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BGH, Beschluß vom 29.01.2020 - XII ZB 580/18 - FD-Logo-500

BGH, Beschluß vom 29.01.2020
XII ZB 580/18



Unterhalt unter Verwandten; Anspruch des minderjährigen Kindes auf Unterhalt; Abänderung eines Unterhaltsvergleichs bei konkurrierenden gleichrangigen Kindesunterhaltsverpflichtungen.

BGB §§ 313, 1601, 1603, 1609, 1613; ZPO §§ 239, 323a

1. Ist die Abänderung eines Unterhaltsvergleichs wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage eröffnet, können im Rahmen der Anpassung auch Umstände, die bei der Unterhaltsbemessung außer Acht gelassen wurden, berücksichtigt werden, wenn diese in Anbetracht der (sonstigen) Vergleichsgrundlagen bei Vergleichsabschluß zu keinem anderen Ergebnis geführt hätten (Fortführung Senatsbeschluß vom 15. Juli 2015 - FamRZ 2015, 1694 = FuR 2015, 671).
2. Bei der Konkurrenz gleichrangiger Ansprüche auf Kindesunterhalt kommt es allein auf die rechtliche Abstammung des unterhaltsberechtigten Kindes von dem Unterhaltspflichtigen an; ob ein rechtliches Kind auch leibliches Kind des Unterhaltspflichtigen ist, ist hierfür unerheblich. Den Unterhaltspflichtigen trifft keine unterhaltsrechtliche Obliegenheit zu der Anfechtung der Vaterschaft.
3. Müssen von konkurrierenden gleichrangigen Kindesunterhaltsverpflichtungen einzelne gemäß § 1613 Abs. 1 BGB nicht mehr erfüllt werden, steht das dadurch freigewordene Einkommen des Unterhaltspflichtigen im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB für anderweitigen Mindest-Kindesunterhalt zur Verfügung (im Anschluß an den Senatsbeschluß vom 22. Mai 2019 - FamRZ 2019, 1415 = FuR 2019, 595).

BGH, Beschluß vom 29. Januar 2020 - XII ZB 580/18 - OLG Düsseldorf [FamRZ 2019, 695]

Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zu 3) wird der Beschluß des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 30.11.2018 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Antragsgegnerin zu 3) entschieden worden ist.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe
1
I. Die Beteiligten streiten über die Herabsetzung titulierten Kindesunterhalts.
2
Die Antragsgegner sind die minderjährigen Kinder des Antragstellers. Die Antragsgegner zu 1) (geboren im März 2002) und zu 2) (geboren im Juli 2011) sind aus der Ehe des Antragstellers mit ihrer Mutter hervorgegangen. Die Antragsgegnerin zu 3) (geboren im Juli 2007) ist das nichteheliche Kind des Antragstellers mit einer anderen Mutter.
3
Der Antragsteller ist ferner - aufgrund Ehe mit der Kindesmutter - rechtlicher Vater des Kindes J. (geboren im Februar 2004). J. ist mutmaßlich nicht das leibliche Kind des Antragstellers. Der Antragsteller machte insoweit im Jahre 2011 einen Antrag auf Vaterschaftsanfechtung anhängig. Nach gerichtlichem Hinweis auf den Ablauf der Anfechtungsfrist nach § 1600b Abs. 1 S. 1 BGB nahm er diesen wieder zurück.
4
Der Unterhalt für die Antragsgegner zu 1) und zu 2) ist durch Schluß-Versäumnisbeschluß des Amtsgerichts Rheinberg vom 2. Dezember 2014 jeweils in Höhe des Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen Kindergeldes tituliert. Der Unterhalt für die Antragsgegnerin zu 3) ist durch einen am 26. April 2012 vor dem Amtsgericht Rheinberg geschlossenen Vergleich ebenfalls in Höhe des Mindestunterhalts abzüglich des hälftigen Kindergeldes tituliert.
5
Der Antragsteller hat die Abänderung der Unterhaltstitel und die Herabsetzung des Unterhalts beantragt. Er hat sich hierfür auf gesunkene Einkünfte sowie auf die Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind J. berufen, welche bei der Titulierung noch nicht berücksichtigt wurde. Der Antragsgegner zu 1) steht seit August 2018 in einem Ausbildungsverhältnis, aus dem er eine Vergütung bezieht.
6
Das Amtsgericht - Familiengericht - Rheinberg hat den Unterhalt für sämtliche Antragsgegner, beginnend ab Oktober 2016, mit Beschluß vom 11. Juni 2018 (16 F 249/16 - juris) im Rahmen einer Mangelfallberechnung zeitlich gestaffelt herabgesetzt. Das Oberlandesgericht hat dies auf die Beschwerden der Antragsgegner teilweise abgeändert: Es hat den Unterhalt für die Antragsgegner zu 1) und zu 2) erst ab März 2017, und darüber hinaus den Unterhalt für alle Antragsgegner - ebenfalls im Rahmen einer Mangelfallberechnung - in geringerem Umfang als das Amtsgericht herabgesetzt. Dagegen haben die Antragsgegner die zugelassenen Rechtsbeschwerden eingelegt. Die Antragsgegner zu 1) und zu 2) haben ihre Rechtsmittel zurückgenommen. Die Antragsgegnerin zu 3) erstrebt mit ihrer Rechtsbeschwerde die vollständige Abweisung des Abänderungsantrages.
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II. Die - unbeschränkt zugelassene - Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin zu 3) hat Erfolg. Sie führt zu der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zu der Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.

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1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung, soweit in dem Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung, wie folgt begründet:
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Die Voraussetzungen des § 239 Abs. 1 FamFG für eine Abänderung des Vergleichs vom 26. April 2012 lägen vor. Der Abänderungsantrag sei zulässig, weil der Antragsteller Tatsachen vorgetragen habe, die die Abänderung rechtfertigten. Die weiteren Voraussetzungen richteten sich nach bürgerlichem Recht. Es fehle zwar Vortrag zu den Grundlagen des Vergleichs, welche in dem Protokoll der mündlichen Verhandlung nicht im Einzelnen aufgeführt worden seien; diese ergäben sich aber aus den damaligen Schriftsätzen der Verfahrensbeteiligten. Darin seien das seinerzeitige Einkommen des Antragstellers, das hauptsächlich aus der Pflege einer bedürftigen Privatperson resultierte, sowie der Unterhalt der Antragsgegner erörtert worden; eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind J. sei hingegen nicht berücksichtigt worden. Da sich das Einkommen des Antragstellers aufgrund des Verlustes der Pflegestelle verschlechtert habe, sei der Antrag zulässig.
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Eine Abänderung von Vergleichen könne dann verlangt werden, wenn die Geschäftsgrundlage des Vergleichs weggefallen oder so schwerwiegend verändert worden sei, daß ein Festhalten an dem Vergleich unter Beachtung der beiderseitigen Interessen unbillig iSd § 242 BGB wäre. Aus der Verfahrensakte habe sich ein seinerzeitiges Nettoeinkommen des Antragstellers von monatlich 2.485,55 € ergeben; dieses habe sich durch den Verlust seiner Pflegetätigkeit nachhaltig verschlechtert. Bei der Neubemessung sei indessen von einem - teils fiktiven - Einkommen aus Haupt- und Nebentätigkeit von insgesamt 1.702,51 € (2016), 1.703,43 € (2017) und 1.712,79 € (2018) auszugehen.
11
Bei der Unterhaltsberechnung sei nunmehr auch der Unterhaltsanspruch des Kindes J. zu berücksichtigen. Hierbei handele es sich zwar um eine sog. Alttatsache, die grundsätzlich nicht mehr beachtlich sei; falls die Abänderung aber aus anderen Gründen eröffnet sei, könne diese dennoch berücksichtigt werden, wenn sie nicht bereits in dem Ausgangsverfahren zu einer anderen Entscheidung hätte führen müssen. Das sei hier neben den Versäumnisentscheidungen auch für die Einkommensgrundlagen des Vergleichs vom 26. April 2012 der Fall, denn dem Antragsteller sei seinerzeit über seinen Selbstbehalt hinaus soviel verblieben, daß neben dem Mindestunterhalt der Antragsgegner auch der Mindestunterhalt für J. gesichert gewesen wäre.
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Dem Antragsteller könne keine unterhaltsrechtliche Verpflichtung entgegengehalten werden, die Vaterschaft für J. rechtzeitig anzufechten, um seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber seinen drei leiblichen Kindern sicherzustellen, zu denen J. nicht gehöre, denn der rechtliche Vater könne aus den unterschiedlichsten Gründen ein schützenswertes Interesse daran haben, weiterhin als Vater zu gelten. Ihm könne auch eine rechtlich zulässige Adoption nicht mit der Begründung verweigert werden, dadurch würden Unterhaltsansprüche leiblicher Kinder beschnitten; die gesetzlichen Vorschriften zu der Vaterschaftsanfechtung schützten vielmehr allein die finanziellen Interessen des Vaters gegenüber einem nicht von ihm abstammenden Kind, und entfalteten keine Schutzwirkung gegenüber weiteren Unterhaltsberechtigten. Dem entsprächen die auf die rechtliche Vaterschaft abstellenden gesetzlichen Vorschriften, während bei einer Nichtberücksichtigung des rechtlichen, aber nicht leiblichen Kindes die leiblichen Kinder zum Nachteil des nur rechtlichen Kindes oder des Vaters überproportional begünstigt würden. Aus den von dem Bundesgerichtshof anerkannten Fällen einer Durchbrechung der Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4 BGB könne nichts zugunsten der Antragsgegner hergeleitet werden, weil diese davon abhängig sei, daß die Anfechtungsfrist nach § 1600b BGB noch nicht abgelaufen sei.
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Bei der Neuberechnung sei wegen unzureichender Erwerbsbemühungen des Antragstellers ein fiktives Einkommen aus einer Haupt- sowie aus einer zumutbaren Nebentätigkeit anzusetzen. Bei der Ermittlung des - ungedeckten - Mindestunterhalts der Antragsgegner hat das Oberlandesgericht die von dem Antragsgegner zu 1) ab August 2018 bezogene Ausbildungsvergütung nach Abzug eines ausbildungsbedingten Mehrbedarfs zur Hälfte auf seinen Barbedarf angerechnet.
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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
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a) Das Oberlandesgericht hat die Zulässigkeit der Abänderung des Vergleichs vom 26. April 2012 nach § 239 Abs. 1 S. 2 FamFG zutreffend bejaht. Der Antragsteller hat mit der Verringerung des zu dem Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses von ihm bezogenen Einkommens Tatsachen vorgetragen, die eine Abänderung des Vergleichs rechtfertigen können (vgl. Senatsbeschluß vom 29. Mai 2013 - XII ZB 374/11 - FamRZ 2013, 1215 = FuR 2013, 530 Tz. 13 mwN).
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Zwar hat der Antragsteller nicht ausdrücklich zu den Grundlagen des Vergleichs vorgetragen, und weist das gerichtliche Protokoll solche nicht aus; das Oberlandesgericht hat insoweit aber entgegen der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rüge in zulässiger Weise auf den schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten in dem Ausgangsverfahren zurückgegriffen, und die Vergleichsgrundlagen - in der Rechtsbeschwerdeinstanz insoweit unbeanstandet - dem unstreitigen Sachverhalt entnommen. Dieses Vorgehen verstößt nicht gegen den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz, weil die Bezugnahme auf das Ausgangsverfahren seitens des Antragstellers im Zweifel auch den seinerzeitigen Verfahrensstoff mit abdeckt.
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Ob und inwiefern die vorgetragenen Tatsachen sodann im Ergebnis zu der Abänderung des Vergleichs führen, richtet sich gemäß § 239 Abs. 2 FamFG allein nach materiell-rechtlichen Kriterien, und ist eine Frage der Begründetheit des Abänderungsantrages (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2015 - XII ZB 66/14 - FamRZ 2015, 734 = FuR 2015, 474 Tz. 11, und vom 16. Oktober 2019 - XII ZB 341/17 - FamRZ 2020, 97 = FuR 2020, 107 Tz. 19).
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b) Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Vergleich vom 26. April 2012 der Abänderung unterliegt, und hierbei grundsätzlich auch der Unterhalt für das Kind J. zu berücksichtigen ist.
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aa) Da sich die Abänderung eines Prozeßvergleichs gemäß § 239 Abs. 2 FamFG allein nach materiell-rechtlichen Kriterien richtet, findet die Präklusionsvorschrift des § 238 Abs. 2 FamFG - ebenso wie zuvor § 323 Abs. 2 ZPO - nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes keine Anwendung, denn die Vorschrift soll die Rechtskraftwirkung unanfechtbar gewordener Entscheidungen sichern; dieser Zweck kommt bei gerichtlichen Vergleichen nicht in Betracht (Senatsbeschluß vom 29. Mai 2013 - XII ZB 374/11 - FamRZ 2013, 1215 = FuR 2013, 530 Tz. 15 mwN).
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bb) Nach § 313 Abs. 1 BGB kann, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluß schwerwiegend verändert haben, und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, Anpassung des Vertrages verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten an dem unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
21
Liegt eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB vor, so führt dies unter den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen, insbesondere der Unzumutbarkeit des Festhaltens an der Vereinbarung, zu einer entsprechenden Anpassung des Vertrages an die veränderten Vertragsgrundlagen. Diese besteht in einer unter Wahrung der unveränderten Grundlagen des Vergleichs gebotenen Neubeurteilung des Unterhaltsanspruchs (Senatsbeschluß vom 7. Dezember 2016 - XII ZB 422/15 - FamRZ 2017, 370 = FuR 2017, 199 Tz. 29; vgl. auch Senatsurteil vom 28. November 1990 - XII ZR 26/90 - FamRZ 1991, 542, 543 = FuR 1991, 108 = BGHF 7, 624; Finkenauer in MünchKomm, BGB 8. Aufl. § 313 Rdn. 89).
22
Daß das Oberlandesgericht eine Abänderung des Vergleichs aufgrund des insgesamt gesunkenen Einkommens des Antragstellers vorgenommen hat, wird von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen, und begegnet auch sonst keinen Bedenken. Auch die grundsätzliche Berücksichtigung der Unterhaltspflicht des Antragstellers gegenüber dem Kind J. steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats.
23
(1) Zu Recht hat das Oberlandesgericht eine Bindungswirkung des Vergleichs hinsichtlich der seinerzeitigen Nichtberücksichtigung des Unterhalts für J. verneint. Zwar ermöglicht eine Störung der Geschäftsgrundlage grundsätzlich keine freie Neufestsetzung des Unterhalts, denn die Vertragsanpassung muß die Grundlagen des Vergleichs fortschreiben, soweit diese unverändert fortbestehen.
24
Das Oberlandesgericht hat sich insoweit aber zu Recht auf die Rechtsprechung des Senats zu der - strengeren Voraussetzungen unterliegenden - Abänderung gerichtlicher Entscheidungen nach § 238 FamFG berufen. Danach kann ein von dem Gericht in dem vorausgegangenen Verfahren übersehener Umstand für sich genommen zwar nicht die Abänderung der Entscheidung eröffnen; wenn die Abänderung aber aus anderen Gründen eröffnet ist, ist die Berücksichtigung des Umstands nur dann ausgeschlossen (präkludiert), wenn dieser bereits in dem Ausgangsverfahren entscheidungserheblich war (Senatsbeschluß vom 15. Juli 2015 - XII ZB 369/14 - FamRZ 2015, 1694 = FuR 2015, 671 Tz. 19 ff, 23 ff). Ähnliches gilt auch für die Anpassung von Vergleichen. Ein bei Vergleichsabschluß bereits bestehender, aber nicht in die Unterhaltsbemessung eingeflossener Umstand kann die Abänderung des Vergleichs nicht begründen, weil es insofern an einer Veränderung der Geschäftsgrundlage iSv § 313 Abs. 1 BGB fehlt. Hat hingegen der betreffende Umstand aufgrund der (sonstigen) Grundlagen des Vergleichs die Festlegung des Unterhalts nicht beeinflußt, so ist er auch nicht zur Grundlage des Vergleichs geworden, und entfaltet seine Nichtberücksichtigung bei der aus anderen Gründen eröffneten Anpassung des Vergleichs dementsprechend keine Bindungswirkung.
25
In dem vorliegenden Fall ist das Oberlandesgericht zutreffend und von der Rechtsbeschwerde insoweit nicht beanstandet davon ausgegangen, daß die Nichtberücksichtigung des Unterhalts für J. in Anbetracht der gesteigerten Unterhaltspflicht des Antragstellers zu keiner von der gesetzlichen Regelung, an der sich die Beteiligten ersichtlich orientierten, abweichenden Festlegung des Unterhalts der Antragsgegnerin zu 3) geführt hat. Da das Einkommen des Antragstellers vielmehr seinerzeit noch ausreichte, um neben dem für die Antragsgegner titulierten Mindestunterhalt auch den Mindestunterhalt des Kindes J. zu decken, hat sich die Nichtberücksichtigung des Unterhalts für J. im Ergebnis nicht ausgewirkt, und ist diese daher auch nicht als unveränderte Vergleichsgrundlage fortzuschreiben.
26
(2) Der Unterhaltsanspruch des Kindes J. gemäß § 1601 BGB ist dem Unterhalt der Antragsgegner nach § 1609 Nr. 1 BGB gleichrangig, und mithin im Rahmen der Leistungsfähigkeit nach § 1603 Abs. 1 BGB grundsätzlich als sonstige Verpflichtung zu berücksichtigen.
27
Für das von § 1601 BGB vorausgesetzte Verwandtschaftsverhältnis in gerader Linie kommt es auf die rechtliche Abstammung gemäß §§ 1589 ff BGB an (Klinkhammer in Staudinger, BGB [2018] § 1601 Rdn. 7). Die Vaterschaft des Antragstellers zu dem Kinde J. ergibt sich mithin aus § 1592 Nr. 1 BGB, da er mit der Kindesmutter zu dem Zeitpunkt der Geburt verheiratet war. Dementsprechend können sich andere Unterhaltsberechtigte (hier: die Antragsgegner) wie auch der Unterhaltspflichtige im Falle der nicht rechtzeitigen Anfechtung der Vaterschaft nicht auf die fehlende leibliche Vaterschaft berufen, selbst wenn diese unstreitig ist. Der Hinweis, daß der Senat in der Vergangenheit in anderen Zusammenhängen Durchbrechungen der Rechtsausübungssperre nach § 1600d Abs. 4 BGB zugelassen hat, führt hier schon deshalb nicht weiter, weil in diesen Fällen die Vaterschaft wirksam angefochten worden war (vgl. Senatsurteil vom 11. Januar 2012 - XII ZR 194/09 - FamRZ 2012, 437 = FuR 2012, 256 Tz. 29 ff), was hier indes nicht der Fall ist.
28
Den Antragsteller traf entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch keine unterhaltsrechtliche Obliegenheit zu der Anfechtung der Vaterschaft. Grundsätzlich stellt die Aufrechterhaltung der rechtlichen Vaterschaft eine persönliche Entscheidung des Unterhaltspflichtigen dar, die nicht zuletzt im Interesse des Kindes zu billigen, und die von konkurrierenden Unterhaltsberechtigten hinzunehmen ist. Daß der Antragsteller sich zu der Anfechtung der Vaterschaft entschloß, diese aber wegen der Versäumung der Anfechtungsfrist nicht mehr möglich war, ändert daran nichts, denn der Fortbestand seiner rechtlichen Vaterschaft führt dazu, daß er dem Kinde J. in vollem Umfang unterhaltspflichtig geblieben ist. Da es sich um eine rechtlich vollwertige Elternschaft handelt, stellt sich die Aufrechterhaltung der Vaterschaft vergleichbar mit der erstmaligen Begründung der Elternschaft durch Anerkennung oder im Wege der Adoption (vgl. insoweit Senatsurteil vom 28. Januar 2009 - XII ZR 119/07 - FamRZ 2009, 579 = FuR 2009, 342 Tz. 38 mwN), als ein auch von den anderen (leiblichen) Kindern zu akzeptierender Umstand dar. Welche Motivation für die Aufrechterhaltung der Vaterschaft bestand, oder ob diese allein auf Nachlässigkeit beruhte, spielt hierfür keine Rolle, weil den Antragsteller in jedem Fall die mit der rechtlichen Vaterschaft verbundene volle unterhaltsrechtliche Verantwortung für das Kind J. trifft.
29
c) Allerdings hat das Oberlandesgericht für die Bemessung dieser Unterhaltspflicht nicht überprüft, ob eine Unterhaltsleistung insoweit - zugunsten des Unterhalts der Antragsgegnerin zu 3) - nach § 1613 BGB begrenzt ist, denn auch ein grundsätzlich bestehender Unterhaltsanspruch des Kindes J. kann und muß in Fällen des § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB bei der Mangelfallberechnung außer Betracht bleiben, wenn und soweit er von dem Unterhaltspflichtigen wegen fehlender Nachforderbarkeit nicht mehr erfüllt werden muß. Der Senat hat nach Erlaß des angefochtenen Beschlusses entschieden, daß dann, wenn von konkurrierenden gleichrangigen Kindesunterhaltsverpflichtungen einzelne gemäß § 1613 Abs. 1 BGB nicht mehr erfüllt werden müssen, das dadurch freigewordene Einkommen des Unterhaltspflichtigen iSd § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB für anderweitigen Mindest-Kindesunterhalt zur Verfügung steht (Senatsbeschluß vom 22. Mai 2019 - XII ZB 613/16 - FamRZ 2019, 1415 = FuR 2019, 595 Tz. 28).
30
Das Oberlandesgericht hat zu der Nachforderbarkeit des Unterhalts für J. keine Feststellungen getroffen. Dazu bestand jedoch Veranlassung, zumal die Unterhaltszahlung insoweit nach dem Vortrag des Antragstellers nicht von dem Kind oder von seiner Mutter als gesetzlicher Vertreterin, sondern von dem zuständigen Jobcenter gefordert worden ist. Zwar vermag auch eine Leistungsmitteilung (Rechtswahrungsanzeige) nach § 33 Abs. 3 S. 1 SGB II die Nachforderbarkeit des Unterhalts zu begründen (vgl. Senatsbeschluß vom 15. Februar 2017 - XII ZB 201/16 - FamRZ 2017, 711 = FuR 2017, 325 Tz. 22); diese bezieht sich aber nur auf Ansprüche, die auf die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II übergegangen sind. Abgesehen von der hier zu prüfenden sachlichen Kongruenz von Sozialleistung und Unterhalt und der Begrenzung des Anspruchsübergangs auf die von dem Jobcenter für J. erbrachten Sozialleistungen kommen im Rahmen der nach § 33 Abs. 2 S. 3 SGB II erforderlichen sozialrechtlichen Vergleichsberechnung bei der Ermittlung des Anspruchsübergangs nur tatsächlich erzielte Einkünfte des Unterhaltspflichtigen in Betracht, während die Berücksichtigung eines fiktiven Einkommens nach sozialrechtlichen Grundsätzen grundsätzlich ausscheidet (vgl. Senatsbeschluß BGHZ 198, 305 = FamRZ 2013, 1962 = FuR 2014, 104 Tz. 23 mwN; Klinkhammer in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 10. Aufl. § 8 Rdn. 248 mwN auch zu der Gesetzesformulierung). Die auf die Sozialleistungsträger übergegangenen Ansprüche sind dementsprechend auf den nach dem tatsächlich erzielten Einkommen berechneten Unterhalt begrenzt. Bezogen auf den vorliegenden Fall fällt der Unterhalt für J. mithin jedenfalls geringer als von dem Oberlandesgericht berechnet aus. Daher erhöhen sich die Verteilungsmasse und folglich auch der allein noch im Streit stehende Unterhalt für die Antragsgegnerin zu 3), weil das mangels Nachforderbarkeit freigewordene Einkommen des Antragstellers für ihren Unterhalt zur Verfügung steht.
31
3. Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben. Da zu der Ermittlung der für den Unterhalt der Antragsgegnerin zu 3) zur Verfügung stehenden Verteilungsmasse weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind, ist dem Senat eine eigene Sachentscheidung nicht möglich. Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, das den Beteiligten Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben hat. Bei der Neubemessung des Unterhalts wird (neben den zum 1. Januar 2020 geänderten Selbstbehaltssätzen der Düsseldorfer Tabelle und der Leitlinien der Oberlandesgerichte) außerdem zu berücksichtigen sein, daß der in Berufsausbildung befindliche Antragsgegner zu 1) im März 2020 volljährig wird, und damit die Gleichrangigkeit seines Unterhaltsanspruchs entfallen dürfte.


Hinweis

I. BGH, Beschluß vom 15.07.2015 (XII ZB 369/14 - FamRZ 2015, 1694 = FuR 2015, 671)

1. Ein von dem Gericht in einem vorausgegangenen Verfahren zu der Frage der Herabsetzung des Unterhalts auf den angemessenen Bedarf übersehener Umstand kann für sich genommen nicht die Abänderung der Entscheidung eröffnen.
2. Ist die Abänderung hingegen aus anderen Gründen eröffnet, so ist die Berücksichtigung des Umstands nur dann ausgeschlossen (präkludiert), wenn dieser bereits im Ausgangsverfahren entscheidungserheblich war.
3. War der Umstand (hier: Möglichkeit des Wechsels der Unterhaltsberechtigten in einen günstigeren Tarif der privaten Krankenversicherung im Rahmen des Krankenvorsorgeunterhalts) im vorausgegangenen Verfahren allein für die im Rahmen der Billigkeitsentscheidung nach § 1578b BGB anzustellende Gesamtschau von Bedeutung, ist seine Berücksichtigung in dem Abänderungsverfahren im Zweifel nicht ausgeschlossen.

II. BGH, Beschluß vom 22.05.2019 (XII ZB 613/16 - FamRZ 2019, 1415 = FuR 2019, 595)

Müssen von konkurrierenden gleichrangigen Kindesunterhaltsverpflichtungen einzelne gemäß § 1613 Abs. 1 BGB nicht mehr erfüllt werden, steht dieses Geld im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB für anderweitigen Mindest-Kindesunterhalt zur Verfügung. Dies gilt auch, soweit sich auf der Grundlage konkreter Umstände für die Zukunft prognostizieren läßt, daß einzelne gleichrangige Kindesunterhaltsansprüche nicht geltend gemacht werden (Abgrenzung zu dem Senatsurteil BGHZ 162, 384 = FamRZ 2005, 1154 = FuR 2005, 364 = EzFamR BGB § 1578 Nr. 65).


BGH, Beschluß vom 29.01.2020 - XII ZB 580/18
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