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BGH, Beschluß vom 24.03.2021 - XII ZB 364/19 - FD-Logo-500

BGH, Beschluß vom 24.03.2021
XII ZB 364/19


Abstammungsrecht; Vaterschaftsanfechtungsverfahren des biologischen Vaters; Ausschluß von der Vertretung des Kindes; maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen einer sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind.

BGB §§ 1600, 1629, 1795; GG Art. 6

1. In Vaterschaftsanfechtungsverfahren sind der mitsorgeberechtigte rechtliche Vater und die mit ihm verheiratete Mutter von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen (im Anschluß an die Senatsbeschlüsse BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 = FuR 2012, 380, und FamRZ 2017, 123 = FuR 2017, 84). Ist die Mutter hingegen mit dem rechtlichen Vater nicht (mehr) verheiratet, ist sie von dem gesetzlichen Sorgerechtsausschluß nicht betroffen, so daß das Kind von ihr allein vertreten wird (Aufgabe von BGH FamRZ 1972, 498).
2. Die Anfechtung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater ist unbegründet, wenn zum Schluß der letzten Tatsacheninstanz eine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem rechtlichem Vater und dem Kind besteht, auch wenn eine solche zu dem Zeitpunkt der Einreichung des Antrages noch nicht vorlag (im Anschluß an das Senatsurteil BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538 = FuR 2007, 167 = EzFamR BGB § 1600 Nr. 7, und an den FamRZ 2018, 275 = FuR 2018, 137).

BGH, Beschluß vom 24. März 2021 - XII ZB 364/19 - OLG Frankfurt [FamRZ 2019, 1872]

Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerden der weiteren Beteiligten zu 4) und zu 5) wird der Beschluß des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 08.07.2019 aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
3. Wert: 2.000 €.

Gründe
1
I. Der Antragsteller [Beteiligter zu 3)] ficht in dem vorliegenden Verfahren als leiblicher Vater die Vaterschaft des Beteiligten zu 5) zu dem beteiligten Kind [Beteiligte zu 1)] an, und erstrebt die Feststellung seiner eigenen Vaterschaft.
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Das Kind wurde am 10. November 2017 geboren. Die Kindesmutter [Beteiligte zu 4)] hatte während der gesetzlichen Empfängniszeit sowohl mit dem Antragsteller als auch mit dem Beteiligten zu 5) Geschlechtsverkehr. Der Beteiligte zu 5) erkannte vor der Geburt des Kindes mit Zustimmung der Kindesmutter die Vaterschaft an. Durch Sorgeerklärungen vom 2. Juli 2018 begründeten die Kindesmutter und er gemeinsame elterliche Sorge. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens schlossen sie die Ehe.
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Gegenüber dem Antragsteller hatte die Kindesmutter zunächst wahrheitswidrig erklärt, sie habe ihre ursprüngliche Schwangerschaft abgebrochen; das Kind sei erst danach von dem Beteiligten zu 5) gezeugt worden. Später klärte sie den Antragsteller darüber auf, daß ein Abbruch nicht durchgeführt worden war. Ein sodann von einem zertifizierten Labor im Einvernehmen der Beteiligten durchgeführter Vaterschaftstest vom 30. Mai 2018 ergab eine Wahrscheinlichkeit von 99,99% für die Vaterschaft des Antragstellers. Am 12. Juni 2018 teilte die Kindesmutter dem Beteiligten zu 5) erstmals mit, daß er nicht der Vater des Kindes sei.
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Der Antragsteller hat das vorliegende Verfahren durch am 27. August 2018 eingereichten Antrag eingeleitet. Ob zu diesem Zeitpunkt eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und Beteiligtem zu 5) bestand, ist zwischen den Beteiligten streitig; ebenfalls streitig ist, ob und gegebenenfalls in welcher Zeit eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Antragsteller und Kind bestand.
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Das Amtsgericht Frankfurt/M. hat dem Antrag mit Beschluß vom 23. November 2018 (477 F 23203/18) stattgegeben und festgestellt, daß nicht der Beteiligte zu 5), sondern der Antragsteller Vater des Kindes ist. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerden der Kindesmutter und des Beteiligten zu 5) zurückgewiesen. Dagegen richten sich deren zugelassene Rechtsbeschwerden, mit denen sie weiterhin die Zurückweisung des Antrages erstreben. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat das Amtsgericht auf Anregung des Senats für das Kind einen Ergänzungspfleger bestellt.
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Die Rechtsbeschwerden haben Erfolg.
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II. 1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts, dessen Entscheidung in FamRZ 2019, 1872 veröffentlicht ist, liegen die Voraussetzungen der Vaterschaftsanfechtung vor. Die leibliche Vaterschaft des Antragstellers sei durch das einvernehmlich eingeholte Abstammungsgutachten eines zertifizierten Labors nachgewiesen. Da auch keine Einwände gegen den Ablauf der Testung erhoben worden seien, habe es keiner weitergehenden Beweiserhebung bedurft.
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Zwischen dem Beteiligten zu 5) und dem Kind habe zu dem Zeitpunkt der Einleitung des Abstammungsverfahrens keine sozial-familiäre Beziehung bestanden. Maßgebender Zeitpunkt sei zwar grundsätzlich der Schluß der mündlichen Verhandlung; bei der Auslegung des § 1600 Abs. 2 und 1 Nr. 2 BGB sei aber der von dem Bundesverfassungsgericht aufgezeigte verfassungsrechtliche Rahmen zu beachten. Ein endgültiger Ausschluß des leiblichen Vaters von dem Zugang zu der rechtlichen Elternstellung sei danach nicht ohne weiteres gerechtfertigt, wenn zwischen rechtlichem Vater und Kind zu dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Beschwerdeinstanz zwar eine sozial-familiäre Beziehung bestehe, der leibliche Vater aber, als ihm die rechtliche Vaterschaft offenstand, alles getan habe, um die rechtliche Elternstellung zu erlangen. In dieser Konstellation sei das Interesse an dem Gleichlauf der rechtlichen Vaterschaft mit der sozial-familiären Beziehung regelmäßig nicht stark genug, um die erhebliche Härte zu rechtfertigen, die das endgültige Scheitern der rechtlichen Vaterschaft für den leiblichen Vater bedeute. Der Wortlaut des § 1600 Abs. 2 BGB stehe einer entsprechenden Interpretation nicht entgegen; diese bringe zugleich in Sonderkonstellationen den grundrechtlich geschützten Anspruch des leiblichen Vaters auf ein hinreichend effektives Verfahren zu der Erlangung der rechtlichen Vaterstellung zur Geltung.
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Nach diesen Maßstäben sei in dem vorliegend zu beurteilenden Einzelfall auf die Einleitung des Verfahrens als maßgebenden Zeitpunkt abzustellen. Zwar habe der Beteiligte zu 5) die Vaterschaft schon vor der Geburt anerkannt, so daß dem Antragsteller die rechtliche Vaterschaft vor der Einleitung des Verfahrens nicht offengestanden habe; dennoch habe der Antragsteller ab Kenntnis seiner leiblichen Vaterschaft alle Maßnahmen ergriffen, um tatsächlich und rechtlich die Position des Vaters einzunehmen. Die Kindesmutter habe ihn erst am 1. Mai 2018 darüber informiert, daß die Schwangerschaft nicht abgebrochen worden sei. Nach dem Vorliegen des Abstammungsgutachtens vom 30. Mai 2018 habe er sich unmittelbar um das Kind gekümmert, nachdem die Kindesmutter eine Beziehung mit ihm aufgenommen habe. Das vorliegende Verfahren habe er im August 2018 eingeleitet, nachdem er auf Feststellung der rechtlichen Vaterschaft bestanden, und die Kindesmutter den Kontakt zu ihm abgebrochen habe.
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Der Antragsteller habe nachgewiesen, daß bei Einleitung des Verfahrens keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem Beteiligten zu 5) und dem Kind bestanden habe. Ein gesetzlicher Regelfall nach § 1600 Abs. 3 BGB liege nicht vor. Zwar habe sich der Beteiligte zu 5) nach der Geburt jeweils vorübergehend in dem Haushalt der Kindesmutter aufgehalten und Versorgungsleistungen für das Kind übernommen; er habe sich aber bereits ab Mai 2018 aus der tatsächlichen Betreuung des Kindes zurückgezogen. Der Antragsteller habe sich nachfolgend wesentlich häufiger in dem Haushalt der Kindesmutter aufgehalten, und in höherem Umfange Versorgungs- und Betreuungsleistungen übernommen. Der Beteiligte zu 5) habe im Rahmen der ihn treffenden sekundären Darlegungslast nicht aufgezeigt, daß er trotz dieser Umstände bis zu der Antragstellung tatsächlich für das Kind auf Dauer angelegt Verantwortung habe übernehmen wollen.
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2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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a) Die Rechtsbeschwerden haben nicht schon aus verfahrensrechtlichen Gründen Erfolg.
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Ein Verfahrensfehler hinsichtlich der ordnungsgemäßen gesetzlichen Vertretung des beteiligten Kindes, der in dem Rechtsbeschwerdeverfahren gegebenenfalls von Amts wegen zu berücksichtigen ist (§ 72 Abs. 3 FamFG iVm § 547 Nr. 4 ZPO; vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober 2002 - XII ZR 345/00 - FamRZ 2003, 155 = FuR 2003, 302 = EzFamR BGB § 1592 nF Nr. 2), ist dem Oberlandesgericht nicht unterlaufen.
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aa) Das Kind kann in Abstammungsverfahren allerdings nicht durch den gerichtlich bestellten Verfahrensbeistand vertreten werden, wie es ausweislich des Rubrums des angefochtenen Beschlusses offenbar Auffassung des Oberlandesgerichts ist, denn der Verfahrensbeistand ist gemäß §§ 174 S. 2, 158 Abs. 4 S. 6 FamFG kraft ausdrücklicher Gesetzesanordnung nicht gesetzlicher Vertreter des Kindes (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 = FuR 2012, 380 Tz. 18, und BGHZ 191, 48 = FamRZ 2011, 1788 = FuR 2012, 26 Tz. 22).
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Daß das Bundesverfassungsgericht über die (einfach-)gesetzliche Regelung hinausgehend die Bestellung eines Ergänzungspflegers oder die Geltendmachung der Rechte des Kindes durch den Verfahrensbeistand in Verfahren über die Verfassungsbeschwerde als zulässig angesehen hat (vgl. BVerfG, Beschluß vom 15. Dezember 2020 - 1 BvR 1395/19 - FamRZ 2021, 512 = FuR 2021, 199 Tz. 26 ff mwN), kann für das vorliegende Verfahren schon wegen der für das Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren bestehenden, verfassungsrechtlich zu der Wahrnehmung der Kindesinteressen ausreichenden Beschwerdebefugnis der Verfahrensbeiständin im eigenen Namen nicht erheblich werden.
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bb) Aufgrund der gemeinsamen elterlichen Sorge sind grundsätzlich die Eltern nach § 1629 Abs. 1 BGB gesetzliche Vertreter des Kindes. Da sich das Anfechtungsverfahren aber auf die Beseitigung der rechtlichen Vaterstellung des Beteiligten zu 5) richtet, ist dieser hier von der gesetzlichen Vertretung kraft Gesetzes ausgeschlossen. Der Vertretungsausschluß gilt dann nach §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB ebenfalls für die mit dem rechtlichen Vater verheiratete Kindesmutter (Senatsbeschluß BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 = FuR 2012, 380 Tz. 15 ff). Aufgrund der während des Rechtsbeschwerdeverfahrens erfolgten Eheschließung der Beteiligten zu 4) und zu 5) ergreift der Vertretungsausschluß auch die Beteiligte zu 4). Für das Kind ist dementsprechend ein Ergänzungspfleger bestellt worden.
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cc) Die Beteiligte zu 4) war vor der Eheschließung nicht schon aufgrund des bereits bestehenden gemeinsamen Sorgerechts der rechtlichen Eltern von der gesetzlichen Vertretung des Kindes ausgeschlossen.
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(1) Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist bei gemeinsamer elterlicher Sorge auch die nicht mit dem rechtlichen Vater verheiratete Kindesmutter kraft Gesetzes von der gesetzlichen Vertretung des minderjährigen Kindes ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 14. Juni 1972 - IV ZR 53/71 - FamRZ 1972, 498). Daran hält der nunmehr zuständige Senat nach Überprüfung nicht mehr fest.
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Nach § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB können der Vater und die Mutter das Kind insoweit nicht vertreten, als nach § 1795 BGB ein Vormund von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen ist. Nach § 1795 Abs. 1 Nr. 3 iVm § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB greift der Vertretungsausschluß unter anderem bei einem Rechtsstreit zwischen dem Kind und dem Ehegatten des Elternteils. Dementsprechend ist die mit dem (rechtlichen) Vater verheiratete Mutter in dem Vaterschaftsanfechtungsverfahren von der Vertretung kraft Gesetzes ausgeschlossen (Senatsbeschlüsse BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 = FuR 2012, 380 Tz. 6, und vom 2. November 2016 - XII ZB 583/15 - FamRZ 2017, 123 = FuR 2017, 84 Tz. 16).
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Darüber hinausgehend hat der Bundesgerichtshof die Mutter auch dann als von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossen angesehen, wenn sie mit dem Vater nicht (mehr) verheiratet, aber gemeinsam sorgeberechtigt ist, und die Eltern dementsprechend zur Gesamtvertretung befugt sind (BGH, Urteil vom 14. Juni 1972 - IV ZR 53/71 - FamRZ 1972, 498, 499 f; a.A. Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts § 50 III 4 = S. 570; Wangemann, NJW 1961, 194).
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Er hat die Grundlage hierfür in § 1629 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB gesehen. Dieser Vorschrift liege, wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs zu dem Gleichberechtigungsgesetz ergebe, und was wohl auch als der Wille des Gesetzgebers anzusehen sei, die Erwägung zugrunde, es liege nicht im Interesse des Kindes, daß der nicht ausgeschlossene Elternteil die Vertretung des ausgeschlossenen übernehme. Der nicht verhinderte Elternteil sei deshalb von der Vertretung ausgeschlossen, weil der andere wegen gesetzlich vermuteter Interessenkollision nicht vertreten könne, und in diesen Fällen häufig eine Befangenheit beider Elternteile vorliege, die zu einem Mißbrauch der elterlichen Sorge führen könne. Eine solche Befangenheit könne auch nach der rechtskräftigen Scheidung der Ehe der Eltern bestehen. Zwar sei die Bindung der Ehegatten durch die Scheidung der Ehe beendet; die Interessenlage der rechtskräftig geschiedenen Eheleute im Verhältnis zu ihrem Kinde bleibe aber bestehen (BGH Urteil vom 14. Juni 1972 - IV ZR 53/71 - FamRZ 1972, 498, 499 f).
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(2) Dieser Auffassung sind Rechtsprechung und Schrifttum im Wesentlichen gefolgt (vgl. Senatsurteile BGHZ 180, 51 = FamRZ 2009, 861 = FuR 2009, 406 Tz. 30; 187, 119 = FamRZ 2010, 2065 Tz. 16, und BGH, Beschluß vom 16. April 1975 - V ZB 17/74 - FamRZ 1975, 480; zuletzt OLG Dresden NJW 2016, 1028, 1029; OLG Nürnberg FamRZ 2018, 356, 357; Lettmaier in Staudinger, BGB [2020] § 1629 Rdn. 184; Kaiser in NK-BGB, 3. Aufl. § 1629 Rdn. 63 mwN; Veit in Staudinger, BGB [2020] § 1795 Rdn. 90; andererseits vgl. Klinkhammer in Schnitzler, Münchener Anwaltshandbuch Familienrecht 5. Aufl. § 31 Rdn. 99). Sie ist indes schon nach Wortlaut und Systematik des Gesetzes weder zwingend, noch naheliegend, und stellt sich im Ergebnis als von dem Gesetz nicht gedeckter Eingriff in das Elternrecht der Mutter gemäß Art. 6 Abs. 2 GG dar.
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(a) Aus dem Wortlaut des § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB kann ein von dem Gesetzgeber gewollter Ausschluß beider - nicht (mehr) verheirateter - Eltern von der gesetzlichen Vertretung in dem Falle, daß nur ein Elternteil von dem Ausschlußgrund betroffen ist, nicht hergeleitet werden.
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§ 1629 Abs. 2 S. 1 BGB ist in seiner heutigen Fassung (seinerzeit als § 1629 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 BGB) durch das Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 (BGBl I 609) eingeführt worden. Eine aus § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB und dessen Wortlaut (»Der Vater und die Mutter können das Kind insoweit nicht vertreten …«) hergeleitete zusammenfassende Betrachtung der Eltern im Hinblick auf den nur in Person eines Elternteils gegebenen Ausschlußgrund (vgl. BayObLG FamRZ 1960, 33, 35) kam schon deswegen nicht in Betracht, weil das Gleichberechtigungsgesetz keine Gesamtvertretung durch die Eltern vorsah; das Gesetz führte mit § 1629 Abs. 2 BGB vielmehr die früher in § 1630 Abs. 2 BGB in der Ursprungsfassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs enthaltene Regelung fort. Das zuvor geltende Recht hatte eine Alleinvertretung des Kindes durch den Vater vorgesehen (§§ 1627, 1630 Abs. 1 BGB), was nach § 1630 Abs. 2 BGB im Falle des Vertretungsausschlusses entsprechend § 1795 BGB stets die Bestellung eines Pflegers nach § 1909 BGB erforderlich machte. Da die gesetzliche Regelung nach Art. 3 Abs. 2 iVm Art. 117 Abs. 1 GG seit dem 1. April 1953 nur noch mit modifiziertem - gleichberechtigungskonformem - Inhalt gegolten hatte, und die Alleinvertretung durch den Vater nach seinerzeit nahezu allgemeiner Auffassung als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG angesehen wurde, hatte der Bundesgerichtshof für die vom 1. April 1953 bis zu dem Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes am 1. Juli 1958 geltende Regelung übereinstimmend mit der weit überwiegenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung in dem Urteil vom 5. Februar 1958 eine Gesamtvertretung angenommen, die bei Ausschluß des Vaters zu der Alleinvertretungsbefugnis der Mutter erstarkte (BGH FamRZ 1958, 178; vgl. BVerfG 10, 59, 70 f = FamRZ 1959, 416 mwN).
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Im Gegensatz dazu hielt das - schon vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofes erlassene - Gleichberechtigungsgesetz an der grundsätzlichen Alleinvertretung durch den Vater fest, und verband diese mit der Befugnis des Vaters zu dem sog. Stichentscheid. Das Bundesverfassungsgericht hatte § 1628 BGB (Stichentscheid) und § 1629 Abs. 1 BGB (Alleinvertretung durch den Vater) in der Fassung des Gleichberechtigungsgesetzes mit Urteil vom 29. Juli 1959 wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG für nichtig erklärt (BVerfGE 10, 59 = FamRZ 1959, 416). In der Folgezeit ging die Rechtsprechung auch ohne eine gesetzliche Neuregelung wiederum von der Gesamtvertretung durch die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern aus (vgl. BT-Dr. 8/2788 S. 46 f mwN). Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung der Gesamtvertretung erfolgte erst durch das Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge vom 24. Juli 1979 (BGBl I 1061), das zum 1. Januar 1980 in Kraft trat.
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Vor diesem Hintergrund kann § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB neben dem Verweis auf die Ausschlußgründe nach § 1795 BGB nicht die gesetzgeberische Entscheidung entnommen werden, daß ein in der Person eines Elternteils verwirklichter Ausschlußgrund zugleich auch den anderen, nicht davon betroffenen Elternteil erfaßt. Eine solche Wertentscheidung dem Gleichberechtigungsgesetz zu entnehmen, ist nicht möglich, weil dieses - wie ausgeführt - eine Gesamtvertretung durch die Eltern noch nicht vorsah. Dementsprechend ist auch die Begründung des diesbezüglichen Regierungsentwurfs (BT-Dr. 2/224 S. 59), wonach in dem Falle der rechtlichen Verhinderung eines Elternteils nach § 1795 BGB auch der andere Elternteil die Vertretung nicht übernehme, zu Unrecht für das Gegenteil angeführt worden, denn dieser Begründung, die vornehmlich auf das »gute Einvernehmen der Ehegatten«, also auf den Fall der bestehenden Ehe verwies, können lediglich die rechtspolitischen Motive zu der Frage entnommen werden, warum die Mutter in dem Falle des Ausschlusses des Vaters von dem Gesetz auch nicht ersatzweise zur gesetzlichen Vertreterin des Kindes berufen sein sollte. Mit Blick auf § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB könnte die Heranziehung der angegebenen Gründe mithin allenfalls auf der Hypothese beruhen, welche Regelung der damalige Gesetzentwurf getroffen hätte, wenn er zu der vorgelagerten Frage der gesetzlichen Vertretung abweichend von dem hauptsächlichen, durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Regelungsinhalt eine Art. 3 Abs. 2 und 3 GG entsprechende gleichberechtigte Vertretung durch beide Eltern vorgesehen hätte.
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Damit nimmt die Entwurfsbegründung des später in wesentlichen Teilen für verfassungswidrig erklärten Gesetzes nicht an der Gesetzesbindung teil, und vermag erst recht kein entsprechendes Verständnis von dem Wortlaut des § 1629 Abs. 2 S. 1 BGB zu begründen.
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(b) Ein Ausschluß der Mutter von der gesetzlichen Vertretung im Falle der Gesamtvertretung ist auch nicht aus Sachgründen geboten. Daß ein mit dem Vertretungsausschluß verbundener Eingriff in das Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 GG insoweit vielmehr allein auf der von dem Gesetz in §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB eröffneten Eingriffsgrundlage erfolgen kann, ergibt sich aus verfassungsrechtlichen Erwägungen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Senats handelt es sich bei dem gesetzlichen Ausschluß wie der gerichtlichen Entziehung der Vertretungsbefugnis um Eingriffe in das Elternrecht, die einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage bedürfen, und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen müssen (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 191, 48 = FamRZ 2011, 1788 = FuR 2012, 26 Tz. 18, 23 mwN; 225, 184 = FamRZ 2020, 1171 = FuR 2020, 532 Tz. 18). Das Gesetz geht dabei in Abstammungsverfahren von dem Grundsatz aus, daß die Mutter trotz bestehender Eigeninteressen in der Lage ist, das Kind seinen Interessen entsprechend in dem Verfahren zu vertreten (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 193, 1 = FamRZ 2012, 859 = FuR 2012, 380 Tz. 20, und vom 2. November 2016 - XII ZB 583/15 - FamRZ 2017, 123 = FuR 2017, 84 Tz. 18 f).
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§ 1629 Abs. 2 S. 1 BGB ergibt damit für sich genommen bereits keine taugliche Eingriffsnorm für einen Ausschluß der elterlichen Vertretungsbefugnis der Mutter. Eine allenfalls mögliche entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften scheitert in der vorliegenden Fallkonstellation schon an der mangelnden Vergleichbarkeit zwischen der Ehe von Vater und Mutter und der lediglich bestehenden gemeinsamen elterlichen Sorge. Während die Ehe nach § 1353 BGB unter anderem die gegenseitige Rücksichtnahme gebietet, ist das gemeinsame Sorgerecht damit schon deswegen nicht vergleichbar, weil der Vater im Hinblick auf die gesetzliche Vertretung von der elterlichen Sorge gerade ausgeschlossen ist, die Mutter für das Kind also in eigener Verantwortung handeln kann und muß. Die Stellung der Mutter entspricht damit insoweit vielmehr dem Fall, daß sie - aufgrund Übertragung nach § 1628 oder § 1671 BGB - allein sorgeberechtigt ist. Für diesen Fall ist aber ein gesetzlicher Ausschluß von der Vertretung in Vaterschaftsanfechtungsverfahren nach zutreffender, nahezu einhelliger Meinung nicht gegeben (vgl. auch § 173 FamFG); es kommt dann allenfalls eine gerichtliche Entziehung der Vertretungsbefugnis im Einzelfall aufgrund §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB in Betracht (vgl. Senatsbeschluß vom 2. November 2016 - XII ZB 583/15 - FamRZ 2017, 123 = FuR 2017, 84 Tz. 13 ff mwN). Somit steht auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einem generellen Ausschluß der Mutter von der gesetzlichen Vertretung entgegen, weil insoweit das auf den Einzelfall bezogene Verfahren gemäß §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB jedenfalls als milderes Mittel anzusehen ist.
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Auf die Frage, ob eine Entziehung der Vertretungsbefugnis nach §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 BGB hier wegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen Mutter und Kind geboten gewesen wäre, kommt es nicht an, weil die Vertretungsbefugnis erst mit der Entziehung, und nicht bereits mit dem Auftreten des Interessengegensatzes entfällt (vgl. Senatsurteil BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538, 539 = FuR 2007, 167 = EzFamR BGB § 1600 Nr. 7). Soweit das Bundesverfassungsgericht für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde bereits aus dem Bestehen eines Interessenkonflikts oder schon aus dessen bloßer Möglichkeit einen Wegfall der Vertretungsbefugnis der Eltern kraft Gesetzes herleitet (vgl. zuletzt BVerfG FamRZ 2021, 104 Tz. 22 f mwN), bezieht sich diese Rechtsprechung ausschließlich auf das Verfassungsbeschwerdeverfahren.
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(3) In dem vorliegenden Fall war die Beteiligte zu 4) mithin in dem Beschwerdeverfahren nicht von der Vertretung des Kindes ausgeschlossen. Daß das Oberlandesgericht sie in dem Rubrum des angefochtenen Beschlusses nicht auch in ihrer Eigenschaft als gesetzliche Vertreterin des Kindes aufgeführt hat, ist im Ergebnis unschädlich, denn die Beteiligte zu 4) ist als Kindesmutter in sämtlichen Verfahrensabschnitten beteiligt worden, und war von dem jeweiligen Verfahrensstand stets vollständig informiert. Sie hat neben den von ihr selbst gestellten Anträgen - übereinstimmend mit dem nunmehr bestellten Ergänzungspfleger - keine Anträge im Namen des beteiligten Kindes gestellt; auch war eine förmliche Zustellung der Antragsschrift (vgl. § 23 Abs. 2 FamFG) wie auch der in den Vorinstanzen erlassenen Endentscheidungen an das beteiligte Kind nicht geboten (vgl. § 41 Abs. 1 S. 2 FamFG). Die nach § 41 Abs. 1 S. 1 FamFG erforderliche Bekanntgabe ist an die Beteiligte zu 4) erfolgt, und wegen deren - noch für den Beschwerdebeschluß - bestehenden Vertretungsbefugnis auch für das betroffene Kind wirksam (vgl. auch Senatsbeschluß vom 7. Oktober 2020 - XII ZB 167/20 - FamRZ 2021, 55 = FuR 2021, 45 Tz. 13 zu der Heilung der unterbliebenen Zustellung).
33
Da das Kind von den Vorinstanzen zutreffend als verfahrensbeteiligt behandelt worden ist, und seine Interessen zudem durch die bestellte Verfahrensbeiständin ausreichend wahrgenommen worden sind, könnte ein Verfahrensfehler des Oberlandesgerichts allenfalls in dem Unterlassen der Aufklärung der Kindesmutter über ihre Stellung als gesetzliche Vertreterin des Kindes gelegen haben. Ein solches Unterlassen hat aber ersichtlich keinen Einfluß auf das Verfahren und auf die Entscheidung gehabt; jedenfalls wäre ein diesbezüglicher Verfahrensfehler in der Rechtsbeschwerdeinstanz gemäß § 74 Abs. 3 S. 3 FamFG nur auf eine entsprechende Rüge zu beachten, welche von dem Ergänzungspfleger nicht erhoben worden ist.
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b) In der Sache begegnet der angefochtene Beschluß jedoch durchgreifenden Bedenken.
35
Die Anfechtung durch den Mann, der an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben (§ 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB) setzt gemäß § 1600 Abs. 2 BGB voraus, daß zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater gemäß §§ 1592 Nr. 1 und 2, 1593 BGB keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder in dem Zeitpunkt seines Todes bestanden hat, und daß der Anfechtende leiblicher Vater des Kindes ist. Eine sozial-familiäre Beziehung besteht nach § 1600 Abs. 3 S. 1 BGB, wenn der rechtliche Vater zu dem maßgeblichen Zeitpunkt für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat.
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aa) Nach der Rechtsprechung des Senats ist der für das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung maßgebliche Zeitpunkt - abgesehen von dem Falle des Todes des rechtlichen Vaters - der Schluß der letzten Tatsacheninstanz (Senatsbeschluß vom 15. November 2017 - XII ZB 389/16 - FamRZ 2018, 275 = FuR 2018, 137 Tz. 19 mwN, und Senatsurteil BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538, 539 = FuR 2007, 167 = EzFamR BGB § 1600 Nr. 7). Eine Abweichung davon ist auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG FamRZ 2019, 124; 2019, 1868) weder geboten, noch zulässig.
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(1) Die von dem Oberlandesgericht angenommene ausnahmsweise Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes auf den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung stimmt mit der geltenden gesetzlichen Regelung nicht überein; das ergibt sich aus einer Auslegung der Norm nach den anerkannten Auslegungsregeln.
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(a) Das von dem Senat zugrunde gelegte Verständnis folgt vor allem aus dem Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik.
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§ 1600 Abs. 2 BGB setzt für die Anfechtung voraus, daß keine sozial-familiäre Beziehung »besteht«. Die Formulierung im Präsens bedeutet, daß der in dem Anfechtungsverfahren zu erlassenden Entscheidung die jeweils aktuelle Sachlage zugrunde zu legen ist.

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Dies entspricht der allgemeinen verfahrensrechtlichen Systematik, denn die für die Entscheidung maßgebliche Tatsachenlage ist aufgrund des Standes zum Schluß der mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz oder - bei Verfahren ohne mündliche Verhandlung - nach dem Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz zu bestimmen. Daraus ergibt sich zugleich die Verpflichtung des Gerichts, alle bis zu diesem Zeitpunkt eingetretenen Tatsachen bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen. Entsprechend ist auch für etwaige nachfolgende Verfahren eine Berücksichtigung weiterer Tatsachen nur zulässig, wenn diese nach dem maßgeblichen Zeitpunkt eingetreten sind, während zuvor eingetretene Tatsachen grundsätzlich präkludiert sind (vgl. §§ 323 Abs. 2, 767 Abs. 2 ZPO, § 238 Abs. 2 FamFG; vgl. auch Senatsurteil vom 30. Oktober 2002 - XII ZR 345/00 - FamRZ 2003, 155 f = FuR 2003, 302 = EzFamR BGB § 1592 nF Nr. 2; BGH, Urteile vom 28. Juni 1985 - V ZR 43/84 - NJW 1985, 2825 f mwN, und vom 16. Oktober 2020 - V ZR 98/19 - MDR 2021, 446 Tz. 18 ff, jeweils zu den objektiven Grenzen der Rechtskraft).
41
Daß das Verfahren in Abstammungssachen seit dem 1. September 2009 nicht mehr Bestandteil der Zivilprozeßordnung (§§ 640 ff ZPO a.F. »Verfahren in Kindschaftssachen«), sondern des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 169 ff FamFG) ist, hat insoweit zu keiner Änderung geführt; insbesondere erwachsen die in Abstammungssachen ergehenden Entscheidungen nach wie vor in materielle Rechtskraft (vgl. §§ 182, 184 FamFG; §§ 640h Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 641h ZPO a.F.).
42
Wenn das Gesetz in bestimmten Fällen von den genannten allgemeinen Grundsätzen abweicht, enthält es regelmäßig eine dies zum Ausdruck bringende besondere Regelung, mit der etwa auf den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit oder Anhängigkeit des Verfahrens bzw. statt der Anhängigkeit auf die Antragstellung abgestellt wird (vgl. etwa § 122 Nr. 3 FamFG, § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Fehlt es hingegen an einer Bezugnahme auf einen früheren Zeitpunkt in dem Gesetz, so muß das Gericht auf die aktuelle Sachlage abstellen (vgl. auch Senatsbeschluß BGHZ 151, 63 - FamRZ 2002, 1182 = FuR 2002, 510 = EzFamR MSA Art. 1 Nr. 4 zu der internationalen Zuständigkeit in Kindschaftssachen, und nunmehr dazu Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO). Entfällt das von dem Kläger bzw. Antragsteller geltend gemachte Recht aufgrund eines nach Rechtshängigkeit bzw. Anhängigkeit eingetretenen Ereignisses, dann führt dies folgerichtig zu der Erledigung des Rechtsstreits bzw. Verfahrens in der Hauptsache.
43
In dem vorliegenden Zusammenhang wird dies durch den weiteren in § 1600 Abs. 2 BGB geregelten Fall bestätigt, daß der rechtliche Vater verstorben ist. In diesem Falle steht aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts außer Zweifel, daß der maßgebliche Zeitpunkt im Sinne des Gesetzes der Zeitpunkt des Todes des rechtlichen Vaters ist. Ist der rechtliche Vater während des Verfahrens verstorben, wäre eine davon abweichende Auslegung, die statt des Zeitpunktes des Todes den Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung als maßgeblichen Zeitpunkt ergäbe, mit § 1600 Abs. 2 BGB unvereinbar. Auf einer Besonderheit beruht diese Regelung nur insoweit, als es anstelle der aktuellen Sachlage auf den Zeitpunkt des Todes des rechtlichen Vaters als einen früheren Zeitpunkt ankommt, nicht aber im Hinblick auf die grundsätzliche Unmaßgeblichkeit des Zeitpunktes des Eintritts der Anhängigkeit oder eines anderen früheren Zeitpunkts.
44
Der Gesetzeswortlaut ist demnach klar und im Zusammenhang mit der gesetzlichen Systematik insgesamt auch eindeutig (zutreffend Rauscher in Staudinger, BGB [2011] § 1600 Rdn. 41), denn er entspricht der allgemeinen verfahrensrechtlichen Regelungstechnik, deren sich der Gesetzgeber in § 1600 Abs. 1 S. 2 BGB bedient hat. Zu dem Ausschluß der Anfechtung führt demnach eine zum Schluß der letzten Tatsacheninstanz aktuell bestehende sozial-familiäre Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind, oder eine solche, die zu dem Zeitpunkt des Todes des rechtlichen Vaters bestand.
45
(b) Die Entstehungsgeschichte der Norm sowie ihr Sinn und Zweck führen zu keinem abweichenden Verständnis; vielmehr bestätigen sie das aus Wortlaut und Systematik folgende Auslegungsergebnis.
46
Die Anfechtung der Vaterschaft durch den leiblichen Vater ist durch das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes vom 23. April 2004 (BGBl I 598) eingeführt worden. Der Gesetzgeber kam damit einer Anordnung des Bundesverfassungsgerichts nach, die dies in seiner Entscheidung vom 9. April 2003 (BVerfGE 108, 82 = FamRZ 2003, 816 = EzFamR BGB § 1600 Nr. 2) getroffen hatte. Das Bundesverfassungsgericht hatte § 1600 BGB in der seinerzeit gültigen Fassung für insoweit mit Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht vereinbar erklärt, als er den leiblichen, aber nicht rechtlichen Vater eines Kindes ausnahmslos von der Anfechtung einer Vaterschaftsanerkennung ausschloß. Leiblicher Vater eines Kindes zu sein, mache diesen zwar allein noch nicht zum Träger des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG; die Grundrechtsnorm schütze den leiblichen Vater aber in seinem Interesse, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen. Ihm sei von dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu eröffnen, die rechtliche Vaterposition zu erlangen, wenn dem der Schutz einer familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinen rechtlichen Eltern nicht entgegenstehe (BVerfGE 108, 82 = FamRZ 2003, 816, 818 = EzFamR BGB § 1600 Nr. 2). Geht das Elternrecht des rechtlichen Vaters hingegen mit einer bestehenden sozial-familiären Beziehung einher, ist es nach der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegenüber dem grundrechtlich geschützten Interesse des leiblichen Vaters, in die rechtliche Vaterstellung einrücken zu können, vorrangig (BVerfGE 108, 82 = FamRZ 2003, 816, 818 = EzFamR BGB § 1600 Nr. 2). Konkurriert demnach ein leiblicher Elternteil mit dem bisherigen rechtlichen Elternteil um die einfachrechtliche Zuweisung der Elternposition, kann das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zu dem Kind von Verfassungs wegen über diese Zuweisung entscheiden, weil auch die soziale und personale Verbundenheit zwischen Eltern und Kind Voraussetzung dafür ist, entsprechend dem Elternrecht Verantwortung für das Kind tragen zu können (BVerfG FamRZ 2013, 521 = FuR 2013, 270 Tz. 59).
47
Daran hat sich der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien orientiert (BT-Dr. 15/2253 S. 11; vgl. Senatsbeschluß vom 15. November 2017 - XII ZB 389/16 - FamRZ 2018, 275 = FuR 2018, 137 Tz. 24 f); er hat mithin für die gerichtliche Feststellung einer sozial-familiären Beziehung bewußt auf die aktuelle Sachlage abgestellt. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung stimmt mit der von dem Bundesverfassungsgericht vorgenommenen Abwägung des Elternrechts des rechtlichen mit dem lediglich grundrechtlich geschützten Interesse des leiblichen Vaters überein. Wenn das Elternrecht von einer sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind gedeckt ist, hat es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmslos Vorrang vor dem rechtlichen Interesse des leiblichen Vaters zu der Erlangung der rechtlichen Vaterstellung.
48
Etwas anderes kann auch nicht aus dem Anliegen hergeleitet werden, Manipulationen vorzubeugen, die das Anfechtungsbegehren des leiblichen Vaters durch die zwischenzeitliche Entstehung einer sozial-familiären Beziehung von rechtlichem Vater und Kind zum Scheitern bringen (vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 2010, 1174, 1175; Rauscher, aaO § 1600 Rdn. 41a); der Vermeidung von Manipulationen kann und muß auf der Grundlage der bestehenden gesetzlichen Regelung vielmehr bei der Feststellung des Vorliegens einer sozial-familiären Beziehung Rechnung getragen werden. So kann eine etwa tatsächlich nicht ausgeübte, nur vorübergehende oder sogar vorgetäuschte Verantwortungsübernahme das Merkmal der sozial-familiären Beziehung nicht erfüllen, und steht folglich der Vaterschaftsanfechtung nicht entgegen. Besteht dagegen eine von tatsächlicher Verantwortungsübernahme geprägte sozial-familiäre Beziehung von rechtlichem Vater und Kind, kann diese ausgehend von der Senatsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schon ihrer Natur nach keinen Rechtsmißbrauch darstellen, denn sie wird als rechtlich fundierte und tatsächlich gelebte Eltern-Kind-Beziehung nicht nur von dem Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG geschützt, sondern hat als solche auch Vorrang vor dem Interesse des leiblichen Vaters an der Erlangung der rechtlichen Vaterschaft.
49
Durch eine Vorverlegung des maßgeblichen Zeitpunkts auf den Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens würde zudem die Zielsetzung des Gesetzes teilweise auch zu Lasten des leiblichen Vaters verfehlt, denn bei Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunktes auf den Zeitpunkt der Anhängigkeit des Anfechtungsantrages wäre der Anfechtungsantrag auch dann unbegründet, wenn zwar bei Eintritt der Anhängigkeit noch eine sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater bestand, zum Schluß der letzten Tatsacheninstanz aber nicht mehr. Damit wäre das von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Interesse des leiblichen Vaters, die rechtliche Vaterschaft zu erlangen, nicht mehr gewahrt, denn dieses muß sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der darauf beruhenden gesetzlichen Regelung durchsetzen, wenn die rechtliche Vaterschaft nicht durch eine sozial-familiäre Beziehung gestützt wird (vgl. Senatsbeschluß vom 15. November 2017 - XII ZB 389/16 - FamRZ 2018, 275 = FuR 2018, 137 Tz. 23 ff). Da gerade dieses Anliegen mit der Einführung der Vaterschaftsanfechtung durch den leiblichen Vater verwirklicht werden sollte, liefe eine Vorverlegung des maßgeblichen Zeitpunktes auch insoweit dem Gesetzeszweck zuwider.
50
(2) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts kann auch eine verfassungskonforme Auslegung nicht in zulässiger Weise zu einem anderen Ergebnis führen.
51
Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie zu dem Wortlaut und zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen, oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen (BVerfGE 138, 296 = NJW 2015, 1359 Tz. 132 mwN; Senatsbeschlüsse vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - FamRZ 2015, 1484 = FuR 2015, 601 Tz. 35, und vom 22. April 2020 - XII ZB 383/19 - FamRZ 2020, 1009 Tz. 27).
52
Letzteres wäre hingegen bei einer Vorverlagerung des für die sozial-familiäre Beziehung maßgeblichen Zeitpunktes der Fall. Wie ausgeführt, entspricht die zeitliche Fixierung des Vorliegens einer sozial-familiären Beziehung auf die aktuelle Sachlage bei Entscheidung dem klaren Wortlaut des § 1600 Abs. 2 BGB und der Gesetzessystematik; sie deckt sich als bewußte gesetzgeberische Wertentscheidung auch mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes sowie dessen Sinn und Zweck. Zu einer den so ermittelten Gesetzesinhalt korrigierenden Auslegung sind die Fachgerichte nicht befugt (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 437 zu der Gesetzesbindung). Auch ein andernfalls vorliegender Verfassungsverstoß läßt sich nicht zulässigerweise im Wege der Gesetzeskorrektur durch die Fachgerichte beheben; vielmehr bleibt in diesem Fall lediglich die Möglichkeit der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG.
53
Zudem unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem der Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2018 (1 BvR 2814/17 - FamRZ 2019, 124) zugrunde liegenden Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat die Anfechtung der Vaterschaft trotz aktuell bestehender sozial-familiärer Beziehung nur für die Sonderkonstellation zugelassen, daß der leibliche Vater die gerichtliche Feststellung seiner Vaterschaft zu einem Zeitpunkt beantragt hat, in dem sie ihm ohne Weiteres offen stand, und auch kein anderer Mann eine soziale Vaterstellung für seine Kinder eingenommen hatte (BVerfG FamRZ 2019, 124 Tz. 21 ff). Davon unterscheidet sich der vorliegende Fall bereits dadurch, daß die rechtliche Vaterschaft des Beteiligten zu 5) schon bei der Geburt begründet war.
54
(3) Nach der Rechtsprechung des Senats bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung (Senatsurteil BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538 = FuR 2007, 167 = EzFamR BGB § 1600 Nr. 7 Tz. 26 ff, und Senatsbeschluß vom 15. November 2017 - XII ZB 389/16 - FamRZ 2018, 275 = FuR 2018, 137 Tz. 24). Daran hält der Senat übereinstimmend mit dem Bundesverfassungsgericht (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluß vom 29. Januar 2020 - 1 BvR 2715/18 - juris) fest. Eine Sonderkonstellation wie die der Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2018 (FamRZ 2019, 124) liegt, wie ausgeführt, nicht vor.
55
3. Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG).
56
Das Oberlandesgericht hat für das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem Beteiligten zu 5) und dem Kind zu Unrecht auf den Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens abgestellt. Das für die Entscheidung maßgebliche Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zu dem Zeitpunkt seiner Entscheidung hat es hingegen - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - als unerheblich angesehen. Da es insoweit an den erforderlichen tatrichterlichen Feststellungen fehlt, ist dem Senat ungeachtet der zwischenzeitlichen Eheschließung durch die Beteiligten zu 4) und zu 5) eine abschließende Entscheidung in der Sache verwehrt.
57
Die Sache ist daher gemäß § 74 Abs. 6 S. 2 FamFG an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, das die erforderlichen Feststellungen nachzuholen hat.


BGH, Beschluß vom 24.03.2021 - XII ZB 364/19
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