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BGH, Beschluß vom 16. September 2020 - XII ZB 499/19 - FD-Logo-500

BGH, Beschluß vom 16. September 2020 - XII ZB 499/19



Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Auskunftsverpflichtung des »unbegrenzt leistungsfähigen« Unterhaltspflichtigen; begrenzte Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle; Einkommensauskunft zur Bestimmung der Haftungsquote der Eltern.

BGB §§ 1602, 1603, 1605, 1606, 1610

1. Ein Auskunftsanspruch des Kindes gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil entfällt nicht allein aufgrund der Erklärung des Unterhaltspflichtigen, er sei »unbegrenzt leistungsfähig« (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 15. November 2017 - BGHZ 217, 24 = FamRZ 2018, 260 = FuR 2018, 208).
2. Eine begrenzte Fortschreibung der in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Bedarfsbeträge bis zu der Höhe des Doppelten des höchsten darin (zur Zeit) ausgewiesenen Einkommensbetrages ist nicht ausgeschlossen (Fortführung der Senatsbeschlüsse vom 15. November 2017 - BGHZ 217, 24 = FamRZ 2018, 260 = FuR 2018, 208, und vom 25. September 2019 - BGHZ 223, 203 = FamRZ 2020, 21 = FuR 2020, 38; teilweise Aufgabe der Senatsurteile vom 13. Oktober 1999 - FamRZ 2000, 358 = FuR 2000, 216, und vom 11. April 2001 - FamRZ 2001, 1603 = FuR 2001, 326).
3. Übersteigt das Einkommen des Unterhaltspflichtigen diesen Betrag, bleibt eine Einkommensauskunft bei Geltendmachung eines neben dem Tabellenbedarf bestehenden Mehrbedarfs erforderlich, um die jeweilige Haftungsquote der Eltern bestimmen zu können.

BGH, Beschluß vom 16. September 2020 - XII ZB 499/19 - OLG München [26 UF 542/19]

BGHZ 227, 41 = FamRZ 2021, 28 = FuR 2021, 32 = NJW 2020, 3721 = MDR 2020, 1447 = NZFam 2020, 1062 = FF 2021, 28 = FamRB 2021, 5 = JAmt 2021, 33 = NJW-Spezial 2020, 740 = ZAP EN-Nr. 593/2020 [Ls] = ErbR 2021, 169 [Ls]

Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 26. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts München vom 10.10.2019 wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.

Gründe
1
I. Die Antragstellerin ist die im Juni 2011 geborene Tochter des Antragsgegners. Sie begehrt von dem Antragsgegner im Wege des Stufenantrages Auskunft zu seinem Einkommen, und Zahlung von Kindesunterhalt.
2
Die im Jahre 2010 geschlossene Ehe des Antragsgegners mit der Kindesmutter wurde im Februar 2014 rechtskräftig geschieden. Die Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt. Der Antragsgegner ist Geschäftsführer eines Verlages und weiterer Gesellschaften. Die Antragstellerin ist Schülerin, und lebt in der Obhut der Kindesmutter.
3
Eine im Juni 2013 geschlossene Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung enthielt unter anderem eine bis zum 30. Juni 2019 befristete Regelung zu dem - mit dem Ehegattenunterhalt zusammengefaßten - Kindesunterhalt. Für die Zeit ab Juli 2019 verpflichtete sich der Antragsgegner durch notarielle Urkunde zur Zahlung von 160% des Mindestunterhalts der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle entsprechend der jeweiligen Altersstufe, und abzüglich des hälftigen Kindergeldes.
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Der Antragsgegner hat sich hinsichtlich des Kindesunterhalts für »unbegrenzt leistungsfähig« erklärt. Die Beteiligten streiten darüber, ob er dennoch zur Auskunft über sein Einkommen verpflichtet ist.
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Das Amtsgericht - Familiengericht - München hat den Antragsgegner durch Teilbeschluß vom 23. April 2019 (533 F 11011/18) antragsgemäß zur Auskunft über seine in den Jahren 2016 bis 2018 erzielten Einkünfte verpflichtet. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich dessen zugelassene Rechtsbeschwerde.
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II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung damit begründet, daß die gesetzliche Auskunftsverpflichtung nur entfalle, wenn die begehrte Auskunft für den Unterhaltsanspruch oder die Unterhaltsverpflichtung keinerlei Bedeutung habe. Dies könne der Fall sein, wenn die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen feststehe, und der Unterhalt sich nach festen Bedarfssätzen richte. Zwar sei der Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle oberhalb der höchsten Einkommensgruppe nicht schematisch fortzuschreiben. Die Düsseldorfer Tabelle begrenze den Kindesunterhalt aber nicht nach oben; vielmehr sehe diese bei Überschreiten der höchsten Einkommensgruppe eine Prüfung nach den Umständen des Einzelfalles vor, wobei auch von Bedeutung sei, welcher Unterhaltsbedarf des Kindes angesichts der konkreten Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen noch als angemessen anzusehen sei.
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Das Kind nehme seinem Alter entsprechend auch an einer besonders günstigen wirtschaftlichen Situation seiner Eltern teil; einen Anspruch auf bloße Teilhabe am Luxus habe es dagegen nicht. Die diesbezügliche Abgrenzung könne bei einem den Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle übersteigenden Einkommen nicht generell bestimmt werden, sondern hänge gerade von den konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Barunterhaltspflichtigen ab. Es mache einen erheblichen Unterschied, ob der barunterhaltspflichtige Elternteil zum Beispiel ein monatliches Nettoeinkommen von 6.000 € oder von 30.000 € habe. Der Umstand, daß die Eltern sich schon kurz nach der Geburt des Kindes getrennt hätten, könne nicht von vornherein für eine Begrenzung des Kindesunterhalts herangezogen werden, da das Kind seine Lebensstellung auch von einem Elternteil ableite, mit dem es nie zusammengelebt habe. Die genaue Höhe des Einkommens könne Aufschluß darüber geben, welche Aufwendungen für Freizeitaktivitäten des Kindes noch als angemessener Bedarf, oder welche bereits als Luxus zu betrachten seien. Darüber hinaus komme Mehrbedarf in Betracht, an dem sich grundsätzlich auch der betreuende Elternteil zu beteiligen habe. Die Ermittlung der Beteiligungsquote setze dann die Kenntnis von dem Einkommen beider Elternteile voraus.
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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
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Nach § 1605 Abs. 1 S. 1 BGB sind Verwandte in gerader Linie einander verpflichtet, auf Verlangen über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen, soweit dies zu der Feststellung eines Unterhaltsanspruchs oder einer Unterhaltsverpflichtung erforderlich ist. Eine Auskunftsverpflichtung besteht nur dann nicht, wenn feststeht, daß die begehrte Auskunft den Unterhaltsanspruch oder die Unterhaltsverpflichtung unter keinem Gesichtspunkt beeinflussen kann (Senatsbeschluß BGHZ 217, 24 = FamRZ 2018, 260 = FuR 2018, 208 Tz. 11 mwN - zum Trennungsunterhalt). Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß ein solcher Ausnahmefall hier nicht gegeben ist.
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a) Die Auskunft zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen oder des Unterhaltsberechtigten bezieht sich auf die Umstände, die für die wirtschaftlichen Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs von Bedeutung sind. Solche Voraussetzungen sind vor allem der Bedarf (§ 1610 BGB) und die Bedürftigkeit (§ 1602 BGB) des Unterhaltsberechtigten, sowie die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (§ 1603 BGB). Der Ausnahmefall, daß eine Auskunft mit Blick auf Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit nicht geschuldet ist, liegt nicht schon dann vor, wenn die jeweilige Voraussetzung (bzw. ihr Fehlen) in die Darlegungs- und Beweislast des Auskunftsverpflichteten fällt (vgl. Senatsbeschluß BGHZ 217, 24 = FamRZ 2018, 260 = FuR 2018, 208 Tz. 12 f mwN).
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Für einen Auskunftsanspruch genügt die Möglichkeit, daß die Auskunft Einfluß auf den Unterhalt hat. Solange es mithin ohne Kenntnis von den konkreten Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Auskunftspflichtigen nicht ausgeschlossen erscheint, daß die Auskunft nach den ausgeführten Maßstäben für die Bemessung des Unterhalts benötigt wird, bleibt es bei der vollumfänglichen Auskunftspflicht. Diese entfällt erst, wenn die Auskunft unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Einfluß auf den Unterhalt haben kann, und daher offensichtlich nicht mehr unterhaltsrelevant ist (Senatsbeschluß BGHZ 217, 24 = FamRZ 2018, 260 = FuR 2018, 208 Tz. 14 mwN).
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Erklärt sich der auf Auskunfterteilung in Anspruch genommene Unterhaltspflichtige für »unbegrenzt leistungsfähig«, so ist einer solchen Erklärung regelmäßig zu entnehmen, daß er darauf verzichtet, den Einwand fehlender oder eingeschränkter Leistungsfähigkeit zu erheben. Damit ist er im Rahmen der (aktuellen) Unterhaltsfestsetzung an der Erhebung dieses Einwands gehindert, so daß das Gericht den Unterhalt grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen festzusetzen hat. Dieser Aspekt bezieht sich indessen nur auf die Leistungsfähigkeit. Damit steht noch nicht fest, daß auch der Unterhaltsbedarf ohne Rücksicht auf die Höhe des Einkommens oder des Vermögens ermittelt werden kann (Senatsbeschluß BGHZ 217, 24 = FamRZ 2018, 260 = FuR 2018, 208 Tz. 15 mwN).
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b) Der Bedarf bemißt sich bei dem Kindesunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Kindes, die es regelmäßig bis zu dem Abschluß seiner Ausbildung von den Eltern ableitet. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kommt es auch bei dem Unterhalt minderjähriger Kinder auf die Lebensstellung beider Eltern an (Senatsbeschluß BGHZ 213, 254 = FamRZ 2017, 437 = FuR 2017, 208 Tz. 24 f; vgl. Dose, Festschrift Koch S. 427, 428). Dabei ist die Unterhaltspflicht aber auf denjenigen Betrag begrenzt, den der barunterhaltspflichtige Elternteil aufgrund des von ihm erzielten Einkommens zahlen muß. Der Kindesunterhalt kann daher in der hier vorliegenden Fallkonstellation des sog. Residenzmodells in der Regel aufgrund des von dem Barunterhaltspflichtigen erzielten Einkommens ermittelt werden (vgl. Senatsbeschluß BGHZ 213, 254 = FamRZ 2017, 437 = FuR 2017, 208 Tz. 25 mwN; Gutdeutsch, System der Unterhaltsberechnung S. 39).
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Zu der Bemessung des angemessenen Unterhalts iSv § 1610 BGB wird nach einhelliger Praxis der Familiengerichte die Düsseldorfer Tabelle verwendet (derzeitiger Stand: 01.01.2020 - FamRZ 2020, 147). Diese dient als Richtlinie, um ausgerichtet an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern und dem Alter des Kindes eine gleichmäßige Behandlung gleicher Lebenssachverhalte zu ermöglichen, und ist von dem Senat in ständiger Rechtsprechung gebilligt worden (Senatsurteil vom 13. Oktober 1999 - XII ZR 16/98 - FamRZ 2000, 358 = FuR 2000, 216 mwN; vgl. Klinkhammer in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 2 Rdn. 315 ff).
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aa) Die Düsseldorfer Tabelle baut in ihren seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassungen auf dem in § 1612a Abs. 1 BGB gesetzlich definierten Mindestunterhalt minderjähriger Kinder der jeweiligen Altersstufe auf. Sie ist (nunmehr) auf zwei Unterhaltsberechtigte bezogen, und enthält eine nach dem Nettoeinkommen des Barunterhaltspflichtigen gestaffelte Bedarfsbemessung. Bei einem Einkommen bis 1.900 € ist der Bedarf der Einkommensgruppe 1 (Mindestunterhalt) zu entnehmen. Dieser steigert sich bis zu der Einkommensgruppe 10 (5.101 € bis 5.500 €) auf einen Betrag von 160% des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe. Ab einem Einkommen von 5.501 € sind in der Düsseldorfer Tabelle keine Bedarfssätze mehr ausgewiesen; hier wird stattdessen auf eine Bemessung »nach den Umständen des Falles« verwiesen.
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bb) Eine über die höchste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle hinausgehende Fortschreibung der Tabellenwerte hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht für sachgerecht gehalten, und bei hohen Einkommen stattdessen grundsätzlich eine konkrete Bedarfsermittlung verlangt (Senatsurteile vom 13. Oktober 1999 - XII ZR 16/98 - FamRZ 2000, 358, 359 = FuR 2000, 216, und vom 11. April 2001 - XII ZR 152/99 - FamRZ 2001, 1603, 1604 = FuR 2001, 326; vgl. auch OLG Düsseldorf FamRZ 2017, 113). Der Senat hat zur Begründung auf die Gefahr einer Zweckentfremdung des ausschließlich zu der Bedarfsdeckung des Kindes bestimmten Unterhalts durch den betreuenden Elternteil verwiesen. Die Notwendigkeit einer konkreten Bedarfsermittlung erkläre sich auch aus der Schwierigkeit, bei erheblich über dem Durchschnitt liegenden Lebensverhältnissen der Eltern einen diesen Verhältnissen angemessenen Lebenszuschnitt der Kinder zu ermitteln, und - als Richtsatz - pauschalierend zu verallgemeinern. Die durch die Düsseldorfer Tabelle gesetzte Grenze möglicher Verallgemeinerung erscheine sachgerecht, und erlaube eine schematische Fortschreibung der als Erfahrungswerte verstandenen Richtsätze im Einzelfall nicht (Senatsurteil vom 13. Oktober 1999 - XII ZR 16/98 - FamRZ 2000, 358, 359 = FuR 2000, 216).
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(1) Daran hält der Senat nicht mehr uneingeschränkt fest.
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In seiner neueren Rechtsprechung zum Ehegattenunterhalt hat der Senat auch für ein über den höchsten Tabellenbetrag der Düsseldorfer Tabelle hinausgehendes Familieneinkommen eine Ermittlung des Unterhaltsbedarfs nach der ebenfalls schematischen Quotenmethode ohne konkrete Bedarfsermittlung zugelassen (Senatsbeschlüsse BGHZ 217, 24 = FamRZ 2018, 260 = FuR 2018, 208 Tz. 16 ff, und BGHZ 223, 203 = FamRZ 2020, 21 = FuR 2020, 38 Tz. 26 ff). Da Kinder grundsätzlich an dem Lebensstandard der Eltern teilnehmen, soweit sie ihre Lebensstellung von diesen ableiten, muß Ähnliches auch für den Kindesunterhalt gelten. Der Senat hat dementsprechend schon in seiner bisherigen Rechtsprechung klargestellt, daß auch bei höherem Elterneinkommen sichergestellt bleiben muß, daß Kinder in einer ihrem Alter entsprechenden Weise an einer Lebensführung teilhaben, die der besonders günstigen wirtschaftlichen Situation ihrer Eltern entspricht, und der Kindesunterhalt auch bei einem den höchsten Einkommensbetrag übersteigenden Elterneinkommen im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast des Unterhaltsberechtigten für seinen Unterhaltsbedarf nicht faktisch auf den für die höchste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle geltenden Richtsatz festgeschrieben werden darf (Senatsurteil vom 13. Oktober 1999 - XII ZR 16/98 - FamRZ 2000, 358, 359 = FuR 2000, 216; vgl. Klinkhammer in Staudinger, BGB [2018] § 1610 Rdn. 253).
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Das in diesem Zusammenhang angeführte Argument, daß die Kinder sich vielfach im Zusammenleben an die besonders günstige wirtschaftliche Situation gewöhnt haben, und diese ihnen auch nach der Trennung erhalten bleiben solle, bedeutet nicht, daß die abgeleitete Lebensstellung der Kinder davon abhängt, daß sie an den günstigen Verhältnissen in der Vergangenheit tatsächlich teilgenommen haben, denn das Kind leitet seinen Bedarf von den Eltern auch dann ab, wenn es mit diesen nicht zusammengelebt hat; eine vorausgegangene Gewöhnung des Kindes an den Lebensstandard ist also nicht erforderlich (vgl. Klinkhammer in Wendl/Dose, aaO § 2 Rdn. 341 mwN). Dementsprechend ist ein Kind etwa nicht gehindert, nach der Trennung der Eltern einen altersbedingt erhöhten Bedarf, oder mit zunehmendem Alter erstmals entstandene Bedarfspositionen geltend zu machen. Ebenso nimmt das Kind - anders als nach dem Stichtag für den Ehegattenunterhalt der geschiedene Ehegatte (vgl. Senatsurteil BGHZ 192, 45 = FamRZ 2012, 281 = FuR 2012, 180 Tz. 17 ff) - an einem späteren Karrieresprung des Unterhaltspflichtigen teil, und profitiert von dem Splittingvorteil aus einer von diesem geschlossenen neuen Ehe (Senatsurteil BGHZ 178, 79 = FamRZ 2008, 2189 = FuR 2008, 593 Tz. 14 ff, und Senatsbeschluß vom 10. Juli 2013 - XII ZB 298/12 - FamRZ 2013, 1563 = FuR 2013, 657 Tz. 15 mwN). Daß das Kind an dem durch das Einkommen des barunterhaltspflichtigen Elternteils geprägten Lebensstandard nicht tatsächlich teilgenommen haben muß, wird schließlich dadurch verdeutlicht, daß gegebenenfalls auch ein dem unterhaltspflichtigen Elternteil wegen Verletzung der Erwerbsobliegenheit zuzurechnendes fiktives Einkommen bedarfsbestimmend zu berücksichtigen ist (Senatsbeschluß BGHZ 213, 254 = FamRZ 2017, 437 = FuR 2017, 208 Tz. 27 mwN).
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(2) Allerdings ist insbesondere bei dem Unterhalt minderjähriger Kinder zu beachten, daß dieser keine bloße Teilhabe an dem Luxus der Eltern beinhaltet, und naturgemäß erst recht nicht zur Vermögensbildung des unterhaltsberechtigten Kindes dient. Schließlich ist das Maß des den Kindern zu gewährenden Unterhalts auch maßgeblich durch das »Kindsein« geprägt (Senatsurteil vom 23. Februar 1983 - IVb ZR 362/81 - FamRZ 1983, 473, 474 = BGHF 3, 901), berechtigt also insbesondere nicht zu einer gleichen Teilhabe an dem Elterneinkommen.
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Diese mit dem Kindesunterhalt verbundenen Grenzen werden indessen durch eine an der neueren Rechtsprechung des Senats zum Ehegattenunterhalt ausgerichtete Fortschreibung der Düsseldorfer Tabelle noch nicht berührt. Im Vergleich zu dem Ehegattenunterhalt beinhalten die in der Düsseldorfer Tabelle enthaltenen Steigerungssätze schon keine quotenmäßige (lineare) Beteiligung an dem Einkommen des Unterhaltspflichtigen; vielmehr sind die Unterhaltssteigerungen jeweils an dem Mindestunterhalt orientiert, und führen im Zusammenhang mit der Bemessung der Einkommensgruppen dazu, daß die Beteiligungsquote an dem Elterneinkommen (degressiv) stetig abnimmt. Eine dieses beibehaltende (und gegebenenfalls mit größer dimensionierten Einkommensgruppen versehene) Fortschreibung würde dementsprechend nur zu moderaten einkommensabhängigen Steigerungen des Kindesunterhalts führen. Daneben bleibt dem unterhaltsberechtigten Kind die konkrete Darlegung eines höheren Bedarfs unbenommen.
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Was schließlich die Gefahr einer zweckentfremdeten Verwendung des Kindesunterhalts durch den betreuenden Elternteil anbelangt, kann diese bei nochmaliger Überprüfung keinen Grund für eine enger bemessene Unterhaltsfestsetzung darstellen, denn eine solche Gefahr besteht vielmehr allgemein auch bei Festsetzung des Unterhalts im Rahmen der bestehenden Düsseldorfer Tabelle, und wird bereits durch eine realistische Unterhaltsbemessung begrenzt. Zudem ist der betreuende Elternteil dem Kind rechenschaftspflichtig, und müßte bei Zweckentfremdung nicht zuletzt mit sorgerechtlichen Konsequenzen rechnen.
24
c) Neben die Tabellenbeträge, die den Regelbedarf abdecken, kann nach der Rechtsprechung des Senats ein Mehrbedarf für solche Bedarfspositionen treten, welche ihrer Art nach nicht in den Tabellenbedarf, und mithin auch nicht in die Steigerungsbeträge einkalkuliert sind (vgl. Senatsurteil vom 26. November 2008 - XII ZR 65/07 - FamRZ 2009, 962 = FuR 2009, 415 Tz. 25 - Kindergartenkosten, und Senatsbeschluß BGHZ 213, 254 = FamRZ 2017, 437 = FuR 2017, 208 Tz. 37 - Hortkosten). An diesem hat sich der betreuende Elternteil grundsätzlich zu beteiligen, weil insoweit eine Befreiung von dem Barunterhalt nach § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB nicht eingreift. Davon abzugrenzen ist ein erhöhter Bedarf für solche Positionen, die ihrer Art nach bereits in der Struktur der Düsseldorfer Tabelle enthalten sind, wie etwa ein erhöhter Wohnbedarf. Dieser ist kein Mehrbedarf im eigentlichen Sinne, sondern stellt einen erhöhten Regelbedarf dar (vgl. Koch/Schürmann, Handbuch Unterhaltsrecht 13. Aufl. § 4 Rdn. 54), der folglich - jedenfalls grundsätzlich - allein von dem barunterhaltspflichtigen Elternteil zu tragen ist (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB).
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3. Gemessen an diesen Grundsätzen kommt es in dem vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht auf die Kenntnis von dem seitens des Antragsgegners bezogenen konkreten Einkommen an.
26
Zunächst ergibt sich dies aus der möglichen Fortschreibung des Tabellenbedarfs über den Höchstbetrag der Düsseldorfer Tabelle hinaus. Zwar geht die Antragstellerin davon aus, daß sie ihren konkreten Bedarf hinreichend dargelegt habe; dies schließt aber nicht aus, daß das Amtsgericht insoweit zu einem anderen Ergebnis gelangen kann, und in der Zahlungsstufe letztlich auf eine pauschalierte Bedarfsbemessung nach der - fortgeschriebenen - Düsseldorfer Tabelle zurückgreift. Die Antragstellerin ist aber auch in anderer Hinsicht auf die Auskunft angewiesen: Das Oberlandesgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, daß auch Mehrbedarf (zum Beispiel Hortkosten) in Rede steht, bezüglich dessen der Antragsgegner nicht die alleinige Haftung übernommen, sondern sich auf eine anteilige Mithaftung der Kindesmutter berufen hat. Insoweit bedarf die Antragstellerin der Einkommensauskunft, um die mögliche Haftungsquote berechnen zu können, welche zudem in ihre Darlegungslast fällt (vgl. Senatsbeschluß vom 7. Dezember 2016 - XII ZB 422/15 - FamRZ 2017, 370 = FuR 2017, 199 Tz. 39 mwN).

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