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Rechtsprechung Bundesgerichtshof 09/2021 - FD-Platzhalter-rund

Rechtsprechung Bundesgerichtshof 09/2021


 



Erbrecht; Nachlaßsache; Antrag auf Angabe des Berufungsgrundes im Erbschein bei mehreren Testamenten.
BGB § 2353; FamFG § 352

In dem Erbschein ist der Berufungsgrund grundsätzlich auch dann nicht anzugeben, wenn dies beantragt ist.

BGH, Beschluß vom 8. September 2021 - IV ZB 17/20 - OLG Hamburg [2 W 83/19]
FamRZ 2022, 62 = FuR 2022, 109 = NJW 2021, 3727 = FamRB 2022, 31 = MDR 2021, 1538 = Rpfleger 2022, 76 = FGPrax 2021, 275 = ZEV 2022, 39 = ZErb 2022, 11 = JuS 2022, 171 = ZNotP 2022, 28 = DNotZ 2022, 147 = ErbR 2022, 131 = ZNotP 2022, 56 = DNotI-Report 2021, 174 = RNotZ 2022, 53 [Ls]


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Kosten und Gebühren; Kostenfestsetzung; Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts am dritten Ort; Umfang der zu erstattenden fiktiven Reisekosten im Falle der notwendigen Einschaltung eines auswärtigen Rechtsanwalts.
ZPO § 91

1. Zu der Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines nicht an dem Prozeßort und auch nicht an dem Sitz der Partei ansässigen Prozeßbevollmächtigten.
2. War die Hinzuziehung des Prozeßbevollmächtigten einer Partei im Sinne von § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO notwendig, dann können die zu erstattenden Kosten bei der Vertretung der Partei vor dem Gericht an ihrem Sitz nicht auf die fiktiven (Reise-)Kosten eines Rechtsanwalts begrenzt werden, dessen Kanzleisitz an dem von dem Gericht am weitesten entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks liegt. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO verlangt in dem Falle der notwendigen Einschaltung eines auswärtigen Rechtsanwalts regelmäßig keine zusätzliche Prüfung, ob in dem konkreten Einzelfall auch die Wahrnehmung des Verhandlungstermins gerade durch diesen Rechtsanwalt unbedingt erforderlich war, oder auch durch einen in dem Gerichtsbezirk ansässigen Rechtsanwalt hätte erfolgen können (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 25. Oktober 2011 - VIII ZB 93/10 - NJW-RR 2012, 695 Tz.16).

BGH, Beschluß vom 14. September 2021 - VIII ZB 85/20 - OLG München [11 W 1187/20]
NJW 2021, 3663 = JurBüro 2021, 583 = AnwBl 2021, 687 = MDR 2021, 1486 [2022, 82] = ZfSch 2021, 700 = Rpfleger 2022, 43 = IBR 2021, 666 = FamRZ 2021, 1995 [Ls] = ErbR 2022, 101 [Ls]


Hinweis
Die Hinzuziehung eines nicht an dem Prozeßort und auch nicht an dem Sitz der Partei ansässigen Prozeßbevollmächtigten kann als notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO bewertet werden, wenn die beklagte Partei eine Vielzahl ähnlich gelagerter Prozesse in dem gesamten Bundesgebiet zu führen hat.


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Betreuungsrecht; Vergütung des Berufsbetreuers; Ermittlung der Unterhaltsansprüche bei der Feststellung der Mittellosigkeit des Betreuten; Überzeugungsbildung über eine im Ausland abgeschlossene Hochschulausbildung.
BGB §§ 1836, 1836c, 1836d, 1908i; FamFG §§ 26, 29, 37, 168; VBVG § 4

1. Bei der Feststellung der Mittellosigkeit des Betroffenen muß das Gericht grundsätzlich ihm zustehende Unterhaltsansprüche sowie die Zahlungsbereitschaft der Unterhaltsschuldner ermitteln. Den Betreuer trifft dabei grundsätzlich eine Mitwirkungspflicht.
2. Zu der Überzeugungsbildung des Gerichts über eine im Ausland abgeschlossene Hochschulausbildung des Betreuers, wenn Urkunden darüber bei seiner Flucht aus dem Land verloren gegangen sind.

BGH, Beschluß vom 15. September 2021 - XII ZB 9/21 - LG Köln [1 T 127/20]
FamRZ 2021, 1995 = FuR 2022, 46 = MDR 2021, 1554 = JurBüro 2021, 655 = Rpfleger 2022, 26 = BtPrax 2022, 30



Hinweis
Das Betreuungsgericht kann seine Überzeugung über die im Iran abgeschlossene Hochschulausbildung der Betreuerin im Wege des Freibeweises auf die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen stützen. Insbesondere ist die tatrichterliche Beurteilung, daß keine anderen, bessere Gewähr bietende Beweismittel erreichbar sind, von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Der Betreuerin muß nicht auferlegt werden, Auskünfte oder Zeugnisablichtungen bei der Universität in Teheran einzuholen.
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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Anforderungen an den Inhalt einer Beschwerdeentscheidung bei statthafter Rechtsbeschwerde.
FamFG §§ 69, 72; ZPO § 547

Zu den Anforderungen an den Inhalt einer Beschwerdeentscheidung bei statthafter Rechtsbeschwerde (hier: Anordnung einer Kontrollbetreuung).

BGH, Beschluß vom 15. September 2021 - XII ZB 161/21 - LG Bonn [4 T 420/20]
FamRZ 2021, 1989 = FuR 2022, 49 = NJW-RR 2021, 1513 = Rpfleger 2022, 23 = MDR 2022, 57 = Seniorenrecht aktuell 2021, 209 = FF 2022, 43 [Ls] = ErbR 2022, 99 [Ls] = BtPrax 2022, 36 [Ls]



Hinweis
Eine Beschwerdeentscheidung muß, sofern gegen sie eine Rechtsbeschwerde statthaft ist, eine vollständige, klare Darstellung des Sachverhalts unter Anführung der Gründe, aus denen die entscheidungsrelevanten Tatsachen für erwiesen erachtet wurden oder nicht, sowie die Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt enthalten. Insoweit unterliegt auch die Wahrung der verfahrensrechtlichen Anforderungen der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Enthält der Beschluß keine tatsächlichen Feststellungen, dann ist das Rechtsbeschwerdegericht zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage, und die Beschwerdeentscheidung ist bereits aus diesem Grunde aufzuheben.
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Vormundschaft und Pflegschaft; Vormundschaft für unbegleiteten ausländischen Minderjährigen; Bestellung eines örtlich unzuständigen Jugendamtes als Amtsvormund.
BGB §§ 1779, 1791b, 1887, 1889; SGB VIII § 88a

Die Bestellung eines nach § 88a SGB VIII örtlich unzuständigen Jugendamtes als Amtsvormund für einen unbegleiteten ausländischen Minderjährigen ist nicht zulässig.

BGH, Beschluß vom 15. September 2021 - XII ZB 231/21 - OLG München [16 WF 15/21]
FamRZ 2021, 1885 = FuR 2022, 59 = NJW-RR 2021, 1441 = NZFam 2021, 986 = FamRB 2021, 490 = MDR 2021, 1337 = JAmt 2021, 650 = Rpfleger 2022, 20 = ZKJ 2021, 468 = FF 2021, 465 [Ls]


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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Einsatz eines aus bayerischem Landespflegegeld angesparten Vermögens für die Aufwandsentschädigung und Vergütung eines Betreuers.
BGB §§ 1836c, 1836e, 1908i; SGB XII § 90; bayPflGG

Der Einsatz eines aus bayerischem Landespflegegeld angesparten Vermögens für die Aufwandsentschädigung und Vergütung eines Betreuers stellt für den Betreuten eine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII dar (Abgrenzung zu dem Senatsbeschluß vom 29. Januar 2020 - XII ZB 500/19 - FamRZ 2020, 789 = FuR 2020, 424).

BGH, Beschluß vom 15. September 2021 - XII ZB 307/21 - LG Landshut [65 T 1243/21]
FamRZ 2021, 1998 = FuR 2022, 48 = MDR 2022, 60 = Rpfleger 2022, 69 = BtPrax 2022, 32 = SuP 2021, 802 = RdLH 2022, 28


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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Voraussetzungen der Entlassung des Betreuers; Ungeeignetheit aufgrund von Vorgängen im Zusammenhang mit der Führung anderer Betreuungen.
BGB §§ 1897, 1908b

1. Für die Entlassung eines Betreuers gemäß § 1908b Abs. 1 BGB genügt jeder Grund, der ihn ungeeignet im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB macht. Eine konkrete Schädigung des Betroffenen oder seiner finanziellen Interessen braucht noch nicht eingetreten zu sein. In der Regel wird das Gericht vor der Entlassung aber die Mittel der Aufsicht und des Weisungsrechts einzusetzen haben.
2. Erkenntnisse, die den Schluß darauf rechtfertigen, daß die Eignung des Betreuers nicht mehr gewährleistet ist, können sich nicht nur aus dem konkreten Betreuungsverfahren, sondern auch aus Vorgängen im Zusammenhang mit der Führung anderer Betreuungen ergeben.

BGH, Beschluß vom 15. September 2021 - XII ZB 317/21 - LG Lübeck [7 T 49/21]
Rpfleger 2022, 71 = Seniorenrecht aktuell 2022, 2 = ErbR 2022, 178 [Ls] = BtPrax 2022, 36 [Ls]


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Zwangsvollstreckung; Eigentümerbriefgrundschuld als Pfändungsgegenstand bei einer Vorauspfändung (Dauerpfändung) für künftig fällig werdende Unterhaltsansprüche.
ZPO §§ 751, 857

Bei einer Vorauspfändung (Dauerpfändung) für künftig fällig werdende Unterhaltsansprüche kann Pfändungsgegenstand auch eine Eigentümerbriefgrundschuld des Schuldners sein (im Anschluß an BGH, Beschluß vom 31. Oktober 2003 - IXa ZB 200/03 - NJW 2004, 369).

BGH, Beschluß vom 16. September 2021 - VII ZB 9/21 - LG Kassel [3 T 260/20]
FamRZ 2022, 42 = NJW-RR 2022, 220 = FamRB 2022, 11 = NZFam 2022, 91 = JurBüro 2022, 51 = MDR 2021, 1550 = WM 2021, 2200 = WuB 2022, 40


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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Pflicht zur Beratung über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung; Pflicht zur Aufklärung über eine Verschlechterung der Erfolgsaussichten bei Veränderung der Ausgangslage; Anscheinsbeweis für beratungsgerechtes Verhalten des Mandanten bei bestehendem Deckungsanspruch gegen den Rechtsschutzversicherer.
BGB §§ 280, 675

1. Die Pflicht des Rechtsanwalts zu der Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung besteht unabhängig davon, ob der Mandant rechtsschutzversichert ist oder nicht.
2. Die Pflicht des Rechtsanwalts, den Mandanten über die Erfolgsaussichten einer in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung aufzuklären, endet nicht mit deren Einleitung; verändert sich die rechtliche oder tatsächliche Ausgangslage im Laufe des Verfahrens, muß der Rechtsanwalt seinen Mandanten über eine damit verbundene Verschlechterung der Erfolgsaussichten aufklären.
3. Ein bestehender Deckungsanspruch des Mandanten gegen seinen Rechtsschutzversicherer oder eine bereits vorliegende Deckungszusage können den Anscheinsbeweis für ein beratungsgerechtes Verhalten des Mandanten ausschließen; dies gilt nicht, wenn die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos war.

BGH, Urteil vom 16. September 2021 - IX ZR 165/19 - OLG Thüringen [AnwBl 2020, 44]
NJW 2021, 3324 = VersR 2021, 1438 = MDR 2021, 1357 = AnwBl 2021, 684 = DB 2021, 2484 = RuS 2021, 635 = DStR 2022, 447 = IBR 2021, 608 = GI aktuell 2022, 32 = FamRZ 2021, 2010 [Ls] = ErbR 2022, 100 [Ls] = EWiR 2022, 47 [Ls] = VuR 2022, 39 [Ls] = BB 2021, 2434 [Ls] = ZAP EN-Nr. 571/2021 [Ls] = MittdtschPatAnw 2021, 568 [Ls]


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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Erforderlichkeit einer erneuten persönlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren bei Nachholung der Anhörung im Abhilfeverfahren.
FamFG §§ 68, 278; GG Art. 103

Wird in einem Betreuungsverfahren die nach § 278 Abs. 1 S. 1 FamFG zwingend erforderliche persönliche Anhörung des Betroffenen von dem Amtsgericht erst in dem Abhilfeverfahren nachgeholt, darf das Beschwerdegericht nicht von der auch im zweitinstanzlichen Verfahren grundsätzlich gebotenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen.

BGH, Beschluß vom 22. September 2021 - XII ZB 93/21 - LG Braunschweig [8 T 39/21]
FamRZ 2022, 135 = FuR 2022, 50 = NJW 2022, 546 = NZFam 2021, 1078 = MDR 2022, 55 = FF 2022, 43 [Ls] = ErbR 2022, 178 [Ls] = BtPrax 2022, 36 [Ls] = ZAP EN-Nr. 606/2021 [Ls]


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Betreuungsrecht; Betreuungssache; unterlassene Unterrichtung des Betroffenen über das schriftliche Gutachten ergänzende telefonische Ausführungen vor dem Anhörungstermin.
FamFG §§ 68, 278; GG Art. 103

Die Anhörung leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, wenn dem Betroffenen vor dem Anhörungstermin lediglich das schriftliche Sachverständigengutachten übermittelt, er aber nicht über ergänzende telefonische Ausführungen des Sachverständigen unterrichtet wird (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 14. Oktober 2020 - XII ZB 244/20 - FamRZ 2021, 220).

BGH, Beschluß vom 22. September 2021 - XII ZB 146/21 - LG Traunstein [4 T 3010/20]
FamRZ 2022, 56 = FuR 2022, 51 = NJW-RR 2022, 148 = NZFam 2022, 41 = MDR 2021, 1482 = BtPrax 2022, 29 = FF 2022, 43 [Ls] = Rpfleger 2022, 72 [Ls] = ErbR 2022, 178 [Ls]


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Unterhalt des geschiedenen Ehegatten; Altersvorsorgeunterhalt; Berechtigung zum Abschluß einer privaten Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht; Pflicht des Unterhaltsberechtigten zur Anlage des Unterhalts in einer zum Sonderausgabenabzug berechtigenden zertifizierten Rentenversicherung.
BGB §§ 242, 1578; EStG § 10

1. Dem Empfänger von Altersvorsorgeunterhalt obliegt es, die erhaltenen Unterhaltsbeträge in einer für die spätere Erzielung von Alterseinkünften geeigneten Form anzulegen. Statt freiwillige Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen, kann er auch eine private Rentenversicherung abschließen (im Anschluß an das Senatsurteil vom 25. Oktober 2006 - XII ZR 141/04 - FamRZ 2007, 117 = FuR 2007, 28 = EzFamR BGB § 1361 Nr. 47). Daß diese ein Kapitalwahlrecht vorsieht, steht nicht entgegen.
2. Aufgrund des Unterhaltsrechtsverhältnisses obliegt es zwar grundsätzlich beiden (geschiedenen) Ehegatten, ihre (Gesamt-)Einkommensteuerbelastung möglichst gering zu halten. Der Unterhaltsberechtigte ist aber, insbesondere im Rahmen des steuerlichen Realsplittings, nicht gehalten, den Altersvorsorgeunterhalt in einer zum Sonderausgabenabzug berechtigenden zertifizierten Rentenversicherung (hier sogenannte Rürup-Rente) anzulegen.

BGH, Beschluß vom 22. September 2021 - XII ZB 544/20 - OLG Düsseldorf [FamRZ 2021, 355 = FuR 2021, 308]
FamRZ 2021, 1878 = FuR 2022, 38 = NJW 2021, 3530 = NZFam 2021, 1005 = MDR 2021, 1393 = HFR 2021, 1216 = FamRB 2021, 484 = ZAP EN-Nr. 577/2021 = FF 2021, 464 [Ls] = VuR 2021, 479 [Ls] = BetrAV 2021, 741 [Ls] = LMK 2021, 816001 [Ls]


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Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Erforderlichkeit der Vorlage des Vollstreckungsbescheids im Original bei auf elektronischem Weg an das Vollstreckungsgericht gerichtetem Antrag auf Erlaß eines Erzwingungshaftbefehls für die Abnahme der Vermögensauskunft.
ZPO §§ 91a, 754a, 802g

Die Regelung des § 754a Abs. 1 ZPO erfaßt ausschließlich an den Gerichtsvollzieher gerichtete Vollstreckungsaufträge, und nicht auch einen an das Vollstreckungsgericht gerichteten Antrag auf Erlaß eines Erzwingungshaftbefehls.

BGH, Beschluß vom 23. September 2021 - I ZB 9/21 - LG Berlin [51 T 435/20]
FamRZ 2022, 130 = NJW-RR 2021, 1651 = MDR 2022, 123 = JurBüro 2022, 46 = Rpfleger 2022, 156 = WM 2021, 2292 = DGVZ 2022, 9 = FoVo 2021, 253 = RDi 2022, 91 = MMR 2022, 84 [Ls]


Hinweis
Der Senat hat den Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit in dem Rechtsbeschwerdeverfahren mit Beschluß vom 18. November 2021 (AGS 2022, 35) auf bis 1.000 € festgesetzt.

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Zwangsvollstreckung; Erwirkung einer unvertretbaren Handlung; Verhängung von Zwangshaft gegen einer prozeßunfähige natürliche Person und gegen deren Bevollmächtigten; Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen den Schuldner; Möglichkeit der Vornahme der Handlung durch den Bevollmächtigten.
BGB §§ 260, 1896, 2314; ZPO §§ 50, 51, 574, 750, 888

1. Bei der Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer unvertretbaren Handlung gemäß § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO darf gegen eine prozeßunfähige natürliche Person, die mangels hinreichender Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht in der Lage ist, einen natürlichen Willen zu der Vornahme der von ihr geschuldeten Handlung zu bilden, keine Zwangshaft verhängt werden.
2. Bei der gegen eine prozeßunfähige natürliche Person gerichteten Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer unvertretbaren Handlung gemäß § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO darf gegen den Bevollmächtigten des Schuldners keine Zwangshaft verhängt werden.
3. Bei der gegen eine prozeßunfähige natürliche Person gerichteten Zwangsvollstreckung zur Erwirkung einer nicht vertretbaren Handlung nach § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO ist ein Zwangsgeld stets gegen den Schuldner, und nicht gegen den gesetzlichen Vertreter festzusetzen.
4. Einer prozeßunfähigen natürlichen Person ist die Vornahme einer nach § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO zu erwirkenden Handlung nicht unmöglich, wenn die Handlung durch deren Bevollmächtigten vorgenommen werden kann.

BGH, Beschluß vom 23. September 2021 - I ZB 20/21 - OLG Hamburg [2 W 76/20]
FamRZ 2022, 298 = NJW 2022, 393 = NZFam 2022, 90 = MDR 2022, 122 [141] = WM 2021, 2340 = ZEV 2022, 23 = DGVZ 2022, 33 = WuB 2022, 85 = ErbR 2022, 212 = BtPrax 2022, 36 [Ls]


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Verfahrensrecht; Verletzung des rechtlichen Gehörs; übergangenes Vorbringen.
ZPO §§ 224, 522; GG Art. 103

Eine Entscheidung beruht auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG, falls nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders ausgefallen wäre.

BGH, Beschluß vom 28. September 2021 - VI ZR 946/20 - Kammergericht [20 U 29/19]
NJW-RR 2022, 286 = VersR 2022, 399 = MDR 2022, 191 = GesR 2022, 22 = FamRZ 2021, 1988 [Ls] = ErbR 2022, 179 [Ls] = MittdtschPatAnw 2021, 575 [Ls]


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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Zumutbarkeit der Benutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs zur Übermittlung der Berufungsbegründung an das Berufungsgericht bei Scheitern der Übermittlung mittels Telefax wegen eines Defekts des gerichtlichen Empfangsgerätes; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
ZPO §§ 85, 130a, 233, 234, 520; BRAO § 31a

Zu der Zumutbarkeit der Benutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs zu der Übermittlung der Berufungsbegründung an das Berufungsgericht (in der Zeit bis zu dem Eintritt der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte ab dem 1. Januar 2022), wenn an dem Abend des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist eine Übermittlung per Telefax aus von der Prozeßbevollmächtigten des Berufungsklägers nicht zu vertretenden Gründen (hier: Defekt des gerichtlichen Empfangsgerätes) scheitert.
BGH, Beschluß vom 29. September 2021 - VII ZB 12/21 - LG Aurich [4 S 107/20]

FamRZ 2022, 125 = MDR 2022, 117 = BauR 2022, 295 = K&R 2022, 50 = WM 2021, 2302 = ZfBR 2022, 141 = IBR 2022, 46 = FF 2022, 87 [Ls] = DB 2021, 2824 [Ls] = BB 2021, 2754 [Ls] = FA 2021, 369 [Ls] = ErbR 2022, 179 [Ls]


Hinweis
Bis zu dem Eintritt der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte besteht für die Rechtsanwaltschaft keine allgemeine Pflicht, sich mit den Anforderungen und der Funktionsweise der Erstellung und des Versands elektronischer Dokumente auseinanderzusetzen. Dieser Übermittlungsweg stellt daher für einen Rechtsanwalt, der das besondere elektronische Anwaltspostfach bisher nicht aktiv genutzt und hierüber keine Dokument versandt hat, keine sich aufdrängende, mit geringfügigem Aufwand nutzbare Alternative dar, wenn an dem Tage des Fristablaufs die von ihm gewählte Übermittlung mittels Telefax aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen scheitert. Es ist ihm nicht zuzumuten, sich innerhalb kurzer Zeit vor Fristablauf erstmals mit den Voraussetzungen dieser für ihn neuen Zugangsart vertraut zu machen (Fortführung von BGH, Beschluß vom 17. Dezember 2020 - III ZB 31/20 - NJW 2021, 390).

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Beiordnung eines Notanwalts zur Begründung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.
ZPO § 78

Abgesehen davon, daß die Beiordnung eines Notanwalts bereits daran scheitert, daß die Nichtzulassungsbeschwerde aussichtslos erscheint, kommt wenn eine Partei zunächst einen zu ihrer Vertretung bereiten Rechtsanwalt mandatiert hat, in dem Falle der späteren Mandatsniederlegung die Bestellung eines Notanwalts nur dann in Betracht, wenn die Partei innerhalb der maßgeblichen Frist darlegt, daß sie die Beendigung des Mandates nicht zu vertreten hat.

BGH, Beschluß vom 29. September 2021 - IV ZR 141/21 - OLG Koblenz [12 U 1634/20]


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Unterbringungsrecht; Unterbringungssache; Anforderungen an die Begründung der Anordnung einer Unterbringung von einem Jahr.
FamFG § 329

Zu den Begründungsanforderungen, wenn eine Unterbringung von einem Jahr angeordnet oder genehmigt werden soll (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 21. April 2021 - XII ZB 520/20 - FamRZ 2021, 1242 = FuR 2021, 493).

BGH, Beschluß vom 29. September 2021 - XII ZB 300/21 - LG Saarbrücken [5 T 307/20]
FamRZ 2022, 57 = FuR 2022, 53 = NJW-RR 2022, 147 = MDR 2022, 118 = BtPrax 2022, 28 = RuP 2022, 53 = FF 2022, 43 [Ls]


Hinweis
Die Jahresfrist des § 329 Abs. 1 S. 1 FamFG stellt eine Höchstfrist dar, die nicht als Regelfrist verstanden werden darf. Die Dauer der Unterbringungsmaßnahme ist daher stets für den konkreten Einzelfall und unter strikter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes festzusetzen, und kann auch für einen kürzeren Zeitraum festgelegt werden. Deshalb muß das Gericht auch dann, wenn es die Höchstfrist von einem Jahr nach § 329 Abs. 1 S. 1 FamFG festsetzen möchte, begründen, warum es genau diese Dauer wählt. Die Begründung darf sich dabei nicht darauf beschränken, der festgesetzte Zeitraum entspreche der gesetzlich vorgesehenen Jahresfrist.

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Bürgerliche Ehe; Eingehung der Ehe; persönliche Erklärung; Anerkennung einer Eheschließung im Ausland im Wege doppelter Stellvertretung (»Handschuhehe«).
BGB § 1311; EGBGB Art. 6, Art. 11, Art. 13; PStG § 41

1. Kollisionsrechtlich ist eine Eheschließung durch einen Vertreter nur dann als reine Formfrage zu qualifizieren, wenn es sich um eine Stellvertretung lediglich in der Erklärung handelt, bei der der Vollmachtgeber die Eheschließung sowie den konkreten Ehepartner nach eigenem Willen bestimmt hat. Demgegenüber würde eine Stellvertretung im Willen, die dem Vertreter eine eigene Entscheidungsbefugnis bezüglich der Eheschließung oder der Wahl des Ehepartners einräumt, auch die materiellen Voraussetzungen der Eheschließung berühren und wäre nach dem für Deutsche geltenden Heimatrecht unzulässig.
2. Die Eheschließung im Ausland im Wege doppelter Stellvertretung verstößt nicht gegen den deutschen ordre public.

BGH, Beschluß vom 29. September 2021 - XII ZB 309/21 - OLG Thüringen [3 W 9/21]
FamRZ 2022, 93 = FuR 2022, 104 = NJW-RR 2022, 293 = NZFam 2021, 1049 = = FamRB 2022, 46 [63] = StAZ 2022, 11 = MDR 2022, 35 = DNotI-Report 2021, 190 = ZNotP 2022, 117 = InfAuslR 2022, 82 FF 2022, 43 [Ls] = ErbR 2022, 178 [Ls] = Asylmagazin 2022, 104 [Ls] = ZAP EN-Nr. 633/2021 [Ls]


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Erbrecht; Pflichtteilsrecht; Wertermittlungsanspruch des Pflichtteilsberechtigten bei Veräußerung des Nachlaßgegenstandes durch den Erben.
BGB § 2314

Dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Wertermittlung gemäß § 2314 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB steht nicht der Umstand entgegen, daß der Nachlaßgegenstand von dem Erben nach dem Erbfall veräußert worden ist.

BGH, Urteil vom 29. September 2021 - IV ZR 328/20 - OLG Dresden [17 U 1605/20]
FamRZ 2021, 1922 = FuR 2022, 108 = NJW 2022, 192 = FamRB 2022, 29 = MDR 2021, 1470 = ZErb 2021, 467 = ZEV 2021, 762 = ErbR 2022, 37 = ZNotP 2022, 106 = NotBZ 2022, 103 = RNotZ 2022, 53 [Ls]


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Unterhalt des getrennt lebenden Ehegatten; Ermittlung des eheangemessenen Unterhaltsbedarfs; konkreter Wohnbedarf; Quotenunterhalt als Obergrenze.
BGB §§ 1361, 1578

1. Der eheangemessene Unterhaltsbedarf bei dem Trennungsunterhalt ist im Falle einer konkreten Bedarfsbemessung nach denjenigen Kosten zu ermitteln, die für die Aufrechterhaltung des in der Ehe erreichten Lebensstandards erforderlich sind (im Anschluß an das Senatsurteil vom 1. April 1987 - IVb ZR 33/86 - FamRZ 1987, 691 = EzFamR BGB § 1585c Nr. 4 = BGHF 5, 930).
2. Der konkrete Wohnbedarf entspricht dem, was der Unterhaltsberechtigte als Mieter (einschließlich Nebenkosten) für eine dem Standard der Ehewohnung entsprechende und angemessen große Wohnung aufzubringen hätte (im Anschluß an das Senatsurteil vom 18. Januar 2012 - XII ZR 178/09 - FamRZ 2012, 517 = FuR 2012, 257).
3. Der Quotenunterhalt stellt unter Berücksichtigung eines objektiven Maßstabes im Hinblick auf die Halbteilung die Obergrenze auch bei der konkreten Bedarfsbemessung dar.

BGH, Beschluß vom 29. September 2021 - XII ZB 474/20 - OLG Brandenburg [15 UF 93/19]
FamRZ 2021, 1965 = FuR 2022, 39 = NJW 2022, 621 = NZFam 2021, 1008 = FF 2021, 499 = FamRB 2022, 9 = NZM 2021, 897 = MDR 2022, 171 = ZNotP 2022, 72 = NJW-Spezial 2022, 5


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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Beschwerde im Vollstreckbarerklärungsverfahren für ein schweizerisches Urteil zu einem güterrechtlichen Zahlungsanspruch; Erforderlichkeit der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts bei vom Rechtsmittelgericht zu prüfender internationaler Zuständigkeit.
ZPO §§ 571, 574

1. Grundsätzlich findet eine Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts in der Beschwerdeinstanz auch dann nicht statt, wenn die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte von dem Rechtsmittelgericht zu prüfen ist (im Anschluß an BGH, Beschluß vom 20. September 2010 - XI ZR 57/08 - juris).
2. Hängt die Frage der örtlichen Zuständigkeit nicht von denselben Voraussetzungen ab, die für die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte maßgebend sind, dann ist das Beschwerdegericht nach § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO an der Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des Erstgerichts gehindert (im Anschluß an BGH, Urteil vom 17. März 2015 - VI ZR 11/14 - NJW-RR 2015, 941).

BGH, Beschluß vom 29. September 2021 - XII ZB 495/20 - OLG Karlsruhe [10 W 8/19]
FamRZ 2021, 1908 = FuR 2022, 54 = NJW-RR 2021, 1501 = MDR 2022, 190 = FF 2021, 511 [Ls] = ErbR 2022, 100 [Ls]


Hinweis
Der Senat hatte den Antrag des Antragsgegners, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Bezirksgerichts Schwyz vom 19. Dezember 2016 einstweilen einzustellen, mit Beschluß vom 23. Juni 2021 (FamRZ 2021, 1480) zurückgewiesen.

Rechtsprechung Bundesgerichtshof 09/2021 - FD-Platzhalter-rund
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