Entscheidungen Bundesgerichtshof 01/2023
ZPO §§ 130d, 232, 233
Zu der Frage des Verschuldens eines Rechtsanwalts an einem Fristversäumnis (hier: Berufungseinlegung) bei Nichtbeachtung der Pflicht zur elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes an das Gericht (§ 130d S. 1 ZPO) infolge einer unvollständigen beziehungsweise fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung.
BGH, Beschluß vom 10. Januar 2023 - VIII ZB 41/22 - LG Frankfurt/O [16 S 1/22]
FamRZ 2023, 627 = NJW-RR 2023, 427 = NZFam 2023, 662 = MDR 2023, 383 = MDR 2023, 483 = WuM 2023, 359 = IBR 2023, 219 = RDi 2023, 254 = FA 2023, 89 [Ls] = BB 2023, 514 [Ls] = ErbR 2023, 410 [Ls]


1. Eine Berufung ist unwirksam, wenn die Berufungsfrist versäumt wurde, weil sie bis zu deren Ablauf nicht eingelegt wurde. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die Berufungsschrift über den Nachtbriefkasten postalisch bei dem Landgericht eingereicht, und nicht - wie in § 130d S. 1 ZPO verlangt - in elektronischer Form übermittelt worden ist.
2. Von einem Rechtsanwalt kann erwartet werden, daß er die Voraussetzungen für die wirksame Einlegung einer Berufung kennt. Diese Voraussetzungen hat er in dem Falle einer Rechtsänderung während der laufenden Frist zu der Einlegung der Berufung sogar mit erhöhter Sorgfalt zu überprüfen.
3. Der Prozeßbevollmächtigte darf nicht darauf vertrauen, daß der in dem Zeitpunkt der erteilten Rechtsbehelfsbelehrung zutreffende Hinweis, wonach Rechtsbehelfe (lediglich optional) als elektronisches Dokument eingelegt werden können, auch noch in dem Zeitpunkt der von ihm beabsichtigten Berufungseinlegung am 3. Januar 2022 der Rechtslage entsprechen würde; vielmehr war es für ihn aufgrund der bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Rechtskenntnis offenkundig, daß er die Berufungsschrift ab dem 1. Januar 2022 zwingend als elektronisches Dokument bei dem Berufungsgericht einzureichen hatte.
Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Umfang der anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen über das besondere elektronische Anwaltspostfach.
ZPO §§ 85, 130a, 233, 236
1. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax.
2. Unerläßlich ist die Überprüfung des Versandvorgangs. Dies erfordert die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO erteilt worden ist.
BGH, Beschluß vom 11. Januar 2023 - IV ZB 23/21 - OLG Köln [9 U 88/21]
FamRZ 2023, 623 = NJW-RR 2023, 425 = NZFam 2023, 423 = MDR 2023, 382 [755] = BB 2023, 657 = HFR 2023, 721 = WRP 2023, 724 = IBR 2023, 322 = RDi 2023, 350 = ErbR 2023, 410 [Ls] = FA 2023, 89 [Ls] = ZAP EN-Nr. 189/2023 [Ls] = DB 2023, 515 [Ls] = BB 2023, 449 [Ls] = StE 2023, 123 [Ls] = K&R 2023, 284 [Ls] = MittdtschPatAnw 2023, 147 [Ls]


Betreuungsrecht; Verlängerung der Betreuung trotz Vorsorgevollmacht; Erforderlichkeit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts.
BGB §§ 1814, 1825
Ist zu dem effektiven Schutz des Betroffenen die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts erforderlich, dann ist eine Vorsorgevollmacht nicht ausreichend.
BGH, Beschluß vom 11. Januar 2023 - XII ZB 106/21 - LG Darmstadt [5 T 734/20]
FamRZ 2023, 637 = NJW-RR 2023, 507 = MDR 2023, 441 = Rpfleger 2023, 401 = ZNotP 2023, 132 = BtPrax 2023, 111 = ZEV 2023, 406 [Ls] = ErbR 2023, 487 [Ls]


Betreuungsrecht; Zustimmung des Betroffenen zu der Einrichtung einer Betreuung; krankheits-bedingte Beeinträchtigung der freien Willensbildung eines Betroffenen; notwendige Feststellungen des sachverständig beratenen Gerichts.
BGB §§ 1814, 1896
1. Stimmt der Betroffene der Einrichtung einer Betreuung nicht zu, dann ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht.
2. Bestehen Anhaltspunkte, die freie Willensbildung eines Betroffenen sei krankheitsbedingt beeinträchtigt, dann hat das sachverständig beratene Gericht festzustellen, ob der Betroffene trotz einer Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist.
BGH, Beschluß vom 11. Januar 2023 - XII ZB 277/22 - LG Ellwangen [1 T 34/22]
BtPrax 2023, 103 = FamRZ 2023, 725 [Ls]


Betreuungsrecht; rechtlich geschütztes Interesse des Betroffenen an der Überprüfung der Freiheitsentziehung.
FamFG § 59
1. Einem Betroffenen steht regelmäßig das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde gegen einen gerichtlichen Beschluß, welcher eine freiheitsentziehende Maßnahme zum Gegenstand hat, zu.
2. Fehlt das Rechtsschutzbedürfnis des Betreuers, der von einer Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme keinen Gebrauch machen muß, dann berührt dies das rechtlich geschützte Interesse des Betroffenen an einer gerichtlichen Überprüfung des Beschlusses nicht.
BGH, Beschluß vom 11. Januar 2023 - XII ZB 419/22 - LG Lüneburg [1 T 69/22]
FamRZ 2023, 555 [Ls]


Versorgungsausgleich; Teilrechtskraft in Rechtsbeschwerdeverfahren; unwirksame Bestimmung in Teilungsanordnung des Versorgungsträgers; materielle Beschwer eines Ehegatten.
FamFG §§ 45, 71, 73; VersAusglG §§ 5, 45; BetrAVG § 4
1. Ficht ein Verfahrensbeteiligter die Entscheidung des Beschwerdegerichts zum Versorgungsausgleich nur wegen einzelner Versorgungsanrechte mit der Rechtsbeschwerde an, ohne daß eine wechselseitige Abhängigkeit die Einbeziehung weiterer Anrechte erfordert, können die nicht angefochtenen Teile der Entscheidung in (Teil-)Rechtskraft erwachsen, wenn der Rechtsbeschwerdeführer seinen Antrag auf der Grundlage seiner Rechtsbeschwerdebegründung nicht mehr erweitern kann, und es nach Ablauf der einmonatigen Anschließungsfrist gemäß § 73 FamFG für keinen anderen Beteiligten mehr möglich ist, die von dem Hauptrechtsmittel nicht betroffenen Anrechte durch Anschließung zur Überprüfung und Abänderung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu stellen (Abgrenzung zu dem Senatsbeschluß FamRZ 2016, 794 = FuR 2016, 338).
2. Eine Bestimmung in der Teilungsordnung eines Versorgungsträgers, die es ihm gestattet, bei einer auf das Ende der Ehezeit bezogenen Ermittlung des Barwertes einer Versorgungszusage den am Ehezeitende maßgeblichen handelsbilanziellen Rechnungszins als Abzinsungsfaktor nach billigem Ermessen durch den im Zeitpunkt des gerichtlichen Auskunftsersuchens geltenden handelsbilanziellen Rechnungszins ersetzen zu können, ist unabhängig davon, ob eine interne oder eine externe Teilung angestrebt wird, unwirksam.
3. Ein Ehegatte ist im Versorgungsausgleichsverfahren nur dann materiell beschwert, wenn die von ihm angefochtene Regelung zum Versorgungsausgleich mit einer unberechtigten wirtschaftlichen (Mehr-)Belastung für ihn verbunden ist; kann er dies nicht begründet geltend machen, ist sein Rechtsmittel in jedem Fall unbegründet, ohne daß es auf die objektive Richtigkeit der Entscheidung oder darauf ankommt, ob die Entscheidung nachteilig in die subjektiven Rechte anderer Verfahrensbeteiligter - insbesondere des anderen Ehegatten oder des Versorgungsträgers - eingreift.
BGH, Beschluß vom 11. Januar 2023 - XII ZB 433/19 - OLG Zweibrücken [6 UF 170/18]
FamRZ 2023, 765 = FuR 2023, 335 = NJW-RR 2023, 641 = NZFam 2023, 603 = FamRB 2023, 185 = MDR 2023, 500 = BetrAV 2023, 215 = FF 2023, 215 [Ls] = FGPrax 2023, 142 [Ls]


Verfahrensrecht; Rechtsmittel; Verfahren wegen Trennungsunterhalt; Anfechtbarkeit der während einer Aussetzung der Verhandlung wegen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ergehenden gerichtlichen Entscheidungen; Neubeginn der Frist zur Begründung eines Rechtsmittels mit Beendigung der Aussetzung; fristgerechte Rechtsmittelbegründung bei Verwerfung des Rechtsmittels bereits vor Ablauf der Begründungsfrist.
ZPO §§ 149, 249; FamFG §§ 113, 117; StPO § 170
1. Gerichtliche Entscheidungen, die während einer Aussetzung der Verhandlung nach § 149 ZPO ergehen, sind nicht nichtig, sondern können mit den gegebenen Rechtsmitteln angefochten werden (im Anschluß an die Senatsbeschlüsse MDR 2009, 1000, und FamRZ 2004, 867).
2. Mit Beendigung der Aussetzung durch Erledigung des Strafverfahrens beginnt grundsätzlich die volle gesetzliche Frist zur Begründung eines Rechtsmittels von neuem zu laufen (im Anschluß an BGHZ 64, 1 = NJW 1975, 692, und BGH ZInsO 2020, 2470; WM 2016, 1747).
3. Verwirft das Rechtsmittelgericht das Rechtsmittel bereits vor dem Ablauf der Begründungsfrist, dann ist der Rechtsmittelführer nicht von der fristgerechten Begründung seines Rechtsmittels befreit, wenn der Rechtsweg noch nicht erschöpft ist, und er gegen die verwerfende Entscheidung mit dem Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde vorgeht (im Anschluß an den Senatsbeschluß FamRZ 1991, 548 = EzFamR ZPO § 519 Nr. 8 = BGHF 7, 655).
BGH, Beschluß vom 11. Januar 2023 - XII ZB 538/21 - OLG München [16 UF 947/21]
FamRZ 2023, 711 = FuR 2023, 254 = NJW-RR 2023, 630 = NZFam 2023, 375 = FamRB 2023, 154 = MDR 2023, 518 = NJ 2023, 215 = FF 2023, 173 [Ls] = ErbR 2023, 411 [Ls] = FA 2023, 87 [Ls] = LMK 2023, 809007 [Ls]


Verfahrensrecht; Zwangsvollstreckung; Pfändung von Arbeitseinkommen; Berücksichtigung der laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten bei der Bestimmung des pfandfreien Betrages.
ZPO § 850d
§ 850d Abs. 1 S. 2 ZPO ist dahin auszulegen, daß bei der Bestimmung des pfandfreien Betrages die laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners gegenüber den dem Gläubiger vorgehenden oder gleichstehenden Unterhaltsberechtigten nur in dem Umfange zu berücksichtigen sind, in dem der Schuldner seine gesetzlichen Unterhaltspflichten den weiteren Unterhaltsberechtigten gegenüber erfüllt, oder in dem er von den weiteren Unterhaltsberechtigten im Wege der Zwangsvollstreckung in Anspruch genommen wird (Aufgabe von BGH MDR 2010, 1214).
BGH, Beschluß vom 18. Januar 2023 - VII ZB 35/20 - LG Mainz [3 T 39/20]
FamRZ 2023, 632 = NZFam 2023, 376 = JurBüro 2023, 269 = FamRB 2023, 195 = Rpfleger 2023, 369 = MDR 2023, 526 = JAmt 2023, 244 = MDR 2023, 688 = WM 2023, 473 = ZVI 2023, 180 = WuB 2023, 220 = DGVZ 2023, 98 = ZInsO 2023, 1253 = InsbürO 2023, 202 = KKZ 2023, 165 = FoVo 2023, 55 = FF 2023, 218 [Ls]


Verfahrensrecht; Anforderungen an die Signatur bei Übermittlung einer Berufungsschrift über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach.
ZPO §§ 85, 130a, 233
1. Die qualifizierte elektronische Signatur der als Anlage zur Berufungsschrift übersandten Abschrift des angefochtenen Urteils ersetzt nicht die qualifizierte elektronische Signatur der über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach übersandten Berufungsschrift.
2. Ist eine nicht auf dem sicheren Übermittlungsweg bei Gericht eingereichte Berufung nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, ist das Berufungsgericht - entsprechend den Grundsätzen über das Fehlen der Unterschrift - lediglich im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs verpflichtet, die Partei darauf hinzuweisen und ihr gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, den Fehler vor Ablauf der Berufungsfrist zu beheben. § 130a Abs. 6 ZPO gilt für Signaturfehler nicht.
BGH, Beschluß vom 19. Januar 2023 - V ZB 28/22 - OLG Oldenburg [8 U 9/22]
FamRZ 2023, 624 = NJW 2023, 1587 = MDR 2023, 381 [687] = BRAK-Mitt 2023, 127 = BB 2023, 1041 = HFR 2023, 820 = ZfBR 2023, 340 = GmbHR 2023, 785 = IBR 2023, 270 = RDi 2023, 249 = VRR 2023, Nr. 5, 12 = MMR 2023, 392 [Ls] = BB 2023, 514 [Ls] = K&R 2023, 285 [Ls] = ZIP 2023, 1048 [Ls] = FA 2023, 89 [Ls] = WRP 2023, 767 [Ls] = ZAP EN-Nr. 173/2023 [Ls] = AG 2023, 586 [Ls]


Verfahrensrecht; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Auslegung des Begriffs der »technischen Gründe« bei der Übermittlung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument.
ZPO §§ 85, 130d, 233, 574
Technische Gründe im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO liegen nur bei einer Störung der für die Übermittlung erforderlichen technischen Einrichtungen vor, nicht dagegen bei in der Person des Einreichers liegenden Gründen (hier: Erkrankung).
BGH, Beschluß vom 25. Januar 2023 - IV ZB 7/22 - Kammergericht [FamRZ 2022, 1220]
FamRZ 2023, 625 = NJW 2023, 1062 = VersR 2023, 739 = MDR 2023, 380 [481] = BB 2023, 594 = RDi 2023, 201 = IBR 2023, 323 = BB 2023, 386 [Ls] = ErbR 2023, 409 [Ls] = FF 2023, 217 [Ls] = FA 2023, 89 [Ls] = MittdtschPatAnw 2023, 147 [Ls] = StRR 2023, 4 [Ls] = VRR 2023, 3 [Ls] = ZAP EN-Nr. 298/2023 [Ls]


Personenstandsrecht; Voraussetzungen der Namensänderung eines Kindes; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen; fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung.
BGB § 1618; FamFG §§ 17, 18, 58, 63, 64, 151; ZPO §§ 233, 238
1. Wird die Beschwerde in einer Familiensache bei dem nicht empfangszuständigen Oberlandesgericht eingelegt, und entscheidet dieses trotz Unzulässigkeit der Beschwerde in der Sache, so kann das Rechtsbeschwerdegericht wegen der versäumten Beschwerdeeinlegungsfrist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren, wenn das fehlende Verschulden des Beschwerdeführers offenkundig ist, und die zur Nachholung der Beschwerdeeinlegung ausreichende Übersendung der Akten an das Amtsgericht von Amts wegen zu erfolgen hatte. Das Rechtsbeschwerdegericht kann in diesem Fall die Aktenübersendung selbst veranlassen.
2. Die Ersetzung der Einwilligung in die Einbenennung ist nur dann für das Kindeswohl erforderlich, wenn gewichtige, über die mit der Einbeziehung des Kindes in die Stieffamilie verbundene typische Interessenlage hinausgehende Gründe hierfür vorliegen (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 24. Oktober 2001 - XII ZB 88/99 - FamRZ 2002, 94 = FuR 2002, 35). Von einer ohne Einbenennung entstehenden Gefährdung des Kindeswohls ist die Ersetzung der Einwilligung hingegen nicht abhängig (teilweise Aufgabe der Senatsbeschlüsse vom 9. Januar 2002 - XII ZB 166/99 - FamRZ 2002, 1330 = EzFamR BGB § 1618 nF Nr. 6, und vom 10. März 2005 - XII ZB 153/03 - FamRZ 2005, 889 = EzFamR BGB § 1618 nF Nr. 9).
3. Ist nach umfassender Abwägung der Kindeswohlbelange und des Kontinuitätsinteresses des namensgebenden Elternteils die Erforderlichkeit der Einbenennung zu bejahen, hat das Familiengericht als mildere Maßnahme stets eine additive Einbenennung zu prüfen. Genügt diese den Belangen des Kindes, wird aber ein darauf gerichteter (Hilfs-)Antrag nicht gestellt, so ist die Ersetzung der Einwilligung abzulehnen.
BGH, Beschluß vom 25. Januar 2023 - XII ZB 29/20 - OLG Frankfurt [FamRZ 2020, 591]
BGHZ 236, 110 = FamRZ 2023, 593 = FuR 2023, 251 = NJW 2023, 1215 = FF 2023, 156 = NZFam 2023, 352 = MDR 2023, 439 = FGPrax 2023, 68 = StAZ 2023, 143 = Rpfleger 2023, 343 = ZKJ 2023, 220 = FamRB 2023, 234 [286] = NJW-Spezial 2023, 228 = JA 2023, 428 = ErbR 2023, 409 [Ls] = ZAP EN-Nr. 171/2023 [Ls]


Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; anwaltliche Verpflichtung zur Einreichung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument; Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verspäteter Glaubhaftmachung.
BGB § 121; ZPO §§ 85, 130d, 233, 234
1. Zu der Unverzüglichkeit der Glaubhaftmachung bei vorübergehender technischer Unmöglichkeit der Übermittlung eines elektronischen Dokuments.
2. Zu der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei verspäteter Glaubhaftmachung gemäß § 130d S. 2 und 3 ZPO.
BGH, Beschluß vom 26. Januar 2023 - V ZB 11/22 - LG Hamburg [318 S 69/21]
FamRZ 2023, 1045 = MDR 2023, 862 = WRP 2023, 833 = BB 2023, 1154 [Ls] = FA 2023, 150 [Ls] = ErbR 2023, 654 [Ls]


1. Die Glaubhaftmachung der vorübergehenden Unmöglichkeit der Einreichung eines Schriftsatzes als elektronisches Dokument bedarf einer aus sich heraus verständlichen, geschlossenen Schilderung der tatsächlichen Abläufe oder Umstände, deren Richtigkeit der Rechtsanwalt unter Bezugnahme auf seine Standespflichten anwaltlich versichern muß.
2. Stellt der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf fest, daß eine elektronische Einreichung nicht möglich ist, und verbleibt bis zum Fristablauf keine Zeit mehr, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen. Unverzüglich ist die Glaubhaftmachung nur dann, wenn sie zeitlich unmittelbar erfolgt. Anders als bei § 121 BGB ist keine gesonderte Prüfungs- und Überlegungszeit zu gewähren, sondern der Rechtsanwalt hat die Glaubhaftmachung abzugeben, sobald er zu einer geschlossenen Schilderung in der Lage ist.
3. Eine Prozeßpartei muß es sich als Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten (§ 233 S. 1, § 85 Abs. 2 ZPO) zurechnen lassen, wenn dieser sich nicht hinreichend mit den technischen Möglichkeiten der Übermittlung von Schriftsätzen als elektronisches Dokument vertraut gemacht hatte.
4. Ein solcher Fall liegt vor, wenn dem Prozeßbevollmächtigten eine elektronische Übermittlung unter Verwendung der Kanzleisoftware am häuslichen Arbeitsplatz bereits seit Dezember 2020 nicht möglich war, und die technischen Probleme auch mit fachlicher Unterstützung nicht behoben werden konnten, und er keine weiteren Schritte unternommen hat, um eine elektronische Übermittlung gemäß § 130d S. 1 ZPO rechtzeitig zum 1. Januar 2022 auf andere Weise - etwa unter Verwendung des für ihn eingerichteten besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) - sicherzustellen.
Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Pflicht des Rechtsanwalts zur Überprüfung der richtigen Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts; Eingang des fristwahrenden Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
ZPO §§ 85, 130a, 130d, 233, 236, 517, 519
1. Hat der Prozeßbevollmächtigte einer Partei die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift seinem angestellten Büropersonal übertragen, ist er verpflichtet, das Arbeitsergebnis vor Absendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach sorgfältig auf Vollständigkeit zu überprüfen. Dazu gehört auch die Überprüfung, ob das Rechtsmittelgericht richtig bezeichnet ist.
2. Geht ein fristwahrender Schriftsatz über das besondere elektronische Anwaltspostfach erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, ist es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, daß die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Rechtsmittelgericht geführt hat (Fortführung von BGH, Beschluß vom 8. Februar 2012 - XII ZB 165/11, NJW 2012, 1591 Tz. 22).
BGH, Beschluß vom 26. Januar 2023 - I ZB 42/22 - OLG Frankfurt [19 U 1/22]
NJW 2023, 1969 = NZFam 2023, 760 = MDR 2023, 1000 = WRP 2023, 829 = GI aktuell 2023, 201 = FamRZ 2023, 1142 [Ls] = BB 2023, 1281 [Ls] = DB 2023, 1536 [Ls] = FA 2023, 149 [Ls] = VRR 2023, Nr. 7, 3 [Ls]


Haftung des Rechtsanwalts; Verletzung anwaltlicher Sorgfaltspflichten; Organisationswesen; Fristenkontrolle; Vertrauen des Rechtsanwalts in eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bei Zustimmungserklärung des Gegners; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
ZPO §§ 85, 233, 520, 522
1. Beantragt ein Berufungskläger mit Einverständnis des Gegners, die wegen eines erheblichen Grundes bereits um einen Monat verlängerte Frist zur Berufungsbegründung um weitere sieben Tage zu verlängern, dann darf der Berufungskläger darauf vertrauen, daß dem Antrag stattgegeben werde (Fortführung von BGH, Beschluß vom 1. Juli 2013 - VI ZB 18/12 - NJW 2013, 3181). Aus dem Umstand, daß in dem vorliegenden Streitfall eine Verlängerung um weitere sechs Wochen beantragt worden ist, folgt schon deshalb nichts anderes, weil dem Kläger, der die Berufungsbegründung einen Tag nach Fristablauf eingereicht hat, eine teilweise Stattgabe seines Verlängerungsantrags für sieben Tage genügt hätte, um die Frist zu wahren.
2. Der vorangegangene Hinweis des Berufungsgerichts, mit einer weiteren Verlängerung sei nicht zu rechnen, stand dem Vertrauen der Prozeßbevollmächtigten des Klägers in die Fristverlängerung nicht entgegen. Das Berufungsgericht verkennt, daß ein solcher Hinweis das Gericht nicht davon entbindet, die in § 520 Abs. 2 ZPO angelegte Differenzierung danach, ob der Gegner eingewilligt hat oder nicht, und die von dem Gesetzgeber beabsichtigte vereinfachte Verlängerungsmöglichkeit bei erteilter Einwilligung zu beachten.
3. Für eine Rückfrage, ob dem Antrag auf Fristverlängerung stattgegeben wurde, besteht kein erkennbarer Anlaß, wenn der Rechtsanwalt mit der Verlängerung der Frist rechnen konnte (Fortführung von BGH, Beschluß vom 26. Januar 2017 - IX ZB 34/16 - NJW-RR 2017, 564).
BGH, Beschluß vom 30. Januar 2023 - VIa ZB 15/22 - OLG Dresden [5a U 654/22]
FamRZ 2023, 718 = NJW 2023, 1449 = MDR 2023, 379 [614]


Vormundschaft und Pflegschaft; Freiheitsentziehungssache; Pflicht des anwaltlichen Verfahrenspflegers zur Einreichung einer Beschwerdeschrift im elektronischen Rechtsverkehr.
FamFG §§ 14b, 64, 415 ff, 429; IfSG § 30
Rechtsanwälte, die in einem Verfahren das Amt des Verfahrenspflegers berufsmäßig ausüben, und in dieser Eigenschaft eine Beschwerdeschrift nach § 64 Abs. 2 S. 1 FamFG einreichen, haben diese gemäß § 14b Abs. 1 S. 1 FamFG als elektronisches Dokument zu übermitteln.
BGH, Beschluß vom 31. Januar 2023 - XIII ZB 90/22 - LG Kassel [3 T 424/22]
FamRZ 2023, 719 = NZFam 2023, 430 = BtPrax 2023, 104 = FF 2023, 217 [Ls] = ErbR 2023, 567 [Ls]


Aktuelles
Das Bundesministerium der Finanzen hat das >Merkblatt zur Steuerklassenwahl für das Jahr 2022 be...
Düsseldorfer Tabelle 2022
Die »Düsseldorfer Tabelle« wurde zum 01.01.2022 geändert, im Wesentlichen bei den Bedarfssätzen min...
Neuer Artikel