Rechtsprechung Bundesverfassungsgericht
im Familienrecht und im Erbrecht 2023 (1. Halbjahr)
Rechtsprechung Bundesverfassungsgericht im Familienrecht und im Erbrecht 2022 (Übersicht)
Rechtsprechung Bundesverfassungsgericht im Familienrecht und im Erbrecht 2022
Rechtsprechung Bundesverfassungsgericht im Familienrecht und im Erbrecht 2021
Erbrecht; Berücksichtigung grundrechtlicher Positionen Minderjähriger im Kontext der familiengerichtlichen Genehmigung einer Erbausschlagung durch deren Sorgeberechtigte; Ausschlagung einer überschuldeten Erbschaft durch minderjährige Erben; Bestellung eines Ergänzungspflegers.
BGB §§ 1629a, 1796 a.F., 1975 ff; GG Art. 103; FamFG § 41; BVerfGG §§ 23, 92
1. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 103 Abs 1 GG - etwa in Verfahren vor dem Rechtspfleger - darf der Einzelne nicht zum bloßen Objekt staatlicher Entscheidung werden; ihm muß insbesondere die Möglichkeit gegeben werden, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluß auf das Verfahren und dessen Ergebnis nehmen zu können. Dies setzt voraus, daß der Betroffene von dem Sachverhalt und von dem Verfahren, in dem dieser verwertet werden soll, überhaupt Kenntnis erhält.
2. In fachgerichtlichen Verfahren, die die Ausschlagung einer überschuldeten Erbschaft durch minderjährige Erben betreffen (hier: Bestellung eines Ergänzungspflegers gemäß § 1796 BGB a.F., § 41 Abs 3 FamFG), muß berücksichtigt werden, daß die Grundrechtspositionen des betroffenen Minderjährigen auch durch die eintretende Erbenstellung für einen überschuldeten Nachlaß berührt sind.
3. Aus diesem Grunde haben die Fachgerichte jedenfalls auch in den Blick zu nehmen, inwieweit sich die mit der Erbschaft eintretende Haftung für Nachlaßverbindlichkeiten (§ 1967 BGB) nachteilig auf die verfassungsrechtlich geschützten Vermögensinteressen des betroffenen Kindes auswirken kann.
4. Einzubeziehen sind insoweit auch die Möglichkeiten im materiellen Fachrecht, minderjährige Erben vor verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren finanziellen Verpflichtungen zu schützen, und insbesondere die geltenden Regelungen zu der Beschränkung der Erbenhaftung (§§ 1975 ff BGB) und zu der Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 Alt. 3 BGB).
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 4. Januar 2023 - 1 BvR 758/21
FamRZ 2023, 641 = Rpfleger 2023, 342 = FamRB 2023, 233 = ZEV 2023, 371


Mangels hinreichender Substantiierung unzulässige Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit dem Anfall einer offenbar überschuldeten Erbschaft bei einer vierjährigen Erbin, für deren allein sorgeberechtigte Mutter eine rechtliche Betreuung unter anderem für den Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten bestand. Die Mutter hatte versäumt, die familiengerichtliche Genehmigung der Erbausschlagung innerhalb der Ausschlagungsfrist an das Nachlaßgericht weiterzuleiten. Die angegriffenen Entscheidungen versagten in der Folge die Bestellung eines Ergänzungspflegers, dem nochmals der Genehmigungsbeschluß zwecks fristgerechter Weiterleitung zugestellt werden sollte.
Umgangsrecht; Umgang der Eltern mit ihren Kindern; Einschränkung oder Ausschluß; Schutz des Kindes im Einzelfall; Gefährdung der seelischen oder körperlichen Entwicklung; vorläufiger vollständiger Umgangsausschluß eines Vaters mit seinen Töchtern bei Verdacht auf sexuellen Mißbrauch; keine Verletzung des Elternrechts aus Art. 6 GG; Anforderungen an fachgerichtliche einstweilige Anordnungsverfahren aufgrund Gefährdungslage.
BGB §§ 1666, 1684; GG Art. 6
1. Eine Einschränkung oder ein Ausschluß des von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gewährleisteten Umgangsrechts ist nur veranlaßt, wenn nach den Umständen des Einzelfalles der Schutz des Kindes dies erfordert, um eine Gefährdung seiner seelischen oder körperlichen Entwicklung abzuwehren.
2. Um dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dabei Rechnung zu tragen, müssen die Fachgerichte jedenfalls bei einem länger andauernden oder einem unbefristeten Umgangsausschluß - insoweit nicht grundlegend anders als bei dem Entzug des Sorgerechts auf der Grundlage von § 1666 BGB - grundsätzlich die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret benennen.
3. Dabei ist zu berücksichtigen, daß in fachgerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurückbleiben. Die Gefährdungslage muß sich aber auch insoweit nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit derart verdichtet haben, daß ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist.
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 20. Januar 2023 - 1 BvR 2345/22
FamRZ 2023, 525 = FuR 2023, 293 = NZFam 2023, 319 = ZKJ 2023, 218 = FF 2023, 215 [Ls]


Betreuungsrecht; Besuchsrecht bei in einem Pflegeheim lebender, unter Betreuung stehender Mutter; Hausverbot seitens des Pflegeheims; Subsidiaritätsgrundsatz; Durchführung eines Betreuungsverfahren bezüglich Umgangsregelung.
BGB § 1834; FamFG § 274; GG Art. 6
1. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität soll ein gerügter Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit bereits in dem fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden.
2. Ein Beschwerdeführer hat also alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern.
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 25. Januar 2023 - 2 BvR 2255/22
FamRZ 2023, 634 = NJW 2023, 909 = NZFam 2023, 333 = BtPrax 2023, 100 = RuP 2023, 102


Eine Verfassungsbeschwerde bezüglich der Ermöglichung von Besuchen der Beschwerdeführerin bei ihrer in einer Pflegeeinrichtung lebenden, unter Betreuung stehenden Mutter erwies sich als unzulässig. Die Pflegeeinrichtung hatte der Beschwerdeführerin einerseits ein Hausverbot erteilt; andererseits war die Betreuerin der Mutter der Beschwerdeführerin mit Besuchen nicht einverstanden. Der Subsidiaritätsgrundsatz gebot vorliegend den Abschluß des betreuungsrechtlichen Verfahrens: Der Beschwerdeführerin sei es möglich, sich gemäß § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG an dem Betreuungsverfahren zu beteiligen, und die von der Betreuerin erlassene Umgangsregelung nach § 1834 Abs 1 und 3 BGB zur Überprüfung zu stellen. Insbesondere drohe keine Rechtsschutzlosigkeit dadurch, daß das Betreuungsgericht lediglich auf das ausgesprochene Hausverbot verwiesen hat; vielmehr müßten in dem Betreuungsverfahren die dem Hausverbot zugrunde liegenden Vorwürfe auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden. Im Falle eines Obsiegens vor dem Betreuungsgericht könne die Beschwerdeführerin das Hausverbot erneut zur zivilgerichtlichen Überprüfung stellen.
Eherecht; Unwirksamkeit sogenannter Kinderehen (im Ausland vor Vollendung des 16. Lebensjahrs eines Ehegatten geschlossene Ehen); Verfassungswidrigkeit des Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in der Fassung vom 17.07.2017; unverhältnismäßiger Eingriff in Eheschließungsfreiheit mangels flankierender Regelungen; mangelnde Regelung der Unwirksamkeitsfolgen (nacheheliche Ansprüche; Berücksichtigung der sozio-ökonomischen Schutzbedürftigkeit der betroffenen Minderjährigen); mangelnde Möglichkeit wirksamer Fortführung der Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit; Fortgeltungsanordnung bis längstens 30.06.2024.
BGB §§ 1303, 1318, 1360, 1360a, 1592; GG Art. 6; EGBGB Art. 6, Art. 13, Art. 229 § 44; KiEheBekG; UNKRÜbk
1. Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG ist eine rechtlich verbindliche, im Grundsatz auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluß beruhende, in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstandspflichten einhergehende, gleichberechtigte und autonom ausgestaltete Lebensgemeinschaft, die durch einen formalisierten, nach außen erkennbaren Akt begründet wird.
Nach ausländischem Recht eingegangene Lebensgemeinschaften ehelicher Art unterfallen dann nicht ohne Weiteres dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG, wenn diese verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien zuwiderlaufen.
2. Die Freiheit der Ehe erfordert und gestattet gesetzliche Regeln, die die als Ehe verfassungsrechtlich geschützte Lebensgemeinschaft rechtlich definieren und abgrenzen.
Solche Regelungen müssen mit den Strukturprinzipien vereinbar sein, und den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügen.
3. Der Gesetzgeber darf Ehehindernisse schaffen, um die das Institut der Ehe im Sinne der Verfassung bestimmenden Strukturprinzipien zu gewährleisten. Dazu können die autonome Entscheidung beider Eheschließenden sichernde Anforderungen an die Ehefähigkeit etwa in Gestalt von Mindestaltersgrenzen für die Eheschließung gehören.
BVerfG, Beschluß vom 1. Februar 2023 - 1 BvL 7/18
BGBl I 2023, Nr. 108 [Entscheidungsformel] = BVerfGE 165, … = FamRZ 2023, 837 = FuR 2023, 343 = NJW 2023, 1494 = NZFam 2023, 496 = FamRB 2023, 264 = StAZ 2023, 169 = JA 2023, 609 = MDR 2023, 571 = EuGRZ 2023, 88 = IPRax 2023, 380 = JAmt 2023, 241 = FF 2023, 199-200 [Ls] ZAR 2023, 181 [Ls] = LMK 2023, 807426 [Ls] = ZAP EN-Nr. 253/2023 [Ls] = DÖV 2023, 561 [Ls] = JMBl LSA 2023, 165 [Ls]


Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB greift in verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigter Weise in die durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit ein. Der Gesetzgeber ist zwar grundsätzlich befugt, die inländische Wirksamkeit im Ausland geschlossener Ehen von einem Mindestalter der Beteiligten abhängig zu machen; ihm ist es auch nicht von vornherein verwehrt, bei Unterschreiten dieses Alters in dem Zeitpunkt der Eheschließung ohne Einzelfallprüfung statusrechtlich die Nichtigkeit der Ehe anzuordnen. Obwohl der Gesetzgeber legitime Ziele verfolgt, und die Regelung zu deren Erreichen geeignet und erforderlich ist, erweist sich Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in seiner derzeitigen Ausgestaltung jedoch als unangemessen, und ist damit nicht verhältnismäßig im engeren Sinne.
1. Verfolgung eines legitimen Zwecks
Die unmittelbar durch Gesetz angeordnete inländische Unwirksamkeit der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB - vorbehaltlich der Ausnahmen nach Art. 229 § 44 Abs. 4 EGBGB - erfaßten nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Ehen verfolgt mit dem Minderjährigenschutz sowie der Schaffung von Rechtsklarheit verfassungsrechtlich legitime Ziele.
a) Mit dem Minderjährigenschutz trägt der Gesetzgeber einer verfassungsrechtlichen Schutzverantwortung Rechnung. Verfassungsrechtlich legitim ist der Zweck des Minderjährigenschutzes auch insoweit, als mit der vorgelegten Norm zu der internationalen Ächtung von Kinderehen beigetragen werden soll. Dieses Ziel des Gesetzgebers steht in Einklang mit dem Bemühen der Vereinten Nationen, den wegen der Beeinträchtigung der Entwicklungschancen vieler Kinder, vor allem von Mädchen, als schädliche Praxis bewerteten Kinder-, Früh- und Zwangsehen weltweit zu begegnen.
b) Der weitere Zweck der vorgelegten Norm, Rechtsklarheit zu schaffen, nachdem die bisher anzuwendende Generalklausel des Art. 6 EGBGB uneinheitlich angewandt wurde, ist ebenfalls verfassungsrechtlich legitim.
2. Geeignetheit der Regelung
a) Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB ist im verfassungsrechtlichen Sinne zu der Erreichung der mit der Regelung verfolgten Zwecke geeignet: Sowohl der angestrebte unmittelbare und mittelbare Minderjährigenschutz als auch die auf die inländische Unwirksamkeit der erfaßten Ehen bezogene Rechtsklarheit können durch die vorgelegte Vorschrift gefördert werden.
b) Die vorgelegte Norm ist nicht deshalb im verfassungsrechtlichen Sinne ungeeignet, weil sie keine Einzelfallprüfung vorsieht. Das Grundgesetz schließt es auch bei dem Schutz von Minderjährigen bzw. der Gewährleistung des Kindeswohles dienenden Vorschriften nicht von vornherein aus, typisierende Regelungen zu treffen.
3. Erforderlichkeit der Regelung
a) Die durch die vorgelegte Norm gesetzesunmittelbar angeordnete inländische Unwirksamkeit der erfaßten nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Ehen ist sowohl zu dem Minderjährigenschutz als auch zu der Verbesserung der Rechtsklarheit des Status solcher Ehen im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich. Es ist nicht erkennbar, daß dem Gesetzgeber Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, mit denen die verfolgten Zwecke mit geringeren Belastungen sicher gleich wirksam erreicht werden können.
b) Mit Blick auf die Intensität des Eingriffs steht dem Gesetzgeber allerdings für die Beurteilung der Erforderlichkeit lediglich ein geringer Einschätzungsspielraum zu: Die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB gesetzesunmittelbar angeordnete Unwirksamkeit der von der Regelung betroffenen Ehen wirkt inländisch ähnlich wie ein Ehehindernis für die nach ausländischem Recht wirksam miteinander verheirateten Eheleute. Diese Wirkung begrenzt nicht nur den Spielraum des Gesetzgebers bei dem Aufstellen solcher Regelungen, sondern schränkt wegen der Beeinträchtigung des Zugangs der Eheleute zu einer inländisch wirksamen Ehe auch den auf die Erforderlichkeit bezogenen gesetzgeberischen Einschätzungsspielraum ein.
c) Dennoch ist die vorgelegte Norm im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich. Mögliche Alternativen zu der getroffenen Regelung gesetzesunmittelbarer Unwirksamkeit der betroffenen Auslandsehen wiesen teils nicht sicher gleiche Wirksamkeit auf, teils ist bereits eine geringere Belastung der Betroffenen nicht gesichert.
4. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne
Die in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB unmittelbar durch Gesetz angeordnete Unwirksamkeit der betroffenen, nach ausländischem Recht wirksam geschlossenen Ehen ist nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Der dadurch bewirkte Eingriff in die Eheschließungsfreiheit des Art. 6 Abs. 1 GG ist wegen des Fehlens von Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit außerhalb der Statusfolge und über eine Möglichkeit für die bei Heirat unter 16-Jährigen, die wirksame Auslandsehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch nach inländischem Recht als wirksame Ehe führen zu können, unangemessen.
a) Die vorgelegte Norm beeinträchtigt bereits wegen ihrer für das Inland einem Ehehindernis ähnelnden Wirkung die durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit mit nicht unerheblichem Gewicht. Soweit die betroffenen Ehen in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG fallen, greift Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB zudem in deren Bestand ein, und vereitelt den Anspruch auf Anerkennung der im Ausland wirksam geschlossenen Ehen durch das deutsche Recht. Dieses wird noch dadurch verstärkt, daß eine Möglichkeit fehlt, die auf der Grundlage ausländischen Rechts wirksam geschlossene Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit auch im Inland als wirksame zu führen. Berührt ist teilweise zudem das Rechtsverhältnis zu aus der Verbindung hervorgegangenen Kindern.
b) Dem nicht unerheblichen Gewicht des Eingriffs in die Eheschließungsfreiheit steht vor allem mit dem Minderjährigenschutz auf nationaler und internationaler Ebene ein gewichtiger Gemeinwohlbelang gegenüber. Der Minderjährigenschutz als Gemeinwohlbelang von großer Bedeutung hat seine verfassungsrechtliche Grundlage in dem aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 6 Abs. 2 GG folgenden Anspruch von Kindern auf Unterstützung und Förderung durch den Staat bei ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten in der sozialen Gemeinschaft. Diese Schutzverantwortung des Staates erstreckt sich auf alle für die Persönlichkeitsentwicklung wesentlichen Lebensbedingungen; sie erschöpft sich nicht in der Sicherung der vorrangigen Elternverantwortung für die Entwicklung des Kindes, sondern umfaßt unterstützende und ergänzende Pflichten des Staates, wo dies für dessen Persönlichkeitsentwicklung bedeutsam ist.
c) Obwohl der Gesetzgeber insbesondere mit dem Schutz von Minderjährigen in von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfaßten Ehen und der Mitwirkung an der weltweiten Überwindung solcher Ehen gewichtige Gemeinwohlbelange verfolgt, erweist sich die vorgelegte Norm als unangemessen und damit als nicht im engeren Sinne verhältnismäßig.
aa) Der mit der Unwirksamkeitsanordnung in Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB verfolgte Zweck steht zwar nicht deshalb außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG, weil der Gesetzgeber für eine vorrangig dem Minderjährigenschutz dienende Regelung keine Einzelfallprüfung, und damit auch keine Beteiligung der einzelnen Betroffenen vorgesehen hat. Ein angemessener Ausgleich der betroffenen Interessen kann hier auch ohne beide Elemente gelingen: Weder durch Verfassungsrecht noch durch völkerrechtliche Vorgaben ist der Gesetzgeber gehalten, bei entsprechender Zwecksetzung durchgängig Vorschriften zu schaffen, die die Prüfung der Schutzbedürftigkeit der einzelnen Minderjährigen in einem behördlichen oder gerichtlichen Verfahren vorsehen (etwa UN-Kinderrechtekonvention).
bb) Trotz der großen Bedeutung des Schutzes Minderjähriger bei von ihnen eingegangenen Ehen steht es dazu aber nicht in einem angemessenen Verhältnis, daß der Gesetzgeber - mit Ausnahme von § 26 Abs. 1 S 2 AsylG keine spezifischen Regelungen über die Folgen der Unwirksamkeit getroffen hat, obwohl Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB auch nach ausländischem Recht wirksam geschlossene und tatsächlich bereits geführte Ehen erfaßt, die in den Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG fallen. Besonders nachteilig wirkt sich für die von der Regelung betroffenen Minderjährigen aus, daß wegen der inländischen Unwirksamkeit der Ehe nach zum Fachrecht ganz überwiegend vertretener Auffassung mangels Anwendbarkeit von § 1318 BGB nacheheliche Ansprüche vollständig fehlen.
Sozio-ökonomische Schutzerwägungen zugunsten der Minderjährigen führen ebenfalls dazu, daß bei der Unwirksamkeitslösung das Fehlen von Regelungen zu nachehelichen Ansprüchen in keinem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Minderjährigenschutz stehen. Die Umstände und die Gründe für das Eingehen solcher Ehen weisen auf eine häufig bestehende wirtschaftliche Abhängigkeit des minderjährigen Ehegatten von dem älteren Ehepartner hin. In dem Heimatland maßgebliche wirtschaftliche Gründe der Minderjährigen für das Eingehen der Ehe können zwar mit der Übersiedlung nach Deutschland an Bedeutung verloren haben. Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß sie typischerweise gänzlich entfallen sind und die Minderjährigen in sozio-ökonomischer Hinsicht nicht mehr schutzbedürftig sind.
cc) Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erweist sich zudem als unangemessener Eingriff in die Eheschließungsfreiheit, weil es an einer Regelung fehlt, die es der Minderjährigen ermöglicht, ab dem Erreichen der Volljährigkeit die Ehe aufgrund eines nun selbstbestimmten Entschlusses im Inland als wirksame Ehe zu führen. Die allein eröffnete Möglichkeit, denselben Partner erneut im Inland zu heiraten, stellt keinen angemessenen Ausgleich zwischen dem von dem Gesetzgeber bezweckten Minderjährigenschutz einerseits und dem Gewicht des Eingriffes in Art. 6 Abs. 1 GG andererseits dar.
dd) Wegen des Verzichts auf Regelungen über die Folgen der von der vorgelegten Norm angeordneten und vor allem über eine zugunsten der Minderjährigen wirkende Möglichkeit, die Ehe nach Erreichen der Volljährigkeit als auch inländisch wirksame Ehe zu führen, werden die betroffenen Grundrechtsträger durch Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB unzumutbar belastet.
5. Weitergeltungsanordnung
a) Einer Übergangsregelung bedarf es lediglich für unterhaltsrechtliche Fragen der weiterhin inländisch unwirksamen Ehe. Daher ist § 1318 BGB auf die von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfaßten Minderjährigenehen mit der Maßgabe anzuwenden, daß die durch die Vorschrift für anwendbar erklärten Vorschriften über die Scheidung mit der nicht nur vorübergehenden Trennung der Eheleute zur Anwendung gelangen. Soweit die danach maßgeblichen Vorschriften auf die Dauer der Ehe abstellen, tritt in den Fällen der nicht nur vorübergehenden Trennung der von Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB erfaßten Eheleute die Dauer des Zusammenlebens. Während der Dauer des Zusammenlebens gelten übergangsweise die §§ 1360, 1360a BGB für die Unterhaltsansprüche der Betroffenen entsprechend.
b) Eine Übergangsregelung zu der rechtlichen Vaterschaft für aus den betroffenen Auslandsehen hervorgegangene Kinder ist nicht geboten. Die Möglichkeiten des leiblichen Vaters, die rechtliche Vaterschaft zu erlangen, sind durch die unabhängig vom Ehestatus anwendbaren § 1592 Nr. 2 und 3 BGB für eine Übergangszeit noch hinreichend gewährleistet.
Elterliche Sorge; Verletzung des Elternrechts; Aufrechterhaltung eines Sorgerechtsentzugs mit Fremdunterbringung; Anforderungen an die Sachaufklärung im familiengerichtlichen Verfahren; lediglich telefonische Anhörung des betroffenen Jugendlichen.
BGB § 1666; GG Art. 6, Art. 103; FamFG §§ 26, 68, 159
1. Der Schutz des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts. Eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar, der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen oder aufrechterhalten werden darf. Art. 6 Abs. 3 GG gestattet diesen Eingriff nur unter strengen Voraussetzungen.
2. Die fachgerichtlichen Annahmen dazu, ob die Voraussetzungen für eine Trennung des Kindes von den Eltern im Einzelfall erfüllt sind, unterliegen wegen des besonderen Eingriffsgewichts einer strengen verfassungsgerichtlichen Überprüfung. Der verfassungsgerichtliche Kontrollmaßstab kann sich ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken.
3. Deutliche Fehler bei der Feststellung des Sachverhalts liegen jedenfalls dann vor, wenn nicht hinreichend erkennbar wird, auf welche Erkenntnisgrundlage die Gerichte ihre tatsächlichen Annahmen stützen. Gleiches kommt in Betracht, wenn die Erkenntnisquellen des Gerichts zu einer entscheidungserheblichen Frage inhaltlich voneinander abweichen, und das Gericht in einem solchen Fall nicht weitere Erkenntnisquellen nutzt oder nicht deutlich macht, aus welchem Grunde es einer der voneinander abweichenden Erkenntnisquellen folgt.
4. In fachrechtlicher Hinsicht ist es vor diesem Hintergrund bedenklich, wenn die Gerichte ein von dem zuständigen Abteilungsrichter des Familiengerichts geführtes Telefongespräch mit dem von einer Sorgerechtsentziehung mit Fremdunterbringung betroffenen Minderjährigen (hier: 15-Jähriger) als persönliche Anhörung im Sinne von § 159 FamFG ausreichen lassen.
5. § 159 FamFG verlangt grundsätzlich, daß ein 15-jähriges Kind durch das Gericht persönlich anzuhören ist. Steht der Entzug der elterlichen Sorge bezüglich dieses Kindes in Rede, und sind insofern die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung, dann muß sich das Gericht selbst einen persönlichen Eindruck von dem Kind verschaffen, also das Kind visuell und akustisch wahrnehmen.
6. Selbst unter der Geltung eines strengen verfassungsgerichtlichen Kontrollmaßstabes geht aber nicht mit jedem Verstoß gegen einfaches Recht stets eine Verletzung von Verfassungsrecht einher. Verfassungsrechtlich kommt es bei der Beurteilung eines Eingriffs in das Elternrecht darauf an, ob die Gerichte den Sachverhalt dergestalt ermittelt haben, daß eine möglichst zuverlässige Tatsachengrundlage für eine an dem Wohle des Kindes orientierte Entscheidung vorliegt.
7. Hat das Gericht aber eine zuverlässige Tatsachengrundlage für eine an dem Wohle des Kindes orientierte Entscheidung ermittelt, dann kann selbst der vollständige Verzicht auf eine einfachrechtlich vorgesehene persönliche Anhörung in Sorgerechtsangelegenheiten mit Verfassungsrecht in Einklang stehen, wenn er mit dem Zweck der betroffenen Anhörungsregelung vereinbar ist. Entsprechendes gilt - selbst bei der durch Art. 6 Abs. 3 GG gebotenen strengen verfassungsrechtlichen Kontrolle - in dem Falle einer den fachrechtlichen Anforderungen wohl nicht genügenden Durchführungsform der Anhörung des Kindes.
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 7. Februar 2022 - 1 BvR 1655/21
FamRZ 2022, 694 = NJW 2022, 1005 = NZFam 2022, 509 = FF 2022, 310 = FamRB 2022, 219 = ZKJ 2022, 182


1. Zu den Anforderungen an die Sachaufklärung im Sorgerechtsverfahren siehe BVerfGE 55, 171, 182; s. auch BVerfGE 79, 51, 62.
2. Es begegnet zwar hinsichtlich der fachrechtlichen Anforderungen Bedenken, daß das Amtsgericht den 15-jährigen Sohn der Beschwerdeführerin lediglich telefonisch angehört, und das Oberlandesgericht auf dieses Basis von einer persönlichen Anhörung abgesehen habe; allerdings verfügten die Fachgerichte über den eindeutigen Inhalt der telefonischen Anhörung hinaus über weitere Erkenntnisquellen (Äußerungen des Sohnes gegenüber dem Sachverständigen, dem Jugendamt, der Verfahrensbeiständin und Betreuern der Wohngruppe) zu dem mehrfach klar geäußerten Wunsch des Sohnes, nicht in den Haushalt der Beschwerdeführerin zurückkehren zu wollen.
3. Soweit die Beschwerdeführerin hinsichtlich der lediglich telefonischen Anhörung ihres Sohnes eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend mache, sei sie mit Blick auf den offensichtlichen Interessenkonflikt zwischen ihr und ihrem Sohn in dem Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht vertretungsbefugt.
Elterliche Sorge; Entzug des Sorgerechts wegen Gewaltvorwürfen; Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde; keine hinreichende Substantiierung; prozessualer Überholung; ausreichende Beschwer.
BGB § 1666; GG Art. 6
1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, kann sich die Beschwer in aller Regel nur aus deren Tenor ergeben; Rechtsausführungen sowie nachteilige Ausführungen in den Gründen einer Entscheidung allein begründen keine Beschwer.
2. Es fehlt an einer Beschwer, wenn das Rechtsmittelgericht zwar eine den Beschwerdeführer belastende Entscheidung der Vorinstanz aufhebt, in den Gründen allerdings die Entscheidung der Vorinstanz materiell-rechtlich als zutreffend betrachtet.
3. Zu der Zulässigkeit einer Urteilsverfassungsbeschwerde bedarf es zudem außer der Vorlage der angegriffenen Entscheidungen auch der jener Schriftstücke, ohne deren Kenntnis sich die Berechtigung der geltend gemachten Rügen nicht beurteilen läßt; zumindest muß der wesentliche Inhalt wiedergegeben werden (hier: fehlende Vorlage eines von dem Familiengericht in Bezug genommenen Berichts des Jugendamtes).
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 15. Februar 2023 - 1 BvR 1773/22
FamRZ 2023, 781 = FuR 2023, 291


Der Beschluß des Oberlandesgerichts über den Entzug des Sorgerechts begegnet zwar fachrechtlichen Bedenken: Das Gericht hat die den betroffenen Kindern drohenden Schäden im Sinne des § 1666 Abs 1 BGB hinreichend konkret benannt, jedoch hätte es nach den Umständen des Falles Anlaß gehabt, näher zu begründen, wieso der Entzug des gesamten Sorgerechts erforderlich ist. Damit geht allerdings keine auf der Hand liegende Verletzung des Elternrechts der Beschwerdeführerin einher.
Verfahrensrecht; Rechtsmittel; mangels Fristwahrung unzulässige Verfassungsbeschwerde; Sorgfaltsanforderungen bei der Erhebung der Beschwerde mittels Telefax; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
BVerfGG §§ 23, 92, 93
1. Ein Verfahrensbevollmächtigter hat alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Einlegungsfrist und die sonstigen Anforderungen an die Erhebung der Verfassungsbeschwerde gewahrt werden.
2. Bei Übermittlung der Verfassungsbeschwerde per Telefax umfassen die Sorgfaltspflichten die Überprüfung der ordnungsgemäßen und vollständigen Versendung des Telefaxes anhand des ausgedruckten Sendeprotokolls des Faxgerätes. Wird eine solche End- und Ausgangskontrolle unterlassen und damit die fehlerhafte Übertragung übersehen, dann liegt eine Sorgfaltspflichtverletzung vor, weil die mögliche Wiederholung der Übermittlung vereitelt wird.
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 15. Februar 2023 - 1 BvR 2349/22
NJW 2023, 1347 = ZAP EN-Nr. 383/2023 [Ls] = StRR 2023, Nr. 7, 2 [Ls] = VRR 2023, Nr. 7, 2 [Ls]


1. Mangels eines ausdrücklichen oder zumindest entsprechend auslegungsfähigen Wiedereinsetzungsantrages kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 93 Abs 2 BVerfGG nicht in Betracht, zumal wenn es zudem an jeglicher Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes fehlt. Die versäumte Prozesshandlung wurde nicht binnen der Zwei-Wochen-Frist des § 93 Abs. 2 S. 2 BVerfGG nachgeholt; insbesondere ist aber nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Einhaltung der Monatsfrist aus § 93 Abs 1 S 1 BVerfGG schuldlos erfolgte: Vielmehr ist die Verfahrensbevollmächtigte den Sorgfaltsanforderungen bei der Übermittlung der Verfassungsbeschwerde per Telefax nicht gerecht geworden. Die gebotene Ausgangskontrolle hat offenbar nicht stattgefunden.
Verfahrensrecht; elektronischer Rechtsverkehr; Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Nichtberücksichtigung eines elektronisch eingereichten Schriftsatzes im Zivilprozeß.
BGB § 1769; ZPO § 130a; GG Art. 103; BVerfGG § 93c; ERVB 2018, § 2 ERVV
1. Art. 103 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn ein Gericht einen ordnungsgemäß eingereichten Schriftsatz unberücksichtigt läßt. Auf ein Verschulden des Gerichts hinsichtlich der unterbliebenen Kenntnisnahme des Vorbringens kommt es dabei nicht an: Die Gründe für den Gehörsverstoß sind nicht entscheidungserheblich.
2. Kann ein im elektronischen Rechtsverkehr eingereichter Schriftsatz trotz Erfüllung der technischen Voraussetzungen dennoch von dem zuständigen Gericht nicht verarbeitet werden, dann steht dies einer ordnungsgemäßen Einreichung nicht entgegen, wenn sich der Inhalt des Dokuments nachträglich einwandfrei feststellen läßt.
3. Der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG besteht unabhängig von einer förmlichen Beteiligtenstellung in dem Ausgangsverfahren; dieser Anspruch steht vielmehr jedem zu, demgegenüber die gerichtliche Entscheidung materiell-rechtlich wirkt, und der deshalb von dem Verfahren rechtlich unmittelbar betroffen wird. Dazu gehören bei einer Adoption die Kinder des Annehmenden.
BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluß vom 16. Februar 2023 - 1 BvR 1881/21
FamRZ 2023, 875 = NZFam 2023, 569 = NJW-Spezial 2023, 350 = IBR 2023, 324 = RDi 2023, 348 = BRAK-Mitt 2023, 201 [Ls] = ZAP EN-Nr. 277/2023 [Ls]


Verfahrensrecht; Verfahrensrecht; Ablehnung von Richtern und Sachverständigen; Rechts auf den gesetzlichen Richter; fachrechtlich bedenkliche, jedoch nicht willkürliche Behandlung eines Ablehnungsgesuchs im familiengerichtlichen Verfahren.
ZPO §§ 41, 42; GG Art. 101
1. Eine »Entziehung« des gesetzlichen Richters im Sinne von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG aufgrund der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen über die Richterablehnung (hier: §§ 41 ff ZPO) kann nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; die Grenzen zu einem Verfassungsverstoß sind vielmehr erst dann überschritten, wenn die Auslegung und Anwendung des maßgeblichen einfachen Rechts willkürlich oder offensichtlich unhaltbar ist, oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite von Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG grundlegend verkennt, und zwar auch dann, wenn ein Ablehnungsgesuch infolge fehlerhafter Anwendung des einfachen Rechts zurückgewiesen worden ist.
2. Es begegnet daher im rechtlichen Ausgangspunkt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, § 42 Abs. 2 ZPO unter anderem dahingehend auszulegen, daß sachlich fehlerhafte Entscheidungen, der ablehnenden Partei ungünstige Rechtsauffassungen oder Verfahrensverstöße für sich genommen nicht für das Vorliegen von richterlicher Befangenheit bedeutsam sind. Dies gilt unter anderem für die Auffassung, die Grenze zu der Besorgnis der Befangenheit sei erst dort erreicht, wo das Vorgehen der abgelehnten Richter rechtliche Vorgaben in einer Weise überschritten, die den Eindruck einer sachwidrigen Benachteiligung vermittelten.
3. Es steht mit Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG es in Einklang, eine derart fehlerhafte Handhabung des Verfahrens erst dann anzunehmen, wenn es zu einer Häufung von Verfahrensverstößen oder anderen Verhaltensweisen der abgelehnten Richter kommt, die in ihrer Gesamtheit einen Grund für die Besorgnis der Befangenheit bilden können, was vor allem bei schweren Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör oder auf ein faires Verfahren in Frage kommt.
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 16. Februar 2023 - 1 BvR 1883/22
NZFam 2023, 473


Elterliche Sorge; erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die vorläufige Entziehung der elterlichen Sorge gegenüber der allein sorgeberechtigten Mutter sowie gegen die Anordnung von Vormundschaft; hinreichende fachgerichtliche Feststellungen zur drohenden Kindeswohlgefährdung.
BGB §§ 1666, 1773; GG Art. 6
1. Auch in familiengerichtlichen einstweiligen Anordnungsverfahren sind von Verfassungs wegen grundsätzlich Feststellungen zu Art und Schwere der konkret drohenden Gefährdung des Kindeswohles geboten, wenn die Entziehung der elterlichen Sorge in Rede steht.
2. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Entscheidungen über die vorläufige Entziehung der elterlichen Sorge sowie der Anordnung von Vormundschaft.
3. Durch fachgerichtliche Bezugnahmen auf Entscheidungen in vorangegangenen Verfahren wird hinreichend deutlich, daß und weshalb ein Beschwerdegericht eine erheblich eingeschränkte Erziehungsfähigkeit der Beschwerdeführerin und eine damit verbundene Gefährdung des geistigen und seelischen Wohls des Kindes annimmt (hier: Es lagen unter anderem Anhaltspunkte für ein Vorenthalten altersadäquater sozialer Kontakte des Kindes vor).
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 16. Februar 2023 - 1 BvR 2663/21
FamRZ 2023, 1023 = FF 2023, 333 [Ls]


Elterliche Sorge; erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Sorgerechtsentzug bei bereits eingetretenen Beeinträchtigung des Kindeswohles; Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Darlegung der Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung.
BGB § 1666; GG Art. 6; BVerfGG §§ 23, 92
1. Eine räumliche Trennung der Kinder von den Eltern gegen deren Willen stellt den stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht dar, der nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen oder aufrechterhalten werden darf.
2. Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt einen solchen Eingriff lediglich unter der strengen Voraussetzung, daß das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, daß das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre.
3. Eine solche Gefährdung des Kindes ist dann anzunehmen, wenn bei ihm bereits ein Schaden eingetreten ist, oder wenn sich eine erhebliche Gefährdung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen läßt.
4. Zu den Anforderungen, die im einstweiligen Anordnungsverfahren an die hinreichende Konkretisierung bereits eingetretener Schädigungen des Kindeswohles gestellt werden.
5. Um dem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) Rechnung zu tragen, und um der Verpflichtung des Staates, über dessen Ausübung zu wachen, gerecht zu werden, müssen Sorgerechtsverfahren so gestaltet werden, daß sie geeignet sind, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine an dem Kindeswohle orientierte Entscheidung zu erlangen, auch wenn es insbesondere in Eilverfahren regelmäßig nicht möglich, noch vor der Entscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen (hier: Unzulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde bezüglich fachgerichtlicher Eilentscheidungen über den Sorgerechtsentzug sowie die Fremdunterbringung der Kinder des Beschwerdeführers).
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 7. März 2023 - 1 BvR 221/23
FamRZ 2023, 944 = FF 2023, 248 = FamRB 2023, 319


1. Die Möglichkeit einer Verletzung insbesondere des Elternrechts des Beschwerdeführers war nicht dargelegt; das gilt sowohl für seine Beanstandungen gegen die Annahme des Oberlandesgerichts, daß die Voraussetzungen für einen mit der Trennung von Eltern und Kindern verbundenen einstweiligen Sorgerechtsentzug vorliegen, als auch für die Beanstandungen der Verfahrensgestaltung.
2. Es begegnete unter anderem keinen Bedenken, daß das Oberlandesgericht von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat, und den Ausführungen einer knappen Stellungnahme der Sachverständigen nicht gefolgt ist.
Sozialrecht; Ausbildungsförderung; stattgebender Kammerbeschluß; Verletzung des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) durch nicht nachvollziehbare fachgerichtliche Auslegung des Begriffs der »unbilligen Härte« im Sinne des § 29 Abs 3 BAföG; Anrechnung eines Erbteils von einem Zwölftel an einem von weiteren Familienmitgliedern bewohnten Haus ohne Berücksichtigung des mit einer Zwangsversteigerung verbundenen finanziellen Verlustes.
BAföG §§ 11, 26 ff, 29; GG Art. 3; BVerfGG § 93c
1. Wird auf einen Bedarf für Ausbildungsförderung (§ 11 BAföG) wirtschaftlich nicht verwertbares Vermögen angerechnet (§ 11 Abs. 2 S 1 BAföG), dann stellt dies nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung eine unbillige Härte im Sinne des § 29 Abs. 3 BAföG dar.
2. Auch die Notwendigkeit, Vermögen im Wege der Zwangsversteigerung eines Hausgrundstücks einzusetzen, kann ein wirtschaftliches Verwertungshindernis begründen, denn dabei entsteht regelmäßig ein erheblicher wirtschaftlicher Verlust (hier: Verletzung des Willkürverbotes durch Versagung von BAföG-Leistungen unter Anrechnung des Wertes eines Miterbenanteils in Höhe 1/12 an einer von dem Beschwerdeführer, seiner Mutter und seiner schulpflichtigen Brüder bewohnten Immobilie).
BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluß vom 21. März 2023 - 1 BvR 1620/22
NJW 2023, 1876 = NVwZ 2023, 823


Die angegriffenen Entscheidungen enthielten keine Feststellungen zu dem mit einer Zwangsversteigerung verbundenen wirtschaftlichen Verlust; statt dessen hat das Verwaltungsgericht trotz der unterstellten Notwendigkeit einer Zwangsversteigerung in nicht nachvollziehbarer Weise angenommen, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, daß sich das hier in Rede stehende Einfamilienhaus nicht zu einem angemessenen Preis verkaufen lasse. Darüber haben die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen bei der Anwendung der Härtefallregelung des § 29 Abs 3 BAföG nicht berücksichtigt, daß die Mutter und die beiden Brüder des Beschwerdeführers zu einer voraussichtlich unwirtschaftlichen Verwertung ihres Anteils an dem gemeinsam bewohnten Hausgrundstück gezwungen würden, obwohl sie nicht zum Einsatz ihres Vermögens verpflichtet sind, um dem Beschwerdeführer ein Studium zu ermöglichen (§ 11 Abs 2 S 1 BAföG).
Umgangsrecht; Umgang des Kindes mit den Eltern; keine Verletzung des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) durch längerfristiger Umgangsausschluß wegen erheblichen sexuellen Kindesmißbrauchs; Geltung des § 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG auch in der Beschwerdeinstanz.
BGB § 1684; FamFG §§ 68, 159; GG Art. 6; BVerfGG § 90; MRK Art. 8
1. Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen (Art 6 Abs 2 S 1 GG) an familiengerichtliche Entscheidungen über einen längerfristigen Ausschluß des Umgangsrechts und zu den insofern geltenden Maßgaben des Rechts auf Achtung und Schutz des Familienlebens (Art. 8 EMRK).
2. § 159 Abs 2 Nr. 1 FamFG gilt auch in der Beschwerdeinstanz; die Geltung ist insbesondere nicht durch § 68 Abs 5 FamFG ausgeschlossen.
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 3. April 2023 - 1 BvR 2353/22
FamRZ 2023, 946 = FF 2023, 360 = NZFam 2023, 703


1. Es ist mit Blick auf die Ausgestaltung des fachgerichtlichen Verfahrens grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn das Beschwerdegericht die Vorschrift des § 159 Abs. 2 Nr. 1 FamFG anwendet, und bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von einer Anhörung der betroffenen Kinder absieht.
2. Vorliegend erwies sich die Verfassungsbeschwerde gegen den längerfristigen Ausschluß des Umgangsrechts des Beschwerdeführers mit zweien seiner Töchter als unbegründet, nachdem er eine dritte Tochter erheblich sexuell mißbraucht hatte. Das Oberlandesgericht hatte seine Entscheidung - ausgehend von den Voraussetzungen des § 1684 Abs 4 S 2 BGB, der keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet - auf eine in dem Umgangsfall eintretende Gefährdung des Wohles aller drei Kinder gestützt.
Familiensteuerrecht; Versagung von Kindergeld gegenüber nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern; Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde mangels hinreichender Darlegung einer Verletzung des Gleichheitssatzes.
EStG 2006 § 62; AufenthG 2004 § 25; GG Art. 3; BVerfGG §§ 23, 92
1. Zu den Anforderungen an die hinreichende Begründung einer Urteilsverfassungsbeschwerde.
2. Bei der Rüge eines Verstoßes gegen das allgemeine Gleichheitsgebot obliegt es dem Beschwerdeführer, darzulegen, zwischen welchen konkreten Vergleichsgruppen eine Ungleichbehandlung bestehen soll, und sich mit naheliegenden Gründen für die Differenzierung auseinanderzusetzen (hier: Unzureichend begründete Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung von Kindergeld gegenüber nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern gemäß § 62 Abs. 2 Nr. 3 b) EStG 2006).
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 19. April 2023 - 2 BvR 2068/15


Umgangsrecht; Umgang des Kindes mit den Eltern; längerfristiger Ausschluß des Umgangsrechts; mangelnde Beschwerdebegründung bei unterbliebener Vorlage von Sachverständigengutachten.
BGB § 1684; FamFG § 13; BVerfGG §§ 23, 92
1. Zu den strengen verfassungs- und konventionsrechtlichen Anforderungen an gerichtliche Entscheidungen über den längerfristigen Ausschluß des Umgangsrechts mit einem fremd untergebrachten Kind.
2. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, so zählt zu den Anforderungen an die hinreichende Begründung auch die Vorlage der angegriffenen Entscheidungen und derjenigen Schriftstücke, ohne deren Kenntnis die Berechtigung der geltend gemachten Rügen sich nicht beurteilen läßt, zumindest aber deren Wiedergabe ihrem wesentlichen Inhalt nach. Dazu kann je nach Angriffsgegenstand auch die Vorlage von vorangegangenen Gerichtsentscheidungen oder Sachverständigengutachten sowie von Berichten und Anhörungsvermerken gehören.
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 19. April 2023 - 1 BvR 2357/22


Gegenstand des Verfahrens war eine Verfassungsbeschwerde gegen den längerfristigen Ausschluß des Umgangs des Beschwerdeführers mit seinem fremd untergebrachten Sohn. Das Oberlandesgericht Bremen hat zur Begründung dafür, daß die Voraussetzungen des § 1684 Abs. 4 S. 2 BGB vorliegen, unter anderem auf ein Sachverständigengutachten sowie auf einen Arztbericht bezüglich des Sohnes des Beschwerdeführers Bezug genommen, die der Beschwerdeführer nicht vorgelegt hat, obwohl er sich diese Unterlagen im Wege der Akteneinsicht (§ 13 Abs 1 FamFG) hätte verschaffen können.
Elterliche Sorge; mangels hinreichender Begründung unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Entziehung des Rechts der elterlichen Sorge.
BGB §§ 1666, 1666a; BVerfGG §§ 23, 92
1. Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen, gehört zu den aus §§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG folgenden Anforderungen an die hinreichende Begründung auch die Vorlage der angegriffenen Entscheidungen und derjenigen Schriftstücke, ohne deren Kenntnis die Berechtigung der geltend gemachten Rügen sich nicht beurteilen läßt, zumindest aber deren Wiedergabe ihrem wesentlichen Inhalt nach. Dazu kann je nach Angriffsgegenstand auch die Vorlage von vorangegangenen Gerichtsentscheidungen oder Sachverständigengutachten sowie von Berichten und Anhörungsvermerken gehören; zudem ist substantiiert die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung unter Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht und der verfassungsrechtlichen Beurteilung darzulegen. Das schließt Darlegungen dazu ein, inwieweit das jeweils bezeichnete Grundrecht verletzt sein, und mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll.
2. Ist das Fachgericht im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens ausführlich auf die Frage einer Gehörsverletzung eingegangen, dann muß sich ein Beschwerdeführer zu der hinreichenden Substantiierung einer Verletzung von Art. 103 Abs 1 GG mit der Begründung des Anhörungsrügebeschlusses auseinandersetzen.
BVerfG, Nichtannahmebeschluß vom 25. April 2023 - 1 BvR 619/23
FamRZ 2023, 1202


Die Verfassungsbeschwerde gegen die Entziehung wesentlicher Teile der elterlichen Sorge erwies sich mangels hinreichender Begründung als unzulässig; unter anderem hatte die Beschwerdeführerin diverse entscheidungserhebliche Unterlagen (ärztliche Berichte sowie Berichte des Jugendamtes und der Verfahrensbeiständin) nicht vorgelegt.
Unterbringungsrecht; Verfassungsmäßigkeit von § 21 Abs. 1 und 4 hessPsychKHG; unzulässige Richtervorlage; unzureichende Darlegung der Entscheidungserheblichkeit, insbesondere mangelnde Darlegung zur Zulässigkeit der im fachgerichtlichen Verfahren gestellten Anträge sowie zum Vorliegen einer subjektiven Rechtsverletzung.
GG Art. 100; BVerfGG § 80; FamFG §§ 62, 274, 327; hessPsychKG
1. Zu den Anforderungen an die Begründung einer Richtervorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG (§ 80 BVerfGG), insbesondere hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Normen.
2. Zu der Begründung der Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm müssen sowohl der Sachverhalt als auch die Zulässigkeit und die Begründetheit des fachgerichtlichen Antrages umfassend dargestellt werden. Ist die Auslegung eines fachgerichtlichen Antrages unklar, dann muß das vorlegende Gericht auch Ausführungen zu dessen Auslegung machen.
3. Im Hinblick auf die von Verfassungs wegen zu beachtenden Unterschiede zwischen der konkreten Normenkontrolle einerseits und der abstrakten Normenkontrolle andererseits müssen an die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage strenge Anforderungen gestellt werden; dabei bestehen besonders hohe Anforderungen an die Darlegung der subjektiven Rechtsverletzung - hier: zu der Unzulässigkeit einer Richtervorlage bezüglich der Verfassungsmäßigkeit von Normen des Hessischen Gesetzes über Hilfen bei psychischen Krankheiten (Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz [PsychKHG]) vom 4. Mai 2017 über die Fixierung psychisch Kranker.
4. Zu der Unzulässigkeit eines in einem fachgerichtlichen Eilverfahren gefaßten Vorlagebeschlusses.


1. In dem Vorlagebeschluß fehlten bereits Ausführungen dazu, weshalb das Amtsgericht den - ausdrücklich »im Namen des Betroffenen« gestellten - Antrag der Verfahrenspflegerin des Betroffenen für zulässig erachtet, obschon ein Verfahrenspfleger als eigenständiger Beteiligter des Verfahrens (§ 274 Abs 2 FamFG) zu der Geltendmachung sämtlicher Verfahrensrechte des Betroffenen befugt ist, indem er fremde Rechte im eigenen Namen geltend macht. Ein nicht im eigenen Namen gestellter Antrag eines Verfahrenspflegers wird daher in Rechtsprechung und Schrifttum als unzulässig angesehen (vgl. etwa BGH, Beschluß vom 22. März 2017 - XII ZB 460/16 - FamRZ 2017, 1069 = FuR 2017, 393).
2. Weiterhin konnte anhand der Ausführungen des Amtsgerichts in dem Vorlagebeschluß nicht nachvollzogen werden, weshalb das Gericht hinsichtlich des Antrages des Betroffenen von einem Antrag auf gerichtliche Überprüfung einer Maßnahme nach § 327 Abs. 1 FamFG und nicht von einer Beschwerde nach § 62 Abs 1 FamFG ausgegangen ist, obwohl es die Fixierung des Betroffenen im Eilrechtsschutzverfahren im Wege der einstweiligen Anordnung genehmigt hatte. Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer im Eilrechtsschutzverfahren richterlich genehmigten Maßnahme mittels eines isolierten Fortsetzungsfeststellungsantrages außerhalb des für einstweilige Anordnungen vorgesehenen Beschwerdeverfahrens wird in der Rechtsprechung als unzulässig erachtet.
3. Schließlich ließ der Vorlagebeschluß nicht erkennen, daß und aus welchen Gründen einem Antrag des Betroffenen oder seiner Verfahrenspflegerin nach § 327 Abs 1 FamFG stattgegeben werden müßte. Hierfür wird auch die Feststellung einer subjektiven Rechtsverletzung für erforderlich erachtet, von dem vorlegenden Gericht jedoch nicht dargelegt worden ist.
4. Vorinstanz: AmtsG Fulda, Vorlagebeschlüsse vom 22. August 2019 und vom 6. November 2019 (88 XIV 380/19); s. auch BVerfG, Beschluß der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Oktober 2019 - 2 BvL 13/19 - FamRZ 2020, 45).
Familiensteuerrecht; verfassungswidrige Versagung von Kindergeld gegenüber nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern in Anwendung von § 62 Abs. 2 Nr. 3 b) EStG a.F.
EStG § 62; GG Art. 3; BVerfGG § 93c; AufenthG 2004 § 25
Zu der Verfassungswidrigkeit und der Nichtigkeit der Beschränkung der Kindergeldberechtigung nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer gemäß § 62 Abs 2 Nr. 3 b) EStG a.F.
BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluß vom 10. Mai 2023 - 2 BvR 775/19
FamRZ 2023, 1193 [Ls]


In dem vorliegenden Verfahren hat das Bundesverfassungsgericht die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) gerügt (Versagung von Kindergeld gegenüber der Beschwerdeführerin in Anwendung des § 62 Abs. 2 Nr. 3 b) EStG a.F.: In Anbetracht der Nichtigkeit der Norm durfte der Beschwerdeführerin Kindergeld für die Monate, in denen sie nicht erwerbstätig war, nicht verweigert werden).
Familiensteuerrecht; Ausschluß nichtfreizügigkeitsberechtigter Ausländer vom Kindergeldbezug (§ 62 Abs 2 EStG 2006); Richtervorlagen zur Verfassungsmäßigkeit mangels hinreichender Begründung unzulässig.
EStG 2006 § 62; GG Art. 100; BVerfGG § 80
1. Zu der Berücksichtigung der Bleibeperspektive ausländischer Staatsangehöriger mit befristeten Aufenthaltstiteln im Zusammenhang mit Ansprüchen auf Kindergeld, Erziehungsgeld und Elterngeld.
2. In rechtlicher Hinsicht ist insbesondere die Verlängerungs- und Verfestigungsmöglichkeit des jeweiligen Aufenthaltstitels relevant; zudem ist bei der Prognose der Aufenthaltsdauer des jeweiligen Aufenthaltsstatus auch dessen Einbindung in die tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen.


1. Unzulässige Richtervorlagen zur Verfassungsmäßigkeit der gesamten Vorschrift des § 62 Abs 2 EStG 2006: Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Niedersächsischen Finanzgerichts zu der Frage, ob die Regelung § 62 Abs. 2 EStG (Kindergeldberechtigung bei nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländerinnen und Ausländern abhängig vom Aufenthaltsstatus) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 GG verfassungswidrig ist.
2. Im Rahmen einer Normenkontrollvorlage ist eine Vorschrift, die mehrere Alternativen enthält, grundsätzlich nur wegen derjenigen Alternative vorzulegen und zu prüfen, auf die es bei der Entscheidung ankommt. Teile einer Gesamtregelung, auf die dies nicht zutrifft, können zwar bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der entscheidungserheblichen Alternativen eine Rolle spielen, unterliegen aber in der Regel nicht einer in Gesetzeskraft erwachsenden Verwerfung als verfassungswidrig.
3. Jede der Einzelregelungen des § 62 Abs 2 EStG 2006 ist im Hinblick auf das von dem Gesetzgeber gewählte Differenzierungskriterium der Prognose eines dauerhaften Aufenthalts deshalb gesondert auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu untersuchen.
4. Das vorlegende Gericht hatte zudem die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht berücksichtigt: Mit Blick auf die Relevanz der Bleibeperspektive hätte es begründen müssen, warum die hier einschlägigen Tatbestandsalternativen bzw. Fallgruppen des § 62 Abs. 2 EStG 2006 nicht geeignet sein könnten, das Regelungsziel des Gesetzgebers - nämlich nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern nur dann Kindergeld zu gewähren, wenn sie sich voraussichtlich dauerhaft in Deutschland aufhalten werden - zu erreichen.
Elterliche Sorge; Aussetzung des Vollzugs einer Herausgabeanordnung nach Sorgerechtsentscheidung; einstweilige Anordnung im Verfassungsbeschwerdeverfahren; Folgenabwägung.
BGB § 1671; GG Art. 6; BVerfGG § 32
1. Zu den Voraussetzungen, unter denen im Verfassungsbeschwerdeverfahren eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs 1 BVerfGG ergehen kann.
2. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind diejenigen Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre.
3. In Sorgerechtsstreitigkeiten ist auch zu berücksichtigen, daß die Abwägung vorrangig an dem Kindeswohle zu orientieren ist.
BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 15. Juni 2023 - 1 BvR 1076/23


Einstweilige Aussetzung einer familiengerichtlichen Anordnung gegenüber der Beschwerdeführerin, ihre in den Jahren 2012 und 2016 geborenen Kinder in Umsetzung einer Sorgerechtsentscheidung (erneut) an den Kindesvater herauszugeben. Mit Blick auf die zurückliegenden, teils zwangsweise vollstreckten Wechsel der betroffenen Kinder zwischen den Haushalten der geschiedenen Eltern sowie unter Berücksichtigung des geäußerten Willens der Kinder überwogen vorliegend im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung die für einen Erlaß der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe.
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