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Entscheidungen Bundesgerichtshof 03/2023 - FD-Platzhalter-rund

Entscheidungen Bundesgerichtshof 03/2023


 



Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung eines anwaltlich vertretenen Beteiligten; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
FamFG §§ 17, 39; ZPO § 233

1. Die Vermutung fehlenden Verschuldens, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist, entfällt im Falle der Vertretung durch einen Rechtsanwalt nur dann, wenn sich das anwaltliche Mandat auf die Angelegenheit bezieht (Abgrenzung zu den Senatsbeschlüssen vom 23. Juni 2010 - XII ZB 82/10 - FamRZ 2010, 1425 = FuR 2010, 566, und vom 25. November 2020 - XII ZB 256/20 - FamRZ 2021, 444 = FuR 2021, 160).
2. Nimmt der Rechtsanwalt ausdrücklich in Wahrnehmung eines sozialversicherungsrechtlichen Mandats Akteneinsicht in die familiengerichtliche Gerichtsakte, und erlangt er hierbei Kenntnis von einer familiengerichtlichen Entscheidung, so umfaßt das Mandat für das sozialrechtliche Widerspruchsverfahren nicht die Überprüfung von Rechtsbehelfsmöglichkeiten in familienrechtlichen Rechtsangelegenheiten, mögen diese auch einen sachlichen Bezug zu dem Widerspruchsverfahren aufweisen: Ohne ausdrückliche Auftragserweiterung handelt sich um einen vom bestehenden Mandat nicht erfaßten Gegenstand. Daher ist in einem solchen Fall nicht durch bestehende anwaltliche Vertretung die Vermutung widerlegt, daß der Belehrungsmangel kausal für den Rechtsirrtum des Beteiligten geworden ist.

BGH, Beschluß vom 1. März 2023 - XII ZB 18/22 - OLG Köln [II-27 UF 167/20]
FamRZ 2023, 1048 = FuR 2023, 389 = NJW-RR 2023, 705 = NZFam 2023, 624 = FamRB 2023, 327 = MDR 2023, 800 = FGPrax 2023, 142 = BetrAV 2023, 410 = FF 2023, 299 = FA 2023, 148 [Ls] = ZAP EN-Nr. 335/2023 [Ls] = ErbR 2023, 655 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Anforderungen an die Darlegung eines vorübergehenden Funktionsausfalls eines Computers; Möglichkeit einer verschuldeten Fristversäumung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
ZPO §§ 85, 130d, 233, 236; FamFG §§ 113, 117

1. Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf einen vorübergehenden Funktionsausfall eines Computers gestützt, dann bedarf es näherer Darlegungen zu der Art des Defekts und zu seiner Behebung (im Anschluß an BGH, Beschluß vom 17. Mai 2004 - II ZB 22/03 - NJW 2004, 2525).
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen zumindest die Möglichkeit offenbleibt, daß die Fristversäumung von dem Beteiligten bzw. von seinem Verfahrensbevollmächtigten verschuldet war (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 6. April 2011 - XII ZB 701/10 - NJW 2011, 1972).

BGH, Beschluß vom 1. März 2023 - XII ZB 228/22 - OLG Rostock [11 UF 168/21]
FamRZ 2023, 879 = FuR 2023, 294 = NJW-RR 2023, 760 = FF 2023, 202 = FamRB 2023, 245 = MDR 2023, 589 = Rpfleger 2023, 427 = MDR 2023, 825 = NJW-Spezial 2023, 350 = FA 2023, 122 [Ls] = MittdtschPatAnw 2023, 250 [Ls] = ZAP EN-Nr. 278/2023 [Ls] = ErbR 2023, 567 [Ls]

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Betreuungsrecht; Absehen des Beschwerdegerichts von der persönlichen Anhörung des Betroffenen; Beauftragung eines Mitglieds der Beschwerdekammer mit der Anhörung des Betroffenen; Amtsermittlungspflicht in Fällen der Auswahl eines Berufsbetreuers statt eines vom Betroffenen vorgeschlagenen Angehörigen.
BGB § 1816; FamFG §§ 26, 68, 278

1. Holt das Beschwerdegericht in einem Betreuungsverfahren ein neues Sachverständigengutachten ein, dann kommt ein Absehen von der persönlichen Anhörung gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG nicht in Betracht (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 14. Oktober 2020 - XII ZB 235/20 - BGHZ 227, 161 = FamRZ 2021, 138).
2. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Beschwerdekammer in Betreuungsverfahren eines ihrer Mitglieder mit der Anhörung des Betroffenen beauftragen kann (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 22. März 2017 - XII ZB 358/16 - FamRZ 2017, 996 = FuR 2017, 389).
3. Zu dem Umfang der Amtsermittlungspflicht in Fällen, in denen das Betreuungsgericht statt eines von dem Betroffenen vorgeschlagenen Angehörigen einen Berufsbetreuer auswählt.

BGH, Beschluß vom 1. März 2023 - XII ZB 285/22 - LG Ravensburg [2 T 14/21]
FamRZ 2023, 1062 = NJW-RR 2023, 782 = NZFam 2023, 766 = MDR 2023, 800 = BtPrax 2023, 148 = ErbR 2023, 651 [Ls]

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Betreuungsrecht; Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts; Notwendigkeit erneuter Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren.
BGB § 1825; FamFG §§ 68, 278

Hat sich der Betroffene in der Anhörung vor dem Amtsgericht mit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts einverstanden erklärt, dann aber gegen den amtsgerichtlichen Beschluß Beschwerde eingelegt und damit zu erkennen gegeben, daß er mit dem Einwilligungsvorbehalt nicht (mehr) einverstanden ist, dann hat das Landgericht den Betroffenen erneut anzuhören (im Anschluß an den Senatsbeschluß FamRZ 2022, 1224 = FuR 2022, 483).

BGH, Beschluß vom 1. März 2023 - XII ZB 294/22 - LG Ravensburg [2 T 18/22]
FamRZ 2023, 881 = NJW-RR 2023, 709 = NZFam 2023, 669 = MDR 2023, 590 = FF 2023, 217 [Ls] = ErbR 2023, 564 [Ls] = BtPrax 2023, 153 [Ls]

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Versorgungsausgleich; Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte); regelmäßige Ausgleichsreife in der Anwartschaftsphase.
VersAusglG §§ 2, 19; SGB VI §§ 76g, 109

Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) sind auch in der Anwartschaftsphase im Wertausgleich bei der Scheidung regelmäßig ausgleichsreif.

BGH, Beschluß vom 1. März 2023 - XII ZB 360/22 - OLG Oldenburg [11 UF 107/22]
FamRZ 2023, 761 = NJW 2023, 1805 = NZFam 2023, 451 = FamRB 2023, 228 = MDR 2023, 641 = BetrAV 2023, 221 = FF 2023, 215 [Ls] = ZAP EN-Nr. 308/2023 [Ls]

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Versorgungsausgleich; Abänderung einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich; Anrecht in der Art von Entgeltpunkten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sogenannte Grundrenten-Entgeltpunkte); keine Einbeziehung in die abzuändernde Erstentscheidung.
VersAusglG § 51; FamFG § 225; SGB VI § 76g

Bei der Abänderung einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich bleibt ein Anrecht in der Art von Entgeltpunkten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sogenannte Grundrenten-Entgeltpunkte) außer Betracht, wenn es nicht in die abzuändernde Erstentscheidung einbezogen war.

BGH, Beschluß vom 1. März 2023 - XII ZB 444/22 - OLG Oldenburg [13 UF 98/21]
FamRZ 2023, 764 = FuR 2023, 334 = NJW 2023, 1808 = NZFam 2023, 513 = FamRB 2023, 230 = MDR 2023, 705 = BetrAV 2023, 224 = NJW-Spezial 2023, 356 = FF 2023, 214 [Ls] = ZAP EN-Nr. 273/2023 [Ls]

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Versorgungsausgleich; Abänderung einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich; Anrecht in der Art von Entgeltpunkten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sogenannte Grundrenten-Entgeltpunkte); keine Einbeziehung in die abzuändernde Erstentscheidung.
VersAusglG § 51; FamFG § 225; SGB VI § 76g

Bei der Abänderung einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich bleibt ein Anrecht in der Art von Entgeltpunkten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sogenannte Grundrenten-Entgeltpunkte) außer Betracht, wenn es nicht in die abzuändernde Erstentscheidung einbezogen war.

BGH, Beschluß vom 1. März 2023 - XII ZB 444/22 - OLG Oldenburg [13 UF 98/21]
FamRZ 2023, 764 = FuR 2023, 334 = NJW 2023, 1808 = NZFam 2023, 513 = FamRB 2023, 230 = MDR 2023, 705 = BetrAV 2023, 224 = NJW-Spezial 2023, 356 = FF 2023, 214 [Ls] = ZAP EN-Nr. 273/2023 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Prüfungspflichten des Rechtsanwalts bei Vorlage der Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozeßhandlung; elektronische Aktenführung; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
ZPO §§ 85, 233, 234, 520

1. Werden einem Rechtsanwalt die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt, dann hat er den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen eigenverantwortlich zu prüfen (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 29. Juni 2022 - XII ZB 9/22 - FamRZ 2022, 1633 = FuR 2022, 590).
2. Dies gilt unabhängig davon, ob die Handakten des Rechtsanwalts in herkömmlicher Form als Papierakten oder (wie hier) als elektronische Akten geführt werden (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 9. Juli 2014 - XII ZB 709/13 - FamRZ 2014, 1624 = FuR 2014, 663).

BGH, Beschluß vom 1. März 2023 - XII ZB 483/21 - OLG Nürnberg [4 U 1085/21]
NJW-RR 2023, 698 = NZFam 2023, 472 = FamRB 2023, 326 = MDR 2023, 653 [824] = HFR 2023, 621 = FamRZ 2023, 880 [Ls] = AnwBl 2023, 431 [Ls] = FF 2023, 217 [Ls] = FA 2023, 122 [Ls] = ErbR 2023, 567 [Ls] = BB 2023, 898 [Ls] = StE 2023, 213 [Ls] = MittdtschPatAnw 2023, 249 [Ls] = EWiR 2023, 511 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; notwendiger Inhalt einer Berufungsschrift; Anforderungen an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners.
ZPO § 519

1. Zu den Anforderungen an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners nach § 519 Abs. 2 ZPO.
2. Zu dem notwendigen Inhalt der Berufungsschrift nach § 519 Abs. 2 ZPO gehört die Mitteilung, für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird; dabei sind allerdings an die Bezeichnung des Rechtsmittelgegners weniger strenge Anforderungen zu stellen als an die Bezeichnung des Rechtsmittelführers (Fortführung von BGH, Beschluß vom 19. März 2019 - VI ZB 50/17 - NJW-RR 2019, 640).
3. Jedenfalls in denjenigen Fallgestaltungen, in denen der in der Vorinstanz obsiegende Gegner aus mehreren Streitgenossen besteht, richtet sich das Rechtsmittel im Zweifel gegen die gesamte angefochtene Entscheidung und somit gegen alle gegnerischen Streitgenossen. Etwas anderes gilt, wenn die Rechtsmittelschrift eine Beschränkung der Anfechtung erkennen läßt.

BGH, Beschluß vom 7. März 2023 - VI ZB 74/22 - LG Görlitz [2 S 117/21]
FamRZ 2023, 971 = NJW 2023, 2280 = VersR 2023, 804 = MDR 2023, 652 [891] = ZfSch 2023, 445 = ErbR 2023, 566 [Ls]

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Betreuungsrecht; verfahrensfehlerhafte erstinstanzliche Anhörung betreffend die Anordnung einer Betreuung.
FamFG §§ 68, 278

1. Die Pflicht zu der persönlichen Anhörung des Betroffenen gemäß § 278 Abs. 1 FamFG besteht nach § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG grundsätzlich auch in dem Beschwerdeverfahren.
2. Soweit § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG dem Beschwerdegericht zwar auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit einräumt, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen, setzt dies jedoch voraus, daß die Anhörung bereits in dem ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist, und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind.
3. Die erstinstanzliche Anhörung ist jedoch verfahrensfehlerhaft, soweit die Verfahrenspflegerin keine Möglichkeit hatte, an ihr teilzunehmen, weil die Verfahrenspflegerbestellung erst in dem das erstinstanzliche Verfahren abschließenden Beschluß erfolgt ist. Eine in dem Abhilfeverfahren durchgeführte Anhörung kann den Verfahrensfehler nicht heilen.

BGH, Beschluß vom 8. März 2023 - XII ZB 169/22 - LG Leipzig [1 T 48/22]
BtPrax 2023, 153 [Ls]

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Betreuungsrecht; Einrichtung einer Betreuung; Beschwerdeberechtigung des Sohnes einer demenzkranken Person.
FamFG §§ 7, 68, 274, 303

1. Das Recht der Beschwerde nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung steht den Angehörigen im Interesse des Betroffenen nur dann zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind (im Anschluß an die Senatsbeschlüsse vom 11. Juli 2018 - XII ZB 471/17 - FamRZ 2018, 1607 = FuR 2018, 594, und vom 17. März 2021 - XII ZB 169/19 - FamRZ 2021, 1062).
2. Für die auch konkludent mögliche Hinzuziehung zu einem Betreuungsverfahren ist erforderlich, daß das Gericht dem Beteiligten eine Einflußnahme auf das laufende Verfahren ermöglichen will, und dies zum Ausdruck bringt (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 17. März 2021 - XII ZB 169/19 - FamRZ 2021, 1062).
3. In der antragsgemäß bewilligten Akteneinsicht liegt keine Hinzuziehung eines Angehörigen, wenn die Akteneinsicht erkennbar allein dazu dient, dessen berechtigtes Informationsinteresse zu befriedigen (im Anschluß an die Senatsbeschlüsse vom 13. März 2019 - XII ZB 523/18 - FamRZ 2019, 915 = FuR 2019, 406, und vom 17. Juni 2020 - XII ZB 574/19 - FamRZ 2020, 1590 = FuR 2020, 648).
4. Ein Angehöriger erlangt durch seine Hinzuziehung (erstmals) im Abhilfeverfahren nach § 68 Abs. 1 S. 1 FamFG nicht nachträglich eine Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 3. Februar 2021 - XII ZB 437/20 - FamRZ 2021, 799 = FuR 2021, 319). Dies gilt auch dann, wenn sich der Angehörige, der erst im Abhilfeverfahren beteiligt wurde, mit seiner Beschwerde gegen die Betreuungsentscheidung in Gestalt der sie abändernden Abhilfeentscheidung wendet.

BGH, Beschluß vom 8. März 2023 - XII ZB 283/22 - LG Osnabrück [3 T 203/22]
FamRZ 2023, 1154 = NJW-RR 2023, 780 = MDR 2023, 798 = BtPrax 2023, 142 = ZAP EN-Nr. 376/2023 [Ls]

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Personenstandsrecht; Berichtigung der Geburtenregistereinträge für zwei Kinder von Mehrstaatern bezüglich väterlicher Abstammung.
BGB §§ 1592, 1593; EGBGB Art. 11, Art. 13, Art. 19; FamFG § 107; NiederlAbk IRN Art. 8

1. Mehrstaater mit sowohl deutscher als auch iranischer Staatsangehörigkeit fallen nicht in den persönlichen Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens.
2. Ist unter deutschem Sachrecht als Abstammungsstatut bei der Anwendung von § 1592 Nr. 1 BGB die Frage zu klären, ob der Vaterschaftsprätendent zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet war, wird die Vorfrage nach der formellen und materiellen Wirksamkeit dieser Ehe grundsätzlich selbständig angeknüpft, und richtet sich daher nach dem von Art. 11 EGBGB und Art. 13 EGBGB berufenen Sachrecht (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 20. April 2016 - XII ZB 15/15 - BGHZ 210, 59 = FamRZ 2016, 1251 = FuR 2016, 521).
3. Stellt sich in diesem Zusammenhang bei der Prüfung von Ehehindernissen die weitere Vorfrage nach dem Fortbestand der früheren Ehe eines der beiden Verlobten, dann wird diese grundsätzlich unselbständig angeknüpft, also aus der Sicht der Rechtsordnung (einschließlich ihres Kollisionsrechts) beantwortet, deren Sachrecht über die materiellen Voraussetzungen für die wirksame Eingehung der neuen Ehe entscheidet.
4. Kommt es dabei auf die wirksame Auflösung der Vorehe eines Verlobten durch eine im Ausland durchgeführte Scheidung an, dann ist eine solche Scheidung nur dann beachtlich, wenn sie in Deutschland in dem Verfahren vor der Landesjustizverwaltung nach § 107 FamFG anerkannt worden ist; insoweit wird das kollisionsrechtliche Verweisungsergebnis von dem verfahrensrechtlichen Anerkennungserfordernis überlagert (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 10. Januar 2001 - XII ZR 41/00 - FamRZ 2001, 991 = EzFamR BGB § 1306 Nr. 1).
5. Leidet die Ehe nach beiden durch Art. 13 Abs. 1 EGBGB berufenen Heimatrechtsordnungen der Verlobten unter dem Mangel der Doppelehe, dann bestimmt sich die Fehlerfolge grundsätzlich nach dem ärgeren Recht, also nach dem Recht, welches die schärferen Rechtsfolgen an die Mangelhaftigkeit der Ehe knüpft (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 4. Oktober 1990 - XII ZB 200/87 - FamRZ 1991, 300 = EzFamR PStG § 15b Nr. 1 = BGHF 7, 452). Ausnahmsweise kann im Einzelfall eine wertende Korrektur durch Heranziehung des milderen Rechts, also desjenigen Rechts, welches an den Mangel der Doppelehe die am wenigsten schädlichen Rechtsfolgen für die bigamische Ehe knüpft, geboten sein, wenn die Anwendung der strengeren Fehlerfolge zu einem Ergebnis führt, welches keiner der beiden beteiligten Rechtsordnungen bei deren isolierter Betrachtung entspricht.
6. Besteht infolge einer Doppelehe der Mutter nach § 1592 Nr. 1 BGB eine Vaterschaftsvermutung für zwei Ehemänner, dann ist § 1593 S. 3 BGB analog anzuwenden, so daß die Vaterschaft dem Ehemann der späteren Ehe zugeordnet wird.

BGH, Beschluß vom 8. März 2023 - XII ZB 565/20 - OLG Hamburg [FamRZ 2021, 956]
FamRZ 2023, 1032 = NZFam 2023, 688 = FamRB 2023, 283 = MDR 2023, 777 = ErbR 2023, 595 = FF 2023, 262 [Ls]

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Verfahrensrecht; Massenverfahren; Entschädigung für immaterielle Nachteile wegen überlanger Dauer von Schadensersatzprozessen bei einem Massenverfahren.
GVG § 198

1. In »Massenverfahren« führen - jedenfalls bei Personenidentität auf Kläger- oder Beklagtenseite - Verzögerungen, die durch die Überlänge eines Pilotverfahrens begründet sind, in den davon abhängigen, zurückgestellten Verfahren regelmäßig nicht zu gesondert entschädigungspflichtigen immateriellen Nachteilen. Insoweit kann sich der Betroffene nicht auf die Vermutung des § 198 Abs. 2 S. 1 GVG berufen (Bestätigung und Fortführung der Senatsurteile vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14 - BGHZ 204, 184, und vom 15. Dezember 2022 - III ZR 192/21 - WM 2023, 236).
2. Derartige Verzögerungen sind vielmehr bei der Prüfung einer Erhöhung des Regelsatzes nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsverfahren zu berücksichtigen.
3. Ein gesonderter Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 GVG kommt nur in Betracht, wenn die durch das Pilotverfahren verursachte Verzögerung eines zurückgestellten Verfahrens über die mit dieser überlangen Verfahrensdauer typischerweise verbundenen Folgen hinausgehende, besondere entschädigungsrelevante (psychische oder physische) Auswirkungen für den Betroffenen hatte, die er allerdings konkret geltend machen muß.

BGH, Urteil vom 9. März 2023 - III ZR 80/22 - OLG Braunschweig [4 EK 1/20]
NJW 2023, 2347 = JurBüro 2023, 326 = MDR 2023, 588 [754] = WM 2023, 762 = NJ 2023, 264 = WuB 2023, 268 = FamRZ 2023, 880 [Ls] = ZIP 2023, 884 [Ls] = BB 2023, 897 [Ls] = EWiR 2023, 319 [Ls]

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Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Zulässigkeit der Berufung bei unzutreffender Angabe des Verkündungsdatums und Aktenzeichens des angefochtenen Urteils.
ZPO § 519

Wenn in einer Berufungsschrift, der das angefochtene Urteil nicht beigefügt ist, das Aktenzeichen und das Verkündungsdatum nicht oder nicht zutreffend angegeben sind, dann steht dies der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen, sofern das Berufungsgericht und die gegnerische Partei anhand der innerhalb der Berufungsfrist eingereichten Unterlagen das angefochtene Urteil dennoch zweifelsfrei bestimmen können (Bestätigung von BGH, Beschluß vom 25. Februar 1993 - VII ZB 22/92 - NJW 1993, 1719).

BGH, Beschluß vom 14. März 2023 - X ZB 4/22 - OLG Frankfurt [9 U 84/21]
MDR 2023, 934 [961] = IBR 2023, 437 = FamRZ 2023, 1051 [Ls] = BB 2023, 1154 [Ls] = ZIP 2023, 1216 [Ls] = WRP 2023, 889 [Ls] = FA 2023, 152 [Ls] = ErbR 2023, 653 [Ls]

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Verfahrensrecht; Zuständigkeit der Gerichte; Zulässigkeit einer Gerichtsstandbestimmung wegen Divergenz bei Klagerücknahme.
ZPO §§ 36, 269

1. Eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO kommt nicht mehr in Betracht, wenn die Klage vollständig zurückgenommen wurde. Dies gilt auch dann, wenn noch eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO zu treffen ist.
2. Eine Klagerücknahme ist gegenüber dem Gericht zu erklären, bei dem die Sache anhängig ist.

BGH, Beschluß vom 14. März 2023 - X ARZ 586/22
NJW-RR 2023, 703 = MDR 2023, 1000 [1030] = FamRZ 2023, 1044 [Ls] = FA 2023, 151 [Ls] = MittdtschPatAnw 2023, 298 [Ls] = ErbR 2023, 657 [Ls]

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Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Zwangsvollstreckung gegen den Unterhaltsschuldner; Heraufsetzung des Pfändungsfreibetrages bei Leistung von Barunterhalt an ein dem pfändenden Gläubiger gleichstehendes minderjähriges Kind; Quotelung des den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigenden Einkommens unter den Unterhaltsberechtigten.
BGB §§ 1606, 1609, 1612b; ZPO §§ 850c, 850d

1. Der Schuldner, der einem dem pfändenden Gläubiger gleichstehenden minderjährigen Kind keinen Barunterhalt, sondern Naturalunterhalt leistet, kann wie ein Barunterhalt leistender Schuldner die Heraufsetzung des ihm pfandfrei zu belassenden Betrags nach § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO verlangen.
2. Das den notwendigen Unterhalt des Schuldners übersteigende Einkommen ist zum Zwecke der Bestimmung des pfandfreien Betrags gemäß § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO im Verhältnis der Höhe der gesetzlichen Unterhaltsansprüche der Unterhaltsberechtigten in der gleichen Rangstufe zueinander zu quoteln.

BGH, Beschluß vom 15. März 2023 - VII ZB 68/21 - LG Bremen [4 T 391/21]
FamRZ 2023, 863 = FuR 2023, 329 = NJW-RR 2023, 784 = NZFam 2023, 567 = FamRB 2023, 244 = JurBüro 2023, 383 = WuB 2023, 342 = MDR 2023, 724 = WM 2023, 819 = ZVI 2023, 250 = DGVZ 2023, 119 = InsbürO 2023, 283 = LMK 2023, 806136 [Ls]

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Verfahrensrecht; zwingende Zustellvorschrift bei Zustellung eines Versäumnisurteils.
ZPO §§ 180, 182, 189

Bei der Verpflichtung des Zustellers gemäß § 180 S. 3 ZPO, das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks zu vermerken, handelt es sich um eine zwingende Zustellungsvorschrift im Sinne des § 189 ZPO mit der Folge, daß das Schriftstück bei einer Verletzung dieser Vorschrift erst mit dem tatsächlichen Zugang als zugestellt gilt (im Anschluß an BGH, Beschluß vom 29. Juli 2022 - AnwZ (Brfg) 28/20 - NJW 2022, 3081).

BGH, Versäumnisurteil vom 15. März 2023 - VIII ZR 99/22 - LG Stendal [22 S 4/22]
NJW-RR 2023, 766 = NZFam 2023, 623 = MDR 2023, 797 = ZIP 2023, 1214 = BB 2023, 1358 = DGVZ 2023, 143 = KKZ 2023, 186 = FamRZ 2023, 1044 [Ls] = NJW 2023, 2283 [Ls] = FA 2023, 148 [Ls] = WRP 2023, 1023 [Ls] = ErbR 2023, 656 [Ls]

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Unterbringungsrecht; Zwangsbehandlung mit Neuroleptika im bayerischen Maßregelvollzug; Beachtlichkeit einer Patientenverfügung über den Ausschluß einer solchen Behandlung; Auslegung des Gefahrenbegriffs bei einer im Maßregelvollzug eines psychiatrischen Krankenhauses untergebrachten Person; besondere Sicherungsmaßnahmen als milderes Mittel.
BGB § 1827; StGB §§ 20, 63; FamFG § 70; StVollzG § 121b; bayMVollzG

1. Eine Patientenverfügung eines gemäß §§ 20, 63 StGB im Maßregelvollzug Untergebrachten steht einer zwangsweisen Behandlung gemäß Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 des Bayerischen Maßregelvollzugsgesetzes [bayMRVG] nur dann gemäß Art. 6 Abs. 4 S. 1 Nr. 7 lit. b bayMRVG entgegen, wenn sie Regelungen zu der Zwangsbehandlung beinhaltet und erkennen läßt, daß sie in der konkreten Behandlungssituation der geschlossenen Unterbringung Geltung beanspruchen soll (im Anschluß an den Senatsbeschlüsse vom 8. Februar 2017 - XII ZB 604/15 - BGHZ 214, 62 = FamRZ 2017, 748 = FuR 2017, 331, und vom 14. November 2018 - XII ZB 107/18, FamRZ 2019, 236 = FuR 2019, 153). Daher ist zu prüfen, ob die in der Patientenverfügung in Bezug genommene Situation auch die etwaigen Konsequenzen einer ausbleibenden Behandlung, wie den Eintritt schwerster, gar irreversibler Schäden oder einer Chronifizierung des Krankheitsbildes mit den entsprechenden Folgen für die Fortdauer der freiheitsentziehenden Maßnahme, erfaßt (im Anschluß an BVerfGE 158, 131 = FamRZ 2021, 1564).
2. Gemäß Art. 6 Abs. 3 Nr. 3 bayMRVG ist eine Zwangsbehandlung zulässig, um eine konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer anderen Person in der Einrichtung abzuwenden. Der Umstand, daß von der Zwangsbehandlung in dem Maßregelvollzug gemäß § 63 StGB untergebrachte Personen betroffen sind, führt zu keiner einschränkenden Auslegung des Gefahrenbegriffs.
3. Ob besondere Sicherungsmaßnahmen nach Art. 25 BayMRVG das gegenüber einer Zwangsbehandlung mildere Mittel im Sinne des Art. 6 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 bayMRVG darstellen, ist aus der Sicht der betroffenen Person zu beantworten.

BGH, Beschluß vom 15. März 2023 - XII ZB 232/21 - LG Regensburg [53 T 33/21]
FamRZ 2023, 1059 = NJW 2023, 2424 = MDR 2023, 848 = GesR 2023, 423 = RuP 2023, 185 = BtPrax 2023, 144 = ZMGR 2023, 230

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Verfahrensrecht; Beiziehung von Ermittlungs-/Strafakten im Zivilprozeß; Beweisantritt durch eine Prozeßpartei; Akteneinsicht für Gerichte; zu beachtendes Verfahren zum Schutz der Grundrechte der anderen Partei und Dritter; Voraussetzungen für die Vorlagepflicht Dritter im Zivilprozeß.
ZPO §§ 422, 423, 432; StPO § 474, 479; GG Art. 1, Art 2

1. Gemäß § 432 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit §§ 474 Abs. 1, 479 Abs. 4 S. 2 und 3 StPO steht einer Partei grundsätzlich die Möglichkeit zur Verfügung, in einem anhängigen Zivilprozeß (Teile von) Ermittlungs- beziehungsweise Strafakten beiziehen zu lassen.
2. Nach § 474 Abs. 1 StPO ist den Gerichten grundsätzlich Akteneinsicht zu gewähren.
3. Grundrechten der anderen Partei oder Dritter, insbesondere deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, kann dadurch Rechnung getragen werden, daß das Gericht nach Erhalt der angeforderten Akte unter Berücksichtigung von deren schutzwürdigen Interessen abwägt und so prüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Informationen aus ihr im Zivilverfahren verwertet werden können; der Zugang zu den Informationen aus der beigezogenen Akte ist gegebenenfalls angemessen zu beschränken.
4. Maßgeblich für die Vorlagepflicht Dritter gemäß §§ 429 S. 1 Hs. 1, 432 Abs. 3 ZPO ist, ob die beweisführungsbelastete Partei im Verhältnis zu ihnen einen Vorlegungsanspruch hat. Ob die Gegenpartei in Ermangelung der Voraussetzungen der §§ 422 f ZPO nicht zu der Vorlage einer Urkunde verpflichtet ist, ist demgegenüber in Bezug auf Dritte nicht von Bedeutung.

BGH, Urteil vom 16. März 2023 - III ZR 104/21 - OLG Nürnberg [15 U 2897/19]
FamRZ 2023, 969 = NJW 2023, 1734 = ZfSch 2023, 442 = MDR 2023, 651 [959] = ZIP 2023, 987 = WM 2023, 869 = BB 2023, 1230 = WuB 2023, 313 = StV-S 2023, 99 = BB 2023, 1026 [Ls] = FA 2023, 119 [Ls] = ZAP EN-Nr. 310/2023 [Ls] = ErbR 2023, 564 [Ls] = ZBB 2023, 232 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wegen anwaltlichem Verschulden bei Ausgangskontrolle; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
ZPO §§ 130a, 233, 520

Die Kontrolle der ordnungsgemäßen Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes (hier: Berufungsbegründung) über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erfordert auch die Prüfung anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens, ob sich die erhaltene automatisierte Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte (im Anschluß an BGH, Beschlüsse vom 17. März 2020 - VI ZB 99/19 - NJW 2020, 1809 Tz. 16, und vom 20. September 2022 - XI ZB 14/22 - NJW 2022, 3715 Tz. 9 f).

BGH, Beschluß vom 21. März 2023 - VIII ZB 80/22 - LG Berlin [64 S 346/21]
NJW 2023, 1668 = MDR 2023, 796 = HFR 2023, 823 = IBR 2023, 377 = ArbR 2023, 302 = Abkürzung Fundstelle VRR 2023, Nr. 6, 12 = FamRZ 2023, 1045 [Ls] = BB 2023, 1154 [Ls] = K&R 2023, 437 [Ls] = WRP 2023, 889 [Ls] = FA 2023, 149 [Ls] = MMR 2023, 540 [Ls] = ZAP EN-Nr. 362/2023 [Ls] = ErbR 2023, 654 [Ls]

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Erbrecht; Ausschlagung der Erbschaft; Irrtum des Ausschlagenden über die an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende Person.
BGB §§ 119, 1953

Irrt sich der eine Erbschaft Ausschlagende bei Abgabe seiner Erklärung über die an seiner Stelle in die Erbfolge eintretende Person, ist dies nur ein Irrtum über eine mittelbare Rechtsfolge der Ausschlagungserklärung aufgrund anderer rechtlicher Vorschriften. Ein solcher Motivirrtum berechtigt nicht zu der Anfechtung gemäß § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB.

BGH, Beschluß vom 22. März 2023 - IV ZB 12/22- OLG Hamm [I-15 W 51/19]
FamRZ 2023, 898 = FuR 2023, 399 = NJW 2023, 1725 = NZFam 2023, 719 = FamRB 2023, 250 = Rpfleger 2023, 351 = ZNotP 2023, 223 = MDR 2023, 709 = NJW-Spezial 2023, 360 = ZEV 2023, 372 = FGPrax 2023, 119 = DNotZ 2023, 539 = ErbR 2023, 520 = RFamU 2023, 326 = RNotZ 2023, 346 = ZErb 2023, 297 = BWNotZ 2023, 159 = JA 2023, 603 = DNotI-Report 2023, 109 = notar 2023, 203 [Ls] = ZAP EN-Nr. 337/2023 [Ls]

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Versicherungsrecht; Lebensversicherungsvertrag; Auslegung der Kündigungserklärung als gleichzeitiger Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall.
BGB §§ 133, 157, 242; VVG § 159

Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach die Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages durch den Versicherungsnehmer stets zugleich den Widerruf der Bezugsberechtigung auf den Todesfall enthält, sondern diese Frage ist durch Auslegung der Erklärung im Einzelfall zu entscheiden.

BGH, Urteil vom 22. März 2023 - IV ZR 95/22 - OLG Stuttgart [7 U 165/21]
FamRZ 2023, 981 = NJW 2023, 1957 = VersR 2023, 703 = MDR 2023, 702 = WM 2023, 810 = RuS 2023, 558 = ZEV 2023, 467 = VuR 2023, 239 [Ls] = ZAP EN-Nr. 307/2023 [Ls] ErbR 2023, 564 [Ls]

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Abstammungsrecht; Namensrecht; Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Vaterschaftsanerkennung; anwendbares Recht für die Bestimmung des Geburtsnamens des Kindes.
BGB §§ 1617, 1617a, 1617b; EGBGB Art. 10; RuStAG § 4

Erwirbt ein Kind aufgrund Anerkennung der Vaterschaft durch einen Deutschen nach § 4 Abs. 1 S. 2 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit, dann führt das Kind - vorbehaltlich einer abweichenden Rechtswahl der Sorgerechtsinhaber - gemäß Art. 10 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich einen Geburtsnamen nach Maßgabe deutschen Sachrechts.

BGH, Beschluß vom 22. März 2023 - XII ZB 105/22 - Kammergericht [1 W 277/21]
FamRZ 2023, 923 = FuR 2023, 345 = NJW-RR 2023, 777 = NZFam 2023, 570 = MDR 2023, 847 = StAZ 2023, 210 = FF 2023, 262 [Ls] = ErbR 2023, 650 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungsverfahren; rechtzeitige Überlassung von Sachverständigengutachten; berechtigtes Interesse bei durch Zeitablauf erledigter Genehmigung einer Einwilligung.
BGB §§ 1831, 1906; GG Art. 2; FamFG §§ 37, 62, 68, 319, 325

1. Die Verwertung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache (§ 37 Abs. 2 FamFG) setzt voraus, daß die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, und ihnen das Gutachten rechtzeitig vor dem Anhörungstermin ausgehändigt worden ist.
2. Die Besprechung eines Sachverständigengutachtens mit dem Betroffenen in dem Anhörungstermin genügt nicht den Anforderungen an die Gewährleistung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
3. Das berechtigte Interesse des Betroffenen, die Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf erledigten Genehmigung einer Einwilligung feststellen zu lassen, ist bei einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff gegeben (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).
4. Ein schwerwiegender Grundrechtseingriff liegt bei der gerichtlichen Einwilligung in eine Zwangsbehandlung ebenso vor wie bei einer freiheitsentziehenden Fünf-Punkte-Fixierung.

BGH, Beschluß vom 22. März 2023 - XII ZB 498/22 - LG Ingolstadt [21 T 1505/22]
FamRZ 2023, 1234

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Familienvermögensrecht; Erbrecht; Auslegung eines im Grundbuch eingetragenen »Wohnungsrechts«; Anspruch auf Nutzungsentschädigung eines Wohnungsberechtigten.
BGB §§ 812, 987 ff, 1065, 1093

1. Ist ein auf Lebzeiten eingeräumtes Recht, ein Gebäude oder einen Teil eines Gebäudes als Wohnung zu benutzen, im Grundbuch und in der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung als »Wohnungsrecht« bezeichnet, dann handelt es sich im Zweifel nicht um ein Wohnnutzungsrecht, sondern um ein Wohnungsrecht im Sinne des § 1093 BGB.
2. Der Eigentümer, der die von dem Wohnungsrecht erfaßten Räume anstelle des dort nicht wohnenden Berechtigten als Wohnung benutzt, wird durch den damit verbundenen Gebrauchsvorteil nicht auf Kosten des Wohnungsberechtigten bereichert. Der Wohnungsberechtigte kann von dem Eigentümer auch nicht über eine analoge Anwendung von § 1065 BGB Nutzungsersatz nach §§ 987 ff BGB verlangen (Fortführung von Senat, Urteil vom 13. Juli 2012 - V ZR 206/11 - NJW 2012, 3572).

BGH, Urteil vom 23. März 2023 - V ZR 113/22 - OLG Hamm [I-5 U 168/21]
FamRB 2023, 296 = NJW-Spezial 2023, 482 = DNotZ 2023, 624 = MDR 2023, 766 = WuM 2023, 429 = DNotI-Report 2023, 93 = JuS 2023, 787 = MietRB 2023, 236 = ZAP EN-Nr. 329/2023 [Ls] = ErbR 2023, 652 [Ls]

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Erbrecht; Antrag auf Erteilung einer Bescheinigung nach der EU-Erbrechtsverordnung; Antragsbefugnis einer in Polen mit der Erteilung eines Europäischen Nachlaßzeugnisses betrauten Notarin.
EUV 650/2012 Art. 46

Zu der Antragsbefugnis für die Erteilung einer Bescheinigung nach Art. 46 Abs. 3 Buchst. b EuErbVO (hier: Antrag einer mit der Erteilung eines Europäischen Nachlaßzeugnisses betrauten Notarin in Polen).

BGH, Beschluß vom 29. März 2023 - IV ZB 20/22 - OLG Schleswig [3 Wx 22/21]
FamRZ 2023, 891 = FuR 2023, 397 = ZErb 2023, 218 = MDR 2023, 708 = ZEV 2023, 538 = ZAP EN-Nr. 336/2023 [Ls] ErbR 2023, 563 [Ls]

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Hinweis
Einer in Polen mit der Erteilung eines Europäischen Nachlaßzeugnisses betrauten Notarin steht keine Antragsbefugnis für die Erteilung einer Bescheinigung nach Art. 46 Abs. 3 Buchst. b EuErbVO zu; der Antrag muß vielmehr von einem Beteiligten des jeweiligen Verfahrens auf Anerkennung der Entscheidung oder Erteilung der Vollstreckbarerklärung gestellt werden, also von einer dritten Person, nicht aber von der über das Anerkennungsverfahren entscheidenden Stelle im eigenen Namen.
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Verfahrensrecht; Ehescheidungsverbundverfahren; Auslegung und Umdeutung von Verfahrenserklärungen in einer Säumnislage.
BGB § 140; FamFG §§ 112, 113, 117, 143; ZPO §§ 338, 514, 522

Zu der Auslegung und Umdeutung von Verfahrenserklärungen in einer Säumnislage.

BGH, Beschluß vom 29. März 2023 - XII ZB 409/22 - OLG Düsseldorf [II-8 UF 178/21]
FamRZ 2023, 1142 = FuR 2023, 347 = NJW-RR 2023, 707 = FF 2023, 304 = NZFam 2023, 566 = FamRB 2023, 285 = MDR 2023, 1067 = ErbR 2023, 633 [Ls]

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Betreuungsrecht; Betreuungssache; Absehen des Betreuungsgerichts von der persönlichen Anhörung des Betroffenen; Ungeeignetheit des von dem Betroffenen zur Vorsorge Bevollmächtigten; Vorgehen des Betreuungsgerichts bei behebbaren Mängeln bei der Ausübung der Vorsorgevollmacht; gerichtliche Anordnung der Nichtausübung der Vorsorgevollmacht.
BGB §§ 666, 1814, 1815, 1820; FamFG §§ 34, 278

1. Ein Bevollmächtigter ist ungeeignet, die Angelegenheiten des Betroffenen nach dessen Wünschen zu besorgen, wenn zu befürchten ist, daß er die Angelegenheiten des Vollmachtgebers nicht entsprechend der Vereinbarung oder dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Vollmachtgebers besorgt. Ergeben sich aus der Vereinbarung und dem erklärten Willen des Vollmachtgebers keine konkreten Vorgaben, dann kann der Betroffene seine Wünsche nicht mehr äußern, und bestehen auch keine individuellen Anhaltspunkte für seinen mutmaßlichen Willen, richtet sich dieser nach seinen objektiven Bedürfnissen.
2. Die Möglichkeit des Betreuungsgerichts, nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen abzusehen, wenn dieser offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun, entbindet das Gericht nicht von der in § 278 Abs. 1 S. 2 FamFG enthaltenen Verpflichtung, sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 4. November 2020 - XII ZB 344/20 - FamRZ 2021, 224 = FuR 2021, 105).
3. Sind behebbare Mängel bei der Ausübung einer Vorsorgevollmacht festzustellen, dann erfordert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zunächst den Versuch, mittels eines zu bestellenden Kontrollbetreuers auf den Bevollmächtigten positiv einzuwirken, insbesondere durch Verlangen nach Auskunft und Rechenschaftslegung (§ 666 BGB) sowie die Ausübung bestehender Weisungsrechte (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 8. Januar 2020 - XII ZB 368/19, FamRZ 2020, 629 = FuR 2020, 308).
4. Besteht die dringende Gefahr, daß ein Bevollmächtigter durch fehlende Bereitschaft zum Konsens mit anderen Bevollmächtigten nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend handelt, und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen erheblich gefährdet, dann kann das Betreuungsgericht gemäß § 1820 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB anordnen, daß er die ihm erteilte Vollmacht insgesamt oder in bestimmten Angelegenheiten nicht ausüben darf.

BGH, Beschluß vom 29. März 2023 - XII ZB 515/22 - LG Paderborn [5 T 98/22]
FamRZ 2023, 1150 = NJW-RR 2023, 850 = FamRB 2023, 292 = MDR 2023, 914 = BtPrax 2023, 140 = ZNotP 2023, 303 = PflR 2023, 480 = ZAP EN-Nr. 334/2023 [Ls] = ErbR 2023, 651 [Ls]

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Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes; rechtzeitiger Eingang eines nicht zu den Gerichtsakten gelangten Fristverlängerungsantrages bei Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs.
ZPO §§ 130a, 233, 234

Zu der Glaubhaftmachung des rechtzeitigen Eingangs eines nicht zu den Gerichtsakten gelangten Fristverlängerungsantrages (hier: Berufungsbegründungsfrist) bei Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs.

BGH, Beschluß vom 30. März 2023 - III ZB 13/22 - LG Düsseldorf [13 S 1/21]
FamRZ 2023, 1044 = NJW 2023, 1737 = NZFam 2023, 710 = MDR 2023, 793 [1029] = WRP 2023, 832 = MMR 2023, 501 = RDi 2023, 396 = BB 2023, 1423 = GI aktuell 2023, 185 = BB 2023, 1153 [Ls] = FA 2023, 149 [Ls] = ErbR 2023, 655 [Ls]

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Hinweis
Die anwaltliche Versicherung des Prozeßbevollmächtigten, er habe »wie stets … den Zugang bei Gericht laut dem beA-System als 'erfolgreich' zur Kenntnis genommen«, war zu der Glaubhaftmachung des Eingangs des Fristverlängerungsantrages ungenügend, weil er weder konkret behauptet hat, daß sich das angeblich angezeigte »Erfolgreich« auf den Übermittlungsstatus bezogen habe, noch geltend gemacht hat, darüber hinaus den Meldetext »Request executed« und ein bestimmtes Eingangsdatum in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung gesehen zu haben. Nach dem Inhalt der anwaltlichen Versicherung war daher bereits unklar, ob er die gesendete Nachricht überhaupt geöffnet, und sodann die in diese eingebettete Eingangsbestätigung optisch auf dem Computerbildschirm wahrgenommen hat.

Entscheidungen Bundesgerichtshof 03/2023 - FD-Platzhalter-rund
Fachanwälte im Familienrecht gesucht

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