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Entscheidungen OLG Celle 2023 - FD-Platzhalter-rund

Entscheidungen OLG Celle 2023


 



Erbrecht; Auskunftsanspruch unter Miterben für den Fall einer Vollmacht; Abgrenzung zwischen Auftragsverhältnis und bloßer Gefälligkeit im Falle lange miteinander verheirateter Eheleute

Prozeßkosten-/Verfahrenskostenhilfe; Berechnung des Verfahrenswertes; Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängiger Hauptsacheantrag

Abstammungsrecht; von einer Leihmutter geborenes Kind; Geburtsakte; Eintrag der Wunscheltern als rechtliche Eltern; Anerkennung eines Bescheids des georgischen Justizministeriums über die rechtlichen Eltern

Familienvermögensrecht; Güterrecht; keine Korrektur einer vereinbarten Morgengabe nach dem deutschen ordre public wegen wirtschaftlicher Überforderung; wirksamer Verzicht auf vereinbarte Morgengabe anläßlich islamischer Scheidung

Abstammungsrecht; Umfang der Beweisaufnahme in einem postmortalen Vaterschaftsfeststellungsverfahren

Herausgabe eines Kindes; Zwangsvollstreckung; unmittelbare Anordnung von Ordnungshaft

Elterliche Sorge; Erziehungseignung eines Elternteils; Nichtherausgabe eines Kindes an den allein sorgeberechtigten Elternteil; Vereitelung der Vollstreckung eines Beschlusses zu der Herausgabe des Kindes

Abstammungsrecht; gerichtliche Feststellung der Vaterschaft bei deren zweifelhafter Anerkennung

Elterliche Sorge; Anerkennung einer französischen Sorgerechtsentscheidung in Deutschland; unterbliebene Anhörung des Kindes; nur fiktive Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an die Mutter durch Niederlegung an den letzten bekannten Aufenthaltsort

Umgangsrecht; Umgang der Eltern mit ihren Kindern; Festsetzung von Ordnungsgeld bei wechselseitigen elterlichen Verfehlungen

Umgangsrecht; Umgang der Eltern mit ihren Kindern; Festsetzung von Ordnungsgeld bei wirksamer erstinstanzlicher Entscheidung

Internationale Kindesentführung; Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung; Gefährdung des Kindes bei Rückführung

Verfahrensrecht; Ablehnung von Richtern und Sachverständigen; Richterablehnung wegen Tätigkeit seines Ehegatten in der von der Gegenseite beauftragten Rechtsanwaltskanzlei

Erbrecht; Feststellung eines Anspruchs auf Unterhaltsleistung als Nachlaßverbindlichkeit im Nachlaßinsolvenzverfahren

Erbrecht; rechtliche Stellung des Erben; Annahme und Ausschlagung der Erbschaft; Fürsorge des Nachlaßgerichts; Erbvermutung für den Fiskus durch Feststellung; Beschwerdeberechtigung des Nachlaßgläubigers bei einer Feststellung nach § 1964 Abs. 1 BGB

Erbrecht; Erstreckung des Zuwendungsverzichts auf Abkömmlinge des Verzichtenden

Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Mindestunterhalt; Leistungsfähigkeit; gesteigerte Erwerbsobliegenheit; vollschichtige Erwerbstätigkeit sowie zumutbare Nebentätigkeit; Höhe des Stundensatzes; gesetzlicher Mindestlohn; Heranziehung tarifvertraglicher Mindestentgelte für ungelernte Arbeitskräfte; Mindestentgelt ab Mai 2023 für die Pflegebranche; Verfolgung eines gemäß § 7 Abs. 1 UVG übergegangenen Unterhaltsanspruchs im gerichtlichen Verfahren

Familienvermögensrecht; Ausgleichsansprüche zwischen Gesamtschuldnern; anderweitige Bestimmung; Haftung beider Elternteile für Kindesunterhalt; Berücksichtigung von Darlehensraten bei der Berechnung von Unterhaltsansprüchen gemeinsamer Kinder; treuwidrige nachträgliche Inanspruchnahme; familienrechtlicher Ausgleichsanspruch

Erbrecht; Besetzung der Nachlaßgerichte; grobe Unrichtigkeit von richterlichen Erbscheinen, Ursachen und Folgen


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Erbrecht; Auskunftsanspruch unter Miterben für den Fall einer Vollmacht; Abgrenzung zwischen Auftragsverhältnis und bloßer Gefälligkeit im Falle lange miteinander verheirateter Eheleute.
BGB §§ 662, 666, 667; ZPO § 253

Es kann nicht allgemeingültig gesagt werden, daß bei Erledigung von Geldgeschäften für einen Familienangehörigen im Regelfall von einem Auftrag mit rechtlichen Verpflichtungen auszugehen ist; es kommt auf den konkreten Einzelfall an. Gegen die Annahme eines Rechtsbindungswillens und eines Auftragsverhältnisses spricht, daß bei Erteilung der Vollmacht eines Ehegatten gegenüber dem anderen die Ehe bereits seit mehr als 50 Jahren bestanden hat; in einem solchen Falle dürfte jedenfalls von einer konkludenten Freistellung von Auskunftspflichten auszugehen sein.

OLG Celle, Beschluß vom 13. Januar 2023 - 6 U 89/22
FamRB 2023, 248 = NJW-Spezial 2023, 232 = ZEV 2023, 330 [Ls]

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Prozeßkosten-/Verfahrenskostenhilfe; Berechnung des Verfahrenswertes; Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängiger Hauptsacheantrag.
FamGKG §§ 33, 34, 51, 59; GKG §§ 17, 42

1. In Unterhaltssachen ist gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 FamGKG für den laufenden wiederkehrenden Unterhalt der für die ersten zwölf Monate nach Einreichung des Antrages geforderte Betrag maßgeblich. Bei Ansprüchen auf Zahlung von Kindesunterhalt ist der Monatsbetrag des zu dem Zeitpunkt der Einreichung des Antrages geltenden Mindestunterhalts nach der zu diesem Zeitpunkt maßgebenden Altersstufe zugrunde zu legen (§ 51 Abs. 1 S. 2 FamGKG).
2. Bei einer Erweiterung des Antrages auf Zahlung laufenden Unterhalts erhöht sich der Verfahrenswert gemäß § 34 FamGKG um denjenigen Mehrbetrag, der auf die zwölf Monate entfällt, die der Anhängigkeit des erweiternden Antrages folgen.
3. Der zwischen Einreichung eines Antrages auf Verfahrenskostenhilfe für ein beabsichtigtes Hauptsacheverfahren und der erfolgten Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe aufgelaufene Betrag ist gemäß § 51 Abs. 2 S. 2 FamGKG nicht als rückständiger Betrag verfahrenswerterhöhend zu berücksichtigen.

OLG Celle, Beschluß vom 17. Januar 2023 - 21 WF 156/22
NZFam 2023, 405 = JurBüro 2023, 201 = MDR 2023, 644

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Abstammungsrecht; von einer Leihmutter geborenes Kind; Geburtsakte; Eintrag der Wunscheltern als rechtliche Eltern; Anerkennung eines Bescheids des georgischen Justizministeriums über die rechtlichen Eltern.
BGB § 1600d; EGBGB Art. 19; GG Art. 6; MRK Art. 8; FamFG §§ 108, 169, 179

1. Ein Bescheid des georgischen Justizministeriums, in dem mitgeteilt wird, daß für das von einer Leihmutter geborene Kind in dessen Geburtsakte die Wunscheltern als rechtliche Eltern eingetragen sind, ist keine Entscheidung, die nach § 108 Abs. 1 FamFG anerkannt werden kann (vgl. BGH FamRZ 2019, 890).
2. Auch eine Gesamtbeurteilung im Sinne einer dreigliedrigen Prüfung der Geburtsurkunde, des ergangenen Bescheides sowie eines georgischen Urteils, in dem der Antrag der Wunscheltern auf Feststellung ihrer rechtlichen Elternschaft im Hinblick auf die bestehende Geburtsurkunde als unzulässig abgewiesen wird, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
3. Auf einen Hilfsantrag kann in diesem Verfahren die Vaterschaft des genetisch verwandten Wunschelternteils gemäß § 1600d Abs. 1 BGB auf der Grundlage eines in Georgien eingeholten genetischen Abstammungsgutachtens festgestellt werden.
4. Das Recht der Wunscheltern auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK sowie das Elternrecht aus Art. 6 GG werden dadurch nicht verletzt.

OLG Celle, Beschluß vom 23. Januar 2023 - 21 UF 171/19
FamRZ 2023, 1126 = StAZ 2023, 146 = JAmt 2023, 240 [Ls]

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Familienvermögensrecht; Güterrecht; keine Korrektur einer vereinbarten Morgengabe nach dem deutschen ordre public wegen wirtschaftlicher Überforderung; wirksamer Verzicht auf vereinbarte Morgengabe anläßlich islamischer Scheidung.
BGB § 313; EGBGB Art. 6, Art. 14

1. Die wirtschaftliche Überforderung des Ehemannes durch eine versprochene Morgengabe gebietet nicht deren Korrektur nach dem deutschen ordre public.
2. Die Begründung deutschen Unterhalts- und Scheidungsstatuts während der Ehe kann eine Anpassung des Morgengabeversprechens nach § 313 BGB gebieten, soweit sich die Durchsetzung des Versprechens nach deutschem Recht richtet.
3. Die zu einer islamischen Scheidung abgegebene Erklärung, auf die Morgengabe zu verzichten, läßt den Anspruch darauf erlöschen.

OLG Celle, Beschluß vom 24. Januar 2023 - 17 WF 8/23
FamRZ 2023, 679 = NJW-RR 2023, 435 = NZFam 2023, 506 = FamRB 2023, 131 = FF 2023, 213 [Ls] = ZAP EN-Nr. 150/2023 [Ls]

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Abstammungsrecht; Umfang der Beweisaufnahme in einem postmortalen Vaterschaftsfeststellungsverfahren.
BGB § 1600d; GenDG §§ 1, 12, 13, 17; FamFG §§ 26, 37, 177, 178

1. Kann die Abstammung eines Kindes nicht über ein DNA-Abstammungsgutachten festgestellt werden, weil hierfür nicht ausreichendes genetisches Material des verstorbenen und eingeäscherten potentiellen Vaters zur Verfügung steht, und andere Verwandte für ein Gutachten (§ 178 Abs. 1 FamFG) nicht zur Verfügung stehen, dann umfaßt es die Verpflichtung zur Amtsermittlung nach § 26 FamFG nicht, nicht näher konkretisierten Behauptungen des Kindes nachzugehen, Kleidungsstücke mit möglichen genetischen Spuren des Verstorbenen befänden sich noch in der Wohnung der Witwe.
2. Einer Beweisaufnahme zu der Feststellung der Vaterschaft durch eine genetisch-genealogische Analyse, die unter Verwendung einer genetischen Probe des Kindes durch einen Dienstleister im Ausland durchgeführt werden müßte, steht nach den §§ 1, 12, 13, 17 GenDG ein Beweiserhebungsverbot entgegen.
3. Die Feststellung der Vaterschaft aufgrund der Vermutung nach § 1600d Abs. 2 S. 1 BGB setzt voraus, daß die Beiwohnung in der gesetzlichen Empfängniszeit zu der Überzeugung des Gerichts (§ 37 FamFG) nach einer erfolgten Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen erwiesen ist.

OLG Celle, Beschluß vom 30. Januar 2023 - 21 UF 124/20
FamRZ 2023, 1132

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Herausgabe eines Kindes; Zwangsvollstreckung; unmittelbare Anordnung von Ordnungshaft.
BGB § 1632; FamFG §§ 89, 90, 91, 93, 94

1. Kommt ein Elternteil einer vollstreckbaren Verpflichtung zu der Herausgabe eines Kindes an den anderen Elternteil nicht nach, dann kann bei hartnäckiger und nachhaltiger Weigerung unmittelbar auf Ordnungshaft erkannt werden.
2. Dies gilt umso mehr, wenn der zu der Herausgabe berufene Elternteil bereits anläßlich der früheren Anhörung in dem Sorgerechtsverfahren auf eine solche mögliche Vorgehensweise hingewiesen worden ist.
3. Die Festsetzung eines Ordnungsmittels erfordert bei Zuwiderhandlungen, die über einen längeren Zeitraum andauern, daß sie sich auf einen bestimmten Zeitraum bezieht, in dem auch die Vollstreckung aus dem Herausgabebeschluß nicht eingestellt gewesen ist, und für den ein Ordnungsmittelantrag des Gläubigers vorliegt, zu welchem dem Schuldner rechtliches Gehör gewährt worden ist.

OLG Celle, Beschluß vom 31. Januar 2023 - 10 WF 135/22
FamRZ 2023, 527 = MDR 2023, 527 = FF 2023, 171 [Ls]

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Elterliche Sorge; Erziehungseignung eines Elternteils; Nichtherausgabe eines Kindes an den allein sorgeberechtigten Elternteil; Vereitelung der Vollstreckung eines Beschlusses zu der Herausgabe des Kindes.
BGB §§ 1671, 1696; FamFG § 159

1. Ein Abänderungsantrag zu der elterlichen Sorge kann weder mit dem Ziel der nochmaligen Überprüfung der Vorentscheidung, noch allein mit einer dieser nachgehenden Kindesentführung seitens des nicht (mehr) sorgeberechtigten Elternteils begründet werden (Fortführung Senatsbeschluß FamRZ 2023, 148).
2. Ein Fall mangelnder Erziehungseignung liegt vor, wenn ein Elternteil zum wiederholten Male das Kind in Anwesenheit zahlreicher dritter Personen (sog. »Unterstützer« des herausgabepflichtigen Elternteils) bei eigener Ton- und Bildaufzeichnung und Anwesenheit eines »Kameramannes« mit zur Aufnahme bereitem technischen Gerät bewußt und gezielt einer Vollstreckungsmaßnahme aussetzt (Fortführung Senatsbeschluß FamRZ 2022, 611).
3. Gegen die Erziehungseignung eines nicht sorgeberechtigten Elternteils spricht weiter, wenn dieser zu der Vermeidung der Vollstreckung einer Herausgabe des Kindes dieses aus dem bisherigen Wohnumfeld herausnimmt, nicht mehr zur Schule gehen läßt, und damit von sämtlichen bestehenden sozialen Kontakten abschneidet.
4. Das Absehen von der erstinstanzlichen Anhörung eines Kindes ist insbesondere dann nicht verfahrensfehlerhaft, wenn der zu der Herausgabe verpflichtete Elternteil die Vorstellung des Kindes bei Gericht davon abhängig macht, daß anläßlich dessen Anhörung auf die Vollstreckung einer wirksamen Verpflichtung zu der Herausgabe des Kindes verzichtet werde.

OLG Celle, Beschluß vom 1. Februar 2023 - 10 UF 116/22
NZFam 2023, 465 = FamRB 2023, 191 = ZKJ 2023, 259 = FamRZ 2023, 532 [Ls]

Hinweise

I. OLG Celle, Beschluß vom 5. Mai 2022 - 10 WF 51/22 - FamRZ 2023, 148
1. Eine Befangenheitsablehnung trägt auch aufgrund gehäufter bzw. grober Verfahrensverstöße, so etwa im Falle des Beharrens auf einer rechtlich grob falschen Position trotz entsprechender Gegenvorstellung.
2. Die Möglichkeit einer vorläufigen Einstellung der Vollstreckung gemäß § 93 FamFG bezieht sich - wie sich bereits aus der Stellung der Vorschrift im entsprechenden Unterabschnitt 2 ergibt - ausschließlich auf Entscheidungen über die Herausgabe von Personen bzw. über die Regelung des Umgangs (Fortführung Senatsbeschluß FamRZ 2013, 2001 f).
3. Entführt ein Elternteil im Nachgang einer wirksamen Entscheidung, mit der das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein Kind dem anderen Elternteil zugewiesen worden ist, dieses Kind, dann kann die so veränderte tatsächliche Lage für sich allein keinen Abänderungsantrag begründen.

II. OLG Celle, Beschluß vom 14. Juli 2021 - 10 UF 245/20 - FamRZ 2022, 611

Es ist von einer bestenfalls stark eingeschränkten Erziehungseignung eines Elternteil auszugehen, wenn dieser entgegen der wirksamen Beschlußlage, trotz anwaltlicher Beratung und in Ansehung einer als besonders belastend für die Kinder wahrgenommenen und im Rahmen der Anhörung umfangreich so geschilderten vorhergehenden Herausnahme der Kinder aus dem eigenen Haushalt eine erneute Herausgabesituation zuläßt, die kindeswohlschädigend noch massiv dadurch verstärkt wird, daß der Elternteil um diese Herausgabesituation ein Szenario aufbaut, in dem die Kinder der »Teilnahme« dritter - körperlich anwesender bzw. fernmündlich hinzugezogener - Personen ausgesetzt sind, dabei erleben müssen, daß sich die Presse nach dem Stand der Angelegenheit erkundigt und ihr »Schicksal« durch von der Kindesmutter installierte Überwachungskameras auch noch aufgezeichnet werden soll.

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Abstammungsrecht; gerichtliche Feststellung der Vaterschaft bei deren zweifelhafter Anerkennung.
BGB § 1600d; EGBGB Art. 220, Art. 224; FamFG §§ 100, 177, 178

1. Die Vaterschaft eines Mannes zu einem Kinde kann - postmortal - in einem gerichtlichen Verfahren auch festgestellt werden, wenn das Standesamt und die Standesamtsaufsicht die in einem als »Vaterschaftsanerkennung und Alimentenverpflichtung« überschriebenen Schriftstück unter einer Bedingung im Jahre 1965 in der Schweiz beurkundete Erklärung als rechtlich zweifelhaft einstufen.
2. Bei der Abstammung eines Kindes handelt es sich um einen abgeschlossenen Vorgang, so daß nach Art. 220 Abs. 1 EGBGB auf vor dem 1. September 1986 abgeschlossene Vorgänge das bisherige Internationale Privatrecht anwendbar ist (BGH FamRZ 1994, 1027). Da für die Zeit vor dem 1. September 1986 im deutschen Internationalen Privatrecht keine ausdrückliche Kollisionsnorm zu der abstammungsrechtlichen Zuordnung eines nichtehelichen Kindes zu dem Vater bestand, ist nach Inkrafttreten des Nichtehelichengesetzes das für die Vaterschaftsfeststellung anzuwendende Statut dem für die Unterhaltspflicht geltenden Recht zu entnehmen (BGH FamRZ 1973, 257).
3. Für ein Abstammungsgutachten kann eine genetische Probe herangezogen werden, die aus auf Postkarten des potentiellen leiblichen Vaters aufgeklebten Briefmarken gewonnen wurden. Zu der Überzeugungsbildung können die erklärte Vaterschaftsanerkennung, die über mehrere Jahre gezahlten Unterhaltsbeträge sowie Briefe der verstorbenen Mutter und des potentiellen Vaters herangezogen werden.

OLG Celle, Beschluß vom 1. Februar 2023 - 21 UF 164/22
NJW-RR 2023, 786

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Elterliche Sorge; Anerkennung einer französischen Sorgerechtsentscheidung in Deutschland; unterbliebene Anhörung des Kindes; nur fiktive Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an die Mutter durch Niederlegung an den letzten bekannten Aufenthaltsort.
FamFG § 159; EGV 2201/2003 Art. 23

1. Die unterbliebene Anhörung des Kindes und die bloß fiktive Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an die Mutter stehen der Anerkennung einer französischen Kindschaftsentscheidung in Deutschland ausnahmsweise nicht entgegen, wenn deren Aufenthalt in dem Erstverfahren unbekannt geblieben ist, und nicht mit zumutbaren Mitteln und in einem angemessenen Zeitraum ermittelt werden konnte.
2. Bei den zu fordernden Nachforschungsbemühungen des Antragstellers ist nach Treu und Glauben zu berücksichtigen, daß ein bewußtes Verheimlichen des aktuellen Aufenthaltsortes trotz eines zu erwartenden Verfahrens bei der Mutter vorgelegen hat, und an einen ausländischen Beteiligten keine überhöhten Anforderungen angesichts des nicht bundesländerübergreifenden Melderegisters gestellt werden dürfen.

OLG Celle, Beschluß vom 8. Februar 2023 - 10 UF 153/22
FamRZ 2023, 957 = NZFam 2023, 649 = MDR 2023, 706 = NJW-Spezial 2023, 326

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Umgangsrecht; Umgang der Eltern mit ihren Kindern; Festsetzung von Ordnungsgeld bei wechselseitigen elterlichen Verfehlungen.
FamFG § 89

1. Setzen beide Kindeseltern ihren Machtkampf untereinander zu Lasten des Umgangs der Kinder mit dem Vater bis an die Grenze der wechselseitigen Schikane fort, und wird in der Gesamtschau deutlich, daß beide Elternteile jeweils auf ihre formale Rechtsposition pochen und nicht bereit sind, zugunsten des Rechts der Kinder auf Umgang mit dem Vater flexibler zu agieren, dann rechtfertigt dies nicht, bei Verstößen gegen eine gerichtlich gebilligte Umgangsregelung von Ordnungsmitteln abzusehen; vielmehr ist gerade bei derartig zerstrittenen Eltern, die nicht in der Lage sind, im Sinne ihrer Kinder vernünftig zu handeln, auf die Einhaltung gerichtlicher Regelungen besonders zu achten; andernfalls wären solche obsolet.
2. Im Rahmen vereinbarter Telefonate hat der umgangspflichtige Elternteil nicht nur die telefonische Erreichbarkeit der Kinder sicherzustellen, sondern auch für eine ungestörte Umgebung bzw. Atmosphäre Sorge zu tragen, in der eine gute Verständigung ohne ablenkende Umstände möglich ist.

OLG Celle, Beschluß vom 16. Februar 2023 - 10 WF 168/22
FuR 2023, 386 = FamRB 2023, 238 = NJW-Spezial 2023, 358

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Umgangsrecht; Umgang der Eltern mit ihren Kindern; Festsetzung von Ordnungsgeld bei wirksamer erstinstanzlicher Entscheidung.
FamFG § 89

1. In Verfahren nach § 89 FamFG gilt der allgemeine vollstreckungsrechtliche Grundsatz, daß das Bestehen des vollstreckbaren Anspruchs grundsätzlich nicht mehr zu prüfen ist, und daß nur eine Entscheidung über die Einstellung die Vollstreckung hindert.
2. Erstinstanzliche Beschlüsse in Kindschaftssachen sind - sofern nicht die Außervollzugsetzung gerichtlich angeordnet worden ist - für die Beteiligten verbindlich und von den Beteiligten einzuhalten, auch wenn sie noch nicht rechtskräftig und mit der Beschwerde angefochten sind.
3. Der zu der Gewährung des Umgangs verpflichtete Elternteil kann daher gegenüber der erstinstanzlichen Festsetzung eines Ordnungsgeldes nicht einwenden, eine Umgangsregelung sei nicht rechtens bzw. widerspreche dem Kindeswohle, und müsse deshalb nicht beachtet werden.

OLG Celle, Beschluß vom 20. Februar 2023 - 10 WF 32/23

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Internationale Kindesentführung; Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung; Gefährdung des Kindes bei Rückführung.
HKÜ Art. 3, Art. 12, Art. 13

1. Nach Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ ist das Gericht nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, die sich der Rückgabe widersetzt, nachweist, daß die Rückführung mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden wäre oder das Kind in eine unzumutbare Lage gebracht würde.
2. An das Vorliegen einer Gefährdung im Sinne der Vorschrift sind strenge Anforderungen zu stellen: Die Vorschrift greift nur ein bei absoluten, zwingenden Gründen für eine Ausnahme von dem Grundsatz, das bei Vorliegen der Voraussetzungen der Art. 3, Art. 12 HKÜ die Rückführung anzuordnen ist.

OLG Celle, Beschluß vom 27. Februar 2023 - 15 UF 14/23

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Verfahrensrecht; Ablehnung von Richtern und Sachverständigen; Richterablehnung wegen Tätigkeit seines Ehegatten in der von der Gegenseite beauftragten Rechtsanwaltskanzlei.
FamFG § 113; ZPO §§ 42, 43

1. Ein Richter kann wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn sein Ehegatte als Rechtsanwalt in der Kanzlei tätig ist, die den Gegner vor diesem Richter vertritt.
2. Die Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit jedoch nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm auf eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen.
3. Dieser Verlust des Ablehnungsrechts tritt nicht nur in dem anhängigen Rechtsstreit ein, in welchem der Ablehnungsgrund nicht geltend gemacht wurde (innerprozessuale Präklusionswirkung); vielmehr ist die Partei auch gehindert, denselben Ablehnungsgrund in einem anderen Verfahren geltend zu machen, wenn zwischen beiden Verfahren ein tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang besteht.
4. Die Kenntnis des Ablehnungsgrundes umfaßt zum einen die Person des mit der Sache befaßten Richters, und zum anderen die Kenntnis der Tatsachen, die die Besorgnis der Befangenheit begründen; dabei ist der Partei das Wissen ihres Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

OLG Celle, Beschluß vom 7. März 2023 - 17 WF 32/23
MDR 2023, 660

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Erbrecht; Feststellung eines Anspruchs auf Unterhaltsleistung als Nachlaßverbindlichkeit im Nachlaßinsolvenzverfahren.
BGB § 1586b; InsO §§ 40, 325

1. Die Vorschrift des § 1586b BGB findet auf selbständige Unterhaltsvereinbarungen geschiedener Ehegatten keine Anwendung.
2. Passiv vererbliche Unterhaltsansprüche können als Nachlaßverbindlichkeit im Nachlaßinsolvenzverfahren gemäß § 40 S. 1 InsO auch für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Zukunft geltend gemacht werden.

OLG Celle, Urteil vom 20. März 2023 - 6 U 36/22
NJW 2023, 1895 = ZVI 2023, 267 = NZI 2023, 501 = ZInsO 2023, 1255 = ZEV 2023, 481 [Ls] = ErbR 2023, 568 [Ls]

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Erbrecht; rechtliche Stellung des Erben; Annahme und Ausschlagung der Erbschaft; Fürsorge des Nachlaßgerichts; Erbvermutung für den Fiskus durch Feststellung; Beschwerdeberechtigung des Nachlaßgläubigers bei einer Feststellung nach § 1964 Abs. 1 BGB.
BGB §§ 1936, 1964, 1966, 2011; FamFG § 59

Ein Nachlaßgläubiger wird durch die Feststellung nach § 1964 Abs. 1 BGB, daß ein anderer Erbe als der Fiskus nicht vorhanden ist, nicht in seinen Rechten beeinträchtigt (§ 59 Abs. 1 FamFG), weil diese Feststellung nur eine widerlegbare Erbenvermutung für den Fiskus begründet (§ 1964 Abs. 2 BGB), und der Nachlaßgläubiger weiterhin seine Ansprüche gegen den Fiskus als Erben (§§ 1936, 1966, 2011 BGB) oder gegen den aus seiner Sicht wahren Erben geltend machen kann.

OLG Celle, Beschluß vom 22. März 2023 - 6 W 31/23
NJW-RR 2023, 715 = FGPrax 2023, 126 = ZEV 2023, 443 = MDR 2023, 851 = NJW-Spezial 2023, 327

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Erbrecht; Erstreckung des Zuwendungsverzichts auf Abkömmlinge des Verzichtenden.
BGB §§ 2349, 2352

Keine Erstreckung des Zuwendungsverzichts auf den Abkömmling des Verzichtenden, wenn der Abkömmling ausdrücklich als Ersatzerbe des Verzichtenden bestimmt ist, der Verzichtende weder ein Abkömmling noch ein Seitenverwandter des Erblassers ist, und der Zuwendungsverzicht nicht mit einer vollständigen Abfindung des Verzichtenden verbunden war.

OLG Celle, Beschluß vom 17. April 2023 - 6 W 37/23
FGPrax 2023, 126 = ZEV 2023, 452

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Mindestunterhalt; Leistungsfähigkeit; gesteigerte Erwerbsobliegenheit; vollschichtige Erwerbstätigkeit sowie zumutbare Nebentätigkeit; Höhe des Stundensatzes; gesetzlicher Mindestlohn; Heranziehung tarifvertraglicher Mindestentgelte für ungelernte Arbeitskräfte; Mindestentgelt ab Mai 2023 für die Pflegebranche; Verfolgung eines gemäß § 7 Abs. 1 UVG übergegangenen Unterhaltsanspruchs im gerichtlichen Verfahren.
BGB § 1603; UVG §§ 7, 7a

1. Dem unterhaltspflichtigen Elternteil, der seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit nicht hinreichend nachkommt, können Einkünfte aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit sowie aus einer zumutbaren Nebentätigkeit effektiv zugerechnet werden.
2. Hinsichtlich der Höhe des Stundensatzes kann nicht nur auf den gesetzlichen Mindestlohn abgestellt werden; vielmehr können insoweit auch die tarifvertraglichen Mindestentgelte für ungelernte Arbeitskräfte herangezogen werden.
3. Nach § 2 der Fünften Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche beträgt das Mindestentgelt ab Mai 2023 13,90 €/Stunde.
4. Ein gemäß § 7 Abs. 1 UVG übergegangenen Unterhaltsanspruch kann im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht und verfolgt werden.
5. Die Regelung des § 7a UVG steht dem nicht entgegen, weil sich insbesondere aus der Gesetzesbegründung ergibt, daß übergegangene Ansprüche nicht im Wege der Zwangsvollstreckung verfolgt werden sollen.

OLG Celle, Beschluß vom 11. Mai 2023 - 21 WF 43/23
NZFam 2023, 659 = FamRB 2023, 311

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Familienvermögensrecht; Ausgleichsansprüche zwischen Gesamtschuldnern; anderweitige Bestimmung; Haftung beider Elternteile für Kindesunterhalt; Berücksichtigung von Darlehensraten bei der Berechnung von Unterhaltsansprüchen gemeinsamer Kinder; treuwidrige nachträgliche Inanspruchnahme; familienrechtlicher Ausgleichsanspruch.
BGB §§ 242, 387, 426, 1606

1. Dem Anspruch des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners aus § 426 Abs. 1 BGB kann der Ausgleichspflichtige grundsätzlich nicht entgegenhalten, daß eine anderweitige Bestimmung darin bestehe, daß die zugrunde liegenden Darlehensraten bei der Berechnung des Anspruchs auf Unterhalt für die gemeinsamen Kinder einkommensmindernd in vollem Umfang berücksichtigt wurden.
2. Der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner kann sich jedoch durch die nachträgliche Inanspruchnahme treuwidrig verhalten (§ 242 BGB), wenn die berücksichtigungsfähigen Darlehensraten zu einer Reduzierung seines Einkommens mit der Folge geführt haben, daß ein Mangelfall bei dem Unterhalt für die gemeinsamen Kinder zu einer Herabsetzung ihrer Ansprüche um etwa die Hälfte geführt hat, nachträglich höherer Kindesunterhalt nicht mehr gefordert werden kann, und die Reduzierung Unterhalt in etwa dem Ausgleichsanspruch entspricht.
3. Soweit der die gemeinsamen Kinder betreuende, ausgleichspflichtige Gesamtschuldner den nicht gedeckten Kindesunterhalt aus eigenen Einkünften erbracht hat, steht ihm gegen den anderen, nicht leistungsfähigen Elternteil kein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch nicht zu.

OLG Celle, Beschluß vom 17. Mai 2023 - 21 UF 3/23
ZAP EN-Nr. 377/2023 [Ls]

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Erbrecht; Besetzung der Nachlaßgerichte; grobe Unrichtigkeit von richterlichen Erbscheinen, Ursachen und Folgen.
BGB §§ 2353, 2361; FamFG §§ 26, 28, 352, 352e; GNotKG § 21; RPflG §§ 16, 19

1. Dem Senat drängt sich seit Jahren zunehmend der Eindruck auf, daß die von dem Land Niedersachsen genutzte Möglichkeit der weitestmöglichen Übertragung von Nachlaßangelegenheiten auf den Rechtspfleger (§§ 16, 19 RPflG) dazu geführt hat, daß insbesondere bei den kleineren Amtsgerichten nur noch wenige, dann aber häufig schwierige Nachlaßsachen von Richtern zu bearbeiten sind, was zwischenzeitlich auch dazu geführt hat, daß in Abweichung von der früher verbreiteten Praxis immer seltener Amtsgerichtsdirektoren die Nachlaßsachen bearbeiten, sondern aufeinander folgend Richter auf Probe, denen es jedenfalls in dem konkreten Fall an Grundkenntnissen des materiellen Erbrechts und des Verfahrensrechts ebenso zu fehlen scheint wie an der Bereitschaft, sich diese Kenntnisse zu verschaffen.
2. Dies führt zu Entscheidungen, die das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung zu beschädigen geeignet sind (konkret: Erteilung - nicht beantragter - richterlicher Erbscheine, hier u.a. mit dem Inhalt: Die Beteiligte zu 1) »hat den gesamten Nachlaß des Erblassers beerbt, mit Ausnahme des Anteils des Erblassers des Grundbesitzes sowie der Guthabenbeträge auf der Bank.« Der Beteiligte zu 2) »beerbt den Erblasser bezüglich dessen Guthabenbeträge auf der Bank sowie seines Anteils an dem Grundbesitz«).

OLG Celle, Beschluß vom 19. Juni 2023 - 6 W 65/23
NJW-RR 2023, 921 = NJW-Spezial 2023, 455

Entscheidungen OLG Celle 2023 - FD-Platzhalter-rund
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