ob er die Veranlassung einer fiktiven Zustellung an ihn zu vertreten hat. Eine Anerkennung trotz fiktiver Zustellung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn er sich einer andersartigen Zustellung mutwillig entzogen, oder auf andere Weise seine Unkenntnis von dem Verfahren verschuldet hat. Im Einzelfall kann jedoch ein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers den Verursachungsbeitrag des Antragsgegners aufwiegen, und das Interesse des Antragstellers an wirksamer grenzüberschreitender Unterhaltsvollstreckung hinter das Interesse des Antragsgegners an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte zurücktreten lassen.
5. Hat sich das Gericht des Ursprungsstaates bei Ausspruch der Ehescheidung die endgültige Festsetzung des Unterhalts einschließlich des Rückstandes zu einem späteren Zeitpunkt vorbehalten, dann ist für den Antragsgegner zwar erkennbar, daß das Unterhaltsverfahren vor dem Gericht zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden kann; jedoch kann auch dann, wenn er es unterlassen hat, dem Gericht seine aktuelle Wohnanschrift mitzuteilen, obwohl er hierzu nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates verpflichtet ist, nicht festgestellt werden, daß er sich durch das Unterlassen einer solchen Mitteilung dem mehr als sieben Jahre später eingeleiteten Unterhaltsverfahren mutwillig entzogen hat, insbesondere dann, wenn der Antragsteller dem Gericht die ihm bekannte Anschrift des Antragsgegners hätte mitteilen, und so dessen Beteiligung hätte ermöglichen können.

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 280/20 - OLG Frankfurt [8 UF 280/19]
FamRZ 2022, 716 = FuR 2022, 276 = NJW-RR 2022, 868 = FamRB 2022, 174 = MDR 2022, 394 = NJW 2022, 2553 [Ls]

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Hinweise
1. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Anerkennungshindernisses nach Art. 22 Buchst. e Nr. i des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 [HUÜ 2007]) ist nicht auf die nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates formal ordnungsgemäße Zustellung der Benachrichtigung von dem Verfahren, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Antragsgegner Kenntnis von dem laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat, und deswegen seine Rechte geltend machen konnte.
2. Auch wenn eine fiktive Zustellung vielfach auf eine Fiktion der Kenntnisnahme hinausläuft, stellt sie kein generelles Anerkennungshindernis dar, denn auch in dem grenzüberschreitenden Rechtsverkehr soll nicht derjenige Antragsgegner begünstigt werden, der sich der Rechtsprechung in dem Ursprungsstaat durch Aufenthalt an einem unbekannten Ort entzieht. Daher ist in einem späteren Verfahren der Vollstreckbarerklärung im Wege einer Abwägung der schützenswerten Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners zu beurteilen, ob sich der Antragsgegner auf die seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränkende Ineffizienz der fiktiven Zustellung berufen kann.
3. Im Rahmen dieser Abwägung ist auf Seiten des Antragsgegners zu berücksichtigen, ob er die Veranlassung einer fiktiven Zustellung an ihn zu vertreten hat. Eine Anerkennung trotz fiktiver Zustellung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn er sich einer andersartigen Zustellung mutwillig entzogen, oder auf andere Weise seine Unkenntnis von dem Verfahren verschuldet hat. Im Einzelfall kann jedoch ein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers den Verursachungsbeitrag des Antragsgegners aufwiegen, und das Interesse des Antragstellers an wirksamer grenzüberschreitender Unterhaltsvollstreckung hinter das Interesse des Antragsgegners an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte zurücktreten lassen.
4. Hat sich das Gericht des Ursprungsstaates bei Ausspruch der Ehescheidung die endgültige Festsetzung des Unterhalts einschließlich des Rückstandes zu einem späteren Zeitpunkt vorbehalten, ist für den Antragsgegner zwar erkennbar, daß das Unterhaltsverfahren vor dem Gericht zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden kann; jedoch kann auch dann, wenn er es unterlassen hat, dem Gericht seine aktuelle Wohnanschrift mitzuteilen, obwohl er hierzu nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates (hier: Florida) verpflichtet ist, nicht festgestellt werden, daß er sich durch das Unterlassen einer solchen Mitteilung dem mehr als sieben Jahre später eingeleiteten Unterhaltsverfahren mutwillig entzogen hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Antragsteller dem Gericht die ihm bekannte Anschrift des Antragsgegners hätte mitteilen, und so dessen Beteiligung hätte ermöglichen können.
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Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Vollstreckung eines ausländischen Unterhaltstitels; Voraussetzungen des Anerkennungshindernisses der nicht ordnungsgemäßen Benachrichtigung von dem Verfahren bei nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates formal ordnungsgemäßer fiktiver Zustellung.
HUÜ Art. 22, Art. 23; AUG 2011 §§ 1, 40

1. Zu den Voraussetzungen des Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e) Nr. i des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 [HUÜ 2007]) in dem Falle einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates erfolgten fiktiven Zustellung der Benachrichtigung von dem Unterhaltsverfahren (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1647 = FuR 2021, 671).
2. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e) Nr. i HUÜ ist nicht auf die nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaats formal ordnungsgemäße Zustellung der Benachrichtigung von dem Verfahren, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Antragsgegner Kenntnis von dem laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat, und deswegen seine Rechte geltend machen konnte.
3. Auch wenn eine fiktive Zustellung vielfach auf eine Fiktion der Kenntnisnahme hinausläuft, stellt sie kein generelles Anerkennungshindernis dar, denn auch in dem grenzüberschreitenden Rechtsverkehr soll nicht derjenige Antragsgegner begünstigt werden, der sich der Rechtsprechung in dem Ursprungsstaat durch Aufenthalt an einem unbekannten Ort entzieht. Daher ist in einem späteren Verfahren der Vollstreckbarerklärung im Wege einer Abwägung der schützenswerten Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners zu beurteilen, ob sich der Antragsgegner auf die seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränkende Ineffizienz der fiktiven Zustellung berufen kann.
4. Im Rahmen dieser Abwägung ist auf Seiten des Antragsgegners zu berücksichtigen, ob er die Veranlassung einer fiktiven Zustellung an ihn zu vertreten hat. Eine Anerkennung trotz fiktiver Zustellung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn er sich einer andersartigen Zustellung mutwillig entzogen oder auf andere Weise seine Unkenntnis vom Verfahren verschuldet hat. Im Einzelfall kann jedoch ein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers den Verursachungsbeitrag des Antragsgegners aufwiegen, und das Interesse des Antragstellers an wirksamer grenzüberschreitender Unterhaltsvollstreckung hinter das Interesse des Antragsgegners an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte zurücktreten lassen.
5. Hat sich das Gericht des Ursprungsstaates bei Ausspruch der Ehescheidung die endgültige Festsetzung des Unterhalts einschließlich des Rückstandes zu einem späteren Zeitpunkt vorbehalten, dann ist für den Antragsgegner zwar erkennbar, daß das Unterhaltsverfahren vor dem Gericht zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden kann; jedoch kann auch dann, wenn er es unterlassen hat, dem Gericht seine aktuelle Wohnanschrift mitzuteilen, obwohl er hierzu nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates verpflichtet ist, nicht festgestellt werden, daß er sich durch das Unterlassen einer solchen Mitteilung dem mehr als drei Jahre später eingeleiteten Unterhaltsverfahren mutwillig entzogen hat, insbesondere dann, wenn der Antragsteller dem Gericht die ihm bekannte Anschrift des Antragsgegners hätte mitteilen, und so dessen Beteiligung hätte ermöglichen können.

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 305/19 - OLG Frankfurt [5 UF 224/17]
FamRZ 2022, 712 = FamRB 2022, 174 = JAmt 2022, 333 = FF 2022, 175 [Ls]

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Hinweise
1. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Anerkennungshindernisses nach Art. 22 Buchst. e Nr. i des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 [HUÜ 2007]) ist nicht auf die nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates formal ordnungsgemäße Zustellung der Benachrichtigung von dem Verfahren, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Antragsgegner Kenntnis von dem laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat, und deswegen seine Rechte geltend machen konnte.
2. Auch wenn eine fiktive Zustellung vielfach auf eine Fiktion der Kenntnisnahme hinausläuft, stellt sie kein generelles Anerkennungshindernis dar, denn auch in dem grenzüberschreitenden Rechtsverkehr soll nicht derjenige Antragsgegner begünstigt werden, der sich der Rechtsprechung in dem Ursprungsstaat durch Aufenthalt an einem unbekannten Ort entzieht. Daher ist in einem späteren Verfahren der Vollstreckbarerklärung im Wege einer Abwägung der schützenswerten Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners zu beurteilen, ob sich der Antragsgegner auf die seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränkende Ineffizienz der fiktiven Zustellung berufen kann.
3. Im Rahmen dieser Abwägung ist auf Seiten des Antragsgegners zu berücksichtigen, ob er die Veranlassung einer fiktiven Zustellung an ihn zu vertreten hat. Eine Anerkennung trotz fiktiver Zustellung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn er sich einer andersartigen Zustellung mutwillig entzogen oder auf andere Weise seine Unkenntnis vom Verfahren verschuldet hat. Im Einzelfall kann jedoch ein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers den Verursachungsbeitrag des Antragsgegners aufwiegen, und das Interesse des Antragstellers an wirksamer grenzüberschreitender Unterhaltsvollstreckung hinter das Interesse des Antragsgegners an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte zurücktreten lassen.
4. Hat sich das Gericht des Ursprungsstaates bei Ausspruch der Ehescheidung die endgültige Festsetzung des Unterhalts einschließlich des Rückstandes zu einem späteren Zeitpunkt vorbehalten, ist für den Antragsgegner zwar erkennbar, daß das Unterhaltsverfahren vor dem Gericht zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden kann; jedoch kann auch dann, wenn er es unterlassen hat, dem Gericht seine aktuelle Wohnanschrift mitzuteilen, obwohl er hierzu nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates (hier: Florida) verpflichtet ist, nicht festgestellt werden, daß er sich durch das Unterlassen einer solchen Mitteilung dem mehr als drei Jahre später eingeleiteten Unterhaltsverfahren mutwillig entzogen hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Antragsteller dem Gericht die ihm bekannte Anschrift des Antragsgegners hätte mitteilen, und so dessen Beteiligung hätte ermöglichen können.
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Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Vollstreckung eines ausländischen Unterhaltstitels; Voraussetzungen des Anerkennungshindernisses im Falle einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates erfolgten fiktiven Zustellung der Benachrichtigung von dem Unterhaltsverfahren.
HUÜ Art. 22, Art. 23

Zu den Voraussetzungen des (hier bejahten) Anerkennungshindernisses nach Art. 22 e) Nr. i des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 [HUÜ 2007]) in dem Falle einer nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates erfolgten fiktiven Zustellung der Benachrichtigung von dem Unterhaltsverfahren (im Anschluß an den Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1647 = FuR 2021, 671).

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 306/19 - OLG Frankfurt [5 UF 227/17]
FamRB 2022, 174

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Hinweise
1. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Anerkennungshindernisses nach Art. 22 Buchst. e Nr. i des Haager Übereinkommens über die internationale Geltendmachung der Unterhaltsansprüche von Kindern und anderen Familienangehörigen vom 23. November 2007 (Haager Unterhaltsübereinkommen 2007 [HUÜ 2007]) ist nicht auf die nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates formal ordnungsgemäße Zustellung der Benachrichtigung von dem Verfahren, sondern auf die tatsächliche Wahrung der Verteidigungsrechte abzustellen. Diese gelten als gewahrt, wenn der Antragsgegner Kenntnis von dem laufenden Gerichtsverfahren erlangt hat, und des-wegen seine Rechte geltend machen konnte.
2. Auch wenn eine fiktive Zustellung vielfach auf eine Fiktion der Kenntnisnahme hinausläuft, stellt sie kein generelles Anerkennungshindernis dar, denn auch in dem grenzüberschreitenden Rechtsverkehr soll nicht derjenige Antragsgegner begünstigt werden, der sich der Rechtsprechung in dem Ursprungsstaat durch Aufenthalt an einem unbekannten Ort entzieht. Daher ist in einem späteren Verfahren der Vollstreckbarerklärung im Wege einer Abwägung der schützenswerten Interessen des Antragstellers und des Antragsgegners zu beurteilen, ob sich der An-tragsgegner auf die seine Verteidigungsmöglichkeiten beschränkende Ineffizienz der fiktiven Zustellung berufen kann.
3. Im Rahmen dieser Abwägung ist auf Seiten des Antragsgegners zu berücksichtigen, ob er die Veranlassung einer fiktiven Zustellung an ihn zu vertreten hat. Eine Anerkennung trotz fiktiver Zustellung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn er sich einer andersartigen Zustellung mutwillig entzogen oder auf andere Weise seine Unkenntnis vom Verfahren verschuldet hat. Im Einzelfall kann jedoch ein vorwerfbares Verhalten des Antragstellers den Verursachungsbeitrag des Antragsgegners aufwiegen, und das Interesse des Antragstellers an wirksamer grenzüberschreitender Unterhaltsvollstreckung hinter das Interesse des Antragsgegners an der Wahrung seiner Verteidigungsrechte zurücktreten lassen.
4. Hat sich das Gericht des Ursprungsstaates bei Ausspruch der Ehescheidung die endgültige Festsetzung des Unterhalts einschließlich des Rückstandes zu einem späteren Zeitpunkt vorbe-halten, ist für den Antragsgegner zwar erkennbar, daß das Unterhaltsverfahren vor dem Gericht zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden kann; jedoch kann auch dann, wenn er es unterlassen hat, dem Gericht seine aktuelle Wohnanschrift mitzuteilen, obwohl er hierzu nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsstaates (hier: Florida) verpflichtet ist, nicht festgestellt werden, daß er sich durch das Unterlassen einer solchen Mitteilung dem mehr als drei Jahre später eingeleiteten Unterhaltsverfahren mutwillig entzogen hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Antragsteller dem Gericht die ihm bekannte Anschrift des Antragsgegners hätte mitteilen, und so dessen Beteiligung hätte ermöglichen können.
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Unterbringungsrecht; Unterbringungsverfahren; Verletzung rechtlichen Gehörs durch kurzfristige Bekanntgabe eines für die Entscheidung maßgeblichen Gutachtens; Heilung im Beschwerdeverfahren.
FamFG §§ 37, 62, 68, 319, 325; GG Art. 103

1. Wurde in einer durch Zeitablauf erledigten Unterbringungssache das für die Entscheidung maßgebliche Gutachten dem Betroffenen nicht rechtzeitig vor seiner Anhörung bekannt gegeben, dann liegt eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör vor (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1742).
2. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs kann nicht durch erneute Anhörung in dem Abhilfeverfahren geheilt werden, sondern nur dadurch, daß das Beschwerdegericht eine eigene Anhörung durchführt (Anschluß an Senatsbeschluß FamRZ 2022, 135 = FuR 2022, 50).

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - XII ZB 439/21 - LG Hamburg [301 T 369/20]
FamRZ 2022, 729 = FuR 2022, 272 = NZFam 2022, 426 = MDR 2022, 587 = BtPrax 2022, 111 [Ls] = FGPrax 2022, 168 [Ls]

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Strafprozeßrecht; Nebenklage; Wirksamkeit der Anschlußerklärung eines Minderjährigen; Erfordernis der Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils und deren Nachweis.
BGB § 167; StPO §§ 395, 396, 401

1. Ein wirksamer Anschluß als Nebenkläger setzt bei einem Minderjährigen die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters voraus.
2. Die Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils zu der Anschlußerklärung unterliegt, ebenso wie die Vollmacht selbst (§ 167 Abs. 2 BGB) keinem Formerfordernis.
3. Ein Nachweis der Zustimmung des Sorgeberechtigten ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Nachweise können, soweit das Gericht sie im Einzelfall für notwendig erachtet, nachgereicht werden.

BGH, Beschluß vom 26. Januar 2022 - 3 StR 465/21 - LG Osnabrück [6 Ks 4/21]
NStZ-RR 2022, 123 = StV-S 2022, 155 [Ls]

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Strafrecht; sexueller Mißbrauch von Schutzbefohlenen; Anforderungen an die Individualisierung einzelner Taten einer Tatserie; rechtliche Abkömmlinge eines Mannes.
BGB §§ 1592, 1754; StGB §§ 174, 177

1. Bei der Aburteilung in Serie begangener sexueller Mißbrauchshandlungen dürfen zu der Vermeidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken an die Individualisierung der einzelnen Taten in der Entscheidung keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden, da eine Konkretisierung der jeweiligen Straftaten nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensablauf oft nicht möglich ist.
2. Das Tatgericht muß sich aber in objektiv nachvollziehbarer Weise zumindest die Überzeugung verschaffen, daß es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist. Entscheidend dabei ist nicht, daß eine - möglicherweise auf nicht völlig sicherer Grundlage hochgerechnete - Gesamtzahl festgestellt wird, sondern daß das Gericht von jeder einzelnen individuellen Straftat, die es aburteilt, überzeugt ist.
3. Ist eine Individualisierung einzelner Taten mangels Besonderheiten in dem Tatbild oder der Tatumstände nicht möglich, dann sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer das Tatgericht den Tatzeitraum eingrenzt, und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Mißbrauchstaten des Angeklagten in diesem Zeitraum gründet.
4. Im Sinne von § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind rechtliche Abkömmlinge eines Mannes adoptierte Kinder, die nach § 1754 BGB die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden erlangen, oder Kinder, die nach § 1592 Nr. 1 bis 3 BGB rechtlich einem Mann zugeordnet werden, ohne von diesem abzustammen.

BGH, Urteil vom 27. Januar 2022 - 3 StR 74/21 - LG Duisburg [32 KLs 22/18]
NStZ-RR 2022, 145

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Hinweise
1. Bei der Aburteilung in Serie begangener sexueller Mißbrauchshandlungen dürfen zu der Vermeidung unvertretbarer Strafbarkeitslücken an die Individualisierung der einzelnen Taten in dem Urteil keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden, da eine Konkretisierung der jeweiligen Straftaten nach genauer Tatzeit und exaktem Geschehensablauf oft nicht möglich ist.
2. Das Tatgericht muß sich aber in objektiv nachvollziehbarer Weise zumindest die Überzeugung verschaffen, daß es in einem gewissen Zeitraum zu einer bestimmten Mindestzahl von Straftaten gekommen ist. Entscheidend dabei ist nicht, daß eine - möglicherweise auf nicht völlig sicherer Grundlage hochgerechnete - Gesamtzahl festgestellt wird, sondern daß das Gericht von jeder einzelnen individuellen Straftat, die es aburteilt, überzeugt ist.
3. Ist eine Individualisierung einzelner Taten mangels Besonderheiten in dem Tatbild oder der Tatumstände nicht möglich, sind zumindest die Anknüpfungspunkte zu bezeichnen, anhand derer das Tatgericht den Tatzeitraum eingrenzt, und auf die sich seine Überzeugung von der Mindestzahl und der Begehungsweise der Mißbrauchstaten des Angeklagten in diesem Zeitraum gründet.
4. Im Sinne von § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB sind rechtliche Abkömmlinge eines Mannes adoptierte Kinder, die nach § 1754 BGB die rechtliche Stellung eines Kindes des Annehmenden erlangen, oder Kinder, die nach § 1592 Nr. 1 bis 3 BGB rechtlich einem Mann zugeordnet werden, ohne von diesem abzustammen.
Entscheidungen Bundesgerichtshof 01/2022 - FD-Platzhalter-rund
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