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Entscheidungen OLG Brandenburg 2023 - FD-Platzhalter-rund

Entscheidungen OLG Brandenburg 2023


 



Ehewohnung und Hausrat; Zuweisung der Ehewohnung während des Getrenntlebens aufgrund besonderer Umstände; unbillige Härte § 1361b Abs. 1 S. 1 und 2 BGB; Beeinträchtigung des Wohles von im Haushalt lebenden Kindern; Anwendung von Gewalt; Herabsetzung der Eingriffsschwelle aufgrund Alleineigentums eines Ehegatten an der Ehewohnung.
BGB § 1361b

1. Eine unbillige Härte § 1361b Abs. 1 S. 1 und 2 BGB kann auch dann vorliegen, wenn das Wohl von in dem Haushalt lebenden Kindern beeinträchtigt ist; der Begriff der unbilligen Härte ist dabei einzelfallbezogen auszufüllen.
2. Aus den in der gesetzlichen Regelung hervorgehobenen Tatbeständen, die eine unbillige Härte begründen können - die Anwendung von Gewalt (§ 1361b Abs. 2 BGB) und die Beeinträchtigung des Kindeswohles (§ 1361b Abs. 1 S. 2 BGB) - ist zu folgern, daß eine Wohnungszuweisung besondere Umstände voraussetzt, die über bloße Unannehmlichkeiten oder Belästigungen, wie sie oft in der Auflösungsphase einer Ehe auftreten, hinausgehen, und unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Ehegatten dessen Verbleib in der Wohnung für den Ehegatten zu einer unerträglichen Belastung machen.
3. Aufgrund Alleineigentums eines Ehegatten an der Ehewohnung ist die Eingriffsschwelle im Sinne geringerer Anforderungen an die Annahme einer unzumutbaren Härte bereits herabgesetzt. Da die Beeinträchtigung des Kindeswohles in § 1361b Abs. 1 BGB ausdrücklich aufgeführt ist, haben zudem die Belange betroffener Kinder grundsätzlich und auch hier Vorrang bei der Billigkeitsabwägung.
4. Das Kindeswohl ist bereits dann beeinträchtigt, wenn die häusliche Atmosphäre nachhaltig gestört ist, wenn dies zu erheblichen Belastungen des Kindes führt. Den Kindesbedürfnissen an einer geordneten und spannungsfreien Familiensituation kommt in solchen Fällen Vorrang zu.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 4. Januar 2023 - 13 UF 177/22
FuR 2023, 385 = NZFam 2023, 332

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Kosten und Gebühren; Entstehen von Einigungsgebühren in von der Offizialmaxime beherrschten Kinderschutzverfahren.
BGB §§ 1666, 1666a; RVG-VV Nrn. 1000, 1003

Auch wenn Verfahren nach §§ 1666, 1666a BGB von der Offizialmaxime beherrscht werden, so können auch in solchen Verfahren von den Beteiligten Vereinbarungen getroffen werden, die sich als tatsächliche Grundlage für eine positive Kindeswohlprognose eignen, und deshalb eine gerichtliche Entscheidung zum Schutz des Kindes entbehrlich machen, so daß eine Einigungsgebühr entstehen kann.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 5. Januar 2023 - 13 WF 143/22
FamRZ 2023, 1229 = NJW-RR 2023, 771 = JurBüro 2023, 134 = MDR 2023, 666 = Rpfleger 2023, 377 = NJ 2023, 120 = FF 2023, 87 [Ls]

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Adoptionsrecht; Akteneinsicht nach Beendigung eines Adoptionsverfahrens; Gesuch eines Dritten auf Einsicht in die von dem Adoptionsgericht geführte Verfahrensakte zum Zwecke der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels.
BGB § 1758; EGGVG §§ 23 ff

1. Die Versagung der Akteneinsicht eines an einem Verfahren nicht beteiligten Dritten stellt einen Akt der Justizverwaltung dar.
2. Die gerichtliche Entscheidung über die Gewährung oder Versagung von Akteneinsicht eines nicht an einem Adoptionsverfahren beteiligten Dritten hat sich an dem Maßstab der § 13 Abs. 2 FamFG, § 1758 BGB zu orientieren.
3. Da das von § 1758 BGB sanktionierte Verbot der Offenbarung und Ausforschung auch die Umstände der Annahme Volljähriger umfaßt, setzt die Gewährung von Aktensicht, wenn der Angenommene seine Zustimmung zu der Aufdeckung der Annahme und ihrer Umstände nicht erteilt hat, voraus, daß besondere Umstände des öffentlichen Interesses dies erfordern.
4. Zu den öffentlichen Interessen, die ein Geheimhaltungsinteresse des von § 1758 BGB geschützten Personenkreises überwiegen können, zählt die Durchsetzbarkeit grundgesetzlich geschützter Positionen eines Einzelnen. Wenn der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in dem konkreten Fall verletzt würde, wenn die Offenbarung der Annahme unterbliebe, überwiegt das öffentliche Interesse an der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes das Geheimhaltungsinteresse.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 10. Januar 2023 - 13 WF 190/22

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Gewaltschutzrecht; »Nachstellen« gegen ausdrücklichen Willen der Verletzten.
BGB § 823; StGB § 239; GewSchG § 1

1. Wiederholtes Nachstellen im Sinne des Gewaltschutzgesetzes kann nur bei systematischen, zielgerichteten und hartnäckigen Belästigungen und Verfolgen einer Person angenommen werden; dazu gehören etwa die wiederholte (körperliche) Verfolgung, Annäherung, Überwachung und Beobachtung, die ständige demonstrative Anwesenheit des Täters in der Nähe des Opfers und der dauernde aufdringliche Versuch der Kontaktaufnahme.
2. Die Belästigung muß zudem gegen den ausdrücklichen Willen der verletzten Person erfolgen; die verletzte Person muß dem Täter also unmißverständlich erklärt haben, daß sie den Kontakt nicht wünscht. Diese - auch konkludent mögliche - Erklärung muß dem Täter auch zugehen.

Brandenburg, Beschluß vom 11. Januar 2023 - 13 WF 198/22
NZFam 2023, 235

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; vorgeschriebene Form der Beschwerdeeinlegung in familiengerichtlichen Verfahren; Schriftformerfordernis; Einlegung einer Beschwerde durch einfache e-mail.
FamFG § 64

Eine Beschwerde kann nicht wirksam durch eine einfache e-mail eingelegt werden; eine nur per e-mail eingelegte Beschwerde, die auch nicht den Anforderungen eines elektronischen Dokuments entsprechend signiert worden ist, ist damit nicht wirksam.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 13. Januar 2023 - 9 UF 168/22

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Verfahrensrecht; Zuständigkeit der Gerichte; Beschwerdeverfahren über die Vergütung eines Berufsbetreuers im Falle eines Aufenthaltswechsels des Betroffenen.
FamFG §§ 4, 5, 273

Ist in einem Beschwerdeverfahren gegen einen Vergütungsfestsetzungsbeschluß über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung für einen Berufsbetreuer zu entscheiden, so bleibt das Beschwerdegericht für das Verfahren auch dann zuständig, wenn während des Be-schwerdeverfahrens der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt verlegt: Die zu treffende Beschwerdeentscheidung betrifft weder die unmittelbaren Rechte des Betroffenen, noch wird sie Einfluß auf dessen Status oder seine tatsächliche Betreuung haben. Die Entscheidung erfordert weder eine Beteiligung des Betroffenen, noch seiner neuen Betreuerin; schon gar nicht ist eine persönliche Anhörung erforderlich.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 19. Januar 2023 - 1 AR 3/23 (SA Z)
FGPrax 2023, 93 = FamRZ 2023, 1071 [Ls] = BtPrax 2023, 116 [Ls]

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Erbrecht; letztwillige Verfügungen; gegenseitige Erbeinsetzung und Schlußerbeneinsetzung durch Ehegatten (sog. Berliner Testament); Errichtung in mehreren Urkunden in zeitlichem Abstand.
BGB § 2269

1. Einem einheitlichen Regelungsgehalt letztwilliger Verfügungen im Sinne eines sogenannten Berliner Testamentes steht nicht entgegen, daß die entsprechenden Anordnungen in drei verschiedenen Urkunden und mit einem zeitlichen Abstand von mehreren Jahren getroffen wurden.
2. Die gegenseitige Erbeinsetzung und die Schlußerbeneinsetzung durch die Ehegatten müssen nicht zwingend in einer Urkunde erfolgen; möglich ist es auch, diese Regelung in verschiedenen Urkunden in zeitlichem Abstand zu treffen, sofern der Wille der Testierenden dahin geht, nunmehr beide Verfügungen als eine Einheit gelten zu lassen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 20. Januar 2023 - 3 W 133/22
FGPrax 2023, 75 = ErbR 2023, 370 = NJW-Spezial 2023, 135 = ZEV 2023, 405 [Ls]

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Prozeßkostenhilfe; beabsichtigtes Scheidungsverfahren; Berücksichtigung einer Lebensversicherung als Vermögen; Versorgungsausgleich.
ZPO § 115

Eine Lebensversicherung ist im Rahmen der Ermittlung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe in Scheidungsverfahren nicht zu berücksichtigen, soweit sie in den Versorgungsausgleich einzubeziehen sein wird, und damit nicht feststeht, inwieweit sie tatsächlich überhaupt eingesetzt werden könnte.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 23. Januar 2023 - 9 WF 4/23

Hinweise
1. Das Gericht hat in dem vorliegenden Verfahrenskostenhilfeverfahren berücksichtigt, dass die Lebensversicherung der Antragstellerin Gegenstand des mit dem Scheidungsverfahren notwendig durchzuführenden Versorgungsausgleichs sein wird. Unterliege das erworbene Vermögen in Höhe von rund 10.000 € grundsätzlich dem Versorgungsausgleich, so könne schon nicht festgestellt werden, dass überhaupt ein die Schonvermögensgrenze von 5.000 € übersteigendes Vermögen der Antragstellerin vorhanden ist (und bleibt).
2. Jedenfalls verbiete es sich in Ansehung des bevorstehenden Versorgungsausgleichsverfahrens, die Antragstellerin - jedenfalls derzeit - zu Verfügungen über diesen Vermögenswert zu veranlassen, die zwar wirksam seien, sie aber dem Vorwurf einer Einwirkung auf ihr Vorsorgevermögen zu Lasten des Antragsgegners aussetzen könnten. Unter diesem rechtlichen Aspekt erscheine die Verweisung der Antragstellerin auf das erworbene Vorsorgevermögen jedenfalls derzeit als unzumutbar.
3. Die Antragstellerin werde allerdings damit rechnen müssen, dass sie nach Abschluß des Scheidungsverbundverfahrens ein ihr zur freien Verfügung verbliebenes Kapitalvermögen oberhalb der Schongrenze auch aus der Lebensversicherung für die entstandenen Verfahrenskosten tatsächlich einzusetzen haben werde.

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Vormundschaft und Pflegschaft; Bestellung eines Amtsvormunds für einen Jugendlichen.
BGB § 1887; SGB VIII § 86

Zu der Anregung des bestellten Amtsvormunds auf Entlassung aus seiner Verantwortung und Bestellung des Jugendamts des Landkreises L. zum neuen Amtsvormund im Interesse und zum Wohle des betroffenen Jugendlichen (§ 1887 Abs. 1 BGB).

OLG Brandenburg, Beschluß vom 23. Januar 2023 - 9 UF 170/22
NZFam 2023, 561

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Verfahrensrecht; Zuständigkeit der Gerichte; Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, Gelegenheit zur Stellungnahme; Bestimmung der funktionellen Zuständigkeit bei Kompetenzkonflikt zweier Zivilkammern eines Landgerichts.
BGB § 2027; ZPO § 27; GVG § 72a

Der besondere Gerichtsstand des § 27 Abs. 1 ZPO gilt nicht nur für die Auskunftsklage gegen den Erbschaftsbesitzer nach § 2027 Abs. 1 BGB, sondern auch für den anderweitigen Besitzer nach § 2027 Abs. 2 BGB.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 24. Januar 2023 - 1 AR 2/23 (SA Z)
ZEV 2023, 171 = ErbR 2023, 372

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Erbrecht; letztwillige Verfügungen; formale Voraussetzungen an den Inhalt eines wirksamen Testamentes; Wirksamkeit eines mehrseitigen aus losen Seiten bestehenden Testamentes; Unterschrift auf der letzten Seite des Testaments; textlicher Zusammenhang; Auslegung für das Vorliegen einer Einsetzung als Alleinerbe im Testament.
BGB §§ 2064, 2087, 2247, 2271

1. Ein Testament, das aus mehreren losen Seiten besteht, und nur auf der letzten Seite unterzeichnet ist, ist wirksam errichtet, soweit zwischen den Seiten ein textlicher Zusammenhang besteht.
2. Ob in einem Testament ein Alleinerbe bestimmt worden ist, ist im Einzelfall auszulegen. Hierfür spricht, wenn ein Alleinerbe zwar nicht namentlich benannt worden ist, diesem aber nicht nur einzelne Positionen, sondern wesentliche Teile des Erbes zugewendet werden, wobei im Rahmen der Beurteilung auch die Werte der einzelnen zugewendeten Positionen im Verhältnis zu dem gesamten Erbe zu berücksichtigen sind.
3. Eine Erbeinsetzung kann trotz Zuwendung nur einzelner Gegenstände anzunehmen sein, wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt hat, wenn er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet hat, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden, oder nur Vermächtnisnehmer vorhanden wären, und nicht anzunehmen ist, daß der Erblasser überhaupt keine Erben berufen und seine Verwandten oder seinen Ehegatten als gesetzliche Erben ausschließen wollte.
4. Ebenso begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, die Zuwendung des wertmäßigen Hauptnachlaßgegenstandes, etwa eines Hausgrundstücks, als Erbeinsetzung des Bedachten anzusehen, wenn der Nachlaß dadurch im Wesentlichen erschöpft wird, oder der objektive Wert das übrige Vermögen an Wert so erheblich übertrifft, daß der Erblasser ihn als seinen wesentlichen Nachlaß angesehen hat.
5. Bei der Entscheidung, ob eine Person als Erbe eingesetzt ist, ist - neben der Zuweisung des Hauptnachlaßgegenstandes - auch darauf abzustellen, wer nach dem Willen des Erblassers den Nachlaß regeln, und die Nachlaßschulden, zu denen auch die Bestattungskosten zählen, zu tilgen hat, und ob der Bedachte unmittelbare Rechte an dem Nachlaß oder nur Ansprüche gegen andere Bedachte erwerben soll. Dabei kann auch von Belang sein, wer nach dem Willen des Erblassers die Kosten der Beerdigung tragen soll.
6. Im Einzelfall kann die Verfügung, daß eine bestimmte Person sich um die Beerdigung kümmern und insgesamt den Nachlaß regeln soll, als Einsetzung zum Alleinerben auszulegen sein.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 24. Januar 2023 - 3 W 113/22
NJW-Spezial 2023, 199 = ErbR 2023, 374 = ZEV 2023, 482 [Ls]

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Erbscheinsverfahren; gewöhnlicher Aufenthaltsort des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes; Erbquote im Falle einer kubanischen Ehefrau sowie deutschen Kindern des Erblassers.
BGB §§ 1371, 1924, 1931; EGBGB Art. 14; EUV 650/2012; FamFG §§ 65, 352e

1. War der Erblasser Angehöriger eines Staates, oder hatte er alle seine wesentlichen Vermögensgegenstände in diesem Staat, so kann seine Staatsangehörigkeit oder der Ort, an dem diese Vermögensgegenstände sich befinden, ein wichtiger Faktor bei der Gesamtbeurteilung aller Umstände über den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers in dem Zeitpunkt seines Todes sein, auch wenn sich der Erblasser etwa aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen - unter Umständen auch für längere Zeit - in einen anderen Staat begeben hatte, um dort zu arbeiten, aber eine enge und feste Bindung zu seinem Herkunftsstaat aufrechterhalten hat.
2. Die Gesamtumstände sprechen dafür, daß der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes in Deutschland zu verorten ist, wenn dieser mehr als zweieinhalb Jahre bis zu seinem Tod ununterbrochen in Deutschland gelebt hat, nachdem er sich zuvor seit Mitte der 1990-er Jahre etwa jeweils hälftig im Jahr in Kuba und in Deutschland aufgehalten hatte. und er bis zu seinem Tod soziale und familiäre Beziehungen in Deutschland hatte (hier: Unter Berücksichtigung aller Umstände waren die Ehegatten zu dem maßgeblichen Zeitpunkt der Eheschließung am engsten mit Kuba verbunden, weil sie nicht zufällig in Kuba geheiratet haben, sondern dort auch ihre gemeinsamen sozialen Beziehungen hatten. und beabsichtigt haben, in Kuba in den nachfolgenden Jahren ihre Ehe zu leben).

OLG Brandenburg, Beschluß vom 26. Januar 2023 - 3 W 71/22
FamRZ 2023, 894 = FGPrax 2023, 77 = ZEV 2023, 522 = ErbR 2023, 412 [Ls]

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Prozeßkosten-/Verfahrenskostenhilfe; Aufhebung einer Verfahrenskostenbewilligung; fehlende Mitteilung des tatsächlichen Aufenthaltsortes.
FamFG § 76; ZPO §§ 120a, 124

Wer gegenüber dem Gericht die Änderung seiner Anschrift nicht mitteilt, und trotz erheblicher amtswegiger Ermittlungen in dem Verfahrenskostenhilfe-Überprüfungsverfahren auch nicht erreichbar ist, verstößt regelmäßig grob nachlässig gegen die sanktionierte Mitteilungspflicht, auf die er bereits in dem von ihm im Rahmen der Erstbewilligung eigenhändig unterschriebenen Formular der »Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse« hingewiesen worden ist.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 1. Februar 2023 - 13 WF 211/22

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Gleichrang unterhaltsberechtigter minderjähriger Kinder; Betreuung eines nachgeborenen Kindes; Leistungsfähigkeit; Aufnahme von Darlehensverbindlichkeiten für den Erwerb einer Immobilie in Kenntnis einer Barunterhaltsverpflichtung.
BGB §§ 1360a, 1603, 1609

1. Nimmt der Unterhaltsschuldner in Kenntnis einer Barunterhaltsverpflichtung Darlehensverbindlichkeiten für den Erwerb einer Immobilie auf, dann diese bei der Bemessung des Kindesunterhalts nur dann zu berücksichtigen, wenn sie nicht außer Verhältnis zu dem im Übrigen verbleibenden Einkommen stehen.
2. Unterhaltsberechtigte minderjährige Kinder sind gleichrangig, weswegen sich ein Unterhaltsverpflichteter nicht auf Leistungsunfähigkeit wegen der Übernahme der Betreuung eines nachgeborenen Kindes berufen kann.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 3. Februar 2023 - 13 UF 40/22

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Familienvermögensrecht; Zugewinngemeinschaft; Zugewinnausgleich; Auskunft über das Vermögen zum Zeitpunkt der Trennung.
BGB §§ 260, 1379, 1567

1. Die darlegungs- und beweisbelastete Partei hat für die Erteilung der Auskunft zum Trennungszeitpunkt die erfolgte Trennung, mithin die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft der Eheleute sowie einen zu dem behaupteten Trennungszeitpunkt objektiv erkennbaren und nach außen eindeutig manifestierten Trennungswillen hinreichend vorzutragen.
2. In der Regel kann bei einer - ohne äußere Gründe - erfolgten Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft der Trennungswille unterstellt werden. Dieser muß nicht in die Zukunft gerichtet sein, sondern bezieht sich nur auf den Zeitpunkt der Trennung; ausreichend ist, daß die häusliche Gemeinschaft zumindest nach der Vorstellung eines Ehegatten eine gewisse Zeit lang nicht bestehen soll.
3. Die Zustimmung zu einer gemeinsamen steuerlichen Veranlagung stellt keinen hinreichenden Anhaltspunkt für eine erfolgte Versöhnung dar; vielmehr setzt eine solche voraus, daß die Ehegatten einverständlich von ihrer Trennung Abstand nehmen, also die häusliche Gemeinschaft - bei fortdauernd getrennten Wohnsitzen jedenfalls zumindest zum Teil - wieder aufgenommen, und den Willen zu der Fortführung der Ehe gefaßt haben.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 3. Februar 2023 - 13 UF 125/22
FuR 2023, 384 = NJW-Spezial 2023, 198

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Unterhalt des getrennt lebenden Ehegatten; Reduzierung der Arbeitstätigkeit bei Betreuung von Kindern im Wechselmodell; Kündigung eines vollzeitigen Arbeitsverhältnisses; Weiterbildungsmaßnahmen für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit; Ansatz von Steuervorauszahlungen bei Bemessung des Unterhalts.
BGB § 1361

1. Bei Betreuung von Kindern im Wechselmodell ist eine Vollzeitarbeit grundsätzlich nicht als überobligationsmäßig anzusehen.
2. Steuervorauszahlungen sind nicht bereits in dem Jahr der Zahlung berücksichtigungsfähig: Wenn die realen Einkünfte und Belastungen feststehen, kommt es auf die Zugrundelegung dieser Werte an.
3. Die Kündigung ein vollzeitigen Arbeitsverhältnisses durch einen Elternteil ist aus unterhaltsrechtlicher Sicht unbeachtlich: Er darf sich nicht zulasten des anderen Elternteils auf eine Reduzierung der Arbeitstätigkeit zurückziehen oder Weiterbildungsmaßnahmen für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit vornehmen, jedenfalls wenn die Einkünfte aus der Selbstständigkeit sehr deutlich unterhalb der vormals erzielten Einkünfte aus der nichtselbständigen Tätigkeit liegen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 10. Februar 2023 - 9 UF 69/22

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Abstammungsrecht; erfolgreiches Vaterschaftsfeststellungsverfahren; Kostentragung; billiges Ermessen; Auferlegung der gesamten Verfahrenskosten; biologischer Vater; berechtigte Zweifel des Kindesvaters; gleichmäßige Kostentragung beider Eltern; intime Beziehung während der gesetzlichen Empfängniszeit; Beteiligung des Kindes an den Kosten seines Abstammungsverfahrens.
FamFG §§ 81, 83

1. Bei einem in der Sache erfolgreichen Vaterschaftsfeststellungsverfahren widerspricht es billigem Ermessen, dem biologischen Vater die gesamten Verfahrenskosten aufzuerlegen, wenn dieser berechtigte Zweifel an seiner Vaterschaft haben durfte, und vor der Kenntnis des Abstammungsgutachtens nicht sicher sein konnte, ob er der Vater des beteiligten Kindes ist.
2. Berechtigte Zweifel an der Vaterschaft bestehen dann, wenn die Mutter bis kurz vor Beginn der gesetzlichen Empfängniszeit mit ihrem früheren Lebensgefährten sexuelle Kontakte hatte, und sich auch nach der endgültigen Trennung von dem später festgestellten biologischem Vater wieder jenem Mann zugewandt hatte.
3. Für eine gleichmäßige Kostentragung beider Eltern spricht eine intime Beziehung während der gesetzlichen Empfängniszeit, vor allem dann, wenn die Unwahrheit einer entgegenstehenden Behauptung nicht festgestellt werden kann.
4. Eine Beteiligung des Kindes an den Kosten seines Abstammungsverfahrens ist unbillig, da es selbst nicht zu der Unsicherheit über die Vaterschaft beigetragen oder Anlaß zu der Verfahrenseinleitung gegeben hat.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 13. Februar 2023 - 13 WF 1/23

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Umgangsrecht; Umgang des Kindes mit den Eltern; Zwangsvollstreckung; Bestimmtheit einer Umgangsregelung.
BGB § 1684; FamFG § 89

1. Eine Umgangsregelung muß hinreichend bestimmt sein, damit sie mit Ordnungsmitteln vollstreckbar ist.
2. Der Umstand, daß gerichtliche Umgangsregelungen jeweils ausdrücklich konkrete Zeiten der Umgangsausübung bestimmen, läßt nicht den Schluß zu, daß hiermit generell ein Verbot der Kontaktaufnahme außerhalb der Umgangszeiten mit geregelt sein soll.
3. Die Vollstreckung eines sich nicht unzweifelhaft aus der Entscheidung ergebenden Gebotes oder Verbotes widerspricht dem vollstreckungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz; die Untersagung solcher Kontaktaufnahmen muß sich deshalb zweifelsfrei dem Tenor der gerichtlichen Entscheidung entnehmen lassen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 14. Februar 2023 - 9 WF 2/23

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Erbrecht; gemeinschaftliches Ehegattentestament; stillschweigende Ersatzerbeneinsetzung der Schlußerben; Teilausschlagung von nur testamentarischer Erbeinsetzung.
BGB §§ 1948, 1950, 2097

1. Es liegt keine unzulässige Teilausschlagung vor, wenn der Erbe aus unterschiedlichen Berufungsgründen zum Erbe berufen ist, und Gegenstand der Ausschlagung die testamentarische Erbeinsetzung ist.
2. Bei der Ausschlagung der testamentarischen Erbeinsetzung bei einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament ist eine stillschweigende Ersatzerbeneinsetzung der Schlußerben anzunehmen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 14. Februar 2023 - 3 W 60/22
FGPrax 2023, 76 = NJ 2023, 166 = ZEV 2023, 308 [216] = ErbR 2023, 525

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Verfahrensrecht; Unterschrift bei Übermittlung eines Schriftsatzes durch einen Telefaxdienst.
ZPO § 130

Bei der Übermittlung eines Schriftsatzes durch einen Telefaxdienst ist die Wiedergabe der Unterschrift in der Kopie notwendig: Nur so kann dem Gericht als Adressaten des Schriftsatzes die erforderliche Gewähr für die Urheberschaft und den Willen des Erstellers des Schriftsatzes geboten werden, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 16. Februar 2023 - 9 UF 11/23

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Erbrecht; Erbeinsetzung oder Vermächtnis; Auslegung einer Verfügung eines Erblassers über das »Verschenken« eines Hausanteils in handschriftlich verfaßtem Schriftstück.
BGB §§ 133, 2084, 2247

Es ist nicht als Schenkung im Rechtssinne zu verstehen, daß ein Erblasser für den Fall seines plötzlichen Ablebens nach einem handschriftlich verfaßten Schriftstück seinen Hausanteil »verschenken« wollte, denn im Zweifel ist die Auslegung so vorzunehmen, daß die Verfügung Erfolg haben kann. Damit kommt eine Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis in Betracht, weil dafür eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung ausreichend ist.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 22. Februar 2023 - 3 W 31/22
ZEV 2023, 319 = ErbR 2023, 460 = ZAP EN-Nr. 276/2023 [Ls]

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt nach Schwangerschaft mit Samenspende; Freistellung von der Unterhaltsverpflichtung; Erfüllungsübernahme und Rückgriffsanspruch.
BGB §§ 329, 670, 1614; FamFG § 113; ZPO § 256

Eine Vereinbarung zwischen dem Samenspender und der (zukünftigen) Mutter über die Freistellung von der Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem durch die Spermaspende gezeugten Kind entfaltet zwar wegen des sanktionierten Unterhaltsverzichts keine rechtlichen Wirkungen für das Kind, ist aber als Erfüllungsübernahme zulässig, und begründet einen Rückgriffsanspruch für geleisteten Unterhalt.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 27. Februar 2023 - 13 UF 21/22
FF 2023, 252 = NZFam 2023, 707

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Gewaltschutzrecht; unzulässige Entscheidung durch nicht begründeten Beschluß aufgrund eines (vermeintlichen) Anerkenntnisses.
BGB § 1004; FamFG §§ 26, 38, 69; GewSchG § 1

1. In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit darf eine Entscheidung aufgrund eines Anerkenntnisses, eines Verzichts oder einer Säumnis grundsätzlich nicht ergehen.
2. Selbst wenn ein Beteiligter in der mündlichen Verhandlung ein Anerkenntnis erklärt, ist das Gericht von Amts wegen verpflichtet, die zu der Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
3. Bei einer Gewaltschutzsache kann eine solche Entscheidung, die keiner Begründung bedarf, anders als etwa in Ehe- und Familienstreitsachen mangels ausdrücklicher gesetzlicher Zulassung auch nicht ausnahmsweise ergehen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 27. Februar 2023 - 13 UF 207/22
NZFam 2023, 522

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Vereinfachtes Verfahren; Anforderungen an Erklärung der Unfähigkeit zur Unterhaltszahlung; Belegpflicht hinsichtlich des Einkommens, nicht des Vermögens.
BGB §§ 133, 157; FamFG §§ 252, 256

1. Erklärt ein Vater, keinen Unterhalt zahlen zu können, und belegt er dazu seine Einkommensverhältnisse, dann ist davon auszugehen, daß er keinen Unterhalt zahlen kann. Es wäre eine leere Förmelei ihm eine Erklärung dahingehend abzuverlangen, daß er null Euro zahlen kann.
2. Der Vater muß auch keine »Kontennachweise« vorlegen: Eine Belegvorlagepflicht gibt es nur hinsichtlich des Einkommens, nicht hinsichtlich des Vermögens.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 28. Februar 2023 - 13 WF 33/23
Rpfleger 2023, 404

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Abstammungsrecht; Beteiligung des potentiellen Vaters an Kosten einer Vaterschaftsfeststellung.
FamFG § 81

Der jedenfalls potentielle Vater kann an den Kosten einer Vaterschaftsfeststellung beteiligt werden, wenn er die Angabe der Mutter nicht in Abrede stellte, daß sie in der gesetzlichen Empfängniszeit mit ihm geschlechtlich verkehrt habe, und zwar weder vorgerichtlich auf die Aufforderung des Jugendamtes, noch innerhalb der ihm vor der gerichtlichen Einholung eines Sachverständigengutachtens eingeräumten Frist zu der Stellungnahme noch selbst in dem Beschwerdeverfahren.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 3. März 2023 – 9 WF 26/23

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; verschärfte Leistungspflicht; Ansatz fiktiver Einkünfte bei einem arbeitsunfähigen Handwerker; Ansatz einer Erwerbsaufwandspauschale auch bei Verpflichtung zum Mindestunterhalt.
BGB § 1603; ArbZG §§ 3, 9

1. Im Rahmen verschärfter Leistungspflicht nach § 1603 Abs. 2 BGB ist eine wöchentliche Erwerbstätigkeit von 48 Stunden auch bei einer täglichen Fahrzeit von insgesamt 70 Minuten zumutbar.
2. Wird dem Unterhaltsschuldner fiktives Einkommen zugerechnet, dann kann von ihm kein konkreter Vortrag zu (fiktiven) berufsbedingten Aufwendungen verlangt werden.
3. Sofern ein als Handwerker tätiger Unterhaltsschuldner, dem Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden ist, keine konkreten Angaben zu den Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit und den Maßnahmen zu deren schneller Wiederherstellung macht, können ihm fiktive Einkünfte aus einer körperlich nicht beanspruchenden Tätigkeit zugerechnet werden.
4. Auch bei einer Verpflichtung zum Mindestunterhalt ist eine Erwerbsaufwandspauschale in Höhe von 5% von dem Einkommen des Unterhaltsschuldners abzusetzen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 3. März 2023 - 13 UF 56/22
NZFam 2023, 564

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Umgangsrecht; Umgang des Kindes mit den Eltern; Pflicht des betreuenden Elternteils zur Ermöglichung und Förderung der Durchführung der Umgänge des Kindes mit dem anderen Elternteil aufgrund einer Umgangsregelung; Voraussetzungen für die Anordnung von Ordnungsmitteln nach § 89 Abs. 1 FamFG; Festsetzung von Ordnungsmitteln wegen nicht stattgefundenem Umgang; kein Verstoß des betreuenden Elternteils gegen diese Pflicht bei außergerichtlich einvernehmlicher Verständigung auf Abweichungen von dem Titel.
BGB § 1684; FamFG §§ 86, 89

1. Die Anordnung eines Ordnungsmittels nach § 89 Abs. 1 FamFG setzt voraus, daß eine Zuwiderhandlung gegen einen Vollstreckungstitel zu der Regelung des Umgangs vorliegt.
2. Der betreuende Elternteil des Kindes hat aufgrund der Umgangsregelung die Pflicht, die Durchführung der Umgänge des Kindes mit dem anderen Elternteil zu ermöglichen und zu fördern. Ein Verstoß des betreuenden Elternteils gegen diese Pflicht kommt aber nicht in Betracht, soweit sich die Eltern außergerichtlich einvernehmlich auf eine Abweichung von dem Titel geeinigt haben, durch die die konkret beanstandete Pflicht zu der Ermöglichung des Umgangs entfällt: Ein Umgang, der nicht eingefordert wird, kann auch nicht vereitelt werden.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 6. März 2023 - 13 WF 19/23

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Verfahrensrecht; Festsetzung des Verfahrenswertes; Antrag auf Änderung titulierten Kindesunterhalts; Differenz zwischen tituliertem und nunmehr beantragtem Kindesunterhalt.
FamGKG § 51

Hat ein Elternteil als Antragsteller den Wegfall eines titulierten Unterhalts beantragt, also ein Abänderungsverfahren eingeleitet, so kommt es für die Wertfestsetzung auf die Differenz zwischen dem titulierten und dem nunmehr beantragten Kindesunterhalt an, nicht jedoch darauf an, ob eine Heraufsetzung oder eine Herabsetzung des Unterhalts begehrt wird; in beiden Fällen gilt der jeweilige Differenzbetrag.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 7. März 2023 - 15 WF 57/23

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Abstammungsrecht; postmortales Vaterschaftsfeststellungsverfahren; keine Verfahrensbeteiligung weiterer Abkömmlinge des verstorbenen Putativvaters außer dem Antragsteller; Beschwerderecht rechtsfehlerhaft an dem familiengerichtlichen Verfahren beteiligter anderer Abkömmlinge des verstorbenen Putativvaters hinsichtlich der Kostenentscheidung, nicht aber gegen die Hauptsacheentscheidung; keine Kostenpflicht von an dem Verfahren beteiligten Personen.
FamFG §§ 7, 59, 81, 172

1. An einem postmortalen Vaterschaftsfeststellungsverfahren sind mangels unmittelbarer Rechtsbetroffenheit außer dem Antragsteller keine weiteren Abkömmlinge des verstorbenen Putativvaters nach §§ 7, 172 FamFG zu beteiligen; auch eine mögliche Beeinträchtigung der Erbenstellung oder die Inhaberschaft des postmortalen Persönlichkeitsrechts rechtfertigen keine solche Beteiligung.
2. Werden unter fehlerhafter Würdigung des § 7 Abs. 3 FamFG neben den Antragsteller auch andere Abkömmlinge des verstorbenen Putativvaters an dem familiengerichtlichen Verfahren beteiligt, dann steht ihnen allenfalls hinsichtlich der Kostenentscheidung ein eigenes Beschwerderecht zu, nicht aber gegen die Entscheidung zur Hauptsache.
3. Eine Kostenauferlegung auf nicht an dem Verfahren beteiligte Personen kommt nach § 81 Abs. 4 FamFG nicht in Betracht.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 9. März 2023 - 13 UF 167/22
NZFam 2023, 568 [Ls]

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des volljährigen Kindes auf Unterhalt; Zugang einer nicht in den Machtbereich des Empfängers gelangten Erklärung; bewußte Verhinderung des Zugangs; vorsätzliche Nichtgewährung von Unterhalt bei Unkenntnis einer Überleitungsanzeige; billigende in-Kaufnahme der Verletzung einer Unterhaltspflicht.
BGB §§ 162, 815, 1601 ff; BAföG § 37

1. Eine nicht in den Machtbereich des Empfängers gelangte Erklärung gilt gleichwohl als zugegangen, wenn dieser den Zugang bewußt verhindert, etwa wenn der Empfänger fahrlässig keine Empfangsvorkehrungen trifft, obwohl er aufgrund vorhergehender Umstände mit dem Eingang von Erklärungen zu rechnen hat.
2. Eine vorsätzliche Nichtgewährung von Unterhalt erfordert, daß die Verletzung der Unterhaltspflicht zumindest billigend in Kauf genommen wird.
3. Es bedarf regelmäßig zusätzlicher, von dem Gläubiger zu beweisender Indizien, aus denen sich entnehmen läßt, daß sich der Schuldner seiner Unterhaltspflicht oder seinen Handlungspflichten bewußt war. Dies ist nicht anzunehmen, wenn Unterhaltsansprüche für den fraglichen Zeitraum nicht tituliert waren, und der Schuldner die Überleitungsanzeige nicht kannte.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 10. März 2023 - 13 UF 104/22
NZFam 2023, 565 = ZInsO 2023, 841 = ZVI 2023, 247 = InsbürO 2023, 329

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Familienvermögensrecht; Wirkungen der Ehe im Allgemeinen; nachwirkende eheliche Lebensgemeinschaft nach Trennung und Scheidung; Bruchteilsgemeinschaft von Eheleuten; Pflichten der (früheren) Ehegatten bezüglich einer im gemeinsamen Eigentum stehenden Immobilie; Verpflichtung zur Mitwirkung an einer Darlehensverlängerung eines gemeinschaftlich aufgenommenen Darlehens; Scheitern einer Umschuldung aufgrund mangelnder Mitwirkung eines der Darlehensnehmer; Schadensersatz wegen Darlehenszinsen.
BGB §§ 242, 249, 280, 286, 745, 1353

1. Auch nach der Trennung von Eheleuten wegen Zerrüttung der Ehe oder nach ihrer Scheidung kann sich noch eine Verpflichtung des Ehepartners ergeben, an einer Darlehensverlängerung oder an einer Umschuldung eines Darlehens mitzuwirken, um die Kosten im Zusammenhang mit der Finanzierung einer gemeinschaftlichen Immobilie zu minimieren.
2. Insoweit muß ein konkretes Angebot nachgewiesen werden, das dem Ehepartner auch nachweislich zugegangen sein muß. Wenn und soweit dies nicht der Fall ist, kann kein Schadensersatzanspruch aufgrund fehlender Mitwirkung entstehen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 10. März 2023 - 13 UF 117/22

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Rechtsschutzbedürfnis bezüglich künftiger Leistung von Kindesunterhalt aufgrund des Bezugs von Unterhaltsvorschuß; Anspruch des Kindes auf Umschreibung des Unterhaltstitels des Landes gegen den unterhaltspflichtigen Elternteil; familienrechtliche Folgen der Einstellung der Zahlung von Unterhaltsvorschuß durch das Land.
BGB §§ 242, 407, 412, 1612a; UVG § 7; FamFG §§ 113, 120; ZPO §§ 127, 567 ff, 727, 767

Auch wenn ein Titel existiert, der den Unterhaltspflichtigen zu der Zahlung von Kindesunterhalt an das Land verpflichtet, welches Unterhaltsvorschuß an das unterhaltsberechtigte Kind leistet und/oder geleistet hat, ist dieses selbst trotzdem berechtigt, ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bei Gericht im eigenen Namen Unterhalt von dem Unterhaltspflichtigen einzufordern.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 13. März 2023 - 9 WF 46/23
JAmt 2023, 295

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Ehewohnung und Hausrat; Einordnung eines leeren Hauses und eines gelegentlich genutztem Nebengebäude als Ehewohnung; Nutzung eines Nebengebäudes zu Partyzwecken oder als Gästezimmer; keine Nutzungsentschädigung ohne Nutzung des Hauses durch den anderen Ehepartner.
BGB § 1361b

1. Ist ein Ehepartner aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen, dann kann er keine Nutzungsentschädigung verlangen, wenn er nicht nachweisen kann, daß der andere Ehepartner das Haus genutzt hat oder nutzt.
2. Gegen eine Nutzung spricht es, wenn sich darin kaum Einrichtungsgegenstände befinden, es verschmutzt ist, angefangene Bauarbeiten nicht abgeschlossen sind, und an den Heizungen die Wärmeregulierer fehlen.
3. Die Nutzung eines Nebengebäudes zu Partyzwecken oder als Gästezimmer führt nicht zu einer Einstufung der Räume als Ehewohnung.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 13. März 2023 - 13 UF 83/20
NJW-Spezial 2023, 293

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Erbrecht; Heilung formnichtiger Schenkungen von Todes wegen mittels postmortaler Vollmacht.
BGB §§ 518, 2301

1. Für die Heilung einer formnichtigen Versprechensschenkung kann es ausreichen, wenn der Versprechensempfänger selbst die versprochene Leistung mit Hilfe einer trans- oder postmortalen Vollmacht des Schenkers noch nach dessen Tode bewirkt.
2. Das ist jedoch anders bei der Vollziehung eines Schenkungsversprechens, das unter der Bedingung erteilt wird, daß der Beschenkte den Schenker überlebt (Schenkung von Todes wegen), da § 2301 BGB derartige Schenkungen von Todes wegen den Vorschriften über die Verfügung von Todes wegen unterstellt.
3. Eine nicht vollzogene Schenkung von Todes wegen kann daher ebenso wenig wie eine formnichtige Verfügung von Todes wegen nach dem Erbfall durch Handlungen einer von dem Erblasser bevollmächtigten Person in Kraft gesetzt werden.

OLG Brandenburg, Urteil vom 21. März 2023 - 3 U 34/22
ErbR 2023, 568 [Ls]

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Versorgungsausgleich; Ausschluß des Versorgungsausgleichs wegen grober Unbilligkeit; illoyale Manipulationen an dem Versorgungsvermögen in bewußtem Zusammenhang mit der bevorstehenden Scheidung.
BGB § 242; VersAusglG § 27

1. Der Ausschluß des Versorgungsausgleichs kann bei einem vorwerfbaren Verhalten des antragstellenden Ehegatten, namentlich im Falle von Manipulationen an dem Versorgungsvermögen, gerechtfertigt sein.
2. Dies setzt eine illoyale Manipulation in bewußtem Zusammenhang mit der bevorstehenden Scheidung voraus, wenn also mindestens ein Ehegatte den Scheidungsentschluß bereits gefaßt hat, und der Ausgleichsberechtigte zumindest bedingt vorsätzlich und treuwidrig die Erhöhung des eigenen oder die Verringerung des gegnerischen Ausgleichsanspruchs beabsichtigt.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 22. März 2023 - 13 UF 16/23
NZFam 2023, 616

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Betreuungsrecht; Führung der Betreuung; Vermögensangelegenheiten; genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäfte; Genehmigung für Rechtsgeschäfte über Grundstücke und Schiffe; nachlaßgerichtliche Genehmigung des Verkaufs eines Waldgrundstücks durch den Nachlaßpfleger.
BGB §§ 1850, 1888

1. Aus der Wertung des § 1850 Nr. 1 und 5 BGB folgt, daß nach Auffassung des Gesetzgebers vorhandenes Grundeigentum als eine besonders wertbeständige Art des Vermögens möglichst erhalten bleiben soll. Es bedarf deshalb besonderer sachlicher Gründe, um bei der erforderlichen Gesamtabwägung zu dem Ergebnis zu gelangen, daß ein Rechtsgeschäft trotz des mit ihm verbundenen Verlustes von Grundvermögen im Interesse der Betroffenen liegt.
2. Als besonderer sachlicher Grund für den Verkauf einer zum Nachlaß gehörenden Immobilie ist anerkannt, daß liquide Mittel benötigt werden, um Verbindlichkeiten des Nachlasses decken zu können.
3. Die bloße Möglichkeit, daß es zu illegalen Holzeinschlägen auf einem Waldgrundstück kommen könnte, reicht nicht aus, um den Verkauf des Grundstücks zu rechtfertigen. Auch der Umstand, daß der Verkaufspreis über dem Bodenrichtwert liegen würde, reicht für den Verkauf nicht aus. Daß Grundstücke über dem Bodenrichtwert verkauft werden, ist regelmäßig der Fall. Daß ein solcher Preis bei einem späteren Verkauf durch die Erben nicht mehr zu erzielen sein wird, ist angesichts steigender Holzpreise ebenfalls nicht zu erwarten.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 28. März 2023 - 3 W 17/23
NJW-Spezial 2023, 360 = FGPrax 2023, 123 = ZEV 2023, 404 [Ls]

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Versorgungsausgleich; Addition der erworbenen Entgeltpunkte in der allgemeinen Rentenversicherung (Ost) mit den Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (Ost).
VersAusglG §§ 10, 19; SGB 06 §§ 97a, 120f

In der Ehezeit erworbene Anrechte in Gestalt von Entgeltpunkten (Ost) für langjährige Versicherung sind neben anderen Anrechten aus dem System der gesetzlichen Rentenversicherung als gesonderte Anrechte mit der Folge zu betrachten, daß eine Zusammenrechnung nicht erfolgen darf.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 29. März 2023 - 9 UF 95/22

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Elterliche Sorge; Lebensmittelpunkt des Kindes; Förderkompetenz und Geschwisterbeziehung.
BGB § 1671

1. Für einen Lebensmittelpunkt des Kindes bei einem Elternteil spricht es, wenn dieser eine etwas bessere Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung hat. Eine leicht reduzierte Förderkompetenz der Mutter ist anzunehmen, wenn sie während ihrer Elternzeit den Besuch des Kindergartens nicht sicherstellte, obwohl ein solcher vor dem Hintergrund der noch nicht ausreichend entwickelten emotional-sozialen Reife eines Kindes ausweislich eines Sachverständigengutachtens dringend notwendig war.
2. Außerdem kommt der Sicherstellung einer positiven Geschwisterbeziehung eine besondere Bedeutung zu; zu dem Zwecke der Aufrechterhaltung der Geschwisterbeziehung ist also Geschwistertrennung zu vermeiden.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 29. März 2023 - 13 UF 157/22
NZFam 2023, 656

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Familienvermögensrecht; Zugewinngemeinschaft; Zugewinnausgleich; Verfügung über Vermögen im Ganzen; Einwilligungsbedürftigkeit bei Veräußerung von 80% an einer Immobilie.
BGB §§ 123, 138, 1365

1. Einwilligungsbedürftig sind Rechtsgeschäfte, durch die sich ein Ehegatte zu der Verfügung über sein Vermögen im Ganzen verpflichtet. Dies ist nach allgemeiner Auffassung bei Vermögen von bis zu 250.000 € der Fall, wenn der Ehegatte über 85% seines Aktivvermögens verfügt. Wird an einem Immobilienmiteigentumsanteil dagegen ein Anteil von 80% veräußert, dann handelt es sich nicht um eine Verfügung über das Vermögen als Ganzes.
2. Ein an dem Abschluß eines sittenwidrigen Rechtsgeschäfts Unbeteiligter kann Ansprüche eines Dritten, namentlich eines von dem Geschäft unmittelbar Betroffenen, nicht im eigenen Namen geltend machen, obwohl sich grundsätzlich jedermann auf die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts berufen kann.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 30. März 2023 - 13 UF 199/20
BWNotZ 2023, 97 = NJW-Spezial 2023, 357

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Herausgabe des Kindes; Verbleibensanordnung bei Familienpflege; Anspruch von Pflegeeltern auf Rückführung ihres früheren Pflegekindes; Inobhutnahme eines Kindes aufgrund Verdachts der Mißhandlung durch Pflegeeltern; Definition des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang bezüglich des Antrages auf Rückführung des Kindes.
BGB § 1632; GG Art. 6; FamFG §§ 59, 63, 64

1. Pflegeeltern können eine Rückführung des Pflegekindes nach § 1632 Abs. 4 BGB nur dann beanspruchen, wenn zwischen der Herausnahme des Kindes aus ihrem Haushalt und der Einleitung des Verfahrens auf Anordnung des Verbleibs ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht.
2. Bei der Aufnahme eines Säuglings in den Haushalt einer Pflegefamilie ist auch nach wenigen Monaten bereits von einer längeren Zeit der Familienpflege auszugehen. Wenn und soweit das Kind nach der Inobhutnahme in eine neue Pflegefamilie vermittelt worden ist, und der Rückführungsantrag erst fünf Wochen nach der Mitteilung über die Neuvermittlung gestellt worden ist, dann fehlt der unmittelbare zeitliche Zusammenhang.
3. Ein Säugling entwickelt in einem Lebensalter von ca. dem dritten bis zum achten Lebensmonat ein Bindungsverhalten, und ab der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres Bindungen zu bestimmten Betreuungspersonen.

OLG Brandenburg, Hinweisbeschluß vom 31. März 2023 - 9 UF 41/23

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Hinweis
Auf diesen Hinweisbeschluß vom 31. März 2023 ist keine Stellungnahme mehr eingegangen. Der Senat hat daher sodann mit Beschluß vom 11. Mai 2023 die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Oranienburg vom 30.01.2023 (35 F 57/22) auf ihre Kosten zurückgewiesen.
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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Vereinfachtes Unterhaltsverfahren; Haushaltszugehörigkeit eines Minderjährigen bei ausgeweiteten Umgangsaufenthalten beim anderen Elternteil.
BGB §§ 1601 ff; FamFG §§ 249, 252, 256

1. Ein Kind lebt noch nicht in dem Haushalt des anderen Elternteils, wenn es sich im Einverständnis mit dem hauptsächlich betreuenden Elternteil zu dem Zwecke des Umgangs regelmäßig bei dem anderen Elternteil aufhält: Ein bloßer Umgangsaufenthalt verlagert nicht den Lebensmittelpunkt eines Kindes.
2. Nur wenn das Kind in etwa gleich langen Zeiträumen abwechselnd in den jeweiligen Haushalten der Eltern lebt, sind die Voraussetzungen des § 249 S. 1 FamFG nicht gegeben. Hingegen ist ein ausgeweiteter Umgang nicht gleichbedeutend mit einer paritätischen Betreuung des Kindes durch beide Eltern.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 5. April 2023 - 13 WF 38/23

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Erbrecht; Testamentsauslegung; Zuwendung einzelner Vermögensgegenstände als Erbeinsetzung; Hinzuerwerb von Vermögenswerten nach der Testamentserrichtung.
BGB §§ 133, 2084, 2087

1. Für die Annahme einer Erbeinsetzung - entgegen dem Wortlaut des § 2087 Abs. 2 BGB - kann trotz Zuwendung nur einzelner Gegenstände sprechen, wenn der Erblasser sein Vermögen vollständig den einzelnen Vermögensgegenständen nach verteilt hat, wenn er dem Bedachten die Gegenstände zugewendet hat, die nach seiner Vorstellung das Hauptvermögen bilden, oder wenn nur Vermächtnisnehmer vorhanden wären, und nicht anzunehmen ist, daß der Erblasser überhaupt keine Erben berufen und seine Verwandten oder seinen Ehegatten als gesetzliche Erben ausschließen wollte.
2. Der Hinzuerwerb von Vermögenswerten nach der Testamentserrichtung ändert an der zu der Überzeugung des Gerichts gegebenen Erbeinsetzung nur dann etwas, wenn im Einzelfall im Wege ergänzender Auslegung festgestellt werden kann, daß der Regelungsplan des Erblassers den nachfolgenden, unvorhergesehenen Vermögenserwerb nicht erfassen sollte, der Erblasser den Bedachten also auf den Gegenstand der Zuwendung beschränken wollte.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 18. April 2023 - 3 W 19/23

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Erbrecht; Erbscheinsverfahren; Beschwerde gegen Erbscheinerteilung.
BGB §§ 1938, 2270, 2271

1. Der Umfang der Wechselbezüglichkeit und der erbrechtlichen Bindung eines gemeinschaftlichen Testamentes obliegt den Beteiligten: Sie können die Änderbarkeit einer Verfügung über die in § 2271 BGB vorgesehen Möglichkeiten erweitern.
2. Die Klausel in einem gemeinschaftlichen Testament, der Längstlebende werde ermächtigt, nach dem Tode des Erstversterbenden »von diesem Testament abweichende Regelungen zu treffen«, kann nur so verstanden werden, daß diesem die Befugnis eingeräumt wird, frei von einer Bindung an die Regelungen des gemeinschaftlichen Testamentes anderweitige Verfügungen über den beiderseitigen Nachlaß zu treffen, zum Beispiel auch die Einsetzung der Schlußerben abzuändern.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 18. April 2023 - 3 W 147/22

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Personenstandsrecht; Berichtigung des Geburtenregistereintrags.
PStG §§ 21, 48; PStV §§ 33, 35

1. Für die Berichtigung eines Geburtenregistereintrages nach § 48 PStG durch das Gericht ist der volle Beweis dafür erforderlich, daß die vorhandene Eintragung von Anfang an unrichtig war, und die beantragte Eintragung richtig ist.
2. Ist die Identität des Vaters durch die vorgelegten Urkunden nicht nachgewiesen, dann ist bei Vaterschaftsanerkennung der Anerkennende als Vater einzutragen mit dem Zusatz »Identität nicht nachgewiesen«.
3. Ein grundsätzlich zum Identitätsnachweis besonders geeigneter Paß genügt dann nicht zu dem eindeutigen Nachweis, wenn weitere Urkunden vorliegen, oder sonstige Tatsachen bekannt sind, die Zweifel an der Richtigkeit der durch den Paß dokumentierten Identität rechtfertigen können.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 20. April 2023 - 7 W 58/22

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Unterhaltsverfahrensrecht; Abänderung eines Unterhaltstitels, Vorliegen einer Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung.
FamFG §§ 54, 57, 68, 112, 113, 119; ZPO §§ 307, 308 ZPO

1. Ob durch eine gerichtliche Entscheidung über Unterhalt eine Regelung in einer Hauptsache oder im Wege der einstweiligen Anordnung getroffen wird, bestimmt sich angesichts der auch in einstweiligen Anordnungsverfahren in Unterhaltssachen bestehenden Bindung des Gerichts an die Sachanträge nach §§ 112 Nr. 1, 113 Abs. 1 S. 2 FamFG in Verbindung mit §§ 307, 308 ZPO in erster Linie nach dem verfahrensgegenständlichen Antrag.
2. Ist der verfahrensgegenständliche Antrag auf die Abänderung einer einstweiligen Anordnung gerichtet, und bezieht sich das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag, so steht der Qualifikation der Entscheidung als ihrerseits einstweilige Anordnung weder die unzutreffende Wertfestsetzung entgegen, noch der Umstand, daß das Amtsgericht ein neues Verfahren angelegt, und zunächst ein schriftliches Vorverfahren angeordnet hat.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 27. April 2023 - 13 UF 211/22

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Leistungsfähigkeit; verschärfte Erwerbsobliegenheit des barunterhaltspflichtigen Elternteils; Zumutbarkeit der Aufnahme einer abhängigen Arbeit; Pflicht des betreuenden Elternteils zu Barunterhaltsleistungen.
BGB §§ 1601, 1602, 1603, 1612

1. Den gegenüber einem minderjährigen Kind barunterhaltspflichtigen Elternteil trifft nach § 1603 Abs. 2 BGB eine verschärfte Erwerbsobliegenheit, die die Zurechnung eines erzielbaren Einkommens rechtfertigt, wenn der Unterhaltsschuldner hinreichende Erwerbsbemühungen unterläßt.
2. Die nach § 1603 Abs. 2 BGB gesteigerte Obliegenheit, seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen und einträgliche Erwerbstätigkeiten auszuüben, trifft auch den berufstätigen Unterhaltsschuldner, dessen vorhandenes Einkommen zu der Erfüllung seiner Unterhaltspflichten nicht ausreicht, und legt ihm auf, sich um besser bezahlte Beschäftigungsmöglichkeiten zu bemühen.
3. Einem selbständigen Unternehmer, der aus seinem Einkommen den Mindestunterhalt für seine Kinder nicht erwirtschaften kann, kann die Aufgabe des Unternehmens und die Aufnahme einer abhängigen Arbeit zugemutet werden, wenn er sonst auf längere Zeit nicht zu Unterhaltsleistungen in der Lage ist.
4. Der betreuende Elternteil ist nur dann zu Barunterhaltsleistungen verpflichtet, wenn ohne seine Beteiligung Barunterhalt ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern entstehen würde. Dies ist erst dann der Fall, wenn der betreuende Elternteil etwa über das Dreifache der unterhaltsrelevanten Nettoeinkünfte des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils verfügt.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 28. April 2023 - 13 UF 79/22
FamRZ 2023, 1198 [Ls]

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Personenstandsrecht; Änderung des Familiennamens von Kindern; Interesse eines nichtsorgeberechtigten Elternteils zur Beibehaltung der namensmäßigen Übereinstimmung als äußeres Zeichen der persönlichen Bindung zu seinem Kind.
FamFG §§ 59, 160; GG Art. 6

1. Das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 GG schützt das Interesse eines nichtsorgeberechtigten Elternteils, die namensmäßige Übereinstimmung als äußeres Zeichen der persönlichen Bindung zu seinem Kind beizubehalten.
2. Auch nichtsorgeberechtigte Eltern sind in Verfahren, die persönliche Angelegenheiten ihres Kindes, wie die Genehmigung eines Namensänderungsantrages, betreffen, stets nach Maßgabe des § 160 Abs. 1 S. 1 FamFG anzuhören.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 9. Mai 2023 - 13 WF 6/23

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Erbrecht; Erbscheinsverfahren; Anfechtung der Kostenentscheidung.
FamFG §§ 18, 43, 81; GNotKG § 22

1. In Erbscheinsverfahren ist der Antragsteller Kostenschuldner gemäß § 22 Abs. 1 GNotKG.
2. Wird die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheines nur von einem Miterben beantragt, haftet auch nur dieser gemäß § 22 Abs. 1 GNotKG.
3. Eine nachträgliche Kostenentscheidung muß gemäß § 43 Abs. 2 FamFG binnen einer zweiwöchigen Frist, die mit Zustellung des Beschlusses beginnt, beantragt werden.
4. Gemäß § 18 Abs. 4 FamFG kann nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht mehr beantragt oder ohne Antrag bewilligt werden.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 10. Mai 2023 - 3 W 4/23

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Verfahrenskostenhilfe; Verfahren über die Namensänderung des Mündels.
FamFG §§ 7, 76; ZPO § 114; GG Art. 6; NamÄndG § 2

1. Der Antrag des Vormundes auf Namensänderung des Mündels greift in das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht ein, das das Interesse auch des nichtsorgeberechtigten Elternteils an der Beibehaltung der namensmäßigen Übereinstimmung als äußeres Zeichen der persönlichen Bindung zu seinem Kind schützt.
2. Verfahrenskostenhilfe ist im Verfahren gemäß § 2 NamÄndG bereits dann zu bewilligen, wenn der Verfahrensgegenstand einen ernsthaften Anlaß zu eingehender Überprüfung erkennen läßt, und zu erwarten ist, der Beteiligte werde Tatsachenschilderungen und Rechtsansichten vortragen können, um seine Rechte geltend zu machen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 10. Mai 2023 - 13 WF 7/23

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Personenstandsrecht; Nachbeurkundung einer in Dänemark geschlossenen Ehe; Zweifel an der Identität eines Ehepartners einer im Ausland geschlossenen Ehe; Identifikationsfunktion eines ausländischen Reisepasses.
FamFG §§ 53, 63; EGBGB Art. 11, Art. 13

1. Grundsätzlich können ausländische Ausweispapiere als Identifikationsnachweis dienen; soweit sich aber Widersprüche oder Unklarheiten ergeben, die nicht einfach abzuklären sind, ist eine weitere Überprüfung erforderlich und geboten.
2. Erteilt ein Antragsteller auf Nachfrage des Gerichts keine weiteren Auskünfte, bzw. erbringt er keine Nachweise erbringt, dann ist die Nachbeurkundung einer ausländischen Eheschließung zu versagen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 10. Mai 2023 - 7 W 39/22

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Herausgabe des Kindes; Verbleibensanordnung bei Familienpflege; Anspruch von Pflegeeltern auf Rückführung ihres früheren Pflegekindes; Inobhutnahme eines Kindes aufgrund Verdachts der Mißhandlung durch Pflegeeltern; Definition des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang bezüglich des Antrages auf Rückführung des Kindes.
BGB § 1632; GG Art. 6; FamFG §§ 59, 63, 64

1. Pflegeeltern können eine Rückführung des Pflegekindes nach § 1632 Abs. 4 BGB nur dann beanspruchen, wenn zwischen der Herausnahme des Kindes aus ihrem Haushalt und der Einleitung des Verfahrens auf Anordnung des Verbleibs ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang besteht.
2. Bei der Aufnahme eines Säuglings in den Haushalt einer Pflegefamilie ist auch nach wenigen Monaten bereits von einer längeren Zeit der Familienpflege auszugehen. Wenn und soweit das Kind nach der Inobhutnahme in eine neue Pflegefamilie vermittelt worden ist, und der Rückführungsantrag erst fünf Wochen nach der Mitteilung über die Neuvermittlung gestellt worden ist, dann fehlt der unmittelbare zeitliche Zusammenhang.
3. Ein Säugling entwickelt in einem Lebensalter von ca. dem dritten bis zum achten Lebensmonat ein Bindungsverhalten, und ab der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres Bindungen zu bestimmten Betreuungspersonen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 11. Mai 2023 - 9 UF 41/23

Hinweis
Der Senat hatte die Antragsteller bereits mit Hinweisbeschluß vom 31. März 2023 darauf hingewiesen, daß die Beschwerde - nach vorläufiger Einschätzung vor abschließender Senatsberatung - keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte. Daraufhin ist keine Stellungnahme mehr eingegangen, so daß die Beschwerde der Antragsteller gegen den angefochtenen Beschluß des Amtsgerichts - Familiengericht - Oranienburg vom 30.01.2023 auf ihre Kosten zurückzuweisen war.

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Umgangsrecht; Umgang des Kindes mit den Eltern; Vergleich zur Umgangsregelung; Wohlverhaltensgebot; Ausfall des Umgangs; Zwangsvollstreckung; Festsetzung eines Ordnungsgeldes.
BGB § 1684; FamFG §§ 86, 89, 111, 151; EGBGB Art. 6

1. Nach dem Abschluß eines Vergleichs über die Umgangsregelung bezüglich eines Kindes besteht eine familienrechtliche gesetzliche Sonderverbindung, bezüglich derer das Wohlverhaltensgebot des § 1684 Abs. 2 BGB anzuwenden ist.
2. Bei einem Verstoß des Verpflichteten gegen die Umgangsregelung durch Erschwerung des Umgangs des anderen Elternteils ohne detaillierten Nachweis triftiger Gründe ist gegen diesen ein Ordnungsgeld zu verhängen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 23. Mai 2023 - 13 WF 67/23

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Versorgungsausgleich; Teilung der Rentenpunkte; Berücksichtigung von Anwartschaften im Rahmen der Beamtenversorgung; Versorgung von Bundesbeamten; Wirkungen der Vereinbarung eines Teilausschlusses.
FamFG §§ 58, 63, 64, 65, 68; VersAusglG §§ 3, 7, 8, 10, 16

1. Anwartschaften auf eine beamtenrechtliche Versorgung sind grundsätzlich extern zu teilen.
2. Sieht der beamtenrechtliche Versorgungsträger jedoch selbst eine interne Teilung vor, dann ist diese maßgeblich.
3. Vereinbarungen der Eheleute über Beginn und Ende der Ehezeit sind nicht möglich, da sich beides aufgrund der Legaldefinition gemäß § 3 Abs. 1 VersAusglG ergibt.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 25. Mai 2023 - 9 UF 22/23

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Kindesbetreuung im paritätischen Wechselmodell; Bezugsberechtigung eines Elternteils bezüglich des Kindergeldes im paritätischen Wechselmodell; Verfahrenskostenhilfe bei erwirkter Einstellung der Auszahlung von Kindergeld durch den anderen Elternteil; Verfahrenswert bei Streit über die Bezugsberechtigung bezüglich des Kindergelds zwischen den Eltern.
BGB § 1612b; FamFG §§ 68, 76, 78, 231; GG Art. 103; ZPO §§ 9, 121, 127, 572; FamGKG § 51; FamGKG-KV Nr. 1320, Nr. 1321

1. Soweit im paritätischen Wechselmodell bei gegenseitiger Freistellung von der Zahlung von Kindesunterhalt bisher ein Elternteil das Kindergeld bezogen hat, und der andere, wirtschaftlich besser gestellte Elternteil die Zahlungseinstellung bewirkt hat, besteht Anlaß für die Einleitung eines Verfahrens im Hinblick auf den Kindesunterhalt.
2. In einem solchen Verfahren ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den von der Zahlungseinstellung betroffenen Elternteil aufgrund der Schwierigkeit der Angelegenheit notwendig, und bei Bedürftigkeit auch Verfahrenskostenhilfe zu gewähren.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 31. Mai 2023 - 13 WF 83/23

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Bemessung des Kindesunterhalts; Auskunfterteilung bezüglich Leistung von Barunterhalt durch den Kindesvater; Zahlung einer Unterhaltsrente durch den Kindesvater.
BGB § 1603; UVG § 7; GG Art. 12; FamFG §§ 51, 243

1. Aufgrund der gesteigerten Erwerbsobliegenheit ist der barunterhaltspflichtige Kindesvater verpflichtet, seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen, und sich bei zu der Erfüllung seiner Unterhaltspflichten unzureichendem Einkommen um eine besser bezahlte Beschäftigung zu bemühen.
2. Bei Ermittlung des Einkommens im Rahmen der Bemessung von Kindesunterhalt sind Fahrtkosten des Kindesvaters mit dem Pkw zur Arbeit zu berücksichtigen, soweit andernfalls bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel eine nächtliche Wartezeit von zwei Stunden anfallen würde.
2. Im Rahmen von mietfreiem Wohnen des Kindesvaters ist ein Aufschlag zu seinem Einkommen hinzuzurechnen, von dem die Zinsen und Tilgungen bis zu der Höhe des Wohnvorteils in Abzug zu bringen sind.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 9. Juni 2023 - 13 UF 160/22

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Erbrecht; Pflichtteilsrecht; Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten gegen den Erben; sofortiges Anerkenntnis bezüglich des Auskunftsanspruchs des Erben im Gerichtsverfahren; Voraussetzungen bezüglich der Erkennbarkeit der Bereitschaft des Erben zu der Vorlage eines notariellen Nachlaßverzeichnisses.
BGB §§ 260, 2314; ZPO §§ 93, 99, 567 ff

Soweit der Erbe nach der Aufforderung des Pflichtteilsberechtigten, ein notarielles Nachlaßverzeichnis vorzulegen, durch einen Rechtsanwalt hat mitteilen lassen, daß er einen Notar mit der Erstellung eines Nachlaßverzeichnisses beauftragt habe, ist erkennbar, daß er grundsätzlich zu der Auskunfterteilung bereit ist.
2. Zu der Erstellung eines entsprechenden Verzeichnisses ist dem Erben eine Frist von drei bis vier Monaten einzuräumen. Klagt der Pflichtteilsberechtigte trotzdem bereits nach kurzer Zeit, und gibt der Erbe unverzüglich ein Anerkenntnis in dem Prozeß ab, dann sind die Kosten des Rechtsstreits dem Pflichtteilsberechtigten aufzuerlegen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 16. Juni 2023 - 3 W 57/23
NJW-Spezial 2023, 456

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Elterliche Sorge; Herausgabe des Kindes; Bestimmung des Umgangs; Verbleibensanordnung bei Familienpflege; Rückführung eines Pflegekindes in den Haushalt der (früheren) Pflegemutter im Rahmen einer Verbleibensanordnung; Herausnahme aus dem Haushalt durch das Jugendamt wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften durch den Pflegevater.
BGB § 1632

Haben sich die früheren Pflegeeltern, in deren Haushalt sich das Kind seit seinem zweiten Lebenstag mit dem Ziel einer späteren Adoption befunden hat, glaubhaft getrennt, um die aufgrund des Besitzes kinderpornographischer Schriften durch den Pflegevater erfolgte Herausnahme des Kindes durch das Jugendamt beenden zu können, so ist die Rückführung in den Haushalt der Pflegemutter gemäß § 1632 Abs. 4 BGB jedenfalls dann angezeigt, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre, weil es ohne für es nachvollziehbare Gründe seine unmittelbaren Bezugspersonen verloren hat.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 17. Juni 2023 - 9 UF 212/19
NZFam 2023, 751

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Erbrecht; kein Recht auf Erteilung eines Erbscheines bei erst nach dem Tode des Erblassers entstanden Schulden.
BGB § 2353; FamFG § 352; ZPO § 792

1. Erben haben nach § 2353 BGB Anspruch auf einen Erbschein. Dieses Zeugnis, ausgestellt von dem Nachlaßgericht, weist einerseits das Erbrecht, andererseits auch dessen Umfang aus.
2. § 792 ZPO begründet für den Gläubiger des Erblassers, der bereits einen vollstreckbaren Titel gegen den Erblasser hat, und der zu der Verwirklichung des Titels eines Erbscheines bedarf, ein inhaltsgleiches Antragsrecht wie dasjenige des Erben als seines Schuldners.
3. Dies gilt jedoch nicht für Schulden, die erst nach dem Tode des Erblassers entstanden sind.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 19. Juni 2023 - 3 W 55/23
NJW-Spezial 2023, 456

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Erbrecht; Herausgabe eines Erbteils; Einzug eines Erbscheines wegen Unrichtigkeit; anwendbares Recht bei Adoption in der sowjetischen Besatzungszone; ungerechtfertigte Bereicherung; Einwand der Entreicherung bezüglich der Herausgabe des Erbes; Rechtsfolgen der teilweisen Aufhebung der Nachlaßpflegschaft.
BGB §§ 812, 818, 1746, 1789, 1791, 1823, 1861, 1885, 1888, 1915, 1919, 1962, 2018, 2021; EGBGB Art. 234 § 13; FGB/DDR; EGFGB/DDR

1. Die Adoption eines Erblassers im Jahre 1948 in der sowjetischen Besatzungszone führte spätestens zu dem Zeitpunkt des Beitritts der DDR zu der Bundesrepublik Deutschland dazu, daß alle Rechte und Pflichten aus dem Verhältnis des Erblassers zu seinen leiblichen Angehörigen erloschen sind.
2. Für den Eintritt einer Entreicherung im Sinne des § 818 Abs. 3 BGB ist der angeblich Entreicherte darlegungs- und beweispflichtig; er muß daher seine Vermögensstände zu dem Zeitpunkt der Entstehung des Bereicherungsanspruchs und demjenigen zu dem Zeitpunkt des Herausgabeverlangens des tatsächlichen Berechtigten offenlegen.

OLG Brandenburg, Urteil vom 19. Juni 2023 – 3 U 64/21

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Erbrecht; Testament; Zuwendungen an einen Abkömmling; Wegfall ursprünglich Bedachter nach der Errichtung des Testamentes; Zuwendungen an Abkömmlinge des Erblassers; Einziehung eines unrichtigen Erbscheines.
BGB § 2069

Hinter der Erstreckung auf Abkömmlinge des Bedachten steht eine bestimmte Vorstellung von der Motivation des Erblassers, nämlich die Annahme, der Erblasser habe den Bedachten in erster Linie wegen seiner Eigenschaft als Abkömmling eingesetzt. Die gesetzliche Regel des § 2069 BGB geht daher von einem typischen hypothetischen Erblasserwillen zugunsten der Erstreckung auf Abkömmlinge aus.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 20. Juni 2023 - 3 W 41/23

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Elterliche Sorge; Wechselmodell; Aufenthaltsbestimmungsrecht für ein gemeinsames Kind; Schulwahl für das gemeinsame Kind Sorgerecht bezüglich im Wechselmodell betreuter Kinder; Beendigung der Kinderbetreuung im Wechselmodell.
BGB § 1671; FamFG §§ 44, 69, 160; GG Art. 6

Bei Streit der Eltern über das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist - orientiert an dem Wohle des Kindes - durch das Gericht zu entscheiden; dabei sind der Förderungsgrundsatz, der Kontinuitätsgrundsatz, der Kindeswille und die Bindungen des Kindes an die Elternteile sowie an die Geschwister zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 21. Juni 2023 - 13 UF 157/22

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Erwerbsmöglichkeiten des Unterhaltsschuldners; mangelnde Leistungsfähigkeit; Minderverdienst aufgrund Aus- und Weiterbildung; Rechtsfolgen unzulässiger Reduzierung der Arbeitszeit.
BGB §§ 1601, 1602, 1603, 1610, 1612a, 1612b

1. Grundsätzlich geht die Verpflichtung eines Unterhaltsschuldners dessen Aus- und Weiterbildungsinteresse vor.
2. Wenn und soweit der Unterhaltsschuldner seine Arbeitszeit reduziert, um zu studieren, handelt er grundsätzlich leichtfertig; entsprechende Aufwendungen hierfür sind im Hinblick auf seine Unterhaltspflicht nicht berücksichtigungsfähig.
3. Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn der Unterhaltsschuldner eine Erstausbildung absolviert.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 22. Juni 2023 - 13 UF 43/21

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des volljährigen Kindes auf Unterhalt; Zeitraum Forderungsübergang bezüglich Unterhalt bei Bezug von ALG II; Aufhebung eines Leistungsbescheides des Jobcenters für den streitgegenständlichen Zeitraum; Voraussetzungen für die Nachzahlung von Unterhalt für die Vergangenheit.
BGB §§ 286, 1601, 1603, 1605, 1612, 1613; FamFG §§ 68, 117; SGB II §§ 24, 33, 41a; SGB X § 115

Wenn und soweit das Jobcenter Leistungen zum Lebensunterhalt erbracht hat, geht der Unterhaltsanspruch gegen den Unterhaltsverpflichteten auch dann an das Jobcenter über, wenn die Leistungen zunächst nur vorläufig bewilligt worden sind.
Eine spätere Rücknahme des Leistungsbescheides und selbst die Rückzahlung der erhaltenen Leistungen führen nicht dazu, daß der Anspruch automatisch wieder an den Unterhaltsberechtigten zurückfällt.
Ein Anspruch auf Nachzahlung von Unterhalt für die Vergangenheit setzt voraus, daß vor dem Rückstandszeitraum zunächst eine wirksame Aufforderung durch den Anspruchsteller an den Unterhaltspflichtigen erfolgt ist.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 22. Juni 2023 - 13 UF 80/22

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Vormundschaft und Pflegschaft; Ergänzungspflegschaft; Zeugnisverweigerungsrecht des Kindes im Ermittlungsverfahren gegen einen Elternteil; Bestellung eines Ergänzungspflegers bei Vernehmung eines Kindes als Zeuge im Ermittlungsverfahren gegen einen Elternteil; Vernehmung des Kind nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den Elternteil.
BGB § 1809

1. Wenn und soweit das Kind erst acht Jahre alt ist, fehlt ihm die Verstandesreife, die Bedeutung eines Zeugnisverweigerungsrechts zu erfassen, so daß bei beabsichtigter Vernehmung des Kindes in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen einen Elternteil für das Kind ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist.
2. Bei vorläufiger Einstellung eines Ermittlungsverfahrens gegen einen Elternteil entfällt das Bedürfnis für die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Kind, das als Zeuge aussagen soll, nicht.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 27. Juni 2023 - 13 WF 72/23

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; einstweiliges Anordnungsverfahren; Einleitung eines Abänderungsverfahrens durch den Antragsgegner hinsichtlich eines bereits laufenden einstweiligen Anordnungsverfahrens; Kostenentscheidung; gesonderte Kostenfestsetzung im Verfahren nach § 54 FamFG.
ZPO §§ 104, 567 ff; FamFG § 54; FamGKG-KV; RVG § 16

Durch die Einleitung eines Abänderungsverfahrens durch den Antragsgegner hinsichtlich eines bereits laufenden einstweiligen Anordnungsverfahrens bezüglich Kindes- und Betreuungsunterhaltes entstehen keine zusätzlichen Kosten, so daß eine insoweit ergangene Kostengrundentscheidung ins Leere geht.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 26. Juni 2023 - 13 WF 91/23

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Versorgungsausgleich; betriebliche Altersversorgung; Verwertung von Anrechten aus einer privaten Altersversorgung (Versicherung) nach Rechtshängigkeit der Scheidung; Auflösung einer Versicherung durch einen Ehegatten und Weiterbestehen der anderen Versicherung bei dem anderen Ehepartner.
FamFG §§ 58, 63, 64, 65, 66; VersAusglG §§ 19, 20, 27

1. Die private Versicherung eines Ehepartners kann im Rahmen Versorgungsausgleichs nur dann berücksichtigt werden wenn sich die Ansprüche aus der privaten Altersversorgung bereits hinreichend verfestigt haben. Wenn und soweit dies (noch) nicht der Fall ist, kann noch nachträglich eine Ausgleichung vorgenommen werden.
2. Wenn und soweit beide Ehepartner jeweils Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung hatten, der eine diese aber auflöst, bevor der Versorgungsausgleich stattgefunden hat, entspricht es der Billigkeit, auch die betriebliche Altersversorgung des anderen Ehepartners im Rahmen des Versorgungsausgleichs nicht zu berücksichtigen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 5. Juli 2023 - 9 UF 166/22

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Versorgungsausgleich; betriebliche Altersversorgung; Verwertung von Anrechten aus einer privaten Altersversorgung (Versicherung) nach Rechtshängigkeit der Scheidung; Auflösung einer Versicherung durch einen Ehegatten und Weiterbestehen der anderen Versicherung bei dem anderen Ehepartner.
FamFG §§ 58, 63, 64, 65, 66; VersAusglG §§ 19, 20, 27

1. Die private Versicherung eines Ehepartners kann im Rahmen des Versorgungsausgleichs nur dann berücksichtigt werden wenn sich die Ansprüche aus der privaten Altersversorgung bereits hinreichend verfestigt haben. Wenn und soweit dies (noch) nicht der Fall ist, kann noch nachträglich eine Ausgleichung vorgenommen werden.
2. Wenn und soweit beide Ehepartner jeweils Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung hatten, der eine diese aber auflöst, bevor der Versorgungsausgleich stattgefunden hat, dann entspricht es der Billigkeit, auch die betriebliche Altersversorgung des anderen Ehepartners im Rahmen des Versorgungsausgleichs nicht zu berücksichtigen.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 5. Juli 2023 - 9 UF 166/22

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Anpassung des Mindestunterhalt; Vereinfachtes Verfahren; Verpflichtung eines Elternteils zur Zahlung von Barunterhalt eines in seinem Haushalt lebenden Kindes; neuer Vortrag zur mangelnden Zulässigkeit des Vereinfachten Verfahrens im Beschwerdeverfahren.
BGB § 1606; FamFG §§ 65, 69, 249, 256; UVG § 7

1. Lebt das Kind in dem Haushalt eines Elternteils, dann kann es von diesem in der Regel keinen Barunterhalt verlangen, da davon auszugehen ist, daß dieser Elternteil seine Unterhaltspflicht schon durch Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt.
2. Im Vereinfachten Verfahren neuer Vortrag zu der Unzulässigkeit des Vereinfachten Verfahrens im statthaft, auch wenn die Partei diesen bereits in erster Instanz hätte vorbringen können.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 13. Juli 2023 - 13 WF 78/23

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Anpassung des Mindestunterhalt; Vereinfachtes Verfahren; Verpflichtung eines Elternteils zur Zahlung von Barunterhalt eines in seinem Haushalt lebenden Kindes; neuer Vortrag zur mangelnden Zulässigkeit des Vereinfachten Verfahrens im Beschwerdeverfahren.
BGB § 1606; FamFG §§ 65, 69, 249, 256; UVG § 7

1. Lebt das Kind in dem Haushalt eines Elternteils, dann kann es von diesem in der Regel keinen Barunterhalt verlangen, da davon auszugehen ist, daß dieser Elternteil seine Unterhaltspflicht schon durch Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt.
2. Im Vereinfachten Verfahren neuer Vortrag zu der Unzulässigkeit des Vereinfachten Verfahrens im statthaft, auch wenn die Partei diesen bereits in erster Instanz hätte vorbringen können.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 13. Juli 2023 - 13 WF 78/23

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Versorgungsausgleich; Einkommensanrechnung beim Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung; Anrechnung von Entgeltpunkten Ost.
VersAusglG § 3

Anläßlich der Berücksichtigung eines Zuschlags wegen langjähriger Versicherung im Versorgungsausgleich sind besondere Einkommensanrechnungsregeln, insbesondere § 97a SGB VI anzuwenden.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 14. Juli 2023 - 9 UF 101/22

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Elterliche Sorge; gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohles; keine Anordnungskompetenz des Familiengerichts gegenüber dem Jugendamt.
BGB §§ 1666; SGB VIII

1. Das Gebot des § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB, Hilfe in Anspruch zu nehmen, richtet sich seinem Wortlaut nach an den Hilfsbedürftigen, und setzt zudem ein zur Verfügung stehendes Hilfsangebot voraus, welches in Anspruch genommen werden kann; eine Rechtsgrundlage für einen Selbsteintritt oder eine Ersetzungsbefugnis des Familiengerichts für erforderlich erachtetes Verwaltungshandeln bzw. für fachliche Weisungen zu der Ausübung des behördlichen Einschreitens- oder Ausübungsermessens ist darin jedoch nicht zu sehen.
2. Eine solche Anordnungskompetenz des Familiengerichts kann auch in § 1666 Abs. 4 BGB gesehen werden. Zwar kann danach in besonders gelagerten Fällen bei Angelegenheiten der Personensorge auch eine Maßnahme gegen einen Dritten erfolgen, wenn von dessen Verhalten eine Gefahr für das Kindeswohl ausgeht; eine Befugnis des Familiengerichts zu dem Erlaß von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohles gegenüber Behörden ist damit aber nicht verbunden, denn Dritte im Sinne der Vorschrift sind nicht Behörden und sonstige Träger der öffentlichen Gewalt. Auf der Grundlage des § 1666 Abs. 4 BGB können die Familiengerichte daher auch die Jugendämter nicht zu der Vornahme oder Unterlassung von Maßnahmen der Jugendhilfe nach dem SGB VIII verpflichten.

OLG Brandenburg, Beschluß vom 17. Juli 2023 - 9 UF 111/23

Entscheidungen OLG Brandenburg 2023 - FD-Platzhalter-rund
Fachanwälte im Familienrecht gesucht

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