Entscheidungen Bundesgerichtshof im Familienrecht
und im Erbrecht 08/2023
FamFG §§ 34, 68, 278; GG Art. 103
Bei der persönlichen Anhörung des Betroffenen in Verfahren zu der Einrichtung einer Betreuung darf das Betreuungsgericht grundsätzlich nur dann nach § 34 Abs. 3 FamFG verfahren, wenn alle zwanglosen Möglichkeiten, den Betroffenen anzuhören und sich von ihm einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, vergeblich ausgeschöpft sind, und die gemäß § 278 Abs. 5 bis 7 FamFG zu Gebote stehende Vorführung des Betroffenen unverhältnismäßig ist (im Anschluß an den Senatsbeschluß FamRZ 2022, 379).
BGH, Beschluß vom 2. August 2023 - XII ZB 75/23 - LG Saarbrücken [5 T 206/21]
FamRZ 2023, 1906 = NJW 2023, 3798 = Rpfleger 2024, 85 = MDR 2023, 1473 = BtPrax 2024, 31 = ErbR 2024, 163 [Ls]
Verfahrensrecht; Wiedereinsetzungsgesuch bei abgelehnter Fristverlängerung über den einwilligungsfreien Zeitraum hinaus.
FamFG §§ 113, 117; ZPO §§ 233, 236, 520; GG Art. 103
Zu der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist von Amts wegen bei Versagung einer beantragten Fristverlängerung über den ohne Einwilligung des Gegners bewilligungsfähigen Zeitraum hinaus (im Anschluß an den Senatsbeschluß FamRZ 2021, 1988).
BGH, Beschluß vom 2. August 2023 - XII ZB 96/23 - OLG Dresden [20 UF 138/22]
FamRZ 2023, 1735 = FuR 2023, 607 = FF 2023, 413 = NJW-RR 2024, 113 = NZFam 2023, 1144 = FamRB 2024, 25 = MDR 2023, 1472 = IBR 2023, 544 = GI aktuell 2024, 292 = FA 2023, 268 [Ls] ErbR 2023, 984 [Ls]
Hinweise
1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann gemäß § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG iVm § 236 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO auch von Amts wegen gewährt werden, wenn die versäumte Verfahrenshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist, und die Gründe für die unverschuldete Fristversäumung offenkundig sind, oder nach erforderlichem gerichtlichem Hinweis offenkundig geworden wären.
2. Einem Beteiligten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch bei ihm zuzurechnendem Verschulden an der Fristversäumung zu gewähren, wenn sich das Verschulden wegen einer hierfür ursächlichen Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht nicht ausgewirkt hat.
3. Das Rechtsmittelgericht darf grundsätzlich davon ausgehen, daß sich der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten über die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung von mehr als einem Monat eigenverantwortlich informiert (Fortführung von BGH FamRZ 2021, 1988).
Betreuungsrecht; Rechtsbeschwerde gegen eine Unterbringungsgenehmigung für einen Betreuten; wesentlicher Verfahrensfehler bei der Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht.
FamFG §§ 37, 288
1. Die Anhörung eines Betreuten vor der Genehmigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus durch das Beschwerdegericht leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel, wenn sie sich nicht auf den gesamten von dem Landgericht verwerteten Verfahrensstoff erstreckt.
2. Die Verwertung von sachverständigen Ausführungen als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, daß das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden.
3. Diesen Vorgaben wird das landgerichtliche Verfahren nicht gerecht, wenn sich aus der Beschwerdeentscheidung ergibt, daß das Landgericht seine Entscheidung auch auf medizinische Einschätzungen gestützt hat, die die behandelnden Ärzte in einer Vorbesprechung zu dem Anhörungstermin in Abwesenheit des Betroffenen abgegeben haben: Damit hat das Landgericht über das schriftliche Gutachten hinausgehende Erkenntnisse und damit eine neue Tatsachengrundlage für seine Entscheidung herangezogen, zu der es Gelegenheit zur Stellungnahme hätte geben müssen.
BGH, Beschluß vom 2. August 2023 - XII ZB 107/23 - LG Hamburg [301 T 33/23]
FamRZ 2023, 1751 = BtPrax 2024, 25
Betreuungsrecht; Betreuungssache; Anhörung des Betroffenen und Einholung eines Sachverständigengutachtens bei Absehen von einer Betreuerbestellung; Eignung des Bevollmächtigten zur Abwendung einer erheblichen Gefährdung für die Person des Betroffenen oder dessen Vermögen entgegen dessen geäußerten Wünschen.
BGB §§ 1814, 1821; FamFG §§ 26, 34, 278
1. Auch wenn das Verfahren nicht mit einer Betreuerbestellung endet, kann die Amtsermittlungspflicht gemäß § 26 FamFG gebieten, den Betroffenen anzuhören, und ein Sachverständigengutachten einzuholen (im Anschluß an den Senatsbeschluß FamRZ 2019, 736).
2. Daß die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen besorgt werden können, setzt auch die Eignung des Bevollmächtigten dafür voraus, eine erhebliche Gefährdung für die Person des Betroffenen oder dessen Vermögen entgegen dessen geäußerten Wünschen abzuwenden, wenn der Betroffene die Gefahr aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (Fortführung von Senatsbeschluß FamRZ 2013, 1724).
BGH, Beschluß vom 2. August 2023 – XII ZB 303/22 - LG Münster
FamRZ 2023, 1748 = NJW-RR 2023, 1297 = NZFam 2024, 45 = MDR 2023, 1470 = ErbR 2024, 38 = BtPrax 2024, 22 = ZNotP 2024, 33
Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Falschbezeichnung bei Beschwerdeeinlegung.
FamFG § 64
Eine Beschwerde ist formgerecht eingelegt, wenn trotz fehlerhafter Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung aufgrund der Angaben in der Beschwerdeschrift und den sonstigen aus den Verfahrensakten erkennbaren Umständen vor Ablauf der Beschwerdefrist für das Gericht nicht zweifelhaft bleibt, welche Entscheidung angefochten wird, und es anhand der im Übrigen richtigen und vollständigen Angaben in der Rechtsmittelschrift nicht daran gehindert ist, seine verfahrensvorbereitende Tätigkeit aufzunehmen (im Anschluß an den Senatsbeschluß FamRZ 2015, 1276).
BGH, Beschluß vom 2. August 2023 - XII ZB 432/22 - OLG Düsseldorf
FamRZ 2023, 1733 = FuR 2023, 551 = NJW-RR 2023, 1235 = NZFam 2023, 1093 = FamRB 2023, 461 = MDR 2023, 1265 = FF 2023, 422 [Ls] = ErbR 2023, 985 [Ls] = MittdtschPatAnw 2023, 569 [Ls]
Hinweis
Die Auslegung von Verfahrenshandlungen unterliegt freier rechtlicher Nachprüfung, und orientiert sich an dem Grundsatz, daß im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist, und dem recht verstandenen Interesse entspricht.
Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Berufungsverfahren im Streit um eine Eigenbedarfskündigung bei Wohnraummiete; Umfang der Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung.
ZPO §§ 286, 513, 529, 544; GG Art. 103
Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen; vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben (Bestätigung von BGHZ 162, 313, 315 f ; BGH NJW 2016, 3015, und Senatsbeschluß WuM 2016, 743).
BGH, Beschluß vom 8. August 2023 - VIII ZR 20/23 - LG München II [12 S 2089/22]
NJW 2023, 3496 = MDR 2023, 1501 = MDR 2023, 1331 = ZInsO 2023, 2242 = WuM 2023, 617 = Grundeigentum 2023, 1002 = NZM 2023, 801 = MietPrax-AK § 529 ZPO Nr. 3 = FamRZ 2023, 1809 [Ls] = ErbR 2023, 983 [2024, 79] [Ls] = FA 2023, 267 [Ls] = ZAP EN-Nr. 633/2023 [Ls] = ErbR [Ls] = MittdtschPatAnw 2023, 569 [Ls]
Betreuungsrecht; Betreuungsverfahren; inhaltliche Anforderungen an ein Sachverständigengutachten.
BGB §§ 1814, 1896, 1897; FamFG §§ 26, 280
Ein im Rahmen eines Betreuungsverfahrens erstelltes Sachverständigengutachten genügt nicht den Anforderungen des § 280 Abs. 3 FamFG, wenn nicht ersichtlich ist, wie der Sachverständige zu seiner Diagnose gelangt, und nicht erkennbar ist, ob der Sachverständige Befunde von behandelnden Ärzten herangezogen, Tests oder Untersuchungen vorgenommen oder sonstige belastbare Erkenntnisquellen für seine Diagnosen genutzt hat, und in dem Sachverständigengutachten nicht nachvollziehbar ausgeführt ist, welche Erkenntnisse die gestellten Diagnosen und damit auch die von dem Sachverständigen gezogenen Schlüsse, der Betroffene könne seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln und seinen Willen krankheitsbedingt nicht mehr frei bestimmen, tragen könnten.
BGH, Beschluß vom 9. August 2023 - XII ZB 507/22 - LG Stuttgart [2 T 181/22]
FamRZ 2023, 1903
Betreuungsrecht; Bestellung eines Betreuers; Anspruch eines Angehörigen auf Beteiligung an Rechtsbeschwerdeverfahren.
FamFG §§ 7, 274
1. Die erstmalige Beteiligung eines Angehörigen an dem Rechtsbeschwerdeverfahren liegt regelmäßig nicht im Interesse des Betroffenen, und ist daher im Regelfall nicht veranlaßt.
2. Die Beteiligung eines Angehörigen liegt nur dann im Interesse des Betroffenen, wenn sie sachgerecht und verfahrensfördernd ist. Da in Rechtsbeschwerdeverfahren die angefochtene Entscheidung des Beschwerdegerichts ausschließlich auf Rechtsfehler überprüft wird, und keine neue Tatsachenfeststellung stattfindet, besteht kein Interesse der Beteiligung des Angehörigen.
BGH, Beschluß vom 9. August 2023 - XII ZB 507/22 - LG Stuttgart [2 T 181/22]
FamRZ 2023, 1904 = NJW-RR 2023, 1425 = MDR 2023, 1544 = FGPrax 2023, 285 = BtPrax 2024, 24 = ErbR 2024, 162 [Ls]
Betreuungsrecht; Betreuungsverfahren; erneute Anhörung des Betroffenen in Beschwerdeverfahren nach ergänzendem Sachverständigengutachten.
FamFG §§ 68 278
1. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen gemäß § 278 Abs. 1 FamFG besteht nach § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG grundsätzlich auch in Beschwerdeverfahren. Von einer Anhörung kann nur dann abgesehen werden, wenn die Anhörung bereits in erster Instanz ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist, und von einer erneuten Anhörung in dem Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind.
2. Zieht das Beschwerdegericht für seine Entscheidung mit einem neuen oder ergänzenden Sachverständigengutachten eine neue Tatsachengrundlage heran, die nach der amtsgerichtlichen Entscheidung datiert, dann sind von einer erneuten Anhörung des Betroffenen regelmäßig neue Erkenntnisse im Sinne des § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG zu erwarten, und es ist schon deshalb eine erneute Anhörung in dem Beschwerdeverfahren geboten.
BGH, Beschluß vom 16. August 2023 - XII ZB 7/23 - LG Bremen [5 T 275/22]
BtPrax 2024, 38 [Ls]
Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Pfändbarkeit der Corona-Überbrückungshilfe III.
BGB §§ 362, 399; ZPO §§ 765a, 850k, 851, 902, 906
1. Bei der Corona-Überbrückungshilfe III (Billigkeitsleistung des Bundes in Form einer Corona-Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen, Soloselbständige und Angehörige der Freien Berufe, die in Folge der Corona-Krise erhebliche Umsatzausfälle erleiden) handelt es sich um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 399 Fall 1 BGB nicht pfändbare Forderung.
2. Die Unpfändbarkeit der Corona-Überbrückungshilfe III setzt sich nach deren Überweisung nicht an der Gutschrift auf einem regulären Girokonto des Schuldners fort. Ist der Schuldner eine juristische Person, kann er sich insoweit nicht auf eine entsprechende Anwendung der für ein Pfändungsschutzkonto gemäß § 850k ZPO geltenden Schutzvorschriften berufen; ihm steht lediglich im Einzelfall bei einer gegen die guten Sitten verstoßenden unzumutbaren Härte Vollstreckungsschutz gemäß § 765a ZPO zu.
BGH, Beschluß vom 16. August 2023 - VII ZB 64/21 - LG Frankfurt
NJW-RR 2023, 1288 = MDR 2023, 1339 = Rpfleger 2024, 102 = DB 2023, 2171 = WM 2023, 1742 = ZRI 2023, 811 = ZIP 2023, 2013 = WuB 2023, 425 = KKZ 2023, 237 = ZInsO 2023, 2389 = ZVI 2023, 456 = NZI 2023, 932 = DZWIR 2024, 111 = InsbürO 2024, 184 = FoVo 2023, 212 = FamRZ 2023, 1817 [Ls] = VersR 2024, 188 [Ls] = BB 2023, 2049 [Ls] = EWiR 2023, 607 [Ls] = ZAP EN-Nr. 595/2023 [Ls] = FA 2023, 269 [Ls] = LMK 2024, 802301 [Ls]
Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Rechtsbeschwerdeberechtigung von Beteiligten; anwaltliche Sorgfaltspflichten im elektronischen Rechtsverkehr.
FamFG §§ 14, 303; ZPO § 130a
1. Ändert das Beschwerdegericht die erstinstanzliche Entscheidung auf das Rechtsmittel eines anderen Verfahrensbeteiligten nicht ab, dann haben auch die in § 303 Abs. 2 FamFG genannten und an dem erstinstanzlichen Verfahren Beteiligten, die nicht selbst eine Erstbeschwerde geführt haben, auch dann kein Recht, sich im Interesse des Betroffenen gegen die Beschwerdeentscheidung mit der Rechtsbeschwerde im eigenen Namen zu wenden, wenn die Erstbeschwerde als unzulässig verworfen worden ist.
2. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per besonderem elektronischen Anwaltspostfach verlangen eine Überprüfung des Versandvorgangs.
BGH, Beschluß vom 16. August 2023 - XII ZB 499/22 - LG Köln [6 T 151/22]
BtPrax 2023, 227 [Ls]
Berufsrecht der Rechtsanwälte; Widerruf einer Rechtsanwaltszulassung; fehlender Vermerk des Zustellungsdatums auf dem Briefumschlag bei Zustellung des Widerrufsbescheids an den Adressaten persönlich.
BRAO §§ 14, 34; ZPO §§ 177, 180, 182, 418
Die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde im Hinblick auf den Nachweis einer Zustellung an den Empfänger persönlich entfällt nicht deshalb, weil auf dem Umschlag, der den Widerrufsbescheid enthält, das Datum der Zustellung nicht vermerkt ist, obwohl die Zustellungsurkunde entsprechend § 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO die Bemerkung enthält, daß der Tag der Zustellung auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthält, vermerkt ist.
BGH, Beschluß vom 22. August 2023 – AnwZ (Brfg) 14/23 - AGH Stuttgart [AGH 21/2021 II]
FamRZ 2023, 1803 = NZFam 2023, 1094 = BRAK-Mitt 2023, 412 = NJW-Spezial 2023, 735
Versorgungsausgleich; Berücksichtigung der rentenrechtlichen Besserbewertung von Kindererziehungszeiten durch die sog. Mütterrente bei der Ermittlung von Ehezeitanteil und Ausgleichswert in Abänderungsverfahren; Bezug einer Hinterbliebenenrente.
VersAusglG §§ 5, 31, 51; FamFG § 225; SGB VI §§ 46, 48, 56, 249, 307d; RVLVG; RVLVuStabG
1. Zu der Behandlung der rentenrechtlichen Besserbewertung von Kindererziehungszeiten durch die sogenannte Mütterrente bei der Ermittlung von Ehezeitanteil und Ausgleichswert in Abänderungsverfahren.
2. Die rentenrechtliche Besserbewertung von Kindererziehungszeiten durch die sogenannte Mütterrente stellt grundsätzlich eine auf den Ehezeitanteil rückwirkende rechtliche Veränderung im Sinne von § 5 Abs. 2 S. 2 VersAusglG dar, die bei der Ermittlung des Ausgleichswertes zu berücksichtigen ist (Fortführung von BGH FamRZ 2022, 586).
3. Die tatsächlich bezogene Rente ist auch insoweit für die Ermittlung von Ehezeitanteil und Ausgleichswert maßgeblich, wenn sie bei einem bereits im Rentenbezug stehenden Ehegatten unter Zurechnung der gemäß § 307d Abs. 1 SGB VI gewährten pauschalen Zuschläge von 1,0 persönlichen Entgeltpunkten bzw. 0,5 persönlichen Entgeltpunkten pro Kind gebildet worden ist.
4. Dies gilt in einem Abänderungsverfahren nicht nur dann, wenn dieses unter Lebenden geführt wird, sondern auch dann, wenn der zu Lebzeiten durch den pauschalen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d Abs. 1 SGB VI begünstigt gewesene Ehegatte zwar verstorben ist, im Anschluß an seine Versichertenrente aber eine laufende Hinterbliebenenrente (§§ 46, 48 SGB VI) gezahlt wird.
BGH, Beschluß vom 23. August 2023 - XII ZB 202/22 - OLG Frankfurt
FamRZ 2023, 1858 = FuR 2024, 274 = NJW 2024, 436 = FF 2023, 494- = NZFam 2024, 65 = FamRB 2024, 14 = MDR 2023, 1529 = BetrAV 2023, 686
Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des Kindes auf Unterhalt; Kindesunterhaltsverfahren: Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung der Beschwerde nach Verfahrenskostenhilfeantrag innerhalb der Beschwerdefrist.
FamFG §§ 112, 117; ZPO §§ 522, 574; GG Art. 2
1. Ist aus der Begründung eines innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist eingegangenen Verfahrenskostenhilfeantrages hinreichend deutlich erkennbar, daß angefochtene Beschluß in vollem Umfang angegriffen werden soll, so rechtfertigt die Ankündigung des Beschwerdeführers, die Anträge in dem Beschwerdeverfahren im Rahmen der gewährten Verfahrenskostenhilfe zu stellen, eine Verwerfung des Rechtsmittels nicht; vielmehr ist hier auch die Auslegung möglich, daß nicht schon der aus der Rechtsmittelbegründung angekündigte Antrag bedingt, sondern lediglich der insbesondere in der mündlichen Verhandlung schließlich noch zu stellende Antrag auf den Umfang der Verfahrenskostenhilfebewilligung beschränkt werden sollte, und der Rechtsmittelantrag im Zweifel nicht unter der Bedingung der Verfahrenskostenhilfebewilligung steht.
2. Auch bei einem fehlenden Sachantrag wäre eine Verwerfung des Rechtsmittels nicht gerechtfertigt gewesen. Einem verfahrenskostenhilfebedürftigen Beteiligten ist vielmehr nach Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Nachholung des Rechtsmittelbegründung Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Begründungsfrist zu gewähren.
BGH, Beschluß vom 23. August 2023 – XII ZB 278/22 - OLG Koblenz [13 UF 396/21]
FamRZ 2023, 1982 = NZFam 2024, 134 = FF 2023, 452 = LMK 2023, 818505 [Ls]
Betreuungsrecht; Vergütung des Berufsbetreuers; Vermittlung besonderer Fachkenntnisse durch Masterstudiengang Recht-Medizin-Ethik.
VBVG §§ 4, 18; VBVAnpG Art. 4
Auch ein absolvierter, nicht-konsekutiver Masterstudiengang Medizin-Ehtik-Recht von zwei Semestern Dauer an einer Universität vermag besondere Kenntnisse eines Betreuers, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, zu vermitteln, denn er ist geeignet, es dem Betreuer zu erleichtern, das Leben der Betreuten deren Wünschen entsprechend zu gestalten, sowie den Umgang mit ihnen und das Verständnis für ihre besondere Situation zu fördern; auch sind die dort erworbenen Kenntnisse geeignet, die Aufgaben des Betreuers besser und effektiver zu erfüllen.
BGH, Beschluß vom 23. August 2023 - XII ZB 470/21 - LG Dessau-Roßlau [8 T 125/21]
Rpfleger 2024, 32 = FamRZ 2023, 1752 [Ls]
Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; grenzüberschreitende Zwangsvollstreckung; Vollstreckung aus einem Europäischen Vollstreckungstitel trotz vorheriger Versagung der Vollstreckbarerklärung der Entscheidung wegen eines Anerkennungshindernisses nach der EuGVVO.
ZPO § 1084; EGV 805/2004 Art. 21; EGV 44/2001 Art. 34, Art. 45
Wird die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung wegen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO a.F. in dem Vollstreckungsstaat versagt, steht dies einer anschließenden Vollstreckung aus der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung in demselben Vollstreckungsstaat nicht entgegen.
BGH, Beschluß vom 30. August 2023 - VII ZB 45/21 - LG Paderborn
BGHZ 238, 159 = FamRZ 2023, 1987 = ZIP 2023, 2541 = MDR 2023, 1479 = Rpfleger 2024, 47 = WM 2023, 1965 = DZWIR 2024, 163 = DGVZ 2024, 53 = IHR 2024, 85 = TranspR 2024, 144 = JZ 2024, 148 [Ls] = LMK 2024, 820845 [Ls]
Personenstandsrecht; Beurkundung einer Vaterschaftsanerkennung im Geburtenregister nach dem Tod der Kindesmutter.
BGB §§ 1595, 1596; PStG §§ 5, 27
Mit dem Tode der Mutter entfällt das Zustimmungserfordernis nach § 1595 Abs. 1 BGB. Für die Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkennung genügt in diesem Fall die Zustimmung des Kindes nach § 1595 Abs. 2 BGB bzw. die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters für ein Kind, das geschäftsunfähig oder noch nicht 14 Jahre alt ist (§ 1596 Abs. 2 S. 1 BGB).
BGH, Beschluß vom 30. August 2023 - XII ZB 48/23 - OLG Bamberg
BGHZ 238, 170 = FamRZ 2023, 1889 = FuR 2024, 50 = FF 2024, 71 = NJW 2023, 3726 = NZFam 2023, 1121 = StAZ 2024, 11 = FamRB 2023, 503 = MDR 2023, 1454 = RNotZ 2024, 36 = DNotZ 2024, 122 = JuS 2024, 76 = JA 2024, 340 = FF 2023, 510 [Ls] = JZ 2024, 49 [Ls] = ZEV 2024, 136 [Ls] = ErbR 2024, 162 [Ls]
Betreuungsrecht; Erfordernis einer persönlichen Anhörung des Betroffenen in Betreuungsverfahren.
BGB §§ 1831, 1832; FamFG §§ 68, 278, 293
1. In einem Betreuungsverfahren darf das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG von der persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen, wenn diese bereits in dem ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist, und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Gleiches gilt, wenn das Amtsgericht in verfahrensrechtlich ordnungsgemäßer Weise von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen konnte.
2. Das Absehen von einer erneuten persönlichen Anhörung nach § 293 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG setzt voraus, daß der Betroffene vor der erstmaligen Betreuerbestellung verfahrensfehlerfrei angehört worden ist, und sich aus dem angefochtenen Beschluß ergibt, unter welchen Umständen und mit welchem Ergebnis eine persönliche Anhörung des Betroffenen vor der erstmaligen Betreuerbestellung stattgefunden hat (im Anschluß an den Senatsbeschluß FamRZ 2016, 627).
BGH, Beschluß vom 30. August 2023 - XII ZB 186/23 - LG Braunschweig [8 T 54/23]
FamRZ 2023, 1907 = NJW-RR 2023, 1426 = MDR 2023, 1469 = BtPrax 2024, 26 = ErbR 2024, 163 [Ls]
Betreuungsrecht; Unzulässigkeit einer Rechtsbeschwerde bei Unklarheit des Rechtsmittelführers und Zweifel an der fortbestehenden Vollmacht eines Rechtsanwalts.
FamFG §§ 11, 64, 71
1. Wurde Rechtsbeschwerde in einer Betreuungssache zwar im Namen des Betroffenen eingelegt, ergeben sich aber Anhaltspunkte in der Begründung dafür, daß die Rechtsbeschwerde für den Verfahrenspfleger eingelegt wurde, ist eine dahingehende Auslegung der Rechtsbeschwerdeschrift nicht möglich. Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.
2. Dem Formerfordernis des § 71 Abs. 1 S. 2 FamFG wird nur dann genügt, wenn bei der Einlegung des Rechtsmittels aus der Rechtsmittelschrift selbst oder in Verbindung mit sonstigen Unterlagen oder Umständen der Rechtsmittelführer erkennbar ist, oder doch jedenfalls bis zu dem Ablauf der Rechtsmittelfrist erkennbar wird.
3. Zwar ist es ausreichend, wenn eine verständige Würdigung der Beschwerdeeinlegung jeden Zweifel an der Person des Rechtsmittelführers ausschließt. Eine falsche oder ungenaue Bezeichnung des Rechtsmittelführers in der Rechtsmittelschrift kann deshalb unschädlich sein, wenn der richtige Rechtsmittelführer aufgrund weiterer Erkenntnismöglichkeiten innerhalb der Rechtsmittelfrist zweifelsfrei erkennbar wird, beispielsweise im Wege der Auslegung der Rechtsmittelschrift, sowie der etwa sonst in dem Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsmittelfrist vorliegenden Unterlagen und Umstände.
BGH, Beschluß vom 30. August 2023 - XII ZB 504/22 - LG Bonn [4 T 339/22]
FamRZ 2023, 1983
Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Anforderungen an die Versendung eines bestimmenden Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
ZPO §§ 85, 130a, 233; RAVPV §§ 23, 26
Zu den Anforderungen an die Versendung eines bestimmenden Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach.
BGH, Beschluß vom 31. August 2023 - VIa ZB 24/22 - OLG Brandenburg
FamRZ 2023, 1981 = NJW 2023, 3434 = NZFam 2024, 229 = MDR 2023, 1403 [2024, 16] = BRAK-Mitt 2023, 422 = MMR 2023, 954 = HFR 2024, 478 = NJW-Spezial 2023, 703 = GI aktuell 2024, 182 = FA 2023, 229 = VRR 2023, Nr. 11, 10 = FF 2023, 466 [Ls] = BB 2023, 2369 [Ls] = VRR 2023, Nr. 10, 2 [Ls] = ErbR 2024, 78 [Ls] = ZAP 2024, 115 [Ls] = ZAP EN-Nr. 687/2023 [Ls]
Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs entsprechen denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax: Auch bei der Nutzung des beA ist es unerläßlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Kontrollpflichten umfassen dabei die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO übermittelten automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts. Sie erstrecken sich unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Dabei ist für das Vorliegen einer Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO auch erforderlich, daß gerade der Eingang des elektronischen Dokuments iSv § 130a Abs. 1 ZPO, das übermittelt werden sollte, bestätigt wird. Die Bestätigung der Versendung irgendeiner Nachricht oder irgendeines Schriftsatzes genügt nicht; vielmehr ist anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich die automatisierte Eingangsbestätigung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte (Fortführung von BGH NJW 2020, 1809, und BGH NJW 2022, 3715).
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